Ukraine: Comeback der Kornkammer

Werbung
A L L I A N Z D R E S D N E R E CO N O M I C R E S E ARC H
Working
Paper
13.08.2008
M A K R O Ö KO N O M I E
FINANZMÄRKTE
111
WIRTSCHAFTSPOLITIK
Nils Kompe & Gabriele Steck
Ukraine: Comeback der Kornkammer ?
BRANCHEN
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
Working Paper
Nr. 111
1. Überblick .............................................................................3
2. Wirtschaftsboom trotz politischer Wirren ...............................3
3. Verhinderte Agrarmacht ........................................................3
4. Inflations-Europameister ......................................................5
5. Das Kreuz mit dem fixen Wechselkurs ....................................6
6. Prozyklische Fiskalpolitik .....................................................7
7. Das Leitstungsbilanzdefizit weitet sich aus ..............................7
8. Risiken und Wachstumsperspektiven .....................................8
2
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
AUTOREN:
NILS KOMPE
Tel.: +49.69.263-8 13 56
[email protected]
GABRIELE STECK
Tel.: +49.69.263-5 54 13
[email protected]
1. ÜBERBLICK
2007 entwickelte sich die Ukraine sehr dynamisch. Das reale Wirtschaftswachstum
betrug knapp 8%, die realen Einkommen expandieren seit vier Jahren kräftig und
noch nie flossen so viele ausländische Direktinvestitionen in das Land wie im vergangenen Jahr. Neben dem steigenden Stahlpreis – die Stahlindustrie ist die Säule
der ukrainischen Wirtschaft - war vor allem die inländische Nachfrage maßgeblicher
Wachstumsfaktor. Die wirtschaftliche Entwicklung trotzt den derzeitigen politischen
Turbulenzen im Land. Die Regierungskoalition befindet sich bereits neun Monate
nach der Wahl wieder in stürmischen Zeiten und der Reformprozess ist ins Stocken
geraten.
Dabei bestehen erhebliche wirtschaftspolitische Herausforderungen, denn es droht
eine Überhitzung der heimischen Wirtschaft: das jährlich Kreditwachstum liegt seit
vier Jahren bei durchschnittlich 70%, das Land verzeichnet die höchste Preissteigerungsrate Europas und das Leistungsbilanzdefizit wird sich im laufenden Jahr drastisch ausweiten.
Positiv stimmt jedoch die anstehende gute Ernte, die ins Gedächtnis ruft, dass die
Ukraine einst als Kornkammer Europas galt. Um langfristig diesen Ruf zurückzuerhalten, müssen aber noch zahlreiche strukturelle Defizite beseitigt werden. Verlässlichere Ernten könnten dazu beitragen, viele Probleme zu lösen: die Lebensmittelpreise im Inland könnten sinken, es könnten dauerhaft Exporterlöse erzielt werden, was
das Leistungsbilanzdefizit verringern würde und die hohe Abhängigkeit vom Stahlsektor könnte minimiert werden. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
2. WIRTSCHAFTSBOOM TROTZ POLITISCHER WIRREN
Inländische Nachfrage treibt Wirtschaftswachstum
Neun Monate nach den Parlamentswahlen im September des vergangenen Jahres
steht die Koalition der Parteien von Premierministerin Tymoshenko (BYT) und Präsident Yushchenko (NUNS) erneut vor dem Aus. Fortlaufende Grabenkriege und ungelöste Machtfragen zwischen den politischen Spitzen führten zu einem vorläufigen
Ende des bereits zuvor schleppenden Reformprozesses.
Doch die Konstellation fortdauernd wechselnder politischer Mehrheiten hat der
wirtschaftlichen Entwicklung bis jetzt nicht nachhaltig geschadet. Für das laufende
Jahr erwarten wir zwar eine leichte Abkühlung der wirtschaftlichen Dynamik; mit
einem Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes um vorrausichtlich 6,2% sollte die
Wirtschaft jedoch weiterhin erstaunlich kräftig wachsen. Motor ist nach wie vor die
inländische Konsumnachfrage. Die weiter steigenden real verfügbaren Einkommen
der privaten Haushalte beflügeln auch im laufenden Jahr das Wachstum der Großund Einzelhandelsumsätze. Die Stahlproduktion kann dagegen in diesem Jahr die
Rekordergebnisse der letzen beiden Jahre nicht wiederholen. Bei weiterhin hohen
Stahlpreisen bleiben hier die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch nach wie
vor günstig.
3. VERHINDERTE AGRARMACHT
Das landwirtschaftliche Potenzial der Ukraine mit ihren sehr fruchtbaren Schwarzerdeböden ist seit langer Zeit bekannt. Doch sowohl die Produktivität als auch die
bewirtschaftete Fläche sind entgegen dem Trend in Osteuropa seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zurückgegangen. Die wenig diversifizierte und weitgehend
3
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
traditionell organisierte ukrainische Agrarwirtschaft ist in hohem Maße anfällig für
negative Wettereffekte und weist dementsprechend stark volatile Ernteerträge auf. In
den Jahren 2002/2003 musste das Land sogar erstmals Weizen importieren.
Grafik 1
Weizenproduktion
in Mio. t und % weltweiter Exporte
8
20
6
15
4
10
5
2
0
0
2000
2001
Weizenproduktion
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
% Weltexporte, rechte Skala
Quelle: FAO, Bloomberg, eigene Berechnungen.
Auch im vergangenen Jahr blieb die Getreideernte hinter den Erwartungen zurück.
Wie bereits im Fall vorangegangener Missernten in den neunziger Jahren reagierte die ukrainische Regierung mit der Einführung von Exportquoten. In der Folge
brachen die Ausfuhren massiv ein. Die Ukraine, die neben Russland, Argentinien,
Kasachstan, Kanada, den USA und Australien zu den sieben größten Exporteuren
von Weizen zählt, konnte den Weltmarkt ab Mitte 2007 nicht mehr bedienen. Im
Mai dieses Jahres - mit der Ankündigung guter Ernten - nahm die Regierung die
Exportquote erst teilweise, kurz darauf vollständig zurück.
Eine gute Ernte wird die Entwicklung der rasant steigenden Lebensmittelpreise dämpfen. Im vergangenen Jahr betrug der Preisanstieg hier 38 %, im 1. Quartal 2008
sogar 64 % J/J. Für den enormen Preisdruck sind neben der schlechten Ernte die
Entwicklungen auf den internationalen Rohstoffmärkten verantwortlich.
Strukturelle Defizite verhindern Entwicklung
Dabei stellt die derzeitige Situation weltweit hoher Lebensmittelpreise für die ehemalige Kornkammer der Sowjetunion ein vielversprechendes Umfeld dar. Nach Schätzungen der Food and Agriculture Organization gehört die Ukraine zu den wenigen
Ländern, die ihren landwirtschaftlichen Output noch erheblich steigern können.
Sowohl die bewirtschaftete Fläche als auch die Produktivität könnten signifikant
erhöht werden. Bis jetzt verhindern allerdings strukturelle Defizite eine Produktionsausweitung.
So sind potenzielle ausländische Investoren mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Das größte Hindernis für Engagements in der Landwirtschaft ist ein 2002 in
Kraft getretenes Verkaufsmoratorium für landwirtschaftliche Flächen und deren
Umwidmung. Seitdem ist Ausländern sowie Inländern der Erwerb von Grund und
Boden in der Ukraine offiziell verboten.
4
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
In der Folge befindet sich noch immer ein Drittel der bewirtschaftbaren Fläche in
der Hand von Kleinbauern, mit einer in aller Regel niedrigen Produktivität. Gut die
Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften privat organisierte Kooperativen und nur ein Teil ist in der Hand von privaten Großbetrieben, mit im europäischen Vergleich allerdings ebenfalls unterdurchschnittlichen Erträgen.
Infolge des WTO-Beitritts im Mai erwarten wir allerdings eine Zunahme des externen
Drucks und eine baldige Abschaffung des Verkaufsmoratoriums sowie die Öffnung
des Agrarmarktes für ausländisches Kapital.
4. INFLATIONS-EUROPAMEISTER
Inflation auf Rekordniveau
Lagen die Konsumentenpreise im Dezember 2007 bereits um gut 16% höher als im
Vorjahr, erklommen die Monatswerte seit Beginn des Jahres bis zum Mai (31,2%
J/J) immer neue Höchststände. Dies sind die höchsten Preissteigerungsraten in Europa
und mit die höchsten weltweit. Neben den Nahrungsmittelpreisen sind vor allem die
steigenden Gas- und Ölpreise ursächlich für diese Entwicklung.
Grafik 2
Inflation und Lebensmittelpreise
in %
45
35
25
15
5
-5
2006
Mai
Inflation J/J
Sep
2007
Mai
Sep
2008
Mai
Lebensmittelpreise J/J
Quelle: Nationales Statistikamt.
Ausblick: Lebensmittelpreise sinken,
Gaspreise steigen
Zukünftig erwarten wir bei den beiden Faktoren eine entgegengesetzte Entwicklung.
Auf der einen Seite wird sich infolge der guten Ernte ab dem Sommer die Situation
nicht nur auf dem Getreide-, sondern auch auf fast allen weiteren Lebensmittelmärkten entschärfen. Und da Lebensmittel mit einem Anteil von knapp 60 % am Konsumentenpreisindex ein hohes Gewicht besitzen, rechnen wir hier für das zweite
Halbjahr mit einem inflationsdämpfenden Effekt.
Demgegenüber stehen weiter steigende Energiepreise. Den Verhandlungsergebnissen
mit Gazprom entsprechend, wurde der Gaspreis dieses Jahr um 36 % auf 179,5 USD
erhöht. 2009, so droht Gazprom, soll die Ukraine dann Weltmarktpreise zahlen.
Auch wenn die Verhandlungen diesbezüglich noch ergebnisoffen sind, erwarten wir
zweifelsohne auch in den kommenden Jahren weitere kräftige Gaspreiserhöhungen.
Mit einem Anteil von knapp 50 % am ukrainischen Energiemix wird von den Erdgaspreisen somit weiterhin ein hoher Inflationsdruck ausgehen.
5
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
Um hier langfristig für eine Entlastung zu sorgen, forciert die ukrainische Regierung
den Ausbau heimischer Gas- und Erdölförderung, den Bau von Kohlekraftwerken
sowie die Verbesserung der Energieeffizienz. Kurz- bis mittelfristig ist hierdurch
allerdings mit keiner wesentlichen Verbesserung der Situation zu rechnen.
5. DAS KREUZ MIT DEM FIXEN WECHSELKURS
Übergang zum Währungskorb
Angesichts des fixen Wechselkursregimes sind die geldpolitischen Möglichkeiten der
Zentralbank stark eingeschränkt. Die Landeswährung Hrywna war de facto an den USDollar gekoppelt. Die hohen Kapitalzuflüsse der vergangenen Jahre haben die Hrywna unter starken Aufwertungsdruck gesetzt. Um den Kurs stabil zu halten, musste die
Zentralbank intervenieren und hat so ihre Devisenreserven aufgebaut. Die entsprechende Ausweitung der inländischen Geldmenge verschärfte über eine gestiegene
Nachfrage den Preisdruck.
In einem ersten Schritt wich die Zentralbank deshalb von ihrem fixen WechselkursSystem ab und erweiterte das Band, innerhalb dessen der Wechselkurs schwanken
kann, etwas. Daraufhin wertete die Hrywna kurzzeitig sogar um 10 % auf. Wir
erwarten, dass die Zentralbank demnächst dazu übergehen wird, die Währung gegen
einen Wechselkurskorb aus US-Dollar und Euro zu steuern; ähnlich dem russischen
Modell.
Neben der Aufwertung hat die Zentralbank weitere, wenn auch zögerliche Bemühungen unternommen, das Geldmengenwachstum zu begrenzen. So wurde der
Diskontsatz bis Juni graduell von 8 % auf 12 % erhöht, die Mindestreservevorschriften wurden verschärft. Damit konnte jedoch die Ausweitung der Geldmenge bis jetzt
allenfalls gedämpft werden. Denn einerseits führen steigende Zinsen bei einem fixen
Wechselkursregime wieder zu verstärkten ausländischen Kapitalzuflüssen und in der
Folge zu weiterem Aufwertungsdruck, zum Aufbau von Devisenreserven und damit
zu Geldmengenwachstum. Andererseits sind die realen Zinsen nach wie vor negativ
und das Wachstum der Kredite ist stattlich. Seit 2005 wachsen die Konsumentenkredite jährlich mit durchschnittlich 70 % und damit weitaus stärker als die Darlehen
an den Unternehmenssektor. In der Folge hat sich die Verschuldung der privaten
Haushalte im Verhältnis zum BIP innerhalb von nur drei Jahren auf inzwischen 63 %
verdoppelt. Dies ist nicht uneingeschränkt negativ zu sehen, denn die Ukraine hat
hinsichtlich der Finanzintermediation immer noch starken Nachholbedarf.
Grafik 3
Privater Sektor: Kreditvergabe und Verschuldung
in % und im Verhältnis zum BIP
90
80
70
60
50
40
30
20
2003
Kreditwachstum J/J
6
2004
2005
Verschuldung/BIP in %
Quelle: EcoWin, eigene Berechnungen.
2006
2007
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Problematisch ist allerdings der erhöhte Anteil an Fremdwährungskrediten. Knapp
45 % der inländischen Kreditvergabe sind in US-Dollar denominiert, wobei die Kreditnehmer oftmals keine Fremdwährungseinnahmen generieren können. Falls es zu
einer Abwertung der Hyrwna kommen sollte, hätte dies schwerwiegende Folgen für
den Bankensektor.
6. PROZYKLISCHE FISKALPOLITIK
Ausweitung der Haushaltsdefizite...
Aufgrund der dynamischen Wirtschaftsentwicklung präsentiert sich die Einnahmeseite des Haushalts äußerst positiv. Insbesondere die realen Einkünfte aus Mehrwertsowie Einkommensteuer wuchsen im vergangenem Jahr zweistellig. Doch trotz der
guten Ausgangssituation plant die Regierung eine Ausweitung des Haushaltsdefizits
auf 2 % des BIP. Zwar ist dies immer noch moderat und die öffentliche Bruttoverschuldung bietet mit 9,5 % des BIP erheblichen fiskalischen Handlungsspielraum.
In Anbetracht der Inflationsentwicklung wäre jedoch ein fiskalpolitischer Sparkurs
hilfreich.
... stärkt Konsumnachfrage
Stattdessen stärkt die Regierung die inländische Konsumnachfrage, indem sie deutlich
die Ausgaben für Pensionen, Renten und Löhne im öffentlichen Dienst erhöht. Einen
erheblichen prozyklischen Effekt hat ebenfalls das Programm für Ausgleichszahlungen für während der Hyperinflation verlorene Sparguthaben. Ihrem Wahlversprechen folgend entschädigt die Regierungskoalition jeden betroffene Sparer pauschal
mit 1000 UAH (ca. 200 USD) in bar. Seit März haben bereits 2,7 Mio. Ukrainer
davon Gebrauch gemacht. Und weitere Entschädigungsrunden mit deutlich höheren
Zahlungen, insgesamt 25 Mrd. USD bis zum Jahr 2012, sind bereits angekündigt.
Kritisch ist auch, dass die Regierung das Defizit durch einmalige Privatisierungserlöse finanzieren will, die man normalerweise nur zur Schuldenreduzierung einsetzen
sollte. Aufgrund von Unstimmigkeiten innerhalb der Regierungskoalition läuft der
Privatisierungsprozess allerdings äußerst schleppend und anvisierte Großprojekte,
wie die Privatisierung des staatlichen Telekommunikationsunternehmens „Ukrtelecom“ oder des Chemieunternehmens „Odessa pre-port plant“, stehen noch aus.
7. DAS LEISTUNGSBILANZDEFIZIT WEITET SICH AUS
Externer Refinanzierungsbedarf
steigt
Obwohl die Exporte, begünstigt durch hohe Stahl- und Chemikalienpreise, im vergangenen Jahr kräftig wuchsen, verdoppelte sich das Handelsbilanzdefizit. Hierfür
verantwortlich sind neben der starken Konsumnachfrage vor allem die steigenden
Energiepreise. Die Importe von Erdgas und –öl waren dabei die größten Preistreiber.
Für das laufende Jahr erwarten wir eine identische Entwicklung mit stark wachsenden Exporten, die aber der Importanstieg überkompensiert. Das Handelsbilanzdefizit
wird sich entsprechend ausweiten, mit negativen Konsequenzen für die Leistungsbilanz. Bereits im vergangenen Jahr betrug das Defizit hier knapp 6 Mrd USD. Für das
laufende Jahr erwarten wir einen weiteren kräftigen Anstieg des Leistungsbilanzdefizits auf 13,3 Mrd. USD bzw. 6,7% des BIP.
7
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
Grafik 4
Leistungsbilanz
in Mrd. USD
17,5
12
10,5
8
4
3,5
Prognose
-3,5
0
-4
-10,5
-8
-12
-17,5
2002
Mrd. USD
2003
2004
2005
2006
2007
2008
% des BIP, rechte Skala
Quelle: Zentralbank, eigene Berechnungen.
Bei weiterhin hoher Importnachfrage und den für die Ukraine steigenden Energiepreisen wird sich dieser Trend auch im kommenden Jahr fortsetzen. Für 2009
erwarten wir ein Leistungsbilanzdefizit von knapp 20 Mrd USD bzw. 8,2% des BIP.
Der externe Refinanzierungsbedarf wird also weiter zunehmen. Bis jetzt reichten die
Zuflüssen an ausländischen Direktinvestitionen aus, um das Leistungsbilanzdefizit
zu decken. Mit 9,2 Mrd. USD war im vergangenen Jahr das Interesse der ausländischen Investoren so hoch wie nie zuvor. Angesichts der anstehenden Privatisierungsprojekte erwarten wir, dass sich dieser Trend fortsetzt. Voraussetzung ist allerdings eine Einigung der Koalitionspartner. Die Portfolioinvestitionen sind dagegen
synchron mit dem ukrainischen Aktienmarkt im 1. Quartal um 90 % (Q/Q) eingebrochen und werden das Vorjahresniveau von knapp 6 Mrd. USD netto nicht wieder erreichen. Für die Kapitalbilanz erwarten wir daher nur eine leichte Zunahme
auf 15 Mrd. USD. Sollte dieser Trend anhalten, besteht mittelfristig die Gefahr nicht
mehr ausreichender Kapitalzuflüsse zur Finanzierung des rapide steigenden Leistungsbilanzdefizits. Dies hätte abnehmende Devisenreserven oder/und eine Abwertung
der Währung zur Folge.
Grafik 5
Spreads
450
350
250
150
50
2006
EMBI+ (Ukraine)
Quelle: EcoWin.
8
2007
EMBI+ (Composite Index)
2008
ALLIANZ DRESDNER ECONOMIC RESEARCH
Working Paper / Nr. 111 / 13.08.2008
8. RISIKEN UND WACHSTUMSPERSPEKTIVEN
Das Risikopotenzial der Ukraine hat sich erhöht. Neben der Konsumentenpreisentwicklung ist das rasant steigende Leistungsbilanzdefizit das größte Risiko. Mit den
anstehenden Gaspreisverhandlungen im kommenden Jahr erwarten wir hier eine
hohe Unsicherheit bezüglich der weiteren Entwicklung. Preissteigerungen sind
unausweichlich, setzt Gazprom seinen Plan um, von der Ukraine langfristig Weltmarktpreise zu fordern. Damit wird sich die Wettbewerbsposition der energieintensiven Stahl- und Chemieindustrie weiter verschlechtern; es ist nur fraglich in
welchem Umfang.
Die hohe Abhängigkeit der Ukraine von der zukünftigen Entwicklung des Stahlpreises stellt ein weiteres Risiko dar. Die Stahlproduktion stellt knapp 45 % der Exporte,
das sind schätzungsweise 14 % des BIP. So hat die Stahlpreishausse maßgeblich das
Wachstum der vergangenen Jahre getrieben.
Grafik 6
Reales BIP und Stahlpreis
in % gegenüber Vorjahr
Stahlsektor dominiert Wirtschaftsentwicklung
17,5
90,0
12,5
65,0
7,5
40,0
2,5
15,0
-2,5
-10,0
-7,5
2004
reales BIP
2005
2006
2007
2008
-35,0
Stahlpreis, rechte Skala
Quelle: Zentralbank, Bloomberg, eigene Berechnungen.
Im Falle einer massiven Abkühlung und fallender Stahlpreise erwarten wir auch
für die Ukraine eine deutliche Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik. Dies
würde einerseits zwar die Konsumentenpreisentwicklung dämpfen, bedeutete
andererseits jedoch eine weitere Erhöhung des Leistungsbilanzdefizits bzw. des
externen Finanzierungsbedarfs.
Eine Diversifizierung der Exportstruktur ist daher notwendig, will die Ukraine in
Zukunft unabhängiger vom Stahlsektor werden. Dabei könnte der Agrarsektor
zukünftig eine wichtige Rolle spielen.
Die politische Unsicherheit in der Ukraine bleibt gewohnt hoch. Allerdings ist ein
grundsätzlicher Kurswechsel nicht zu erwarten. Von dem eingeschlagenem Weg der
Privatisierung und Liberalisierung und dem prowestlichen Kurs der Orientierung hin
zur EU und zur NATO wollen weder Tymoschenko noch Juschtschenko langfristig
abweichen.
9
Herunterladen