Diplomarbeit Wahlkampfkommunikation im Social Web Die Chancen und Herausforderungen für österreichische Parteien im Wahlkampf Ausgeführt zum Zweck der Erlangung des akademischen Grades Mag. (FH) für wirtschaftswissenschaftliche Berufe am Fachhochschul-Diplomstudiengang Medienmanagement St. Pölten von: Ilda Osmancevic mm051067 Begutachter: Mag. Tassilo Pellegrini Zweitbegutachter: Univ.-Prof. Dr. Fritz Hausjell St. Pölten, am 2. Oktober 2009 Ehrenwörtliche Erklärung Ich versichere, dass • ich diese Diplomarbeit selbständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe. • ich dieses Diplomarbeitsthema bisher weder im Inland noch im Ausland einem Begutachter/einer Begutachterin zur Beurteilung oder in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe. Diese Arbeit stimmt mit der vom Begutachter beurteilten Arbeit überein. ……………………………. ……………………………. Ort, Datum Unterschrift I Danksagung An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei allen zu bedanken, die mir während der Recherche und Arbeit mit Unterstützung und Verständnis entgegengekommen sind. Ich bedanke mich bei Herrn Mag. Tassilo Pellegrini für die fachliche Betreuung und die wertvollen Denkanstöße, die mich im Zuge der Arbeit zu neuen Perspektiven heranführten. Ebenso danke ich Herrn Dr. Fritz Hausjell für die fachliche Unterstützung in Fragen der Politikund Kommunikationswissenschaft. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern Ismeta und Fikret Osmancevic, die mich nicht nur während der Diplomarbeit unterstützt haben, sondern mir auch den Weg dahin geebnet haben. II Hinweis im Sinne der Gleichbehandlung Aus Gründen leichterer Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z.B. TeilnehmerInnen, verzichtet. Es wird darauf hingewiesen, dass entsprechende Begriffe kein Geschlecht ausschließen, sondern im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter gelten. III Zusammenfassung Österreichische Parteien stehen derzeit im Wahlkampf vor zahlreichen Herausforderungen, die durch den alleinigen Einsatz traditioneller Medien und bisheriger Formen der Online- Kommunikation nur schwer zu bewältigen sind. Zu allgemeinen Problemen wie dem erschwerten direkten Zugang zu den Wählern und dem begrenzten Zugang zur Medien-Agenda kamen in den letzten Jahrzehnten neue Herausforderungen wie die Erosion der Parteibindungen oder die steigende Wählermobilität hinzu. Das Social Web und seine Anwendungen wie Facebook, Twitter, YouTube und Blogs sind durch eine eigene Kommunikationskultur geprägt. Ihre Merkmale weisen gegenüber traditionellen Medien und bisherigen Formen der Online-Kommunikation Stärken aber auch Schwächen auf, die im österreichischen Wahlkampf erfolgskritisch sein können. Auf der einen Seite eröffnet das Social Web Parteien und Politikern zahlreiche Chancen wie die direkte und ungefilterte Kommunikation relevanten mit dem Zielgruppen Informationen. Auf Herausforderungen Wähler, oder der für den den anderen die Beziehungsaufbau erleichterten Seite Zugang bilden sich Wahlkampfkommunikation zu zu neue heraus, darunter das Risiko des Kontrollverlustes über Inhalte oder neue Gatekeeper-Strukturen, die dem ungefilterten Informationsfluss zwischen Parteien und Wählern entgegenwirken. Als Vorbild für einen erfolgreichen Einsatz des Social Web dient Barack Obamas Kampagne im Präsidentschaftswahlkampf 2008. Ergebnisse der Arbeit zeigen jedoch wesentliche Unterschiede zwischen den USA und Österreich im Bezug auf die Rahmenbedingungen für den Wahlkampf und deuten somit darauf hin, dass eine Eins-zu-eins-Übernahme amerikanischer Wahlkampfstrategien im Social Web nicht zielführend ist. IV Abstract Political parties in Austria are currently facing numerous challenges in election campaigns, which can hardly be tackled by using only traditional media or previous forms of online media. In addition to general problems such as the hindered direct access to the voters or the limited access to the media agenda, political parties have been confronted with new challenges such as the diminution in party affiliation and the rising voter volatility in the last decades. The social web and its applications such as Facebook, Twitter, YouTube and blogs are characterised by an own communication culture which – in comparison to traditional media and previous forms of online communication – shows strengths and weaknesses that can be critical to the success of campaigns in Austrian elections. On the one hand the social web provides parties and politicians with numerous opportunities such as the direct and unfiltered communication with the voters, relationship building with relevant target groups or an easier access to information. On the other hand it results in new challenges for the election campaign communication such as the risk of losing control over the content or new gatekeeperstructures, which counteract the unfiltered flow of information between the parties and the voters. Barack Obama’s presidential campaign 2008 serves as role model on how to use the social web successfully in political elections. However, results of this thesis indicate significant differences between the USA and Austria relating to the general conditions of political campaigns. Consequently, American campaigning strategies cannot be implemented one-to-one by Austrian parties. V Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................... 11 1.1. Untersuchungsgegenstand ................................................. 11 1.2. Forschungsproblem ............................................................ 11 1.3. Zielsetzung.......................................................................... 12 1.4. Aufbau der Arbeit ................................................................ 14 1.5. Forschungsmethode ........................................................... 15 2. Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 16 2.1. Wahlkampf als Sonderfall der politischen Kommunikation .. 16 2.2. Medienvermittelte Kommunikation ...................................... 18 2.2.1. Selektions- und Transformationskriterien ..................... 19 2.2.2. Agenda-Setting und Agenda-Building........................... 21 2.3. Direkte Kommunikation mit Wählern ................................... 22 2.4. Dominanz der Top-down-Kommunikation ........................... 23 2.5. Amerikanisierung der Wahlkampfkommunikation? ............. 23 2.5.1. Veränderungen in der redaktionellen Politikvermittlung 26 2.5.2. Erosion der Parteibindungen und Wählermobilität ....... 28 2.5.3. Professionalisierung des Wahlkampfs .......................... 29 2.5.4. Fazit: „Shopping Model“ statt Amerikanisierung ........... 29 2.6. Zwischenergebnis ............................................................... 30 3. Wahlkampf im Social Web ......................................................... 31 3.1. Begriffsabgrenzung ............................................................. 32 3.1.1. Web 2.0 ........................................................................ 32 3.1.2. Social Web und Social Software................................... 34 3.2. Von der Gutenberg Galaxis zur Google-Welt ...................... 37 3.2.1. Gutenberg-Galaxis ....................................................... 38 VI 3.2.2. McLuhan-Galaxis.......................................................... 39 3.2.3. Internet-Galaxie ............................................................ 40 3.2.4. Google-Welt ................................................................. 41 3.2.5. Zwischenergebnis......................................................... 44 4. Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf ...... 45 4.1. Identitätsmanagement......................................................... 48 4.1.1. Selbstbestimmte Präsentation der Partei-Identität ....... 48 4.1.2. Identitätsmanagement aus Nutzer-Perspektive ............ 51 4.1.2.1. User als Wahlkampfhelfer ...................................... 52 4.1.2.2. Mobilisierung von Unterstützern............................. 53 4.1.2.3. Grenzen der Mobilisierung ..................................... 56 4.1.2.4. Kontrollverlust über Inhalte .................................... 58 4.2. Beziehungsmanagement .................................................... 59 4.2.1. Themen- und zielgruppenorientierte Kommunikation ... 60 4.2.2. Kommunikation in Nischennetzwerken ......................... 61 4.2.3. Relevante Zielgruppen im Social Web.......................... 63 4.2.3.1. Die Sympathisanten ............................................... 63 4.2.3.2. Meinungsführer und „Poli-fluentials“ ...................... 64 4.2.3.3. „Digital Natives“...................................................... 65 4.3. Informationsmanagement ................................................... 71 4.3.1. Informationsmanagement durch User .......................... 71 4.3.2. Informationsmanagement durch Medien: Agenda- Building über Blogs? .................................................................. 73 4.3.2.1. Rollen von Bloggern ............................................... 76 4.3.2.2. Kommunikation in der Blogosphäre ....................... 79 4.3.2.3. Nutzung von Blogs durch Journalisten................... 81 4.3.2.4. Hierarchische Ordnung der Blogosphäre ............... 82 4.3.2.5. Deutschsprachige Blogosphäre ............................. 84 4.4. Fallbeispiel: Blog von Christoph Chorherr ........................... 87 VII 4.4.1. Identitätsmanagement .................................................. 87 4.4.2. Beziehungsmanagement .............................................. 90 4.4.3. Informationsmanagement ............................................. 91 4.5. Zwischenergebnis ............................................................... 93 5. Experteninterviews .................................................................... 96 5.1. „Shopping Model“ statt Amerikanisierung ........................... 96 5.2. Das Social Web im österreichischen Wahlkampf ................ 99 5.2.1. Identitätsmanagement .................................................. 99 5.2.2. Beziehungsmanagement: Zielgruppen ....................... 102 5.2.3. Informationsmanagement: Agenda-Building............... 104 6. Fazit und Ausblick ................................................................... 106 7. Literaturverzeichnis ................................................................. 109 VIII Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Handlungssystem der Wahlkampfkommunikation ................ 18 Abbildung 2: Nutzungsoptionen und soziale Funktionen ........................... 47 Abbildung 3: Screenshot: Rede von Werner Faymann auf YouTube......... 50 Abbildung 4: Bedenken über Veröffentlichung persönlicher Daten ............ 57 Abbildung 5: Blogeintrag in Obamas Profil auf MiGente.com .................... 62 Abbildung 6: Video Obamas auf BlackPlanet.com .................................... 63 Abbildung 7: Screenshot: Original-Plakat der CDU ................................... 69 Abbildung 8: Screenshot: Remix des CDU-Plakats durch einen User ....... 69 Abbildung 9: Zusammenspiel von Identitäts- und Informationsmanagement in der Wahlkampfkommunikation .............................................................. 73 Abbildung 10: Weblogs und Massenmedien im Prozess der Thematisierung und Meinungsbildung ................................................................................ 75 Abbildung 11: Screenshot: Fighthesmears.com ........................................ 78 Abbildung 12: Blognutzung der befragten Journalisten ............................. 85 Abbildung 13: Videoblog von Christoph Chorherr auf chorherr.twoday.net 88 Abbildung 14: Plakatwettbewerb der Grünen online – Plakate offline ........ 89 Abbildung 15: Thematisierung des Plakatwettbewerbs der Grünen........... 92 IX Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Die Veränderung des Wählerverhaltens zwischen 1954 und 2002 ................................................................................................................. 28 Tabelle 2: Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Welt............................ 38 Tabelle 3: Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf ...... 48 Tabelle 4: Soziodemographische Merkmale der „Politblogger“ in % .......... 66 Tabelle 5: Parteipräferenz der Politblogger und Blogleser in Österreich in % ................................................................................................................. 71 X Einleitung 1. Einleitung 1.1. Untersuchungsgegenstand Die Arbeit beschäftigt sich mit der politischen Kommunikation im Social Web. Der Schwerpunkt wird auf die Wahlkampfkommunikation in Österreich gesetzt und damit auf die Chancen und Herausforderungen für österreichische Parteien und Politiker im Social Web. Die Verfasserin setzt damit eine Abgrenzung zu verwandten Themen wie der Chance zur direkten Demokratie im Social Web, die nur dann ansatzweise erläutert wird, wenn die ermöglichte Partizipation einen Einfluss auf den Wahlkampf hat. Darüber hinaus wird der Forschungsgegenstand auf die Wahlkampfkommunikation im Social Web eingeschränkt und umfasst daher nur ein enges Spektrum der Online-Kommunikation. 1.2. Forschungsproblem Der Einsatz von sozialen Netzwerken und anderen Anwendungen und Diensten des Social Web ist nicht neu, sorgte aber besonders seit 2008 mit dem Erfolg von Barack Obama bei der Präsidentschaftswahl in den USA für breite mediale Aufmerksamkeit. Einige sprechen von einer Revolution des „Wahlkampf 2.0“ (vgl. Metzger 2008, o.S.), die neue Chancen im Wahlkampf eröffnet hat. Schon hier wirft die populäre Auffassung über den sogenannten „Wahlkampf 2.0“ und das „Web 2.0“ zwei relevante Fragen auf: Kann tatsächlich von einer Revolution der Online- und Wahlkampfkommunikation ausgegangen werden, die durch den Sprung von „1.0“ auf „2.0“ gekennzeichnet wird oder fand die Entwicklung eher schrittweise statt? Darüber hinaus ist zu beantworten, welche neuen Vorteile die Wahlkampfkommunikation im Social Web gegenüber bisherigen Formen der Online-Kommunikation 11 Einleitung und der Massenkommunikation bietet, die für einen Erfolg im Wahlkampf entscheidend sein können. Zu beachten sind hierbei auch die neuen Herausforderungen, die durch das Social Web für die politische Kommunikation entstehen. Vor allem im Hinblick auf den österreichischen Wahlkampf und seine spezifischen Anforderungen an die Kampagnenführung sind hierzu noch kaum Ergebnisse vorhanden. Die Nationalratswahl 2008 und Europawahl 2009, bei denen das Social Web erstmals in größerem Umfang eingesetzt wurde, zeigten im Wahlergebnis kaum Hinweise auf Vorteile durch die neuen Maßnahmen. Gerade Parteien, die auf eine große Präsenz im Social Web verzichtet haben, haben bei den Wählern große Zugewinne gemacht. (vgl. Mark 2008, o.S.) Die Verfasserin nimmt die Abweichungen zwischen den Erfolgen bei den Präsidentschaftswahlen in den USA und den darauffolgenden Wahlen in Österreich als Ausgangspunkt für ihre Arbeit, um zu klären, inwieweit international erfolgreiche Strategien im Social Web auch auf Österreich übertragbar sind. 1.3. Zielsetzung Ziel der Arbeit ist die Ermittlung der Chancen und Herausforderungen für die Wahlkampfkommunikation, die sich durch das Social Web ergeben. Der Fokus liegt auf dem österreichischen Wahlkampf. Die zentrale Forschungsfrage lautet daher: Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich für österreichische Parteien und Politiker durch das Social Web im Wahlkampf? 12 Einleitung Daraus ergeben sich verschiedene Unterfragen: 1. Mit welchen Herausforderungen sind Parteien und Politiker derzeit konfrontiert, die im Social Web überwunden werden können? 2. Welche Merkmale und Herausforderungen kennzeichnen den österreichischen Wahlkampf? 3. Inwieweit lassen sich internationale Kampagnen wie die von Obama auf Österreich übertragen? 4. Wodurch unterscheidet sich die Kommunikation im Social Web zu bisherigen Formen der Massenkommunikation und OnlineKommunikation? 5. Welche Merkmale weist das Social Web auf, die sich positiv oder nachteilig im Wahlkampf auswirken können? Die Verfasserin formuliert dazu folgende Hypothesen, die im Rahmen der Arbeit zu überprüfen sind: Hypothese 1: Das Social Web ist geeignet, bestimmte Funktionen der Wahlkampfkommunikation besser zu erfüllen als klassische Medien und bisherige Instrumente der Online-Kommunikation. Hypothese 2: Durch die Nutzung des Social Web durch Parteien und/oder andere Akteure entstehen Risiken für die Parteien, die bei einer Nicht-Nutzung geringer wären oder nicht auftreten würden. Hypothese 3: Die Erfolgsfaktoren der Wahlkampfstrategien in den USA gleichen nicht gänzlich denen in Österreich. Die Arbeit zielt somit einerseits auf die Bewertung des Potentials des Social Web für österreichische Parteien im Wahlkampf, andererseits auf die Ermittlung der Herausforderungen und potentiellen Risiken, die sich negativ auf das Wahlergebnis auswirken können. Darüber hinaus prüft die Verfasserin die Anwendbarkeit internationaler Wahlkampfstrategien im Social Web auf den österreichischen Wahlkampf. Ein untergeordnetes Ziel mit geringerer Gewichtung ist 13 Einleitung die Herausarbeitung möglicher Lösungsansätze zur Minimierung der Risiken. 1.4. Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile, die schrittweise zur Beantwortung der zentralen Forschungsfrage führen. Sie baut auf den Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft auf. Diese bilden die Basis zum Verständnis der Wahlkampfkommunikation als eine Sonderform der politischen Kommunikation. Der Schwerpunkt liegt auf den Herausforderungen der medienvermittelten und direkten Kommunikation, die gleichzeitig ein Ausgangspunkt für mögliche Chancen im Social Web sind. Die allgemeinen Erkenntnisse werden durch spezielle Merkmale des österreichischen Wahlkampfs ergänzt. Ein weiterer Ausgangspunkt ist die populäre Auffassung der OnlineKampagne von Obama als internationales Vorbild. Hierzu wird im weiteren Schritt die These der Amerikanisierung in Frage gestellt. Damit soll geklärt werden, in welchem Ausmaß eine Anpassung an US-amerikanische Wahlkampfpraktiken möglich ist. Im ersten Teil wird die Hypothese 3 überprüft und die Unterfragen 1 bis 3 beantwortet. Im zweiten Teil wird der Begriff Social Web definiert und zu den häufig synonym gebrauchten Begriffen „Web 2.0“ und „Social Software“ abgegrenzt. Für eine Gegenüberstellung mit bisherigen Kommunikationssystemen und einen Vergleich zu anderen Formen der Massenkommunikation und Online-Kommunikation wird die Einordnung nach Zerfaß und Boelter (2005, S. 84 ff.) angewandt und mit dem Wandel der Wahlkampfkommunikation in Österreich und ihren Rahmenbedingungen kombiniert. Im zweiten Teil wird die Unterfrage 4 beantwortet und die Hypothese 1 überprüft. 14 Einleitung Den Schwerpunkt der Arbeit bildet der dritte Teil (Kapitel 4). Dieser ist auf den drei Funktionen des Social Web nach Schmidt (2007, S. 32) aufgebaut und soll die Unterfrage 5 beantworten sowie erste Ergebnisse zur Beantwortung der zentralen Frage liefern. Hier werden die Chancen und Herausforderungen, die sich durch das Social Web im österreichischen Wahlkampf herausbilden, diskutiert. Erste Lösungsansätze für den Umgang mit den Risiken werden gebracht. Eine Vertiefung bilden die Fallbeispiele und die anschließende Auswertung der Experteninterviews, die detaillierte Ergebnisse zu den Chancen und Herausforderungen des Social Web im österreichischen Wahlkampf liefern sollen. 1.5. Forschungsmethode Die Arbeit baut inhaltlich auf einer Literaturrecherche auf. Die Basis bietet die Grundliteratur aus der Politik- und Kommunikationswissenschaft. Da das bearbeitete Thema noch nicht lange Gegenstand der Forschung ist und sich in einer stetigen Entwicklung befindet, werden die Forschungsergebnisse aus der Grundliteratur zur Gewährleistung der Aktualität mit den Ergebnissen aus aktuellen Ausgaben von Fachbüchern, Fachzeitschriften und Zeitungen sowie Internetquellen verknüpft. Die gewonnenen Erkenntnisse aus der Theorie werden auf aktuelle Beispiele übertragen. Für eine Vertiefung in die österreichische Wahlkampfpraxis mit Fokus auf die Kommunikation im Social Web werden drei Experteninterviews mit Kampagnenverantwortlichen verschiedener österreichischer Parteien geführt. Zitiert wird nach der Harvard-Methode. 15 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 2. Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Die Basis für diese Arbeit bilden die Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft. Um die Chancen und Risiken des Social Web für den Wahlkampf abschätzen zu können, ist zunächst ein Verständnis der Rahmenbedingungen für politische Kommunikation, insbesondere der Wahlkampfkommunikation, sowie ein Verständnis der relevanten Begriffe notwendig. 2.1. Wahlkampf als Sonderfall der politischen Kommunikation „Wahlkämpfe sind Kommunikationsereignisse, in denen sich die Interaktion zwischen Parteien und Wählern verdichtet.“ (Klingemann/Voltmeer 1998, S. 396) In einem begrenzten Zeitraum vor den Wahlen sind die Parteien und entsprechende Kandidaten gefordert, mithilfe ihrer Kampagne die potentiellen Wähler von ihren Zielen überzeugen. (vgl. Bosch 2008, S. 21) Röttger (1997) definiert Kampagnen als „dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien Aufmerksamkeit [...], die zur auf Erzeugung ein Set öffentlicher unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken – werbliche Mittel, marketingspezifische Instrumente und klassische PR-Maßnahmen – zurückgreifen.“ (Röttger 1997, S. 13 f.) Ziel von Kampagnen ist das Wecken von Aufmerksamkeit und Erzeugen von Vertrauen. Erst durch diese können Zustimmung und Anschlusshandeln erzielt werden. (vgl. Ebd., S. 14) Im Wahlkampf 16 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft äußern sich diese unter anderem in der Wahlstimme. Die Zielgruppe der Wahlkampfkommunikation sind folglich die Wähler. Diese bilden sich ihre Meinung einerseits aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen und Face-to-face-Kommunikation mit ihren Mitmenschen, andererseits durch Eindrücke aus den Medien. Viele Informationen, die sie bei der Meinungsbildung unterstützen, werden ihnen nämlich erst durch die Medien zugänglich. (vgl. Gerhards/Schäfer 2007, S. 210) So werden Wahlkämpfe in der westlichen Informationsgesellschaft überwiegend von Medien vermittelt und spielen für Parteien ebenfalls eine wichtige Rolle. (vgl. Bosch 2008, S. 22) Nach Gurevitch/Blumler (1977) verläuft die Kommunikation im Wahlkampf deshalb als Handlungssystem in einem Dreieck von Parteien, Medien und Wählern, wie in Abbildung 1 illustriert wird. Es werden zwei Interaktionsprozesse in der Wahlkampfkommunikation unterschieden: der direkte Austausch zwischen Parteien und Wählern, sowie die indirekte, medienvermittelte Kommunikation. Dabei handelt es sich um Interaktionsbeziehungen, in denen sowohl Beeinflussungsaufeinander als wirken. auch So Selektionsprozesse kann eine Partei nur wechselseitig dann durch Kommunikation Einfluss auf den potentiellen Wähler ausüben, wenn dieser sie selektiert und wahrgenommen hat. Dasselbe gilt für die Beeinflussung der Medien. Der Erfolg der Parteien ist also nicht nur von ihren Kommunikationsstrategien abhängig, sondern auch von den Selektionen durch die Medien und Wähler. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 396 f.) 17 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Abbildung 1: Handlungssystem der Wahlkampfkommunikation Parteien Wähler Medien Beeinflussung Selektion Quelle: Klingemann / Voltmeer 1998, S. 397 2.2. Medienvermittelte Kommunikation Die Wähler beziehen ihre Informationen über Politik zum Großteil aus den Massenmedien. Daher nimmt die Wahlkampfforschung an, dass der medienvermittelte, indirekte Kommunikationsfluss gegenüber dem direkten Kontakt zwischen Parteien und Wählern dominiert. (vgl. Ebd., S. 397) So sieht Ronneberger (1974, S. 199) das Herstellen von Öffentlichkeit als eine zentrale Rolle der Massenmedien. Entgegen dem Verständnis von Öffentlichkeit aus der liberal-bürgerlichen Epoche als eine „Öffentlichkeit der versammelten Privatleute“ (Rust 1977, S. 18), wird Öffentlichkeit heute von den Medien erzeugt. „Öffentlichkeit entsteht und besteht heute im wesentlichen [sic] dadurch, dass Informationen via Massenmedien veröffentlicht, also öffentlich zugänglich gemacht werden.“ (Burkart 2002, S. 391) Für die kommunizierenden Parteien bringt die medienvermittelte Kommunikation Vorteile, aber auch Nachteile. Einerseits gewähren Medien als Vermittler den Parteien Zugang zu einer breiten Öffentlichkeit, andererseits ist die massenmediale Vermittlung auch 18 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft mit einem Kontrollverlust der Parteien über die Kommunikationsinhalte verbunden. Die Kommunikationsziele der Medien unterscheiden sich von denen der Parteien und deshalb selektieren Medien aus dem empfangenen Input aus Ereignissen und Äußerungen jene Relevanzkriterien journalistischen Inhalte, entsprechen Regeln und die den medienspezifischen und passen gegebenenfalls diese an die an die eigenen politischen Präferenzen an. Die Auswahl und Bearbeitung erfolgt nach spezifischen Selektions- und Transformationskriterien. In der Medienforschung werden als Kriterien die Nachrichtenfaktoren, Darstellungsformate und die redaktionelle Linie diskutiert. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 397 f.) 2.2.1. Selektions- und Transformationskriterien a) Nachrichtenfaktoren: Ein entscheidendes Kriterium für die Relevanz von Nachrichten ist der Nachrichtenwert, der aus den Nachrichtenfaktoren ermittelt wird. (vgl. Scherer 1997, S. 690) „Nachrichtenfaktoren sind journalistische Kriterien, mit denen zwischen berichterstattenswerten und nicht-berichterstattenswerten Ereignissen unterschieden wird. [...] Journalisten treffen diese Entscheidung Werthaltungen, auf der Basis beruflicher persönlicher Normen sowie und sozialer organisatorischer Zwänge. Die wichtigste Grundlage der Auswahlentscheidung bilden Ereignismerkmale, die Nachrichtenfaktoren.“ (Scherer 1997, S. 690) Schulz definiert insgesamt 18 Nachrichtenfaktoren und fasst sie in sechs Faktorendimensionen Dynamik, Valenz und Wahlkampfkommunikation zusammen: Zeit, Identifikation. kommt unter Im Nähe, Bezug anderem Status, auf der Nachrichtenfaktor „persönlicher Einfluss“ aus der Dimension „Status“ zur Geltung. Er bezieht sich auf die politische Macht der in der 19 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Meldung beteiligten Personen. (vgl. Schulz 1976, S. 32 ff.) Die Anwendung des Nachrichtenfaktors „persönlicher Einfluss“ äußert sich in der politischen Medienberichterstattung beispielsweise in der Dominanz der Regierungsparteien. Oppositionsparteien haben eine geringere Chance, über Medien Zugang zur Öffentlichkeit zu erhalten. Ebenso gelangen neue Themen schwerer in die Medienagenda als bereits etablierte Themen, sofern sie nicht außergewöhnlich sind. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 398) b) Darstellungsformate: Darstellungsformate bezeichnen die Form, in der politische Inhalte durch Medien kommuniziert werden. Besonders charakteristisch für die Darstellung in den Medien ist die Personalisierung. Spitzenkandidaten, ihre Persönlichkeit und Handlungen rücken in den Vordergrund. Politiker, die sich gut präsentieren können und ihre Botschaft in knapper und leicht verständlicher Weise an das Publikum bringen, haben Vorteile in den Medien. Das gilt besonders für das Fernsehen, das an einen strengen zeitlichen Rahmen gebunden ist und die Themen visuell vermittelt. (vgl. Ebd.) c) Redaktionelle Linie: Während Nachrichtenfaktoren und Darstellungsformate die Auswahl aller Medien beeinflussen, entscheidet die redaktionelle Linie über das publizistische Profil einzelner Medien und variiert daher von Medium zu Medium. Sie zeigt sich vor allem in kommentierenden Beiträgen. Im Gegensatz zu den Nachrichtenfaktoren und Darstellungsformaten ist die publizistische Linie in der politischen Auseinandersetzung nicht gänzlich unabhängig. Dennoch steht auch bei Medien, die sich an einer bestimmten politischen Linie orientieren, die professionelle Unabhängigkeit im Vordergrund, da diese im Gegensatz zur politischen Loyalität die Glaubwürdigkeit beim Publikum garantiert. (vgl. Ebd., S. 398 f.) 20 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 2.2.2. Agenda-Setting und Agenda-Building Das Konzept des Agenda-Setting basiert auf der Annahme von McCombs und Shaw (1972, S. 177), dass Medien festlegen, welche politischen Themen der Rezipient auf seine Tagesordnung (Agenda) setzt. Demnach haben Medien nicht so sehr einen Einfluss auf die Meinung des Rezipienten, sondern bestimmen viel mehr, mit welchen Themen sich dieser befassen soll. “A.-S. [Agenda-Setting, d. Verf.] bezeichnet die Fähigkeit der Massenmedien, durch die Betonung von Themen in der Berichterstattung – also durch Publikationshäufigkeit, Platzierung und Aufmachung – zu beeinflussen, welche Themen in einer Gesellschaft (Makroebene) sowie von einzelnen Medienrezipienten (Mikroebene) als besonders wichtig angesehen werden.” (Brettschneider 1998, S. 635) Die Medien definieren die aktuelle politische Agenda und übermitteln der Öffentlichkeit in dieser einen Ausschnitt der politischen Realität, welcher dadurch eine besonders hohe Aufmerksamkeit bekommt und in die Tagesordnung der Rezipienten übernommen wird. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 401) Bestimmte Themen werden in den Vordergrund gerückt und haben daher auch für die Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert. (vgl. Maletzke 1978, S. 118) Agenda-Setting wurde zunächst lediglich auf die kognitive Perzeption der Politik, aber nicht auf politische Einstellungen und politisches Verhalten bezogen. Studien von Iyengar und Kinder zeigen allerdings, dass Wahrnehmung ein der enger Zusammenhang politischen zwischen Agenda der und Meinungsbildungsprozessen besteht. Die Rezipienten machen sich über die von den Medien festgelegte Tagesordnung eine Meinung über die Kandidaten und Parteien. Demnach sind die Wahlchancen jener Parteien höher, die auf der politischen Agenda dominieren und eine geringe Präsenz in den Medien wirkt sich nachteilig auf die Erfolgschancen aus. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 401 f.) 21 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Während Agenda-Setting von den Massenmedien ausgeht, wird Agenda-Building durch politische Akteure betrieben. Dabei versuchen diese, Themen der öffentlichen Diskussion, die für sie relevant oder günstig sind, in der Medienberichterstattung zu platzieren. Je stärker Nachrichtenfaktoren durch das Themenmanagement eingebunden werden, desto erfolgreicher ist es. (vgl. Brettschneider 1998, S. 635) 2.3. Direkte Kommunikation mit Wählern Wie im Kapitel „Medienvermittelte Kommunikation“ beschrieben wurde, helfen Medien als Vermittler den Parteien dabei, die politische Botschaft an die Öffentlichkeit zu bringen. Weil die Medien diese aber nach spezifischen Relevanzkriterien bearbeiten und in veränderter Form an die Rezipienten kommunizieren, sind Parteien und Politiker gefordert, den direkten Kontakt zu den Wählern zu suchen. Dabei werden folgende zwei Ziele verfolgt: • Überzeugung von den politischen Zielen der Partei und Mobilisierung zur Stimmabgabe • Eindruck über die entsprechende Meinungen Anpassung der der Bürger, um eine Wahlkommunikation vorzunehmen (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 402) So können Politiker in Wahlveranstaltungen überzeugte Parteianhänger mobilisieren und deren Bindung an die Partei stärken. Große Wahlveranstaltungen haben aber den Nachteil, dass die Feedbackmöglichkeiten sehr beschränkt sind und die Kommunikation daher einseitig abläuft. Wenn sie aber in einem kleineren Rahmen organisiert sind, gibt es auch hier die Möglichkeit für einen persönlichen Austausch. Kleine Wahlveranstaltungen haben aus der Sicht der Parteien den Vorteil, dass sie sich einen Eindruck über die Erwartungen der Wähler machen und ihr Wahlprogramm daran anpassen können sowie auch auf Kritik und Fragen eingehen können. (vgl. Ebd.) 22 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Zunehmend wird auch das Internet als Kanal genutzt, um den Meinungs- und Ideenaustausch zwischen Parteien und Wählern zu stärken. (vgl. Bosch 2008, S. 25) Römmele (2002, S. 38) sieht die Bedeutung der Neuen Medien in der zielgruppenorientierten Kommunikation: „Die neuen Kommunikationsmittel ermöglichen es den Parteien, durch eine zielgruppenspezifischere Form der Politikvermittlung auf die fortschreitende Individualisierung der Lebensstile und weitere gesellschaftliche Ausdifferenzierung zu reagieren.“ (Römmele 2002, S. 38) 2.4. Dominanz der Top-down-Kommunikation Sowohl der direkte als auch der medienvermittelte Kommunikationsfluss verlaufen zum Großteil einseitig, das heißt von den Parteien bzw. den Medien zum Wähler (top-down). Die Politiker und Parteien nutzen Massenmedien zwar als Plattform, um Zugang zu den Wählern zu bekommen, erhalten aber keine Informationen über ihre Meinungen und Präferenzen. Die Stimmenabgabe des Wählers signalisiert zwar Zustimmung für die gewählte Partei, jedoch werden für die Planung der Wahlkampfkommunikation detaillierte Informationen über die Meinungen und Präferenzen der Bürger benötigt. Informationen über die Präferenzen, Interessen und Forderungen der Bürger werden vor allem aus Umfragen und von Fokus-Gruppen bezogen. (vgl. Fuchs/Pfetsch 1996, S. 105) 2.5. Amerikanisierung der Wahlkampfkommunikation? Die moderne Wahlkampfkommunikation in Europa ist gekennzeichnet durch spezifische Merkmale auf den Ebenen der Organisation, Darstellung und dem Inhalt, die an die Wahlkampfführung in den USA erinnern. In diesem Zusammenhang wird die These der 23 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Amerikanisierung des Wahlkampfs diskutiert. (vgl. Hofer 2005, S. 21; Kamps 2007, S. 65) Auf der Ebene der Organisation und Planung äußert sich die Veränderung der Wahlkampfführung in einer zunehmenden Professionalisierung des Wahlkampfs. (vgl. Schulz 1998, S. 66) Diese erklärt Schulz wie folgt: „Zur Professionalisierung des Wahlkampfes gehört, dass die Aufgaben engagierter Parteisoldaten von Experten für die Diagnose und die Steuerung der öffentlichen Meinung wie Meinungsforscher, Medienberater, Werbe- und Public-Relations-Agenturen übernommen werden.“ (Schulz 1998, S. 66) Für die Organisation des Wahlkampfs bedeutet das, dass die Wahlkampfgestaltung zunehmend außerhalb der Parteistrukturen stattfindet und externe Berater, Agenturen oder Meinungsforscher dafür herangezogen werden. Diese sind deshalb notwendig, weil durch die Veränderungen Medienmanagement, der Ereignismanagement Rahmenbedingungen sowie Konflikt- und Krisenmanagement in der Wahlkampforganisation immer mehr an Bedeutung gewinnen. Wählermarketing und politische PR nehmen nicht nur im knappen Zeitraum vor den Wahlen zu, sondern werden zu einer Daueraufgabe. Kommunikation und Wahlkampfgestaltung finden nun sowohl vor als auch nach dem eigentlichen Wahlkampf statt. In diesem Zusammenhang wird auch vom permanenten Wahlkampf oder „Permanent Campaigning“ gesprochen. Diese Entwicklungen führen somit auch zu einem erhöhten finanziellen Aufwand. (vgl. Bosch 2008, S. 27; Klingemann/Voltmer 1998, S. 403) Neben der Kommunikation Wahlkampfführung auf über Massenmedien zielgruppenorientierte setzt die Ansprache. Direktmarketing in Form von E-Mail, Post- und Telefonansprachen und regelmäßigen Meinungsumfragen wird sowohl im Wahlkampf als 24 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft auch im Sinne des Permanent Campaigning außerhalb des Wahlkampfes eingesetzt. Für die Wahlkampforganisation bedeutet das, dass die Kommunikation über dezentrale Einheiten läuft und national koordiniert wird. Aufgrund der Vielfalt der eingesetzten Kommunikationsmittel spielt das Medienmanagement eine wichtigere Rolle als zuvor. (vgl. Bastgen/Jucknat/Römmele 2009, S. 217; Bosch 2008, S. 29) Auch in der Darstellung der Kommunikation gibt es Veränderungen, die gleichzeitig auch eine Veränderung im Inhalt bedeuten. Schon ab den 1960er Jahren, mit dem Aufkommen des Fernsehens, führte die Visualisierung von Politik zu einer zunehmenden Personalisierung. Da sich Personen deutlich leichter über die Medien, insbesondere das Fernsehen, transportieren lassen als die Wahlprogramme, verlieren die Inhalte an Bedeutung, während politische Kandidaten immer mehr ins Zentrum rücken. (vgl. Bastgen/Jucknat/Römmele 2009, S. 216 f.) Auch wenn in einigen europäischen Ländern eine Annäherung der Wahlkampfkommunikation zur amerikanischen zu beobachten ist, ist der Begriff „Amerikanisierung“ kritisch zu hinterfragen, da dieser eine weitreichende Anpassung an den US-Wahlkampf und eine einseitige Adaption dessen voraussetzt. Dagegen sprechen aber bestehende Wahrnehmungsmuster, Traditionen oder Vorstellungen eines optimalen Wahlkampfs, die oft nicht mit denen der USA zu vereinbaren sind. Die Modernisierungsthese schwächt die Beschreibung einer einseitigen Anpassung der Amerikanisierungsthese ab und geht davon aus, dass der Wahlkampf weltweit einen Wandel erfährt und an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden muss: 25 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft „Die Modernisierungsthese geht davon aus, dass die meisten Gesellschaften weltweit einen ähnlichen Prozess des Wandels durchmachen. Infolge dieses Wandels werden neue soziale Praktiken erforderlich, um bestimmte Ziele zu erreichen, so auch neue Wahlkampftechniken.“ (Schulz 2008, S. 244) Kamps spricht von einem „Shopping Model“, bei dem einzelne Komponenten aus dem amerikanischen Wahlkampf übernommen werden, aber wiederum an nationale Gegebenheiten angepasst werden. (vgl. Kamps 2007, S. 69) Eine gänzliche Übernahme amerikanischer Standards im Sinne einer „Amerikanisierung“ ist auch in Österreich auszuschließen. So ist die stärkere Stellung der Partei in Österreich ein wesentlicher Unterschied zum amerikanischen System. Hier sind folglich einer weitreichenden Personalisierung Grenzen gesetzt. Darüber hinaus war das politische System in Österreich jahrzehntelang von Parteikonsens geprägt. Dies ist auch ein Grund, wieso die österreichische Bevölkerung eine geringe Akzeptanz gegenüber amerikanischen Standards wie dem „Negative Campaigning“ aufweist. Vor allem die Institutionalisierung der Sozialpartnerschaft und das Proporzsystem waren Symbole für das Streben nach Konsens. Später entwickelte sich auch in Österreich die Konsenskultur immer mehr in die Richtung Konfliktkultur. (vgl. Hofer 2005, S. 66 f.) In den Kapiteln 2.5.1. bis 2.5.4. beleuchtet die Verfasserin den österreichischen Wahlkampf im Lichte des Wandels. 2.5.1. Veränderungen in der redaktionellen Politikvermittlung Trotz der Unterschiede im politischen System, sind vor allem in der redaktionellen Politikvermittlung Parallelen zur US-amerikanischen 26 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft Nachrichtenlogik zu erkennen. Typische Merkmale der Politikvermittlung durch die österreichischen Medien sind: • Personalisierung: Persönlichkeitsprofile von Spitzenpolitikern haben in der massenmedialen Berichterstattung einen höheren Stellenwert als Parteienprofile. • Konfrontative Negativität: Die politische Berichterstattung zeichnet sich durch eine zunehmende Negativität aus. • Entpolitisierung und De-Thematisierung: Zwar dominieren in Österreich noch immer sachpolitische Themen, doch es ist ein Trend zur Entpolitisierung beispielsweise das festzustellen. Image des So Politikers dominiert gegenüber Sachthemen. Diese werden zudem häufig in Zusammenhang mit tagesaktuellen Ereignissen diskutiert und zumeist nicht längerfristig behandelt. • Entauthentisierung und journalistische Interpretativität: Die Berichterstattung verlagert sich von einer kandidaten- zu einer journalisten-zentrierten. Direkte und indirekte Wortmeldungen von politischen Journalist Akteuren sich vom werden neutralen verkürzt, Vermittler während zum der kritischen Analytiker und Kommentator verändert. Die TV-soundbites sind in Österreich zwar doppelt so lang wie in den USA, sind aber ebenfalls rückläufig. • Dramatisierung und Dynamisierung: Die Darstellung politischer Berichterstattung fokussiert sich zunehmend auf den Wettkampfcharakter, welcher vor allem in Nachrichtenmagazinen erkennbar ist. Die emotionalisierende Skandalisierungs- und Erhüllungsberichterstattung nimmt vor allem in Printmedien zu. Im Fernsehen ist eine verstärkte Dramatisierung durch Verkürzung und Verknappung der politischen Beiträge zu beobachten. (vgl. Lengauer/Pallaver/Pig 2004, S. 219-223) 27 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 2.5.2. Erosion der Parteibindungen und Wählermobilität Nicht nur die Medien, sondern auch das Wahlverhalten wandelte sich in den letzten Jahrzehnten. Eine Herausforderung, vor allem für etablierte Parteien, ist der Zerfall der Parteibindungen und der Anstieg der Wählermobilität. Dieser Prozess beschleunigte sich etwa ab der Mitte der 1980er Jahre. (vgl. Ulram 2006, S. 513 f.) Die Tabelle 1 zeigt: Der Anteil der Parteiidentifizierer, die emotional an die Partei gebunden sind, ging ebenso stark zurück wie die Zahl der Parteimitglieder. Parallel dazu stieg die Mobilitätsbereitschaft der Wähler kontinuierlich und erreichte 2002 nahezu die Hälfte. Zwischen 1999 und 2002 identifizierte sich nur mehr die Hälfte der Wähler mit einer Partei, während 1954 der Anteil bei 73 Prozent lag. Tabelle 1: Die Veränderung des Wählerverhaltens zwischen 1954 und 2002 In Prozent 1954 1969 1970er 1980er 1990er 1999- Jahre Jahre Jahre 2002 Parteiidentifikation 73 75 62 60 48 52 Parteimitglieder 28 23 22 23 15 15 26 40 47 13 19 21 Mobile Wähler 12 Faktische 5 Wechselwähler (NRW) Quelle: Ulram 2006 bzw. Fessel-GfK, Politische Indikatoren (1954-2001), Fessel GfK, Repräsentative Wahltagsbefragung (1975-1983), Fessel-GfK, Exit Polls (1986-2002) Im Jahr 2004 lag der Anteil der Parteiidentifizierer bei 50 Prozent, der Anteil der Parteimitglieder blieb konstant auf 15 Prozent. (vgl. Plasser/Ulram 2006, S. 555) Daten über die Entwicklung der mobilen Wähler und faktischen Wechselwähler in den Jahren nach 2002 konnte die Verfasserin nicht ermitteln, aber es ist aufgrund der Entwicklung der Jahre davor immer noch von einer hohen Mobilität und Volatilität der Wähler auszugehen. 28 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 2.5.3. Professionalisierung des Wahlkampfs Auch auf Parteienseite gibt es Veränderungen, die ähnlich wie in den USA in einer zunehmenden Professionalisierung des Wahlkampfs und der politischen Kommunikation münden. (vgl. Plasser/Ulram 2004, S. 392) Schon in den frühen siebziger Jahren führten zahlreiche Veränderungen zu einer Professionalisierung der Selbstdarstellung politischer Akteure in der Öffentlichkeit und der Intensivierung von Kommunikationsaktivitäten, darunter die nachhaltige Veränderung der politischen Kommunikation und des Parteienwettbewerbs wie zum Beispiel die Auflösung stabiler Parteibindungen, der Niedergang der Parteipresse und der Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium. Das neue redaktionelle Politikverständnis verlangte eine Anpassung der Planung und Kommunikation an die Nachrichten- und Produktionslogik der Massenmedien. (vgl. Plasser/Hüffel/Lengauer 2004, S. 310) 2.5.4. Fazit: „Shopping Model“ statt Amerikanisierung Trotz dieser transnationalen Tendenzen ist ein gänzlicher Wandel nach dem amerikanischen Vorbild auf längere Sicht auszuschließen. (vgl. Hofer 2005, S. 68) Vielmehr tendieren Experten auch in Österreich zum „Shopping Model“. Armin Wolf, Moderator der ORFNachrichtensendung Zeit im Bild 2 und politikwissenschaftlicher Analytiker stellt zwar Trends wie Professionalisierung und Personalisierung fest, glaubt aber an keine Amerikanisierung. Sie sehen nur „amerikanisch aus, weil diese Techniken halt dort entwickelt werden und besonders professionell angewendet werden.“ (Armin Wolf im Interview, Hofer 2005, S. 103) Auch der Politologe Fritz Plasser glaubt an das „Shopping Model“: „Es passiert eher so, dass man wirklich bloß selektiv einzelne Punkte nach Österreich bringt und versucht, das zu implementieren.“ (Fritz Plasser im Interview, Hofer 2005, S. 103) 29 Grundlagen aus der Kommunikations- und Politikwissenschaft 2.6. Zwischenergebnis Das erste Kapitel grenzt den Wahlkampf als eine Sonderform der politischen Kommunikation ab, in der die Kommunikation mit dem Wähler besonders intensiv abläuft und auf eine Zeitspanne vor der Wahl begrenzt ist, aber in den letzten Jahren zu einer dauerhaften Aufgabe für die politische Kommunikation geworden ist. Die Verfasserin leitet Wähler und Journalisten als Zielgruppen ab, die in Folge auf den Wahlkampf im Social Web angewendet werden, gegebenenfalls aber an die Besonderheiten des Social Web angepasst werden. Um in der Diskussion über die Chancen und Grenzen des Social Web im österreichischen Wahlkampf zu Ergebnissen zu kommen, werden zunächst Wahlkampfinstrumente die und Herausforderungen –maßnahmen der bisherigen hervorgehoben. Als Chancen ergeben sich daher: • Direkte Kommunikation: Umgehen der Medien als Gatekeeper durch direkte Kommunikation mit dem potentiellen Wähler • Direkte Kommunikation: Förderung der Bottom-up- Kommunikation durch einen Dialog potentiellen Wählern • Medienvermittelte Kommunikation: Agenda-Building im Social Web, um damit in die Agenda der Massenmedien zu kommen Eine weitere Chance ergibt sich durch die Veränderungen im Wählerverhalten. So kann das Social Web dazu eingesetzt werden, potentielle Wähler zum Mitmachen im Internet zu aktivieren und damit der sinkenden Zahl der Mitglieder entgegenzusteuern und die zunehmend mobilen Wähler stärker an die Partei zu binden. Die Diskussion der Amerikanisierungsthese dient als Basis für die Beantwortung der Frage, inwieweit Obamas erfolgreicher Wahlkampf im Social Web auch auf Österreich übertragbar ist. Auch wenn zahlreiche Ergebnisse darauf hindeuten, dass einige Entwicklungen 30 Wahlkampf im Social Web im österreichischen Wahlkampf erinnern, Wahlkampf gelten in an den US-amerikanischen Österreich unterschiedliche Rahmenbedingungen, die eine Anpassung erfordern. Das gilt dann auch für den Wahlkampf im Social Web. Damit ist auch die Hypothese 3 bestätigt: Die Erfolgsfaktoren der Wahlkampfstrategien in den USA gleichen nicht gänzlich denen in Österreich. Deshalb bedarf eine Anwendung amerikanischer Strategien in Österreich einer Anpassung an die entsprechenden landesspezifischen Rahmenbedingungen. Die Auswertung der Experteninterviews im Kapitel 6 liefert nähere Ergebnisse darüber, wie österreichische Parteien im Bezug auf Wahlkampfkommunikation im Social Web mit internationalen Vorbildern umgehen. 3. Wahlkampf im Social Web Das Internet ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Raum für politische Kommunikation geworden und ein gelungener OnlineAuftritt ist ein wesentlicher Bestandteil einer Wahlkampagne. Seit dem US-Vorwahlkampf 2004, bei dem das Internet stark in die Kampagne des Kandidaten Howard Dean eingebunden wurde, und der französischen Präsidentschaftswahl 2007 wird das „Web 2.0“ als „Mitmach-Internet“ im Zusammenhang mit der Wahlkampfkommunikation diskutiert. (vgl. Bosch 2008, S. 47; Kappes 2007, o.S.) In der Umgangssprache werden „Social Web“ und „Social Software“ oft synonym mit „Web 2.0“ gebraucht. Für eine wissenschaftliche Anwendung ist notwendig: Was genau bedeuten eine genaue Abgrenzung „Web 2.0“, „Social Web“ und „Social Software“ und worin unterscheiden sich die drei Begriffe von einander und von bisherigen Online-Kommunikationsinstrumenten? 31 Wahlkampf im Social Web 3.1. Begriffsabgrenzung 3.1.1. Web 2.0 Der Begriff „Web 2.0“ geht auf den amerikanischen Verleger Tim O’Reilly zurück, der ihn erstmals während einer BrainstormingSession mit MediaLive International genannt hat und anschließend in einem Online-Text breiter diskutiert hat. Es fiel auf, dass nach dem „Zerplatzen der Dot-Com-Blase“ das Internet wichtiger wurde als je zuvor und regelmäßig neue interessante Anwendungen und Seiten gestartet wurden. Die Unternehmen, die nach dieser “Wende” im Internet überlebt haben, schienen einige Gemeinsamkeiten zu haben und die galt es nun, unter einem neuen Begriff zusammenzufassen. Der Begriff „Web 2.0“ markiert nach O’Reilly einen Wendepunkt nach dem Zerplatzen der Dot-Com-Blase und damit den Schritt weg vom Internet, wie es zuvor gekannt wurde, den er unter dem Begriff “Web 1.0“ zusammenfasst. (vgl. O’Reilly 2005, o.S.) Auch wenn sich der Begriff „Web 2.0“ schnell verbreitet und durchgesetzt hat, um Veränderungen zusammenzufassen, die die Geschäftsmodelle, Prozesse der Softwareentwicklung und Nutzungspraktiken des Internets betreffen, herrscht noch immer große Uneinigkeit darüber, was „Web 2.0“ genau bedeutet. (vgl. Ebd.; Schmidt 2008, S. 19) Kritisiert wird der Begriff unter anderem auch deshalb, da es nicht anzunehmen ist, das Internet habe einen Versionssprung oder gar revolutionäre Brüche erfahren. Es ist vielmehr durch eine kontinuierliche Entwicklung bzw. Veränderung gekennzeichnet. (vgl. Schmidt 2008, S. 20) Auch O’Reilly (2005, o.S.) findet keine konkrete Definition für „Web 2.0“ und sieht es als Ansammlung von Prinzipien und Praktiken. Als erstes Prinzip nennt er das Internet als Plattform. Damit wird auf einen browserbasierten Zugang von Diensten angespielt, der es 32 Wahlkampf im Social Web ermöglicht, Dienste aller Art über das Internet zu nutzen, ohne Programme auf dem Desktop installieren zu müssen. Allerdings kann auch hier keine eindeutige Grenze zwischen „Web 1.0“ und „Web 2.0“ gezogen werden, da es bereits schon zuvor zahlreiche webbasierte Programme und Vorläufer heute beliebter Anwendungen und Dienste gab. Einige Anwendungen und Dienste, die Merkmale des „Web 2.0“ aufweisen, greifen sogar bis in die 1970er-Jahre zurück. (vgl. Schmidt 2008, S. 20 f.) Schmidt schließt daraus: „Es soll also nicht grundsätzlich infrage gestellt werden, dass das World Wide Web in wachsamen Maße zum universalen Internetdienst für den Endnutzer wird, doch steht diese Entwicklung in einer längeren Tradition, sodass schwerlich von einem abrupten Sprung auf eine neuere ‚Version‘ des Internet gesprochen werden kann.“ (Ebd. S. 21) Auch Leitbilder, die dem „Web 2.0“ zugrunde liegen, finden sich zum Teil in vergangenen Konzepten und Projekten, so auch Vannevar Bushs Idee vom „Memory Extender“ (Memex) aus dem Jahr 1945, der die Verwaltung und Verknüpfung von Informationen aller Art unterstützen sollte. (vgl. Bush 1945, S. 6) Die Maschine wurde zwar nie gebaut, seine Idee beeinflusste aber die Entwicklung des World Wide Web. Die technische Grundlage dazu lieferte aber die Forschergruppe um Tim Berners-Lee am Genfer Cern, die mit ihrer Arbeit nicht nur die hypertextuelle Verknüpfung von Dokumenten und digitalen Ressourcen ermöglichten, sondern auch ein Prinzip verraten, das nun auch für das „Web 2.0“ gilt: Jeder Nutzer ist potenzieller Sender, der Inhalte in das Netz übertragen kann und mit anderen Inhalten verknüpfen kann. (vgl. Schmidt 2008, S. 21; Berners-Lee 1989/1990, o.S.) Daraus ist zu schließen, dass das Internet keinen eindeutigen Bruch mit früheren Phasen seiner Entwicklung erfahren hat und der Versionssprung, der den Begriff „Web 2.0“ kennzeichnet nicht nachvollziehbar ist. Für eine 33 Wahlkampf im Social Web Verwendung in einem wissenschaftlichen Kontext erweist er sich damit als zu unpräzise. 3.1.2. Social Web und Social Software Die Begriffe „Social Web“ und „Social Software“ unterscheiden nicht zwischen zeitlichen Entwicklungsphasen und betonen die soziale Komponente des Internets, die die Kommunikation und Interaktion zwischen Nutzern fördert. Aus kommunikationssoziologischer Perspektive eignen sie sich daher besser. (vgl. Schmidt 2008, S. 22; Ebersbach/Glaser/Heigl 2008, S. 29) Im Gegensatz zum Begriff Web 2.0 steht die Technik zudem hier im Hintergrund, während Kooperationsformen, die vor allem kollektive die medial vermittelten Meinungsbildung und der kulturelle Austausch sozialer Gruppen im Mittelpunkt stehen. (vgl. Ebersbach/Glaser/Heigl 2008, S. 13) Ebersbach, Glaser und Heigl fassen das „Social Web“ und „Social Software“ als einen Teilbereich des „Web 2.0“ auf, der sich auf jene Bereiche des „Web 2.0“ konzentriert, bei denen es nicht um neue Formate oder Programmarchitekturen geht, sondern um die Unterstützung sozialer Strukturen und Interaktionen mithilfe des Internets. (vgl. Ebd., S. 29) Die Verfasserin kritisiert auch diese Ansicht, da sie den Begriff „Web 2.0“ mit einbezieht und damit voraussetzt, dass das Internet einen Sprung vom „Web 1.0“ zum „Web 2.0“ erfahren hat, der jedoch nicht klar ersichtlich ist. Aufgrund des Fokus auf die soziale Komponente des Internet ist die Verwendung der Begriffe „Social Web“ und „Social Software“ jedoch im Rahmen einer Diskussion über die Möglichkeiten und Herausforderungen für die politische Kommunikation angemessen. 34 Wahlkampf im Social Web Auch für Social Software gibt es noch keine einheitliche Definition. Bisherige Definitionsansätze sind durch Schwankungen in der Auslegung enger oder breiter gefasst. (vgl. Hippner 2006, S. 7) Hippner definiert Social Software als „webbasierte Anwendungen, Informationsaustausch, den die für Menschen Beziehungsaufbau und den die Kommunikation in einem sozialen Kontext unterstützen und sich an spezifischen Prinzipien orientieren.“ (Ebd., S. 7) Hippner (2006, S. 7f.) legt dabei folgende Prinzipien fest, an denen sich Social Software orientiert: • Das Individuum bzw. die Gruppe steht im Mittelpunkt. • „Social Software“ basiert auf der Idee der Selbstorganisation. D.h. Es bilden sich im Zuge der Entwicklung der Community gewisse Verhaltensnormen heraus. • „Social Software“ unterstützt die soziale Rückkopplung in Form von Social Ratings. Produktive Mitglieder werden mit Kommentaren, Punkten, einer hohen Zahl an Querverweisen, etc. belohnt. • Die einzelnen Informationen sind nicht so relevant wie die Struktur, die aus deren Verbindung entsteht. Erst durch die Verbindung der Beiträge, die dann in Bezug zu einander gesetzt werden, gewinnen die Informationen an Bedeutung. • Es findet eine Integration in die Gruppe statt. Die Form der Kommunikation rückt damit weg von der reinen One-to-OneKommunikation hin zu einem kollektiven Austausch. • Personen, Beziehungen, Inhalte und Bewertungen werden transparent gemacht. Es kommt zu einer Transparenz der Aktionen, Daten und Zusammenhänge. (Vgl. Hippner 2006, S. 7f.; Ebersbach/Glaser/Heigl 2008, S. 31) 35 Wahlkampf im Social Web Aus Hippners Definition für „Social Software“ leiten Ebersbach, Glaser und Heigl (2008, S. 31) die Definition für den Begriff „Social Web“ ab, welches um einen weiteren Punkt eingegrenzt wird. Hippner definiert Social Software als webbasierte Anwendungen, denen nicht nur das World Wide Web (WWW), sondern beispielsweise auch Instant Messaging oder die Online3D-Infrastruktur Second Life zuzuordnen sind. Ebersbach, Glaser und Heigl beschränken sich dagegen lediglich auf das WWW und definieren „Social Web“ wie folgt: „Das ‚Social Web‘ besteht aus: (im Sinne des WWW) webbasierten Anwendungen, die für Menschen den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und deren Pflege, die Kommunikation und die kollaborative Zusammenarbeit in einem gesellschaftlichen oder gemeinschaftlichen Kontext unterstützen, sowie den Daten, die dabei entstehen und den Beziehungen zwischen Menschen, die diese Anwendung nutzen.“ (Ebd., S. 31) Während der Begriff „Social Software“ in seiner Nennung Software als Programme einschließt und damit auf die technische Basis für soziale Interaktionen und Kooperationsformen hinweist, konzentriert sich das Social Web nicht auf einzelne Anwendungen. Vielmehr ist das Social Web ein techno-soziales Netz, das verschiedene Formen der sozialen Interaktion und damit auch politischen Kommunikation ermöglicht. Da der Fokus damit nicht auf der Software liegt, auf der die Funktionen basieren, sondern auf den Möglichkeiten, die es für Kommunikation, Interaktion und Kollaboration bietet, eignet sich in dieser Arbeit die Verwendung des Begriffs „Social Web“ am besten. Im Experteninterview verwendet die Verfasserin jedoch den Begriff „Web 2.0“ trotz seiner mangelnden Präzision. Grund dafür ist die beobachtete höhere Bekanntheit des Begriffs und seine weite Verbreitung. Die Verfasserin weist deshalb darauf hin, dass „Web 2.0“ in diesem Fall im Sinne des „Social Web“ zu verstehen ist. 36 Wahlkampf im Social Web 3.2. Von der Gutenberg Galaxis zur Google-Welt Im nächsten Schritt soll die Frage beantwortet werden, was die Kommunikation im Kommunikation im Social Web Internet von und bisherigen den Formen traditionellen der Medien unterscheidet. Ein detaillierter Vergleich der einzelnen Medien würde den Rahmen der Arbeit überspannen, daher eignet sich hierfür mehr ein Überblick über die Entwicklung der Kommunikationskulturen und eine vereinfachte Gegenüberstellung der Stärken und Schwächen in Anlehnung an die Einordnung nach Zerfaß und Boelter (2005, S. 84 ff.). Durch ökonomische, Einflussfaktoren politische, entwickeln soziale sich oder neue technologische Mechanismen der Meinungsbildung und es entsteht eine neue Kommunikationskultur. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 82) Somit steht auch die politische Kommunikation verschiedene in einem Faktoren breiten geprägt Kontext, wird und der durch deshalb viele ständigen Veränderungen unterworfen ist. Nach Zerfaß und Boelter (2005, S. 82) prägen Suchmaschinen, insbesondere Google, und Social Software die gegenwärtige Kommunikationskultur, die sie als „Google-Welt“ bezeichnen. Der Vergleich mit der von McLuhan beschriebene Gutenberg-Galaxis, sowie der McLuhan-Galaxis und Internet-Galaxie nach Castells bietet einen Überblick über den Entwicklungsprozess, sowie die Stärken und Schwächen der einzelnen Entwicklungsschritte. Für eine Einordnung Kommunikationssystems des in die österreichischen von Zerfaß politischen verglichenen Entwicklungsstufen zieht die Verfasserin die drei Phasen nach Plasser und Ulram (2004, S. 400 ff.), adaptiert von Blumler und Kavangh (1999), als Datengrundlage heran. 37 Wahlkampf im Social Web Tabelle 2: Von der Gutenberg-Galaxis zur Google-Welt Gutenberg- McLuhan- Internet- Galaxis Galaxis Galaxie Google-Welt Internet Dominante Medien bzw. Internet (Social (Lineare Buch Software: Anwendungen: Fernsehen Plattformen Weblogs, Wikis; Websites, E- Suchmaschinen) Mail) Überwindung der Grenzen Raum Zeit Sequentialität Linearität Narrowspread Broadcast Narrowcast Narrowsearch Massen- Massen- von … Vermittlungsform Ermöglicht … Gatekeeper Engpass Erfolgsfaktoren Massen- Massen- kommunikation kommunikation kommunikation kommunikation Persönliche Persönliche Kommunikation Kommunikation Online- Suchmaschinen- Journalisten Blogger - Journalisten Distribution Thematisierung Aufmerksamkeit Glaubwürdigkeit, Glaubwürdigkeit Glaubwürdigkeit Glaubwürdigkeit Verfügbarkeit Reichweite Reichweite Vernetzung Authentizität Aktualität Informationstiefe Aktualität Digitale Reputation Quelle: Zerfaß/Boelter 2005, S. 84 3.2.1. Gutenberg-Galaxis Mit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert durch Gutenberg, entstand eine neue Möglichkeit zur öffentlichen Kommunikation. Zuvor galt noch die menschliche Rede, die noch an eine örtliche Begrenzung gebunden war, als Leitmedium. Nun konnten Informationen breit gestreut werden, aber erreichten aufgrund der Bindung an physische Informationsträger noch immer eine begrenzte Zahl von Rezipienten (Narrowspread). Dennoch leitete die Revolution des Buchdrucks ein Zeitalter der Massenkommunikation ein, in dem unter anderem politische Schriften schneller verbreitet werden konnten und an Bedeutung gewannen. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 84 f.) 38 Wahlkampf im Social Web So war in der Phase des partei- und printdominierten Kommunikationssystems in Österreich die parteiliche Presse neben dem Radio ein zentrales Medium zur Verbreitung politischer Botschaften. (Vgl. Plasser/Ulram 2004, S. 400 und 402) Im Normalfall werden die Informationen durch keine Kommunikationsmittler bzw. Gatekeeper gefiltert, jedoch bildet die geringe Zahl etablierter Verlage und ihrer Distributionskanäle eine Barriere. So sind beispielsweise Wahlkampf-Broschüren, auch wenn sie inhaltlich überzeugend sind, nur dann wirksam, wenn sie von bekannten Verlagen vertrieben oder über geeignete Kanäle verfügbar gemacht werden. Als weitere Einflussfaktoren kommen die Glaubwürdigkeit, das Ansehen und die Authentizität des Kommunikators hinzu. (vgl. Boelter/Zerfaß 2005, S. 84 f.) 3.2.2. McLuhan-Galaxis Die elektronischen Medien mit dem Leitmedium des Fernsehens, welche die bis heute noch immer dominante Kommunikationskultur bilden, sind laut McLuhan (1968, S. 314) dadurch gekennzeichnet, dass sie Raum und Zeit aufheben und Informationen ohne Zeitunterschied von Ort zu Ort transportiert werden können. Die Botschaften erreichen gleichzeitig ein großes Publikum (Broadcast), müssen aber davor auf die Agenda der Massenmedien kommen. Eine Barriere können daher Journalisten, die als Gatekeeper in der Kommunikationsvermittlung eine entscheidende Rolle spielen, darstellen. Dennoch haben klassische Massenmedien für politische Akteure eine große Bedeutung, da sie etabliert sind und ihnen viele Menschen eine hohe Glaubwürdigkeit zusprechen. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist die hohe Reichweite und die Möglichkeit, über die klassischen Medien als „push“-Kanal aktiv Botschaften zu streuen. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 85) Die TV-zentrierte Phase mit der Ausbreitung des Fernsehens als Leitmedium wurde in Österreich in den 1960er Jahren eingeleitet. Die 39 Wahlkampf im Social Web neue Medienlogik setzte neue Ansprüche an die politische Kommunikation, da sie auf den Kommunikationsfähigkeiten der politischen Akteure, ihrer Darstellungskompetenz und der Inszenierung kameragerechter Bilder beruhte. Politikberater, die auf strategische Kommunikation, Image-Building, die Produktion von TVSpots und Meinungsforschung spezialisiert sind, waren fortan gefragt. Dies führt auch zu einem Anstieg der Wahlkampfausgaben, die zuvor noch vergleichsweise überschaubar waren, mit der zunehmenden Professionalisierung jedoch aufwendig wurden. Mit dem Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium rückte auch der Wahlkampf weg von einem parteizentrierten zu einem kandidatenzentrierten. (vgl. Plasser/Ulram 2004, S. 400 und 402) 3.2.3. Internet-Galaxie Kennzeichnend für die Internet-Galaxie als erste Phase der OnlineKommunikationskultur ist die Linearität der Kommunikation. Beispiele sind die E-Mail-Kommunikation, die nach dem Muster one-to-one / one-to-many verläuft sowie die Nutzung von Websites (one-to-many). Durch die Digitalisierung wird die von Print und Rundfunk vorgegebene Sequentialität der Kommunikation überwunden. So muss der Rezipient im Internet beispielsweise nicht mehr auf die Ausstrahlung einer Sendung warten, sondern kann aktiv auf VideoDateien zugreifen. Ein weiteres Merkmal der Internet-Galaxie ist die Verknüpfung der Inhalte durch Querverweise in Form von Links. Als neue Gatekeeper kommen Online-Journalisten, die Orientierung in der durch das Internet ausgelösten Informationsflut bieten sollen, hinzu. Eine Konsequenz dieser Fülle an Informationen ist die sinkende Aufmerksamkeit der Internetnutzer. Besonders jene Websites erweisen sich als erfolgreich, die den Medienmix mit vertiefenden Informationen ergänzen. Im Kontext mit dem Wahlkampf sind das beispielsweise Detailanalysen zu Wahlkampfergebnissen. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 86) 40 Wahlkampf im Social Web Die Kommunikationskultur der Internet-Galaxie entspricht zum Großteil der dritten Phase der politischen Kommunikationssysteme. Diese ist gekennzeichnet durch eine Fragmentierung der Fernsehkanäle und Zielgruppen, was den für die Internet-Galaxie typischen Wandel von broadcast zu narrrowcast entspricht. Das politische Kommunikationssystem ist gekennzeichnet durch eine multimediale Kanalvielfalt, zu der als weiteres Medium das Internet hinzukommt. Großflächige Mikrobotschaften Wählergruppen Wahlkampfbotschaften transformiert, zu um erreichen. So gezielt werden werden in segmentierte beispielsweise Massenbriefsendungen durch personalisierte Direct Mailings und EMails ersetzt. Die Professionalisierung schreitet in dieser Phase weiter voran und die Wahlkamporganisation entwickelt sich von einer längerfristigen Planung zum permanenten Wahlkampf. Die Ausgaben, die in der modernen, TV-zentrieten Phase schon aufwendig waren, wachsen nun linear weiter. (vgl. Plasser/Ulram 2004, S. 4002 und 402) 3.2.4. Google-Welt Als zweite Phase der Online-Kommunikationskultur zeichnet sich die Google-Welt durch den neuartigen Zugang der Internetnutzer zu Informationen und Wissen mithilfe von Suchmaschinen wie Google und Yahoo sowie Social Software aus. (vgl. Schetsche/Lehmann/Krug, S. 20) Die User haben jederzeit über ihren Computer oder mobile Endgeräte Zugriff auf die weltweit im Web verfügbaren Informationen. Jeder hat die Möglichkeit selbst Beiträge zu publizieren, z.B. auf Wissensplattformen wie Wikipedia oder Beziehungsnetzen wie Facebook. Umgekehrt ist es für jeden leicht, vielfältige Meinungen anderer mithilfe von Suchmaschinen oder durch Vernetzungen mit anderen Blogs zu finden. So gelingt die Überwindung der für die Internet-Galaxie typischen Linearität. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 85) 41 Wahlkampf im Social Web „Aktuell benötigtes Wissen wird nicht mehr von zentralen Institutionen generiert, sondern aus einem techno-sozialen Netz mannifaltiger Informationsanbieter zusammengestellt.“ (Schetsche/Lehmann/Krug, S. 19) In der großen Informationsfülle des Internet kann der Rezipient auch sehr spezifische Informationsangebote finden, auf die er über andere Kanäle möglicherweise nicht zugreifen kann (Narrowsearch). Aber auch hier gibt es Hürden, die zu überwinden sind: So wie in der McLuhan-Galaxis die beeinflusst wird wird, Selektionskriterien Auswahlentscheidungen Realitätskonstruktion sie der der in der von Journalisten Google-Welt Suchmaschinen Community-Betreiber von den und den und Blogger geprägt. Inhalte, die nicht in Suchmaschinen, vor allem Google, gelistet sind oder nicht in der Blogosphäre verlinkt sind, bleiben unberücksichtigt. Ein Engpass, der für politische Akteure eine Hürde darstellt, ist damit die Aufmerksamkeit. Hier genügt es auch nicht, den Werbedruck im Internet zu erhöhen, da ein entscheidendes Kriterium für den Erfolg in der Google-Welt die digitale Reputation ist. Es handelt sich hier um die Zuschreibung von Kompetenz und Identität der politischen Akteure im Netz. Im Social Web lässt sich diese digitale Reputation durch eine intensive soziale und technische Vernetzung mit anderen Websites und einer authentischen Berichterstattung und Kommentierung erreichen. Durch die authentische Berichterstattung der Blogger scheinen sie ihren Lesern näher zu sein als die „vermeintlich objektiven Nachrichtenmedien“. (Zerfaß/Boelter 2005, S. 88) Wodurch Zerfaß und Boelter die Nähe zu den Lesern definieren, ist der Verfasserin unklar. Geht es hier nämlich um Glaubwürdigkeit, so zeigen Studien unterschiedliche Ergebnisse, wobei sie tendenziell zugunsten des klassischen Journalismus ausfallen. So ergeben 42 Wahlkampf im Social Web einige Studien, dass Weblogs glaubwürdiger sind als professionelle Nachrichtenmedien, jedoch ist bei diesen eine nicht-repräsentative Auswahl, die zugunsten der Weblog-Nutzer verzerrt war, zu kritisieren. Repräsentative Befragungen bestätigen dagegen eine höhere Glaubwürdigkeit des professionellen Journalismus. (Vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007, S. 107) Die Verfasserin geht daher davon aus, dass es vor allem Blogleser sind, die im Umgang mit Blogs erfahrener sind und diese häufiger nutzen, Blogs eine höhere Glaubwürdigkeit zusprechen als andere Medienrezipienten. Hier zeigt sich auch, dass keine der Kommunikationskulturen eine vorherige ablöst, sondern als weitere Kommunikationskultur mit neuen Chancen und Herausforderungen hinzukommt. Es begegnen nur einige Medienrezipienten wie die häufigen Blogleser der „GoogleWelt“ häufiger als andere. Im Gegensatz zur digitalen Reputation steht der Vernetzungsgrad für die Verbindung zu anderen Weblogs bzw. Webseiten. Die Zahl der Kommentareinträge in einem Blog und die Zahl, wie oft andere Blogs und Webseiten auf einen Blog verlinken, sind Indikatoren für dessen Einfluss. Auch für Politiker, die das Social Web für die öffentliche Kommunikation nutzen, spielt das Management der digitalen Reputation eine wichtige Rolle und sollte daher in der Planung berücksichtigt werden. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 88) Eine Zuordnung der Phasen der politischen Kommunikationssysteme ist hier zwar nicht möglich, da Plasser und Ulram keine vergleichbares Kommunikationssystem zur Google-Welt definiert haben. Dennoch spielen die Stärken und Schwächen der GoogleWelt auch für die Wahlkampfkommunikation eine Rolle, wie im nächsten Kapitel genauer erarbeitet wird. 43 Wahlkampf im Social Web 3.2.5. Zwischenergebnis Die Einordnung in Gutenberg-Galaxis, McLuhan-Galaxis, InternetGalaxie und Google-Welt ist stark vereinfacht und bindet nur prototypische Merkmale der einzelnen Kommunikationskulturen ein. Dennoch eignet sie sich zur Annäherung an Antworten zu den Forschungsfragen und zur Überprüfung der Hypothese 1, da sie einen Überblick über die Entwicklung der Kommunikationsmittel bietet und nicht die zeitliche und technische Komponente in den Vordergrund stellt, sondern die Stärken, Schwächen und Erfolgsfaktoren. Diese sind auch für die Wahlkampfkommunikation entscheidend. Zudem lassen sich die Kommunikationskulturen mit den Entwicklungsstufen der politischen Kommunikationssysteme kombinieren. Es ist zu betonen, dass keine der Kommunikationskulturen die vorherigen gänzlich ablöst, sondern als eine weitere hinzukommt und unter den Nutzern eine zunehmende Bedeutung erfährt. Für die Wahlkampfplanung bedeutet das einen stetig steigenden Aufwand, da Blogs und andere Anwendungen des Social Web als neue Kommunikationsinstrumente zu den bisherigen hinzukommen. Die Nutzung des Social Web bedarf einer Anpassung an die durch die „Google-Welt“ definierte Kommunikationskultur. So bilden sich beispielsweise mit Suchmaschinen und Bloggern neue Gatekeeper heraus. Andererseits bietet die „Google-Welt“ die Chance, die Grenzen bisheriger Kommunikationskulturen wie zum Beispiel die Linearität der Kommunikation zu überwinden. Zudem entstehen neue Nutzertypen, die mit traditionellen Medien nicht mehr so stark zu erreichen sind wie andere Medienrezipienten. So scheinen typische Blogleser Blogs eine höhere Glaubwürdigkeit zuzuschreiben als Nicht-Blogleser. Um diese im Wahlkampf als potentielle Wähler besser zu erreichen, eignet sich die Kommunikation über Blogs daher besonders gut, sofern die 44 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Erfolgsfaktoren Glaubwürdigkeit, Vernetzung und Authentizität berücksichtigt werden. Durch die vergleichende Gegenüberstellung der einzelnen Kommunikationskulturen nach Zerfaß und Boelter (2005, S. 84) werden auch die Stärken des Social Web gegenüber anderen Medien hervorgehoben und damit auch jene Kommunikationsfunktionen, die das Social Web auch im Wahlkampf besser erfüllen kann. Damit wird auch die Hypothese 1 bestätigt: Das Social Web ist geeignet, bestimmte Funktionen der Wahlkampfkommunikation besser zu erfüllen als klassische Medien und bisherige Instrumente der Online-Kommunikation. Im folgenden Kapitel wird genauer auf diese Funktionen eingegangen. 4. Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Das Social Web als ein Umfeld, indem partizipative, interaktive Kommunikation und Interaktion stattfinden und unterstützt werden, kann für politische Parteien eine Chance bedeuten, aber auch neue Herausforderungen oder Risiken. (vgl. Welker/Zerfaß 2008, S. 12) Um diese zu erarbeiten bieten sich zwei unterschiedliche Ebenen zur Betrachtung an: die praktische Ebene der Nutzungsoptionen (vgl. Pleil 2007, S. 12) und die Ebene der sozialen Funktionen (vgl. Schmidt 2007, S. 32). Pleil (2007, S. 12) definiert auf der Nutzungsebene folgende Optionen: • Publizieren • Teilen • Zusammenarbeiten • Vernetzen • Bewerten und Filtern 45 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Da Handlungen politischer Akteure im Wahlkampf jedoch stets auf ihre Zielgruppen bezogen sind, reicht eine Betrachtung der praktischen Nutzungsoptionen alleine nicht aus. Um die soziale Komponente des Social Web einzubeziehen, dient die Einteilung nach Schmidt (2007, S. 32) als geeignete Basis, da hier von der Gratifikation für den Nutzer im sozialen Kontext und nicht bloß von Anwendungsoptionen ausgegangen wird. Schmidt bezieht sich dabei auf die Funktionen von Social Software: „Social Software refers to those online-based applications and services that facilitate information management, identity management, and relationship management by providing (partial) publics of hypertextual and social networks.” (Schmidt 2007, S. 32) Eine Voraussetzung ist somit die Öffentlichkeit oder zumindest eine Teilöffentlichkeit der Beziehungen und Netzwerke, die sowohl sozialer als auch technischer (hypertextueller) Natur sein können. Eine Verschiebung vom Privaten ins Öffentliche findet statt. (vgl. Ebd.) Die Funktionen von Social Software und Leistungen für den User definiert Schmidt (2007, S. 33) wie folgt: • Identitätsmanagement: Social Software ermöglicht es dem User, sich selbst zu präsentieren, indem er Aspekte seiner Persönlichkeit, Interessen, Wissen, etc. öffentlich macht • Beziehungsmanagement: Social Software hilft dem User dabei, soziale Beziehungen auszudrücken, zu knüpfen und zu pflegen. • Informationsmanagement: Social Software hilft dem User dabei, Informationen zu finden, zu bewerten und/oder über hypertextuelle und soziale Netzwerke zu teilen. Die Funktionen nach Schmidt (2007, S. 33) nimmt die Verfasserin als übergeordnete Funktionen für die Wahlkampfkommunikation auf, die 46 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf durch die praktischen Nutzungsoptionen unterstützt werden. Dies soll in der Abbildung 2 illustriert werden. So entsteht Identitätsmanagement beispielsweise dadurch, dass Informationen publiziert werden und mit anderen Nutzern geteilt werden. Die beiden Ebenen sind eng miteinander verbunden, können aber, je nach Anwendung, miteinander verschmelzen. Abbildung 2: Nutzungsoptionen und soziale Funktionen Praktische Ebene der Publizieren Nutzungsoptionen Bewerten und Filtern Soziale Funktionen: Teilen • Identitätsmanagment • Beziehungsmanagement • Informationsmanagemen Vernetzen Zusammenarbeiten Quelle: eigene Darstellung Die Verfasserin übernimmt die sozialen Funktionen und Leistungen von Social Software für das Social Web und überträgt sie auf die speziellen Leistungen für Parteien und Politiker in der Wahlkampfkommunikation. Auf eine Zuordnung prototypischer Anwendungen nach Schmidt (2008, S. 24) wird verzichtet, da viele Anwendungen im Social Web gleich mehrere Funktionen erfüllen und damit Mehrfachzuordnungen häufig sind. So kann das Kommentieren eines Blogeintrags und die Verlinkung zu diesem als Teil des Identitätsmanagements gesehen werden, da der Autor seine Meinung zum Thema ausdrücken will. Andererseits erfüllt diese Handlung auch die Funktion des Beziehungsmanagements, da 47 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf der Link eine hypertextuelle Beziehung ist und der Blogger mit dem Kommentar persönlich auf einen anderen Blogger Bezug nimmt. Für die Leser kann der kommentierte Link eine für das Informationsmanagement bedeutend sein, da er möglicherweise eine neue Perspektive aufzeigt, die der Leser zuvor nicht berücksichtigt hat. (vgl. Schmidt 2007, S. 33) Tabelle 3: Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Funktion Identitätsmanagement Leistung Leistung im Wahlkampf (selektives) Präsentieren Parteien: selbstkontrollierte von Aspekten der eigenen Präsentation der Politiker und Person (Interessen, Parteien, sowie ihrer Ansichten, Meinungen, Wissen, ihres Programms, etc., Kontaktdaten …) Wähler: User als Unterstützer Parteien: direkter Kontakt und Beziehungsmanagement Pflege bestehender und Austausch mit Wählern, Knüpfen neuer Beziehung zu parteinahen Beziehungen Wählern aufrechterhalten, neue Wählergruppen erschließen Parteien: Informationen über die Wähler, ihre Interessen und Informationsmanagement Auffinden, Rezipieren und Meinungen erfahren Verwalten von relevanten Wähler: Informationen über Informationen Parteien Medien: Recherche und Agenda-Setting Quelle: Schmidt 2008, S. 24, mod. 4.1. Identitätsmanagement 4.1.1. Selbstbestimmte Präsentation der Partei-Identität Während klassische Medien im Bezug auf Botschaften politischer Akteure als Gatekeeper agieren und darüber entscheiden, welche Nachrichten es wert sind, veröffentlicht zu werden, ermöglicht das Internet eine direkte Kommunikation mit den potentiellen Wählern 48 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf ohne journalistische Prüfung und Anpassung durch die Medien. (vgl. Pfetsch/Adam 2008, S. 10; Neuberger/Welker 2008, S. 24) „Im Internet besteht keine Zeitbeschränkung auf ‚plakative Ö-Töne im 30-Sekunden-Stil‘ oder eine vorgegebene Platzbeschränkung der zur Verfügung stehenden Zeilen eines zu publizierenden Textes.“ (Novy/Schwickert 2009, S. 18) Parteien und Politiker haben hier die Möglichkeit, traditionelle Medien zu umgehen und sich über den Online- Auftritt direkt an die Bürger zu richten. Diese Chance kann besonders für jene politischen Akteure relevant sein, die über geringe Ressourcen und wenig Einfluss verfügen. (vgl. Zimmermann 2007, S. 171 f.) Im Social Web sind es beispielsweise Weblogs, Podcasts, Videocasts und Video- Plattformen, die Parteien und Politikern die Möglichkeit bieten, ihre Botschaft selbstkontrolliert an den Nutzer zu bringen. Parteien können in Wort, Bild und Ton ihr Programm vorstellen und politische Kandidaten können sich selbst von ihrer präferierten Seite präsentieren und zu bestimmten Themen Stellung nehmen. Ein weiteres wichtiges Kriterium im Social Web ist die Authentizität der Botschaften. Verfassen Politiker ihre Einträge in Blogs, auf Facebook oder Twitter nicht selbst, kann sich das negativ auf die Meinung der jungen Wähler auswirken. (vgl. Manuel Merz im Interview, Pumberger 2009, o.S.) Als Trends werden derzeit vor allem Facebook, YouTube und Twitter beobachtet. Facebook-Profile von Kandidaten werden eingerichtet, Videos werden auf YouTube hochgeladen und langsam verbreitet sich auch die Twitter-Nutzung. (vgl. Markus Beckedahl im Interview, Dax 2009, o.S.) So sind in Österreich alle relevanten Parteien auf der Videoplattform YouTube vertreten und kommunizieren hier auch außerhalb der Wahlkampfzeiten. Der Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bezog 49 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf sich beispielsweise in einer Rede über YouTube am 31. März 2009 zu den Herausforderungen der Wirtschaftskrise. (o.V. 2009, o.S.) Abbildung 3: Screenshot: Rede von Werner Faymann auf YouTube Quelle: http://www.youtube.com/watch?v=Ymd7ZOoJJ4k (31.09.2009) Das Video dauert 7 Minuten und 54 Sekunden. Im Vergleich dazu beträgt die durchschnittliche Länge eines Rundfunk-Beitrags mit expliziter Politiker-Nennung dagegen nur ungefähr 136 Sekunden (Vgl. Lengauer/Pallaver/Pig 2004, S. 162). Die Chance liegt somit in der direkten, inhaltlich ungefilterten und zeitlich uneingeschränkten Kommunikation mit den potentiellen Wählern. Kritisiert wird allerdings, dass viele Politiker noch lediglich diese Funktion des Social Web nutzen: „Die politischen Parteien sind noch nicht im Web 2.0 angekommen. Wenn wir ‚2.0‘ mit Offenheit, Kollaboration übersetzten, dann sieht man, dass die einzige Form von Kollaboration im Moment so aussieht, dass man einfacher an die Botschaften der Politiker herankommt. Die sind jetzt auf mehrere Kanäle verteilt - etwa YouTube. Die Möglichkeiten der Partizipation sind aber beschränkt. Man kann nicht wirklich mitdiskutieren und mitbestimmen.“ (Beckedahl im Interview, Dax 2009, o.S.) 50 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Unabhängig davon, wie stark die Möglichkeit zur Mitsprache die Demokratie fördert, kann sie zumindest die Zustimmung der Bürger gegenüber Parteien und Politikern und ihren Vorhaben wie zum Beispiel Reformplänen und damit auch die Position im Wahlkampf stärken. Werden Wünsche und Meinungen nicht berücksichtigt und wird die Möglichkeit, sich einzubringen nur scheinbar geboten, steigen die Ablehnung gegenüber dem Programm der Parteien und die Politikverdrossenheit. (vgl. Förg et al. 2007, S. 11) Ebenso wie in anderen Formen der Kommunikation gilt auch für das Internet und speziell das Social Web: Die Einbindung der Wähler darf nicht nur symbolisch erfolgen – die Mitsprache muss auch wirklich berücksichtigt werden. Gibt es die Möglichkeit zur Mitsprache nicht und werden Wähler nicht in die Diskussion mit einbezogen, kann sich dies nachteilig im Wahlkampf auswirken. 4.1.2. Identitätsmanagement aus Nutzer-Perspektive Im Vergleich zu traditionellen Medien sind die Rezipienten im Social Web nicht nur Zuschauer, Zuhörer und Leser, sondern aktive Nutzer und Produzenten, die sich auch selbst an der Erstellung, Weiterverbreitung, Kommentierung und Bewertung von Inhalten beteiligen. (vgl. Orihuela 2003, o.S.; Novy/Schwickert 2009, S. 17) Bruns (2007, o.S.) spricht von „produsage“ als eine Form der Nutzergeführten Content-Erstellung und und einem aktiven Nutzertyp, dem „produser“. Schon 1932 forderte Bertolt Brecht in seiner „Radiotheorie“ ein solches Medium, indem der Empfänger gleichzeitig auch der Sender ist. (vgl. Wimmer 2007, S. 169) Brecht ging damals noch vom Radio aus – heute lässt sich seine Vorstellung vom idealen Kommunikationsapparat auf das Internet übertragen: „Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der 51 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, […] wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen […]“ (Brecht 1967, S. 129) Im Social Web können User ihre eigene Perspektive darstellen, indem sie „User Generated Content“ produzieren und diesen mit anderen teilen. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 17) Sie kommen daher im Wahlkampf nicht nur als Empfänger politischer Botschaften in Frage, sondern betreiben auch selbst Identitätsmanagement, das sich zugunsten, aber auch zum Nachteil bestimmter Parteien und Politiker auswirken kann. 4.1.2.1. User als Wahlkampfhelfer Bei der Verbreitung von Inhalten profitieren Nutzer im Social Web von viralen Effekten. Durch die Vernetzung mit anderen Usern in Blogs, Social Networks oder anderen Anwendungen und Diensten des Social Web werden Inhalte mit einer Dynamik verbreitet, die mit der eines Virus vergleichbar ist, der sich in der Bevölkerung ausdehnt. Ähnlich wie bei Krankheitserregern ist der virale Effekt im Social Web davon abhängig, wie viele Personen mit einander in Berührung kommen. Je dichter die Vernetzung ist, desto größer ist der virale Effekt. (vgl. Alby 2007, S. 32) Für politische Parteien bedeutet das, dass sie von stark vernetzten Unterstützern profitieren können, wenn sie als Multiplikatoren für ihre Botschaften agieren und Content im Sinne der Partei erstellen und verbreiten. Der Möglichkeit dieser Form der aktiven Beteiligung am Wahlkampf wirkt die geringe Bereitschaft der Internetnutzer in Österreich, selbst Inhalte zu produzieren, entgegen. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie des Austrian Internet Monitor im ersten Quartal 2008: Die Beliebtheit der Angebote, vor allem Soziale Netzwerke und Videoportale, ist gestiegen, jedoch tendiert der Großteil der User eher zur passiven Nutzung als zur aktiven Erstellung von Inhalten. So hat 52 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf nur weniger als jeder zehnte der befragten Personen selbst ein Video im Internet hochgeladen, vier Prozent haben bei Wikipedia einen Beitrag geleistet und nur zwei Prozent haben einen Blog-Eintrag geschrieben. Lediglich das Kommentieren stellt scheinbar eine geringere Hemmschwelle dar – Kommentare wurden auf Webseiten immerhin von einem Drittel der Nutzer verfasst. (vgl. o.V 2008, o.S.) 4.1.2.2. Mobilisierung von Unterstützern „Mobilisierung ist ein politischer Universalbegriff, der die geplante Initiierung einer breiten, öffentlich sichtbaren Unterstützung eines politischen Vorhabens durch Mitglieder einer Organisation, Sympathisanten oder Bürger bedeutet. Begriffskern ist das Versetzen von Menschen in Bewegung, sowohl in diskursiven Auseinandersetzungen wie auch praktisch, also physisch zu bestimmten Orten oder Handlungen.“ (Althaus 2007, S. 97) Im Internet würde sich die Mobilisierung somit darin äußern, die Nutzer im Internet dazu zu bewegen, sich an Online-Diskussionen zu beteiligen und politische Parteien im Internet zu unterstützen oder sich in ihrer realen Umgebung zu engagieren. Merz (Interview, Pumberger 2009) sieht in Deutschland und Österreich die Mobilisierung als wichtigsten Bestandteil einer OnlineKampagne. Die Partei bindet damit die immer mehr schwindenden Unterstützer und stärkt zudem die Entschlossenheit, die Partei zu wählen und kann diese dazu überzeugen, selbst aktiv mitzuwirken und Freunde, Familie und Bekannte zu mobilisieren. Es ist nur wichtig, die politisch interessierten Unterstützer mit den richtigen Tools auszustatten, mit denen sie sich aktiv am Wahlkampf beteiligen können. 53 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Dazu eignen sich Bottom-up-Kampagnen. Den Nutzern wird eine Möglichkeit geboten, sich selbst an der Kampagnengestaltung zu beteiligen und ihre Ideen einzubringen. Die Organisation beruht auf der Strategie der Offenheit (vgl. Brunauer 2008, S. 261) und damit auf Vertrauen in die Selbstregulierung durch die Nutzer. Die Kontrolle durch die Kampagnenführung ist im Vergleich zu Top-downKampagnen gering. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 51) So entsteht für die Partei die Möglichkeit des Informationsmanagements und damit die Chance, mehr über die Meinung und Perspektive der Wähler zu erfahren, was bei einer einseitigen Kommunikation im Rahmen von Top-down-Kampagnen nur beschränkt möglich ist. Erforderlich ist hierzu jedoch eine enthierarchisierte Form der politischen Kommunikation und Zusammenarbeit. Vielen Bürgern genügt es nicht, ihre Meinung mitzuteilen – sie möchten auch eine Chance bekommen, selbst in der Politik mitzuwirken. Doch besonders in repräsentativen Demokratien wie der österreichischen, die durch ein hierarchisches Politikverständnis geprägt sind, sind die Möglichkeiten für derartige Bottom-up-Kampagnen sehr eingeschränkt. (vgl. Dowe 2009, S. 52) Die technische Basis ist mit den neuen Techniken im Internet schon gegeben. (vgl. Ebd.) Diese setzen Partizipation durch die Wähler allerdings noch nicht voraus. Fuchs (2009, S. 83) kritisiert den Optimismus über die bloße Verfügbarkeit von Mitteln, über die User zum Produzenten werden. Er betont, dass Partizipation nicht allein dadurch bestimmt wird, dass Technologien zur Produktion und Verbreitung von Inhalten genutzt werden können, sondern auch andere Kriterien eine Rolle spielen wie die Aufmerksamkeit, die User als Produzenten bekommen, ob sie damit Veränderungen bewirken können und wie viel Mitsprache tatsächlich ermöglicht wird. Eine Möglichkeit zur Kollaboration mit (potentiellen) Wählern bieten Wikis. Ein Beispiel ist ein Projekt der Grünen Wien, das 2007 54 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf gestartet wurde: http://www.neuverhandeln.at. Bürger, die mit dem Regierungsprogramm der SPÖ und ÖVP unzufrieden waren, konnten dieses nach ihren eigenen Vorstellungen frei umschreiben. Vorlage für die weitere Bearbeitung durch die Nutzer war das bestehende Regierungsprogramm. Abgesehen von Aussagen, die nicht rechtskonform waren, wurde in die Diskussion nicht eingegriffen. Die Ergebnisse aus dem Versuch wurden von den Verantwortlichen als positiv gewertet, da laut diesen keine Eingriffe durch Moderatoren notwendig waren, sondern eine Selbstregulierung durch die Nutzer stattfand. (vgl. Brunauer 2008, S. 261f.) Bereits im ersten Kapitel wurde die dialogische Kommunikation über das Internet als zusätzliche Möglichkeit neben Meinungsumfragen und Fokusgruppen zur Ermittlung der Meinungen der Wähler genannt. Auch wenn Parteien hier von qualitativen Ergebnissen profitieren können, sollte vorsichtig mit ihnen umgegangen werden, da sie repräsentative Umfragen nicht ersetzen können. Denn die Stimmung entsprechen und das keiner Meinungsklima repräsentativen in der Abbildung Nutzergemeinde der gesamten Wählerschaft. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 51) Das gilt daher auch für das beschriebene Wiki http://www.neuverhandeln.at. Hinzu kommt das Risiko der geringen Kontrolle über Aussagen, die sich nachteilig auf den Wahlkampf auswirken können, ebenso wie Diskussionen, die außer Kontrolle geraten können. Top-down Kampagnen ermöglichen hingegen eine weitgehende Kontrolle über die Inhalte und Entwicklungen der Kampagne, jedoch auch weniger Dialog. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 51) Ergebnisse einer qualitativen Studie in Österreich zeigen, dass die Skepsis bei Kampagnenverantwortlichen vor allem dann steigt, je stärker User in die Kampagne eingebunden werden. Dadurch, dass sich Kampagnen durch eine starke Steuerung der Kommunikation 55 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf kennzeichnen, entsteht im Social Web ein Konflikt zwischen Offenheit und Steuerung. (vgl. Brunauer 2008, S. 249) Als Kompromisslösung bietet sich eine Kombination aus beiden Formen der Wahlkampforganisation an. Kampagnenziele und -planung werden zentral koordiniert, jedoch wird innerhalb eines festgelegten Rahmens Partizipation zugelassen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine Nutzergemeinde im Social Web zur Mitarbeit mobilisiert wird und sich an der Erfüllung von vorgegebenen Zielen beteiligt. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 51) Eine Tendenz in diese Richtung stellt die Verfasserin unter anderem bei der SPÖ-Kampagne zur Europawahl fest. Hier wurden SPÖMitglieder und Sympathisanten als Botschafter für ihre eigene Umgebung rekrutiert. Diese berichteten im Social Web über aktuelle Geschehnisse im Wahlkampf, kommunizierten über Facebook, Twitter und Blogs mit potentiellen Wählern auf lokaler Ebene und sollten diese dazu mobilisieren, zur Wahl zu gehen. (vgl. o.V. 2009b, S. 13; o.V., o.J., o.S.) Im Vergleich zu neuverhandeln.at folgt die Organisation hier nicht dem Prinzip der Selbstregulierung, sondern ermöglicht Partizipation in einem eingegrenzten Rahmen. Die Kampagnenziele werden zentral koordiniert und die Möglichkeit zu einer ausgedehnten Teilnahme als Wahlkampfunterstützer ist den parteinahen Botschaftern vorbehalten. Auf diese Weise lässt sich der Verlauf der Kampagne noch immer zentral steuern und damit wird das Risiko des Kontrollverlustes gesenkt. 4.1.2.3. Grenzen der Mobilisierung Zugangsbeschränkungen, beispielsweise durch eine Selektion nach Parteizugehörigkeit, ermöglichen zwar eine leichtere Steuerung, können jedoch auch einer produktiven Entwicklung der Beteiligung durch Nutzer entgegenwirken. Ebenso kann auch ein hoher Aufwand 56 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf bei der Erstellung von Content zum Ausschlusskriterium für potentielle Teilnehmer werden. (vgl. Brunauer 2008, S. 262) Eine weitere potentielle Hemmschwelle sind die Bedenken darüber, persönliche Informationen im Social Web zu teilen. Nach einer Studie von Marktagent.com, bei der Internetuser aus Österreich zwischen 14 bis 29 Jahren zu ihrem Nutzungsverhalten im „Web 2.0“ befragt wurden, sind Zweifel über die Veröffentlichung persönlicher Daten, Fotos, Videos, usw. vorhanden und teilweise sogar stark ausgeprägt. Das zeigt die Abbildung 4: Ein Drittel der Nutzer hat starke Bedenken, persönliche Daten öffentlich preiszugeben. Darüber hinaus kam die Studie zum Ergebnis, dass die Unsicherheit mit zunehmendem Alter größer wird. (vgl. Schwabl 2009, S. 12) Dies kann auch die Enthüllung der eigenen politischen Orientierung oder Meinung betreffen und damit auch Handlungen in öffentlichen Netzwerken in Verbindung mit einer Partei einschließen. Da die Studie nur unter Internetnutzern durchgeführt wurde, ist sie zwar nicht repräsentativ für Österreich und damit die gesamte Wählerschaft, jedoch für die potentiell zu erreichende Zielgruppe durch Kampagnen im Social Web. Abbildung 4: Bedenken über Veröffentlichung persönlicher Daten Quelle: in Anlehnung an Schwabl 2009, S. 12 57 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf 4.1.2.4. Kontrollverlust über Inhalte Ein bereits erwähntes Problem ist die schwere Steuerbarkeit von Debatten im Internet, die eine Eigendynamik entwickeln und außer Kontrolle geraten können. Auch umstrittene Aussagen von Politikern oder andere Fehltritte, die über Bild, Ton oder Text festgehalten wurden, verbreiten sich unaufhaltsam weiter und sind meist langfristig im Internet abrufbar. Die Wahlkampfführung steht durch die zunehmende Unberechenbarkeit der Kampagnen vor einer großen Herausforderung, die ein gut entwickeltes Frühwarnsystem und Rapid Response erfordern. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 23) Zudem wird die Freiheit der Politiker eingeschränkt, da sie auf eigene Aussagen genauer Rücksicht nehmen müssen, und stets mit einer Veröffentlichung ihrer Aussagen rechnen müssen. Durch die voranschreitende Technologie wird es auch für Laien immer einfacher, Inhalte zu produzieren und zu verbreiten. So lassen sich Videos von ungünstigen Auftritten von Politikern mit dem Handy aufnehmen und können anschließend direkt auf Video-Plattformen wie YouTube hochgeladen werden. (vgl. Merz im Interview, Pumberger 2009) Dadurch wird die Kontrolle der Kampagnenführung über das Image und die Botschaften der Politker beeinträchtigt, da sowohl Unterstützer, als auch Gegner Videos über sie publizieren können. (vgl. Gueorguieva 2007, S. 295) Zu beachten ist daher, dass nicht nur Parteien und Politiker im Social Web Identitätsmanagement Interessensgruppen wie betreiben, ihre sondern politischen Gegner auch und andere deren Sympathisanten oder auch potentielle Wähler, die mit ihren Aktionen im Social Web einer Partei schaden können. Ein Beispiel für einen ungünstigen Politikerauftritt, der durch einen User auf Video festgehalten und im Social Web verbreitet wurde, kommt aus der regionalen Politik. Ein YouTube-Video zeigt den Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Hadersdorf, wie 58 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf er sich einer Aktion zur Erinnerung an die NS-Vergangenheit des Ortes in den Weg stellt und wie er versucht den Filmenden daran zu hindern, weiter zu filmen. Der Vorfall wird anschließend auch von traditionellen Medien aufgegriffen. So verweist ein Artikel in der Online- und Print-Version der Tageszeitung derStandard gleichzeitig auf das YouTube-Video. (vgl. Schmidt 2009, o.S.) Das Beispiel zeigt, dass die zunehmende Leichtigkeit der Verbreitung von Botschaften im Internet eine Anpassung der Handlungen von Parteien und Politikern auch abseits des Internet erfordert. Dadurch, dass Plattformen im Social Web wie beispielsweise YouTube eine Öffentlichkeit oder zumindest partielle Öffentlichkeit herstellen (vgl. Schmidt 2007, S. 32), kann auch unerwünschter „User Generated Content“ in die Öffentlichkeit kommen. 4.2. Beziehungsmanagement Das Social Web ermöglicht die Pflege bestehender und das Knüpfen neuer Beziehungen. (vgl. Ebd., S. 33) Prototypische Anwendungen für Beziehungsmanagement sind Kontaktplattformen bzw. Social Networks wie Facebook, Xing oder StudiVZ. Aber auch andere Anwendungen und Dienste ermöglichen Beziehungsmanagement. So entstehen durch Verweise in Blogs über die Blogroll oder Trackbacks hypertextuelle, aber auch soziale Beziehungen. Kollaborative Bookmarking-Dienste setzen dagegen Beziehungen zwischen Inhalten. (vgl. Ebd, S. 34; vgl. Schmidt 2008, S. 24) Das Beziehungsmanagement ist im Social Web eng mit dem Identitätsmanagement verknüpft. So ist die Veröffentlichung von Inhalten gleichzeitig ein Ausgangspunkt für einen anschließenden kommunikativen Austausch. Für das Social Web typische Anwendungen haben zumeist einen Rückkanal, der Feedback oder Bewertungen ermöglicht. (vgl. o.V. 2007, S. 12) 59 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Wird beispielsweise die Rede von Werner Faymann auf YouTube hochgeladen (vgl. Kapitel 4.1.1), so bietet sich für die Nutzer die Möglichkeit, diese zu kommentieren oder zu bewerten. So entstehen soziale Verbindungen zwischen dem Produzenten und Rezipienten, in diesem Fall zwischen der Partei und dem potentiellen Wähler. Umgekehrt können soziale Netzwerke, die durch Beziehungen im Social Web aufgebaut werden, bei ihren einzelnen Mitgliedern die sozio-emotionale Unterstützung stärken. (vgl. Schmidt/Paetzolt/Wilbers, S. 5) Damit wird das Identitätsmanagement der potentiellen Wähler zugunsten der Partei gefördert. 4.2.1. Themen- und zielgruppenorientierte Kommunikation Wie schon im ersten Kapitel erläutert wurde, lösen sich Wähler zunehmend von ihren Parteibindungen und –mitgliedschaften. Diese Entwicklung verläuft zugunsten flexiblerer Formen des politischen Engagements, das sich nicht nach Parteienzugehörigkeit orientiert sondern zunehmend nach Themen. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 17 ff.) Im Social Web entsteht die Chance, mit gezielter Kommunikation auf diesen Trend einzugehen. Ein Merkmal der Online-Kommunikation ist das „Narrow-Casting“. Es wird keine breite Masse erreicht, sondern die Konzentration liegt auf Teilöffentlichkeiten und die Ansprache ist direkter, individueller und dialogorientierter gestaltet. (vgl. Ebd., S. 18) Umgekehrt ist das Nutzungsverhalten der „Google-Welt“ durch „Narrowsearch“ gekennzeichnet und damit durch die Suche nach spezifischen Informationen, die in anderen Medien möglicherweise nicht zu finden sind. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 85) Hinzukommt, dass mit der zunehmenden Verbreitung der Internetnutzung die Zielgruppen immer ausdifferenzierter werden. (vgl. Dowe 2009, S. 71) Eine Möglichkeit, die sich daraus bietet, ist 60 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf die zielgruppenorientierte Kommunikation und Ansprache in sozialen Netzwerken. Allerdings ist das Verhalten dieser Zielgruppen und ihrer Nachfrage nach bestimmten Informationen nicht statisch, sondern dynamisch. So entstehen neue Anforderungen an die Kampagnenführung dadurch, dass eine regelmäßige Beschäftigung mit den Zielgruppen und neuen Trends notwendig ist. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 23) 4.2.2. Kommunikation in Nischennetzwerken Im Gegensatz zum Leitmedium Fernsehen, das durch „Broadcasting“ gekennzeichnet ist (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 85), ermöglicht das Internet, im Speziellen Social Networks, eine Kommunikation in Teilöffentlichkeiten bzw. Nischen. Das können zum Beispiel junge Wähler oder Minderheitengruppen sein (vgl. Sweetser Trammell 2007, S. 1255) Im Wahlkampf können Politiker und Parteien daher in diesen, an bestimmte Themen oder Zielgruppen angepassten Räumen, Themen unterbringen, die spezielle Wählergruppen betreffen. Eine solche Teilöffentlichkeit können Gruppen in General-Interest-Netzwerken wie Facebook sein, in denen besondere Themen diskutiert werden oder eigene Nischen-Netzwerke, die nur auf spezielle Themen oder Zielgruppen fokussiert sind. Solche Nischennetzwerke wurden in die Kampagne zur Präsidentschaftswahl von Barack Obama eingebunden. Beispiele dafür sind seine Profile auf BlackPlanet.com, einem afro- amerikanischen Netzwerk und MiGente.com, einem Social Network für die Community der Hispanics. 61 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf So adressieren sich zahlreiche Blogeinträge auf der Plattform MiGente.com gezielt an die US-Bürger lateinamerikanischen Ursprungs: Abbildung 5: Blogeintrag in Obamas Profil auf MiGente.com Quelle: http://www.migente.com/your_page/blog/index.html?profile_id=5162830&profile_na me=Barack_Obama&user_id=5162830&username=Barack_Obama&c=119&p=4 (01.09.2009) Auf BlackPlanet.com zeigt sich Obama in einem Video bei einem Besuch beim Frisör in South Carolina und in einem bürgernahen Austausch mit der afroamerikanischen Community. 62 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Abbildung 6: Video Obamas auf BlackPlanet.com Quelle: http://www.blackplanet.com/your_page/videos/view.html?video_id=683055&video_ user_id=51448442&profile_id=51448442&profile_name=Barack_Obama&user_id= 51448442&username=Barack_Obama (01.09.2009) Übertragen auf die Funktionen von Identitätsmanagement und Beziehungsmanagement, läuft in diesen Nischen das Identitätsmanagement themenspezifischer ab und es entsteht eine Beziehung zu besonderen Wählergruppen. In den zuvor vorgestellten Beispielen wären das kulturelle Minderheiten. 4.2.3. Relevante Zielgruppen im Social Web 4.2.3.1. Die Sympathisanten Im Internet findet eine starke Selbstselektion durch die User statt. Sie entscheiden selbst, was sie sehen, lesen, hören oder in einer anderen Weise nutzen wollen. Folglich ist es schwer, mit politischen Inhalten Nichtwähler oder politisch Uninteressierte zu erreichen. Umso besser bieten sich daher politisch Interessierte an, vor allem die eigenen Unterstützer. Wie bereits im vorigen Kapitel beschrieben wurde, eignen sich solche gut für die Mobilisierung ihrer eigenen Umgebung und sind daher als Zielgruppe besonders nützlich für Parteien. Sie sind nicht nur in ihren Online-Netzwerken sehr einflussreich, sondern auch in ihrem persönlichen Freundes- und 63 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Bekanntenkreis abseits des Internet. (vgl. Manuel Merz im Interview, Pumberger 2009, o.S.) Im französischen Wahlkampf 2007 setzte die Kampagnenführung der beiden Präsidentschaftskandidaten auf Sympathisanten als freiwillige Helfer anstelle professioneller Vermittler. So wurden Blogger als Unterstützer umkämpft, da ihnen mehr Glaubwürdigkeit zugesprochen wurde als bezahlten PR-Mitarbeitern. (vgl. Dowe 2009, S. 72) 4.2.3.2. Meinungsführer und „Poli-fluentials“ Das Modell des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation (Two-stepflow of communication) nach Paul Lazarsfeld basiert auf der Annahme, dass die Botschaft der Massenmedien einen Großteil der Bevölkerung nicht direkt erreicht, sondern zuerst den Meinungsführer und über diesen dann die weniger aktiven Rezipienten (Vgl. Lazarsfeld/Berelson/Gaudet 1948, S. 151) Die Kommunikation zwischen den Medien und potentiellen Wählern erfolgt daher großteils in zwei Stufen. Die Meinungsführer oder Opinion Leader sind dadurch gekennzeichnet, dass sie einen intensiveren Kontakt mit den Massenmedien haben als die „nonleaders“, dass sie versuchen, andere von ihrer politischen Meinung zu überzeugen oder von den „non leaders“ als Ratgeber herangezogen werden. (vgl. ebd. S. 50 ff.) Studien aus Deutschland und den USA zeigen, dass unter den Nutzern von Onlinewahlkampf-Auftritten im Internet besonders viele Meinungsführer vertreten sind. Sie sind von ihrer politischen Kompetenz überzeugter als andere Nutzer und investieren mehr Zeit in die Nutzung politischer Angebote im Internet, darunter die Suche nach politischen Informationen oder Lesen von Blogs oder Veröffentlichung eigener Inhalte. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 35; 64 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Darr/Graf 2007, S. 17) Darr und Graf (2007, S. 3) sprechen im konkreten Fall von „Poli-fluentials“. Diese sind nicht nur Meinungsführer, sondern gelten speziell in politischen Fragen als besonders einflussreich. Sie sind eine relevante Zielgruppe für den Wahlkampf im Social Web, die es zu überzeugen gilt, da sie eher andere Wähler von ihrer Präferenz überzeugen werden als andere Internetnutzer. Die Einbindung bereits entschiedener Meinungsführer in die OnlineKampagne könnte daher für die Partei von Vorteil sein. Dies könnte beispielsweise durch Online-Communities erfolgen. (vgl. Merz/Rhein/Vetter 2008, S. 35 ff.) 4.2.3.3. „Digital Natives“ Nicht nur die eigene Anhängerschaft, auch Sympathisanten oder Erst- beziehungsweise Wechselwähler können zielgruppenspezifisch angesprochen, zeitnah informiert und gegebenenfalls mobilisiert werden. Besonders interessant für die Parteien ist dabei die Zielgruppe der sogenannten „Digital Natives“ bzw. jüngere, internetaffine, jedoch meist eher politikferne Internetnutzer. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 24) Auch Welker und Zerfaß (2008, S.12) sehen das mangelnde Interesse gerade junger Zielgruppen als Hindernis. Die Verfasserin kritisiert allerdings die Vereinfachung der Zielgruppe der Internetnutzer auf Basis ihres Alters. Vielmehr ist auch eine weitere Differenzierung nach anderen Aspekten wie dem Bildungsstand notwendig. Nur so können auch neue Chancen und Grenzen sowie Herausforderungen ermittelt werden. So entsprechen „Politblogger“ nicht der Definition der jungen, politikfernen Internetnutzer. Ergebnisse einer in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführten Umfrage zeigen: Sie haben tendenziell ein höheres formales Bildungsniveau und gehören 65 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf nur selten in die Zielgruppe der Jugendlichen, sondern sind tendenziell älter als übrige Blogger. (vgl. Tabelle 4) Ähnliche Merkmale weisen auch Leser politischer Blogs auf, zumal diese auch selbst zum Großteil „Politblogger“ sind. (vgl. Schmidt/Paetzolt/Wilbers 2006, S. 32 ff.) Tabelle 4: Soziodemographische Merkmale der „Politblogger“ in % Politblogger Anteil Übrige Blogger 35,7 64,3 Jünger als 20 Jahre 5,8 14,1 20 bis 29 Jahre 43,4 40,7 30 bis 39 Jahre 28,2 27,0 40 bis 49 Jahre 14,1 13,7 Über 50 Jahre 8,5 4,6 Deutschland 84,1 81,3 Österreich 7,6 10,6 Schweiz 4,6 5,3 Aus einem anderen Land 3,7 2,8 Keine Angabe 1,0 2,5 Kein Schulabschluß 0,3 1,3 Volksschule/Hauptschule 2,6 3,6 Mittlere Reife 11,0 16,4 Abitur / Matura 45,5 42,4 (Fach-)Hochschulabschluß 39,6 33,8 Alter (N=1215) Land (N=1220) Bildungsstand (N=1111) Quelle: in Anlehnung an Schmidt, Paetzolt, Wilbers 2006, S. 32 Eine differenziertere Ansicht als Novy und Schwickert (2009, S. 24) vertritt Schmidt (2009a, o.S.), der eine spezielle Zielgruppe im Internet nennt: relativ Junge und gut ausgebildete Wissensarbeiter aus IT-, Medien-, Kultur- und Wissenschaftsbereichen. Er lehnt dabei an die von Stöcker (2009, S.1) definierte „Generation C64“ an, die mit Computern aufgewachsen ist und für die das Internet zum Alltag gehört. 66 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Prenksy (2001, S. 2), der die Gruppe der „Digital Natives“ definiert hat, stellt diese den „Digital Immigrants“ gegenüber. Diese sind nicht in der digitalen Ära großgeworden, sondern mussten sich erst an die neuen technologischen Entwicklungen und ihre neue Umwelt anpassen. Eine gänzliche Angleichung an die „Digital Natives“ findet jedoch trotz des Lernprozesses nicht statt. Prensky setzt einen Vergleich zur allgemeinen Vorstellung von Immigranten, die sich noch immer durch ihren Akzent von Inländern unterscheiden. Er spricht in diesem Zusammenhang vom „digital immigrant accent“. Dieser „Akzent“ äußert sich beispielsweise darin, dass solche „Digital Immigrants“ auf der Suche nach Informationen zuerst zu klassischen Medien greifen und dann erst zum Internet. (vgl. Ebd., S. 2) Übertragen auf politische Kommunikation entspricht ein solcher „digital immigrant accent“ beispielsweise der Übertragung klassischer PR ins Kommunikationskultur Internet der neuen ohne Anpassung Medien. Politiker an die und PR- Mitarbeiter, die nicht im Umgang mit dem Social Web geübt sind, entsprechen demnach den „Digital Immigrants“. Die Vertreter der „Digital Natives“ sind also grundsätzlich nicht uninteressiert an politischen Inhalten, sondern stellen besondere Erwartungen an die politische Kommunikation im Internet, die nicht mit einseitigen Publikationen durch die politische PR vereinbar ist. So verlangt die Kommunikation in diesen Öffentlichkeiten vielmehr eine Einbindung aller Teilnehmer. (vgl. Ebd) „Für viele Nutzer von Netzwerkplattformen, Blogs und Twitter sind Parteien zunächst einmal Eindringlinge in ihre eigenen kommunikativen Räume, insbesondere wenn Politiker dort nicht authentisch und dialogbereit auftreten.“ (Schmidt 2009, o.S.) Politische PR wird im Social Web eher negativ aufgenommen. Stattdessen wird eine persönliche, authentische Auseinandersetzung 67 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf mit anderen Teilnehmern verlangt. Werden diese Forderungen nach Mitsprache nicht berücksichtigt, so kann sich aufgrund der starken Vernetzung dieser Öffentlichkeiten sehr schnell Kritik im Netz ausbreiten. (vgl. Ebd.) Während in Österreich noch keine Konsequenzen in einem großen Ausmaß zu beobachten sind, zeigt in Deutschland das Beispiel der Debatte über die Netzsperren, dass das Ignorieren dieser Zielgruppe negative Folgen im Online-Wahlkampf bringen kann. Die durch die Familienministerin Ursula von Leyen eingeleiteten und im Bundestag beschlossenen Netzsperren stießen bei der Netzgemeinschaft überwiegend auf große Kritik. Diskussionen in den Netzöffentlichkeiten und eine Internet-Petition mit über 130.000 Unterstützern, die sich dagegen aussprachen, wurden nicht berücksichtigt. Dies führte zu einem großen Widerstand der „Digital Natives“ bzw. „Generation C64“ gegen die SPD und CDU, die für die Umsetzung gestimmt haben. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl äußerte sich der Unmut unter anderem in Gegen-Kampagnen zum (Online-)Wahlkampf der CDU und SPD. (vgl. Zacharakis 2009, o.S.; Stöcker 2009, 1 f.) Ein Beispiel dafür ist der durch den Blog Netzpolitik.org eingeleitete „Schäuble Plakat-Remix Wettbewerb“, bei dem ein Plakatmotiv der CDU, das den Innenminister Wolfgang Schäuble zeigt, nach den Vorstellungen der User verändert und mit neuen Slogans versehen wurde. (vgl. o.V. 2009a, o.S.) Der Original-Slogan lautete „Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit“ (vgl. Abbildung 7). Die durch die User eingereichten Plakatversionen thematisierten dagegen vor allem Überwachung, Freiheitseinschränkung und eine Distanz zum Medium Internet. Die Abbildung 8 zeigt einen Plakat-Remix mit dem Slogan „Wir lesen noch Zeitung, wer braucht das Internet?“ 68 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Abbildung 7: Screenshot: Original-Plakat der CDU Quelle: http://netzpolitik.org/2009/der-schaeuble-plakat-remix-wettbewerb/ (16.09.2009) Abbildung 8: Screenshot: Remix des CDU-Plakats durch einen User Quelle: http://netzpolitik.org/2009/erste-ergebnisse-die-schaeuble-plakat-remixe/ (16.09.2009) Hier stellt die Verfasserin eine kritische Distanz der „Digital Natives“ zu den „Digital Immigrants“, in diesem Fall Politikern, fest. Hier wird der „digital immigrant accent“ kritisiert, der sich in einer stark ausgeprägten Nähe zu den klassischen Medien und einem ungeübten Umgang mit dem Internet äußert. Den „Digital Immigrants“ wird durch die „Digital Natives“ keine ausreichende Kompetenz zugesprochen, wichtige Entscheidungen im Bezug auf das Internet treffen zu können. Und dennoch treffen sie relevante Entscheidungen, beispielsweise über die Netzsperren. Stöcker (2009, 69 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf S. 2) spricht von einer Dominanz „von Menschen, für die das Internet eine fremde Welt ist, Computer ein fremdartiger, potentiell gefährlicher Zeitvertreib.“ (Stöcker 2009, S. 2) Die einen, die digitalen Immigranten, machen Politik für die anderen, die in einer vom Digitalen durchdrungenen Welt leben. Das kann auf die Dauer nicht gutgehen. (Stöcker 2009, S. 2) Dadurch wird der Widerstand jener Bevölkerungsgruppe größer, die im Umgang mit dem Internet sehr erfahren ist, jedoch wenig Mitspracherecht hat. Das kann sich dann vor allem im OnlineWahlkampf und damit auch im Social Web negativ auswirken. In Österreich lässt sich ein besonderes Wählerverhalten unter den „Digital Natives“ erkennen, das von den bisherigen Wahlergebnissen deutlich abweicht. Das zeigen die Ergebnisse der Befragung der „Politblogger“ und Leser politischer Blogs über ihre Parteipräferenz. So präferiert über die Hälfte der befragten „Politblogger“ und ein Viertel der Leser politischer Beiträge die Grünen als Partei. (vgl. Tabelle 5) Die Verfasserin nimmt an, dass mit der Angabe von Parteipräferenzen eine gewisse Hemmung verbunden ist, die möglicherweise in einigen Fällen dazu geführt hat, dass einige Befragte nicht ihre tatsächliche Präferenz angegeben haben. Dennoch ist die Verteilung sehr eindeutig und würde daher auch bei einer Richtigstellung zugunsten der Grünen ausfallen. 70 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Tabelle 5: Parteipräferenz der Politblogger und Blogleser in Österreich in % N=109/133 Politblogger Leser pol. Beiträge Gesamt SPÖ 14,7 20,2 18,8 ÖVP 8,8 8,1 8,3 FPÖ 0,0 1,0 0,8 LIF 5,9 1,0 2,3 Grüne 55,9 25,3 33,1 5,9 0,0 1,5 0,0 3,0 2,3 2,9 25,3 19,5 2,9 15,2 12,0 2,9 1,0 1,5 Einer hier nicht genannten anderen Partei Weiß nicht Nein, ich neige keiner Partei zu Keine Antwort Ich komme nicht aus Österreich Quelle: Schmidt, Paetzolt, Wilbers 2006, S. 37 4.3. Informationsmanagement Auf der einen Seite besteht die Möglichkeit, den Wähler mit Informationen zu versorgen sowie die Möglichkeit zum Agenda Building, beispielsweise durch Weblogs. Themen, über die Politiker in ihren Weblogs schreiben, werden möglicherweise auch von den Medien aufgegriffen und auf deren Agenda gesetzt. Auf der anderen Seite bieten Blogs von potentiellen Wählern die Möglichkeit, einen Einblick in die Meinungen, Interessen und Präferenzen der Wähler zu bekommen. 4.3.1. Informationsmanagement durch User Im Vergleich zu herkömmlichen Massenmedien werden Informationen im Internet selektiver genutzt. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 17) Orihuela (2003, o.S.) geht von einer neuen Form des Medienkonsums und einer neuen Form der Medienrezipienten in den 71 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf neuen Medien aus. Durch die Entwicklung von der Distribution der Informationen zum Zugang zu einer Fülle aus Informationen und vom Publikum zum User wird der Umgang mit Informationen interaktiver, und der User entscheidet selbst, was er suchen und konsumieren wird. Der Leistung des Social Web für das Informationsmanagement steht die Herausforderung der begrenzten Aufmerksamkeit gegenüber und eine Veröffentlichung der Botschaft bedingt nicht gleich die Nutzung der präsentierten Inhalte. (vgl. Welker/Zerfaß 2008, S. 12) Da jeder die Möglichkeit hat, seine Botschaften öffentlich zu verbreiten, wird eine Fülle an Informationen gesammelt. So sind es hier die User selbst, die als Gatekeeper agieren und aus dieser Informationsflut die für sie relevanten Informationen herausfiltern. (vgl. Neuberger/Welker 2008, S. 23) Sind sie bei der Informationssuche nicht an der Darstellung eines bestimmten Politikers interessiert, sondern wollen sich stattdessen zu einem bestimmten Thema informieren, werden sie nach Begriffen zu diesem Thema in einer Suchmaschine suchen oder ausgehenden Hyperlinks auf gefundenen Websites folgen. (vgl. Zimmermann 2007, S. 6) Für politische Akteure bedeutet das, eine mögliche Informationsquelle für die potentiellen Wähler zu sein, jedoch auch große Anforderungen an die Aufbereitung der Informationen, da der Nutzer selbst nach eigenen Kriterien selektiert. Auch wenn mit der direkten Kommunikation im „Social Web“ die Filterung durch Journalisten wegfällt, spielt die Relevanz der Botschaft damit noch immer eine wesentliche Rolle. Übertragen auf die Funktionen nach Schmidt (2007, S. 32) bedeutet das, dass in diesem Fall die Parteien und Politiker im Social Web Identitätsmanagement Internetnutzer betreiben, währenddessen die potentiellen Wähler Informationsmanagement. als Die 72 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Informationen werden vom potentiellen Wähler erst dann genutzt, wenn sie für ihn relevant sind (vgl. Abbildung 9). Abbildung 9: Zusammenspiel von Identitäts- und Informationsmanagement in der Wahlkampfkommunikation Social Web Partei Informations- Identitäts- management management Wähler … Quelle: eigene Darstellung Ein Beispiel dafür ist der Microblogging-Dienst Twitter, der für die politische Kommunikation im Internet immer bedeutsamer wird. Hier können Politiker Kurzbotschaften von höchstens 140 Zeichen veröffentlichen und Nutzer, die die Nachrichten der Politiker abonniert haben, können sie lesen. Politisch Interessierte müssen daher nicht die Webseiten der Politiker aufrufen, um sich zu informieren, sondern bekommen einen Überblick über Twitter. Sie entscheiden zudem selbst, wessen Nachrichten sie rezipieren werden, und abonnieren daher nur die Nachrichten von jenen Twitter-Nutzern, für die sie sich interessieren. (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 22) 4.3.2. Informationsmanagement durch Medien: Agenda-Building über Blogs? Weblogs können auf mehrfache Weise die Meinungsbildung beeinflussen und verändern. Einerseits bieten sie die Möglichkeit zur Massenkommunikation und Individualkommunikation, andererseits stellen sie auch eine Schnittstelle zwischen Nischenöffentlichkeiten und dem gesellschaftlichen Mainstream dar und bringen damit neue Formen der Thematisierung voran. Für politische Akteure kann dieser 73 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Effekt sowohl zu positiven als auch negativen Konsequenzen führen. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 92) Die Stärke der Blogs liegt in der Form der Kommunikationsprozesse, die sich für Parteien und Politiker mit ihren Wählern und/oder Medien anbietet. Diese sind schnell, ungefiltert, dialogorientiert, potenziell argumentativ und authentisch. Allerdings ist die Reichweite begrenzt und der Betrieb aufgrund der ausdifferenzierte Adressaten relativ aufwendig. (vgl. Ebd.) Dennoch sollten Blogs nicht in der politischen Kampagnenplanung unberücksichtigt bleiben. Sie bieten die Möglichkeit zu Diskussionen in Nischen, die sich im Nachgang der Thematisierung von Issues in etablierte und massenmedial strukturierte Öffentlichkeit verlagern können. (vgl. Ebd., S. 96) Ein derartiger Prozess wird in Abbildung 10 illustriert. So werden Themen bzw. Issues im ersten Schritt problematisiert und noch von Insidern diskutiert. Das können zum Beispiel Politblogs sein, in denen Blogger auf Missstände hinweisen und mit ihren Lesern und anderen Bloggern darüber diskutieren. Werden diese Issues in der Blogosphäre verbreitet und erreichen sie dort zunehmend Aufmerksamkeit, werden sie aus der Blogosphäre von den Massenmedien aufgegriffen und gelangen über diese zum Mainstream. Mit den Themen in den Schlagzeilen der Massenmedien wird der Höhepunkt der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erreicht. Mit der Zeit verlieren die Issues wieder an Bedeutung und werden wieder in den Nischen diskutiert, die natürlich nun andere sein können als zu Beginn der Thematisierung. (vgl. Ebd.) 74 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Abbildung 10: Weblogs und Massenmedien im Prozess der Thematisierung und Meinungsbildung Aufmerksamkeit Weblogs Massenmedien Weblogs (Print, TV, Radio, Online) Nische Mainstream Nische Zeit Quelle: Zerfaß 2005, leicht mod., S. 96 Die Grafik zeigt nicht nur den Zyklus von Issues, sondern weist gleichzeitig auf die Gefahr der Problematisierung von Themen im Bezug auf politische Akteure hin. Wird ein solches, potenziell problematisches Thema, nicht früh identifiziert und reagiert die Krisenkommunikation nicht rechtzeitig darauf, kann die Kritik in den Massenmedien und in der Öffentlichkeit besonders negativ ausfallen. (vgl. Kapitel 4.3.2.2) Die Wechselwirkung zwischen der ausdifferenzierten Diskussion im Internet und der massenmedialen Thematisierung kann von politischen Akteuren auch zum Ziel des Agenda-Building genutzt werden. Dies erfolgt durch eine Definition von Issues und Vermittlung von Botschaften, die sich über die sozialen Netwerke immer mehr ausdehnen. Da Journalisten die Blogosphäre nicht nur dazu nutzen, um Missstände und Skandale aufzudecken, sondern auch um Trends und Meinungen zu beobachten, kann das Agenda-Setting der Massenmedien und damit auch die Agenda der Rezipienten beeinflusst werden. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 101) Einzelne Blogs erreichen zwar keine große Reichweite, sehr wohl aber die „in den Nischen des Internets aggregierte Aufmerksamkeit“ (Ebd.). 75 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Eine Basis für die Verbreitung innerhalb der Blogosphäre bildet unter anderem das Prinzip der Mund zu Mund-Propaganda. Diese wird durch die Möglichkeit, schnell und einfach Kommentare zu verfassen und andere Webseiten zu verlinken, gefördert und kann eine Informationskaskade einleiten. (vgl. Ebd., S. 101 f.) 4.3.2.1. Rollen von Bloggern a) Interessensvertreter und Meinungsmacher In der Rolle der Interessensvertreter befinden sich Blogger, die bestimmte Interessen gegenüber einem Unternehmen oder einer Organisation vertreten. (vgl. Ebd., S. 108) Das können zum Beispiel Unterstützer, aber auch unzufriedene Wähler sein. Gelingt es ihnen, eine öffentliche Debatte über die von ihnen gesetzten Themen auszulösen, so sind diese Blogger Meinungsmacher und sind eine direkte Zielgruppe der politischen Kommunikation. Es ist wichtig, ihre Meinungen und Interessen genau zu analysieren. Der Online-PR-Experte Paul Rand identifiziert drei Arten von OnlineKritikern: 1. Hear me-Blogger wollen sich zu einem Interesse Gehör verschaffen, können jedoch zufriedengestellt werden, in dem zu ihnen Kontakt aufgenommen und das Problem gelöst wird. 2. Reputation Terrorists verfolgen aus persönlichen Gründen das Ziel der öffentlichen Bloßstellung eines Unternehmens oder einer Organisation. Da sie für diese ein besonders hohes Risiko des Imageverlustes darstellen, sind diese besonders konsequent zu beobachten. 3. Competitive Destroyers sind vor allem Konkurrenten, die einen Vorteil erzielen wollen, indem sie dem Unternehmen oder der Organisation schaden. Hier ist eine möglichst offene 76 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf und schnelle Informationspolitik notwendig, um diesen wenige Angriffschancen zu lassen. (vgl. Ives 2004, o.S.) Paul Rand bezieht sich hier vor allem auf Unternehmen, die drei Arten von Online-Kritikern lassen sich jedoch auch auf die politische Kommunikation übertragen. Ein besonderes Risiko stellen für Politiker und Parteien die Reputation Terrorists und Competitive Destroyers dar, da sie durch negative Botschaften einen möglichen Imageschaden verursachen und damit große Nachteile im Wahlkampf bringen können. Als Schutzschild gegen derartige Attacken von Kritikern, insbesondere von politischen Gegnern, dienen Rapid-ResponseBlogs. Darin wird auf Äußerungen, die zu einem Imageverlust führen könnten, unmittelbar reagiert. Da die Nutzer zwar keine besonders aufwendige Aufbereitung der Informationen von einem Blog erwarten, sondern eine zeitnahe Publizierung, eignen sich Blogs ideal für Richtigstellungen von Fehlinformationen aus dem Internet oder anderen Medien. (vgl. Merz/Rhein/Vetter, S. 110) Die Online-Kampagne von Barack Obama bot für Rapid Response zwar keinen Blog, aber eine eigene Plattform. Die Website www.fightthesmears.com wurde eigens dazu eingerichtet, falsche Vorwürfe und Verleumdungen von politischen Gegnern und Kritikern richtigzustellen. (vgl. Abbildung 11) 77 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Abbildung 11: Screenshot: Fighthesmears.com User sollen zu „Watchdogs“ mobilisiert werden und werden gebeten, E-Mails mit Verleumdungen an die Webseite weiterzuleiten Auf der Startseite sind alle falschen Informationen aufgelistet und kurz zusammengefasst. Mit einem Klick auf den Button „Get the Facts“ gelangt der User zur detaillierten Richtigstellung. Quelle: http://www.fightthesmears.com/ b) Navigatoren und Multiplikatoren Multiplikatoren haben zum Beispiel ein reichweitenstarkes Weblog oder genießen in bestimmten Fachöffentlichkeiten ein hohes Ansehen. Ihre Rolle im Social Web ist mit Journalisten in der klassischen Pressearbeit vergleichbar. Im Kommunikationsprozess sind sie keine direkte Zielgruppe, sondern werden indirekt angesprochen, um Botschaften an strategisch relevante Zielgruppen zu vermitteln. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 109 f.) Eine Abgrenzung zu traditionellen Journalisten ist notwendig, da Multiplikatoren als Blogger keine Gatekeeper im klassischen Sinn sind, sondern eher Navigatoren, die eine Orientierung durch die Informationsflut im Internet bieten und irrelevante Informationen herausfiltern. (vgl. Neuberger 2005, S. 207) Zudem ist die häufig ablehnende Haltung gegenüber Zusammenarbeit mit Unternehmen und Pressestellen kennzeichnend, welche eine Zusammenarbeit in Form von klassischer Pressearbeit dadurch nicht möglich macht. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 110) 78 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf 4.3.2.2. Kommunikation in der Blogosphäre Für Kommunikationsverantwortliche besteht die Möglichkeit, sich aktiv an der Diskussion in der Blogosphäre zu beteiligen und dadurch Kontakt mit einflussreichen Bloggern zu knüpfen. Ein Risiko stellt allerdings die Verlinkung vom eigenen Politik-Blog zu Beiträgen von anderen Bloggern, die unter Umständen eine andere Meinung vertreten. Sie werden nämlich durch die Trackback-Funktion auf die Erwähnung im eigenen Weblog aufmerksam und starten mit Kommentaren möglicherweise eine Auseinandersetzung. (vgl. Zerfaß/Boelter 2005, S. 111) Für politische Akteure besteht die Möglichkeit, selbst mit Kommentaren auf Beiträge der Blogger zu antworten. Hier sind Ehrlichkeit und Transparenz äußerst wichtig. Darüber hinaus ist es wichtig, bei Kritik frühzeitig das Gespräch zu suchen und unmittelbare Drohungen zu vermeiden. Die Blogosphäre mobilisiert sich schnell zugunsten des Bloggers und Blog-Leser sympathisieren sich mit dem Blogger, der durch Größe aus Politik oder Wirtschaft bedroht oder angeklagt wird. Martin Oetting (n.J., n.S.) spricht vom „David-gegen-Goliath-Effekt“. Er nennt den Begriff im Zusammenhang mit Unternehmen, die durch Blogger ungerechtfertigt in Kritik geraten. Der Effekt ist jedoch auch auf andere Fälle anwendbar, unabhängig davon, inwieweit die Kritik berechtigt ist. Wichtig ist deshalb ein Monitoring der Blogosphäre, damit problematische Themen früh erkannt werden kann und die Reaktion in Form einer Rapid Response eingeleitet werden kann. Statt Drohungen einer möglichen Klage auszusprechen, ist es sinnvoller, mit Bloggern das Gespräch zu suchen und die Meinungsfreiheit in Blogs zu respektieren. (vgl. Oetting n.J., n.S.) Unabhängigkeit und Freiheit der Meinungsäußerung ist in der Blogosphäre ein wertvolles Gut. (vgl. Zerfaß 2005, S. 36) 79 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Oetting betont, dass es jedoch kaum Mittel gibt, gerechtfertigter Kritik entgegenzuwirken. Hier müssen Unternehmen beispielsweise ihre Produkte oder Dienstleistungen verbessern. (vgl. Oetting, n.J., n.S.) Im Fall eines Wahlkampfs heißt es somit, mit einem verbesserten Wahlprogramm auf die Kritik zu reagieren. Dass sich Drohungen im Wahlkampf negativ auswirken können, zeigt ein Beispiel aus Deutschland: Der Blogger David Schraven warf Hannelore Kraft, der SPD-Chefin von Nordrhein-Westfalen, in einem Blogeintrag vom 16. Juni 2009 eine Manipulation ihres Lebenslaufs vor. Er schrieb darin: „Warum ist aber der Hinweis auf die Zenit GmbH verschwunden? Nicht mal mehr auf den Haupt-Seiten im Internet der damals SPDnahen Firma ist ein Hinweis auf elf Jahre Kraft zu finden. Nun, vielleicht liegt es daran, dass die Zenit GmbH in einem der großen NRW-Förderskandale verwickelt war, in dessen Verlauf vor zwei Jahren auch die Rolle von Hannelore Kraft kritisch hinterfragt wurde.“ (Schraven 2009, o.S.) Zwölf Tage später veröffentlichte derselbe Blogger einen Eintrag, in dem er darüber schreibt, dass er vom Anwalt der Politikerin eine Unterlassungserklärung erhalten hatte. (vgl. Schraven 2009a, o.S.) Unabhängig davon, wie hoch der Wahrheitsgehalt des Bloginhalts ist, erzeugten die Einträge ein breites Echo in der Blogosphäre, über welche sie schließlich in die Leitmedien gelangten. „Angeblich geschönter Lebenslauf: SPD erzürnt Blogosphäre“ (Schmid 2009, o.S.) lautete beispielsweise die Schlagzeile in Spiegel Online Netzwelt oder „Lücke im Lebenslauf: SPD-Politikerin geht gegen Blogger juristisch vor (Stoldt 2009, o.S.)“ die Schlagzeile in Die Welt. Eine Erklärung nach außen lieferte die Politikerin erst in einem Interview mit Spiegel Online und damit erst, nachdem das Thema schon in die Massenmedien und in die öffentliche Debatte gelangt war. (vgl. Schmid 2009, o.S.) 80 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Das Beispiel zeigt, wie schnell sich die Blogosphäre bei kritischen Themen mobilisiert und wie diese dann auch in die Massenmedien gelangen. Für eine Vermeidung von ähnlichen Negativ-Schlagzeilen sind daher folgende Punkte wichtig. • Anpassung an die Besonderheiten der Kommunikationskultur in der Blogosphäre • Monitoring der Diskussionen in der Blogosphäre und ein gut entwickeltes Frühwarnsystem • Rapid Response, beispielsweise in Form von eigenen RapidResponse-Blogs wie im Beispiel fighthesmears.com (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 23; Oetting n.J., n.S.) 4.3.2.3. Nutzung von Blogs durch Journalisten Den Bloggern aus der deutschsprachigen Blogosphäre ist es bisher nur selten gelungen, Agenda-Building zu betreiben und politische Missstände oder Skandale aufzudecken. In dieser Rolle war der professionelle Journalismus wesentlich erfolgreicher. (Vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007, S. 107) Im Vergleich zur deutschsprachigen Blogosphäre haben A-Blogs oder A-list-Blogs, also jene Weblogs mit besonders hoher Autorität, in den USA deutlich mehr politischen Einfluss. Auch wenn die skandalisierende Wirkung politischer Blogs nachlassen könnte, weil Politiker lernen werden, mit ihnen umzugehen, sprechen Drezner und Farrell (2004, S. 20 f.) ihnen auch für die Zukunft eine bedeutende Rolle zu. Studien aus den USA und Deutschland weisen auf eine wachsende Bedeutung der Online-Recherche für Journalisten hin. So zeigt die repräsentative Journalistenbefragung „Journalismus in Deutschland“, dass der zeitliche Aufwand für Recherche pro Tag insgesamt zurückgeht, jedoch der Anteil der Online-Recherche zunimmt. 81 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Durchschnittlich fällt mehr als eine Stunde für Online-Recherche an. (Vgl. Neuberger/Welker 2008, S. 21 f.) Ähnliche Studien aus Österreich konnte die Verfasserin keine heranziehen, jedoch ist hier eine vergleichbare Tendenz zum Rechercheverhalten der deutschen Journalisten anzunehmen. Weblogs dienen bei der Recherche jedoch weniger als Quellen, sondern ähnlich wie Suchmaschinen vielmehr als Suchhilfen. So dienen Hyperlinks häufig als Wegweiser, um an neue Informationen heranzukommen. Neben Blogs kommen auch Wiki-Angebote wie Wikipedia oder „Social Bookmarks“ als Orientierungshilfen für Journalisten hinzu. (vgl. Ebd. 2008, S. 24 f;) 4.3.2.4. Hierarchische Ordnung der Blogosphäre Nicht alle Blogs bekommen die gleiche Aufmerksamkeit. Tatsächlich ist hier eine Hierarchie zu beobachten, die sich darin äußert, dass nur wenige prominente Blogs den Großteil der Nutzer anlocken, während die Mehrheit deutlich geringer genutzt wird. (vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007, S. 108) Das stellt auch Hafner in der New York Times fest: „A few blogs have thousands of readers, but never have so many people written so much to be read by so few.” (Hefner 2004, S. 1) Als Indikator für hohe Aufmerksamkeit gelten unter anderem eingehende Links. Prominente Blogs werden sehr häufig verlinkt, sind tendenziell älter als der Durchschnitt und haben eine hohe Frequenz der Einträge. Bereits etablierte prominente Blogs gewinnen zudem schneller an zusätzlicher Aufmerksamkeit als weniger bekannte Blogs. (vgl. Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007, S. 108) Untersuchungen von Linkstrukturen zeigen: Es führen zwar oft Links von weniger bekannten Blogs auf prominente Blogs, jedoch verlinken 82 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf die A-list-Blogger nicht zurück, sondern verweisen wiederum eher auf andere prominente Blogs. Die Beziehung zwischen prominenten Blogs und denen mit niedriger Autorität ist damit mit der Beziehung zwischen Medien und Publikum in der Massenkommunikation vergleichbar. (vgl. Ebd., S. 109) Von einer gänzlichen Aufhebung traditioneller Hierarchiestrukturen in der Blogosphäre ist daher nicht auszugehen. Da auch interessierte Leser oft mit der Informationsflut, die sich täglich in der Blogosphäre ansammelt, überfordert sind, bilden sich auch hier Mechanismen der Selektion und Konzentration heraus. (Vgl. Holler/Vollnhals/Faas 2008, S. 96) Drezner und Farrell (2004, S. 7 und 14) unterscheiden zwei solche Mechanismen: a) Die Netzwerk-Struktur der Blogosphäre b) Das Verhältnis zwischen der Blogsphäre und Massenmedien Die Struktur der Blogosphäre ist charakterisiert durch ein hohes Maß an wechselseitigen Verbindungen zwischen einzelnen Blogs. Das können Verlinkungen auf einzelne Beiträge, aber auch gesamte Blogs über die Blogroll sein. Daraus entsteht ein dichtes Netzwerk, das eine schnelle Verbreitung von Themen ermöglicht. (Vgl. Holler/Vollnhals/Faas 2008, S. 96; Alby 2007, S. 22 f.) A-Blogs ragen durch ihre starke Vernetzung dabei besonders heraus und bilden Kristallisationskerne oder Focal Points. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie deutlich mehr eingehende Links (Inlinks) als andere Blogs erhalten und in besonders vielen Blogrolls vertreten sind. Sie genießen überdurchschnittlich hohe Aufmerksamkeit, während die übrigen Blogs, gemessen an Inlinks und Datenverkehr, nur geringen Einfluss haben. (Holler/Vollnhals/Faas 2008, S. 96; Drezner/Farell 2004, S. 12 f.) A-Blogs können vorhandene Informationen, die sie zum Teil aus kleineren Blogs erhalten, verdichten und für ihre Leserschaft in komprimierter Form verfügbar machen, indem sie auf andere Blogs 83 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf verlinken oder Themen, die in der Blogosphäre besprochen werden, in ihrem eigenen Blog diskutieren. Sie fassen die Themen somit zusammen und dienen als Filter. Diese Funktion ist vergleichbar mit der journalistischen Selektion aus den Massenmedien. (vgl. Holler/Vollnhals/Faas 2008, S. 97) Das Publikum bleibt jedoch auf Blogleser beschränkt, die in der Bevölkerung noch immer eine Minderheit repräsentieren. Deshalb sind A-Blogs auf reichweitenstarke Mainstream-Medien angewiesen, um eine große Aufmerksamkeit zu bekommen. Holler, Vollnhals und Faas (2008, S. 97), sowie Drezner und Farrell (2004, S. 17) gehen davon aus, dass es hier zu einem mehrstufigen Informationsfluss kommt. A-Blogs stellen Focal Points dar, die Informationen aus der Blogosphäre zusammenfassen und in konzentrierter Form an die Blogleser, aber auch an Journalisten vermitteln. Übertragen auf den Wahlkampf, stellen sich solche A-Blogs als besonders erfolgskritisch heraus, da sie mit ihren Botschaften mehr Leser erreichen, aber auch am ehesten geeignet sind, Themen zu setzen. Da dieses Modell aber der US-amerikanischen Blogosphäre entliehen ist, ist die Frage zu beantworten, inwieweit es auch auf die deutschsprachige Blogosphäre anwendbar ist. Ausgehend von dem Modell nach Drezner und Farell (2004), haben Holler, Vollnhals und Faas (2008) die deutsche Blogosphäre analysiert. 4.3.2.5. Deutschsprachige Blogosphäre Die Analyse der deutschsprachigen Blogosphäre ergab, dass es wesentliche Unterschiede zur amerikanischen Blogosphäre gibt. Da Focal-Points durch eine große Zahl an Inlinks, aber auch Outlinks, die auf andere Blogs führen, charakterisiert sind, können nur die Blogs als Focal Points identifiziert werden, die beide Kriterien 84 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf erfüllen. Die Analyse ergab, dass nur drei Blogs über 2.000 Inlinks hatten und lediglich sechs Blogs über 1.000. Zudem stellten Holler, Vollnhals und Faas (2008, S. 98 ff.) fest, dass die Verlinkung zumeist sehr einseitig verläuft, da diese Blogs selbst kaum Outlinks setzen. Im weiteren Schritt wurde das Verhältnis zwischen der deutschen Blogosphäre und Massenmedien auf Basis einer Befragung von 179 Journalisten analysiert. Hier gab weniger als die Hälfte der Befragten an, Blogs zu lesen. (vgl. Abbildung 12). Daher kann angenommen werden, dass die Inhalte von Blogs nur einen geringen Einfluss auf die massenmediale Berichterstattung haben. Noch geringer ist die Nutzung politischer Blogs. Blogs wird unter anderem die Eigenschaft zugeschrieben, schnell auf Ereignisse und Informationen reagieren zu können. Klassische Medien können dann davon profitieren, wenn sie Blogs auch zeitnah verfolgen. Allerdings ergab die Befragung, dass nur jeder fünfte und damit weniger als die Hälfte der Blog lesenden Journalisten mehrmals in der Woche Blogs liest. Noch weniger sind selbst in der Blogosphäre aktiv und betreiben selbst einen Blog oder kommentieren andere Blogeinträge. (vgl. Ebd., S. 104 f.) Abbildung 12: Blognutzung der befragten Journalisten Quelle: Holler/Vollnhals/Faas 2008, S. 104, mod. 85 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Ein weiterer Unterschied zur amerikanischen Blogosphäre ergibt sich daraus, dass es nicht unbedingt Focal Points sind, die in der Nutzung der Blogosphäre durch Journalisten dominieren. Auffällig ist auch die Tendenz zu Blogs, die von klassischen Medien betrieben werden. (vgl. Ebd., S. 105 f.) Die Journalisten wurden außerdem zu ihrer Einstellung zu Blogs befragt. Dazu mussten sie Aussagen auf einer fünfstelligen Antwortskala beantworten. Holler, Vollnhals und Faas (2008, S. 106 f.) definierten dazu folgende Aussagen: • Blogs zeigen Trends • Blogs können als Inspirationsquelle zur Themenfindung dienen • Blogs können als Informationsquelle bei Recherchen dienen • Die Blogosphäre insgesamt, d.h. die Summe aller einzelnen Blogs, liefert ausgewogene Informationen • Blogs stellen eine Konkurrenz zum klassischen Journalismus dar Die Befragung ergab, dass lediglich die Aussage „Blogs zeigen Trends“ im Durchschnitt etwas mehr Zustimmung als Ablehnung bekam. Alle anderen wiesen negative Mittelwerte auf. Allerdings wurde auch festgestellt, dass Journalisten, die mehr Erfahrung mit Blogs haben, die einzelnen Dimensionen deutlich besser bewertet haben. (vgl. Ebd., S. 106 ff.) Die Analyse der Struktur der Blogosphäre und die Befragung der Journalisten zeigen, dass die Blogosphäre noch nicht so ausgereift ist wie die amerikanische und dass die Distanz der klassischen Medien zur Blogosphäre das Agenda-Building-Potenzial hemmt. Die besseren Bewertungen der Blogosphäre durch Journalisten, die mit Blogs besser vertraut sind, zeigen jedoch, dass sich die Lage in Zukunft ändern könnte, wenn die Blogosphäre ausgereifter ist. 86 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Berendt, Schleger und Koch (2008, S. 76) analysierten in ihrer Studie die deutschsprachige Blogosphäre. Ziel der Studie war die Ermittlung von Ergebnissen zum Reifegrad, der Politisierung und den Themen der deutschsprachigen Blogosphäre, sowie zu ihrem Bezug zu den Nachrichtenmedien. Die Ergebnisse deuten ebenfalls auf einen niedrigen Reifegrad hin. Deutschsprachige Blogs sind deutlich schwächer verlinkt als amerikanische und bilden unter einander eine relativ geschlossene Gemeinschaft. Zudem ist der Anteil politischer Inhalte bei weitem geringer als in den USA. (vgl. Ebd., S. 94) Die Ergebnisse der beiden Studien beziehen sich zum Großteil auf deutsche Blogs und die Befragung lediglich auf Journalisten aus Deutschland. Die Verfasserin nimmt hier allerdings ähnliche Tendenzen zur deutschen Blogosphäre in der Gegenüberstellung mit der amerikanischen an. Aufgrund des geringen Anteils österreichischer Blogs an der deutschsprachigen Blogosphäre und der geringeren Dichte der österreichischen Blogosphäre, geht die Verfasserin hier von einem noch niedrigeren Reifegrad aus und schätzt das Potenzial des Agenda-Building über Blogs, gering ein. 4.4. Fallbeispiel: Blog von Christoph Chorherr Für eine Verdeutlichung der drei Funktionen des Social Web analysiert die Verfasserin als Fallbeispiel den Blog des Politikers Christoph Chorherr (Grüne Wien): http://chorherr.twoday.net/. Hier sind bisherige Erkenntnisse aus dem Kapitel 4 in einem Beispiel vereint. 4.4.1. Identitätsmanagement Mit dem eigenen Blog, in dem ein Politiker über Themen schreibt, die ihm wichtig sind, wird die Hürde des journalistischen Filters 87 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf überwunden. Vor allem eine Partei wie die Grünen, die als kleine Partei und Oppositionspartei eine geringere Chance hat, Zugang zur Öffentlichkeit zu bekommen und ihre Themen in der Medienagenda zu platzieren, kann einen Blog dazu nutzen, um Identitätsmanagement zu betreiben. Ein Anliegen von Christoph Chorherr ist beispielsweise die Verbesserung des Wiener Radnetzes. Hierzu ist im Blog eine eigene Kategorie angelegt, die sich nur mit dem Thema Rad und Mobilität beschäftigt. Die Möglichkeit wird genutzt, detaillierte Informationen ohne vorgegebene Einschränkungen der Länge zu liefern. Im Videoblog, das in der Abbildung 14 gezeigt wird, wurde zu dem Thema ein YouTube-Video zum „Plädoyer für das Radl“ im Wiener Gemeinderat eingebunden. Das Video dauert mehr als zehn Minuten und hätte im Fernsehen keine Möglichkeit für eine Präsenz in der Länge bekommen. Allerdings zeigt die deutlich geringe Zahl von 413 Aufrufen des Videos auf YouTube zum 23.09.2009, dass die Veröffentlichung einer Botschaft keinen reichweitenstarken Empfang voraussetzt. Abbildung 13: Videoblog von Christoph Chorherr auf chorherr.twoday.net Quelle: http://chorherr.twoday.net/stories/5781700/ (23.09.2009) 88 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Auf der User-Seite wird Identitätsmanagement dadurch gefördert, dass die Nutzer in den Kommentaren zu den Einträgen Stellung nehmen können und damit ihre eigene Perspektive präsentieren. Es entwickelt sich zwar nicht immer ein Dialog, jedoch entfernt sich der Blog von einer einseitigen Top-down-Kommunikation dadurch, dass auf einige Userbeiträge mit neuen Kommentaren oder neuen Einträgen reagiert wird. Ein Beispiel für das Engagement der User im Online-Wahlkampf ist der im Blog initiierte Plakatwettbewerb. User wurden zur aktiven Teilnahme an der Kampagnengestaltung und zur Produktion von „User Generated Content“ mobilisiert. Sie wurden dazu aufgerufen, selbst Wahlplakate für die Grünen zu gestalten und anschließend auf der Fotoplattform Flickr hochzuladen. Insgesamt wurden 190 Vorschläge eingereicht. (vgl. Mark 2008, o.S.) Die Siegerplakate wurden dann auch tatsächlich in die Kampagne für die Nationalratswahl 2008 eingebunden und plakatiert. In seinem Blog präsentiert sich Chorherr mit den vier Sieger-Plakatmotiven an verschiedenen Standorten in Wien. (vgl. Abbildung 15) Abbildung 14: Plakatwettbewerb der Grünen online – Plakate offline Quelle: http://chorherr.twoday.net/stories/5179312/ (23.09.2009) 89 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Allerdings ist hier zwischen Partizipation im Sinne politischer Mitbestimmung und einer Teilnahme an der Kampagnengestaltung zu unterscheiden. User treten in dieser Aktion lediglich als Wahlkampfhelfer auf, haben aber keine Möglichkeit, im Bezug auf die Inhalte bzw. das Programm mitzuentscheiden. 4.4.2. Beziehungsmanagement Durch die Interaktion mit den Nutzern über Einträge und Kommentare, aber auch durch eine Vernetzung über Links entstehen soziale und hypertextuelle Beziehungen. Hier wird auch die enge Verbindung zwischen Identitätsmanagement und Beziehungsmanagement sichtbar. Auf eine Veröffentlichung eines neuen Eintrags folgen Kommentare oder eine Einbindung anderer Blogger in den eigenen Blog. So verweist zum Beispiel der Blogeintrag „Das Gefährt des Übermenschen“ zum 23.09.2009 23 Kommentare, aber auch Backlinks, die aus anderen Blogs hinausführen und auf den Eintrag verweisen. Im Blog von Christoph Chorherr ist eine Anpassung an die von Novy und Schwickert (2009, S. 17 und 19) genannte zunehmende Orientierung der Wähler an Themen statt an die Parteizugehörigkeit zu beobachten. Als Blog-Kategorien sind Themenblocks wie „Creative economy“, „Energie & Umwelt“ oder „Rad & Mobilität“ gelistet, die durch entsprechende Einträge besetzt werden. Die Partei spielt auch hier durchaus eine Rolle, beispielsweise in den Kategorien „Das kommt, wenn grün kommt“ oder „Wahlkampf 08“, jedoch dominiert im Blog die Themenorientierung gegenüber der Parteiorientierung. Die Verfasserin stellt beim Politiker des untersuchten Blogs auch eine Annäherung an die Gruppe der „Digital Natives“ fest, die zwar Interesse an Politik haben, jedoch gegenüber Politikern im Internet 90 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf kritisch eingestellt sind. So spricht Chorherr im Gespräch mit derStandard.at über „eine mächtige, neue Generation von politisch Interessierten“ (Christoph Chorherr im Interview, vgl. Zielina 2008, o.S.), die sich im Internet bewegt. Er weist zugleich auch auf die mangelnde Erfahrung vieler Politiker im Umgang mit dem Internet und einer geringen Kenntnis über das neue Medium, hin. (vgl. Christoph Chorherr im Interview, Zielina 2008, o.S.) Ein möglicher Indikator für eine Annäherung von der Nutzerseite ist die große Resonanz der Blogosphäre auf den zuvor genannten Plakatwettbewerb. (vgl. Zielina 2008, o.S.) Allerdings kann die Verfasserin auf keine repräsentativen Meinungswerte der österreichischen Blogosphäre zurückgreifen. 4.4.3. Informationsmanagement Wie auch die Funktionen Identitäts- und Beziehungsmanagement wird auch Informationsmanagement von Parteien und Politikern, aber auch ihren Zielgruppen genutzt. So erfährt Christoph Chorherr durch die Kommentare der Nutzer auch die Meinungen und Anliegen potentieller Wähler. Allerdings ist hier zu beachten, dass diese nicht für die Gesamtheit der Wähler repräsentativ sind, sondern lediglich für aktive Blogger und Blogleser, die sich für Politik oder spezielle im Blog behandelte Themen interessieren. Potentielle Wähler agieren im Internet bei der Informationssuche gleichzeitig als Gatekeeper und selektieren jene Inhalte, die für sie relevant sind. (vgl. Neuberger/Welker 2008, S. 23) Einem solchen Nutzungsverhalten kommt ein Blog, der detailliert über spezielle Themen informiert, entgegen. Diskussionen über Themen wie die Kreativwirtschaft oder die Verbesserung der Radwege in Wien können Nutzer, die sich dafür interessieren, auch außerhalb der Wahlkampfzeit an den Blog binden. 91 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Neben dem direkten Informationsaustausch bieten Blogs die Möglichkeit zum Agenda-Building. Die Blogosphäre bildet eine mögliche Schnittstelle zwischen dem untersuchten Blog und den Massenmedien. Der bereits zuvor genannte Plakatwettbewerb ist auch hierfür ein Beispiel und lässt sich auf den von Zerfaß und Boelter (2005, S. 96) beschriebenen Prozess der Thematisierung anwenden. Initiiert wurde die Aktion im Blog von Christoph Chorherr. Die Aufmerksamkeit blieb nicht lange beschränkt auf die Leser des Blogs, sondern stieg durch die Diskussion des Themas in der Blogosphäre. (vgl. Zielina 2008, o.S.) Schließlich erreichte das Thema auch die Massenmedien. So berichteten beispielsweise derStandard.at und die Nachrichtensendung ZIB 2 im ORF über den Plakatwettbewerb. (vgl. Ebd.; Fahrnberger 2008, o.S.) Damit wurde der Höhepunkt der Aufmerksamkeit erreicht. Nach dem Ende der Aktion sank die Aufmerksamkeit und die Diskussion verlagerte sich wieder auf Nischen in der Blogosphäre. Abbildung 15: Thematisierung des Plakatwettbewerbs der Grünen Aufmerksamkeit Weblogs Massenmedien Weblogs (z.B. derStandard.at, ORF) C. Chorherrs Blog à Blogosphäre à Mainstream à Blogosphäre Zeit Quelle: in Anlehnung an Zerfaß/Boelter 2005, S. 96 92 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Allerdings ist an diesem Beispiel zu kritisieren, dass es nicht zum Agenda-Setting nach der Definition von McCombs und Shaw (1972, S. 117) kommt. Diese gehen davon aus, dass Massenmedien einen Einfluss daraus haben, mit welchen politischen Themen sich die Rezipienten auseinandersetzen. Hier werden jedoch nicht politische Inhalte zum Thema gemacht, sondern ein Plakatwettbewerb als eine Form der Kampagengestaltung und damit lediglich die bloße Darstellung der Inhalte. 4.5. Zwischenergebnis Das Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Schwerpunkt der Arbeit, den Chancen und Herausforderungen des Social Web im Wahlkampf. Erarbeitet wurden Identitätsmanagement, diese durch die Funktionen Beziehungsmanagement des und Informationsmanagement nach Schmidt (2007, S. 32), die das Social Web erfüllt. Leistungen des Social Web werden durch neue Herausforderungen begleitet, die – sofern sie nicht bewältigt werden – Nachteile im Wahlkampf bringen können. Die folgende Tabelle fasst die Chancen und Herausforderungen, die durch die im Bezug auf die Funktionen des Social Web entstehen, zusammen: 93 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf Tabelle 6: Chancen und Herausforderungen Chancen Herausforderungen Identitätsmanagement Ungefilterte Kommunikation mit dem Hohe Anforderung an die Authentizität Wähler der Botschaften User als Wahlkampfhelfer Virale Verbreitung der Botschaft Konflikt mit Wahlkampfstrategien, die auf Steuerung ausgerichtet sind Risiko des Kontrollverlustes über Inhalte Beziehungsmanagement Aufbau und Pflege von Beziehungen zu Kritische Einstellung der „Digital Natives“ Wählern gegenüber internet-fremden Politikern Kommunikation mit speziellen Dynamisches Verhalten und dynamische Zielgruppen in Nischennetzwerken Nachfrage der Zielgruppen Aktivierung der Sympathisanten „Poli-fluentials“ als Multiplikatoren Ansprache der internetaffinen „Digital Natives“ als Zielgruppe Informationsmanagement Agenda-Building über Blogs Informationen über den Wähler Neue Gatekepper-Strukturen und Selektionskriterien Begrenzte Reichweite Geringe Reife der deutschsprachigen Blogosphäre Quelle: eigene Darstellung Die Herausforderungen und entsprechende praktische Beispiele zeigen, dass die Nutzung des Social Web mit Risiken verbunden ist. Selbst wenn der betreffende Politiker oder die Partei entsprechende Plattformen nicht selbst nutzt, können dort Botschaften verbreitet werden, die zu einem Imageverlust führen. Die Hypothese 2 ist damit bestätigt: Durch die Nutzung des Social Web durch Parteien und/oder andere Akteure entstehen Risiken für die Parteien, die bei einer Nicht-Nutzung geringer wären oder nicht auftreten würden. Im Bezug auf Chancen für den österreichischen Wahlkampf ergeben sich neben allgemeinen Möglichkeiten, die für alle Parteien gelten 94 Funktionen und Leistungen des Social Web im Wahlkampf auch spezielle für große Parteien wie die SPÖ oder ÖVP und kleine Parteien bzw. Oppositionsparteien wie die Grünen, FPÖ oder BZÖ. So zeigt ein Beispiel, dass sich die SPÖ auch in der Kommunikation im Social Web an traditionellen Mustern orientiert und versucht, Sympathisanten bzw. Mitglieder im Social Web zu binden und damit dem Zerfall der Parteibindungen entgegenzuwirken. Die Grünen setzen dagegen verstärkt auf eine Themenorientierung und differenzierte Zielgruppenorientierung. Diese Beobachtung entspricht der Annahme von Römmele (2003, S. 8), dass es durch die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie zu allgemeinen Veränderungen in der Parteienkommunikation kommt, jedoch die Parteien die Maßnahmen an ihre speziellen Ziele anpassen müssen. Demnach gibt es keine allgemein gültige Strategie, die alle Parteien anwenden können. Römmele geht zwar vom Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf Parteien allgemein aus. Ihre Annahme ist aber auch auf das Social Web übertragbar: “In brief, while some parties are expected to emphasize the participatory aspects of the new technology, others will focus on the possibilities for top-down information dissemination and broad monitoring of public opinion.” (Römmele 2003, S. 8) Die nachfolgenden Ergebnisse der Experteninterviews sollen einen näheren Einblick in die von Kampagnenverantwortlichen wahrgenommenen Chancen und angewendeten Strategien im Social Web bringen. 95 Experteninterviews 5. Experteninterviews Für eine Vertiefung der Ergebnisse mit Fokus auf die österreichische Wahlkampfpraxis hat die Verfasserin drei Experteninterviews mit Kampagnenverantwortlichen der SPÖ, der Grünen und einer weiteren österreichischen Partei durchgeführt. Die Fragestellungen waren offen, folgten aber einem Leitfaden, der eine Vergleichbarkeit der Antworten gewährleisten sollte. Dennoch kam es in den einzelnen Interviews bei der Vertiefung bestimmter Fragen zu unterschiedlichen Gewichtungen. So konnten die Unterschiede der Parteien in den Einschätzungen und Strategien verdeutlicht werden. Die Experteninterviews wurden deshalb zusätzlich zu den Literaturquellen herangezogen, da die Informationsfülle über den österreichischen Wahlkampf im Bezug auf das Social Web noch sehr gering ist. Sie dienen daher vor allem als Ergänzung und sollen in Fragen mit Österreich-Bezug Lücken füllen. Ziel der Interviews sind somit aus Parteiensicht vermittelte Ergebnisse zur Nutzung des Social Web im österreichischen Wahlkampf. Die Verfasserin weist darauf hin, dass der Begriff „Web 2.0“ wegen der wahrgenommenen höheren Bekanntheit und Verbreitung anstelle des Social Web verwendet wird. Dieser ist jedoch im Sinne des Social Web zu verstehen. Aufgrund einer teilweise erwünschten Anonymisierung der Interviews werden nicht alle Experten namentlich genannt, wodurch jedoch der Wert der Aussagen betreffender Interviewpartner für das Ergebnis der Arbeit nicht beeinträchtigt wird. 5.1. „Shopping Model“ statt Amerikanisierung In der Frage Wahlkampfstrategien nach auf der den Übertragbarkeit österreichischen internationaler Wahlkampf unterstreichen die Ergebnisse der Experteninterviews jene der 96 Experteninterviews Literaturrecherche. Alle drei Experten schließen eine Eins-zu-einsAdaption amerikanischer Wahlkampfstrategien im österreichischen Wahlkampf aus. Die Vorstellungen über den Umgang mit internationalen Vorbildern entsprechen auch im Bezug auf die Strategien im Social Web dem „Shopping Model“ nach Kamps (2007, S. 69). Besonders deutlich lässt sich diese Orientierung an folgenden Aussagen erkennen: „Man kann sich schon die ein oder andere Idee holen und sagen: ‚Ok, das finden wir jetzt gut und das können wir ein bisschen abgewandelt auch machen‘, aber ein Eins-zu-eins-Vergleich zwischen Amerika und Österreich ist nicht möglich.“ (Potzmader 2009, Experteninterview) „Ich glaube, man kann sich sehr stark an internationalen Vorbildern orientieren, allerdings nur, wenn es darum geht, sich Ideen und Anregungen zu holen. Die eigene Kampagne muss dann anders aussehen, nicht deswegen, weil man sich vorwerfen lassen will, dass man es eins-zu-eins kopiert hat, sondern weil die Strukturen bei uns anders sind.“ (Zlousic 2009, Experteninterview) „Es schaut sich jede Partei an, nach welchen Parametern das [gemeint sind Aktivitäten amerikanischer Politiker/Parteien im Web 2.0, d. Verf.] gestrickt ist oder wie das funktioniert und versucht das Beste für sich herauszuholen. Und da findet man einen Teil, der interessant ist oder inspirierend und den man auch vielleicht in Österreich umsetzen könnte.“ (Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview) Zwar stellt die Wahlkampf- und Kampagnenleiterin der Grünen, Beate Potzmader, auch in Österreich eine Tendenz in Richtung Personalisierung fest, betont jedoch, dass zumindest in der eigenen Partei die Orientierung an der Partei und dem Programm stärker ist. Stattdessen weisen alle drei Experten auf wesentliche Unterschiede 97 Experteninterviews in den einzelnen Ländern hin, die eine Anpassung internationaler Strategien an Österreich erfordern. Genannt werden zum Beispiel unterschiedliche Größenverhältnisse in der Einwohnerzahl oder grundliegende Unterschiede in den Parteistrukturen oder im Wählerverhalten. So ist die Funktionärsstruktur in den USA nicht so stark ausgeprägt wie in Österreich, die Unterstützung der Wähler auf Freiwilligenbasis umso stärker. Amerikanische Wähler sind leichter als Wahlkampfhelfer in politischen Kampagnen zu mobilisieren und die Bedenken über die Transparenz persönlicher Daten geringer. Ein zielgenaues Targeting der Wähler nach dem amerikanischen Muster, das auf Datamining basiert, ist in Österreich schon aufgrund der Datenschutzbestimmungen nicht möglich. Als weiteres Kriterium kommen die geringeren finanziellen Ressourcen, die im Wahlkampf zur Verfügung stehen, hinzu. Marko Zlousic, der die Web-2.0-Kampagne der SPÖ zur Europawahl geleitet hat, weist im Interview auf eine höhere Entwicklungsstufe des Internet und seiner Nutzung in den USA hin, die in Österreich erst erreicht werden muss. Die befragte Kampagnenverantwortliche einer anderen Partei stellt auch einen Bezug zur Verbreitung nationaler Fernsehsender und die Bedeutung des Fernsehens für den Wahlkampf her, worin sich Österreich erneut von den USA unterscheidet: „Man darf natürlich nicht vergessen, dass das Internet in den Vereinigten Staaten deswegen so eine Kraft hat, weil die nationalen Sender begrenzt sind, das Land aber sehr riesig ist. Das Internet ist daher das Medium für den gesamten Bereich.“ (Kampagnenverantwortliche A 2009) Die befragten Experten bestätigen die Hypothese, dass die Erfolgsfaktoren der Wahlkampfstrategien in den USA nicht gänzlich denen in Österreich gleichen. Die Verfasserin schließt aus den Interviews auch, dass eine Umsetzung internationaler Strategien stets mit einer Anpassung an nationale Rahmenbedingungen erfolgt. 98 Experteninterviews 5.2. Das Social Web im österreichischen Wahlkampf 5.2.1. Identitätsmanagement Bei den Vorteilen des Social Web gegenüber klassischen Medien und bisherigen Formen der Online-Kommunikation sind sich die befragten Experten in folgenden drei Punkten einig: • Direkte, ungefilterte Kommunikation mit dem Wähler • Dialog und Interaktion mit dem Wähler • Partizipation der Wähler Im Vergleich zu bisherigen Online-Kommunikationsinstrumenten, die ebenfalls eine direkte und ungefilterte Kommunikation mit dem Wähler ermöglichen, wird im Zusammenhang mit Anwendungen des Social Web vor allem die Chance zum zweiseitigen Austausch mit dem Wähler und die damit verbundene Feedbackfunktion und Partizipation betont. Eine befragte Kampagnenverantwortliche spricht von einer Entwicklung des Internet vom „Verkündigungsmedium“ zu einem Medium, in dem auch vom Nutzer Feedback zurückkommt: „Davor war das Web eine Art Verkündigungsmedium, eine OneWay-Richtung wie das Radio und das Fernsehen. Und jetzt kommt etwas zurück, was wir als sehr positiv empfinden.“ (Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview) Auch hier unterstreichen die Ergebnisse die aus den Grundlagen der Kommunikations- und Politikwissenschaft und aus den Funktionen des Social Web hervorgehenden Chancen. Sie bestätigen zudem, dass in der österreichischen Wahlkampfpraxis die Ziele der direkten und ungefilterten Kommunikation mit dem Wähler und zur Bottom-upKommunikation verfolgt werden. Eine Anforderung, die an die Kommunikation im Social Web gestellt wird, ist die Authentizität. (vgl. Manuel Merz im Interview, Pumberger 2009, o.S.) Die Experten sind sich der Notwendigkeit bewusst, das 99 Experteninterviews Social Web von einem Publikationsmedium für standardisierte PRBotschaften zu trennen, und setzen in der Kommunikation mit Wählern unterschiedliche Schwerpunkte: So nimmt die Wahlkampfkommunikation der Partei X Distanz zu Nischennetzwerken und bedient stattdessen eine begrenzte Zahl an Plattformen wie YouTube und Flickr, die dann jedoch intensiver bedient werden. Die befragte Expertin betont die Wichtigkeit, dass die Plattform zum Image der Partei und der jeweiligen Politiker passt und dass der Politiker seine Profile auch selbst betreut. (vgl. Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview) Auch Marko Zlousic von der SPÖ hebt die Wichtigkeit der Authentizität der Botschaften hervor und nennt als Beispiel die Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas, die sich auf Facebook persönlich mit den Nutzern austauscht. Ebenso wie bei der der Partei X wird auch hier die Präsenz auf bestimmte Netzwerke begrenzt. Im Bezug auf Nischennetzwerke wird auf die Größe der Partei und die Parteistruktur hingewiesen, die eine zentrale Bedienung kleinerer Netzwerke erschweren. Stattdessen wird auf Untergruppen der Partei als Träger der Botschaft gesetzt, die diese in ihren Netzwerken verbreiten. (vgl. Zlousic 2009, Experteninterview) Die Grünen setzen in Nischennetzwerken auf Teilorganisationen und orientieren sich im Vergleich zu den größeren Parteien stärker an Themen und Zielgruppen. Ein Beispiel ist die Präsenz der „Grünen Andersrum“ in Netzwerken für Homosexuelle oder TransgenderNetzwerke. (vgl. Potzmader 2009, Experteninterview) Aus den Grundlagen der Politik- und Kommunikationswissenschaft geht hervor, dass Oppositionsparteien eine geringere Chance haben, Themen auf die Medienagenda zu platzieren als Regierungsparteien. (vgl. Klingemann/Voltmer 1998, S. 398) Die Verfasserin versuchte deshalb zu erfahren, inwieweit das Social Web durch kleine Parteien 100 Experteninterviews und Oppositionsparteien als weitere Möglichkeit genutzt wird, um Themen zu platzieren. Beate Potzmader sieht das Internet in der Tat als eine neue Möglichkeit für die Grünen, Themen zu diskutieren, die in traditionellen Medien nicht untergebracht werden können: „Gerade für eine kleinere Partei oder Oppositionspartei, die diese Breitenwirksamkeit in den Medien nicht zusammenbringt ist das Web schon eine Option, gerade wenn es um zielgruppenorientierte Themenstellungen geht.“ (Potzmader 2009, Experteninterview) Eine Problematik, die alle Kampagnenverantwortlichen im Zusammenhang mit dem Input durch die User ansprechen, sind Beleidigungen und Beschimpfungen in User-Kommentaren. Grund dafür sind vor allem die Anonymität und der geringe Aufwand bei der Erstellung der Kommentare. Bei einer Plattform wie www.wahltotal.at, bei der die User über Videos persönlich Fragen an Politiker stellen, ist die Anonymität aufgehoben und auch der Aufwand der Erstellung von Botschaften ist größer. Die Bewertung der Experten der Plattform fällt dabei unterschiedlich aus. Ein Grund, der für die Einbindung der Plattform wahltotal.at in die Wahlkampfkommunikation spricht, ist die ernst gemeinte Absicht und Mühe, die hinter den Videoaufnahmen durch die User steckt. (vgl. Zlousic 2009, Experteninterview) Die geringe Reichweite wird allerdings als Ausschlusskriterium genannt. (vgl. Potzmader 2009, Experteninterview) Die deutlichen Abweichungen in der Bewertung der genannten Plattform entsprechen dem Konflikt zwischen Offenheit und Steuerung. So reduziert ein höherer Aufwand bei der Contenterstellung möglicherweise destruktive Kommentare, stellt aber auch eine Barriere für potentielle Teilnehmer dar. (vgl. Brunauer 2008, S. 262) 101 Experteninterviews Diese Form der Kontrolle kann sich schließlich negativ auf die Reichweite auswirken. Ein Argument für die Nutzung von Plattformen wie wahltotal.at ist seine parteiübergreifende Orientierung. Eine befragte Kampagnenverantwortliche spricht dazu die Hemmschwelle an, die mit einer Anmeldung auf einer parteiorientierten Webseite verbunden ist: „Es erfordert natürlich ein höheres Maß an Deklaration, sich auf einer Parteiplattform oder einer parteinahen Plattform zu registrieren oder dort auch zu bewegen, weil jeder das nachvollziehen kann. Das ist natürlich sicherlich eine Barriere für die Menschen.“ (vgl. Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview Die Verfasserin vermutet eine Verbindung dieser Barriere zu den Bedenken österreichischer Internetnutzer über die Veröffentlichung persönlicher Daten (vgl. Schwabl 2009, S. 12) und damit auch die Information über die politische Orientierung. 5.2.2. Beziehungsmanagement: Zielgruppen Die unterschiedlichen Strategien der drei Parteien, die im Bezug auf Identitätsmanagement angewendet werden, äußern sich auch in Unterschieden im Beziehungsmanagement, insbesondere im Zielgruppenmanagement. Bei der SPÖ als große Partei sind Bestrebungen, OfflineBeziehungen durch das Beziehungsmanagement im Social Web zu unterstützen und zu stärken, erkennbar. Das Beziehungsmanagement der SPÖ konzentriert sich vor allem auf SPÖ-nahe Wähler, die zur Unterstützung und zur Mobilisierung der Menschen in ihrer Umgebung aktiviert werden sollen. (vgl. Zlousic 2009, Experteninterview) 102 Experteninterviews „Die Kampagne richtet sich generell an Leute, die auf irgendeine Art und Weise der SPÖ nahe sind. Sie sind dann entweder SPÖ- Wähler oder Wähler, die ziemlich wahrscheinlich oder vielleicht die SPÖ wählen werden, weil man die natürlich leichter gewinnen kann.“ (Zlousic 2009, Experteninterview) Ein Beispiel dafür ist der Einsatz von Botschaftern bei der Kampagne zur Europawahl (vgl. Kapitel 4.1.3.1) Die Strategie entspricht damit der Vorstellung und Empfehlung des Medienwissenschaftlers Manuel Merz: „Nichtwähler oder politisch Uninteressierte zu erreichen, ist über das Internet sehr schwer. Politisch Interessierte kann man dagegen gut ansprechen, vor allem die eigenen Unterstützer. Das ist keine uninteressante Gruppe, weil diese Leute in ihren persönlichen Netzwerken oft viel Einfluss haben, nicht nur im Internet, sondern auch in ihrem übrigen Freundes- und Bekanntenkreis. Diesen Effekt kann man als Partei unterstützen, wenn man dieser Gruppe nützliche Werkzeuge zur Verfügung stellt.“ (Manuel Merz im Interview, Pumberger 2009, o.S.) Gleichzeitig zeigt sich hier die Bestrebung, Parteibindungen und Mitgliedschaften aufrechtzuerhalten und damit das Social Web dazu zu nutzen, der Erosion der Parteibindungen entgegenzuwirken. Im Interview mit der Kampagnenverantwortlichen einer anderen Partei ist die Verfasserin nur gering auf Zielgruppen eingegangen und kann daher nicht auf genügend Informationen zurückgreifen. Allerdings ist auch hier eine Tendenz zur Nutzung des Social Web als Stütze für die Offline-Kommunikation und Offline-Beziehungen festzustellen. So wird die Fotoplattform Flickr als wichtiger Bestandteil der Kampagnen im Social Web genannt. Hier werden Bilder von Events, 103 Experteninterviews in denen potentielle Wähler mit den Spitzenkandidaten gezeigt werden, hochgeladen und können von diesen heruntergeladen werden. (vgl. Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview) Der Fokus liegt damit noch immer auf den realen Events und OfflineKontakten und das Social Web wird begleitend genutzt. Deutlich differenzierter und themenorientierter ist der Umgang der Grünen mit Zielgruppen, der sich am Trend flexiblerer Formen des politischen Engagements (vgl. Novy/Schwickert 2009, S. 17 und 19) orientiert. Nischennetzwerke und Facebook-Gruppen werden zur Kommunikation spezieller Themen genutzt. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung des Hebammenforums Kindergartenplätze und zur Gratiskindergärten Diskussion mit Eltern. über (vgl. Potzmader 2009, Experteninterview) Auffällig ist, dass eine Zielgruppe nach Vorstellungen der „Digital Natives“ von Prensky (2001, S. 2) lediglich von den Grünen genannt wurde. So nennt Potzmader (2009, Experteninterview) Technikaffine, Internetaffine und TU-Studenten als Zielgruppen, die mit OnlineInitiativen zum Thema Überwachungsstaat und Datensicherheit angesprochen wurden und schätzt die Stammwähler der Grünen als aktive Internetnutzer ein. Das Ergebnis aus dem Interview zeigt daher Parallelen zu den Angaben befragter Blogger und Blogleser zu ihrer Parteipräferenz, die zum Großteil zugunsten der Grünen ausfällt. (vgl. Schmidt/Paetzolt/Wilbers 2006, S. 37) 5.2.3. Informationsmanagement: Agenda-Building Als Beispiel für erfolgreiches Agenda-Building wurde in zwei Interviews Peter Pilz (Grüne), der über seinen Blog Enthüllungen gemacht und es mit diesen Themen in die Medienagenda geschafft 104 Experteninterviews hat, genannt. (vgl. Potzmader 2009, Experteninterview; Kampagnenverantwortliche A 2009, Experteninterview) Hier zeigt sich ein positiver Einfluss einer Themenorientierung der politischen Kommunikation auf das Informationsmanagement. Aus den Interviews, in Verbindung mit bisherigen Ergebnissen aus der Literaturrecherche, leitet die Verfasserin dennoch ab, dass die Chance für Agenda-Building über das Social Web in Österreich noch gering ist. Zwar spricht nur Marko Zlousic die geringe Bedeutung der Blogs für das Agenda-Setting an, jedoch werden auch in den anderen Interviews, abgesehen von Peter Pilz‘ Blog, keine relevanten Beispiele genannt, die auf das Gegenteil hindeuten. 105 Fazit und Ausblick 6. Fazit und Ausblick Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass das Social Web bestimmte Funktionen der Wahlkampfkommunikation besser erfüllt als andere Medien. Die Leistungen des Social Web im Hinblick auf das Identitäts-, Informations- und Beziehungsmanagement eröffnen dabei für Parteien neue Chancen, um bisherigen Herausforderungen im Wahlkampf entgegenzuwirken. Vor allem aus den untersuchten Beispielen und den Experteninterviews geht hervor, dass Parteien im Wahlkampf an unterschiedliche Rahmenbedingungen gebunden sind und deshalb auch im Social Web unterschiedliche Chancen wahrnehmen. So können international erfolgreiche Kampagnen wie die von Barack Obama nicht ohne Anpassung in Österreich umgesetzt werden. Ebenso unterscheiden sich österreichische Parteien untereinander in ihren Anforderungen und Erwartungen an das Social Web. Große Parteien kämpfen beispielsweise mit der steigenden Wählermobilität und der Erosion der Parteibindungen und nutzen das Social Web deshalb zur Bindung von Sympathisanten und Mitgliedern. Im Vergleich zu diesen haben es kleine Parteien dagegen schwerer, mit ihren Themen in die Medienagenda zu gelangen und profitieren im Social Web von der Chance, ihre Anliegen in Blogs und Social Networks zu thematisieren. Neben den speziellen Chancen wurden auch allgemeine identifiziert, die für alle Parteien relevant sind. Sowohl große als auch kleine Parteien nutzen zum Beispiel das Social Web, um die Massenmedien als Gatekeeper zu umgehen und direkt mit ihren Wählern zu kommunizieren, zu interagieren und sie zur Partizipation zu aktivieren. 106 Fazit und Ausblick Der Einsatz von Blogs, Facebook, YouTube und anderen Diensten des Social Web ist auch mit neuen Herausforderungen und Risiken verbunden. Zum Beispiel kann die eigentlich erwünschte Einbindung der User in die politische Kommunikation oder Kampagnengestaltung zu Kontrollverlusten über die Inhalte und Botschaften der Kampagne führen. Ein Wahlkampf im Social Web ist daher auch mit neuen Anforderungen an die Wahlkampfkommunikation verbunden. Dazu gehören Maßnahmen wie das Monitoring relevanter Blogs und ein Rapid Response System, durch welche Parteien bei einem Risiko des Imageschadens frühzeitig eingreifen können. Ebenso ist eine Anpassung an die neue Kommunikationskultur wichtig. So stellen etablierte Nutzer des Social Web eine große Anforderung an die Authentizität der Botschaften und verlangen nach einer Einbindung in Entscheidungen, die nicht mit den auf Steuerung ausgerichteten Topdown-Strategien vereinbar ist. Wichtig ist zudem auch die Relevanz der Botschaften, da dem Identitätsmanagement der Politiker und Parteien die beschränkte Aufmerksamkeit der Nutzer entgegenwirkt. Für die Zukunft des Wahlkampfs bedeutet das einen längerfristigen Lernprozess der Politiker und Kampagnenverantwortlichen, die lernen müssen, mit den Anforderungen des Social Web umzugehen: Es wird ein großer Lernprozess sein und ich glaube, wir werden uns einfach immer Stück für Stück weiterentwickeln. Genauso, wie es im Prinzip in Amerika gegangen ist. Es gibt nicht den großen Sprung und dann hat man es, sondern man muss einfach dazulernen. (Zlousic 2009, Experteninterview) Bisherige Wahlergebnisse zeigen zwar, dass das Social Web im Vergleich zu anderen Medien eine geringere Bedeutung im Wahlkampf hat. Im Bezug auf die zukünftige Entwicklung waren sich 107 Fazit und Ausblick die Experten in den Interviews dennoch darüber einig, dass seine Bedeutung zunehmen wird. Dennoch ist hier keine Ablösung der traditionellen Medien zu erwarten, sondern vielmehr eine Ergänzung in Funktionen, die das Social Web besser erfüllen kann wie zum Beispiel die differenzierte Kommunikation mit speziellen Zielgruppen. So zeigt der Vergleich der Kommunikationskulturen der Gutenberg-Galaxis, McLuhan-Galaxis, Internet-Galaxie und Google-Welt, dass diese unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen und einander – parallel genutzt – ergänzen können. Die Verfasserin nimmt deshalb an, dass das Social Web auch in Zukunft keine vergleichbare Bedeutung für die reichweitenstarke Verbreitung von Botschaften zum Fernsehen spielen wird, sehr wohl aber für den Dialog zwischen Parteien und Wählern, die Einbindung der Wähler in den Wahlkampf und für die zielgruppenorientierte Kommunikation. Noch gering ist derzeit die Chance, über Blogs Agenda-Building zu betreiben. Daher bleibt die Frage offen, wie sich die österreichische Blogosphäre und die Nutzung von Blogs durch Journalisten in Zukunft entwickeln werden und ob Blogs als Informationsquelle eine größere Rolle spielen werden. 108 Literaturverzeichnis 7. Literaturverzeichnis Alby, Tom (2007): Web 2.0. Konzepte, Anwendungen, Technologien. München: Carl Hanser Verlag Althaus, Marco (2007): Der Jedermann als Lobbyist. Grasroots-Modelle in den USA und Europa. In: Althaus, Marco (Hrsg.): Kampagne! 3. Neue Strategien im Grassroots Lobbying für Unternehmen und Verbände. 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