Die Ostsee Jann M. Witt Schauplatz der Geschichte I nhalt 7 Vorwort 8 Die Ostsee – Ursprünge eines Kulturraums 12 Von den Wikingern zur Hanse: Der Ostseeraum im Mittelalter 42 Von Kriegen und Großmächten: Der Norden in der frühen Neuzeit 70 Restauration, Revolution und Reichsgründung: Das 19. Jahrhundert 92 Zeitalter der Extreme: Das 20. Jahrhundert 118 Zwischen Ost und West: Der Ostseeraum nach 1945 136 Wirtschaftliches Wachstum und vereinigtes Europa: Die Ostsee heute 142 Literatur 143 Abbildungsnachweis Narvik Europäisches Nordmeer V RUSS. F Ö D E R AT I O N orwort Tornio SCHWEDEN Trondheim FINNLAND Vaasa Östersund Bottnischer Meerbusen Tampere NORWEGEN Turku Bergen Helsinki Finnischer Meerbusen Åland-In. Uppsala Oslo St. Petersburg Narwa Tönsberg Stavanger Tallinn/Reval Stockholm Birka E STLAN D Dagö Peipussee Die Ostsee verbindet. Bereits früh haben die Ostsee zum Schauplatz der verzweifelten Flucht vie- Menschen im Norden Europas erkannt, dass das ler Deutschen vor der Roten Armee. Während des Wasser kein Verkehrshindernis, sondern ein Kom- Kalten Kriegs standen sich in der Ostsee die Flotten munikationsweg ist. der NATO und des Warschauer Pakts gegenüber. Auch wenn die Ostsee im Gegensatz zum Mit- Heute, fast 20 Jahre nach dem Ende des Ost-West- telmeer meist am Rande des wirtschaftlichen und Konflikts, zählt die Ostsee mit einem Verkehrsauf- politischen Geschehens lag, wurde hier europäische kommen von mehr als 60 000 Schiffen pro Jahr zu Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal geriet die den am dichtesten befahrenen Gewässern der Welt. Ostsee in den Fokus der Geschichte, als die skandi- Vom ersten Einbaum bis zum modernen Container- navischen Wikinger zwischen 800 bis 1050 n. Chr. frachter hat die Schifffahrt die Geschichte des Ost- Europa in Atem hielten. Später bestimmten die Han- seeraums entscheidend mitbestimmt. sestädte das wirtschaftliche und politische Geschehen Dieses Buch erzählt von der wechselvollen im Ostseeraum. Im 17. Jahrhundert wurde der Geschichte der Ostsee und der Völker, die an ihren Kampf zwischen Dänemark und Schweden um die Küsten leben. Vielleicht ist dieses Buch ein Anreiz, Ostseeherrschaft zum dominierenden Konflikt in sich intensiver mit der faszinierenden Geschichte die- Nordeuropa. Das 18. Jahrhundert sah dann den Auf- ses Meeres am nördlichen Rande Europas zu beschäf- stieg Russlands und Preußens zu Großmächten. In tigen. den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde die Ösel Eckernförde, im August 2008 Skagerrak Göteborg Visby Gotland Ålborg Gundestrup Riga Kalmar Kattegat Århus Hälsingborg Odense Ö resu Kopenhagen nd DÄN E MAR K Malmö Karlskrona Memel/ . Klaipeda Ostsee Bornholm Flensburg Schleswig/ Haithabu Königsberg/ Kaliningrad Kiel Fehmarn Stralsund Nord-Ostsee-Kanal Lübeck Rostock Wismar Hamburg D E UTS C H LAN D LETTLAND Öland (R U S S.) L I TA U E N WEISSRUSSLAND Vilnius/ Wilna Rügen Danzig/Gdansk ´ Greifswald Vorwort Marienburg/Malbork POLEN 0 50 100 150 km Jann M. Witt 9 D ie Ostsee – Ursprünge eines Kulturraums Perlen aus baltischem Bernstein gefunden. Im Ge- Mit der Eroberung Galliens durch Julius Caesar genzug fanden die ersten Gegenstände aus Kupfer wurden die germanischen Völker und das römische und Gold den Weg nach Norden, wie beispielsweise Imperium direkte Nachbarn. Über Handelskontakte der Goldring von Schwesing bei Husum aus der Zeit und germanische Krieger, die als Soldaten im römi- um 3000 v. Chr. schen Heer dienten, gelangten nicht nur Nachrichten Während der Bronzezeit (ca. 1800–500 v. Chr.) von dem fernen Imperium im Süden, sondern auch spielten Schiffe im Bereich des sogenannten Nor- Luxuswaren wie Bronze, Glas oder Silber bis nach dischen Kreises, der Norddeutschland und Südskan- Skandinavien. Ebenso erhielten die antiken Autoren dinavien umfasste, eine bedeutende Rolle als kultu- allmählich erste, vage Kenntnisse von einer bis dahin relles und religiöses Symbol. Die Bronzeschmiede unbekannten Welt hoch im Norden. Das älteste über- dieser hoch entwickelten Kultur zählten zu den lieferte Werk ist die um 98 n. Chr. verfasste Germania besten Europas. Sie schufen Meisterwerke von hoher des römischen Historikers Tacitus, in der auch die technischer und künstlerischer Qualität, wie die in Ostsee als Mare Suebicum erstmals schriftlich er- Dänemark und Norddeutschland entdeckten „Lu- wähnt wird. ren“, lange Blasinstrumente, die geschwungenen Allem Anschein nach war der Ostseeraum in Die Ostsee ist ein rund 414 400 km2 großes wasser zu einem ausgedehnten Süßwassersee. Durch Hörner aus Metall ähneln. Es sind die ältesten erhal- den ersten Jahrhunderten nach Christus alles andere Binnenmeer im Norden Europas. Sie erstreckt sich den Zufluss von Meerwasser bildete sich um 8000 v. tenen Musikinstrumente Europas. als friedlich. Archäologische Funde lassen auf umfas- über rund 1600 km und wird von den Ländern Chr. das sogenannte Yoldiameer. Später wurde die Das heutige Polen dagegen gehörte zum Bereich sende militärische Unternehmungen schließen, die Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Verbindung zum Meer wieder unterbrochen und es der Lausitzer Kultur (1300–500 v. Chr.), die von Ost- lokale Konflikte weit übersteigen. So wurde bei- Russland, Estland, Lettland, Litauen und Polen entstand erneut ein Süßwassersee, der Ancylussee. deutschland über Polen bis nach Ungarn reichte. Das spielsweise im Nydammoor in Nordschleswig neben umschlossen. Während des Winterhalbjahrs vereiste Als Folge des erhöhten Meeresspiegels kam es dann Baltikum wiederum wurde um 2000 v. Chr. von Os- Waffen auch ein knapp 23 m langes, hochseetaugli- die Ostsee früher üblicherweise zu 70 Prozent, in um 5100 v. Chr. zwischen Schweden und Dänemark ten her durch die baltischen Völker besiedelt. Ein Teil ches Kriegsfahrzeug aus der Zeit um 320 n. Chr. ge- harten Wintern sogar ganz. Angesichts der Klimaer- erneut zu einem Durchbruch zur Nordsee, wodurch der ursprünglich hier ansässigen finno-ugrischen funden, das heute als Nydamboot im Landesmuseum wärmung kommt es heute jedoch wesentlich seltener das Litorinameer entstand, der direkte Vorläufer der Völker zog sich nach Norden in das heutige Finnland Schloss Gottorf in Schleswig zu besichtigen ist. Zu zu einer Vereisung der westlichen Ostsee. heutigen Ostsee. zurück, andere, wie die Esten, konnten sich im Nor- den Auslösern für diese Kriegszüge zählten vermut- den des Baltikums behaupten. lich Überbevölkerung und klimatische Veränderun- Mit einer Durchschnittstiefe von 55 m ist die Ostsee ein relativ flaches Meer; ihr tiefster Punkt be- Besiedlung im Ostseeraum trägt 459 m. Gezeiten sind kaum feststellbar. Die Ost- Die Siedlungsgeschichte Nordeuropas beginnt um Die Germanen im Ostseeraum und Abwanderungen ganzer Völkerschaften führten. see gilt als das größte Brackwassermeer der Erde; ihr 12 500 v. Chr. mit dem Ende der letzten Eiszeit. Den Mit Beginn der Eisenzeit um 500 v. Chr. werden mit Diese kriegerische Epoche mündete schließlich in die relativ geringer Salzgehalt ist vor allem auf den star- zurückweichenden Gletschern folgten Pflanzen; es der nach einem in der Nähe von Uelzen im heutigen große Völkerwanderung des 4. bis 6. Jahrhunderts ken Zufluss von Süßwasser zurückzuführen. Zahl- bildete sich allmählich eine Tundrenlandschaft mit Niedersachen gelegenen Fundort benannten Jastorf- n. Chr. reiche Flüsse münden in die Ostsee, die lediglich über einer Vegetation aus Moosen und Flechten. Hier leb- Kultur (ca. 600 v. Chr. – um Christi Geburt) erstmals Der Hunneneinfall von 375 löste eine gewaltige den Skagerrak – die Gewässer zwischen Norwegen te auch das Rentier, dem wenig später Gruppen alt- die Germanen fassbar. Im Laufe der Zeit weitete sich Siedlungsverschiebung unter den Germanen aus. Im und Jütland – mit den Weltmeeren verbunden ist. steinzeitlicher Jäger folgten, die als Nomaden ihrer das germanische Siedlungsgebiet aus, bis es den 5. Jahrhundert fielen die Angeln, ein Volk aus dem gen, die zu Ernährungskrisen, Verteilungskämpfen Geologisch gesehen ist die Ostsee ein junges Beute hinterher zogen und so allmählich das Terrain Raum von Mittelskandinavien bis zum Harzvorland Gebiet des heutigen Schleswig-Holsteins, gemeinsam Meer. Sie entstand erst gegen Ende der letzten Eis- der entstehenden Ostsee als Lebensraum für sich er- und von Niedersachsen bis zur Weichsel umfasste. mit den Jüten und den Sachsen in England ein. Zur zeit, der sogenannten Weichseleiszeit, die vor rund schlossen, wobei sie sich den klimatischen und geo- Die Germanen waren vermutlich kein einheitliches gleichen Zeit ließen sich die von Osten einwandern- 20 000 Jahren ihren Höchststand erreichte. Der graphischen Bedingungen geschickt anpassten. Volk, sondern waren aus der Verschmelzung ver- den Slawen in den Gebieten an der südlichen Ost- schiedener ethnischer Gruppen entstanden. seeküste nieder, die zuvor von den Germanen verlas- Druck der Eismassen hat die Landschaft im gesamten Bereits in der Mittelsteinzeit (ca.9000–4000 Ostseeraum nachhaltig geprägt. So hinterließen die v. Chr.) wurde die Ostsee als Verkehrsweg genutzt. Auch in der Eisenzeit spielte die Schifffahrt eine sen worden waren. Im Jahr 995 wurde die Michelen- Gletscher beim Zurückweichen den sogenannten Ebenso gibt es aus der Jungsteinzeit (ca. 4000–1800 wichtige Rolle im Ostseeraum. Das älteste erhaltene burg in der Nähe des heutigen Wismar erstmals Baltischen Landrücken, eine stark gegliederte Hü- v. Chr.) deutliche Hinweise auf einen lebhaften See- Seefahrzeug Nordeuropas ist das auf der dänischen urkundlich erwähnt; der abodritische Fürstensitz gellandschaft, die von Schleswig-Holstein bis ins Bal- handel und die Einbindung des Ostseeraums in weit- Insel Alsen gefundene Hjortspring-Boot, das um 350 sollte dem späteren Mecklenburg den Namen geben. tikum reicht. räumige, überregionale Handelsnetzwerke. Vor allem v. Chr. vermutlich als Opfergabe in einem See ver- In Skandinavien gilt die Völkerwanderungszeit Als das Eis durch den Klimawandel allmählich Bernstein war ein begehrter Exportartikel. So wur- senkt wurde. Das 19 m lange und 2 m breite Boot in kultureller Hinsicht als die Vorstufe der Wikin- abtaute und sich die Gletscher nach Norden zurück- den in den Königsgräbern der syrischen Stadt Qatna wurde von 24 Paddlern angetrieben und diente gerzeit. Spektakuläre Funde, wie der in Dänemark zogen, sammelte sich ab 10 000 v. Chr. das Schmelz- aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. ein Löwenkopf und wahrscheinlich als Kriegsfahrzeug. gefundene Kessel von Gundestrup, oder in Süd- Die Ostsee Ursprünge eines Kulturraums 10 11 schweden gefundene Goldhorte lassen darauf schließen, dass damals Gruppen von Kriegern in den Süden zogen und später mit großen Reichtümern in ihre Heimat zurückkehrten. In dieser Zeit weitete das in Mittelschweden lebende Volk der Svear, nach denen das Land später benannt wurde (Sverige = Reich der Svear), ihr Herrschaftsgebiet erheblich aus. Vermutlich um das Jahr 600 unterwarfen sie die im Süden lebenden Götar. In Dänemark deutet einiges darauf hin, dass es bereits zu Beginn des 8. Jahrhunderts eine starke Zentralmacht gegeben haben muss, die in der Lage war, groß angelegte Bauprojekte wie das Danewerk zu planen und durchzuführen. Dieses weiträumige, in mehreren Stufen ausgebaute Befestigungssystem verlief südlich von Schleswig quer über den schmalsten Teil der jütischen Halbinsel und sollte Dänemark vor Angriffen aus dem Süden schützen. Im Laufe der Zeit wurde das Danewerk immer weiter ausgebaut; erst im 12. Jahrhundert verlor es seine militärische Funktion und begann zu verfallen. Das Erscheinen der Franken zu Beginn des 9. Jahrhunderts veränderte die politische Situation nördlich der Elbe grundlegend. Durch einen Vertrag zwischen Karl dem Großen und dem Dänenkönig Der 1891 in Harald wurde im Jahr 811 erstmals die Eider als Dänemark Grenzlinie zwischen den beiden Reichen verbindlich gefundene, mit festgeschrieben. Das Gebiet, aus dem später das Motiven aus der Herzogtum Schleswig werden sollte, gehörte damit keltischen My- zu Dänemark, während Holstein später ein Teil des thologie verzierte Deutschen Reichs wurde. Silberkessel von Gundestrup ist ein Beweis für die engen Verbindungen des Ostseeraums mit dem antiken Südeuropa. V on den Wikingern zur Hanse: Der Ostseeraum im Mittelalter Um das Jahr 800 hielten Vorfahren der heutigen „Heerfahrt zur See“. Früher nahm man an, dass die Dänen, Schweden und Norweger ihren dramatischen Überbevölkerung Skandinaviens der Grund für die Einzug in die europäische Arena. Diese Völker hat- Wikingerzüge gewesen sei, doch gilt diese Theorie ten viel gemein; neben der Sprache, dem Alt-Nor- inzwischen als widerlegt. Heute geht man davon aus, dischen (aus dem sich später die heutigen skandinavi- dass das wichtigste Motiv für eine Wikingerfahrt die schen Sprachen entwickelten), vor allem die Religion: Hoffnung auf schnellen Reichtum war. Oft waren es Sie alle verehrten die Götter des nordischen Pan- wohl jüngere Söhne ohne Aussicht auf ein Erbe, die theon, wie Odin und Thor. Wie die Waffen bezeugen, in der Ferne ihr Glück suchten. die in fast allen Männergräbern gefunden wurden, Von den mittelalterlichen Chronisten wurden war das Leben im damaligen Skandinavien alles ande- die Wikinger als grausame Seekrieger geschildert, die re als friedlich. auf ihren schnellen Schiffen gleichsam aus dem Nichts kamen und ebenso schnell wieder verschwan- Seekrieger aus dem Norden den. Erschüttert beschrieb ein Mönch aus der nord- Die wikingerzeitliche Bevölkerung gliederte sich in französischen Stadt Arras um 980 den schrecklichen Freie und Unfreie, wobei die Unfreien weitgehend Anblick, der sich ihm nach einem solchen Angriff rechtlos waren. Grundlage der Gesellschaft war die bot: „Auf allen Straßen lagen die Leichen von Geist- Sippe, die ihren Mitgliedern Schutz und Hilfe bot. lichen, von adligen und anderen Laien, von Weibern, Obgleich jeder Freie das Recht hatte, an den Thing Jugendlichen und Säuglingen; es gab keinen Weg und genannten Volks- und Gerichtsversammlungen teil- Ort, wo nicht Tote lagen; und es war für jedermann zunehmen, war der soziale und damit auch der poli- eine Qual und ein Schmerz zu sehen, wie das christ- tische Status an den Besitz gebunden. Einige Ge- liche Volk bis zur Ausrottung der Verheerung preis- schlechter ragten an Ansehen, Einfluss und Besitz gegeben war.“ Scheinbar aus über die übrigen Bauernfamilien hinaus; aus dieser Die skandinavischen Seekrieger terrorisierten dem Nichts kleinen, reichen Oberschicht stammten auch die eine Welt, die zwar an Krieg gewöhnt war, nicht aber tauchten die Häuptlinge oder Jarle, ebenso wie später die Könige. an die Guerilla-Taktik der Wikinger. Das Überra- Wikinger mit Während des 8. Jahrhunderts hatten sich die schungsmoment spielte dabei eine große Rolle. Ei- ihren schnellen Handelskontakte der Skandinavier nach Mittel- und nem raschen Angriff vom Meer aus mit Schiffen, die Schiffen auf. Westeuropa intensiviert. Dadurch gelangten nicht ohne Hafen auskamen und sich deshalb dort der Dieses Langschiff nur Waren, sondern auch Nachrichten über lohnende Küste nähern konnten, wo man sie am wenigsten er- auf der Flanier- Ziele für Beutezüge, wie wohlhabende Klöster und wartete, folgte ein ebenso rascher Rückzug, bevor es zur Gegenoffensive kommen konnte. meile Aker reiche Handelsplätze, in den Norden. Den nordi- Brygge in Oslo schen Händlern folgten Seeräuber, die bald als Ermöglicht wurden die Raub- und Handels- erinnert an die Wikinger berüchtigt wurden. Das nordische Wort fahrten der Wikinger durch ihr nautisches Können Seekrieger. vikingr benennt keine Volkszugehörigkeit, sondern und ihre überlegene Schiffbautechnik. Bis zum Ende einen Zustand. Es bedeutet „Seekrieger“ oder auch des 8. Jahrhunderts hatten die Skandinavier mehrere Von den Wikingern zur Hanse 14 15 Schiffstypen für unterschiedliche Verwendungs- Nicht zuletzt aus diesem Grund wurden die Wikin- zwecke entwickelt. Neben den schnellen, schlanken gerzüge oft von nicht erbberechtigten oder bei Kriegsschiffen, den Lang- oder Drachenschiffen, die Thronstreitigkeiten unterlegenen Mitgliedern skan- gesegelt und gerudert werden konnten, gab es speziel- dinavischer Königsfamilien angeführt. le Fracht- und Handelsschiffstypen. Diese als Knorr Doch die Wikinger waren nicht nur furchtlose bezeichneten Schiffe waren zwar langsamer, aber auch Totschläger, sondern auch begabte Künstler und viel geräumiger und seetüchtiger als die Langschiffe. Handwerker, wovon die oft mit kompliziert ver- Ein breites Rahsegel bildete den Antrieb. schlungenen Tierornamenten geschmückten Holz- Charakteristisch für den skandinavischen und Metallgegenstände zeugen. Die Werkstücke die- Schiffbau waren die Klinkerbauweise sowie die sym- ser Künstler sind handwerklich hervorragend gear- metrischen Vorder- und Achtersteven. Im Gegensatz beitet und beweisen einen hoch entwickelten Sinn für zu heutigen Schiffen waren die Wikingerschiffe nicht Ästhetik. als starre Körper konstruiert, sondern passten sich Ebenso waren die Wikinger wagemutige Kauf- durch eine elastische Bauweise den Wellenbewegun- leute, die mit Süd- und Westeuropa Handel trieben gen an, sodass sie gleichsam auf den Wellen ritten, und Eisen, Wetzsteine und Kochgerät aus Speckstein statt sie zu durchpflügen. Mit Fug und Recht kann gegen Luxusartikel aus dem südlicheren Europa, wie man diese eleganten Schiffe als frühmittelalterliche Wein oder Glasgefäße, eintauschten. Ein Beleg für Hochtechnologie bezeichnen. den Aufschwung des Handels seit dem 8. Jahrhun- Die Kaufmannssiedlung Haithabu bei Schleswig war im frühen dert ist die Entstehung einer ganzen Reihe von Han- Mittelalter der bedeutendste Handelsplatz im Ostseeraum. Die innere Schwäche des Frankenreichs nach dem Tod Karls des Großen 814 bot den Wikingern delsniederlassungen rund um die Ostsee. beste Voraussetzungen für ihre Raubzüge. Im Jahr schaft zu bringen. Wiederholt besuchte der spätere 845 zerstörten sie Hamburg und belagerten zwischen Handel im Heideort Erzbischof von Hamburg und Bremen Haithabu und 880 und 890 die Stadt Paris. Auch England und Irland Der wichtigste Handelsplatz im Norden Europas reiste auch mehrfach nach Schweden. Um 850 gestat- wurden häufig von Wikingern heimgesucht. war Haithabu. Bereits im Jahr 804 wurde der in der tete ihm der dänische König Horik sogar den Bau Anfänglich beschränkten sich die Wikinger auf Nähe des heutigen Schleswig gelegene Ort als einer Kirche in Haithabu. Doch nach Ansgars Tod im reine Plünderungszüge, später ließen sie sich auch Sliesthorp in den fränkischen Reichsannalen erwähnt. Jahr 865 geriet die christliche Missionierung des dauerhaft in den eroberten Gebieten nieder. Zugleich Vom 9. bis zum 11. Jahrhundert war der „Heideort“, europäischen Nordens ins Stocken und musste später entwickelten sich die Wikingerzüge von lokalen was Haithabu übersetzt bedeutet, die Drehscheibe fast völlig neu begonnen werden. Überfällen weniger Schiffe über gezielte Vorstöße des Warenaustauschs zwischen Ost und West, Nord In seiner Blütezeit war der Ort am Haddebyer größerer Flottenverbände hin zu großen, sorgfältig und Süd. Der westliche Gegenhafen zu Haithabu lag Noor ein wichtiges politisches und militärisches Zen- geplanten Kriegsunternehmungen dänischer, schwe- vermutlich bei Hollingstedt an der Treene; der Tran- trum. Doch gegen Ende des 10. Jahrhunderts begann discher und norwegischer Könige. In England gelang sit der Waren über die 15 km breite Landenge erfolg- der Niedergang Haithabus; wiederholt wurde die es skandinavischen Heeren zwischen 865 und 880, te mit Fuhrwerken. Siedlung angegriffen und verwüstet. Nach der end- drei der vier angelsächsischen Königreiche zu er- In Haithabu trafen sich Wikinger, Slawen, Sach- gültigen Zerstörung Haithabus im großen Slawen- obern. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts setzten sich sen, Friesen und Angehörige vieler anderer Völker, aufstand des Jahres 1066 wurde die Siedlung an den die Wikinger auch an der Seinemündung dauerhaft um mit allen nur denkbaren Waren zu handeln – von Ort des heutigen Schleswig am Nordufer der Schlei Die fest; als Normandie wurde dieses Gebiet 912 zum Pelzen, Trockenfisch, Gewürzen, Wein, Waffen, verlegt, aber seit der Mitte des 12. Jahrhunderts als Gewandnadel fränkischen Herzogtum erhoben. So wurden aus Wi- Schmuck bis hin zu Sklaven, der Ort gehörte zu den Handelsort von Lübeck verdrängt. aus Haithabu kingern Franzosen. größten Sklavenmärkten Nordeuropas. Zumeist Ein weiterer bedeutender Handelsort aus der ähnelt den Die christlichen Moralvorstellungen hatten für stammten die Gefangenen wohl aus den slawischen Wikingerzeit war das mittelschwedische Birka. Ähn- Drachenköpfen, die heidnischen Seefahrer keine Bedeutung. Ein Siedlungsgebieten – das Wort „Sklave“ leitet sich von lich wie Haithabu war die auf der Insel Björkö im mit denen die Raubzug war in ihren Augen keine Sünde, sondern „Slawe“ ab. Mälarsee gelegene Siedlung ein internationales Wikinger ihre eine ehrenvolle Beschäftigung für einen Krieger. Von Haithabu aus nahm auch der erste Versuch Handelszentrum. Hier wurden vor allem russische, gefürchteten Ebenso galt Reichtum als sichtbares Zeichen göttli- der Christianisierung des Nordens seinen Ausgang. byzantinische und arabische Waren umgeschlagen. Kriegsschiffe cher Gunst. Zudem konnte die Beute als Mittel der Im Jahr 822 betraute Erzbischof Ebo von Reims im Die Funde großer Mengen arabischer Silbermünzen schmückten. politischen Auseinandersetzung genutzt werden, Auftrag des Papstes den Mönch Ansgar mit der Auf- zeugen von lebhaften Geschäftsbeziehungen mit dem etwa um sich eine große Gefolgschaft zu sichern. gabe, den Heiden des Nordens die christliche Bot- islamischen Raum. Von den Wikingern zur Hanse Handel im Heideort 16 17 Während sich die Dänen und Norweger nach dung von Bistümern zur Slawenmission, wie Mag- noch die norwegische Krone erringen. Damit wurde Obgleich der Westen orientierten, zogen die „Waräger“ genannten deburg, Brandenburg und Havelberg, zu sichern. Knut zum wohl mächtigsten skandinavischen König Heilige Ansgar schwedischen Wikinger vorwiegend in Richtung Os- Nach dem Tod seines Sohnes Otto II. im Jahr 983 in der Geschichte. Er führte Dänemark endgültig in mit seinem Ver- ten. Bereits im 7. Jahrhundert hatten die Schweden kam es zu einem großen Aufstand der Slawen, der das den Kreis der christlichen Nationen; eine seiner such, Skandina- begonnen, sich an der südlichen Ostseeküste festzu- Scheitern des ersten Versuchs zur Eingliederung der Töchter heiratete sogar den späteren deutschen vien zu christia- setzen. Über die russischen Seen und Flüsse erschlos- slawischen Gebiete östlich der Elbe in das Deutsche König Heinrich III. Doch Knuts Reich fehlten die nisieren, geschei- sen sie neue Handelswege von der Ostsee bis nach Reich markierte. einigenden Strukturen, sodass es nach seinem Tod im tert ist, gilt er Byzanz und Bagdad. In den Jahren 860 und 907 ver- Auch im Norden Europas kam es in diesen bis heute als der suchten die Waräger sogar Konstantinopel zu er- Jahrzehnten zu tief greifenden politischen Verände- „Apostel des obern, allerdings ohne Erfolg. Stattdessen warb der rungen. Beginnend mit Dänemark setzte um die Auch in Norwegen hatten sich seit dem 9. Jahr- Nordens“. oströmische Kaiser die kriegstüchtigen Skandinavier Mitte des 10. Jahrhunderts ein Prozess der Verdich- hundert zahlreiche Kleinkönigtümer gebildet, die in für seine sogenannte Warägergarde an. tung staatlicher Strukturen ein. In langwierigen jahrzehntelangen, blutigen Auseinandersetzungen Jahr 1035 rasch zerfiel. Gleichwohl blieb Dänemark noch lange das führende Reich im Norden. In der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts ent- Kämpfen wurden die Territorien der zahlreichen von den Königen der ursprünglich schwedischen stand unter dem Warägerfürsten Rurik und seinen Kleinkönige und Häuptlinge unterworfen. König Ynglingar-Dynastie, die ihre Herkunft vom Gott Nachfolgern die Keimzelle des späteren russischen Gorm dem Alten gelang es schließlich, große Teile Yngvi oder Freyr herleiteten, zu einem Reich verei- Reichs. Im Jahr 862 gründete Rurik das Fürstentum des heutigen Dänemark unter seiner Herrschaft zu nigt wurden. Der erste namentlich bekannte Nor- Nowgorod, sein Nachfolger Oleg verlegte den Fürs- vereinen; bis heute gilt er daher als der Staatsgründer wegerkönig war Harald „Schönhaar“, dessen Sohn tensitz nach Kiew. Der Dynastie der Rurikiden, die Dänemarks. In dem kleinen jütländischen Ort Jel- und Nachfolger Erik „Blutaxt“ im Jahr 934 von sei- bis 1598 herrschte, gelang es, durch den Zusammen- linge hat Gorm sich und seiner Dynastie ein Denk- nem jüngeren Bruder Håkon vertrieben wurde. schluss mehrerer Fürstentümer ein mächtiges Reich, mal gesetzt. Vermutlich ließ Gorm der Alte die aus Dieser erhielt später den Beinamen „der Gute“, weil die sogenannte Kiewer Rus, aufzubauen, das zeitwei- zwei Erdhügeln bestehende Anlage als Grabstätte für er als erster versucht hatte, die Norweger zum Chris- lig die Hegemonie über einen großen Teil Osteuropas sich und seine Frau Thyra errichten. Sein Sohn und tentum zu bekehren. erlangte. Im Jahr 988/89 trat Fürst Wladimir I. zum Nachfolger Harald Blauzahn ließ später eine Kirche Um die Jahrtausendwende unternahm Olaf orthodoxen Christentum über. Auch kulturell be- und einen Runenstein errichten, auf dem er sich Tryggvason, ebenfalls ein Ynglingar und ein Urenkel gann das byzantinische Vorbild nun allmählich, den rühmt, ganz Dänemark und Norwegen für sich ge- von Harald Schönhaar, den nächsten Versuch, Nor- skandinavischen Einfluss zu verdrängen. wonnen und die Dänen christianisiert zu haben. wegen unter einer Herrschaft zu einen. Zugleich Um 1200 zerfiel das Kiewer Reich in mehrere Um das Jahr 965 hatte Harald Blauzahn den machte er sich daran, das Land mithilfe des Schwerts Teilfürstentümer. Angesichts dieser inneren Zersplit- christlichen Glauben angenommen. Der Grund für zu christianisieren. Doch König Olaf starb, bevor er terung gelang es der Kiewer Rus nicht, dem Ansturm seine Bekehrung war vermutlich weniger religiöse sein Ziel erreicht hatte; er wurde im Jahr 1000 von der Mongolen unter Dschingis Khan erfolgreich Wi- Erweckung als politische Klugheit. Bereits 948 hatte Sven Gabelbart besiegt, der damit seine Oberherr- derstand entgegenzusetzen. 1237 fiel Kiew und bis Otto I. Bischöfe für Schleswig, Ribe und Århus er- schaft in Norwegen konsolidierte. 1240 eroberten die Mongolen die meisten Fürsten- nannt. Um einem möglichen Ausgreifen des mächti- Erst König Olaf II. Haraldsson gelang es tümer mit Ausnahme von Nowgorod, das sich seine gen südlichen Nachbarn auf sein Reich unter dem schließlich, die Norweger zum Christentum zu be- Eigenständigkeit bewahren konnte. Vorwand der Missionierung vorzubeugen, entschloss kehren. Auf seine Veranlassung fasste das norwegi- sich Harald zum Übertritt zum Christentum. Aller- sche Thing den förmlichen Beschluss zur Christiani- dings brauchte er für diesen Schritt die Zustimmung sierung Norwegens. Als Olaf II. im Jahr 1028 von Der Norden wird christlich Bald nach dem Tod Karls des Großen im Jahr 814 Ostfrankenreich in wachsendem Maße als eigenstän- seiner Gefolgsleute. Obgleich viele einflussreiche Per- Knud dem Großen vertrieben wurde, waren bereits war das Frankenreich in zwei Teile zerfallen. Aus diges Territorium und nicht mehr als Teil eines ge- sönlichkeiten den neuen Glauben annahmen, gab es die ersten Bistümer gegründet worden. Bei dem Ver- dem westfränkischen Reich wurde das heutige meinsamen Frankenreichs betrachtet. Als erster deut- Rückschläge: Um 987 wurde Harald Blauzahn von such, die Macht zurückzuerobern, kam er 1030 in der Frankreich, während aus dem ostfränkischen Reich scher Herrscher gilt der 911 nach dem Tod des letzten seinem heidnischen Sohn Sven Gabelbart gestürzt, Schlacht bei Sticklestad ums Leben. Später wurde das Deutsche Reich hervorging. Als Folge der zuneh- Karolingers zum König gewählte Frankenherzog der nun dessen Nachfolge in Dänemark und Nor- Olaf II. heilig gesprochen. Sein Sohn Magnus, ge- menden Schwäche des karolingischen Königtums Konrad I. Doch erst seinen Nachfolgern auf dem wegen antrat. Später ließ sich auch König Sven taufen nannt „der Gute“, konnte nach dem Tod König und der gleichzeitigen Abwehrkämpfe gegen Un- Thron, dem Sachsenherzog Heinrich I. und dessen und führte die von seinem Vater begonnene, planmä- Knuds den norwegischen Thron besteigen und wur- garn, Wikinger und Slawen waren im ostfränkischen Sohn Otto I., genannt „der Große“, gelang es, sich ge- ßige Christianisierung der Dänen fort. Im Jahr 1013 de 1042 aufgrund eines Erbvertrags sogar König von Reich im 9./10. Jahrhundert in Franken, Schwaben, gen die mächtigen Stammesherzöge durchzusetzen. eroberte Sven England, starb aber schon bald darauf. Dänemark, doch endete die kurzlebige Personal- Bayern und Sachsen weitgehend selbstständige Stam- Ebenso begann Otto I. die Grenze im Osten Sein Sohn Knut der Große herrschte als König union mit seinem Tod. Unter König Harald mesherzogtümer entstanden. Zugleich wurde das durch die Einrichtung von Marken und die Grün- über Dänemark und England und konnte 1028 auch Hårdråde („der Harte“) wurde die Einigung Norwe- Von den Wikingern zur Hanse Der Norden wird christlich 18 gens um das Jahr 1060 vollendet. Harald der Harte weltliche Erziehung vorzugsweise in den damaligen Der Havelberger fiel 1066 im Kampf gegen König Harald II. von Eng- Zentren von Bildung und Wissenschaft in West- Dom. Das land, der jedoch selbst kurz darauf bei Hastings ei- europa. 946 von Kaiser nem normannischen Invasionsheer unter Wilhelm Otto I. gegrün- dem Eroberer unterlag. Zugleich diente die christliche Lehre der Legitimierung der Herrschaft des Königs, während die dete Missions- Als letztes der nordischen Völker trat Schweden Kirchenorganisation zur Grundlage der königlichen bistum Havel- aus dem Dunkel der Geschichte heraus. Anscheinend Verwaltung wurde. Auf diese Weise halfen Glaube berg zählte zu ging die schwedische Reichsbildung um das Jahr 1000 und Kirche bei der Konsolidierung der königlichen den ältesten von dem mittelschwedischen Kerngebiet der Svear Macht, auch wenn es immer wieder zu Konflikten Vorposten der rund um den Mälarsee aus. Mit Ansgar hatte im zwischen Krone und Geistlichkeit kam. Christenheit öst- 9. Jahrhundert auch in Schweden die christliche Mis- Ungeachtet aller Differenzen dienten Kirche lich der Elbe. sion von Westen her begonnen. Als erster christlicher und weltliche Herrschaft im Prinzip dem gleichen König Schwedens gilt Olaf Skötkonung. Allerdings Ziel, nämlich den christlichen Untertanen eine feste konnte sich der alte Glaube in einigen Teilen des Lan- Ordnung zu geben. Nach dem mittelalterlichen Welt- des noch lange halten. Obgleich König Inge Sten- bild setzte sich die menschliche Gesellschaft aus drei kilsson die heidnischen Kultstätten in Uppsala um Ständen zusammen. An der Spitze stand die Geist- das Jahr 1087 zerstörte, wurde das Heidentum erst lichkeit, gefolgt von den Rittern. Ganz unten standen unter König Erik IX. dem Heiligen endgültig besiegt die körperlich Arbeitenden. Diese Ordnung wurde und das Christentum unwiderruflich als offizielle von weltlicher wie von kirchlicher Seite als gottgege- Religion etabliert. Mit der Errichtung des Erzbistums ben betrachtet, wobei der Rang des Einzelnen inner- Uppsala im Jahr 1164 war die Christianisierung halb der sozialen Hierarchie im Prinzip unveränder- Schwedens im Wesentlichen abgeschlossen. lich war und bereits durch die Geburt bestimmt Lange Zeit blieb das Königtum in Schweden ei- wurde. Im Gegensatz zu weiten Teilen Europas wa- ne Wahlmonarchie. Der schwedische König wurde ren die Bauern in den skandinavischen Reichen aber auf der Thingversammlung in Uppland durch Akkla- frei, auch wenn die Mehrzahl der norwegischen und mation, also durch Beifall oder Handzeichen, ge- dänischen Bauern bis zum Ende des Mittelalters zu wählt und musste anschließend auf einem großen Pächtern herabsank. Umritt die Gefolgschaftstreue derjenigen Untertanen Zunächst hatte die Kirche im Norden in Ab- einholen, die bei seiner Wahl nicht zugegen gewesen hängigkeit vom Bremer Erzbischof gestanden, was waren. jedoch von den zunehmend selbstbewusster werden- Spätestens Ende des 11. Jahrhunderts hatte sich den dänischen Herrscher bald als Einschränkung das Christentum im Norden durchgesetzt. Überall in ihrer Königsmacht empfunden wurde, von der sie Skandinavien wurden nun Kirchen gebaut; rund 90 sich zu befreien suchten. Im Jahr 1104 erhielt der Prozent der heute noch in Dänemark genutzten Stein- Norden mit dem Bischofssitz im südschwedischen kirchen stammt aus dem 12. Jahrhundert. Allerdings Lund ein eigenes Erzbistum. Damit wurde aus der mischten sich im Volksglauben heidnische und christ- kirchlichen Vorherrschaft des deutschen Reichs eine liche Vorstellungen – schließlich war der Bekehrung dänische Dominanz, bis Norwegen und Schweden zum Christentum nur in den seltensten Fällen eine um die Mitte des 12. Jahrhunderts ebenfalls je ein eingehende theologische Unterweisung vorangegan- eigenes Erzbistum erhielten. Gleichwohl blieb der gen, und auch in den folgenden Generationen blieb deutsche Einfluss bei der Vermittlung geistiger und die christliche Lehre oft nur Firnis. kultureller Errungenschaften noch lange bedeutend. Mit dem Übertritt zum Christentum wurde der europäische Norden von einem zivilisatorischen Das Zeitalter der Reichtsgründungen Randbereich zu einem integralen Bestandteil des Die Christianisierung veränderte nicht nur die nordi- christlichen Europa. Dies bedeutete zugleich die feste sche Kultur, sondern markierte auch den Beginn des Einbindung des Ostseeraums in die europäische Kul- Übergangs von lokalen Herrschaftszentren zu einer tur, denn der hohe Klerus erhielt seine geistliche und königlichen Zentralmacht. Gleichwohl waren die Von den Wikingern zur Hanse 10. + 11. Jahrhundert 11. + 12. Jahrhundert 13. + 14. Jahrhundert 15. + 16. Jahrhundert 911 1111 1227 1410 Ende der Karolingerdynastie Adolf von Schauenburg wird Schlacht von Bornhöved; das dänische Niederlage des Deutschen Ordens im ostfränkischen Reich, Graf von Holstein. Ostseeimperium bricht zusammen. in der Schlacht bei Tannenberg; 1158 1225 10. Jahrhundert Heinrich der Löwe zwingt Der Herzog von Masowien ruft zur Abwehr 1448 Dänische Reichseinigung unter Graf Adolf I I., Lübeck an der Pruzzen den Deutsche Orden zu Hilfe. Christian von Oldenburg wird Gorm dem Alten und Harald ihn abzutreten. Krönung König Konrads I. Beginn des Niedergangs des Deutschen Ordens. zum dänischen König gewählt. 1370 Blauzahn; Beginn der norwegischen und schwedischen Reichseinigung. 1066 1157 Der Friede von Stralsund markiert 1460 Beginn des Aufstieg Dänemarks den Höhepunkt der Hanse. Vertrag von Ripen: Wahl des dänischen zur Großmacht unter Waldemar I I. Königs Christian I. zum Herzog von Slawenaufstand; Zerstörung 1386 Schleswig und Grafen von Holstein, Haithabus. Beginn der polnisch-litauischen Personalunion. Begründung der Personalunion mit Dänemark. 1397 1523 Begründung der Kalmarer Union Vertreibung Christians I I.; Ende der Kalmarer Union; der drei nordischen Reiche. Gustav I. Wasa wird schwedischer König. skandinavischen Königreiche zunächst nicht viel Betreiben seines Bruders und Nachfolgers Erik I. 1000 mit dem Erzbistum Gnesen und den ihm unter- der Slawen; die christlichen Kirchen wurden nieder- mehr als lose Verbände weitgehend selbstständiger Ejegod wurde Knut im Jahr 1101 heilig gesprochen, geordneten Bistümern Krakau, Kolberg und Breslau gebrannt, die Priester erschlagen oder verjagt. Landesteile, die nur in der Person des Königs eine wohl nicht zuletzt, um damit dem Königshaus zu- eine eigene kirchliche Organisation. Durch sein Auch die slawischen Abodriten in Mecklenburg einigende Klammer besaßen. Wie alle mittelalterli- sätzliche Legitimation zu verleihen. Ausgreifen auf die westslawischen Stämme zwischen und Ostholstein hatten der Christianisierung lange chen Staaten waren auch Dänemark, Schweden und In die Zeit um die Jahrtausendwende fallen auch Elbe und Oder geriet Boleslaw jedoch in einen Kon- widerstanden. Ihr Siedlungsgebiet war ein ständiger Norwegen Personenverbandsstaaten. Im Gegensatz die Anfänge des polnischen Staates. Um 960 gelang es flikt mit dem Deutschen Reich, konnte sich aber in Unruheherd, weshalb zu Beginn des 12. Jahrhun- zum modernen, institutionalisierten Verwaltungs- Herzog Mieszko I., dem ersten Fürsten aus dem langwierigen Kämpfen durchsetzen. Im Frieden von derts sowohl vom Deutschen Reich wie auch von staat war der mittelalterliche Staat aufgebaut auf per- Hause der Piasten, verschiedene slawische Stämme Bautzen 1018 wurde ihm die Lausitz und das Mil- Dänemark aus damit begonnen wurde, Nordelbien sonalen Bindungen zwischen Höher- und Niedriger- unter seiner Herrschaft zu vereinigen. zener Land als Reichslehen zugesprochen. Noch im durch die Entsendung von tatkräftigen Statthaltern zu befrieden. gestellten, zwischen König und Adel ebenso wie zwi- Von Beginn an war die Geschichte Polens stark gleichen Jahr konnte er für kurze Zeit Kiew besetzen. schen Herr und Knecht. Im Laufe des Mittelalters geprägt von dem Verhältnis zu seinen beiden großen Nach dem Tod König Heinrichs II. ließ sich Boleslaw Im Jahr 1111 belehnte Lothar von Supplinburg, wuchs dabei die Bedeutung des Adels, denn im Ver- Nachbarn, Deutschland im Westen und Russland im erneut zum polnischen König krönen, starb aber seit 1106 Herzog von Sachsen, seinen Gefolgsmann lauf des 13. Jahrhunderts verlor auch im Norden das Osten. Nicht zuletzt aus politischen Erwägungen bereits ein Jahr später. Adolf von Schauenburg mit Holstein und Stormarn. Bauernheer gegenüber den geschulten Kämpfern des und um den Missionsbestrebungen aus dem Deut- Mit dem Tod König Boleslaws III. im Jahr 1138 Damit begann die Ära der Schauenburger, die fast 350 Ritterheeres militärisch immer mehr an Bedeutung. schen Reich zuvorzukommen, trat Miesko im Jahr erlosch die polnische Königswürde. Zugleich zerfiel Jahre lang die Geschicke Holsteins und später auch Schleswigs nachhaltig prägen sollten. Lange Zeit war die königliche Zentralgewalt im 966 zum katholischen Christentum über. Damit ent- Polen in mehrere Teilherzogtümer, die zeitweilig so- Norden nur schwach ausgeprägt. Macht und Einfluss stand eine kulturelle Kluft zwischen Polen und dem gar Krieg gegeneinander führten. In dem Maße, in 1115 setzte der dänische König Niels seinen des Königs hingen in erster Linie von seiner Persön- orthodoxen Russland, die bis heute Bestand hat. Kir- dem die Macht der Piastenherzöge schwand, wuch- Neffen Knut Laward als Herzog von Schleswig ein, lichkeit und seiner Fähigkeit ab, eine große Gefolg- chenrechtlich unterstand Polen zunächst dem 968 sen die Macht des Adels und der Kirche, ebenso wie um das südliche Grenzgebiet seines Reichs gegen die schaft an sich zu binden. Da diese Gefolgsleute frei- gegründeten Missionserzbistum Magdeburg, von deren Grundbesitz. ständige slawische Bedrohung zu verteidigen. Im willig dienten, konnten sie ihren Treueid jederzeit dem die Christianisierung Osteuropas ihren Ausgang aufkündigen. Als der dänische König Knut IV. im genommen hatte. Seit dem 10. Jahrhundert versuchten die polni- Jahr 1131 lockte Magnus, der Sohn des Dänenkönigs, schen Herrscher ebenso wie das Deutsche Reich, ih- der um seine Nachfolge fürchtete, Knut in einen Jahr 1085 einen Feldzug gegen England vorbereitete, Als Bündnispartner der ottonischen Kaiser ren Einfluss auf die von slawischen Stämmen besie- Hinterhalt und ließ ihn ermorden. verweigerten ihm die Großen des Landes die Ge- gelang es Mieszko, sein Herrschaftsgebiet beträcht- delten Gebiete an der südlichen Ostseeküste auszu- folgschaft. Als der König im folgenden Jahr versuch- lich auszuweiten. Sein Sohn und Nachfolger Boles- weiten. Die deutsche Expansion nach Osten wurde Die Ostkolonisation te, seine Autorität wieder herzustellen, kam es zum law I. Chobry („der Tapfere“) führte die Expansions- jedoch durch den großen Slawenaufstand von 983 für Im 12. Jahrhundert wurde der slawische Siedlungs- Aufruhr. Knut floh nach Odense, wo er von den politik fort und eroberte Schlesien, Kleinpolen und mehr als ein Jahrhundert zum Erliegen gebracht – raum allmählich zum Ziel von Kolonisationsmaß- Aufständischen in der Kirche erschlagen wurde. Auf Pommern. Zugleich erhielt Polen in den Jahren nach und damit auch das Bemühen um die Missionierung nahmen. In den Jahren 1138/39 unterwarfen die säch- Von den Wikingern zur Hanse Die Ostkolonisation