Uwe Rainer Kaufmann Die Zeit der Hybris Historischer Roman © 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Uwe Rainer Kaufmann Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0773-4 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. 2 Inhalt: EINFÜHRUNG KAPITEL I: DIE APHRODISIAKA DER MACHT KAPITEL II: VON PIRATEN UND SCHINDERN KAPITEL III: UM LEBEN UND TOD IN ALEXANDRIA KAPITEL IV: WIEDERVEREINIGUNG KAPITEL V: DER GÖTTER ZORN KAPITEL VI: CREPUSCULUM PERSONENVERZEICHNIS 3 DULCE NOMEN LIBERTATIS! (Oh süßer Name Freiheit!) Marcus Tullius Cicero 4 Meinem Vater Helmut, der mir Inspiration und Ansporn zugleich ist. 5 EINFÜHRUNG Im Jahre DCLXXX ab urbe condita, dem Jahr 680 seit Gründung Roms, das sehr viel später das Jahr 74 vor Christi Geburt genannt werden wird. Die Oberklasse der römischen Republik hat sich mehr und mehr der hemmungslosen Raffgier, Korruption und Vetternwirtschaft verschrieben. Die italischen Kernlande, die Provinzen und neu eroberten Länder werden von der jeweiligen römischen Verwaltung ausgepresst. Ganze Volksgruppen verschwinden in der Sklaverei. Rom bindet Kräfte, Kapital und seine besten Heerführer an den Fronten im Westen und Osten: In Spanien kämpft der berühmte Heerführer Gnaeus Pompejus Magnus seit Jahren verzweifelt gegen den umtriebigen römischen Sezessionisten Quintus Sertorius. Trotz nomineller Überlegenheit gelingt Pompejus‘ Legionen jedoch kein kriegsentscheidender Sieg. 6 In Anatolien führen die Römer einen dritten Krieg gegen den aggressiven pontischen König Mithridates, der mit ihnen um die Vorherrschaft in Kleinasien ringt, ohne dass eine Seite entscheidende Vorteile hätte erringen können. Obwohl die römischen Legionen gleich von zwei Consuln befehligt werden, Lucius Licinius Lucullus zu Lande und Marcus Aurelius Cotta zur See, haben die Römer einige herbe Rückschläge hinnehmen müssen. Die Legionäre, die Söhne Roms, fallen an allen Fronten wie die Fliegen. Die politische Krise in der Heimat spitzt sich unaufhörlich zu. Die herrschenden Eliten erliegen dem Irrglauben, das beunruhigte und aufbegehrende römische Volk sei mit Brot, Gladiatorenspielen und billigen Arbeitssklaven ruhig zu stellen. Niemand in Rom ahnt indes, dass sich die Republik bald einem weiteren tödlichen Feind gegenübersehen wird. Einem geflohenen Gladiator, der schlau und taktisch gewandt mit seiner gewaltigen, vor Hass auf die Römer glühenden Streitmacht aus entlaufenen Sklaven und ausge7 brochenen Gladiatoren Schlacht um Schlacht gewinnen wird. Man hat nicht mit diesem Manne gerechnet, der die römischen Feldherren auf italischem Boden schlagen und das Kernland des Imperiums und die Hauptstadt selbst in die seit Hannibal existenziell gefährlichste Krise stürzen wird … 8 KAPITEL I: DIE APHRODISIAKA DER MACHT DCLXXXIII ab urbe condita (683, das Jahr 71 vor Christus). „O DULCE NOMEN LIBERTATIS“ - „O süßer Name Freiheit!“ Ein Ausspruch von Marcus Tullius Cicero, des scharfzüngigen Meisters des gesprochenen Wortes, der jedoch angesichts der allseits üblichen Unterdrückung von Menschen, der ausufernden Sklaverei in allen Teilen des römischen Herrschaftsbereichs, ohne weitere Auswirkungen geblieben war. Cicero, den ich vor Jahren im Theater von Tauromenium auf Sicilia 1 persönlich hatte kennenlernen dürfen, war als Rechtanwalt und Senator in 1 T aormina, heute mondäner T ouristen- und Erholungsort an der Ostküste Siziliens; 9 Rom eine überaus wichtige Person. Er war im Amte und durch Tausende juristische Fallstricke, die ihm seine Gegner stets zu legen versucht hatten, zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit gereift. Jedenfalls ging mir die treffliche Bemerkung meines Zeitgenossen durch den Kopf, als ich im Herbst des Jahres 683 nach der Gründung Roms deprimiert und voll düsterer Gedanken im feinen Sand dieses italischen Strandes unweit Roms saß, ich, Manius Fabius Germanicus. Ich war nicht mehr sicher, zu welcher Gelegenheit Cicero diese Worte erstmalig zum besten gegeben hatte. Heute kauerte ich jedenfalls mit angezogenen und von meinen Armen umschlungenen Beinen im Sand dieses Strandes. Das Schreckliche, das ich in den letzten Stunden auf meinem Wege in die Ewige Stadt hatte mit ansehen müssen, war in meinem Kopf eingebrannt. Ich suchte Ablenkung in einem Natur- 10 schauspiel, das normalerweise alle trübsinnigen Gedanken in mir zu vertreiben vermochte. Ich dachte an die besseren Tage vor vier Jahren. Als Sohn aus reichem Hause und eben zwanzig Jahre alt, war ich voller Tatendrang und Abenteuerlust in die Welt gezogen, um als Offizier in der II. römischen Hauptflotte zu dienen. Ich war recht schnell, was ich den außergewöhnlichen Umständen und, zugegeben, den Beziehungen meines einflussreichen Vaters zu verdanken hatte, in den Rang eines Centurio 2 aufgestiegen. Doch der heutige Tag und auch die Ereignisse der vergangenen Monate ließen mich an meiner damaligen Entscheidung zweifeln. Hatte mein Vater Gajus Fabius Maximus recht gehabt, als er mir vom Dienst in den Streitkräften Roms oder gar von politischem Engagement abgeraten hatte? Die Sonne war nun schon einige Zeit hinter dem Horizont verschwunden. Dunkelblau und scharf geschnitten hoben sich die Wolken am Horizont 2 römischer Hauptmann; kommandiert eine gute Hundertschaft an Soldaten. 11 vom noch hell strahlenden Himmel ab und gingen nahtlos in ein Meer dunkler Tinte über, mit der die Schreiber üblicherweise ihre unzähligen Papyrusrollen bekritzelten. Das Meer glitzerte und bezauberte schon einige Zeit nicht mehr in Azurblau, brandete stattdessen wie Johannisbeersirup gegen den Strand. Die See bildete mit dem Himmel und den Wolken eine wundersam abgestufte, pastellblaue Farbsymphonie. Aufs Neue bewiesen die Götter damit ihr großes gestalterisches Talent, aus dem Nichts eine Natur in solcher Schönheit zu erschaffen. Auch wenn ich selbst nie so recht an diesen fröhlichen Götterkosmos aus Jupiter und seiner Familie hatte glauben können, den uns die Priester und Gelehrten stets meinten, vorgaukeln zu müssen. Doch bei diesem Anblick gewann ich die Überzeugung, dass Jupiter durch diese täglich aufs Neue und jedes Mal anders erschaffene Naturschönheit, das endlose Zeiten bestehende Meer und die Freiheit des Firmaments, allen Menschen ein Ziel aufzeigen wollte. Etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte: ein selbstbestimmtes Dasein in Freiheit und Menschenwürde. 12 Meine Gedanken flatterten wie ein verirrter Vogel in die Vergangenheit, mal zu dieser Begebenheit, mal zu jener und schließlich zum Beginn dieser Geschehnisse. In Ephesus, der Verwaltungsmetropole der römischen Provinz Asia, hatte meine persönliche Verstrickung in die verhängnisvollen Ereignisse begonnen. In Wirklichkeit begann das Unheil aber schon Jahre früher, gar nicht einmal sehr weit weg von diesem Strand, am Fuße des italischen Vulkans Vesuvius, in einer kleinen Stadt namens Herculaneum … Dreieinhalb Jahre zuvor … DCLXXX ab urbe condita (680), im Jahre 74 vor Christus HERCULANEUM, Italia Seit Anbeginn der Zeit trägt der Mensch das Gute und das Böse gleichermaßen in sich. So gab und gibt es lockende Dämonen, denen Menschen aller Jahrhunderte und Jahrtausende und aller Völker immer wieder bereitwillig dienten und 13 heute noch dienen, kleine bösartige Einflüsterer, die liebend gern Gehirne und Herzen in Beschlag nehmen und nie wieder verlassen. „Bist Du solch ein Mensch, Marcus?“ Marcus nahm die Frage nicht wahr. Die Schwärze des Vulkangesteins lastete auf Marcus und bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Er war noch niemals gern in engen Felshöhlen gewesen und die Thermik des nahen Vesuvius 3 ließ die Luft in der ihn umgebenden Vulkanhöhle heiß und semiflüssig erscheinen. Es musste sich um eine Lavahöhle handeln. Marcus hatte schon davon gehört und wusste, dass diese entstehen konnten, wenn das Innere eines Lavaflusses heißer und schneller floss als das erkaltende Äußere. Das Innere floss ab und hinterließ einen Hohlraum. Er atmete diese heiße, breiartige Luft. Dämpfe aus den Gedärmen der Erde brannten in seinen Lungen und ließen ihn leise fluchen. Längst verdammte er leise den alten Priester des nahen Ne- 3 lat. für den aktiven Vulkan „Vesuv“ in Mittelitalien; 14 apolis 4, der ihm dazu geraten hatte, diese Höhle am Fuße des Vesuvius aufzusuchen. Hier würde Marcus Erleuchtung und mehr über seine Zukunft erfahren, hatte der Alte gesagt. Wie immer diese auch sei. Dumm, wie er sich nun selbst schalt, hatte er nichts Besseres zu tun gehabt, als sich auf den Rücken seines Reittieres zu schwingen und mit einem Sklaven als Eskorte hierher, zu dieser gut versteckten, uralten Lavahöhle nahe der Stadt Herculaneum 5 zu reiten. Schweißgebadet, die Haut an Armen und Beinen am harten Tuffgestein des Vesuvius aufgescheuert, hatte er sich, eine Fackel in der Faust, allein in den finsteren Höhleneingang gezwungen und diese weiträumige Höhle erreicht. Die Schwärze der Höhle schien den Feuerschein der Fackel aufzufressen. Das dem Zugang gegenüberliegende Ende der Höhle verlor sich im Dunkel einer ihn bis ins Mark erschreckenden 4 antike Vorläuferstadt des heutigen Neapel am Vesuv; 5 antike Stadt am Fuße des Vesuv; Herculaneum ist untergegangen durch den großen Ausbruch des Vesuv gut 150 Jahre nach den heutigen Ereignissen, bei dem auch Pompeji und andere Städte in der Nähe vernichtet wurden; 15