VON 1933 BIS 1945 Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg land unter Adolf Hitler ein totalitär-aggressives System durch. Der Zweite Weltkrieg kostet mehr Opfer als alle anderen Kriege zuvor. Prägend für diese Zeit ist der blutige Terror, den Sowjets, Japaner und vor allem Deutsche gegen besiegte Gegner und Zivilisten, politische Kontrahenten oder einzelne Bevölkerungsgruppen ausüben. Seinen unfassbaren Höhepunkt erreicht er jedoch im von den Nationalsozialisten ins Werk gesetzten Holocaust, dem industrialisierten Massenmord an sechs Millionen Juden. Die moderne 20-bändige „Große Weltgeschichte“ präsentiert die Geschichte unserer Welt präzise, leichtverständlich und streng chronologisch. Genaue Einzelinformationen und verständliche Zusammenhangs- und Spezialdarstellungen mit über 8000 Abbildungen machen die Vergangenheit inhaltlich und visuell erfahrbar. Je drei Bände beschreiben die Vor – und Frühgeschichte, die Antike und das Mittelalter. Der Zeitraum von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wird in fünf, das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart in sechs Bänden behandelt. ISBN 978-3-902016-90-4 9 7 83 902 01 6904 Titelbild: Hitler in Wien; Copyright: corbis Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg Zum Auftakt eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte setzt sich in Deutsch- WELTGESCHICHTE VON DEN ANFÄNGEN BIS ZUR GEGENWART W E LT G E S C H I C H T E V O N D E N A N F Ä N G E N B I S Z U R G E G E N W A R T 16 NO- 16 überblick Nationalsozialismus und zweiter weltkrieg Zum Auftakt eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte setzt sich in Deutschland unter Adolf Hitler ein genauso totalitäres wie kriegslüsternes System durch. Der Zweite Weltkrieg kostet mehr Opfer als alle anderen Kriege zuvor. Genauso prägend für diese Zeit ist der blutige Terror, den Sowjets, Japaner und vor allem Deutsche gegen besiegte Gegner und Zivilisten, politische Kontrahenten oder einzelne Bevölkerungsgruppen ausüben. Seinen unfassbaren Höhepunkt erreicht er jedoch im von den Nationalsozialisten ins Werk gesetzten Holocaust, dem industrialisierten Massenmord an sechs Millionen Juden. E in wichtiger Erklärungsstrang für die politischen Entwicklungen der 1930erJahre ist die Weltwirtschaftskrise von 1929. Der Kollaps des Bankensystems führt in vielen Teilen der Welt zu Arbeitslosigkeit, Mangelversorgung und Armut. In einigen europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien halten die demokratischen Systeme dem wirtschaftlichen Druck stand, aber keineswegs überall. Noch bevor Adolf Hitler im Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler ernannt wird, haben in Italien, Portugal, Polen, Ungarn, Jugoslawien und der Sowjetunion autoritäre oder faschistische Regierungen die Macht übernommen. Zu ihnen gesellen sich im Laufe der 1930er-Jahre die Diktaturen in Rumänien, Bulgarien, Estland, Lettland, Griechenland, Spanien, nicht zuletzt in Österreich, wo Hitlers Truppen und der Diktator selbst bei ihrem Einmarsch im Jahr 1938 begeistert empfangen werden. Konsolidierung der NSDAP-Herrschaft W ie andere Länder wurde auch Deutschland vom Börsenkrach und der Weltwirtschaftskrise 1929 schwer erschüttert. Die Löhne fielen, Preise und Steuern stiegen. In 12 16_012-029_Essay.indd 12-13 dieser Situation verstand es Adolf Hitler, sich mit seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei (NSDAP) als Retter des Vaterlandes darzustellen. Die Schuld an der aktuellen Misere, die teils aus den Irrwegen der deutschen Geschichte, teils aus einer Krise der kapitalistischen Wirtschaftsweise als solcher resultiere, gab er Demokraten, Kommunisten, vor allem aber den Juden. Anders als das Wort »Machtergreifung« vermuten lässt, war Hitlers Weg an die Spitze des Staates durchaus legal. Seit September 1930 hatte die NSDAP 107 Abgeordnete im Reichstag, mit den Wahlen im Juli 1932 wurde sie zur stärksten Partei, auch wenn sie die absolute Mehrheit verfehlte und im November 1932 bei erneuten Reichstagswahlen einen Rückschlag erlitt. Zu Hitlers Verbündeten zählen deutschnationale Industrielle und Verleger wie Alfred Hugenberg, der über ein gewaltiges Presseimperium verfügt. Als Reichstag und Regierung zunehmend handlungsunfähig werden, ernennt der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg – der als bekennender Gegner des Parlamentarismus und Erfinder der »Dolchstoßlegende« zu den geistigen Vätern der Rechtsradikalen zählte – am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler. 1933 – 1945 Entschlossen konzentrieren sich der neue Reichskanzler und seine Helfershelfer auf die Zerschlagung der Republik und die Ausschaltung aller Gegner. Durch eine Verordnung werden Eingriffe in die Presseund Versammlungsfreiheit legalisiert, den Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude am 27. Februar nutzt Hitler, um die Linken zu diskreditieren und den Ausnahmezustand auszurufen. Am 24. März 1933 bringen die Nationalsozialisten nach einer gezielten Einschüchterungskampagne mit überwältigender Mehrheit das »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich« durch. Mit diesem »Ermächtigungsgesetz« wird die gesetzgebende Gewalt auf die Exekutive übertragen: Das Parlament hatte sich selbst abgeschafft und die Demokratie liquidiert. Hitler erlässt ein Versammlungsverbot, das vor allem linke Parteien und Organisationen trifft. Zum 1. April 1933 initiiert Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Reich einen Boykott jüdischer Geschäfte, Rechtsanwalts- und Arztpraxen sowie Banken. Eine Woche später werden die Juden durch das Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« aus dem Staatsdienst gedrängt. Die Tatsache, dass es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland kaum noch Juden im traditionellen Sinne gibt, weil sie in der überwiegenden Mehrheit längst assimiliert sind, beeinträchtigt die Wirkung der nationalsozialistischen Diffamierungskampagne nicht, sondern wird im Gegenteil als Beweis für die »jüdische Weltverschwörung« zu einem Argument für die Verschärfung des Terrors. Eine Gruppe deutscher Infanteristen vor einem in Brand gesteckten Dorf während des Russlandfeldzuges (Foto, 1941) 13 25.09.2007 17:47:35 Uhr 1933 – 1945 nationalsozialismus und zweiter weltkrieg Propaganda-Postkarte mit Adolf Hitler zum »Reichsparteitag des Sieges« im Aug./Sept. 1933 in Nürnberg Die Stützen des NS-Staats – Propaganda und SS D urch die Gleichschaltungspolitik wird das ganze Land auf Parteilinie gebracht. Zwischen Mai und Juli 1933 werden alle Parteien außer der NSDAP verboten. An die Stelle der Anfang Mai zerschlagenen Gewerkschaften tritt die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die Bauern werden im »Reichsnährstand« zusammengeschlossen, Künstler und Beschäftigte aus Theater, Film, Rundfunk und Presse in der »Reichskulturkammer«. Sie untersteht dem Propagandaministerium von Joseph Goebbels, übt scharfe Kontrolle aus und verlangt von den Mitgliedern einen »Ariernachweis« sowie Linientreue. Der 14 16_012-029_Essay.indd 14-15 Reichskulturkammer nicht anzugehören, kommt einem Berufsverbot gleich. Gleichgeschaltet werden auch unpolitische Vereine, die der NS-Organisation »Kraft durch Freude« (KdF) unterstellt werden. Ab Sommer 1934 ist praktisch jeder Deutsche über Beruf, Verein, Militär, Teile der Hitlerjugend (HJ) oder den Reichsarbeitsdienst in irgendeiner Weise mit der Partei verbunden. Im Jahr 1934 kommt es zum Machtkampf innerhalb der NSDAP. Bis zu diesem Zeitpunkt war die 1921 als Saalschutz gegründete »Sturmabteilung« (SA) die Speerspitze der Partei. Geführt wird sie seit 1931 von Ernst Röhm, einem Nazi der ersten Stunde. Für Hitler war die paramilitärisch operierende SA einerseits sehr nützlich, weil sie politische Gegner in Angst und Schrecken versetzte, sie war allerdings auch sehr mächtig geworden. Als plötzlich Gerüchte von einem geplanten Putsch in Umlauf kommen – deren Ursprung und Realitätsgehalt niemals nachgewiesen werden kann – und einige Reichswehrgeneräle bei Hitler vorstellig werden, entscheidet sich dieser gegen die SA und für das Militär, auf das er bei seinen weiteren Plänen unmöglich verzichten kann. Anlässlich eines Spitzentreffens von Parteifunktionären am 30. Juni 1934 lässt er Röhm und knapp 100 weitere SA-Führer verhaften und ermorden. Mit diesem Ereignis beginnt der Aufstieg der ursprünglich als Leibwache Hitlers gegründeten Schutzstaffel (SS) zum eigentlichen Rückgrat des NS-Staates. Ihr »Reichsführer«, Heinrich Himmler, wird 1936 Chef der gesamten Polizei, auch der gefürchteten Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Im April 1934 lässt Hitler den Volksgerichtshof einrichten, der für Landes- und Hochverrat sowie für politische Verbrechen zuständig ist. Als Anfang August 1934 Reichspräsident Hindenburg stirbt, ergreift Hitler die Chance, sich per Volksabstimmung als »Führer und Reichskanzler« einsetzen zu lassen. Die Reichswehr wird auf ihn als ihren Obersten Befehlshaber vereidigt und zu »unbedingtem Gehorsam« verpflichtet. Die Konsolidierung des NS-Staats ist damit abgeschlossen. »New Deal« – Roosevelt mischt die Karten neu D ie Weltwirtschaftskrise hat auch die Vereinigten Staaten unsanft aus dem amerikanischen Traum geweckt. Hier gelingt es Präsident Franklin D. Roosevelt mit seiner staatsinterventionistischen Reformpolitik jedoch, das Vertrauen in Staat und Demokratie zu erneuern. »Ich gelobe euch, ich gelobe mir selbst einen New Deal für das amerikanische Volk«, hat Roosevelt am 27. Juni 1932 als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei den Wählern versprochen. Der Begriff »New Deal« kommt aus der Sprache der Kartenspieler und meint eine Neuverteilung der Spielkarten. Roosevelt verfolgt keine bestimmte Ideologie, schon gar keine sozialistische, wie seine Gegner behaupten. Er will lediglich die Karten neu verteilen, ausspielen soll sie jeder selbst. Als Roosevelt zur Wahl antritt, steht sein Sieg eigentlich schon fest. Nach drei republikanischen Präsidenten ist die Zeit reif für einen Wechsel, reif vor allem für einen Politiker, der den USA wieder Selbstvertrauen gibt. Einem Mann, der seit seinem 40. Lebensjahr infolge einer schweren Polioerkrankung gelähmt ist und sich zwingt, mithilfe einer eisernen Beinschiene zum Rednerpult zu gehen, trauen die Amerikaner auch zu, die Probleme des Landes zu lösen. Seine Politik des New Deals zielte vor allem darauf ab, die Wirtschaft anzukurbeln und die Not der Bevölkerung zu lindern. Durch staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Subventionen und Sozialgesetze gelingt es dem neuen Präsidenten, die Folgen der Depression zumindest deutlich abzumildern. Staatliche Interventionen und soziale Reformen S Karikatur der berühmten »fireside chats» (Kamingespräche) via Rundfunk von US-Präsident Roosevelt eine vordringlichste Aufgabe nach seiner Amtsübernahme im März 1933 besteht darin, den drohenden Zusammenbruch des Bankenwesens zu verhindern. Viele Institute sind bereits in Konkurs gegangen, andere können ihren Kunden die Ersparnisse nicht mehr auszahlen. Am 5. März ordnet Präsident Roosevelt die Schließung aller Banken an, am 9. März wird der »Emergency Banking Relief Act« erlassen, ein Notgesetz, das den Präsidenten ermächtigt, bei Transaktionen einzugreifen. Thema einer seiner ersten Reden via Rundfunk, in denen er seine Politik immer wieder erläutert, sind die 15 25.09.2007 17:47:41 Uhr 1933 – 1945 nationalsozialismus und zweiter weltkrieg Maßnahmen bezüglich der Banken. »Es ist sicherer«, sagt er, »das Geld einer wiedereröffneten Bank anzuvertrauen, als es unter die Matratze zu legen.« Die ersten Schritte zur Überwindung der Krise, die in erster Linie eine Vertrauenskrise war, sind getan. Von März bis Juni 1933 tagt der Kongress unentwegt und verabschiedet eine Fülle von Gesetzen. Sie beinhalten zum Beispiel Einsparungen und eine Reorganisation der Verwaltung. Junge Arbeitslose werden zu öffentlichen Tätigkeiten im Straßenbau, bei der Anlage von Nationalparks oder bei Wiederaufforstungsprojekten verpflichtet. Die Bundesstaaten erhalten Unterstützung vom Bund. Es werden Programme für verschuldete Hauseigentümer, für Farmer und den Grundstein für eine öffentliche Sozialversicherung, für die Disziplinierung von Großunternehmen und fordert eine höhere Besteuerung größerer Einkommen – und wird 1936, 1940 und 1944 gegen alle Traditionen dreimal in seinem Amt bestätigt. Gründungslegende der VR China – der »Lange Marsch« W ährend Roosevelt die amerikanische Wirtschaft erneuert, begründet Mao Zedong (Mao Tse-tung) in China mit seinem »Langen Marsch« den Heldenmythos der Kommunistischen Partei. Nach dem Bruch zwischen der nationalchinesischen Kuo- Unmittelbar vor der drohenden Vernichtung gelingt es den Generälen Tschou En-lai und Mao Zedong, mit rund 90 000 Kämpfern aus dem Belagerungsring auszubrechen. Schwere Kämpfe begleiten den 12 500 km langen Marsch in Richtung Nordwesten. Als er nach zwölf Monaten im Oktober 1935 endet, haben nur etwa 7000 Kommunisten die unvorstellbaren Strapazen überlebt. Nach diesem Kraftakt setzen sich die Truppen Mao Zedongs, der inzwischen unumstrittener Anführer der Kommunisten geworden ist, in der Provinz Shaanxi am Mittellauf des Hwangho fest. Der »Lange Marsch«, der gleichzeitig auch ein Werbefeldzug für die kommunistischen Ideale ist, wird nach Gründung der Volksrepublik China zum Symbol der siegreichen Revolution. Vorbereitung zum Massenmord D Mao Zedong (M.) auf dem »Langen Marsch«, der Militäraktion und Propagandafeldzug zugleich ist (Gemälde, 1935) für die Belebung der Industrie aufgelegt. Mit der »Tennessee Valley Authority« wird eine Entwicklungsbehörde gegründet, die in dem rückständigen Tal Flüsse reguliert, für Elektrifizierung sorgt und die Malaria bekämpft. In der zweiten Phase des New Deals, die 1935 beginnt, nimmt sich Roosevelt vor allem der kleineren Farmer und Arbeiter an. Er legt 16 16_012-029_Essay.indd 16-17 mintang-Partei (KMT) Jiang Jieshis (Chiang Kai-shek) und den Kommunisten hatten die­se 1931 im Südosten Chinas eine Sowjetrepublik nach dem Vorbild der UdSSR ins Leben gerufen. In dem folgenden Krieg mit den Truppen Jiang Jieshis werden die unterlegenen Kommunisten bis Oktober 1934 in der Provinz Jiangxi vollständig eingekesselt. er Antisemitismus ist in Europa seit dem späten 19. Jahrhundert ein weit verbreitetes Phänomen, doch nur in Deutschland wird er zur Staatsdoktrin erhoben. Seit dem 1. April 1933 werden die Juden mit einer ganzen Flut von Gesetzen und Verordnungen systematisch diskriminiert, kriminalisiert, aus dem Berufsleben gedrängt und ihrer Exis­ tenzgrundlage beraubt. Durch die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 »zum Schutz der deutschen Ehre und des deutschen Blutes« wird die Heirat zwischen Nichtjuden und Juden verboten, sexuelle Beziehungen gelten als Rassenschande. In der Öffentlichkeit müssen jüdische Bürger jede Form der Demütigung schutzlos hinnehmen. Bald dürfen sie keine Geschäfte mehr eröffnen und keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Einen ersten Gipfelpunkt erreicht der Terror in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, in der fast alle deutschen Synagogen und 7000 jüdische Geschäfte zerstört werden, 30 000 Juden geraten in Haft. In der Reichspogromnacht vom 9./10.11.1938 brennt auch die Synagoge von Bielefeld. Infamerweise müssen die Opfer eine »Sühneleistung« von einer Milliarde Reichsmark an das Reich bezahlen. Ihre finanzielle Ausbeutung wird zum System. Insgesamt verlassen bis Kriegsbeginn rund 260 000 der 500 000 deutschen Juden das Land. Sie alle müssen eine »Reichsfluchtsteuer« zahlen, die ihnen kaum mehr lässt, als sie auf dem Leib tragen. Zu Schleuderpreisen müssen sie ihre Geschäfte und Immobilien sowie ihr ganzes Hab und Gut verkaufen. Durch diese »Arisierung« jüdischen Vermögens gelangen viele Deutsche zu beträchtlichem Reichtum. Mussolinis Italien und die »Achse Berlin–Rom« I n Italien hatte der frühere Linkssozialist und Pazifist Benito Mussolini nach seiner Machtübernahme (»Marsch auf Rom« 1922) das Parlament ausgeschaltet, die Arbeiterbe17 25.09.2007 17:47:47 Uhr 1933 – 1945 nationalsozialismus und zweiter weltkrieg wegung zerschlagen, die Opposition geknebelt und eine faschistische Diktatur errichtet, die ganz auf den unumschränkt herrschenden »Duce« zugeschnitten war. Trotz der ideologischen Nähe zwischen Nationalsozialismus und Faschismus verhalten sich Mussolini und Hitler zunächst durchaus nicht wie natürliche Verbündete, sondern wie Rivalen. Als Hitler entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrags im März 1935 die allgemeine Wehrpflicht einführen lässt, gründet Mussolini im April 1935 mit Großbritannien und Frankreich ein Bündnis gegen die deutsche Expansionspolitik. Erst als er im Herbst 1935 durch seine Eroberungspolitik in Äthiopien in Konflikt mit den Verbündeten gerät, kommt es zu einer Annäherung zwischen »Duce« und »Führer«. 1896 hatten die Äthiopier gegen die Ita­ liener in der legendären Schlacht von Adwa den einzigen großen Militärerfolg eines afri- kanischen Landes gegen eine Kolonialmacht errungen. 1935 dient Mussolini ein Grenzkonflikt zwischen Italienisch-Somaliland und Äthiopien als Vorwand für einen neuerlichen Abessinienfeldzug. Als der Vormarsch der Italiener nach einigen Anfangserfolgen ins Stocken gerät, befiehlt der »Duce« entgegen aller Bestimmungen der Genfer Konvention massive Angriffe mit Bombenflugzeugen und Senfgasgranaten, durch die ganze Dörfer ausgelöscht werden. Trotz des äthiopischen Widerstands erobern die Invasionstruppen am 5. Mai 1936 Addis Abeba. Vier Tage später wird König Viktor Emanuel III. zum Kaiser von Äthiopien ausgerufen, anschließend wird das Land mit Eritrea und Somaliland zur Kolonie Italienisch-Ostafrika vereinigt. Im Oktober unterzeichnen Mussolini und Hitler ein geheimes Freundschaftsabkommen, am 1. November 1936 verkündet der »Duce« die »Achse Berlin–Rom«. Achille Starace (r.), ein Gefolgsmann Mussolinis, während des Abessinienfeldzuges (Foto, 1935) 18 16_012-029_Essay.indd 18-19 Beginn des Spanischen Bürgerkriegs E gensatz zum linken Lager setzt die Rechte auf das Führerprinzip: Im Oktober 1936 wird die militärische und politische Gewalt auf den Generalissimus Franco übertragen, der Sitz der Gegenregierung liegt in Burgos. ine wichtige Etappe bei der italienischdeutschen Annäherung war die gemeinsame Intervention im Spanischen Bürgerkrieg. Dessen Vorgeschichte hatte 1931 mit Internationale Brigaden dem Wahlsieg der Republikaner, der Abdanunterstützen Volksfrontregierung kung König Alfons’ XIII. und der Ausrufung der Republik begonnen. Denn die neue Regierung war den politischen und sozialen rei Tage nach dem Putsch entschließt Krisen des Landes kaum gewachsen; zu tief sich die Regierung in Madrid, die Arwar die Kluft zwischen Rechten und Linken. mee aufzulösen und die Arbeitermilizen zu Als die Bergarbeiter in Asturien im Oktober bewaffnen. Den Vormarsch der Junta auf 1934 eine Räterepublik proklamierten, ant- Barcelona kann Buenaventura Durruti, der wortete das mittlerweile von Nationalisten Anführer der Anarchisten, stoppen. Allerregierte Madrid mit rücksichtsloser Härte dings ist die Volksfrontregierung aus Komund setzte Militär zur Niederschlagung des munisten, Anarchisten, Sozialisten und ReAufstands ein. Organisiert wurde der Einsatz publikanern in ihren Zielen und Methoden von General Francisco Franco Bahamonde. stark gespalten. Im September 1936 beginnt Gleichzeitig radikalisierten sich die Separa- der Ministerpräsident der Volksfrontregietistenbewegungen in Katalonien, im Basken- rung, Francisco Largo Caballero, mit der land und in Galicien. Bewaffnung der Gewerkschaften. Im OktoIn weiten Teilen des Landes herrschten be- ber werden in Madrid die Internationalen reits bürgerkriegsähnliche Zustände, als sich Brigaden ins Leben gerufen, eine militärische bei den Wahlen 1936 eine linke Volksfront Einheit aus sympathisierenden Freiwilligen, aus Republikanern, Sozia­ der sich unter anderem listen und Kommunisten Ernest Hemingway, André Ausschlaggebend für den durchsetzt. Zahllose GegMalraux, George Orwell Ausgang des Spanischen Bürner hat die neue Regierung und Egon Erwin Kisch gerkriegs ist die Intervention im Militär, unter den Naanschließen. Unterdessen ausländischer Mächte. tionalisten, in der Kirche setzen sich die Militärs in sowie im monarchistisch Andalusien fest, während oder katholisch geprägten Kleinbürgertum. ihr Vorstoß auf Madrid im November 1936 Die Ermordung eines monarchistischen Ab- am Widerstand der Bevölkerung scheitert. geordneten gibt den letzten Anstoß für einen Im Mai 1937 weicht die republikanische sorgfältig vorbereiteten Putsch der nationa- Regierung nach Valencia aus und organilistischen Militärs am 17. Juli 1936. Sein Aus- siert von dort den ersten großen Angriff bei gangspunkt ist die Kolonie Spanisch-Marok- Brunete, um die Nationalisten von Madrid ko, wo General Franco stationiert ist. Schon fernzuhalten. Monate zuvor haben die Militärs einen Plan Ausschlaggebend für den Ausgang des Bürzur Einkreisung Madrids ausgearbeitet. In gerkriegs ist die Intervention des Auslands. kurzer Zeit erobern sie große Teile des Nor- Die Nationalisten erhalten Militärhilfe von dens und wichtige Gebiete im Süden. Im Ge- Italien, Portugal und Deutschland; die deut- D 19 25.09.2007 17:47:49 Uhr nationalsozialismus und zweiter weltkrieg 1933 – 1945 Trotzki oder Nikolaj Bucharin, den Präsi- vor der Roten Armee nicht Halt, was deren dent der Kommunistischen Internationale Schlagkraft im Zweiten Weltkrieg erheb(Komintern), mit Intrigen, Verleumdungs- lich schwächt. Schätzungen zufolge werden kampagnen und Gewalt ausschaltete. Bis allein 40 000 führende Militärs liquidiert. 1928 zum unumschränkten Herrscher der Populärstes Opfer ist Marschall Michail N. UdSSR aufgestiegen, errichtete Stalin ein Tuchatschewski, ein Held des Bürgerkriegs, Gewaltregime, das Millionen Sowjetbürger der 1937 wegen angeblicher Spionage hingezum Opfer von Schauprozessen, Liquidie- richtet wird. Auch viele einstige Partei­größen rungen und Straflagern macht. werden in den Schauprozessen unter fadenSinnbild seines Repressionssystems ist der scheinigen Beschuldigungen zum Tode verGULAG – eine Abkürzung der russischen urteilt. Bezeichnung für »Hauptverwaltung der Besserungslager« –, von dem der Westen 1974 Appeasementpolitik scheitert – durch das Buch »Archipel GULAG« des Hitler will mehr Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn erfährt. In den Straflagern sind während der Stalin-Ära zeitweise weit mehr n einer geheimen Besprechung im Novemals zwei Millionen Menschen interniert; ber 1937 weiht Hitler erstmals einige hohe meist, weil sie einer politischen Betätigung NS-Funktionäre in seine außenpolitischen verdächtigt werden oder einer als »unzu- Pläne im Hinblick auf Österreich und die verlässig« eingestuften Volksgruppe wie den Tschechoslowakei ein. Gleichzeitig beginnt Ukrainern, Krimtataren, er, den politischen Druck Wolgadeutschen, Kalmüauf Österreichs BundesWährend der sogenannten cken oder Kaukasiern ankanzler Kurt Schuschnigg stalinistischen Säuberungen gehören. Auch sowjetische zu erhöhen. Erst verlangt dienen Schauprozesse als Soldaten, die die deutschen er eine Beteiligung der perfide Propagandawaffe. Gefangenenlager mit Glück österreichischen Natioüberlebt haben, werden als nalsozialisten an der Re»Verräter« an der vaterländischen Sache in gierung, dann ihre vollständige Übergabe. die Verbannung geschickt. Die Lebens- und Nachdem er die Information erhalten hat, Arbeitsbedingungen in den Lagern sind kata- dass Großbritannien einem Anschluss Össtrophal, die durchschnittliche Lebenserwar- terreichs an das Deutsche Reich zustimmen tung liegt um ein Vielfaches unter der nor- würde, lässt er am 12. März 1938 die Wehrmalen. Ihren Gipfel erreicht die stalinistische macht in das Nachbarland einmarschieren. Gewaltherrschaft in den »Säuberungen« von Von der Bevölkerung werden die Deutschen 1936 bis 1938. Den willkommenen Anlass lie- und ihr »Führer« mit Jubel empfangen, das fert Stalin die Ermordung des führenden Par- Ausland reagiert mit nur matt vorgetragenen teimitglieds Sergej Kirow. Die Verhaftungen, Protesten. Verhöre, Schauprozesse und Verbannungen Gut zwei Monate später gibt Hitler der kennen plötzlich keine Grenzen mehr. Die Wehrmacht den Befehl, einen Angriff auf Zahl der Beschuldigten geht in die Hundert- die Tschechoslowakei vorzubereiten. Über tausende, zu ihnen zählen Politiker, Arbeiter, den Führer der Sudetendeutschen Partei, Bauern, Schriftsteller, Intellektuelle und be- Kurt Henlein, setzt er die Regierung in kennende Christen. Die Gewalt macht auch Prag massiv unter Druck, das Sudetenland I Die Ruinen des José-Fina-Hospitals in Guernica nach einem deutschen Luftangriff (Foto vom 26.4.1937) sche Legion Condor richtet bei Luftangriffen auf die baskische Stadt Guernica am 26. April 1937 ein Massaker an, das Pablo Picasso in seinem weltberühmten Gemälde »Guernica« festhält. Auch die Republikaner erhalten Unterstützung, die sich allerdings schon bald als zweischneidig erweist, denn mit der Militärhilfe aus der Sowjetunion gelangt auch der Geist der stalinistischen »Säuberungen« ins Land. Die Fahndung nach sogenannten Linksabweichlern im eigenen Lager schwächt die republikanischen Kräfte. Als ihre letzte Großoffensive zwischen Sommer und Herbst 1938 scheitert, ist der Krieg faktisch entschieden. Am 26. Januar 1939 nehmen die Nationalisten Barcelona ein, am 27. Februar wird die Junta von Großbritannien und Frankreich anerkannt, am 28. März kapitulierte Madrid. Rund 1,2 Mio. Menschen sind tot, mehr als die Hälfte waren 20 16_012-029_Essay.indd 20-21 Zivilisten. Viele Republikaner flüchten, Hunderttausende werden von Francos Schergen in Lager gesperrt, in denen es zu zahllosen Massenerschießungen kommt. Stalins unmenschliche »Säuberungen« Z eitgleich zum Bürgerkrieg in Spanien strebt die Schreckensherrschaft unter dem sowjetischen Diktator Stalin ihrem Höhepunkt zu. Nach der Oktoberrevolution 1917 war dem Georgier der Sprung in die kommunistische Parteiführung gelungen, 1922 hatte er den Posten des Generalsekretärs erhalten. Von skrupellosem Ehrgeiz getrieben, kämpfte er sich nach Lenins Tod 1924 nach und nach bis an die Spitze des Staates, wobei er Kontrahenten wie Leo 21 25.09.2007 17:47:52 Uhr nationalsozialismus und zweiter weltkrieg mit seinen rund 3,5 Mio. Sudetendeutschen an das Reich abzutreten. Im Zeichen der Appeasementpolitik werden die deutschen Forderungen nun auch von Großbritannien und Frankreich unterstützt. Dreimal reist der britische Premierminister Neville Chamberlain nach Deutschland, um die Sudetenkrise durch seine Politik des Entgegenkommens beizulegen. Im Münchener Abkommen vom 29. September 1938 einigen sich Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland auf die Modalitäten der Abtretung. Chamberlain, der am Tag darauf noch einen deutsch-britischen Nichtangriffspakt unterzeichnet, glaubt tatsächlich, in München den »Frieden für unsere Zeit« noch einmal gerettet zu haben. Es dauert nicht lange, bis auch er das Scheitern seiner Appeasementpolitik einsehen muss, denn Hitler will mehr: Mitte März 1939 besetzen deutsche Truppen Böhmen und Mähren und errichten dort ein vom Reich abhängiges »Protektorat«. Die Slowakei wird de jure unabhängig, de facto aber ein deutscher Vasallenstaat. Der Überfall auf Polen E rst jetzt reagieren die Westmächte. Im April 1939 geben sie eine Garantie­ erklärung für Polen ab, kurz darauf nehmen sie Verhandlungen mit Stalin auf. Als die Gespräche im Sommer ins Stocken geraten, springt plötzlich Deutschland in die Bresche. Am 14. August 1939 schlägt Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop den Sowjets einen »kurzen Besuch« in Moskau vor, nur eine Woche später wird, zur vollständigen Einmarsch der Wehrmacht in Prag: Die Bevölkerung empfängt die Besatzer mit Empörung (Foto, 15.3.1939). 22 16_012-029_Essay.indd 22-23 1933 – 1945 Überraschung der Weltöffentlichkeit, zwiEröffnung der Westfront schen Deutschland und seinem ideologischen Hauptgegner UdSSR ein auch als Hitler-Stalin-Pakt bezeichneter »Deutsch-sowjetischer m Frühjahr 1940 beschränken sich die Nichtangriffspakt« unterzeichnet, der neben Westmächte im Wesentlichen noch immer gegenseitigen Garantien ein geheimes detail- darauf, Deutschland mittels einer Seebloliertes Zusatzabkommen über die Aufteilung ckade wirtschaftlich in die Knie zwingen zu Polens enthält. wollen. Als London Anfang April die AbrieMit dem Überfall auf Polen am 1. Septem- gelung der norwegischen Gewässer ankünber 1939 löst Deutschland den größten und digt, entschließt sich Hitler, noch vor einem opferreichsten Krieg der Menschheitsge- Angriff im Westen im Norden aktiv zu werschichte aus. In breiter Front überschreiten den. Mit dem Einmarsch in Dänemark und zwei deutsche Heeresgruppen die Grenze. Norwegen sichert er sich den Erznachschub Innerhalb von drei Wofür die Rüstungsindustrie chen überrollen die deutaus den schwedischen Polen wird nach seiner milischen Panzerdivisionen Gruben. Die Kämpfe im tärischen Niederlage in eine die Westhälfte Polens, das Norden sind noch nicht deutsche und eine russische tapfer kämpft, aber weder abgeschlossen, als deutsche Einflusszone aufgeteilt. über ausreichend PanzerTruppen am 10. Mai 1940 abwehrwaffen noch über mit einem Panzervorstoß eine schlagkräftige Luftwaffe verfügt. Am durch die Ardennen, mit Luftlandungen auf 17. September marschiert auch die Rote Ar- Schlüsselstellungen in Belgien und mit einem mee von Osten her in das Land ein, um sich Angriff auf die Niederlande die Westfront ihren Anteil an der Beute zu sichern. Damit eröffnet. Mit ihrer »Blitzkrieg«-Taktik, einer ist die Zerstörung des polnischen Staates, wie modernisierten Variante des Schlieffenplans er seit dem Jahr 1921 existierte, vollzogen. von 1914, zwingt die Wehrmacht die NiederUngeachtet der Garantieerklärung bleiben lande und Belgien zur Kapitulation, während die Westmächte defensiv. Am 30. November das britische Expeditionskorps und franzö1939 greift Stalin Finnland an, das nach dem sische Verbände bei Dünkirchen eingeschlosgeheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin- sen werden und nur mit knapper Not nach Pakts zur sowjetischen Einflusssphäre gehört. Großbritannien entweichen können. Etwa gleichzeitig beginnen SonderkommanAnschließend holen die Deutschen zum entdos der SS im besetzten Polen mit Massener- scheidenden Schlag gegen Frankreich aus. schießungen, denen allein bis Frühjahr 1940 Am 14. Juni 1940 rücken deutsche Truppen rund 80 000 Menschen – vor allem Politiker, in Paris ein, am 22. Juni unterzeichnet eine Ärzte, Lehrer, Geistliche und Juden – zum französische Delegation die Kapitulation. Opfer fallen. Dass dies erst der Anfang war, Dass Italien am 10. Juni in den Krieg gegen wird sich bald auf schreckliche Weise zei- Frankreich eingetreten war, hatte keine migen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion litärische Bedeutung mehr. Frankreich wird ermorden die deutschen »Einsatzgruppen« im Norden und längs der Atlantikküste von systematisch zwei Millionen Menschen. Die den Deutschen besetzt, im südlichen Teil bilmeisten Opfer sind Juden. Im Juni 1940 wer- det Marschall Philippe Pétain in der neuen den die ersten politischen Gefangenen ins KZ Hauptstadt Vichy eine autoritäre Regierung, Auschwitz verschleppt. die mit den Deutschen zusammenarbeitet. I 23 25.09.2007 17:47:53 Uhr nationalsozialismus und zweiter weltkrieg Nur Churchill hält stand – die Luftschlacht um England N un konzentriert sich Hitler auf England, wo seit Mai 1940 mit dem »Hitler-Fresser« Winston Churchill ein Mann an der Staatsspitze steht, der die Appeasementpolitik seit Jahren als rückgratloses Kuschen brandmarkt. Seine Rolle im Zweiten Weltkrieg wird der britische Historiker Arnold Toynbee später auf die Formel bringen: »Ohne Churchill läge die Welt in Ketten.« Hitler befiehlt der deutschen Luftwaffe, das »Unternehmen Seelöwe«, die Landung von Bodentruppen auf der Insel, vorzubereiten. Die »Luftschlacht um England« beginnt am 13. August 1940. Den 4500 deutschen Flugzeugen stehen weniger als 3000 Maschinen der Royal Air Force gegenüber. Ziel der deut- schen Terrorangriffe ist es, englische Städte wie Coventry »auszuradieren« (Hitler), um Schrecken zu verbreiten. London wird bis Januar 1941 in 60 aufeinander folgenden Nächten bombardiert, 20 000 Zivilisten sterben. Allerdings tragen die Bombardierungen eher zu einer Stärkung des britischen Widerstandswillens bei. Außerdem muss die Luftwaffe Verluste hinnehmen, die größer sind, als sie kurzfristig ausgleichen kann. Hitler muss seine Invasionspläne aufgeben. 1940 besiegeln Deutschland, Italien und Japan den Dreimächtepakt zur Neuordnung Europas und Ostasiens. Den »Achsenmächten« Deutschland und Italien schließen sich bis 1942 Ungarn, Rumänien, Slowakei, Finnland, Bulgarien und Kroatien an. Als Italien auf dem Balkan und in Nordafrika verlustreiche »Parallelkriege« anzettelt, greift der Bündnispartner Deutschland ein: Jugoslawien und Griechenland werden ab dem 6. April 1941 in wenigen Wochen überrollt, die Mittelmeerinsel Kreta nehmen deutsche Fallschirmjäger ein, in Nordafrika kann das deutsche Afrikakorps unter General Erwin Rommel die Briten vorübergehend aus Italienisch-Libyen verdrängen. Russlandfeldzug und Wende in Stalingrad U Steht für eisernes Durchhaltevermögen und Siegeszuversicht: Winston Churchill mit dem Victory-Zeichen 24 16_012-029_Essay.indd 24-25 ngeachtet des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts hat Hitler seine Wahnidee, »Lebensraum« im Osten zu gewinnen und den »jüdischen Bolschewismus« zu vernichten, niemals aufgegeben. Seit Ende 1940 bereitet er den Angriff auf die Sowjetunion vor, der sich durch die Balkanoffensive von 1941 nur verzögert. Am 22. Juni 1941 schließlich überschreitet die Wehrmacht ohne Kriegserklärung, aber mit Tausenden von Panzern, in drei großen Heeresgruppen die sowjetischen Grenzen. Unterstützt wird der 1933 – 1945 Mitten in den Ruinen des umkämpften Stalingrad bereiten sich Einheimische im Oktober 1942 eine Mahlzeit. Einmarsch von einer starken Luftstreitmacht. Anfangs scheint die »Blitzkrieg«-Taktik auch in Russland erfolgreich zu sein. Der Hauptvorstoß kommt erst im November kurz vor Moskau zum Stehen, östlich von Kiew werden vier sowjetische Armeen eingeschlossen und vernichtet. Dann allerdings bricht der Winter herein und mit ihm die mörderische Kälte. Erschöpfung und Materialknappheit machen sich breit, außerdem sehen sich die Invasoren einer entschlossenen Gegenoffensive der Roten Armee ausgesetzt. Zum Wendepunkt an der Ostfront wird die Schlacht um Stalingrad, das im September 1942 von den Deutschen besetzt worden war. Im Zuge der sowjetischen Gegenoffensive wird die 300 000 Mann starke 6. Armee un- ter ihrem Oberbefehlshaber Friedrich Paulus im November 1942 von der Roten Armee eingeschlossen. Zeitgleich beginnen energische Gegenvorstöße auch an anderen Frontabschnitten. Angesichts seiner aussichtslosen Lage entschließt sich Generalfeldmarschall Friedrich Paulus im Februar 1943, gegen den ausdrücklichen Willen Hitlers zu kapitulieren, um wenigstens das Leben seiner verbliebenen, völlig erschöpften Truppe zu retten. 90 000 deutsche Soldaten geraten in russische Gefangenschaft. Hitlers Armeen verlieren den Nimbus der Unbesiegbarkeit. Die desaströse Niederlage hat einschneidende psychologische und militärstrategische Folgen, die den Ausgang des Zweiten Weltkriegs entscheidend mitbestimmen. 25 25.09.2007 17:47:56 Uhr 1933 – 1945 nationalsozialismus und zweiter weltkrieg Grausamer Krieg im Pazifik D Marines hissen nach schweren Gefechten gegen die Japaner am 23.2.1945 die US-Flagge auf der Insel Iwo Jima. 26 16_012-029_Essay.indd 26-27 er Zweite Weltkrieg ist noch immer im Wesentlichen ein europäischer Krieg, als die Japaner mit einem Überraschungs­ angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbor auf Hawaii den Kriegseintritt der USA provozieren. Schon in den Jahren zuvor hatte Japan mit dem Einmarsch in die Mandschurei 1931 und dem Überfall auf China 1937 seine imperiale Ausrichtung erkennen lassen. Im Dezember 1937 überrennen die Japaner die chinesische Hauptstadt Nanjing, in der sie ein furchtbares Massaker an schätzungsweise 200 000 Zivilisten anrichten. Den Vormarsch der Deutschen in Europa nutzen sie im September 1940 zur Besetzung Französisch-Indochinas. Nach dem Überfall auf Pearl Harbor beginnt Japan einen schier unaufhaltsamen Siegeszug im Pazifikraum: Die Truppen des Tenno erobern zahlreiche Pazifikinseln, Hongkong, die Philippinen, das heutige Indonesien (Niederländisch-Indien), Sumatra, Java, Birma und Teile Neuguineas. Nachdem die Japaner im Frühjahr 1942 einen Großteil der alliierten Flotte in der Javasee versenkt haben, befinden sie sich auf dem Gipfelpunkt ihrer Macht. Erstmals gestoppt wird dieser Vormarsch im Mai 1942, als australische und neuseeländische Schiffe der japanischen Flotte in der Korallensee schwere Verluste zufügen. Nur Wochen später, im Juni, kommt es bei den Midwayinseln zur größten Seeschlacht im Pazifikkrieg, in der Japan vier Flugzeugträger und 250 Flugzeuge verliert. Sukzessive erkämpfen sich die Alliierten nun die Initia­tive zurück. Zwischen Sommer 1942 und Ende 1943 erobern sie mehrere Pazifikinseln zurück, Anfang März 1944 vertreiben sie die japanischen Einheiten aus Neuguinea und starten eine Offensive in Birma. Im Juni und Juli 1944 erobern die Amerikaner die strate- gisch wichtigen Marianeninseln, im Oktober landen sie auf den Philippinen. In der großen Seeschlacht vor deren Küste können auch die erstmals eingesetzten Kamikazeflieger, die sich in selbstmörderischer Absicht auf die Flugzeugträger der Alliierten stürzen, die japanische Niederlage nicht abwenden. Die Vorentscheidung fällt mit der amerikanischen Eroberung der heftig umkämpften Inseln Saipan und Iwo Jima: Dank dieser neuen Stützpunkte liegt Japan nun in Reichweite der alliierten Luftwaffe. Der Zusammenbruch Deutschlands B ereits im Mai 1943 hatte die »Heeresgruppe Afrika« unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel kapitulieren müssen, ebenso war der Seekrieg im Atlantik zugunsten der Alliierten entschieden. Anfang Juli 1943 leitete die Niederlage am Kursker Bogen in der größten Panzerschlacht dieses Krieges den Zusammenbruch der deutschen Ostfront ein. Am 10. Juli 1943 landen die Alliierten auf Sizilien, am 9. September auch auf dem italienischen Festland; Mussolini wird gestürzt. Die neue Regierung vereinbart Anfang August 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten, woraufhin Hitler eine neue Front in Italien eröffnet, Rom besetzt und italienische Soldaten gefangen nimmt. Inzwischen werden einige deutsche Städte bombardiert. Gleichzeitig wird die Wehrmacht von der Roten Armee Stück für Stück zurückgedrängt. Im Frühjahr 1944 stehen die sowjetischen Truppen an der polnischen Vorkriegsgrenze, am 6. Juni 1944 beginnt die alliierte Invasion in der Normandie, damit ist im Westen eine weitere Front eröffnet, was die strategische Situation Deutschlands nur noch aussichtsloser macht. Noch einmal mobilisiert Hitler die verbliebenen Kräfte für eine letzte Offensive in den 27 25.09.2007 17:47:57 Uhr 1933 – 1945 nationalsozialismus und zweiter weltkrieg »Endlösung« Holocaust – Selektion und Zyklon B E Nach einem alliierten Luftangriff auf Berlin steht 1943 die Kuppel des Französischen Doms in Flammen. Ardennen. Wegen Material- und vor allem Treibstoffmangels ist kaum noch Gegenwehr möglich, weder gegen die über Weichsel und Oder vorstoßende Rote Armee noch gegen die über den Rhein Richtung Elbe vorrückenden Westalliierten. Die Mobilisierung von Kindern und alten Männern im sogenannten Volkssturm kostet weitere Menschenleben. Am 25. April 1945 wird Berlin eingeschlossen, fünf Tage später erschießt sich Hitler in seinem Bunker unter der Berliner Reichskanzlei. Ein Großteil der deutschen Städte liegt aufgrund der fortgesetzten Bombardierungen in Trümmern. Eine Woche später kapituliert sein Nachfolger Admiral Dönitz bedingungslos. Die Zahl der Opfer dieses grausamen Krieges übertrifft selbst die des Ersten Weltkriegs um ein Vielfaches. Rund 60 Mio. Soldaten und Zivilisten sind tot; von diesen Opfern stammten 27 Mio. aus der Sowjetunion, etwa 10 Mio. aus China. 28 16_012-029_Essay.indd 28-29 rst nach dem Krieg wird das Ausmaß des Massenmords an den europäischen Juden offenbar. Im Frühjahr 1940 werden in Polen, wo mehr als 2,5 Mio. Juden leben, die ersten Gettos eingerichtet. Zur Kennzeichnung müssen die Juden einen gelben Stern auf der Kleidung tragen. In den überfüllten Gettos sind die Lebensbedingungen katastrophal, die Versorgung wird mit Absicht verknappt, Krankheiten und Tod gehören zum Alltag. Im Sommer 1941 erhält der SS-Offizier Reinhard Heydrich von Reichsmarschall Hermann Göring den Befehl, ein Konzept zur »Endlösung der Judenfrage« auszuarbeiten. Fast gleichzeitig wird Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, von Himmler mit der Entwicklung einer Methode zur »industriellen« Massentötung von Menschen beauftragt. Höß lässt von der I. G. Farbenindustrie das Giftgas Zyklon B entwickeln. Zum Einsatz kommt es erstmals im September 1941, als in Auschwitz 900 Kriegsgefangene ermordet werden. Am 20. Januar 1942 treffen sich Vertreter der obersten Parteidienststellen und der Reichsministerien zur Wannseekonferenz. Das Protokoll der Sitzung führt der »Leiter des Judenreferats« Adolf Eichmann. Zum Zeitpunkt des Treffens haben die Einsatzgruppen allein in Russland schon mindestens 500 000 Juden ermordet. Der Massenmord hat längst begonnen, aber erst jetzt wird er zum obersten Staatsziel erhoben. Geplant ist die Ausrottung aller Juden im gesamten deutschen Einflussgebiet. Männer wie Eichmann planen den Genozid in den unterschiedlichsten Behörden mit deutscher Gründlichkeit. Die oberste Zuständigkeit liegt bei Heinrich Himmler, dem »Reichsführer SS«. In den Vernichtungslagern Auschwitz, Majdanek, Treblinka, Chelmno, Sobibór und Belzec werden Gaskammern und Krematorien eingerichtet. Ab dem Frühjahr 1942 beginnt in den als Duschräumen getarnten Gaskammern der Massenmord. Aus 23 europäischen Ländern rollen Bahntransporte mit Männern, Frauen, Kindern und Alten in die Vernichtungslager. Sie enden an einer Selektionsrampe. Die meisten Opfer werden gleich in die Gaskammern geführt, nur die »Arbeitsfähigen« werden aussortiert. Tatsächlich geht es auch um eine Vernichtung durch Arbeit. In Zusammenarbeit mit der SS errichtet die deutsche Großindustrie Zweigbetriebe bei den Lagern; in Steinbrüchen und Munitionsfabriken müssen die Juden wie Sklaven für den »Endsieg« schuften. In einigen Konzentrationslagern führen Mediziner an den Gefangenen bes­ tialische Experimente durch. Als die jüdische Philosophin Hannah Arendt 1943 im US-amerikanischen Exil die Wahrheit über Auschwitz erfährt, reagiert sie zunächst mit Unglauben: »Und dann haben wir es ein halbes Jahr später doch geglaubt, weil es uns bewiesen wurde. Das ist der eigentliche Schock gewesen. Vorher hat man sich gesagt: Nun ja, man hat halt Feinde. Das ist doch ganz natürlich. Warum soll ein Volk keine Feinde haben? Aber dies ist anders gewesen. Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. Weil man die Vorstellung gehabt Ein Zivilisationsbruch ohnegleichen E rst mit dem Vormarsch der Roten Armee werden die Lager befreit. Von den insgesamt 7 210 350 registrierten Häftlingen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern überleben etwa 530 000. Wie viele Juden dem NS-Vernichtungssystem zum Opfer gefallen sind, lässt sich nur grob beziffern, die jüngsten Schätzungen gehen von knapp über sechs Millionen Opfern aus. Auf etwa 500 000 wird die Zahl der ermordeten Sinti und Roma geschätzt, auf 100 000 die der Behinderten, die im Rahmen des Euthanasieprogramms ermordet wurden. Involviert in diese Verbrechen waren die gesamte Exekutive, Legislative und Judikative, unzählige Verwaltungsbeamte, die Wehrmacht, die Industrie und viele Mediziner. Nur eine kleine Gruppe von Tätern musste sich später juristisch verantworten, die anderen setzten ihre Karrieren weitgehend nahtlos fort. Nach der Befreiung: Überlebender Häftling des KZs Buchenwald vor Knochenresten aus dem Krematorium hat, alles andere hätte irgendwie noch einmal gutgemacht werden können, wie in der Politik ja alles einmal wieder gutgemacht werden kann. Dies nicht. Dies hätte nie geschehen dürfen. Und damit meine ich nicht die Zahl der Opfer. Ich meine die Fabrikation der Leichen und so weiter – ich brauche mich darauf ja nicht weiter einzulassen. Dieses hätte nie geschehen dürfen.« 29 25.09.2007 17:48:00 Uhr