Wasserethik – Reflexionen auf einen sich verflüssigenden

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Wasserethik – Reflexionen auf einen sich
verflüssigenden Gegenstand
Studium Generale „Forschung für Nachhaltige Entwicklung – Beiträge der
Universität Tübingen“, WiSe 2015/16 (Tübingen)
17. November 2015, Dr. Simon Meisch
Was ist Wasserethik?
Wasserethik
•  beschäftigt sich mit der menschlichen Praxis im Umgang mit Wasser;
•  prüft die normativen Implikationen dieser Praxis;
•  versucht, Argumente für eine legitime, ethisch reflektierte Praxis im
Umgang mit Wasser zu begründen;
•  ist insofern eine anwendungsorientierte Ethik, als sie sich mit einem (als
problematisch wahrgenommenen) gesellschaftlichen Handlungsfeld
‚Wasser‘ auseinandersetzt.
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Was ist denn das Handlungsfeld ‚Wasser‘?
Was wird denn derzeit unter der Überschrift „Wasserethik“ diskutiert?
Was könnte eine nachhaltige Wasserpraxis sein?
2 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Was ist Wasser?
Wasser
4 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Was ist Wasser?
Am Beispiel Tübingens
Wasser
Am Beispiel Tübingens
6 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
7 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
8 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
9 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
10 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
11 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
12 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser
Am Beispiel Tübingens
Water & Earth System Science
(seit 2009)
13 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Kulturgeschichte des Wassers in
Zentralasien (2014-2017)
Hydraulische Umwelten
• 
“[H]ydraulic environments are socio-physical constructions that are
actively and historically produced, both in terms of social content and
physical-environmental qualities.” (Swyngedouw 2009)
• 
Es handelt sich um „hergestellte Umwelten“, d.h. spezifische historische
Ergebnisse von sozio-biophysikalischen Prozessen.
Die meisten sozialen Prozesse und sozio-ökonomischen Gegebenheiten
(wie Städte, landwirtschaftliche und industrielle Produktionsbedingungen)
werden erhalten und organisiert durch eine Kombination aus:
• 
sozialen Prozessen, d.h. Arbeitsbeziehungen, Konsummuster, …
• 
metabolisch-ökologischen Prozessen, d.h. die biologische,
chemische oder physikalische Transformation von Ressourcen durch
unterschiedliche Technologien.
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14 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Hydraulische Umwelten
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Diese hydraulischen Umwelten schaffen sowohl ermöglichende wie
behindernde soziale und ökologische Bedingungen, die ungleich in einer
Gesellschaft verteilt sein können bzw. werden.
Prozesse des sozio-ökologischen Wandels sind daher niemals sozial
bzw. ökologisch neutral.
Ein polit-ökologischer Forschungsansatz untersucht, den inhärent
konfliktträchtigen Charakter von Prozessen sozio-ökologischen Wandels.
• 
Wie verändern sich soziale Machtbeziehungen (materiell,
ökonomisch, politisch, kulturell)?
• 
Welche (Legitimations-)Diskurse bestimmen darüber, wer Zugang zu
welchem Wasser erhält und wer ausgeschlossen wird?
• 
Wie sind sozio-ökologische Transformationen eingebettet in und
angestoßen durch soziale Auseinandersetzungen (Klasse, Gender,
Ethnie, Religion...)?
15 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Hydraulische Umwelten
• 
Diese hydraulischen Umwelten müssen – grundsätzlich – als dynamisch
angesehen werden: Klimawandel, Urbanisierung…
• 
Neben der sozialen Einbettung von Wasser bestehen noch vielfältige
kulturelle Bezüge, in denen sich Wasser der ausschließlichen Analyse
von Machtbeziehungen bzw. biophysikalischen Eigenschaften entzieht.
Böhme, Hartmut (1988):
Kulturgeschichte des Wassers
16 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasser…
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ist eine Substanz (H20) mit spezifischen, empirisch zu beschreibenden
Eigenschaften;
ist essentiell für Leben auf der Erde;
begegnet dem Menschen in hydraulischen Umwelten, d.h. in Umwelten,
die aus physischen und sozial-kulturellen Faktoren konstruiert sind;
spielt in zahlreichen sozialen, kulturellen, religiösen etc. Praktiken eine
zentrale Rolle;
stellt einen Bezugsobjekt und Spiegel unterschiedlicher Aspekte des
Menschseins dar (Tod und Wiedergeburt, Geschlecht…);
entzieht sich dem ausschließlichen Zugriff durch eine Wissenschaft bzw.
einen wissenschaftlichen Zugang;
….
Wasser ist Gegenstand unterschiedlicher Bezugssysteme, die zu
reflektierende, normative Vorstellungen von Wasser besitzen.
17 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Was ist Wasserknappheit?
Was ist Wasserknappheit?
• 
Wasser ist als eine zentrale Herausforderung nachhaltiger
Entwicklung erkannt:
•  1,8 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang
zu sauberem Trinkwasser.
•  2,4 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang
zu grundlegenden sanitären Anlagen (wie Toiletten oder
Latrinen).
Hemson 2015
19 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Was ist Wasserknappheit?
Tübingen, Deutschland
20 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Distrikt Meatu, Tansania
Was ist Wasserknappheit?
Water Stress
Water Scarcity
World Water Development Report 4. World Water Assessment Programme, March 2012.
21 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Was ist Wasserknappheit? (Mehta/Movik 2014)
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physische Knappheit (first-order scarcity)
das Scheitern des sozioökonomischen Systems, sich an die physische
Knappheit anzupassen (second-order scarcity)
das Scheitern einer Gesellschaft, die sozialen, technologischen und
kulturellen Änderungen herbeizuführen, um mit physischer
Wasserknappheit umzugehen (third-order scarcity)
Und dennoch:
Auch in Gegenden, in denen es keine Wasserknappheit gibt, kann –
sozial bedingt – Mangel vorherrschen!
22 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Diskurse
Wasserethik – ein neues Handlungsfeld?
The notion of a water ethics has emerged over the past 10 years only and
is still relatively unknown in the field of applied ethics. The extent of its
body of literature is rather small up to now. It consists of a heterogeneous set of approaches to the value of water in different respects (cultural,
religious, ecological and economical) and associated with the debates on
sustainable development and environmental justice. (Grunwald 2015)
24 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethik – ein neues Handlungsfeld?
• 
Wie kann es sein, dass angesichts der mehrtausendjährigen Tradition
der Verregelung von Wasser und des Nachdenkens über Wasser
Wasserethik ein neues Handlungsfeld ist?
25 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethik – ein neues Handlungsfeld?
• 
Wie kann es sein, dass angesichts der mehrtausendjährigen Tradition
der Verregelung von Wasser und des Nachdenkens über Wasser
Wasserethik ein neues Handlungsfeld ist?
• 
Es gibt tatsächlich einen wachsenden ethischen Diskurs, der sich selbst
als ein wasserethischer versteht. – Warum?
• 
Terminologische Frage: Unpräzise Unterscheidung von Ethik und
Moral?
• 
Politische Frage: Engagement für eine andere soziale Praxis?
• 
Wissenschaftliche Frage: Fehlender interdisziplinärer Austausch?
26 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Ethik und Moral
• 
Moral umfasst die in einer Gruppe vorfindlichen Vorstellungen des guten
Lebens sowie von Pflichten gegenüber sich selbst und anderen.
• 
Ethik ist die systematische philosophische Reflexion über Moral, d.h.
darüber welche Normen und Werte menschliches Verhalten anleiten
sollen:
• 
Deskriptive Ethik untersucht, welche Werte und Normen Individuen
haben oder sich in einer Gesellschaft finden lassen? (Empirische
sozialwissenschaftliche Forschung)
• 
Metaethik untersucht u.a. die Struktur von ethischen Argumenten, der
ethischen Sprache, den Erkenntnisanspruch von Ethik etc.
(Wissenschaftstheorie der Ethik)
• 
Normative Ethik kritisiert die moralische Praxis, versucht, Werte und
Normen zu begründen und/oder ethische Urteile zu bilden etc.
(Moralphilosophie)
27 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Ethik
• 
Worum geht es der Ethik?
• 
Glück und gelingendes Leben vs. Pflichten und Rechte
• 
An wen richtet sich Ethik?
• 
Individual- vs. Sozialethik
• 
Welchen Geltungsanspruch hat die Ethik?
• 
Nonkognitivismus vs. Kognitivismus
• 
Universalismus vs. Relativismus
Ø 
Ethikerinnen und Ethiker sind Fachleute für die Reflexion von
moralischen Theorien, Konzepten, Begründungen etc.; sie schreiben
aber nicht die richtige Moral vor!
28 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Ethik und Moral
“Overall, we have been quick to assume rights to use water but slow to
recognize obligations to preserve and protect it. Better pricing and more
open markets will assign water a higher value in its economic functions, and
breed healthy competition that weeds out wasteful and unproductive uses.
But this will not solve the deeper problem. What is needed is a set of
guidelines and principles that stops us from chipping away at natural
systems until nothing is left of their life-sustaining functions, which the
marketplace fails to value adequately, if at all. In short, we need a water
ethic – a guide to right conduct in the face of complex decisions about
natural systems that we do not and cannot fully understand.”
(Postel 2008)
29 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Kognitivistische vs. non-kognitivistische Positionen
„It is assumed that passing value judgements is not particularly a task of a
certain scientific discipline (ethics), but merely a task of gut feeling.“
(Kowarsch & Schröer 2011)
30 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Universalistische vs. relativistische Positionen
„Throughout the mid-to-late 20th century, feminist and postcolonial scholars
demonstrated how claims about ‘rationality’ are culturally-specific and,
when mobilized in ethics, often inscribe norms that exclude women,
nonwestern peoples, other species, and nature in general from due
consideration. As such, universality and necessity came to be seen as
arising from situated power relationships that privileged a culturally
contingent model of a rational, upperclass (usually white)
male.” (Schmidt/Peppard 2014)
31 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Anthropozentische vs. ökozentrische Ansätze
„Embedded within this water ethic is a fundamental question: Do rivers and
the life within them have a right to water? […] rivers and trees and other
objects of nature do have rights, and these should be protected by granting
legal standing to guardians of the voiceless entities of nature, much as the
rights of children are protected by legal guardians.” (Postel 2008)
32 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Positivistische vs. integrative wissenschaftliche Zugänge
“Approaches to defining water problems and designing solutions often rest
on an image of a more stable, controllable world. Coupled with views
that see water problems in aggregate, technical terms, ignoring the
sociocultural, political, and distributional issues that can underlie what
constitutes access, for instance, the result is often policies and interventions
that promote singular views of ’progress’ in water. Yet, such progress
often fails to address sustainability and meet goals of poverty reduction and
social justice.” (Mehta/Movik 2014)
33 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Kommodifizierung von vs. Recht auf Wasser
„Water has an economic value in all its competing uses and should be
recognized as an economic good.“ (Dublin Principle No. 4, 1992)
„[The UN General Assembly] recognizes the right to safe and
clean drinking water and sanitation as a human right that is essential for
the full enjoyment of life and all human rights.” (UN 2010)
34 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserethische Kontroversen
Kommodifizierung von vs. Recht auf Wasser
35 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserpraxis und nachhaltige Entwicklung
Wasserpraxis und nachhaltige Entwicklung
Normativer Kern von nachhaltiger Entwicklung ist die Vorstellung inter- und
intragenerationeller Gerechtigkeit:
•  Alle sollen heute und in der Zukunft die Möglichkeit besitzen, ein
gelingendes Leben führen zu können.
•  Die natürlichen und die sozialen Voraussetzungen, um ein solches Leben
führen zu können, sollen geschützt und weiterentwickelt werden.
37 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserpraxis und nachhaltige Entwicklung
• 
• 
Ø 
Alle sollen heute und in der Zukunft die Möglichkeit zu dem Wasser
besitzen, um ein gelingendes Leben führen zu können.
Die natürlichen und die sozialen Voraussetzungen für dieses Wasser
sollen geschützt und weiterentwickelt werden.
Was benötigen Menschen, um ein gelingendes Leben führen zu können,
und das direkte moralische Pflichten begründet sowie indirekte Pflichten
zum Schutz und zur Förderung dieser Voraussetzungen?
38 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Wasserpraxis und nachhaltige Entwicklung
39 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
Resumee
Wasserethik
•  beschäftigt sich mit der menschlichen Praxis im Umgang mit Wasser;
•  prüft die normativen Implikationen dieser Praxis;
•  versucht, Argumente für eine legitime, ethisch reflektierte Praxis im
Umgang mit Wasser zu begründen;
•  ist insofern eine anwendungsorientierte Ethik, als sie sich mit einem
gesellschaftlichen Handlungsfeld (Wasser) auseinandersetzt;
•  versteht sich als Individual-, Sozial- und Wissenschaftsethik;
•  findet sich in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld wieder, in dem sie
Moral reflektieren kann, aber auch eine neue Moral fördern soll (und
möchte);
•  ist damit kritisch – und konstruktiv.
40 | Dr. Simon Meisch (IZEW)
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