Versuche zur Wiedererlangung der Macht

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Versuche zur
Wiedererlangung der
Macht
Karls Ambitionen, die verlorene Macht
wiederzuerlangen, konzentrierten sich vor allem auf
Ungarn. Dies erweckte Unruhe in den Nachfolgestaaten
der untergegangenen Habsburgermonarchie.
Der entmachtete Kaiser sah sich weiterhin als rechtmäßiger
Herrscher. Karl klammerte sich an die fälschliche Vorstellung,
immer noch großen Rückhalt im „Volk“ zu haben, und sah
seine Entmachtung als Resultat einer Verschwörung
antihabsburgischer Kräfte. Bereits von Schloss Eckartsau im
niederösterreichischen Marchfeld aus, wo sich der Habsburger
im Winter 1918/19 aufhielt, startete Karl erste Versuche, die
verlorene Macht wiederzuerlangen: Karl bat den britischen
Offizier E. L. Strutt beim englischen König Georg V. zu
intervenieren. Der Exkaiser stellte dabei die realitätsfremde
Forderung nach einem 5.000 bis 10.000 Mann starken
Kontingent britischer Soldaten, um „die Ordnung
wiederherzustellen“. Aus London kam nicht einmal eine
Antwort …
Die Vorstellung einer teilweisen Wiederherstellung
habsburgischer Macht war nicht ganz unrealistisch angesichts
der Ereignisse in Ungarn. Dort war im März 1919 eine
bolschewistische Räterepublik unter der Führung von Béla Kun
ausgerufen worden. Das Gespenst des Bolschewismus ließ die
habsburgische Alternative in den Augen des Westens als
kleineres (und berechenbareres) Übel erscheinen. Für die
meisten Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie wie die
Tschechoslowakei oder Rumänien, die sich auf der Pariser
Friedenskonferenz versammelt hatten, war dies
jedoch undenkbar.
Der Grund, warum sich Karls Bemühungen gerade auf Ungarn
konzentrierten, lag in der speziellen Entwicklung der dortigen
politischen Lage. Das Land versank nach dem Zusammenbruch
der habsburgischen Monarchie im Chaos, verursacht durch
extremistische politische Parteien. Zunächst wurde in Budapest
im März 1919 eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild
ausgerufen, die sich unter der Führung Béla Kuns (1886–1939)
zu einem Terrorregime entwickelte. Die Gegenkräfte sammelten
sich in Wien und Szeged, wo sich eine rechte Gegenregierung
bildete, die eine Rückkehr zur Monarchie propagierte. Zu dieser
Gruppierung gehörte der ehemalige k. u. k. Vice-Admiral Miklós
Horthy (1868–1957), der zum Oberkommandeur der
antikommunistischen Streitkräfte ernannt wurde. Horthy war
als ehemaliger Adjutant Kaiser Franz Josephs durch Zufall auch
Fahrer von Karl und Zita bei deren Hochzeit 1911 gewesen.
Die bolschewistische Räterepublik wurde mit Unterstützung der
Entente-Mächte durch einen militärischen Eingriff der
rumänischen Armee am 3. August 1919 gestürzt. Nun begann
der Gegenterror der extremen Rechten. Vom konservativen
Lager Ungarns wurde in der Folge der Verzicht Karls auf die
Regierungsgeschäfte als unrechtmäßig dargestellt und die
Rückkehr zur Monarchie, wobei unter Umständen auch ein
anderer Habsburger als Karl auf dem Thron vorstellbar
gewesen wäre, propagiert. So wurde unter anderem Erzherzog
Albrecht aus der Teschener Linie, die in Ungarn reich begütert
war, als Kandidat vorgeschlagen.
Ein weiterer Kandidat war Erzherzog Josef aus der ungarischen
Linie der Dynastie. Dieser Habsburger war noch im Oktober
1918 von Kaiser Karl zum „homo regius“ (Statthalter) ernannt
worden. Nach der Niederschlagung der Räterepublik übernahm
Josef im August 1919 die Funktion eines Reichsverwesers, als
der er die Regierung unter Ministerpräsident István Friedrich
ernannte und Horthy als Chef der Armee bestätigte. Erzherzog
Josef trat jedoch nach kurzer Zeit wieder von seinem
Amt zurück.
Im Januar 1920 trat in Ungarn eine neue Verfassung in Kraft,
laut der das Land zu einer Monarchie ohne König erklärt wurde.
Im März 1920 wurde schließlich Admiral Horthy zum
Reichsverweser ernannt. Anfänglich loyal zu Karl, strebte
Horthy später jedoch eine Aufrechterhaltung des Status Quo
an und verhinderte die Rückkehr Karls auf den Thron. Unter
Horthy etablierte sich in Ungarn ein autoritäres Regime mit
national-chauvinistischer Ausrichtung. Die Stimmung im Land
war von einem geistlosen Konservatismus geprägt, der durch
die Bestimmungen des Friedensvertrages von Trianon, die
Ungarn massive Gebietsverluste brachten, verstärkt wurde.
Autor
Martin Mutschlechner
Literatur
Brook-Shepherd, Gordon: Um Krone und Reich. Die Tragödie des
letzten Habsburgerkaisers, Wien 1968 Broucek, Peter (Hrsg.):
Anton Lehár. Erinnerungen. Gegenrevolution und
Restaurationsversuche in Ungarn 1918–1921, Wien 1973 Broucek,
Peter: Karl I. (IV.). Der politische Weg des letzten Herrschers der
Donaumonarchie, Wien 1997 Demmerle, Eva: Kaiser Karl I. „Selig,
die Frieden stiften …“. Die Biographie, Wien 2004 Gottsmann,
Andreas (Hrsg.): Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der
Donaumonarchie, Wien 2007
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