3. Die Schlacht im ›Teutoburger Wald‹ 4. Arminius der Cherusker

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ALFRED KRÖNER
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3. Die Schlacht im ›Teutoburger Wald‹
Die Quellen
Der Ausgang der Schlacht im fernen Germanien, die Varus das Leben kostete
und seine Karriereträume hinfällig machte, hinterließ in Rom bleibenden Eindruck. Aber obwohl die Niederlage vielfältige Reflexe in der antiken Literatur
fand, liegen uns keinerlei Augenzeugenberichte vor. Die vier Texte, die das
meiste von dem beitragen, was wir an Informationen zum Schlachtgeschehen
besitzen, entstanden alle in gehörigem zeitlichen Abstand. Es handelt sich um
die Berichte bei Velleius Paterculus (ca. 20 v. Chr. – 30 n. Chr.) – in dessen eigenes Erleben die Schlacht immerhin noch fiel –, Tacitus (ca. 48–116 n. Chr.),
Florus (1. Hälfte des 2. Jh. n. Chr.) und Cassius Dio (155 – ca. 240 n. Chr.), der
die ausführlichste Schilderung liefert. Tacitus geht im übrigen auf die Ereignisse im ›Teutoburger Wald‹ nur in Form einer Rückblende ein, die er in die
Schilderung späterer Ereignisse einflicht. Alle genannten Autoren bis auf den
Zeitgenossen Paterculus, der sich noch auf offizielle Verlautbarungen, Gerüchte und die Befragung von Zeitzeugen stützen konnte, waren von anderen –
früheren – literarischen Darstellungen der Ereignisse abhängig. Neben Paterculus’ historischem Werk, das die Schilderung bei Florus unübersehbar beeinflusst hat, war die Hauptquelle wenigstens für Tacitus und vermutlich auch für
Cassius Dio1 eine heute verlorene Geschichte der Germanenkriege in 30 Büchern aus der Feder des älteren Plinius. …
4. Arminius der Cherusker
Während Quinctilius Varus eifrig damit beschäftigt war, seine Karriere zu planen, und Stufe um Stufe der senatorischen Ämterlaufbahn, des cursus honorum,
erklomm, wurde fern von Rom, im Cheruskerland im Nordwesten der Germania, der Mann geboren, dem es bestimmt war, seine Nemesis zu werden:
Arminius erblickte um das Jahr 16 v. Chr. das Licht der Welt.2 Die Bedeutung
1 Die Quellen, die Cassius Dio heranzog, lassen sich nicht mit Bestimmtheit rekonstruieren:
Er nennt durchweg keine Gewährsleute, bezieht sich nur einmal undeutlich auf »einige«,
denen er Informationen über das Geschehen verdanke (Cass. Dio LVI. 23, 1; vgl. Millar
1964, 32–40; Manuwald 2007, 444).
2 Arminius’ genaues Geburtsdatum ist unsicher. Nach Tacitus (ann. II. 88) wurde er 37 Jahre
alt, von denen er 12 als König herrschte. Folgt man dem annalistischen Schema bei Tacitus,
Aus: Michael Sommer, Die Arminiusschlacht, 2009. © Alfred Kröner Verlag
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seines Namens ist ungewiss: Dass es sich um eine Variante von Armenius – ›der
Armenier‹ – handelt, ist wenig wahrscheinlich. Eher war ›Arminius‹ die latinisierte Fassung eines germanischen Namens. Er entstammte der Königssippe
(stirps regia) der Cherusker, eines im Raum der Oberweser ansässigen Stammes.
Arminius’ Vater Sigimer war ein princeps,3 was nicht heißen muss, dass er das
Stammesoberhaupt war. Vermutlich ist der Titel so zu verstehen, dass Sigimer
zur engeren Stammeselite zählte. Arminius’ Bruder Flavus (›der Blonde‹) diente
nach Tacitus als Offizier in römischen Diensten, verlor unter Tiberius ein Auge
und wurde mehrfach für seine Tapferkeit ausgezeichnet. Er verblieb auch nach
der Arminiusschlacht in seiner Stellung.4
Bereits der Begriff ›Stamm‹ ist problembeladen. Unbestritten ist, dass es bei
den Germanen Gruppen gab, die sich als Abstammungsgemeinschaften begriffen;5 Tacitus, der die detaillierteste zeitgenössische Darstellung der Verhältnisse
im rechtsrheinischen Barbaricum liefert, gebraucht als lateinische Äquivalente
gleich drei Begriffe: gens, natio und civitas. Wie sie sich genau unterscheiden,
wird nicht ersichtlich, doch spiegelt die differenzierende Terminologie noch
am ehesten verschiedene Entwicklungsstadien der fiktiv-verwandtschaftlichen
Identitätsgruppen wider, in die sich die germanische Gesellschaft seit caesarischer Zeit gliederte. Mangels besserer Begrifflichkeit wird auch im Folgenden
immer wieder von ›Stamm‹ die Rede sein – die unvermeidliche Unschärfe
wird damit billigend in Kauf genommen.6
Kaum weniger Schwierigkeiten bereitet die Bezeichnung ›Germanien‹ bzw.
›Germanen‹. So gelten meist all jene Völkerschaften, die zwischen Rhein und
Don ansässig waren, als ›Germanen‹. Sprachwissenschaftliches Kriterium ist die
erste (germanische) Lautverschiebung des Indoeuropäischen, archäologisches
die im norddeutschen Raum verbreitete Jastorf-Kultur. Selbst als ›Germanen‹
verstanden sich indes nur die linksrheinisch siedelnden Germani cisrhenani, die
bei Caesar unter diesem Namen auftauchen, ihrer Sprache nach jedoch keltisierte Belger waren. Angesichts der offensichtlichen Unterschiede wäre es wohl
kaum einem Römer in den Sinn gekommen, die sesshaft-bäuerlichen Cherus-
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der den Tod des Arminius Ende des Jahres 19 n. Chr. ansetzt, so ergäbe sich daraus das Geburtsjahr 18 v. Chr. Nimmt man hingegen an, dass Arminius erst nach dem Sieg über Varus
zum König der Cherusker aufstieg, er also 21 n. Chr. starb, so wäre er 16 v. Chr. geboren
worden. Für diese Deutung hat sich vor allem Timpe (1970, 25) ausgesprochen.
Vell. II. 118.
Vermutlich war Flavus römischer Bürger und diente in einer Auxiliareinheit. Tacitus (ann.
II. 9) nennt aucta stipendia (erhöhten Sold), die torquis (›Ehrenkette‹) und corona (›Krone‹,
vermutlich ist die corona civica gemeint) als dona militaria (Auszeichnungen), die Flavus im
Laufe seiner militärischen Laufbahn erhalten habe. Für eine geographische Bedeutung des
Namens Armenius Hohl 1942, der glaubt, Arminius habe Gaius Caesar auf dessen Orientmission begleitet. Skeptisch dazu Wolters 2008, 91; 96.
Noch halbwegs reale Abstammungsgemeinschaften waren ›Sippe‹ bzw. ›Clan‹, die oft den
Nukleus eines Kleinstammes bildeten. Vollständig fiktiv wurde das Modell in den ostgermanischen Großstämmen und Stammeskonföderationen der Wanderungsepoche.
Dazu im Detail weiter unten, S. 104f.
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ker der Zeit um Christi Geburt und die quasi-nomadischen, bei Adrianopel
(378 n. Chr.) siegreichen Terwingen Fritigerns zur selben Völkerfamilie zu
zählen, nur weil sie ein ähnliches Idiom sprachen. Die Widersprüche sind
kaum aufzulösen: Die verschiedenen ›germanischen‹ Völker lassen sich weder
sauber von anderen Gruppen (z. B. den ›Kelten‹) abgrenzen noch traten sie
nach soziologischen und anthropologischen Kriterien hinreichend einheitlich
auf, um als Teile eines Ganzen gelten zu können.7 Diese begrifflichen Schwierigkeiten gilt es im Auge zu behalten, wenn wir uns jetzt Arminius und seinem
näheren Umfeld zuwenden.
Noch eine römische Karriere
Wie sein Bruder Flavus trat auch Arminius bald in römische Dienste. Sigimer
und sein Bruder Inguimer, Arminius’ und Flavus’ Onkel, scheinen in ihrem
Stamm die prorömische Partei angeführt zu haben. Arminius’ Schwiegervater
Segestes hatte bereits um 12 v. Chr. das römische Bürgerrecht erhalten, als die
Cherusker mit Drusus’ Vorstößen bis zur Elbe näher ins Blickfeld der Römer
rückten. Erstmals war Caesar 53 v. Chr. auf den Stamm aufmerksam geworden,
dessen Gebiet durch einen großen Wald, die Silva Bacenis, von dem der Sueben
getrennt war. Zwischen 12 und 9 v. Chr. hatte Drusus, wenn man den Berichten der römischen Historiker glauben darf, die Cherusker ›unterworfen‹ – gemeinsam mit Sueben und Sugambrern. Auslöser des blutigen Feldzugs gegen
die drei Stämme soll die von ihnen zu verantwortende Kreuzigung von 20 römischen Zenturionen gewesen sein.8
Verworren, wie die Schilderung der römischen Schriftsteller nun einmal ist,
lassen sich doch immerhin einige Fakten aus den Texten herausdestillieren:
Erstens scheinen die Römer während Drusus’ Kampagnen keine geschlossenen
Stammesverbände angetroffen zu haben, denn die Legionen hätten es unmöglich mit drei vollständig mobilisierten germanischen Stämmen aufnehmen
können – Florus bezeichnet sie zu Recht als äußerst mächtige Stämme (validissimas nationes).9 Vielmehr scheint der Widerstand von einzelnen Gruppen innerhalb der Stämme ausgegangen zu sein, während andere mit den Römern
kollaborierten. Nur so ist zu erklären, dass Arminius’ Schwiegervater während
der Feldzüge das römische Bürgerrecht verliehen wurde. Offensichtlich waren
die Stammeseliten in der Frage, wie mit Rom umzugehen sei, gespalten – Analogien zu anderen Regionen der römischen Peripherie drängen sich auf.10
Zweitens war den Römern mitnichten die vollständige Unterwerfung der
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Die terminologischen Probleme bringt jetzt präzise auf den Punkt: Barbero 22008, 29–31.
Flor. epit. II. 30.
Ebd. 30, 24.
Zu vergleichbaren Konflikten in Mesopotamien: Sommer 2005, 249– 256. Ähnlich waren
auch die keltischen Stammeseliten während Caesars ›Gallischem Krieg‹ untereinander
kaum je einig.
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Stämme gelungen. Sie mochten tief im germanischen Barbaricum auf kooperationswillige Stammesführer – Männer wie Segestes und Sigimer – treffen, die
ihnen hier und da auch ihre Söhne als Geiseln, lebendige Garantien für ihr
Wohlverhalten, übergaben. Dauerhafte Befriedung aber sieht anders aus: Die
tribalen Eliten der Germanen waren viel zu fragmentiert, als dass es klare Frontstellungen hätte geben können. Die insgesamt diffuse Lage erklärt auch, weshalb Drusus im Jahr 11 v. Chr. einen Stamm wie die Usipiter unterwerfen
musste, durch deren Territorium er noch im Jahr zuvor völlig unbehelligt gezogen war.11
Wie sein Bruder Flavus dürfte Arminius, der durch seinen Vater bereits im
Besitz des römischen Bürgerrechts war, Aufnahme bei den Hilfstruppen (auxilia) gefunden haben.12 Hierbei handelte es sich um Verbände, die in den Provinzen und sogar jenseits der Reichsgrenzen ausgehoben und für die vorzugsweise Nichtrömer rekrutiert wurden. An Stärke und durchaus auch an Kampfkraft waren sie den Legionen ebenbürtig, die sich ausschließlich aus römischen
Bürgern zusammensetzten. Zwar erhielten die Männer der Auxiliarverbände,
deren Dienstzeit wie die der römischen Soldaten 25 Jahre betrug, geringeren
Sold als die Legionäre, doch waren sie dadurch nicht automatisch Kämpfer
zweiter Klasse. Die Aussicht auf ein regelmäßiges Einkommen, das alles in den
Schatten stellte, was sich sonst jungen Männern in den Provinzen bot, war ein
steter Anreiz für Nichtrömer, sich bei den Rekrutierungsbüros zu melden.
Nicht zuletzt winkte all jenen, die nach Ende der langen Dienstzeit in Ehren
entlassen wurden, das römische Bürgerrecht und eine bedeutende Abfindung.
Die Hilfstruppen waren in Infanteriekohorten bzw. alae (Reiterschwadronen) gegliedert, in denen in der frühen Kaiserzeit meist geschlossene landsmannschaftliche Verbände mit traditioneller Ausrüstung Dienst taten, die ihre
angestammte Kampfweise praktizierten. So eilte etwa Palmyrenern und Osrhoenern ihr Ruf als ausgezeichnete Bogenschützen voraus, Gallier und Pannonier waren als schwere Kavalleristen (Kataphrakten) geschätzt. Die Gliederung der Auxiliarverbände entsprach grob jener der Legionen: Zenturionen
befehligten die Hundertschaften, in die sich die Kohorten teilten, mit dem optio
(Zenturionenstellvertreter), dem signifier (Standartenträger) und dem tesserarius
(›Spieß‹) als Stab. Die 32 Mann starken Reiter-turmae unterstanden Dekurionen. In der frühen Kaiserzeit rekrutierte sich das Offizierskorps der Hilfstruppen vielfach aus den Eliten der Stämme, die unter römischen Feldzeichen
11 Cass. Dio LIV. 33. Zu den Hintergründen ausführlicher: Riemer 2006, 43.
12 Dass Arminius in den römischen Hilfstruppen Dienst tat, lässt sich nur einer einzigen, dazu
nicht leicht zu interpretierenden Stelle bei Velleius Paterculus (II. 118, 2) entnehmen: adsiduus militiae nostrae prioris comes (wörtlich: »Er war ein unermüdlicher/beständiger Teilnehmer an unserem vorherigen Feldzug.«). Dieter Timpe hat den kryptischen Passus auf
Tiberius’ Feldzug gegen die Pannonier (6–8 n. Chr.) bezogen, und darin ist ihm mit gutem
Grund ein Großteil der Forschung gefolgt; vgl. Timpe 1970, 44f. Vgl. auch: Wells 2005,
103f.; Wiegels 2007a, 21.
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Dienst taten; oft waren es die Stammesführer selbst, die ganze Sippschaften geschlossen in die Kohorten eingliederten und dann auch persönlich kommandierten. So darf man annehmen, dass auch Flavus und Arminius ihren Dienst
bei den Kohorten nicht allein antraten: Die Mannschaftsränge ihrer Einheiten
füllten sie mit Stammverwandten. Das klientelare Verhältnis zwischen dem
Stamm und seinen Eliten wuchs so gleichsam in die hierarchischen Strukturen
der römischen Armee hinein. Bedenkt man die möglichen Loyalitätskonflikte,
die sich daraus ergaben, so funktionierte die Integration von Nichtrömern ins
römische Heer insgesamt erstaunlich gut.
Die ethnische Struktur des Hilfstruppenkontingents trug erheblich zur
Überlegenheit des römischen Militärs bei: Auf praktisch allen Kriegsschauplätzen konnte Rom seinen äußeren Feinden nicht nur mit seinen Legionen gegenübertreten, sondern auch mit Verbänden, die Bewaffnung und Kampfweise
des Gegners spiegelten. Die Kombination von Symmetrie und Asymmetrie in
der Kriegführung verschaffte Roms Feldherren oft das entscheidende Moment,
das sie von ihren Gegenspielern absetzte.13
Ihre bedeutende ethnische Komponente – vor allem die Rekrutierung ganzer Stämme, die außerhalb der Reichsgrenzen lebten – barg aber für die römische Armee auch ein erhebliches Risiko: Nichts garantierte letztlich, dass die
Solidarität objektiver oder gefühlter Verwandtschaft, die zwischen den Stammesangehörigen bestand, nicht im Ernstfall stärker sein konnte als die militärische Disziplin, deren Einhaltung selbstverständlich auch den Auxiliarverbänden kompromisslos abverlangt wurde.
Arminius’ militärische Karriere, über die den Texten wenig zu entnehmen
ist, dürfte sich in diesem Koordinatensystem bewegt haben: Zwar kannte die
römische Armee kein festes Rekrutierungsalter, doch traten die meisten jungen
Soldaten ihren Dienst im Alter von 17 bis 20 Jahren an. Legt man dieses Eintrittsalter auch für Arminius zugrunde, so schloss er sich den römischen Hilfstruppen im ersten Jahrfünft unserer Zeitrechnung an; im Jahr 4 n. Chr. gelang
Tiberius die Unterwerfung der zwischenzeitlich abgefallenen rechtsrheinischen Stämme, so dass die Voraussetzungen für die Rekrutierung germanischer
Kontingente günstiger waren als zuvor. Womöglich war die Einheit, der Arminius angehörte, zunächst ein irreguläres Volksaufgebot der Cherusker, das
erst später zu einer regelrechten Auxiliarkohorte umgebildet wurde.14 Arminius war von edler Abstammung, verstärkte die Einheit mit seinen Stammesbrü13 Gilliver 2007, 193–195. Speziell zu den Hilfstruppen im römischen Germanien: Alföldy
1968.
14 Zu dieser Praxis in Germanien: Alföldy 1968, 91–94. Das allmähliche Hineinwachsen ethnischer Formationen in die römische Armee ist auch andernorts zu beobachten, im Orient
etwa in Dura-Europos, wo im 2. Jh. n. Chr. zunächst palmyrenische Bogenschützen ihre
Garnison bezogen, aus denen später ein regulärer römischer Verband (cohors XX Palmyrenorum) gebildet wurde (Sommer 2005, 311f.). Auch hier fiel die Bildung der Kohorte mit der
schrittweisen Eingliederung der Grenzregion in den römischen Herrschaftsbereich zusammen.
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dern und wurde daher direkt als Offizier der mittleren Kommandoebene –
vielleicht im Rang eines Zenturio – übernommen. Das römische Heer wurde
dem jungen Germanen schnell zur zweiten Heimat: Er bediente sich selbstverständlich des Lateinischen als Kommandosprache,15 lernte in den Kategorien
der römischen Armee denken und eignete sich das für einen Offizier unentbehrliche taktische Wissen an. Wie sein Bruder bewährte sich auch Arminius
und erwarb sich so den Rang eines römischen Ritters und unabhängig davon
vermutlich die Dienststellung des Kohortenkommandeurs, vielleicht im Range
eines Militärtribunen.16
Stammesgesellschaft im Wandel
Seine Feuertaufe erlebte der Cherusker Arminius vermutlich im Pannonierkrieg des Tiberius: Tiberius hatte die an der mittleren Donau siedelnden Pannonier bereits 9 v. Chr. entscheidend geschlagen und damit das Land zwischen
Save und Donau eigentlich befriedet. 6 n. Chr. war bei den Pannoniern ein
Aufstand ausgebrochen, nachdem ein Großteil der Garnisonen abgezogen
worden war, um den Widerstand der mit dem Markomannen Marbod (Maroboduus) verbündeten Stämme an der Elbe zu brechen. Um den Siedlungskern
der Markomannen in Böhmen hatte sich unter Marbods Führung ein Reich
gebildet, das von der Donau bis zur Ostsee und von der Weichsel bis zur Elbe
reichte.
Das neue Marbod-Reich, eigentlich eine locker gefügte Stammeskonföderation, und der Pannonieraufstand verraten viel über die Verhältnisse, die um
die Zeitenwende an und jenseits von Rhein und Donau herrschten. Erstens ließen sich Geschehnisse und Entwicklungen beiderseits der Flussgrenze nicht
voneinander trennen. Schon allein dadurch, dass die Römer gezwungen waren, ihre Truppen dort zu massieren, wo Krisenherde aufbrachen, und deshalb
Soldaten aus anderen Regionen abziehen mussten, waren neue Unruhen meist
vorprogrammiert. In stürmischen Zeiten erwies sich der Grenzschutz allzu
leicht als Decke, die an allen Ecken zu kurz war: Diese Erfahrung musste auch
Tiberius machen, als er Kräfte aus dem Donauraum abzog, um die mit Marbod
verbündeten Elbgermanen zu unterwerfen. Das Vorgehen Marbods zeigt aber
auch, dass, zweitens, germanische Führer dazu in der Lage waren, großräumig
Operationen zu planen und diplomatisch aktiv zu werden. Ihren im Vergleich
zu früheren germanischen Stammesführern deutlich vergrößerten Aktionsradius verdankten sie vor allem dem Umstand, dass ihr Königtum eine ganz neue,
stark charismatische Komponente erlangt hatte, die das verwandtschaftliche
15 Tac. ann. II. 10.
16 Tacitus (ebd.) nennt Arminius einen »Führer seiner Landsleute« (ductor popularium). Damit
ist vermutlich aber nicht eine klar umrissene Dienststellung gemeint, sondern lediglich die
Funktion, die er im Verband ausübte.
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bzw. fiktiv-verwandtschaftliche Gefüge der traditionellen Stammesverbände
sprengte. Von Marbod wird deshalb noch zu berichten sein.
Ein germanisches Königtum völlig neuen Zuschnitts war denn auch der dritte Faktor, mit dem die römischen Eroberer zu rechnen hatten. Um zu verstehen, wie sehr sich die Stämme der Zeit um Christi Geburt von den sozialen
Strukturen des vorrömischen Germanien unterschieden, ist die wenigstens
umrisshafte Kenntnis der Gesellschaft im späteisenzeitlichen Gallien und Germanien unerlässlich: Der Stamm traditioneller Prägung war beiderseits des
Rheins zunächst eine überschaubare, ethnisch kompakte Einheit, die sich selbst
als Abstammungsgemeinschaft verstand. Sie siedelte in der nach einem wichtigen Fundort am Neuenburgersee in der Schweiz als ›La-Tène-Zeit‹ (5.–1. Jh.
v. Chr.) bezeichneten Periode anfangs in kleinräumigen Strukturen, in weitgehender Isolation von ihren Nachbarn, und war im Wesentlichen ortsfest. Die
Stammeselite bestand aus Ältesten, die ihre Position von ihrer Stellung innerhalb der Großfamilie und der Stellung ihres Clans innerhalb des Stammes ableiteten. An der Spitze stand vielleicht ein Häuptling oder König, dessen Machtbereich aber enge Grenzen hatte. An überlokalen Herrschaftsstrukturen scheint
kein Bedarf bestanden zu haben.
Allerdings wuchsen in Gallien und Germanien, bedingt auch durch die dichter werdenden Kontakte mit dem Mittelmeerraum, seit der mittleren LaTène-Zeit im 2. Jh. v. Chr. komplexere Sozial- und Siedlungsstrukturen heran. Kristallisationspunkte dieser Entwicklung waren die von Caesar als oppida
bezeichneten Siedlungen, protostädtische, befestigte Zentralorte, die im gesamten keltischen West- und Mitteleuropa verbreitet waren und mehrere Tausend Menschen beherbergen konnten. Sie waren Gewerbestandorte und Zentren des Fern- und Lokalhandels, wobei überlokal einheitliche Maße und Gewichte Dimensionen und Intensität des Güteraustauschs dokumentieren. In
vielen oppida wurden eigene Münzen geprägt, allenthalben florierten Bronzeund Eisenverarbeitung, Töpferscheiben rotierten in unzähligen Werkstätten.
Feinkeramik, medizinische Werkzeuge, Schreibutensilien und andere Luxusgüter wurden indes aus der Mittelmeerwelt importiert, denn die Eliten begannen sich erkennbar am Geschmack der griechisch-römischen Aristokratien zu
orientieren: Insbesondere übernahmen sie deren Vorliebe für Repräsentation
im Rahmen des geselligen Trinkgelages, des ›Symposions‹.17
Die Kultur der oppida und der verfeinerte Geschmack lokaler Adliger zeigen
an, dass die Gesellschaft des keltisch-germanischen Raums alles andere als ›barbarisch‹ war. Das Land links und rechts des Rheins war also gerade nicht der
undurchdringliche Urwald, in dem Halbwilde auf Bäumen lebten, wie er bei
vielen Autoren das Bild prägt. Vielmehr waren weite Landstriche bereits intensiv agrarisch genutzt, Gewerbe und Handel relativ weit entwickelt, das Verkehrsnetz dicht, die soziale Differenzierung fortgeschritten und eine am medi17 Wells 2007, 61.
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terranen Vorbild orientierte urbane Kultur mindestens im Entstehen begriffen.18 Und wie die Eliten der griechisch-römischen Welt pflegten auch die
Oberschichten der La-Tène-Zeit einen ausgeprägt aristokratischen Lebensstil,
zu dessen Fixpunkten männliche Bewährung in Krieg und Jagd gehörten.
Spiegel der aristokratischen Lebenswirklichkeit nördlich der Alpen sind vor
allem die Gräber: Die reichen Beigaben, besonders aus der Frühzeit, dokumentieren, dass bei allen Unterschieden im Detail allenthalben ähnliche soziale und
politische Strukturen herrschten. Allerdings waren das heutige Nordniedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern in vorcaesarischer Zeit durch eine deutlich vom gallisch-süddeutschen Raum abzugrenzende materielle Kultur geprägt. Die nach einem Urnenfeld im Landkreis Uelzen
als ›Jastorf-Kultur‹ bezeichnete archäologische Kultur wies zwar einzelne Parallelen zum gleichzeitigen La-Tène-Horizont auf, Großsiedlungen fehlten aber
hier völlig. Oppida, Viereckschanzen, Münzprägung und Töpferscheibe – die
typischen Indikatoren sozialer Komplexität im durch die La-Tène-Kultur geprägten Raum – hatten sich nicht bis hierhin ausgebreitet. Das Siedlungsbild
war kleinräumig, mit Weilern aus wenigen Gehöften, in deren Mitte jeweils
ein großes, dreischiffiges Haus mit Wohntrakt und Stallungen stand. Keramik,
Schmuck und Werkzeuge waren im Verbreitungsgebiet der Jastorf-Kultur
ähnlich, aber es gab lokale Varianten. Die Toten wurden in Hügel-, Flach- und
Brandgrubengräbern beigesetzt, Grabbeigaben waren selten. Genau in der
Grenzzone zwischen Jastorf- und La-Tène-Kultur befand sich das spätere
Kerngebiet der Cherusker, jenes Stammes, in den Arminius hineingeboren
wurde.
Insgesamt präsentiert sich der nordalpine Raum im 1. Jh. v. Chr. als eine
Zone, die, ausgelöst auch durch intensiven Kontakt mit dem Mittelmeerraum,
eine stürmische Entwicklung durchgemacht hatte. Sekundäre Urbanisierung,
soziale Schichtung, Elitenbildung und Ausformung einer komplexen materiellen Kultur waren Elemente eines Akkulturationsprozesses, der den Süden des
fraglichen Gebiets offenbar am stärksten erfasst hatte, während er nach Nordosten hin allmählich in einer offenen Grenze abnehmender Kontaktintensität
auslief. Schon Caesar traf also, als er bis 50 v. Chr. den Norden Galliens – und
damit die westliche Hälfte dieser Kultur- und Interaktionssphäre – unterwarf
und erstmals in engeren Kontakt mit germanischen Stämmen geriet, auf Gesellschaften, die in keiner Beziehung dem gängigen Barbaren-Stereotyp entsprachen. …
18 Zur Demografie Germaniens: Steuer 2007.
Aus: Michael Sommer, Die Arminiusschlacht, 2009. © Alfred Kröner Verlag
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