Pressekonferenz des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Heidelberg, des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Netzwerks gegen Darmkrebs und der Felix Burda Stiftung Innovations in Oncology Dienstag, 17. November 2015, ab 13:00 Uhr Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg Ihre Gesprächspartner sind: Professor Dr. Christof von Kalle geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Leiter der Abteilung Translationale Onkologie, NCT/Deutsches Krebsforschungszentrum Big Data in der Krebstherapie Professor Dr. Dirk Jäger geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie, NCT/Universitätsklinikum Heidelberg, Leiter der Abteilung Angewandte Tumor-Immunität im Deutschen Krebsforschungszentrum Innovationen in der Immuntherapie Dr. Christa Maar Vorstand der Felix Burda Stiftung, Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs e.V. Menschen mit familiärem Risiko - die wichtigste Zielgruppe zur Vermeidung von Darmkrebs Professor Dr. Rita Schmutzler Direktorin des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln Effektive Prävention bei familiärem Krebsrisiko Professor Dr. Magnus von Knebel-Doeberitz Leiter der Abteilung für Molekulare Pathologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Angewandte Tumorbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum; Preisträger des Felix Burda Awards 2015 Impfen gegen erblichen Dickdarmkrebs Professor Dr. Christof von Kalle geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Leiter der Abteilung Translationale Onkologie, NCT/Deutsches Krebsforschungszentrum Big Data in der Krebstherapie Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg verfolgen wir die Präzisionsonkologie als zentrumweites Programm. Das NCT Personalisierte Onkologie Programm (NCT POP) vereint alle Aktivitäten in den Bereichen Genomik, Proteomik, Bildgebung, Radiotherapie, Immunologie und Prävention mit dem Ziel einer individualisierten Krebsmedizin. Übergeordnetes Ziel ist die Hypothesen-getriebene Stratifizierung jedes NCT Patienten für die beste (individualisierte) Therapie- und Studienempfehlung. Die Genomik-, Proteomik- und Systemmedizin-Plattform des DKFZ bietet dafür ideale Voraussetzungen. Das zentrumsweite NCT MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication)-Protokoll ermöglicht die klinische Umsetzung und Entwicklung personalisierter Medizin durch die Anwendung und Evaluierung von molekularer Diagnostik an Patientenmaterial von allen Patienten, die dafür ihre Einwilligung gegeben haben. In das NCT MASTER Studienprotokoll wurden bereits über 450 erwachsene, meist jüngere Patienten (<50 Jahre) mit weit fortgeschrittener Krebserkrankung ohne weitere Therapieoption und/oder Patienten mit überraschend erfolgreichem Therapieansprechen ("surprise responders") eingeschlossen, sequenziert und molekular charakterisiert. Das Programm integriert zahlreiche Abteilungen des NCT, um rationale Therapieoptionen innerhalb von 6 Wochen – von Probengewinnung bis zur klinischen Evaluation im molekularen Tumor Board – zu identifizieren. 30% aller untersuchten Fälle zeigen genetische Veränderungen, die durch zielgerichtete Therapien behandelbar sind („actionable mutations“). Die INFORM–Studie (Individualized Therapy For Relapsed Malignancies in Childhood) rekrutiert deutschlandweit pädiatrische Patienten mit einem Krebs-Rückfall. Bisher wurden über 60 Patienten in der Pilot- und Registerphase eingeschlossen. Im Rahmen von INFORM konnten actionable mutations in etwa 40-50% der Fälle identifiziert werden. Darüber hinaus wurden neue krebstreibende Mutationen („driver mutations“) in pädiatrischen Malignomen gefunden sowie neue Erkenntnisse zur Molekularpathogenese von Zweitmalignomen gewonnen. Die Daten bilden die Grundlage für die Planung klinischer Studien der Phase I/II im Rahmen des INFORMProgramms. Um der Herausforderung der stetig wachsenden Datenmengen der personalisierten Onkologie gerecht zu werden, bauen wir am NCT in Zusammenarbeit mit SAP ein Speicherresidentes, zentrales NCT Data Warehouse (SAP HANA) für die Aggregation, Verknüpfung und Auswertung von molekularen und medizinischen Daten zur klinischen Entscheidungsfindung auf. In diesem „Datenlagerhaus“ wird – unter strengsten Datenschutz-, Berechtigungs- und Pseudonymisierungs-Auflagen – eine 2. Kopie aller Daten aus den verschiedenen Systemen des klinischen Forschungsprozesses gespeichert, die dadurch miteinander verknüpft und durchsucht werden können. Diese Verknüpfung von molekularen mit medizinischen Daten sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Wissenschaftlern und Bioinformatikern sind der Schlüssel für die klinische Umsetzung einer individualisierten Diagnostik, Therapie und Prävention von Krebs. Seit Januar 2015 fördern Bund und Länder das Konzept NCT 3.0 zum Aus- und Aufbau des NCT Heidelberg und des NCT Partnerstandorts Dresden. Für die Realisierung des Konzepts werden Bund, das Land Baden-Württemberg und der Freistaat Sachsen die Finanzierung des Ausbaus am Standort Heidelberg sowie den Aufbau eines NCT-Partnerstandortes in Dresden (NCT-Partnerstandort Dresden – Universitäts KrebsCentrum (UCC)) sicherstellen. Bis zum Jahr 2019 ist ein stufenförmiger Aufwuchs auf den vorgesehenen Betrag von 25 Mio. EUR für den Standort Heidelberg und 15 Mio. EUR für den Standort Dresden vorgesehen. Das Land Baden-Württemberg hat sich darüber hinaus bereit erklärt, 20 Mio. EUR für die bauliche Erweiterung des Gebäudes in Heidelberg zur Verfügung zu stellen. Der Freistaat Sachsen fördert den Bau eines Gebäudes in Dresden mit weiteren 22 Mio. EUR. In den nächsten Jahren ist es ein vorrangiges Ziel, sukzessive die Standorte zu verbinden und anzugleichen, u.a. Tumorboards, SOPs und die Tagesklinik. Die standortübergreifende Zusammenarbeit soll durch die Harmonisierung der IT-Strukturen, gemeinsame Projekte im Rahmen der Task Forces und des Proof-of-Concept-Programms sowie den Austausch von Nachwuchsforschern und leitenden Wissenschaftlern zwischen HD und DD gestärkt werden. Vertreter beider Standorte reisen regelmäßig zum Austausch und zur Unterstützung des Aufbaus des NCT-Partnerstandorts Dresden zum jeweiligen Partner. Im Rahmen von Workshops und Treffen der etablierten Task Forces wurden gemeinsame Forschungsinteressen und mögliche standortübergreifende Forschungsprojekte identifiziert und angestoßen. Professor Dr. Dirk Jäger geschäftsführender Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, Leiter der Abteilung Medizinische Onkologie, NCT/Universitätsklinikum Heidelberg, Leiter der Abteilung Angewandte TumorImmunität im Deutschen Krebsforschungszentrum Innovationen in der Immuntherapie Viele Tumoren tragen Mutationen in den als „Mikrosatelliten“ bezeichneten häufig wiederholten Abschnitten des Erbguts. Betroffen von dieser sogenannten MikrosatellitenInstabilität (MSI) sind neben einer Form des erblichen Darmkrebses (dem hereditären nichtpolypösen Kolonkarzinom) auch etwa 15 Prozent der sporadisch auftretenden Fälle von Darmkrebs sowie einige andere Tumorarten. Betrifft die MSI Bereiche des Genoms, die für Proteine kodieren, führt dies oft zu Verschiebungen des Protein-Leserasters und damit zu stark veränderten Eiweißen, die intensive Immunreaktionen gegen die Tumoren hervorrufen. Daher haben Patienten mit MSImutierten Tumoren auch oft bessere Überlebensraten. Krebs-Immuntherapien mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren – Wirkstoffen, die die „Bremsen“ der Immunabwehr lösen – haben im vergangenen Jahr starke Aufmerksamkeit erfahren. Beim Darmkrebs (kolorektales Karzinom) ließen sich allerdings mit den CheckpointInhibitoren bisher lediglich bei "Mikrosatelliten-instabilen" Tumoren beeindruckende Erfolge erzielen. Bei den häufigeren, „Mikrosateliten-stabilen“ Fällen von Darmkrebs haben die CheckpointInhibitoren in bisherigen Studien keine objektiven Ansprechraten gezeigt. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die genetisch instabilen Darmtumoren viel mehr mögliche Zielstrukturen (so genannte Neo-Antigene oder auch Neo-Peptide) für T-Zellen bieten als die genetisch stabilen Tumoren. Offenbar spielt aber auch das Tumormilieu, also das den Tumor direkt umgebende Gewebe, eine entscheidende Rolle: Beim Mikrosateliten-stabilen Darmkrebs ist es extrem immunfeindlich. Das äußert sich vor allem in einem spezifischen Muster an Signalmolekülen, die suppressive Immunzellen herbeilocken und so eine effektive Abwehrreaktion gegen die Krebszellen verhindern. Unsere Untersuchungen (und die anderer Zentren) zielen nun darauf hin, diese suppressiven Faktoren besser zu verstehen und durch neue Therapieverfahren das Tumormilieu in ein immunfreundliches zu verwandeln. Dazu planen wir im NCT bereits erste klinische Studien, bei denen wir Checkpoint-Inhibitoren und Inhibitoren bestimmter Chemokin-Rezeptoren kombinieren wollen. Im NCT laufen derzeit viele Studien mit immunmodulierenden Substanzen, etwa bei Patienten mit Lungenkrebs, Harnblasenkarzinomen, Mikrosatelliten-instabilen kolorektalen Karzinomen, Nierenzellkarzinomen, Kopf-Hals-Tumoren und anderen Erkrankungen. Dr. Christa Maar Vorstand Felix Burda Stiftung Präsidentin Netzwerk gegen Darmkrebs e. V. Menschen mit familiärem Risiko - die wichtigste Zielgruppe zur Vermeidung von Darmkrebs Gegenwärtig erkranken in Deutschland jedes Jahr 62.000 Menschen neu an Darmkrebs und 26.000 sterben an dieser Tumorerkrankung, weil sie erst erkannt wurde, als sie mit den heute gebräuchlichen Therapien nicht mehr heilbar war. Viele dieser Menschen hätten nicht sterben müssen, hätten sie an der gesetzlichen Früherkennung teilgenommen oder hätten sie gewusst, dass sie familiär belastet sind und für sie andere Vorsorgemaßnahmen gelten als für Menschen mit durchschnittlichem Risiko. Wie groß ist die Gruppe mit familiärem Risiko? Der Anteil an den jährlichen Neuerkrankungen beträgt ca. 30 Prozent. Das heißt es sind jedes Jahr ca. 20.000 Patienten, bei denen eine positive Familienanamnese vorliegt. Positiv ist die Familienanamnese immer dann, wenn mindestens ein direkter Verwandter (Eltern, Geschwister, Kinder) an Darmkrebs erkrankt ist oder war. Darüber hinaus gibt jeder Darmkrebspatient automatisch ein erhöhtes Risiko an seine direkten Verwandten weiter. Insgesamt liegt die Zahl der von einem familiären Risiko betroffenen Personen in Deutschland bei zwei bis vier Millionen. Wer hat ein familiäres Risiko für Darmkrebs und wie definiert sich die Höhe des Risikos? Jeder, in dessen Familie ein oder mehrere direkte Verwandte an Darmkrebs leiden, hat ein erhöhtes Risiko für diese Krebserkrankung. Bei einem Fall verdoppelt bis verdreifacht sich das Risiko aller direkten Verwandten. Gibt es mehrere Fälle dieser Tumorerkrankung in der Familie oder ist der Tumor vor dem Alter von 50 Jahren aufgetreten, ist das Risiko direkter Verwandter gegenüber der Normalbevölkerung um das drei- bis vierfache erhöht. Sind in der Familie zusätzlich noch andere Krebserkrankungen aufgetreten (Magen-, Eierstock-, Gebärmutter- oder Harnleiterkrebs), liegt möglicherweise eine erbliche Form von Darmkrebs vor (hereditäres nicht-polipöses kolorektales Karzinom = HNPCC). Alter und Häufigkeit von familiärem Darmkrebs Vorrangiges Kennzeichen ist, dass der Krebs häufiger und in einem früheren Alter auftritt. Die Vorsorgeempfehlung der wissenschaftlichen Leitlinie lautet deshalb: Vorsorgebeginn 10 Jahre vor dem Alter in dem bei dem jüngsten Betroffenen in einer Familie die Erkrankung diagnostiziert wurde, spätestens aber mit 40 bis 45 Jahren. Bei Vorliegen einer erblichen Darmkrebserkrankung (HNPCC) empfiehlt die Leitlinie, bereits im Alter von 25 Jahren mit der Vorsorge zu beginnen. Wie sieht die gegenwärtige Versorgungssituation betroffener Personen aus? Die gesetzliche Darmkrebsfrüherkennung setzt erst ab dem Alter von 50 Jahren ein. In diesem Alter sind aber viele Menschen, die ein familiär erhöhtes Risiko für Darmkrebs haben, bereits unheilbar an diesem Tumor erkrankt. Ein wesentlicher Grund für die Nichtbeachtung des erhöhten Risikos ist, dass Familienanamnesen nicht regelhaft erhoben werden und die Betroffenen oft nichts von ihrem erhöhten Risiko wissen. Darüber hinaus haben sie gegenwärtig auch keinen Anspruch auf die Bezahlung einer vorgezogenen Früherkennungsuntersuchung durch die Krankenkasse. Wie lässt sich dieses Versorgungsdefizit beheben? Angebote zur Darmkrebsfrüherkennung und -vorsorge haben gegenwärtig nur die Bevölkerung mit durchschnittlichem Risiko im Blick. Wichtig ist, dass für die Bevölkerungsgruppe mit familiärer Belastung Screening-Angebote eingeführt werden, die die individuelle familiäre Risikosituation berücksichtigen und sich an den Empfehlungen der wissenschaftlichen Leitlinie orientieren. Außerdem sollten alle Arztgruppen zur regelhaften Erhebung der Familienanamnese verpflichtet werden. Professor Dr. Rita Schmutzler Direktorin des Zentrums für familiären Brust- und Eierstockkrebs, Universitätsklinikum Köln Effektive Prävention bei familiärem Krebsrisiko Epidemiologische Daten legen seit Längerem nahe, dass rund 1/3 der häufigen Tumorerkrankungen Brust-, Darm- und Prostatakrebs auf genetische Risikofaktoren zurückzuführen sind. Während über rund zwei Jahrzehnte hinweg nur wenige Hochrisikogene bekannt waren, die nur für rund 5% der Erkrankungsfälle ursächlich sind, wird durch die derzeit stattfindende Entdeckung einer Fülle weiterer Risikogene die noch unerklärte Erblichkeit von rund 20-30% der Erkrankungsfälle in naher Zukunft aufgedeckt werden. Diese Erwartungen werden genährt durch die rasanten technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Hochdurchsatz-Genomanalytik und darauf basierender aktueller Erkenntnisse zu den genetischen Ursachen vieler Tumorerkrankungen. Dadurch ist ein massiver Translationsdruck zur Umsetzung und Nutzbarmachung dieser Erkenntnisse für die klinische Versorgung entstanden. Dieser wird verstärkt durch die mediale Aufmerksamkeit und die großen Erwartungen seitens der Betroffenen wie auch der Ärzteschaft in eine zielgerichtete/risiko-adaptierte und damit potentiell effektivere Prävention von Tumorerkrankungen. Als Beispiel sei das Outing von Angelina Jolie genannt, welches mittlerweile als Jolie-Effekt in die Fachwelt eingegangen ist und zu einem deutlichen und anhaltenden Anstieg der Nachfrage nach genetischer Testung geführt hat. Es ist bereits jetzt bekannt, dass die zu identifizerenden Risikogene eine beträchtliche Streubreite hinsichtlich des mit Mutationen einhergehenden Erkrankungsrisikos sowie des Phänotyps aufweisen und im Sinne eines oligogenen Erbgangs multiplikativ interagieren können. Somit wird eine zusätzliche Komplexität eingeführt, die eine systemmedizinische Herangehensweise erfordert. Diese atemberaubenden Entwicklungen kontrastieren jedoch mit einer Vielzahl von Unzulänglichkeiten bzw. Erkenntnisrückständen seitens der klinischen Implementierung. Allen voran bedarf es dringlich einer Verbesserung der genetischen und präventiven Literacy in der breiten Ärzteschaft, um einen verantwortungsvollen und patientenorientierten Umgang mit den Möglichkeiten der prädiktiven genetischen Analysen sicher zu stellen. Dies impliziert auch die Fähigkeit zur kritischen Bewertung kommerzieller Gentests, die die Gefahr bergen, sich ohne erkennbaren klinischen Nutzen bzw. sogar zum Schaden der Betroffenen zu etablieren. Weiterer Handlungsbedarf besteht auf folgenden Ebenen: 1. Sicherstellung einer evidenz-basierten Gendiagnostik, die in ein umfassendes Beratungs- und Betreuungskonzept eingebettet ist 2. Erfassung von Genotyp-/Phänotyp-Korrelationen als Basis für die Etablierung geeigneter Präventionskonzepte 3. Register für erbliche Tumorerkrankungen zur prospektiven Erfassung des natürlichen Krankheitsverlaufs und der Effektivität von Präventionsmaßnahmen 4. Entwicklung von „patient decision aids“ als Basis einer preferenzsensiblen Entscheidungsfindung 5. Ethische, rechtliche, soziale und gesundheitsökonomische Begleitforschung (ELSAProjekte) zur Identifikation von Regelungsbedarf und Erarbeitung von Vorschlägen unter Berücksichtigung der ethischen Prinzipien der Solidargemeinschaft 6. Erfassung der gesundheitsökonomischen Dimensionen einer risiko-adaptierten Prävention und Auswertung an Hand der empirisch gewonnenen Daten Diese umfassende und strukturierte Herangehensweise birgt die Chance der Einführung risikoadaptierter Präventionskonzepte zum maximalen Patientennutzen unter Vermeidung von Über-/ Unter- und Fehlprävention. Professor Dr. Magnus von Knebel-Doeberitz Leiter der Abteilung für Angewandte Tumorbiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Angewandte Tumorbiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum; Preisträger des Felix Burda Awards 2015 Impfen gegen erblichen Dickdarmkrebs Aus molekularen Untersuchungen weiß man schon seit längerem, dass in einer bestimmten Untergruppe von Tumoren häufig wiederholte DNA-Abschnitte, die auch als Mikrosatelliten bezeichnet werden, sehr oft mutiert vorliegen. Etwa 15 Prozent aller Dickdarmkarzinome weisen eine Instabilität der Mikrosatelliten (MSI) auf. Betroffen davon sind beispielsweise Menschen mit einer Form der erblichen Tumorprädisposition, dem Hereditären NichtPolypösen Colon Carcinom (HNPCC oder Lynch-Syndrom). Bei ihnen liegt ein genetischer Defekt eines wichtigen DNA-Reparatursystems vor (DNA mismatch repair system), ihr Lebenszeitrisiko für Darmkrebs liegt bei 50 bis 60 Prozent. Aber auch bei etwa 15 Prozent der sporadischen kolorektalen Karzinome und bei vielen anderen Tumorentitäten findet man die MSI. Sofern MSI Bereiche des Genoms betrifft, die für Proteine kodieren, führt dies – zumindest in einigen Fällen – zur Expression von meist verkürzten Proteinen, die zusätzlich häufig einen im Leseraster verschobenen (und damit mutierten) Aminosäureschwanz tragen. Wir bezeichnen diese veränderten Proteinstrukturen als „Neo-Peptide“, da sie im Zuge der Zellveränderung neu auftreten. Gegen die Neo-Peptide ist das Immunsystem nicht tolerant und löst eine entsprechende Immunantwort aus. Patienten, bei denen dies der Fall ist, haben eine bessere Überlebenschance, denn Karzinome mit MSI werden vom Immunsystem besser in Schach gehalten und wachsen daher weniger aggressiv. Die Zahl an infiltrierenden zytotoxischen T-Zellen („T-Killer-Zellen“) innerhalb des Tumorgewebes ist höher und mehr Tumorzellen sterben am „programmierten“ Zelltod Apoptose als in Mikrosateliten-stabilen Tumoren. Dies basiert aller Wahrscheinlichkeit nach auf einer aktiven, antitumoralen zytotoxischen Immunantwort. Unser Gedanke war daher, die in genomisch instabilen Kolonkarzinomen auftretenden NeoPeptide nachzubilden und als Impfung gegen Darmkrebs für Personen mit entsprechender genetischer Vorbelastung weiterzuentwickeln. Die allermeisten Neo-Peptide entstehen absolut zufällig durch Verschiebungen des ProteinLeserasters und unterscheiden sich daher von Patient zu Patient. Sie eignen sich nicht für die Entwicklung eines Impfstoffs, der allgemeinen Schutz induziert. Mit Hilfe bioinformatischer Modelle ist es uns nichtsdestotrotz gelungen, drei Neopeptide zu identifizieren, die zusammen 98,5 Prozent aller Mikrosatelliten-instabilen Kolonkarzinome abdecken: Diese Peptide entstehen durch Mutationen in Genen, die das Tumorwachstum antreiben und die daher im Zuge der Krebsentwicklung einer positiven Selektion unterliegen. Den daraus entwickelten Peptid-Impfstoff konnten wir in einer klinischen Phase I/IIa-Studie an 22 Patienten mit Mikrosatelliten-instabilem Kolonkarzinom testen und seine Verträglichkeit bestätigen. Für dieses Projekt wurden mein Kollege PD Dr. Matthias Kloor und ich gemeinsam mit dem diesjährigen Felix-Burda Award in der Kategorie Medizin und Wissenschaft ausgezeichnet. Die nächste Herausforderung ist nun, die Wirksamkeit der Impfung zu belegen. Wir verfolgen dabei zwei Ansätze. Zum einen wollen wir die Peptidvakzine als therapeutischen Impfstoff prüfen, der bei bereits bestehenden Mikrosatelliten-instabilen Tumoren als adjuvante Therapie verabreicht werden soll. Der zweite, noch weitaus aufwändigere Ansatz ist es, den Impfstoff an genetisch vorbelasteten Personen auf seine krebspräventive Wirkung zu untersuchen. Um die erforderlichen Mittel für eine Validierung dieses Impfkonzeptes aufbringen zu können, sind wir derzeit auf der Suche nach einem neuen Finanzierungskonzept.