Sonnabend, 01.11.2014 20.00 Uhr Werner-Otto-Saal ensemble unitedberlin Martin Glück Flöte Erich Wagner Klarinette Matthias Badczong Klarinette Christoph Enzel Saxophon Adrian Tully Saxophon Damir Bacikin Trompete Helmut Polster Posaune Janni Struczik Tuba Louise Oakes Tuba Christine Paté Akkordeon Susanne Stock Akkordeon Katharina Hanstedt Harfe Matthias Buchheim Percussion Sabrina Ma Percussion Lukas Böhm Percussion Yoriko Ikeya Klavier Andreas Bräutigam Violine Stephan Kalbe Violine Jean-Claude Velin Viola Lea Rahel Bader Violoncello Matthias Bauer Kontrabass Alison Bell Sopran Vladimir Jurowski Leitung „ … die Geige bebt, ein Herz klagt aus den Saiten, ein Herz das flieht vor Nacht und Untergehn ...“ Charles Baudelaire, aus „Abendklänge“ Sebastian Stier (geb. 1970) „labiles Gleichgewicht II“ für Ensemble (Uraufführung) Gefördert durch ein Kompositionsstipendium des Berliner Senats Helmut Zapf (geb. 1956) „Abendklänge“ für Ensemble Pause Gérard Grisey (1946-1998) „Quatre chants pour franchir le seuil“ für Sopran und 15 Instrumente Prélude I. La mort de l’ange Interlude II. La mort de la civilisation Interlude III. La mort de la voix Faux Interlude IV. La mort de l‘humanité – Berceuse 25 Jahre ensemble unitedberlin Was treiben wir da eigentlich seit 25 Jahren? Befinden wir uns mit unserer Arbeit, der Präsentation neuer Musik im Konzertsaal, noch in ähnlicher Situation wie vor fast 100 Jahren, als gerade entstandene Kompositionen ausschließlich live zu erleben waren und Anton Webern nach der Uraufführung des „Pierrot lunaire“ in Berlin schrieb: „Aber am Schluss war nicht die Spur von Widerspruch. Schönberg und die Aufführenden mussten oft und oft kommen, vor allem natürlich Schönberg; man schrie im Saal nach ihm immer wieder. Es war ein unbedingter Erfolg.“ Nein, so ist es nicht mehr - aber das wollen wir wieder erleben!! Um eine Idee aus der Bildenden Kunst zu gebrauchen: Dafür verstehen wir uns in unserer vermittelnden Interpretenrolle quasi als Galeristen musikalischer Avantgarde - mit dem Ehrgeiz, für Schöpfer und für Rezipienten zeitgenössischer Musik eine gewinnbringende Situation zu schaffen. Dabei stellen wir uns der Herausforderung, neben einer gültigen Aufführung auch die von uns sinnlich erfahrenen Freuden zu transportieren. Denn in der Übermittlung dieser Dimension hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine immer größer gewordene Kluft zwischen Interpret und Hörer gebildet. Und diese wieder zu überbrücken ist unser Ziel; gerade jetzt, wo sich zaghaft der umgekehrte Trend zur Entwicklung vor 100 Jahren abzeichnet, nämlich das unmittelbare Musikerlebnis wieder zu suchen. Kurz notiert Hellsichtige Worte zum Thema „Einheit“ und mithin auch zum „ensemble unitedberlin“, mehr als 200 Jahre vor dessen Gründung (aus J.G. Sulzers „Allgemeiner Theorie der Schönen Künste“, 1771): „Also ist die Einheit der Grund der Vollkommenheit und der Schönheit; denn vollkommen ist das, was gänzlich und ohne Mangel das ist, was es seyn soll; schön ist das, dessen Vollkommenheit man sinnlich fühlt oder empfindet. Daher also kommt es, dass uns von Gegenständen unsrer Betrachtung nichts gefallen kann, darin keine Einheit ist …“ Das heutige Konzert in unserem 25. Jubiläumsjahr stellt dabei eine Art Innehalten, ein kurzes Rückbesinnen auch auf verschiedene „erste Dinge“ dar: Die Werke dieses Programms, die eher auf „letzte Dinge“ zu zielen scheinen, führen unser Ensemble erneut mit Mitstreitern aus den frühen Jahren zusammen: Sebastian Stier, mit einer Uraufführung vertreten, war der jugendlich Porträtierte im ersten Konzert vor 25 Jahren; Helmut Zapf schrieb für uns „Abendklänge“ (das erste Auftragswerk) nach einem Gedicht von Charles Baudelaire, und Vladimir Jurowski war der erste Gastdirigent unseres Ensembles. Die Wege der Genannten kreuzten sich seitdem immer wieder mit unseren – und gemeinsam möchten wir dieses Jubiläum feiern. Die zum absoluten Ende neigenden Texte, vor allem in Gérard Griseys „Quatre chants pour franchir le seuil“, betrachten wir von ihrer optimistischen Seite: Das Überschreiten einer Schwelle muss nicht immer in den letzten denkbaren Zustand führen; vielleicht öffnet sich ja einfach ein neuer Raum zum Leben … Andreas Bräutigam „labiles Gleichgewicht II“ „Als Komponist liebe ich Situationen, in denen sich Strukturen verselbständigen und aus dem Ruder laufen, Systematiken in sich zusammenfallen, Muster sich wundlaufen und nicht mehr tragen – wenn also die Form aus dem Gleichgewicht gerät und Energieströme irreversibel von ihrem Ausgangspunkt wegdrängen. Dann nämlich eröffnet sich ein Horizont an Möglichkeiten, der zunächst Freiheit verspricht, gleichzeitig aber die Kontingenz meiner Entscheidungen aufzeigt, mithin als quasi erste Möglichkeit die des Scheiterns beinhaltet. Solche formalen Probleme sind für mich auch deswegen faszinierend, weil ich sie oft nicht nur konstruktiv-kalkulierend lösen kann, sondern auch auf meine Phantasie und Intuition zurückgeworfen werde – Kategorien, die ich lange Zeit (absichtsvoll) in meinen Kompositionen vernachlässigt habe. So suche ich in dieser Komposition (wie schon in „labiles Gleichgewicht I“ aus dem Jahre 2009), genau solche Verunsicherungen und Störungen einer allzu schönen Balance. Dies zeigt sich hier unter anderem an der Behandlung der beiden Akkordeons: räumlich getrennt spielen sie doch oft wie ein Instrument. Die damit verbundene Hin-und-Her Bewegung überträgt sich auf den Rest des Ensembles und spielt auch auf einer mittleren Ebene der Formgebung eine Rolle. Dass ich mich nach 2009 noch einmal unter dem gleichen Titel mit ähnlichen Phänomenen in einer Komposition (allerdings mit veränderter Besetzung) auseinandersetze, ist für mich ganz natürlich: Ich entdecke in vielen meiner Kompositionen Dinge, die ich weiter und anders denken möchte; Materialien, deren Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. Und da kommt mir der Begriff des ‚labilen Gleichgewichts’ gerade recht, impliziert er doch auch genau diese Potentialität, die ich thematisieren möchte. Eigentlich könnte sogar jedes Stück von mir so heißen, denn im Grunde geht es doch auch immer darum, die Details in eine Balance zur Großform zu bringen. Und dieses Verhältnis ist immer ein sehr fragiles: die ausufernde Schönheit eines Details beispielsweise, welche die Großform gefährdet; oder (andersherum) die sauber konstruierte Großform, die eine Entwicklung der Details nicht zulässt.“ (Sebastian Stier) Sebastian Stier, 1970 in Köthen/Anhalt geboren, studierte von 1991 bis 1997 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin bei Paul-Heinz Dittrich Komposition. Von 1998 bis 2001 ergänzte er diese Ausbildung durch ein Zusatzstudium bei Hanspeter Kyburz. Seit 2004 ist er Dozent für Tonsatz und Analyse an der Hochschule für Musik Hanns Eisler; im Sommersemester 2012 übernahm er die Vertretung der Kompositionsprofessur Sidney Corbetts in Mannheim. Im Jahr 2002 erhielt Sebastian Stier ein sechsmonatiges Aufenthaltsstipendium an der Cité Internationale des Arts in Paris. Für sein kompositorisches Schaffen wurde er unter anderem mit dem Busoni-Förderpreis der Akademie der Künste Berlin 1997, dem Kompositionspreis der Landeshauptstadt Stuttgart 2001 und dem 1. Preis des Kompositionswettbewerbes der 7. Weimarer Frühjahrstage für zeitgenössische Musik 2006 ausgezeichnet. Sebastian Stier hat Auftragskompositionen für die Musikakademie Rheinsberg, die Dresdner Tage für zeitgenössische Musik, den MDR, den WDR, den Deutschlandfunk, die Staatsoper Stuttgart und die Wittener Tage für neue Kammermusik geschrieben. Seine Werke wurden beispielsweise vom Ensemble Modern, Klangforum Wien, Ensemble Recherche, Ensemble Resonanz und Sonar Quartett gespielt und sind auf CD und im Rundfunk dokumentiert worden. „Abendklänge“ Sebastian Stiers „labiles Gleichgewicht I“ wurde bei einem Konzert des ensemble unitedberlin uraufgeführt, das in dessen Themenreihe „Vom Gehorsam. Von der Verweigerung“ am 8. Dezember 2009 im Konzerthaus Berlin stattfand; kuratiert wurde dieses Konzert von Helmut Zapf. Auch für Zapfs Schaffen spielt die Offenheit für Unvorhergesehenes, das leidenschaftliche Interesse an unwägbaren Entwicklungen (verbundenen mit einem gesunden Misstrauen gegenüber gut abgehangenen Traditionsbeständen) eine zentrale Rolle. Im Jahr 1995 komponierte er „Abendklänge“ nach einem so musiktrunkenen wie abschiedsumflorten Gedicht von Charles Baudelaire (aus „Les fleurs du mal“), wobei es ihm weniger um eine eigentliche „Vertonung“ ging (wie sie etwa Claude Debussy 1889 in Liedgestalt vorlegte). „Die Sprachbilder Charles Baudelaires“, so Helmut Zapf, „erwecken in mir kurze, eher zusammenhanglose Klangkristalle, die sich in dieser kompositorischen Arbeit auch in Form und Struktur widerspiegeln. Sprachformungen aus den ‚Abendklängen‘ wie ‚ein Herz klagt aus den Saiten‘ und ‚Klänge und Düfte sich im Winde drehn‘ wurden zur Grundidee dieser Komposition für Kammerensemble. Scheinbar rückwärtsgewandte Klangelemente für die Streicher, welche aber durch die anderen beteiligten Stimmen im Ensemble immer wieder aufgebrochen werden – so dass wie aus etwas Vergangenem zitathaft wirkende Figuren kurzzeitig entstehen – und der Komposition auch die Möglichkeit eröffnen, sich in ihrer räumlichen Dimension zu entfalten ... ‚Abendklänge‘ will nichts nacherzählen, sondern ist eher als Nachklang auf den ‚lärmenden Tag‘ zu verstehen, aus welchem sich die verschiedensten Gebilde von ‚Klängen und Düften‘ herauslösen, aber immer nur schattenhaft die Wirklichkeit berühren.“ Aufgehorcht Nicht von ungefähr beginnt und endet der erste Abschnitt von Helmut Zapfs „Abendklänge“ in der Solovioline: Programmatisch ist ihm die Baudelaire-Zeile „die Geige bebt, ein Herz klagt aus den Saiten“ vorangestellt. Helmut Zapf wurde 1956 in Rauschengesees (Thüringen) geboren. 1974 bis 1979 studierte er Kirchenmusik in Eisenach und Halle (Orgel bei Gottfried Preller und Hans-Günter Wauer, Tonsatz bei Johannes Petzold). Während dieser Zeit besuchte er regelmäßig den Ferienkurs für Neue Musik in Gera, insbesondere den Kompositionskurs bei Paul-Heinz Dittrich und die Elektronikkurse bei Lothar Voigtländer. Von 1979 bis ‘82 arbeitete er als Kantor und Organist in Eisenberg (Thüringen). 1982 wurde er Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR in Berlin bei Georg Katzer und studierte dort, mit Unterbrechung durch die Zeit der Waffenverweigerung als Bausoldat, bis 1986. Seither arbeitet er als freiberuflicher Komponist und hat Lehraufträge an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und an der Musikschule Kreuzberg. Er lebt in Zepernick bei Berlin, wo er 1992 mit seiner Ehefrau Karin die „Zepernicker RANDSPIELE“ ins Leben rief. Für sein umfangreiches kompositorisches Schaffen wurde er unter anderem mit dem HannsEisler-Preis von Radio DDR, dem Valentini Bucchi Preis der Stadt Rom (beide 1987) und dem Kunstförderpreis der Akademie der Künste Berlin/Brandenburg (1992) ausgezeichnet. Stipendien und Arbeitsaufenthalte führten ihn an die Villa Massimo Rom (Ehrengast, 1994), die Cité des Arts in Paris (1997), den Künstlerhof Schreyahn (2000) und die Villa Serpentara in Olevano Romano (Akademie der Künste Berlin, 2005). „Quatre chants pour franchir le seuil“ „Die verschiedenen Prozesse, die bei der Veränderung eines Klanges in einen anderen oder einer Klanggruppe in eine andere auftreten, bilden die eigentliche Basis meiner Schreibweise, die Idee und den Keim jeder Komposition.“ Schon immer also, könnte man sagen, ging es Gérard Grisey (von dem diese Worte stammen) um „Schwellen“ und Übergänge verschiedenster Art – seien es die Ränder der traditionellen Klangorganisation, seien es Grenzzustände des Seins. Letzteren widmet sich sein großer, 1997/98 entstandener Vokalzyklus „Quatre chants pour franchir le seuil“ („Vier Gesänge, um die Schwelle zu überschreiten“), sein letztes Werk vor seinem plötzlichen Tod im November 1998. Grisey, der bei Olivier Messiaen und Henri Dutilleux studiert hatte, gründete 1973 u.a. mit Tristan Murail das Ensemble „L’Itinéraire“ und lehrte später in Berkeley, Paris und Darmstadt. Als einer der Hauptvertreter der „Spektralen Musik“ entwarf er in der Konzentration auf den Einzelklang beziehungsweise -ton und sein Obertonspektrum die Entwicklungsprinzipien seines Komponierens. Spielten dabei anfangs noch narrative Momente eine Rolle, so widmete sich Grisey später freieren Formen. Die „Vier Gesänge“ bekunden – gewissermaßen im Schweif von Brahms‘ „Vier ernsten Gesängen“ und Strauss‘ „Vier letzten Liedern“ – eine programmatischere Akzentuierung, beleuchten sie doch aus vier unterschiedlichen zivilisatorischen Blickwinkeln jene im Titel angedeutete existentielle Schwelle hin zum Tod – und darüber hinaus: I. Christlich: „Der Tod des Engels“ (nach „Die Stunden der Nacht“ von Christian Guez-Ricord) II. Ägyptisch: „Der Tod der Zivilisation“ (nach Inschriften auf Sarkophagen des Mittleren Reiches) III. Griechisch: „Der Tod der Stimme“ (nach der griechischen Dichterin Erinna, 4. Jh. v. Chr.) IV. Mesopotamisch: „Der Tod der Menschheit“ (nach dem Gilgamesch-Epos) Aufgehorcht Die „Quatre Chants“ beginnen mit einem Reibegeräusch, das mittels „äußerst langsamen, kreisenden Bewegungen“ einer Bürste auf einer Großen Trommel erzeugt wird. In der Partitur wird dies durch Symbole angezeigt (s. Abb.); die Lautstärkeangabe unterhalb des Systems („pppp, ma audibile“) bedeutet „so leise als irgend möglich, aber hörbar“ – also genau hinhören! Grisey wählte für diesen Zyklus ein dunkel abgetöntes Kammerensemble, bei dem Violine, Flöte und Trompete zusammen mit dem Sopran eine Art exponiertes Concertino bilden. Eingeleitet und verbunden werden die vier Gesänge durch ein Prélude und drei Interludes – nahezu tonlose Inseln aus Luft- und Reibegeräuschen, die gleichsam den leer laufenden Leierkasten dieser Winterreise verkörpern. „Der Tod des Engels“, so Grisey, „ist in der Tat der schrecklichste von allen, denn ihm sind unsere Träume anvertraut.“ Fallende chromatische Linien und gedehnte Kaskaden verbünden sich im ersten Gesang („Der Tod des Engels“) denn auch zu einem Tonsatz, der beharrlich abwärts gravitiert. Die Stimme stößt Silben auf repetierten Tonhöhen hervor, legt gesteigerten Nachdruck aber vor allem auf jene Worte, die den Tod des Engels mit dem eigenen verknüpfen („ange“, „moi même“, „mourir“) – Trompete oder Flöte sekundieren dabei markant. Beim erregten Höhepunkt des Stückes schleudert sie aus dem Taumel repetitiver Motive scharfe Spitzentöne heraus, ergibt sich aber schlussendlich dem Abwärtssog des sich auflösenden Tonsatzes: ein Gang in die Unterwelt. Im zweiten Gesang („Der Tod der Zivilisation“) erzeugen ostinate Harfen-Arpeggien über leisen Bläserklängen einen geheimnisvoll archaischen Klangraum, der nuancenreich moduliert wird und den gesamten Satz prägt. Die Stimme rezitiert fragmentarische Inschriften altägyptischer Sarkophage – anfangs nüchtern-protokollarisch und „comme déchiffrant un manuscrit“ („als entziffere man eine Handschrift“); dann aber, bewegt von den kargen Überbleibseln einstiger Klagen und (Jenseits-)Hoffnungen, zusehends expressiver. Kurz notiert „Im Gilgamesch-Epos eröffnet der unsterbliche Utnapischtim dem Helden „der Götter Geheimnis“: die Sindflut, schreibt Gérard Grisey über den vierten Gesang seiner „Quatre Chants“. „Wie der biblische Noah wurde Utnapischtim vor der Katastrophe gerettet, von der es heißt, dass selbst die Götter vor ihr erschraken. Die große Muttergöttin schreit wie eine Gebärende; die Musik vertritt den Blick auf die Katastrophe, während die Stimme in den Zwischenräumen des Tosens erklingt.“ Im dritten Gesang („Der Tod der Stimme“) imaginiert die griechische Dichterin Erinna aus Telos (um 350 v. Chr.) die Stille des Totenreichs, in dem die Echos ungehört verhallen. Grisey setzt dies in vier Anläufen um, deren anfängliche Bewegung sich allmählich im Bläsernachhall verliert und zu leisen Haltetönen gerinnt. Der vierte und letzte Gesang („Der Tod der Menschheit“) greift eine suggestive Passage aus dem Gilgamesch-Epos (Tafel 11) auf, die die große Sintflut schildert – samt Ruhe danach. Das „Faux Interlude“ („unechtes Zwischenspiel“, wohl weil es recht eigentlich eine Einleitung ist) steigert sich zu einer motorisch-perkussiven Introduktion, die in die Apokalypse mündet: Sintflut, Stürme, Gewitter und jähe Aufschreie – das verzweifelte Aufbäumen der Schöpfung angesichts ihres Untergangs. Danach beruhigt sich das Meer, die Menschen sind wieder zu Lehm geworden, Stille allüberall – verkörpert von einem zarten Duo von Violine und Cello, das ein zeitloser Orgelpunkt des Kontrabasses grundiert. Hieraus erwächst eine zauberische „Berceuse“ (Wiegenlied), in der der überwältigte Betrachter dieser Geschehnisse niedersinkt und Tränen vergießt. „Die zarte Berceuse“, so Grisey, „die den Zyklus […] beendet, ist nicht für das Einschlafen, sondern für das Erwachen gedacht. Es ist Musik der Morgendämmerung einer Menschheit, die endlich vom Alptraum befreit ist.“ CD-TIPPs „unitedberlin“, unter anderem mit Helmut Zapf: „Abendklänge“ und Sebastian Stier: „Monolith“ – ensemble unitedberlin, Vladimir Jurowski (Label: edel records, 2000); Gérard Grisey: „Quatre chants pour franchir le seuil“ – Catherine Dubosc, Klangforum Wien, Sylvain Cambreling (Label: KAIROS, 2001) Die Texte (Prelude) 1 - D'après Les heures à la nuit de Guez Ricord De qui se doit de mourir comme ange ... comme il se doit de mourir comme un ange je me dois de mourir moi même il se doit son mourir, son ange est de mourir comme il s'est mort comme un ange (Interlude) 2 - D‘après Les sarcophages égyptiens du moyen empire n. 811 et 812: (presque entièrement disparus) n. 814: "Alors que tu reposes pour l'éternité..." n. 809: (détruit) n. 868 et 869: (presque entièrement détruits) n. 870: "J'ai parcouru... j'ai été florissant. .. je fais une déploration... le Lumineux tombe à l'interieur de..." n. 961,963: (détruits) n. 972: (presque entièrement effacé) n. 973: "...Qui fait le tour du cieI... jusqu'au confins du cieI... jusqu'à l'étendue des bras... Fais-moi un chemin de lumière, laisse-moi passer..." n. 903: (détruit) n. 1050: "Formule pour être un dieu..." (Interlude) 3 - D'après Erinna Dans le monde d'en bas, l'écho en vain dérive, Et se tait chez les morts. La voix s'épand dans l'ombre. (Faux interlude) 4 - D'après L'épopée de Gilgamesh * ... Six jours et sept nuits, Bourrasques, Pluies battantes, Ouragans et Déluge Continuèrent de saccager la terre. Le septième jour arrivé, Tempête, Déluge et Hécatombe cessèrent, Après avoir distribué leurs coups au hasard, Comme une femme dans les douleurs, La Mer se calma et s'immobilisa. Je regardai alentour: Le silence régnait! Tous les hommes étaient Retransformés en argile; Et la plaine liquide Semblait une terrasse. J'ouvris une fenêtre Et le jour tomba sur ma joue. Je tombai à genoux, immobile, Et pleurai... Je regardai l'horizon de la mer, le monde... Im Porträt ensemble unitedberlin Das 1989 gegründete Ensemble – Sinnbild der wiedergewonnenen Verbindung von Musik und Musikern in der lange geteilten Stadt – begleitet mit Gastkonzerten auf Festivals neuer Musik in Albanien, Brasilien, Frankreich, Israel, Polen, Russland, Spanien, Südkorea, China, Ungarn, der Schweiz und in den USA die regelmäßige Arbeit in Berlin. Es wurde unter anderem zur Biennale Venedig, zum Steirischen Herbst in Graz, in die Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom, zu den Festivals „Milano Musica“ und „Slowind“ Ljubljana eingeladen. Sein Repertoire reicht von Schönberg und Webern über Nono und Cage bis zu neuester Musik und schlägt auch immer wieder Brücken in frühere Epochen.. Zahlreiche Konzertprogramme entstanden in enger Zusammenarbeit mit Komponisten wie Vinko Globokar, Wolfgang Rihm, Mauricio Kagel, Christian Wolff, Toshio Hosokawa, Helmut Lachenmann und György Kurtág. Im Konzerthaus Berlin ist das ensemble unitedberlin regelmäßig zu Gast – so in der Vergangenheit etwas mit den Reihen „Musik im Dialog: Farbe, Form, Figur“ (Bezüge zwischen bildender Kunst und Musikstücken der letzen fünfzig Jahre), „Vom Gehorsam. Von der Verweigerung“ (zum Jubiläum des Mauerfalls), mit Arnold Schönbergs „Die glückliche Hand“ und Karl Amadeus Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“, in der Saison 2010/11 mit Konzerten unter der Leitung von Vladimir Jurowski („Schuberts Winterreise“ von Hans Zender) und Ferenc Gábor (Werke von Mahler, Katzer und Nono) sowie in der Saison 2011/12 im Rahmen des Festivals „All’Ongarese“. Im Februar 2013 spielten die Musiker hier unter Leitung von Vladimir Jurowski im Rahmen des RusslandFestivals. Zahlreiche CD-Produktionen dokumentieren die Arbeit des Ensembles. www.unitedberlin.de Allison Bell zählt zu den bekanntesten Interpreten der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Geboren in Tasmanien, studierte sie Musik und Geschichte an der Universität von Sydney und erhielt eine Schauspielausbildung beim Australian Theatre for Young People. Sie setzte ihre Studien in Europa fort und besuchte Meisterklassen bei Joan Sutherland, Magda Olivero, Ghena Dimitrova, Ileana Cortrubas, Gundula Janowitz, Dalton Baldwin, Paul Hamburger und Dietrich Fischer-Dieskau. Ihr Opernrepertoire reicht von Rameau, Händel und Mozart über Verd und Strauss bis Ullmann, Braunfels, Bernstein und Birtwistle. Sie sang in der Welturaufführung von Peter Eötvös’ Oper “Love and Other Demons” in Glyndebourne (Leitung: Vladimir Jurowski), war Vokalsolistin bei Eötvös-Retrospektiven in Caen, Strasbourg, Budapest und Madrid und wirkte bei einer preisgekrönten Eötvös-CD mit dem Ensemble Linea (2011) mit. Häufig arbeitet sie mit dem London Philharmonic Orchestra und Vladmir Jurowski zusammen – so unter anderem bei Werken von Schnittke und Schönberg. Ebenso sang sie Griseys “Quatre chants pour franchir le seuil” unter der Leitung von Vladimir Jurowski bereits in Paris und London. Zu ihren jüngsten Aktivitäten zählen eine Tournee mit der Britten Sinfonia (einschließlich Debüt im Amsterdamer Concertgebouw) mit Brett Deans “And Once I Played Ophelia” und Schönbergs zweitem Steichquartett sowie Konzerte in Moskau, auch hier unter der Leitung von Vladimir Jurowski. Zukünftige Aufgaben umfassen unter anderem Giacinto Scelsis “Khoom” mit Ilan Volkov und den Israel Contemporary Players sowie die Uraufführung von John Taveners „Flood of Beauty“ mit der Britten Sinfonia im Londoner Barbican. www.allisonbellsoprano.com Vladimir Jurowski wurde in Moskau geboren und studierte in seiner Heimatstadt sowie in Dresden und Berlin bei Rolf Reuter (Dirigieren) und Semion Skigin (Chorleitung). 1995 debütierte er beim Wexford Festival sowie am Royal Opera House Covent Garden. Von 1996 bis 2001 war Mitglied des Ensembles der Komischen Oper Berlin (1997 Erster Kapellmeister). Bereits seit 1997 zu Festivals und auf international führende Bühnen eingeladen (unter anderem 1999 Debüt an der Metropolitan Opera New York), wurde er 2001 Musikdirektor an der Glyndebourne Festival Opera (bis 2013) und 2003 Erster Gastdirigent beim London Philharmonic Orchestra (2007 Chefdirigent). Das Orchestra of the Age of Enlightenment verlieh ihm den Titel “Principal Artist”, von 2005 bis 2009 war er Erster Gastdirigent beim Russischen Nationalorchester. Einladungen führten ihn unter anderem auch zu den Berliner, Wiener, Rotterdamer und Osloer Philharmonikern, zum Royal Concertgebouw Orchestra, zum Gewandhausorchester Leipzig, dem Chamber Orchestra of Europe, der Dresdner Staatskapelle, zum Los Angeles Philharmonic, Pittsburgh Symphony und Philadelphia Orchestra, zum Chicago Symphony und zum Cleveland Orchestra. Er dirigierter an der Mailänder Scala, am Bolschoi Theater in Moskau, an der Semperoper Dresden sowie an Opernhäusern unter anderem in Paris und München. 2007 wurde er als „Conductor oft he Year“ mit dem „Royal Philharmonic Society Music Award“ ausgezeichnet. Vladimir Jurowskis Diskographie umfasst Werke unter anderem von Giya Kancheli (ECM), Meyerbeer (Naxos/Marco Polo), Massenet (BMG), Einspielungen für die eigenen Labels des London Philharmonic Orchestra (Rachmaninow, Turnage, Tschaikowsky, Britten, Schostakowitsch) und der Glyndebourne Opera (Prokofjew), CD-Produktionen für PentaTone mit dem Russischen Nationalorchester und DVDs mit Opern- und Konzertaufführungen. Desweiteren erschienen DVD-Produktionen mit ihm (Werke von Beethoven mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment sowie Werke von Strauss und Ravel mit dem Chamber Orchestra of Europa) beim Label Medici Arts. Am 4., 5. und 6. Juni 2015 wird Vladimir Jurowski das Konzerthausorchester Berlin leiten. Auf dem Programm stehen dann Weberns Passacaglia op. 1, Schostakowitschs Zweites Violinkonzert (Solist: Kolja Blacher) und Bruckners Erste Sinfonie. www.imgartists.com