Frank Decker (Hamburg) Über das Scheitern des neuen

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Frank Decker (Hamburg)
Über das Scheitern des neuen
Rechtspopulismus in Deutschland
Republikaner, Statt-Partei und der Bund Freier
Bürger
Im Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern sind den rechtspopulistischen Parteien in
der Bundesrepublik Deutschland größere Wahlerfolge bislang versagt geblieben. Um diesem Phänomen auf den Grund zu gehen, werden im Folgenden zwei einander ergänzende Erklärungen angeboten. Einerseits lässt sich das Scheitern auf die feindliche Umgebung zurückführen, mit der jegliche
Form von Populismus in Deutschland konfrontiert wird; andererseits hängt es mit dem Unvermögen
der rechtspopulistischen Akteure zusammen, sich als parteipolitische Kraft zu etablieren. Anders als
in Frankreich oder Österreich, wo es den Rechtsaußenparteien Front National und FPÖ gelungen ist,
verschiedene Stränge des Rechtspopulismus in einer gemeinsamen Organisation zusammenzuführen,
laufen diese Stränge in der Bundesrepublik in Gestalt verschiedener Gruppen nebeneinander, wodurch das rechtsextreme Wählerpotenzial gespalten wird. Drei der gescheiterten Parteien werden
hier eingehender betrachtet: die Republikaner, die Hamburger Statt-Partei und der Bund Freier Bürger.
1. Einleitende Bemerkungen
Zu den Standardvorwürfen, die deutsche
PolitikerInnen in der politischen Auseinandersetzung regelmäßig zu gewärtigen haben, gehört der Vorwurf, sie seien oder verhielten sich
„populistisch”. Populismus steht in Deutschland
in keinem hohen Ansehen, gilt nachgerade als
Negation dessen, was die Qualität eines verantwortungsbewussten Politikers im demokratischen Staat ausmache. Die Populismusschelte
floriert in populären und seriösen Medien gleichermaßen. Forderungen des früheren SPDVorsitzenden Lafontaine nach einer Zuzugsbegrenzung für deutschstämmige AussiedlerInnen veranlassten das Nachrichtenmagazin
„Der Spiegel” zu einer Titelgeschichte wider das
vermeintlich grassierende Phänomen.1 Tenor:
„Die Parteien kapitulieren vor den komplizierten Problemen und flüchten sich in Populismus.”
Eine ähnliche Tonlage herrscht unter PoliÖZP, 29 (2000) 2
tikerInnen selbst, wenn sie den Populismusverdacht – gleichsam prophylaktisch – von sich
weisen: „Dem Volk aufs Maul schauen, ihm aber
nicht nach dem Munde reden” – die Interpretation des bekannten Luther-Ausspruches durch
Franz Josef Strauß klingt wie ein Selbstdementi,
obwohl man gerade Strauß nachgesagt hat, dass
er den Typus des Populisten in der bundesdeutschen Politik wie kein anderer verkörperte.
Ob Strauß den Begriff – wie etwa sein Nachfolger Edmund Stoiber – zur Selbstbezeichnung
akzeptiert, ihn als Ausweis demokratischer Gesinnung ins ausdrücklich Positive gewendet
hätte, ist nicht bekannt. Dergleichen bleibt in
Deutschland jedenfalls die Ausnahme. Wer den
Populismusverdacht äußert, drängt seine
KontrahentInnen damit meist erfolgreich in die
Defensive. Das passende Negativattribut wird
häufig gleich mitgeführt: Populistisch sein ist
billig. Es heißt – so die Unterstellung – das politische Terrain mit Primitivargumenten zu be237
setzen, nicht um der Sache, sondern um der vordergründigen Gunst öffentlicher Zustimmung
willen zu streiten, sich dem vermeintlichen
Volkswillen anzubiedern (während man für sich
selbst den Mut des Unpopulären reklamiert). Ein
solches Verdikt ist nicht unbedingt ehrenrührig,
selbst dann nicht, wenn darin der Vorwurf der
Unredlichkeit mitschwingt. In seiner Unverbindlichkeit hat der Populismusvorwurf etwas wohltuend Unverfängliches; er trifft die/den andere/
n, ohne sie/ihn wirklich auszugrenzen oder zu
stigmatisieren und ist in der Auseinandersetzung
wohl gerade deshalb so schnell bei der Hand.
Jemanden einen Populisten zu schelten, kostet
den/der AngreiferIn also nicht viel, im Gegenteil: Der Vorwurf ist so wohlfeil, dass eine zu
häufige Verwendung selbst „billig” wäre und auf
den/die UrheberIn zurückfallen könnte.
Populistische Parteien und Bewegungen haben nicht nur in Deutschland einen schlechten
Ruf, wenngleich die negative Konnotation des
Begriffs hier besonders ausgeprägt zu sein
scheint (zum sozialwissenschaftlichen Populismuskonzept allgemein vgl. Ionescu/Gellner
1969; Canovan 1981) . Dieser auf ausländische
BeobachterInnen bisweilen befremdlich wirkende anti-populistische Reflex ist vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte
leicht verständlich. Er entspringt der traumatischen Erfahrung eines Landes, dessen ohnehin
verspätete erste Demokratie an einer Massenbewegung zugrunde gegangen ist, die deutlich
populistische Züge trug. Obwohl Hitler auch bei
der letzten noch halbwegs freien Reichstagswahl
im März 1933 keine eigene Mehrheit erringen
konnte, ist er doch nicht gegen, sondern durch
das Volk an die Macht getragen worden. Die
Konsequenzen für die Begründung der zweiten
deutschen Demokratie sind bekannt: Von tiefem
Misstrauen in die Demokratiefähigkeit der Deutschen geprägt, haben die Verfassungsgeber ein
System geschaffen, das der Verführbarkeit des
Volkswillens künftig jeden erdenklichen Riegel
vorschieben sollte. Die in der Nachkriegszeit
noch überwiegend normativ ausgerichtete
Politikwissenschaft reflektierte dies in einem
merkwürdig dichotomisierten Demokratieverständnis, bei dem sich plebiszitäre und repräsentative Komponenten nach Art eines Null238
summenspiels scheinbar unvereinbar gegenüberstehen (Puhle 1986, 23). Der von den
Populisten hochgehaltene Plebiszitgedanke hat
zwar – u.a. durch die Parteien – an Boden gewonnen, doch wird diese Entwicklung mit größerem Argwohn betrachtet als anderswo: Die
Abweichung vom „anti-populistischen Konsens” ist in der Bundesrepublik bis heute gering geblieben.
Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn
der parteiförmig organisierte Populismus in
Deutschland eine zwiespältige und – im Vergleich zu anderen Ländern – ziemlich bescheidene Erfolgsbilanz aufweist. Nicht nur, dass die
neuen populistischen Parteien in der Bundesrepublik sehr spät in Erscheinung getreten sind –
größere Wahlerfolge erzielten sie erst gegen
Ende der achtziger Jahre; ihre Höhenflüge blieben von vornherein auf die kommunale und
Länderebene beschränkt und waren auch dort
zumeist nur von kurzer Dauer. Lediglich in Baden-Württemberg ist es den rechtspopulistischen
Republikanern (REP) 1996 gelungen, ihr Wahlergebnis von 1992 annähernd zu halten (9,1
gegenüber 10,9%); in den übrigen Ländern
konnte sich die Partei ebensowenig etablieren
wie die rechtsextreme Konkurrenz von NPD und
DVU2 oder andere Neugründungen, die eine
gemäßigtere Version des Populismus bevorzugen (Statt-Partei, Bund Freier Bürger).
Die diskontinuierlichen Wahlerfolge spiegeln
sich in der wissenschaftlichen Rezeption wider:
Standen zunächst die Ursachen des Aufschwungs der neuen populistischen Parteien (vor
allem: der Republikaner) im Zentrum des Interesses, so setzte sich bald die Einsicht durch, dass
es um die Überlebensfähigkeit solcher Parteien
in der Bundesrepublik nicht zum Besten bestellt
ist. Zwei Erklärungsmöglichkeiten bieten sich
für die vergleichsweise Schwäche an: Zum einen könnte es sein, dass die Durchsetzungschancen des rechten Populismus aufgrund der
beschriebenen Vorbelastungen in Deutschland
an anspruchsvollere Voraussetzungen gebunden
sind als anderswo. Wie die Wahlerfolge der
Republikaner gezeigt haben, gibt es einen Nährboden für populistischen Protest auch in der
Bundesrepublik, doch wird die Organisierbarkeit dieses Protests (in Gestalt neuer Partei-
en) durch die Stigmatisierung der Vergangenheit wesentlich erschwert. Die Integrationskraft
der „Altparteien” muss darum möglicherweise
höher veranschlagt werden, als nach den Anfangserfolgen des neuen Populismus zu erwarten war. Die zweite Erklärung geht davon aus,
dass die Voraussetzung einer Etablierung in
Deutschland genauso günstig oder ungünstig
liegen wie in anderen Ländern – allein hätten es
die neu entstandenen Akteure versäumt, die sich
ihnen bietenden Gelegenheiten zu nutzen. Verwiesen wird hier auf die mangelhafte Organisationsstruktur und Darstellungskompetenz der
populistischen Parteien, die zur inneren Konsolidierung nicht in der Lage waren und deren
negatives Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit eine längerfristige WählerInnenbindung
vereitelte.
Symptomatisch für die Durchsetzungsschwäche des neuen Populismus ist seine organisatorische Zersplitterung. Während es der französische Front National (bis zur Spaltung der Partei
1999) und die österreichische FPÖ geschafft
haben, verschiedene Stränge des populistischen
Protests in einer gemeinsamen Partei zusammenzuführen, verlaufen diese Stränge in der
Bundesrepublik in Gestalt mehrerer Gruppierungen nebeneinander. Die hier betrachteten Parteien – Republikaner, Statt-Partei und Bund Freier Bürger – haben sich, was ideologische Ausrichtung und elektorale Strategie betrifft, wechselseitig kaum beeinflusst. Ihre Agenden werden von ganz unterschiedlichen Themen beherrscht, die in der jeweiligen Programmatik
oben anstehen: bei den Republikanern war und
ist das die Ausländerpolitik, bei der Statt-Partei
die institutionelle Reform des Parteienstaates,
beim Bund Freier Bürger die Ablehnung des
europäischen Maastricht-Prozesses. Andere
Themen bleiben dem untergeordnet oder werden nur am Rande behandelt. Dies gilt insbesondere für das Wohlfahrtsstaatsissue, das in
Deutschland sicher nicht weniger Anknüpfungspunkte für eine Profilierung bieten würde als in
vergleichbaren Ländern. Nachdem mit Hermann
Fredersdorfs Bürgerpartei die Erstauflage einer
Steuersenkungspartei in den 70er Jahren gescheitert war, wurde das Thema in den 90ern
von den neuen Kräften erst gar nicht (oder nur
halbherzig) bedient – den Nutzen hatten die FDP
sowie Teile der Union. Ein weiteres Erschwernis für die neuen Parteien stellten die Folgen
des deutschen Vereinigungsprozesses dar. Nicht
nur, dass es in der ehemaligen DDR an einer
breiten Mittelschicht fehlte, aus der sich der
Anhang des Populismus hätte speisen können;
auch die reichlich vorhandene Unzufriedenheit
wirkte sich dort nicht zugunsten der Newcomer
aus, da mit der PDS eine andere, genuin ostdeutsche Protestalternative bereitstand: Die
Kombination von linkem und regionalistischem
Populismus sicherte der SED-Nachfolgepartei
in den neuen Ländern Stimmenanteile, von denen ihre rechtspopulistischen Konkurrenten im
Westen nur träumen konnten.
2. Rechtspopulistische Parteien in
Deutschland
2.1 Die Republikaner
Nachdem die extreme Rechte in Deutschland
fast zwei Jahrzehnte ein Schattendasein gefristet hatte, begann mit dem Überraschungsergebnis der Republikaner bei den Wahlen zum
Berliner Abgeordnetenhaus Anfang 1989 eine
ungeahnte Erfolgsserie, an der neben den Republikanern auch andere Parteien der extremen
Rechten wie DVU und NPD partizipierten. Größere Wahlerfolge solcher Parteien hatte es in der
Bundesrepublik schon zweimal vorher gegeben.
Die erste Welle des Rechtsextremismus setzte
in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein, als
mehrere rechte Splitterparteien dank der noch
nicht eingeführten Sperrklausel in den ersten
Bundestag einziehen konnten und bei den
nachfolgenden Landtagswahlen zum Teil zweistellige Stimmergebnisse erreichten. Die damaligen Erfolge waren ein direktes Produkt der
alten Ordnung des Nationalsozialismus, aus
dessen Anhängerschar sich die WählerInnen der
Rechtsaußenparteien ausnahmslos rekrutierten
(vgl. Stöss 1991, 106–115). Dass der organisierte
Rechtsextremismus in den fünfziger Jahren
rasch abebbte und in politische Bedeutungslosigkeit fiel, lag zum einen an der repressiven
Vorgehensweise des Staates (Verbot der Sozia239
listischen Reichspartei durch das Bundesverfassungsgericht 1952 und Auflösung weiterer
rechtsextremer Gruppierungen), zum anderen –
noch wichtiger – am erfolgreichen Bemühen der
Unionsparteien, die rechtsextremen WählerInnen in das Lager der Bürgerlichen zu überführen.
In den 60er Jahren geriet dieses Erfolgsmodell
vorübergehend unter Druck. Die Rezession von
1966/67 bescherte der Republik eine Wirtschaftskrise, während auf außenpolitischem
Gebiet erste Schritte in Richtung Entspannung
unternommen wurden, um die Konfrontation
zwischen Ost und West abzubauen. Politische
Konsequenz der veränderten Lage war die Bildung der Großen Koalition (1966), die aus Sicht
der Union eine Linksverschiebung ihrer bisherigen Politik darstellte. Dies und das gleichzeitige Aufkommen der Außerparlamentarischen
Opposition (APO) verbesserten die Ausgangslage für die extreme Rechte erheblich und führten zu einer Reihe spektakulärer Wahlergebnisse der erst 1964 gegründeten NPD, die zwischen
1966 und 1968 in sieben Landesparlamente einziehen konnte und bei der Bundestagswahl 1969
die Fünf-Prozent-Marke nur um wenige Zehntelprozente verfehlte (ebd., 144–150).
Die erstmalige Bildung einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung mit ermöglichend, trug das knappe Scheitern der NPD dazu
bei, dass die Partei von der Bildfläche ebenso
schnell wieder verschwand wie sie aufgetaucht
war. Das Jahr 1969 markiert insoweit in der
Entwicklung des organisierten Rechtsextremismus eine wichtige Zäsur: In ihrer Oppositionsrolle konnten sich CDU und CSU von nun an
verstärkt nach rechts orientieren; dadurch gelang es ihnen, das rechtsextreme Wählerpotenzial auszutrocknen und die oppositionellen Kräfte im eigenen Lager zu bündeln (Jaschke
1990, 17). Die NPD hatte dem wenig entgegenzusetzen. Von innerparteilichen Streitigkeiten
aufgerieben, zerfiel sie seit 1971 in zahlreiche
Splittergruppen, deren politische Wirkung gegen Null ging. Erst Mitte der achtziger Jahre,
als die NS-belasteten Altfunktionäre einer jüngeren Führungsgeneration Platz machten, zeichnete sich eine allmähliche Wiederbelebung ab,
die unter dem theoretischen Einfluss der Neuen
240
Rechten auch zu programmatischen Innovationen führte. Befördert wurde der Aufschwung
durch die 1987 gegründete DVU-Liste D des
Verlegers Gerhard Frey, dessen Zusammenarbeit mit der NPD das jahrelange Schisma der
alten Rechte beendete. Indem Frey seinen publizistischen Apparat nun auch parteipolitisch in
den Dienst der rechtsextremen Sache stellte, trug
er zu den anschließenden Wahlerfolgen von
DVU und NPD maßgeblich bei (ebd., 18–21).
Dass diese Erfolge erst im Windschatten der
Republikaner möglich wurden, steht auf einem
anderen Blatt. Vergleicht man die Stimmergebnisse der drei Parteien, so zeigen sich, was
WählerInnenstruktur und -motive angeht, kaum
Unterschiede (s.u.). Aus Sicht der WählerInnen
schien es demnach keine große Rolle zu spielen, für welche der drei Rechtsparteien sie im
Einzelfall votierten. Anders liegen die Dinge auf
der Angebotsseite. Während sich DVU und NPD
bis heute als rechtsextreme Sammelbecken verstehen, verkörperten die Republikaner – zumindest in der Anfangsphase – weniger eine extremistische denn eine rechtskonservative Partei
mit starker Affinität zum rechten Unionsflügel.
Die unterschiedlichen Ausgangslagen lassen
sich an der Entstehungsgeschichte ablesen.
Während DVU und NPD von der veränderten
politischen Konstellation profitierten, die durch
die Regierungsübernahme der Union 1982/83
eingetreten war, sind die Republikaner – als
Abspaltung von der bayerischen CSU – aus dieser Konstellation hervorgegangen. Gegründet
wurde die Partei im November 1983 von den
beiden Bundestagsabgeordneten Franz Handlos
und Ekkehard Voigt, die ihrer Partei aus Verärgerung über den von Franz Josef Strauß vorgenommenen Kurswechsel in der Ost- und
Deutschlandpolitik den Rücken gekehrt hatten.
Als drittes Gründungsmitglied gesellte sich mit
dem früheren Fernsehjournalisten Franz Schönhuber ein weiterer CSU-Renegat hinzu. Den
Anlass der Verärgerung bildete ein von Strauß
vermittelter Milliardenkredit an die DDR, dessen politische Folgewirkungen im eigenen Lager der bayerische Ministerpräsident offenbar
unterschätzt hatte. Bis dahin galt Strauß als
Garant dafür, dass CDU und CSU ihre Gefolgschaft bis weit nach rechts integrieren konnten.
Unter den Bedingungen der Opposition noch
leicht zu befriedigen, nahm der Integrationsbedarf ab 1982 stark zu, da sich die unionsgeführte Regierung unter Bundeskanzler Kohl
auf eine radikale Abkehr von der alten Politik
nicht verstehen mochte.
Nachdem die von Kohl versprochene „geistigmoralische Wende” in der Praxis folgenlos blieb,
begann sich die konservative Publizistik lautstark auf CDU und CSU einzuschießen (ebd.,
35–48). Elektoral war das für die beiden Schwesterparteien solange verschmerzbar, wie die
Kritik von der Integrationsfigur Strauß aufgenommen und absorbiert wurde. Erst dessen eigene „Wende” öffnete den politischen Raum
nach rechts und verhalf den Republikanern zu
einem ersten Achtungserfolg bei der bayerischen
Landtagswahl im Oktober 1986 (3,0%). Als der
CSU-Vorsitzende zwei Jahre später starb, war
das Abbröckeln des rechten Unionsrandes bereits in vollem Gange (zur Entstehungsgeschichte der Republikaner vgl. Jaschke 1990 und Neubacher 1996).
Die innerparteiliche Entwicklung der Republikaner verlief bis zu diesem Zeitpunkt und
auch später wenig verheißungsvoll. Von ihrem
Vorsitzenden Handlos als eine Art „bessere
CSU” betrachtet, gelang es der Partei, zahlreiche Mitglieder und FunktionsträgerInnen von
der Union zu sich herüberzuziehen, was ihr im
bürgerlichen Lager zunächst eine gewisse Reputierlichkeit verschaffte. Der gleichzeitige Zustrom von rechtsextremen Kräften sorgte jedoch
dafür, dass sich die innerparteiliche Balance
schon bald zugunsten derjenigen verschob, die
wie Schönhuber einem stärker nationalpopulistischen Kurs der Partei das Wort redeten. Nach
Handlos’ Entmachtung ging der Vorsitz 1985
auf Schönhuber über, unter dessen Ägide die
Brücken zum organisierten Rechtsextremismus
immer mehr verstärkt wurden. Symptomatisch
für die Neuausrichtung war, dass mit Harald
Neubauer ein ehemaliger Funktionär der NPD
zum Generalsekretär und – später – Bundessprecher der Partei avancierte.
Der Erfolg in Bayern änderte nichts daran,
dass der Aufbau der parteilichen Strukturen insbesondere in den norddeutschen Bundesländern
nur schleppend voranging. Die Republikaner
konnten darum weder bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im November 1986 noch bei der
Bundestagswahl im Januar 1987 antreten. Wo
sie sich zur Wahl stellten – in Bremen (September 1987), Baden-Württemberg und SchleswigHolstein (Mai 1988) – blieben die Stimmergebnisse deutlich unter den Erwartungen. Der
Erfolg in Berlin kam insoweit auch für die Partei selbst überraschend – die Republikaner gewannen mehr Parlamentssitze als sie mit eigenen KandidatInnen besetzen konnten. Unterstützt durch die erhöhte Medienaufmerksamkeit
setzte sich der Erfolg bei den Europawahlen fort
(Juni 1989); die 7,1%, die man damals erzielte,
bedeuten bis heute das beste Ergebnis der Republikaner bei einer bundesweiten Wahl.
Die Hoffnung, der elektorale Durchbruch
würde zur inneren Stabilisierung beitragen, erfüllte sich allerdings nicht. Der rasche Anstieg
der Mitgliederzahlen und die gleichzeitig erfolgte finanzielle Besserstellung der Partei – dank
großzügig fließender Wahlkampfkostenerstattung – ermöglichten zwar den weiteren Ausbau
der Organisation; sie waren jedoch nicht imstande, den innerparteilichen Machtkämpfen entgegenzuwirken, die in der Folge an Heftigkeit sogar zulegten. Die autoritären Strukturen der
Partei erwiesen sich als untauglich, eine Lösung
der inneren Konflikte herbeizuführen, weshalb
sich der Unmut der Basis fast zwangsläufig über
Schönhuber und dessen Führungsstil entlud. Von
den Befürwortern eines gemäßigten Kurses unter Druck gesetzt, behielt dieser in der Konfrontation mit den rechtsextremen Kräften zunächst
die Oberhand und drängte in Harald Neubauer
seinen wichtigsten Kontrahenten aus der Partei. Das hinderte den Vorsitzenden nicht, sich
später seinerseits für ein Zusammengehen mit
den Rechtsextremen auszusprechen, um die strategische Lage der Republikaner zu verbessern.
Damit hatte Schönhuber den Bogen freilich
überspannt. Von der Partei zum Rückzug gezwungen, musste er das Feld für den badenwürttembergischen Landesvorsitzenden Rolf
Schlierer räumen, der zuvor bereits Schönhubers
Stellvertreter gewesen war (Dezember 1994).
Unter Schlierer gerieten die Republikaner in ein
ruhigeres Fahrwasser, was sich elektoral jedoch
kaum auszahlte und auch bei der Mitglieder241
entwicklung zu keinen nennenswerten Fortschritten führte.3
Die Parteiorganisation bleibt somit weiterhin
eine wesentliche Schwachstelle, die der Verstetigung der Wahlergebnisse im Wege steht. Dies
wirft natürlich die Frage auf, warum die Republikaner bei einigen Wahlen trotzdem so gut
abgeschnitten haben. Darüber Aufschluss geben
kann ein Blick auf die „Nachfrageseite”. Was
zunächst die Motive der WählerInnen betrifft,
sind in der Literatur unterschiedliche Thesen
vertreten worden. Die einen sehen in der Wahl
der Republikaner den Ausdruck eines politischen Protests, der aus Deprivationsgefühlen
herrühre und von der Unzufriedenheit mit den
vorhandenen Parteien bestimmt werde (Veen/
Lepszy/Mnich 1991/92). Dass sich die Unzufriedenheit in der Wahl einer Rechtsaußenpartei
kundtut, ist nach dieser Lesart eher zufällig, weil
von der Struktur des politischen Angebots abhängig. Sind Alternativen nicht verfügbar (wie
etwa die PDS in Ostdeutschland), könnte sich
der Protest genauso gut in einem höheren Nichtwähleranteil niederschlagen.
Andere Autoren ziehen diese Interpretation
in Zweifel, indem sie auf den Gesinnungscharakter der Wahlentscheidung verweisen
(Butterwegge 1997). Das Votum für die Republikaner erkläre sich danach wie das Votum für
verwandte Parteien in früheren Zeiten aus dem
Vorhandensein rechtsextremer Anschauungen
und Wertorientierungen. Vorliegende Untersuchungen bestätigen diese Ansicht, wenngleich
man berücksichtigen muss, dass die ermittelten
Rechtswählerpotenziale von den zugrunde gelegten Einstellungsindikatoren abhängen und
darum beträchtlich schwanken können (Falter/
Klein 1994, 147–153). Dennoch stehen beide
Erklärungsansätze nicht in Widerspruch zueinander. Wie Jürgen Falter und Markus Klein in
ihren wahlanalytischen Studien nachgewiesen
haben, tragen rechtsextreme Einstellungen zur
Wahl einer rechtsextremen Partei nicht automatisch bei, sondern erst im Zusammentreffen mit
politischer Unzufriedenheit – das Fortbestehen
eines rechtsextremen Bodensatzes der Wählerschaft auch in Deutschland unterstellt, wäre die
relative Erfolglosigkeit solcher Parteien in der
Bundesrepublik ansonsten kaum zu erklären.
242
Ebenso wichtig ist aber auch der umgekehrte
Zusammenhang, wonach Proteststimmung einer Verbindung mit rechtsextremen Überzeugungen bedarf, um die Wahrscheinlichkeit der
Rechtswahl zu erhöhen; sind diese Überzeugungen nicht vorhanden, äußerst sich die Unzufriedenheit eher als Nichtwahl oder wird sie von
den bestehenden Parteien absorbiert. Der Protest kann also verborgene rechtsextreme Einstellungen politisch aktualisieren. Damit wird die
zugrunde liegende Unzufriedenheit zur entscheidenden Bestimmungsgröße, um den wechselhaften Erfolg der Republikaner zu erklären.
Empirische Untersuchungen zeigen, dass
RechtswählerInnen dem politischen System
gegenüber stärkere Entfremdungsgefühle hegen
als die WählerInnen anderer Parteien (Veen/
Lepszy/Mnich 1991/92, 46–52). Die Gründe
dafür werden ersichtlich, wenn man die Rangfolge der als wichtig erachteten Themen betrachtet. Unter den abgefragten Problemfeldern gab
es 1993 lediglich zwei, nämlich „Asyl/Ausländer” und „Parteienverdruss”, die von den
WählerInnen von Rechtsparteien häufiger genannt wurden als von denen der übrigen Parteien, wobei das Erstgenannte mit 57% der Nennungen klar an der Spitze lag (Falter/Klein 1994,
107–115). Die zeitliche Entwicklung der
Themenkonjunktur macht deutlich, dass die
Wahlerfolge der Rechtsparteien in hohem Maße
an das „Asyl-/Ausländerproblem” gekoppelt
waren (und sind). Im bayerischen Landtagswahlkampf 1986 noch ohne nennenswerte Bedeutung, wurde das Thema 1989 erstmals nach
vorne gebracht, wobei die Großstädte Berlin und
Frankfurt a.M. in ihrer Problemkombination von
hohem Ausländeranteil, Arbeitslosigkeit und
Wohnungsnot für einen Wahlerfolg ebenso gute
Voraussetzungen boten wie die vergleichsweise unwichtige (und daher als willkommene
Protestgelegenheit geschätzte) Europawahl.
Eine direkte Verbindungslinie zwischen Wahlergebnissen und Dominanz des Ausländerthemas lässt sich im Jahr 1992 ziehen, als die
innenpolitische Agenda der Bundesrepublik von
der Auseinandersetzung um das Asylrecht beherrscht wurde. Man mag darüber streiten, ob
dieser Auseinandersetzung ein objektiv gestiegener Problemdruck zugrunde lag (starker Zu-
strom von AsylbewerberInnen infolge der
Grenzöffnung im Osten), oder ob sie aus parteipolitischem Interesse lediglich geschürt wurde. Fest steht, dass das Thema von den großen
Parteien aufgegriffen und in einer Weise entschieden wurde, die der extremen Rechte entgegenkam (Young 1995); gerade dadurch konnte
sich diese in ihren Bemühungen legitimiert fühlen und die Einschränkung des Asylrechts als
eigenen Erfolg reklamieren.
Nachdem mit der Änderung des GrundgesetzArtikels 16 die Voraussetzung für eine drastische Reduktion der AsylwerberInnenzahlen
geschaffen worden war, wurde das Thema im
öffentlichen Bewusstsein von anderen Problemen wie der steigenden Arbeitslosigkeit wieder verdrängt, bei denen die etablierten Parteien einen klaren Kompetenzvorsprung vor den
Republikanern aufwiesen. Die programmatische
Fixierung auf das „Ausländerproblem” brachte
den Rechtsextremen insofern nur kurzfristigen
Erfolg. Dass sie sich damit zum Gefangenen
ihrer politischen Gegner machten (denen es oblag, die für nötig gehaltenen Änderungen herbeizuführen), war die eine Sache. Eine andere,
wichtigere Sache war, dass die Kehrtwende
beim Asyl das „Ausländerproblem” auf eine
Normallage zurückwarf, die der Partei ohnehin
kaum Angriffsflächen bot. Der Grund dafür liegt
in der merkwürdigen Gleichzeitigkeit von „Öffnung” und „Schließung”, welche der bundesdeutschen Ausländerpolitik von Anfang an eigen war. Einerseits herrschte (und herrscht) in
Deutschland eine relativ großzügige Einwanderungspraxis, ablesbar am hohen Anteil
der ausländischen „Gastarbeiter”, den zahlreich
aufgenommenen Bürgerkriegsflüchtlingen und
einer – bis 1992 – äußerst liberalen Asylgesetzgebung. Die Großzügigkeit ist nicht allein, aber
doch zum großen Teil ein Reflex des nationalsozialistischen Erbes, das der Bundesrepublik
die Verpflichtung auferlegt hat, dem Fremdenhass zu wehren und sich der Welt als „ausländerfreundliches” Land zu präsentieren. Diese Verpflichtung bedeutet, dass sich die extremen
Rechtsparteien hüten müssen, in allzu große
Nähe zum Nationalsozialismus zu geraten
(Kitschelt/McGann 1995, 203–207). Auf der
anderen Seite hielt die offizielle (Regie-
rungs)politik lange Zeit an der Doktrin –
KritikerInnen sagen: Fiktion – fest, wonach die
Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. In
diesem Fall steht die extreme Rechte vor dem
Problem, dass sich der konservative Mainstream
von ihrer eigenen Position nicht allzu sehr unterscheidet. An der Vorstellung der ethnisch reinen Nation orientiert, teilen beide ein Identitätsverständnis, das jegliche Form des Multikulturalismus ablehnt und eine echte Integration darum weder für wünschenswert noch für machbar hält (Koopmans/Kriesi 1997).
Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, ist
allerdings fraglich. Parlamentarische Mehrheiten für eine integrationsfreundlichere Ausländerpolitik gab es schon in der Regierungszeit Helmut Kohls, doch wurde eine Verständigung darüber vom Mehrheitsflügel der CDU
und der bayerischen CSU blockiert. Die von der
rot-grünen Bundesregierung betriebene Reform
des Staatsangehörigkeitsrechts stellt die Unionsparteien heute vor die unangenehme Situation,
ihre ablehnende Haltung in verbaler Konkurrenz
zu den Rechtsaußenparteien vertreten zu müssen. Damit könnten sich die Mobilisierungschancen der extremen Kräfte wieder verbessern:
In dem Maße, wie die Union unter Druck gerät,
sich einer Reform nicht gänzlich zu verschließen, würde ihre Integrationsfähigkeit nach rechts
wahrscheinlich nachlassen und der elektorale
Spielraum für die Rechtsaußenparteien größer
(vgl. Minkenberg 1998 und Karapin 1998a).
Um die rückliegenden Erfolge der Republikaner zu verstehen, ist ein Blick auf die Struktur ihrer Wählerschaft nötig. Die Priorität des
Ausländerthemas in deren Augen ist ja kein
Zufall; sie spiegelt sich in den erwähnten rechtsextremen Einstellungen wider, die wiederum in
Zusammenhang stehen mit sozialen und Statusmerkmalen. Wie die NSDAP in den 30er und
die NPD in den 60er Jahren, erzielten die Republikaner unter ArbeiterInnen überdurchschnittlichen Zuspruch; Pfahl-Traughber (1994, 78) bezeichnet sie insoweit treffend als „Volkspartei
mit Unterschichtenbauch”. Die parteipolitische
Herkunft der WählerInnen täuscht über diesen
Sachverhalt in gewisser Weise hinweg.
Wanderungsanalysen haben ergeben, dass der
größere Teil der Republikaner-WählerInnen
243
(rund 40%) aus dem Unionslager stammt; lediglich 20% geben an, bei der vorausgegangenen Wahl für die SPD gestimmt zu haben (Falter/Klein 1994, 23–26). Eine genauere Betrachtung zeigt freilich, dass es sich bei der erstgenannten Gruppe nicht um traditionelle UnionswählerInnen handelt, sondern um solche, die
früher der SPD zugeneigt waren.
Die soziale Zusammensetzung deutet darauf
hin, dass die WählerInnen der Republikaner zu
den sog. „ModernisierungsverliererInnen” gehören. Diese gibt es im Prinzip in allen sozialen
Schichten, sie konzentrieren sich jedoch auf diejenigen Teile der Gesellschaft, denen es schlechter geht als dem Durchschnitt, die weniger qualifiziert sind und sich in einer Position mit ungewissen Zukunftsaussichten befinden (Falter/
Klein 1994, 61–79). Unabhängig davon, ob der
soziale Abstieg real oder nur empfunden ist, tendieren solche Personen zu Abwehrreaktionen,
die sich in Vorurteilen und einseitigen Schuldzuweisungen niederschlagen. Hier liegt der
Konnex zum „Ausländerproblem”. Wahlanalysen haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit der Rechtswahl allein von dessen Perzeption abhängt und nicht von der „objektiven Problemlage” (z.B. dem jeweiligen AusländerInnen-Anteil). Eine Ausnahme besteht lediglich
in bezug auf die Kriminalität: Sind AusländerInnen daran übermäßig beteiligt, nimmt die
Unterstützungsbereitschaft für die Rechtsparteien zu. Deren Wahlchancen steigen also erst,
wenn zwischen AusländerInnen und sozialen
Problemen eine Verbindung existiert oder unterstellt wird. Ist dies nicht der Fall, geht die
Unterstützungsbereitschaft sogar zurück: Je
mehr AusländerInnen in einem bestimmten
Gebiet leben und zur „einheimischen” Bevölkerung Kontakt haben, um so größer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass Vorurteile abgebaut
und die WählerInnen gegen eine Stimmabgabe
nach rechts immunisiert werden (Chapin 1997).
Offen bleibt, warum die Republikaner das
Potenzial der Modernisierungsopfer, das in der
Bundesrepublik nicht geringer sein dürfte als in
anderen Ländern, in der Vergangenheit nur sporadisch ausschöpfen konnten. Kitschelt/McGann
(1995, 206) argumentieren, dass es die Partei
nicht geschafft habe, eine dauerhafte elektorale
244
Gewinnerkoalition aufzubauen, so wie es z.B.
Le Pen in Frankreich gelungen sei. Der Grund
dafür liege im fehlenden neoliberalen „Appeal”:
Während der Front National und andere Parteien des neuen Populismus aus einer breit angelegten Wohlfahrtsstaatskritik Nutzen zögen,
bleibe das deutsche Pendant infolge seiner
ethnozentrischen Verengung auf die Wählerbasis der alten Rechten beschränkt. Neuere
Untersuchungen haben die Abhängigkeit der
rechtsextremen Wahlerfolge von der Gunst des
Ausländerthemas bestätigt: Auch innerhalb der
Bundesrepublik fallen die Wahlergebnisse unterschiedlich aus, je nachdem, ob das Thema
hoch im Kurs steht oder nicht (Karapin 1998a).
Das Fehlen eines weitergehenden programmatischen Anspruchs hat in erster Linie interne
Ursachen; es verweist darauf, dass sich die Befürworter einer rechtskonservativen Linie innerhalb der Partei nicht durchsetzen konnten. Daneben lassen sich aber auch objektive Erschwernisse erkennen. So stehen in der Bundesrepublik alle rechten Parteien vor der Problem, dass
im Osten des Landes mit marktradikalen Inhalten elektoral nichts zu gewinnen ist. Für die
Republikaner birgt die Vereinigung besondere
Brisanz, weil ihre west- und ostdeutschen Klientelen gleichermaßen zu den sozialen Verlierern gehören und daher leicht gegeneinander
ausgespielt werden können. Gemessen an der
Abwägung zwischen Wohlfahrtschauvinismus
(West) und Sozialpopulismus (Ost) ist die Partei bis heute eine rein westdeutsche Unternehmung geblieben, wodurch sie das Unzufriedenheitspotenzial im Osten weitgehend der
linkspopulistischen PDS überlassen hat (vgl.
Neugebauer/Stöss 1999, 135).
Ob es die Republikaner schaffen werden, ihre
Wählerbasis in Zukunft zu verbreitern, scheint
nach dem Gesagten selbst im Westen eher unwahrscheinlich. Voraussetzung dafür wäre eine
Öffnung in Richtung desjenigen Teils der Bevölkerung, dem es objektiv betrachtet noch gut
geht, der aber gleichfalls von Modernisierungsängsten geplagt wird und um den erreichten
Wohlstand fürchtet. Bezüglich der wirtschaftspolitischen Aussagen der Republikaner finden
sich in der Literatur unterschiedliche Einschätzungen. Während einige Autoren (z.B. Saalfeld
1993) einen dezidiert neoliberalen Tenor ausmachen, heben andere die egalitären, mithin linken Programmelemente hervor (Pappi 1990).
Die Unsicherheit darüber rührt einerseits aus
ungenauen Formulierungen, zum anderen aus
dem insgesamt geringen Stellenwert des Themas. Nur bei einer stärkeren Priorität hätten sich
die Republikaner als Vertreter einer veritablen
Neuen Rechten empfehlen können. So aber ist
es ihnen weder gelungen, die altrechten Tendenzen im eigenen Bereich zu neutralisieren, noch
waren sie imstande, dem bürgerlichen Lager
ernsthaft zuzusetzen oder auch nur das Aufkommen populistischer Konkurrenzparteien zu
verhindern.
Der Wiederholungserfolg bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat daran nichts
Wesentliches geändert. Immerhin zeigt er, dass
bei konsolidierter Organisation und halbwegs
seriöser Parlamentsarbeit eine Etablierung zumindest auf regionaler Ebene möglich bleibt.
Diese relativ günstigen Bedingungen lassen sich
freilich ebenso wenig auf andere Länder oder
den Bund übertragen wie die speziellen Themen des baden-württembergischen Landtagswahlkampfes, der das „Ausländerproblem” –
dank einer von der SPD angestoßenen Kampagne in Sachen Aussiedlerpolitik – einmal mehr
in den Vordergrund gerückt hatte (Fascher
1997). Selbst wenn es den Republikanern gelingt, sich ideologisch und organisatorisch fester zusammenzuschließen,4 bleibt das Problem,
dass die Partei nach Schönhubers Abgang an
populistischem Elan stark eingebüßt hat. Kompetenz in der Darstellung nach außen ist jedoch
unter Wirkungsgesichtspunkten unabdingbar
und lässt sich durch Stabilität im Innern nicht
ohne weiteres aufwiegen! Dies gilt umso mehr,
als die Rechtsparteien in der bundesdeutschen
Medienöffentlichkeit einen schweren Stand haben, der ihre Chancen im politischen Wettbewerb bisweilen unfair beeinträchtigt.
2.2 Die Hamburger Statt-Partei
Der Hamburger CDU-Fraktionsvorsitzende
Ole von Beust bezeichnete die Statt-Partei einmal als „uneheliches Kind der Hamburger
CDU”. Richtig daran ist, dass die von Markus
Wegner Mitte 1993 ins Leben gerufene Wählervereinigung das unmittelbare Produkt innerparteilicher Zustände der Hamburger Christdemokraten ist. Die Gründung der Statt-Partei
wurde möglich, nachdem das Hamburgische
Verfassungsgericht im Mai 1993 die Bürgerschaftswahlen von 1991 aufgrund schwerwiegender Demokratieverstöße beim Kandidatenaufstellungsverfahren der CDU für ungültig erklärt und eine Wiederholung der Wahl angeordnet hatte – ein bis dato in der Bundesrepublik
nicht gekannter Vorgang.
Für die Entstehung der Statt-Partei von Bedeutung war dabei weniger das Urteil an sich
als seine politische Folgewirkung. Obwohl man
davon ausgehen konnte, dass die Bürgerschaft
nur für den zweijährigen Rest der Legislaturperiode (und das heißt zugleich: auf eigene Kosten der Parteien) neu gewählt werden würde,
verständigten sich die Fraktionen darauf, im
Wege der Selbstauflösung eine komplette Neuwahl herbeizuführen, was angesichts der vom
Gericht bestrittenen Legitimationsgrundlage des
Parlaments eine zweifelhafte Konsequenz darstellte. Dies und der Umstand, dass ein solches
Verfahren geeignet war, mögliche Alternativen
zu den etablierten Parteien auf weitere vier Jahre aus dem Landesparlament herauszuhalten, hat
Markus Wegner (1994, 53/54) später als Auslöser für die Gründung der Statt-Partei bezeichnet. Hinzu kommt, dass Wegner, der sich als
Exponent der innerparteilichen Oppositionsbewegung schon seit längerem in den Vordergrund gespielt hatte, die CDU noch vor der
Verfassungsgerichtsentscheidung verließ, weil
er nach eigenem Bekunden an die Erneuerungsfähigkeit der Partei nicht mehr glaubte. Auch
eine Organisation wie die 1991 gegründete
Hamburger Vereinigung DemO (Demokratische
Offenheit) erschien ihm wenig geeignet, eine
Reform der Parteiendemokratie anzustoßen,
weil sie sich gerade nicht als Konkurrentin der
vorhandenen Parteien begriff, sondern das Ziel
verfolgte, diese Parteien durch Demokratisierung für die BürgerInnen wieder attraktiver zu
machen (Stubbe-da Luz 1994, 273–290). Ihre
„Kopflastigkeit” ergab zudem, dass die Breitenwirkung einer solchen Bürgerinitiative nicht
245
ausreichte, die angemahnten Reformen zu erzwingen. Aus dieser Einsicht wollte Wegner die
Konsequenzen ziehen: Nach seiner Ansicht war
den vorhandenen Parteien nur mehr mit der
„Macht des Stimmzettels” beizukommen, bedurfte es also einer wählbaren Alternative, um
die nötigen Veränderungen in Gang zu setzen.
Die Resonanz des Gründungsaufrufs und das
Engagement seiner neu gewonnenen MitstreiterInnen schienen Wegner Recht zu geben.
Angefangen von der gelungenen Wortschöpfung
„Statt-Partei” über die organisatorischen Leistungen beim Aufbau der Wählervereinigung bis
hin zur programmatischen und personellen Darstellung gelang es der neuen Gruppierung in
kürzester Zeit, den Hamburger WählerInnen für
den anstehenden Urnengang ein passables Angebot zu machen. Insbesondere die programmatische Selbstbeschränkung erwies sich im Ergebnis als richtig kalkuliert: Sie bedeutete nicht
nur, aus der Not der kurzen Wahlvorlaufzeit (drei
Monate) eine Tugend zu machen und die Dinge
aufs Wesentliche zu konzentrieren, sondern lag
auch im Sinne der Statt-Partei-Idee selbst, die
eine Stärkung der Eigenverantwortung von BürgerInnen und PolitikerInnen reklamierte und
darum mit der Forderung nach möglichst weitgehenden inhaltlichen Vorgaben unvereinbar
war.
Die als Wahlkampfplattform beschlossenen
Programmgrundsätze der Statt-Partei liefen auf
eine schonungslose Kritik des vorhandenen
„Parteienstaates” hinaus, dessen überzogenen
Herrschaftsanspruch es durch institutionelle
Korrekturen zurückzudrängen gelte. Im einzelnen wurden dazu eine Erweiterung der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der BürgerInnen (durch Änderung des Wahlrechts, Einführung von Elementen direkter Demokratie,
u.ä.), eine Stärkung der Unabhängigkeit und
Gemeinwohlorientierung von MandatsträgerInnen (durch Unvereinbarkeitsregelungen und die
Absage an jeden Fraktionszwang) sowie der
Rückzug von ParteienvertreterInnen aus Behörden, Rundfunkanstalten und öffentlichen Unternehmen gefordert.
Obwohl fast alle von der Statt-Partei thematisierten Erscheinungen auf bundesweite
Ursachenhintergründe verweisen, wäre der
246
Wahlerfolg – sie erreichte bei der Bürgerschaftswahl auf Anhieb 5,6% der Stimmen – kaum so
deutlich ausgefallen, wenn nicht die Hamburger Politik für die vermeintliche Krise des
Parteienstaates besonders gutes Anschauungsmaterial geboten hätte. Kritik und Unmut richteten sich dabei zum einen auf den erwähnten
Zustand der CDU (und die damit verbundene
Schwäche ihrer Oppositionsrolle), zum anderen
auf die Abnutzungserscheinungen einer praktisch ununterbrochenen Regierungsmacht SPD
mitsamt dem in der Hansestadt so notorischen
„roten Filz”. Hinzu kamen die Umstände des
Hamburger Diätendebakels von 1991, als Regierung und CDU-Opposition den (vergeblichen) Versuch unternommen hatten, eine Neuordnung der Abgeordnetenbesoldung mit zum
Teil massiven Diätenerhöhungen an der Öffentlichkeit vorbei zu beschließen.
Zwar konnte Parteigründer Wegner in seinem
Plädoyer für die bundesweite Ausdehnung der
Wählervereinigung (als vollgültiger Partei) zu
Recht argumentieren, dass all diese Punkte auf
gesamtsystemische Probleme zurückführten und
folglich auch auf dieser Ebene angegangen werden mussten – gerade darin unterschied sich die
Statt-Partei von den kommunalen Wählergemeinschaften süddeutscher Provenienz. Der
Ausdehnungsbeschluss vom Januar 1994 und
die gleichzeitige Verabschiedung einer Bundessatzung folgten jedoch vielmehr ganz pragmatischen Überlegungen. Da sich Statt-Parteien in
anderen Bundesländern notfalls auch ohne Zutun oder Zustimmung des Hamburger Originals
bilden würden, stand nicht die Ausweitung der
Idee zur Debatte, sondern allein die Frage, ob
und in welcher Form eine solche Ausweitung
von Hamburg aus kontrolliert betrieben werden
konnte und sollte. Obwohl von den BefürworterInnen ausdrücklich darauf hingewiesen
wurde, dass der Ausdehnungsbeschluss keine
Vorentscheidung über eine etwaige Teilnahme
der Partei an der bevorstehenden Europawahl
bedeuten sollte, trat genau dieser Effekt ein. Den
Hamburger Delegierten gelang es zwar, der ersten ordentlichen Bundesversammlung (im
März 1994) das Zugeständnis abzuringen, wonach die Teilnahme an der Wahl erst in Frage
komme, wenn eine annähernd flächendecken-
de Organisation der Partei erreicht sei; die eigentliche Schwierigkeit einer organisatorischen
Ausweitung wurde damit jedoch nur notdürftig
verdeckt. Anders als unter den überschaubaren
Bedingungen des Hamburger Stadtstaates war
in den größeren Flächenländern (z.B. Bayern
und Nordrhein-Westfalen) ein kontrollierter
Aufbau der Partei in weniger als drei Monaten
nicht zu bewerkstelligen. Schon bei der niedersächsischen Landtagswahl hatte sich gezeigt,
dass sich zwielichtige Personengruppen den
noch unbeschädigten Ruf der Statt-Partei als
Trittbrettfahrer zunutze machen konnten, ohne
mit deren eigentlichen Zielen und Grundsätzen
allzu viel im Sinn zu haben.5 Auch die Gruppierung, die sich in Nordrhein-Westfalen unter
dem Namen „Die Unabhängigen” zusammengefunden hatte und die Anerkennung als Landesverband begehrte, stand im Verdacht, von
Personen des rechten politischen Spektrums
unterwandert zu sein. Nachdem der Bundesvorstand der Partei gegen den Willen des Vorsitzenden Bernd Schünemann (Bayern) entschieden hatte, die Gründung des Landesverbandes
NRW erst nach einer genauen Prüfung der eingegangenen Mitgliedsanträge zu betreiben, kam
es auf der bereits einberufenen Konstituierungsversammlung in Wuppertal zu tumultartigen
Szenen. Was folgte, war das „politische Chaos”: eine Serie juristisch ausgefochtener Streitigkeiten und Scharmützel (Absetzung des Vorsitzenden, einstweilige Verfügungen, Anberaumung von Bundesversammlungen und -vorstandssitzungen, Abwahl des Bundesvorstandes, Wahl eines Gegenvorsitzenden usw.), mit
denen sich die Statt-Partei aller Chancen begab,
auf Bundesebene bald eine nennenswerte Rolle
zu spielen. Ihre Wahlergebnisse bei der Europa- und späteren Bundestagswahl sowie bei den
Landtagswahlen (wo sie kandidiert hatte) bewegten sich in einer Größenordnung, die sogar
die sicher geglaubte Beteiligung an der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung (ab 0,5% der
Zweitstimmen) vereitelte und die Partei damit
auch finanziell an den Abgrund brachte.
Wo liegen die Gründe dafür, dass sich die
Senkrechtstarter binnen weniger Wochen selbst
ins politische Abseits manövrierten? Immerhin
hatten im Vorfeld der niedersächsischen Land-
tagswahl in einer bundesweiten Umfrage rund
50% der Befragten betont, dass sie die StattPartei (oder eine ähnliche Bürgerbewegung) für
eine notwendige Ergänzung des bestehenden
Parteiensystems hielten. In derselben Umfrage
bekundeten 6% der WählerInnen ihre feste Absicht, einer solchen Partei die Stimme zu geben, während weitere 23% sich dies zumindest
vorstellen konnten (Feist 1994). Parteigründer
Wegner sprach öffentlich die Vermutung aus,
dass sich hinter den internen Querelen womöglich eine gezielte Aktion politischer Kräfte verberge, die ihre eigene Position in der bürgerlichen Mitte durch das Aufkommen der Statt-Partei gefährdet sähen (Wegner 1994, 122–129). Für
eine geplante Unterwanderung durch UnionsanhängerInnen oder Mitglieder der Republikaner gab es freilich weder konkrete Belege noch
– was die CDU/CSU anbelangt – nachvollziehbare politische Gründe. Die Union befand sich
ja schon vor der Europawahl in einem deutlichen Aufwind der WählerInnengunst, was ein
aggressives Vorgehen gegen die Statt-Partei
keineswegs nahelegte. Stattdessen sollte der
Vorwurf der Unterwanderung wohl über die
unangenehme Einsicht hinweg täuschen, dass
die Statt-Partei eine natürliche Anziehungskraft
für rechte Sektierer(gruppen) besaß – nicht nur
aus Gründen der Selbstprofilierung, wie Wegner
mit Blick auf die „Machthungrigkeit” mancher
Funktionäre meinte, sondern auch und gerade
aufgrund der bewussten Offenheit ihrer inhaltlichen Vorstellungen.
Bereits in Hamburg war deutlich geworden,
dass der programmatische Konsens der Partei
im Bereich ihrer institutionellen Forderungen
(mehr Bürgernähe und -beteiligung, Bekämpfung von Parteienfilz und Ämterpatronage, Stärkung inner- und zwischenparteilicher Demokratie) und die große Bandbreite und Heterogenität der materiell-politischen Auffassungen unter den Mitgliedern6 nur zwei Seiten derselben
Medaille darstellten: Die reklamierte Offenheit
der inhaltlichen Aussagen – als Prinzip – stand
der erforderlichen programmatischen Integration der Willensbildung offenkundig entgegen.
Dieses Problem musste sich aber in anderen
Ländern und auf Bundesebene noch verschärfen, wo auch die Überzeugungskraft eines in247
stitutionellen Programms nicht ohne weiteres
gegeben war und vorausgesetzt werden konnte.
Was in der Hansestadt stark integrierend gewirkt
hatte – die Forderung nach plebiszitären Elementen und einer Änderung des Wahlsystems
etwa –, machte in Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg wenig Sinn. Und auf Bundesebene stand die Neuauflage einer Verfassungskommission, die für eine solche Reform konkrete Anknüpfungspunkte hätte bieten können,
schon 1994 nicht mehr zur Debatte. Das Fehlen
einer politikinhaltlichen Klammer bedeutete,
dass persönliche Ambitionen und Eitelkeiten
einzelner FunktionsträgerInnen und die geringe politische Erfahrung der meisten Mitglieder
auf das Erscheinungsbild der Partei voll durchschlagen konnten. Dieses Negativimage blieb
nicht ohne Rückwirkungen auf den Hamburger
Landesverband. Es führte dazu, dass sich dessen Delegierte aus den Geschäften des Bundesverbandes nach und nach zurückzogen, um die
Position der Partei in der Hansestadt nicht in
Mitleidenschaft zu ziehen.
Im Vorfeld der Bürgerschaftswahl hatte sich
die Wählervereinigung nach kontroverser Debatte mehrheitlich darauf verständigt, im Bedarfsfall für eine Regierungsbeteiligung in Hamburg zur Verfügung zu stehen. Dass eine Zusammenarbeit wenn überhaupt nur mit den Sozialdemokraten in Frage kommen würde, blieb
unumstritten. Ein Zusammengehen mit der Union verbot sich vor dem Entstehungshintergrund
der Partei von selbst. Außerdem war davon auszugehen, dass in der Hansestadt ein Senat ohne
oder gegen die SPD nicht würde gebildet werden können.
Nach Scheitern der Koalitionsverhandlungen
mit der zunächst favorisierten Grün-Alternativen-Liste gelang es den Sozialdemokraten in
recht kurzer Zeit, sich mit der Statt-Partei auf
eine koalitionsähnliche Regierungs„kooperation” zu einigen. Die nominelle Herabstufung
des Bündnisses sollte zum einen die Unabhängigkeit ihrer Abgeordneten unterstreichen; zum
anderen dokumentierte sie, dass die Statt-Partei
nicht mit eigenen VertreterInnen in die Regierung eingezogen war, sondern für die ihr zugebilligten Senatsposten zwei parteilose „Fachmänner” nominiert hatte. Die Bewährungspro248
be der „Kooperationsvereinbarung” lag für die
Wählervereinigung in einer möglichst weitgehenden Durchsetzung ihrer institutionellen Forderungen. Dabei konnte sie sich programmatisch
eng an die Enquete-Kommission „Parlamentsreform” der Hamburger Bürgerschaft anlehnen,
die, nach dem Diätendebakel von 1991 eingesetzt, ihren Abschlussbericht rechtzeitig zur Bürgerschaftswahl vorgelegt hatte. SPD und StattPartei einigten sich darauf, eine umfassende
Verfassungs- und Parlamentsreform auf der
Grundlage der dort enthaltenen Empfehlungen
herbeizuführen; diese sahen u.a. eine Stärkung
der Position des Ersten Bürgermeisters, die Demokratisierung der Gesetzgebung und des Wahlsystems sowie die Einführung eines vollprofessionalisierten Parlamentsbetriebs vor.
Gemessen an den weitreichenden Zielen blieben die 1996 verabschiedeten Verfassungsänderungen ein Torso. Bei der Wahlrechtsreform
war man sich nicht einig geworden, bei der
Abschaffung des Feierabendparlaments auf halbem Wege steckengeblieben. Die Statt-Partei
musste einsehen, dass sie mit der ehrgeizigen
Verpflichtung auf das Projekt nichts erreicht
hatte. Dies wog um so schwerer, als sie es auch
in anderen Bereichen der Regierungspolitik versäumte, spürbare Akzente zu setzen. Die Hoffnung, der Kooperationspartner könne eine in
langjähriger Regierungsverantwortung verbrauchte SPD dazu bewegen, neue und bessere
Lösungen für die Probleme der Stadt zu befördern, bewahrheitete sich nicht, im Gegenteil: Mit
der Ablösung Wegners als Fraktionsvorsitzendem (November 1994) nahm das Durchsetzungspotenzial der Wählervereinigung weiter
ab, so dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung
bald zum bloßen Anhängsel der SPD absackte.
Die Schwierigkeiten der Statt-Partei in der
Regierungsrolle zeugten in erster Linie von
hausgemachten Problemen. Als Hauptbelastung
der parlamentarischen Arbeit erwies sich von
Anfang an die dominierende Rolle des Parteigründers Wegner, dessen unduldsame und
schroffe Art nicht geeignet war, eine eher zufällig besetzte und politisch noch unerprobte
Fraktionstruppe zusammenzuführen. Jenseits
der persönlichen Vorwürfe zielte die Kritik an
Wegner vor allem auf dessen Bestreben, wich-
tige Entscheidungen an Partei und Fraktion vorbei an sich zu ziehen und inhaltlich zu präjudizieren. Diejenigen, die sich dagegen wandten,
fühlten sich durch Wegner und dessen autoritären Führungsstil zunehmend an die Wand gedrückt, zumal sich dieser in der Öffentlichkeit
keineswegs beeilte, das Bild der „Ein-MannPartei” zu korrigieren. Die Entmachtung Wegners und sein schließlicher Rückzug aus Partei
und Fraktion kamen insoweit nicht überraschend.
Die internen Probleme der Partei können freilich nicht allein den Abgeordneten oder der (bis
zum November 1994) dominanten Führungsfigur Wegner angelastet werden, sondern verweisen in hohem Maße auch auf eine wachsende Lethargie in der Partei selbst, die ihre neu
gewonnenen Möglichkeiten in der Hamburger
Politik nicht auszuschöpfen wusste. Dabei hatte alles ganz vielversprechend angefangen. Nach
zähem Ringen und teilweise erbittert geführten
Auseinandersetzungen war es der Partei im Januar 1994 gelungen, eine Satzung zu verabschieden, die in vielerlei Hinsicht Vorbildcharakter
hatte. Zahlreiche ihrer Bestimmungen rührten
aus dem negativen Vorbild der „Altparteien” und
bezeugten die vergeblichen Reformbemühungen
von Wegner und anderen in der Hamburger
CDU.7 Die Statt-Partei bekundete damit ihren
Anspruch, es in punkto innerparteilicher Demokratie besser zu machen als die anderen Parteien; das Machtgefälle zwischen Funktionären
und einfachen Mitgliedern sollte abgebaut, der
parteiliche Entscheidungsprozess durchsichtiger
und ergebnisoffener gestaltet werden. Dass die
Realität hinter diesen ambitionierten Vorstellungen zurückbleiben musste, liegt auf der Hand.
Selbst wenn es der Statt-Partei gelungen wäre,
ihre politischen Ziele – jenseits der Systemforderungen – in einem Grundsatzprogramm zu
fixieren, hätte sie schwer daran getan, sich mit
einem solchen Programm als Alternative zu den
anderen Parteien glaubhaft zu empfehlen. Ein
Jahrhundertthema wie die Ökologie stand für
die Wählervereinigung von vornherein nicht
bereit. Um so wichtiger wäre es dann aber gewesen, das Projekt der zivilen oder Bürgergesellschaft in politikinhaltlicher Richtung konsequent weiterzuverfolgen. Das Scheitern der
Statt-Partei war vorgezeichnet,8 nachdem sie
dazu keine überzeugenden Beiträge liefern
konnte – weder in bezug auf die institutionelle
Seite noch bei der alltäglichen Gestaltung der
„Bürgerpolitik”, die sie mitunter mit bloßer Interessen- und Kirchtumspolitik verwechselte.
2.3 Der Bund Freier Bürger
Die Hamburger Bürgerschaftswahl von 1997
sah neben der Statt-Partei noch einen weiteren
Verlierer: Der Bund Freier Bürger (BFB) erreichte lediglich 1,3% der WählerInnenstimmen,
was angesichts des immensen Werbeaufwands
der von Manfred Brunner angeführten Partei
eine herbe Enttäuschung darstellte.
Die Entstehung des BFB geht zurück auf das
Jahr 1992. Damals sah sich der Chef des Stabes
Binnenmarkt bei der EG und frühere bayerische
FDP-Vorsitzende Brunner veranlasst, seinen
Dienst in Brüssel zu quittieren, nachdem er den
von der Bundesregierung unterstützten Maastricht-Prozess zur Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung nicht länger mittragen mochte. Im darauffolgenden Jahr zog
Brunner zusammen mit anderen in derselben
Sache vor das Bundesverfassungsgericht und
verbuchte dort zumindest einen Teilsieg: Das
Gericht erklärte den Maastricht-Vertrag zwar als
mit dem Grundgesetz vereinbar, knüpfte daran
jedoch die Bedingung, dass es sich bei der anzustrebenden Politischen Union um einen prinzipiell kündbaren „Staatenverbund” handeln
müsste und die wesentlichen Entscheidungszuständigkeiten dabei den Nationalstaaten vorbehalten bleiben müssten.
Durch das Urteil ermutigt, entschloss sich
Brunner zur Gründung einer bundesweiten
Bürgerbewegung, um den Widerstand gegen die
Währungsunion auf politischem Gebiet fortzusetzen. Bei der Gründungsversammlung des
BFB im Januar 1994 waren 87 Personen zugegen, von denen die eine Hälfte keiner Partei
angehörten, die andere Hälfte dem bürgerlichen
Lager von CDU/CSU und FDP entstammten.
Die Mitgliederentwicklung ging zunächst und
auch später nur langsam voran, was zum Teil
auf den hohen Aufnahmebeitrag für Beitritts249
willige zurückzuführen war. Aufgrund der
schmalen Mitgliederbasis ist der BFB über die
Gründung von Landesverbänden bislang nicht
hinausgekommen. Vertretungen auf Kreisebene
unterhielt er 1997 lediglich in einigen seiner
süddeutschen Schwerpunktregionen (Bayern,
Baden-Württemberg und Hessen), wo die Mehrzahl der rund 1.000 Parteimitglieder herstammt.
Die organisatorischen Probleme sind aber
nicht der alleinige Grund für das schwache Abschneiden des BFB auf elektoraler Ebene. Da
die Partei zu Beginn in nur wenigen Wahlkreisen Süddeutschlands mit eigenen KandidatInnen
antreten konnte, blieben ihre landesweiten Ergebnisse bei den dortigen Kommunal- und
Landtagswahlen naturgemäß dürftig. Der BFB
hatte indessen auch unter besseren Bedingungen keinen Erfolg. Dass er im ersten Anlauf
1994 ausgerechnet bei der Europawahl scheiterte – der Stimmenanteil betrug wenig mehr
als ein Prozent –, war ein Schlag ins Gesicht
seines antieuropäischen Programms und bedeutete für die nachfolgenden Wahlen ein schlechtes Omen. Den zweiten großen Anlauf unternahm die Partei 1997 in Hamburg, wo die Voraussetzungen ebenfalls günstig schienen: Einerseits ermöglichte der Stadtstaat einen intensiveren Wahlkampf als in den Flächenländern,
zum anderen handelte es sich bei der Bürgerschaftswahl um die letzte Landtagswahl vor dem
für Frühjahr 1998 erwarteten Beschluss über den
definitiven Start der Währungsunion. Dennoch
erbrachte der Urnengang dem BFB nicht den
erhofften Sprung nach vorn, im Gegenteil: Das
Wahlergebnis lag sogar noch unter dem, das die
Partei bei der Europawahl in Hamburg erzielt
hatte (1,3 gegenüber 1,5%).
Das Scheitern ist insoweit erklärungsbedürftig, als von der inhaltlichen Ausrichtung her der
BFB den oben formulierten Ansprüchen einer
elektoralen Gewinnerkoalition eher entspricht
als Republikaner oder Statt-Partei. Maastricht
bleibt weiterhin das dominierende Thema der
„D-Mark-Partei” (so die Selbstbezeichnung),
doch wird die Kritik an der Währungsunion eingebettet in ein weiter gefasstes populistisches
Konzept, das nationale (konservative) und „freiheitliche” (neoliberale) Elemente miteinander
vereint. Gerade diese Verbindung hat sich in
250
anderen Fällen als Schlüssel erwiesen, den bürgerlichen Parteien das Feld streitig zu machen,
wie u.a. das Beispiel der österreichischen FPÖ
beweist. Nicht von ungefähr pflegt Brunner mit
der Haider-Partei rege und freundschaftliche
Beziehungen.
Wenn der BFB das Erfolgsmodell des Vorbilds nicht nachahmen konnte, dann deshalb,
weil es seinem populistischen Konzept an der
nötigen Durchschlagskraft mangelte. Der
wählerwirksamen Ausstrahlung stand z.B. im
Wege, dass die Partei – außer Brunner selbst –
keine wirklich prominenten ÜberläuferInnen in
ihren Reihen verzeichnete, wofür sich vor allem der nationalliberale Flügel der FDP angeboten hätte; dessen VertreterInnen um den früheren Generalbundesanwalt Alexander von
Stahl ließen es jedoch bei einer punktuellen
Zusammenarbeit bewenden. Ein weiteres Problem stellte der hohe Professorenanteil unter den
Vorstandsmitgliedern dar, der zwar die
Reputierlichkeit förderte, mit den Erfordernissen einer populistischen (= volksnahen) Strategie aber ebenso schlecht in Einklang zu bringen
war wie der nüchterne, bisweilen spröde wirkende Stil des Vorsitzenden selbst. Schließlich
wurde Brunner und seiner Bürgerbewegung
vorgeworfen, bei der Abgrenzung nach
rechtsaußen zu lasch zu verfahren; insbesondere die Kontakte zur FPÖ sorgten dabei für innerparteilichen Zündstoff und verschlechterten
das Bild der Partei in der Öffentlichkeit.
Durch die ausbleibenden Wahlerfolge ernüchtert, schloss sich der BFB im Januar 1998 mit
der „Offensive für Deutschland” des hessischen
Landtagsabgeordneten Heiner Kappel zusammen; dieser entstammte wie Brunner dem rechten Flügel der FDP und hatte seine Partei kurz
zuvor im Streit verlassen. Das Zusammengehen
führte freilich nicht zum Erfolg, im Gegenteil:
Nachdem der BFB bei der Bundestagswahl 1998
mit kläglichen 0,2% gescheitert war, kam es
zwischen Brunner und Kappel zu harten Auseinandersetzungen über die künftige Linie, die
im Zerwürfnis endeten. Gegenstand war auch
hier das Verhältnis zur rechtsextremen Konkurrenz. Während Brunner weiterhin auf Abgrenzung setzte und den bürgerlichen Charakter des
BFB betonte, plädierte der neue Generalsekre-
tär für eine stärkere Öffnung der Partei nach
rechts. Ein Kooperationsangebot des von Kappel
geführten hessischen Landesverbandes an die
Republikaner erfolgte gegen den erklärten Willen Brunners und veranlasste diesen im Dezember 1998, den Vorsitz niederzulegen und die von
ihm selbst gegründete Partei zu verlassen.
So wenig er sich im organisatorischen Sinne
als Teil des bürgerlichen Lagers darstellen konnte, so wenig taugte der BFB als Protestalternative. Das Desaster in Hamburg hielt aus dieser Sicht zwei wichtige Lektionen bereit. Einmal musste Brunner einsehen, dass er die
Mobilisierungskraft des Euro-Themas gewaltig
überschätzt hatte: Eine Mehrheit der Deutschen
lehnte die Abschaffung der D-Mark zwar weiterhin ab, doch spielte die Frage bei der Wahlentscheidung praktisch keine Rolle. Selbst in
diesem Fall hätte der BFB das Thema nicht
monopolisieren können, da die Ablehnung von
sämtlichen Rechtsaußenparteien geteilt wurde
und Kritik an der EU-Politik auch aus dem
Unionslager (Edmund Stoiber) und der SPD
(Gerhard Schröder) zu vernehmen war.
Mit der politischen Konkurrenz ist auf das
zweite entscheidende Hindernis verwiesen: Die
Zersplitterung des organisierten Populismus in
der Bundesrepublik hat zur Folge, dass sich dessen Stimmenpotenzial nach unterschiedlichen,
nicht immer leicht nachzuvollziehenden Gesichtspunkten auf mehrere Gruppierungen verteilt. Einerseits bestehen regionale Differenzen
– Republikaner und BFB sind im Süden, DVU
und Statt-Partei im Norden der alten Bundesrepublik stärker, während in den östlichen Ländern die linkspopulistische PDS dominiert; andererseits kommt es zu Hin-und-Her-Bewegungen auch innerhalb der jeweiligen Regionen,
wofür die Hamburger Wahl ein gutes Beispiel
liefert. Die rechtsextreme DVU schnitt hier 1997
mit 4,9% besser ab als die gemäßigteren Republikaner (1,9%) und der noch gemäßigtere BFB.
Vier Jahre zuvor hatten sich die Stimmen nahezu umgekehrt verteilt, was auf einen weitgehenden Austausch der Wählerschaft schließen lässt
(Republikaner 4,8%; DVU 2,8%). Rechnet man
den BFB hinzu, war das Gesamtaufkommen der
rechten Stimmen 1997 in etwa gleich groß wie
1993 (8,2 gegenüber 7,6%).
Der Wahlausgang zeigt, dass dort, wo mehrere Protestparteien um die Wählergunst buhlen, nicht unbedingt diejenigen mit dem qualitativ besten personellen und programmatischen
Angebot die Nase vorn haben. In Hamburg
wurde von den WählerInnen entweder bewusst
der extremste Anbieter bevorzugt (um den
Denkzettel-Charakter des Votums zu unterstreichen) oder schlicht auf die Partei mit den vermeintlich besten Erfolgsaussichten gesetzt. In
beiden Fällen erwies sich der BFB als
konkurrenzschwache Alternative: Weder konnte
die Bürgerbewegung die Originalität ihrer Botschaft deutlich machen, noch hatte sie den für
einen elektoralen Durchbruch notwendigen Anfangserfolg vorzuweisen, der auf einem weniger überfüllten politischen Markt vielleicht
möglich gewesen wäre.
3. Abschließende Bemerkungen
Nach der Herausbildung der ökologischen
Parteien in den 70er Jahren sahen sich die meisten westeuropäischen Länder in den achtziger
Jahren mit einer ähnlichen Entwicklung am
rechten Wählerrand konfrontiert, wo neu entstandene Parteien zum Teil beachtliche Wahlerfolge landen konnten. Deutschland bildet hier
im Prinzip keine Ausnahme. Anders als den
Grünen auf der Linken ist dem neuen Rechtspopulismus der parteipolitische Durchbruch in
der Bundesrepublik bislang jedoch versagt geblieben. Selbst wenn man die Prozentanteile
ihrer einzelnen Vertreter zusammenzählt, lag das
Gesamtergebnis der neuen Rechten bei den letzten Bundestagswahlen unter demjenigen der
NPD von 1969. Auf der Landesebene waren die
populistischen Neugründungen zumeist erfolgreicher, doch verdankt sich ihr besseres Abschneiden hier vor allem institutionellen Faktoren.9 Trotzdem fallen auch diese Resultate hinter den Ergebnissen vergleichbarer Parteien aus
anderen Ländern zurück.
Im vorliegenden Aufsatz ging es darum, den
Gründen der elektoralen Schwäche nachzuspüren. Dabei hat sich gezeigt, dass es eine grundsätzliche Wahl zwischen den anfangs vorgestellten Hypothesen nicht geben kann: Die Erfolg251
losigkeit der neuen Rechtsparteien verweist einerseits auf das unfreundliche Umfeld, mit dem
jede Form von Populismus in der Bundesrepublik rechnen muss; zum anderen hängt sie mit
dem speziellen Unvermögen dieser Parteien
zusammen, sich als politische Kraft zu formieren. Letzteres hat sowohl zufällige als auch
strukturelle Ursachen. Zu den zufälligen Faktoren, die sich der Erklärbarkeit letztlich entziehen, zählt das Fehlen einer überzeugenden
Führerfigur. Populistische Parteien repräsentieren einen Organisationstypus, den man mit
Panebianco (1988, 143–147) als „charismatische Partei” bezeichnen könnte. Charakteristisch für diesen Typus ist das prekäre Verhältnis von Führerautorität und Institutionalisierung.
Charismatische Parteien zeichnen sich dadurch
aus, dass die Identität der Partei mit derjenigen
des Führers vollständig verschmilzt. Der Führer gründet die Partei, gibt ihr die ideologischen
Ziele vor und schart die AnhängerInnen der
Partei um sich. Ein Blick auf Italien, Frankreich
oder Österreich zeigt, dass sich die Entstehung
und der elektorale Durchbruch des neuen
Rechtspopulismus ausnahmslos mit der Leistung einzelner Führungspersönlichkeiten –
Bossi, Berlusconi, Le Pen, Haider – verbinden,
deren Charisma ihren deutschen Pendants offenbar abgeht. Anders als die Genannten konnten Schlierer, Wegner und Brunner Integrationsfähigkeit nach innen nicht mit der nötigen
WählerInnenwirksamkeit nach außen verknüpfen. Allein Schönhuber kommt mit seinen Qualitäten der Vorstellung eines charismatischen
Führers nahe. Dies machte sich in der Erfolgsbilanz der Republikaner bis 1994 positiv bemerkbar, konnte Schönhuber selbst allerdings
nicht vor dem Scheitern bewahren.
Damit ist auf eine zweite, strukturelle Erfolgsbedingung verwiesen: das Problem der institutionellen Stabilität. Weil die charismatischen
Erfolgsbedingungen sich im Laufe der Zeit verbrauchen, droht die Attraktivität der Partei ab
einem bestimmten Punkt nachzulassen:
„When charisma disappears, success no longer shines
on the movement, and faith in the leader’s ,state of grace’
ceases. When this occurs in an organization in which
the leader was successful in preventing the routinization
of charisma (in order not to lose his total control), the
252
movement ends and the organization dissolves. Or,
alternatively, charisma is objectified and the organization
overcomes the crisis through the transformation of
personal charisma into official charisma. In this latter
case, the organization institutionalizes” (ebd., 144).
Die Bedingungen der Institutionalisierung
sind besonders heikel bei denjenigen Vertretern,
die in ihrer autoritären Struktur dem Selbstverständnis einer rechtsextremen (neofaschistischen) Partei nahekommen. Wie das Beispiel
des Front National jüngst gezeigt hat, können
selbst elektoral erfolgreiche Parteien an internen Rivalitäten und Richtungskämpfen zerbrechen, wenn die Voraussetzungen einer geregelten internen Konfliktaustragung nicht gegeben
sind.
Bei den bundesdeutschen Rechtsparteien
kommt erschwerend hinzu, dass sie eine unwiderstehliche Sogwirkung auf Gruppierungen
und subkulturelle Milieus im rechtsextremen
Lager ausüben, die auf diese Weise aus der politischen Isolierung (und Bedeutungslosigkeit)
heraustreten wollen. Auch hier tut der „Schatten Hitlers” seine Wirkung.
„Whenever a far-right party has gained votes in postwar Germany, neo-Nazi militants have been attracted to
it, not least because of the strong chances of gaining
local offices in the decentralized governmental system.
The new activists pull the party toward neo-fascist
positions and spoil its reputation among prospective
voters” (Karapin 1998b: 225).
Das Schicksal von Statt-Partei und Bund Freier Bürger macht deutlich, dass selbst gemäßigte Parteien nicht davor gefeit sind, durch rechtsextreme Personen und Gruppen unterwandert zu
werden. Parteiinterne Konflikte über den angemessen Umgang mit dieser Entwicklung konnten daher nicht ausbleiben und haben das Bild
der Parteien in der Öffentlichkeit beschädigt.
Die Relevanz der strukturellen Faktoren wird
offenkundig, wenn man berücksichtigt, dass
Deutschland von seiner sozialen und politischen
Befindlichkeit her die Voraussetzungen für eine
Bewegung von rechts in ähnlicher Weise erfüllen müsste wie z.B. Frankreich oder Österreich
(Roberts 1995; zum FN vgl. Marcus 1995, zur
FPÖ Decker 1997). Wenig spricht dafür, dass
sich an dieser Diskrepanz in absehbarer Zeit
etwas ändert. Um die künftigen Chancen des
Rechtspopulismus in Deutschland zu ermessen,
gilt es jedoch zu bedenken, dass die genannten
Restriktionen von unterschiedlicher Qualität
sind: Während der „Schatten Hitlers” eine gegebene Größe darstellt, deren Bedeutung erst auf
lange Sicht schwinden wird, lassen sich die
akteursseitigen Faktoren durch politisches Handeln schon heute beeinflussen. Unter günstigeren personellen Vorzeichen – wenn ihm eine
überzeugende Führungspersönlichkeit zuwächst
– könnte es also durchaus sein, dass der Populismus seine Organisationsschwäche überwindet und er eine Zukunft in Deutschland noch
vor sich hat.
ANMERKUNGEN
1 Der Spiegel Nr. 10 v. 4.3.1996, S. 22.
2 Eine modernisierte Neuauflage des alten Rechtsextremismus, der seine Nähe zu nationalsozialistischem
Gedankengut nicht verbergen kann, fällt die DVU
aus der rechtspopulistischen Parteienfamilie heraus
und wird daher im folgenden nur am Rande betrachtet. Die Notwendigkeit, sie nicht ganz außer acht zu
lassen, ergibt sich aus ihrem Konkurrenzverhältnis
zu den Republikanern. Auch wenn zwischen beiden
Parteien ideologisch und organisatorisch deutliche
Unterschiede bestehen, stellen sie aus Sicht der
WählerInnen weitgehend austauschbare Protestäquivalente dar.
3 Nach 25.000 im Rekordjahr 1989 lag die Zahl der
Mitglieder 1997 laut Verfassungsschutz bei rund
15.000.
4 Wie die zahlreichen Übertritte von RepublikanerMitgliedern und -Funktionären zur DVU nach deren
Erfolg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt gezeigt haben, befindet sich die Partei diesbezüglich
weiterhin in einer prekären Schwebelage. Zwar konnte sich der gemäßigte Vorsitzende Schlierer auf dem
Parteitag im November 1998 als Parteichef klar behaupten, doch bedeutete dies keine wirkliche Distanzierung von der rechtsextremen Szene: Noch im selben Monat verständigten sich Republikaner und DVU
auf eine begrenzte Zusammenarbeit dergestalt, dass
sie bei den 1999 anstehenden Landtagswahlen nicht
gegeneinander antreten würden. Vgl. Jaschke 1999,
152/153.
5 Neben dem von Hamburg zunächst nicht anerkannten Landesverband Statt-Partei Niedersachsen war
dort eine rechtsgerichtete Vereinigung von ehemaligen Mitgliedern der Republikaner unter dem Namen
„Neue Statt-Partei” (!) zur Wahl angetreten.
6 Dies spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der
WählerInnenschaft wider. Die Statt-Partei bezog ihre
Unterstützung bei den Hamburger Wahlen überwiegend aus der typischen Klientel der FDP (deren Einzug in die Bürgerschaft sie damit verhinderte), konnte
aber auch ArbeiterInnen und vergleichsweise mehr
Beamte ansprechen. Rund ein Drittel der WählerInnen hatten bei der vorangegangenen Bürgerschaftswahl SPD oder Grüne gewählt, während knapp die
Hälfte dem bürgerlichen Lager entstammte. Vgl.
Decker 1994, 259/260.
7 Hierzu zählten beispielsweise die Bindung der Mitgliedschaft an den Wohnsitz, das Einsichtsrecht in
die Mitglieder- und Delegiertenlisten, die Einzelabstimmung bei Kandidatenaufstellungen und Vorstandswahlen sowie das Urabstimmungsvotum bei
der Nominierung von SpitzenkandidatInnen.
8 Mit 3,8% der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl
1997 verpasste die Statt-Partei den Wiedereinzug in
das Landesparlament klar. Dass das Ergebnis dennoch besser ausfiel als erwartet, dürfte zum einen an
der Schützenhilfe von Bürgermeister Voscherau gelegen haben, der sich vor der Wahl für eine Fortsetzung des rot-grauen Regierungsbündnisses ausgesprochen hatte; zum anderen konnte die Partei mit
dem früheren Sportfunktionär Jürgen Hunke einen
von den Querelen der Vorjahre unbelasteten Spitzenkandidaten aufbieten, der das Image der Wählervereinigung aufbesserte. Hunke übernahm nach der
Wahlniederlage den Landesvorsitz, konnte aber den
weiteren Abstieg der Statt-Partei nicht mehr verhindern, die in der Öffentlichkeit anschließend kaum
noch Präsenz entwickelte. Auch die übrigen Landesverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Sachsen-Anhalt) sind bislang bedeutungslos geblieben.
9 Landtags- und Kommunalwahlen erlauben es einerseits, wahlpolitische Anstrengungen auf ein bestimmtes Gebiet zu konzentrieren; andererseits stellen sie
– wie Europawahlen – Korrektive dar, um unerwünschten Entwicklungen in der Bundespolitik qua
Stimmzettel zu begegnen. Die stabilisierende Funktion des Föderalismus täuscht insoweit über die wahre
Stärke der neuen Rechtsparteien hinweg, die irgendwo in der Mitte zwischen ihren Landtags- und
Bundestagswahlergebnissen liegen müsste; vgl.
Phillips 1995, 228.
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ANHANG
Ausgewählte Wahlergebnisse von Republikanern, Statt-Partei und Bund Freier Bürger
REP
Statt
BFB
1986
3,0%1
1989
7,1%2
1990
4,9%1
1992 1993
10,9%3
5,6%4
1994
3,9%2
1,1%
2
1996
9,1%3
1997
3,8%4
1,3%4
1998
1,8%5
0,2%5
(1) Landtagswahl Bayern; (2) Wahlen zum Europäischen Parlament; (3) Landtagswahl Baden-Württemberg;
(4) Bürgerschaftswahl Hamburg; (5) Bundestagswahl
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AUTOR
Frank DECKER, geb. 1964, Dr. rer pol., Dipl.-Pol.,
Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität
der Bundeswehr Hamburg. Arbeitsschwerpunkte:
Parteienforschung, Rechtspopulismus, Umweltpolitik.
Anschrift: Universität der Bundeswehr Hamburg,
Fachbereich WOW, Institut für Politikwissenschaft,
Holstenhofweg 85, D-22043 Hamburg. E-Mail:
[email protected].
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