! Redaktion: Tanja Braune Ernährung L E X LEBEN IKO N S ZUM SAMMELN STEVIA – süSSe altERNATIVE Das Wunderkraut. Eine Pflanze aus den Tropen könnte Diabetikern, Über­ E gewichtigen und gesundheitsbewussten Zuckergoscherln Hoffnung geben. ine kleines, unschein­ bares Pflänzchen aus Paraguay wird bald eine große Revolution aus­ lösen. Das Süßkraut Stevia macht Zucker und künstlichen Süßstoffen gehörige und vor allem gesunde Konkurrenz und erfüllt vielleicht bald den großen Traum von Süßen ohne Reue und Kalorien. In den meisten Teilen der EU ist Stevia als Lebensmittel zwar noch verboten. Aber schon seit ­einigen Jahren tobt ein Kampf um die Zulassung als Lebensmittel, wobei eine Firma aus Nieder­österreich an vorderster Front mit dabei ist. Und Geschäftsführer Ing. Franz Reisenberger ist sich sicher: „Die Industrie war­ tet nur auf die Zulassung von Stevia – das Interesse ist sehr groß, wir starten in den nächs­ ten Wochen bereits damit, das richtige Mischungsverhältnis für die Getränkeindustrie zu kreieren.“ Pflanze hierzulande großflächig anzubauen, aber noch überlebt sie den Winter nicht.“ Die Blätter können frisch eigentlich überall in der Küche verwendet werden. Für flüs­ sige Süße übergießt man Blät­ ter mit kochendem Wasser, lässt sie 30 Minuten ziehen. Verwendet man getrocknete Blätter, wird’s noch intensiver. Viel einfacher ist es, Süßstoffe auf Stevia-Basis zu kaufen – obwohl er in der EU offiziell nur als „Badezusatz“ verkauft wird, hat der natürliche Süß­ stoff schon viele Fans, die sich eben schon seit Jahren ihren Kaffee mit Badezusatz süßen. 300-mal süßer als raffinierter Zucker intensive Zucker-alternative. Fotos: Werk (2) Vom Indianerkraut zum Küchenhit Von den Tropen in die Welt. Stevia rebaudiana Bertoni, auch Honigkraut oder Zuckerkraut genannt, kommt ursprünglich aus Südamerika und gehört zu den Korbblütlern. Der mehrjährige Strauch wird ca. 50 bis 100 cm hoch, hat kleine, lanzettförmige Blätter und winzige weiße Blüten. Die in­ digene Bevölkerung des Drei­ länderecks Paraguay, Brasilien und Argentinien nutzt Stevia von alters her zum Süßen und als Medizin. Die GuaraníIndianer beispielsweise nann­ ten es ka’a he’ê (Süßkraut) und würzten ihren Mate-Tee ! 10/09 LLEEBBEENN damit. Die Europäer lernten Stevia im 16. Jh. kennen, als die spanischen Konquista­ doren darüber berichteten, dass die südamerikanischen Eingeborenen die Blätter ei­ ner Pflanze benutzen, um ihre Kräutertees zu süßen. Wissen­ schaftlich untersucht wurde die Pflanze erstmals Ende des 19. Jh.s durch den aus dem Tessin nach Paraguay ausge­ wanderten Botaniker Moisés Santiago Bertoni – der ihr auch ihren heutigen Namen gab. ,Badezusatz‘. Seit rund fünf Jahren wird Stevia in Österreich verkauft, offiziell aber nur für äußere Anwendung. Kräutergarten für Zuckergoscherln anbau. Am besten kauft man Pflänzchen und setzt sie im Mai aus. Reisenberger: „An der Uni für Bodenkultur wurde schon geprüft, ob es möglich wäre, die Für die enorme Süßkraft sind die Stevioside (das sind Steviolglykoside, allen voran das Rebaudiosid A) verant­ wortlich. Steviablätter süßen 15- bis 20-mal, reines Stevio­ sid bis zu 300-mal stärker als Zucker. Durch die gewaltige Süßkraft braucht man wirk­ lich nur sehr geringe Men­ gen, um eine mit Zucker vergleichbare Süße zu errei­ chen. Und das Beste: Stevia ist ein reines Naturprodukt und hat praktisch keine Kalorien – ein Traum für alle Übergewichtigen, die bislang auf chemisch her­ gestellte Süßstoffe angewiesen waren. Zwei bis drei Tropfen reichen aus, um etwa ein Häferl Kaffee zu süßen. Und Stevia hat auch ge­ schmackliche Vorteile gegenüber künstlichen Süßstoffen: Es schmeckt nicht so metallischchemisch, sondern vollmundig 57 X E L ! N O IK EN B LE LebensFREUDE ERnährung S tevia – Süsse Alternative Süßer Genuss als Medizin Fotos: www.picturedesk.com/SPL, Werk (3), Privat gesund und gut für die figur. Das dicke Problem mit Zucker ist je­ dem bekannt, aber auch synthetisch hergestellte Süß­ stoffe sind für den menschlichen Stoff­ wechsel sehr pro­ blematisch. Denn obwohl keine Ener­ gie zugeführt wird, pusht Süßstoff den Blutzuckerspiegel und regt den Appetit bis zum Heißhunger an. Nicht so bei Stevia: Die Stevioside sind sehr stabil und durchwandern den menschlichen Verdau­ ungstrakt praktisch unverän­ dert. Da die Substanz erst gar nicht verstoffwechselt wird, ist sie praktisch kalorienfrei und beeinflusst auch den Blut­ 58 SüSSblatt. Nimmt man ein frisches Blatt in den Mund, ist es fast wie ein Zuckerwürfel mit leichtem LakritzeFlavour. zuckerspiegel nicht. Aber Ste­ via hat noch weitere Vorteile, betont Nicole Seiler: „Es gibt schon unzählige Studien zum gesundheitlichen Nutzen, aber durch die derzeitige Rechts­ lage muss man mit Aussagen schon recht vorsichtig sein. Aber man kann sagen: Stevia ist nicht appetitfördernd, hat keinerlei Einfluss auf den Blut­ zuckerspiegel und ist dadurch für Diabetiker das Mittel der Wahl. Außerdem zeigen die Forschungser­ gebnisse, dass Ste­ via nicht nur die Zähne nicht schä­ digt, sondern auch die Plaquebildung hemmt.“ Deshalb wird Stevia bereits in Zahnpasten ver­ wendet. Aber auch die „erlaubte“ äußerliche Anwendung kann einiges. Seiler: „Stevia liefert Antioxidan­ tien, fördert die Wundhei­ lung und ist somit quasi auch ein Anti- Aging-Mit­ tel.“ Nach einem Bad mit grünem Stevia-Pul­ ver etwa ist die Haut samtig weich – auf www.stevia.at gibt es ne­ ben vielen Infos auch Rezepte für Zahnpasta & Co. Stevia: Siegeszug um die ganze Welt Stevia Ante portas. 150 Mio. Menschen nutzen Stevia: Neben Südamerika wird es vor allem in Asien, Israel und Mexiko ver­ wendet. In Japan wird es seit 30 Jahren eigentlich überall einge­ setzt – auch in den USA, Neu­ seeland und der Schweiz liegt Stevia im Trend. Coca-Cola hat sich vor kurzem einen SteviaSüßstoff patentieren lassen, und Forschung. Nicht nur die BOKU in Wien, auch auf der HBLA LinzUrsprung wird an Stevia geforscht. seit Juni wird in der Schweiz ein Getränk mit Stevia vertrieben. In der EU scheiterte 1999 der erste Zulassungsantrag, man forderte mehr Daten. Au­ ßer einer sehr verfälschten und von wem auch immer bezahlten Studie gibt es bis dato keinen Fall, wo man bei Stevia irgendwas Bedenk­ liches gefunden hätte. Rückende­ ckung bekommt die „Europäische Stevia Vereinigung“ von der WHO: Deren Exper­ tengremium ist zu dem Schluss gekommen, dass man ohne Gefahr ein Leben lang täglich vier Milligramm Stevia-Süßstoffe pro Kilo Körpergewicht essen kann – das ent­ spricht ca. 200 g Zucker. Als ers­ tes EU-Land hat Frankreich im August eine vorläufige Zulas­ sung erwirkt. Die österreichische Poli­ tik könnte ebenfalls eine Ausnahmeerlaubnis erwirken, Politiker sämtlicher Couleurs denken immer wieder laut dar­ über nach, passiert ist aber noch nichts. Reisenberger ist aber si­ cher, dass spätestens 2010 die Zulassung erfolgen könnte. Dann ist der Siegeszug wohl nicht mehr aufzuhalten – und Stevia wird allen Süßstoffen Saures geben. E x p er t en T i pp Ing. Franz ReisenbeRger Der Geschäftsmann aus Perchtoldsdorf ist seinerzeit durch Zufall auf Stevia gestoßen. Mittlerweile vertreibt er nicht nur via www.eubiotica.at etliche Stevia-Produkte, sondern ist auch zum gefragten Experten und Unterstützer von Forschung & Co geworden. LEBEN 10/09 ! süß mit leichtem Lakritzege­ schmack. Außerdem breitet sich der süße Geschmack im gesamten Mundraum aus und hält länger an als bei Zucker. Auch beim Kochen und Backen kann Stevia – gibt es in flüssiger Form, als Tabs, Granulat und getrocknete Blätter – praktisch wie „nor­ maler“ Süßstoff verwendet werden. Stevia-Fan Reisen­ berger: „Problematisch wird es eigentlich nur beim Backen, wenn auch der Körper des Zuckers benötigt wird.“ Aber viele Köche sind bereits dem Stevia-Trend verfallen und probieren sich schon fleißig an guten Stevia-Gerichten – auf seiner Homepage www.eubiotica.at will Reisenberger nach der Genehmigung als Food Additive schon bald SteviaRezepte veröffentlichen. Die Ernährungswissenschaftlerin Nicole Seiler bringt die Misere auf den Punkt: „Was Zucker weltweit alles anrichtet – aber Haupt­sache, Stevia ist verbo­ ten!“