Leibniz | SPeKTRUM 12 Monate Grippe-Saison Leibniz-Virusforscher im Kampf gegen die Influenza. Plaque-Abdrücke von InfluenzaViren 26 Die Grippe hat in diesen Tagen wieder Hochsaison. Jedes Jahr erkranken in den Wintermonaten auf der nördlichen Halbkugel Millionen Menschen an der Influenza, allein in Deutschland sterben mehr als 10.000 an den Folgen. Betroffen sind vor allem geschwächte, alte und chronisch kranke Menschen. Experten raten deshalb vor allem diesen Gruppen, sich jedes Jahr gegen die Erreger der hochansteckenden Infektionskrankheit, den Influenza-Viren, impfen zu lassen. Jedes Jahr deshalb, weil die Viren – einfach ausgedrückt – wahre Verwandlungskünstler sind, sodass das Immunsystem kaum Chancen hat, das Virus auszuschalten. Bekannt sind inzwischen zahlreiche Influenza-Subtypen, die sich anhand der beiden Proteine HA (Hämagglutinin) und NA (Neuraminidase) einordnen lassen. Zu ihnen gehören auch die Erreger der Echten Grippe (bekannt als Schweinegrippe, H1N1) und der Vogelgrippe (H5N1). „Die hohe Variabilität der Influenza-Viren macht sie unberechenbar und gefährlich“, erklärt Gülsah Gabriel vom Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie. Die Virologin leitet am HPI die Nachwuchsgruppe „Influenza Pathogenese“, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Emmy-Noether-Programm gefördert wird. Gründe für die Verwandlungsfähigkeit gibt es mehrere: Eine Ursache liegt in dem segmentierten Virus-RNA-Genom, das aus acht Genabschnitten besteht. Ein weiterer Grund sind Doppelinfektionen: Wird eine Zelle mit zwei unterschiedlichen Influenza-Subtypen infiziert, können sich die Genome durchmischen – die Folge sind wieder neue Virussubtypen. Und auch Mutationen beim Ver- mehren des Virusgenoms erhöhen die Veränderlichkeit. „Diese verschiedenen Vorgänge erklären die hohe Variabilität der Influenzaviren“, sagt Gabriel. Wandelbarer Gegner In den Sicherheitslaboren am HPI hat die Grippe ganzjährig Saison. „Wir können zwar die nächste Influenza-Epidemie nicht voraussagen, aber durch stetiges Forschen erweitern wir unser Wissen. So können wir beim nächsten Ausbruch hoffentlich schnell und passend reagieren, um die Bevölkerung vor schwer wiegenden Infektionen zu schützen“, so Gabriel. Für die Forscher bedeutet das vor allem, den Erreger bis ins letzte Detail kennen zu lernen: Welche Influenzaviren zirkulieren aktuell, welche davon sind gefährlich, welche weniger? Wie vermehren sich Influenzaviren und weshalb machen sie überhaupt krank? Bei Influenzaviren aus dem Tierreich stellt sich die Frage, wie sie es schaffen, den Wirt zu wechseln. Welche Barrieren müssen dabei durchbro- Fotos: HPI (2) Jedes Jahr erkranken weltweit mehr als 100 Millionen Menschen an Grippe. Wissenschaftler des Hamburger HeinrichPette-Instituts, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI) forschen an den extrem wandlungsfähigen InfluenzaViren. 3/2012 Leibniz | SPeKTRUM chen werden? Wie könnte die Virusinfektion gehemmt werden? Und da sich zirkulierende Influenzaviren ständig verändern, muss immer wieder aufs Neue geklärt werden, ob die zurzeit vorhandenen Antiviralia und Impfstoffe überhaupt noch wirksam sind. Virale Grenzgänger © Anja Upmeier © Anja Upmeier · · Gülsah Gabriel (rechts) mit ihrer Nachwuchsgruppe „Influenza Pathogenese“ Unzählige Fragen, auf die die HPI-Forscher Antworten suchen, die sie zu einem Puzzle zusammenfügen. Ein solches Puzzlestück haben Gülsah Gabriel und ihr Team kürzlich auf dem hochaktuellen Gebiet der Wirtsadaption von Influenzaviren entdeckt. Im Fall der Vogelgrippe ist es den Influenzaviren gelungen, den Wirt zu wechseln: Mensch statt Vogel. Die Viren haben die natürliche Artengrenze überschritten. Damit ihnen das gelingt und sie sich vermehren können, müssen sie zwei Barrieren überwinden: die Zellwand und die Kernmembran im Zellinnern des Wirtes. Erst im Zellkern vermehren sich die Influenza-A-Viren – und zwar mit Hilfe eines Enzyms, der Polymerase. Wie die Viren die Zellwand durchdringen, ist weitgehend bekannt und wird seit vielen Jahren intensiv erforscht. Den HPI-Forschern ist es gelungen, zu beschreiben, wie sich die Grippeviren an die zweite innere Barriere anpassen, um vom Vogel in den Menschen zu gelangen. „Dabei haben wir wichtige Erkenntnisse gewonnen und hoffen nun, therapeutische Ansätze zu entwickeln“, sagt Gabriel, die für ihre Forschungsergebnisse mit dem Robert-Koch-Förderpreis ausgezeichnet worden ist. Ließe sich die Polymerase hemmen, würden sich vermutlich aggressive Influenza-Viren nicht mehr vermehren können. Die Hemmung (Inhibition) der Vermehrung wäre somit ein wichtiger Dresden, wo Kunst und Wissenschaft seit Jahrhunderten eng verbunden sind, bietet heute mit einer Exzellenz-Universität, zehn Hochschulen, drei Max-Planck-Instituten, fünf www.marketing.dresden.de Leibniz-Instituten, dreizehn Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft, dem HelmholtzZentrum Dresden Rossendorf und einem Zentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft ideale Voraussetzungen für wissenschaftliche Spitzenleistungen. In diesem Umfeld wird die Mitarbeit an der Umsetzung neuer Ideen selbst zur faszinierenden Idee. www.facebook.com/Dresden.Marketing www.twitter.com/DD_Marketing Leibniz | SPeKTRUM „Wir wollen die Grippe besser verstehen, um sie bekämpfen zu können.“ Ansatz für zukünftige Therapien gegen Influenzaviren. Ein weiterer Vorteil sei, dass dieser Ansatz gegen eine Breite von Influenzaviren wirksam wäre und nicht selektiv gegen bestimmte Subtypen, da die Polymerase zu den konservierten Bestandteilen des Virus-Erregers gehört, sich also nicht stark von Subtyp zu Subtyp unterscheidet. Kalt und trocken Gülsah Gabriel Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie Warum die Grippewelle Deutschland immer in den Herbst- und Wintermonaten erreicht, ist nicht endgültig geklärt. Eine Studie des Virologen Peter Palese in den USA zeigt, dass Kälte und trockene Bedingungen die Übertragung von Influenzaviren über die Luft begünstigen. „Das ist die erste und eine der wichtigsten Studien, die klar nachweist, dass das Wetter die Verbreitung von Influenzaviren beeinflusst“, sagt Gabriel. Die Rede sei zwar oft von einem geschwächten Immunsystem als Grund, aber bisher konnten Wissenschaftler bei InfluenzaErkrankten keine allzu großen Veränderungen am Immunsystem beobachten – was deutlich für den Einfluss der Witterungsbedingungen spricht. Gülsah Gabriels Herz schlägt für die Forschung, gleichzeitig ist es ihr auch sehr wichtig, Influenza-Viren unter dem Elektronenmikroskop dass die Allgemeinheit von ihren Erkenntnissen profitiert: „Wir Wissenschaftler haben die Aufgabe, unser Wissen in die Öffentlichkeit zu transferieren. Nur so kann sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, unser wichtigstes Gut, die Gesundheit, aufrechtzuerhalten.“ Deshalb findet die Virologin, dass die Arbeiten der Grippeforscher Ron Fouchier in den Niederlanden und Yoshihiro Kawaoka in USA und Japan, welche Anfang des Jahres stark diskutiert wurden, besonders wichtig sind. Die Wissenschaftler um Fouchier hatten in einem Tierversuch an Frettchen ein H5 Influenzavirus entstehen lassen, das sich über Tröpfcheninfektion überträgt. In der Presse war die Rede vom tödlichen Supervirus, Gülsah Gabriel hingegen ist da- von überzeugt, dass derartige Versuche der Virusforschung entscheidende Impulse geben können. Ließe sich beispielsweise klären, welche und wie viele Mutationen zu einem hoch-ansteckenden H5N1-Virus führen, könnten präventiv Maßnahmen ergriffen werden, um mögliche Gefahren zu unterbinden. Auch für die Entwicklung von Impfstoffen könnten die Forschungsergebnisse nützlich sein. Die Studien von Fouchier und Kawaoka tragen auf jeden Fall dazu bei, Gülsah Gabriels Hauptanliegen in der Grippeforschung voranzutreiben: „Nur wenn wir unser Wissen über Infektionskrankheiten stetig erweitern, können wir Ansatzpunkte für die Entwicklung künftiger Medikamente und Impfstoffe schaffen.“ k at J a l Üers nicht nur in Hamburg forschen Leibniz-Wissenschaftler an der Influenza. Stephanie Bertram untersucht am Deutschen Primatenzentrum — Leibniz-institut für Primatenforschung in Göttingen Grundlagen der Virus-Wirtszell-interaktion. Konkret geht es darum, die durch die hohe Veränderlichkeit der Viren entstehenden Resistenzen gegen Grippemedikamente zu verhindern. bertram hat gemeinsam mit anderen Forschern herausgefunden, dass nicht nur Virus-Moleküle für die infektion wichtig sind. Auch körpereigene Moleküle, die 28 so genannten Typ ii Transmembran Serinproteasen, sind für die „erfolgreiche“ infektion erforderlich. Diese molekularen Maschinen aktivieren ein wichtiges Virusprotein — erst dadurch wird das Virus infektiös. Richten sich Medikamente nun gegen diese körpereigenen, aber für den Menschen entbehrlichen Moleküle, besteht nicht die Gefahr, dass die Viren resistent werden. Für ihre Forschungsarbeit zeichnete das Helmholtz-zentrum für infektionsforschung Stephanie bertram mit dem Jürgen-WehlandPreis 2012 aus. HPI (2); DPZ/Christian Kiel Körpereigene Moleküle 3/2012