TITELSTORY | Knieschmerz Atypischer Knieschmerz Es ist nicht immer das Gelenk schuld von Sonja Streit chirurg und Gründer des 1. Wiener Nervenschmerz Zentrums. Zu den Symptomen zählen Missempfindungen, brennende, nadelstichartige Schmerzen und Kribbeln. Jene können sich von der Hüfte über die Oberschenkelaußenseite bis ins Knie bemerkbar machen und beim Laufen respektive im Liegen verstärken. Mit dem Thema „Knie“ werden nicht wenige Sportler schmerzhafte Probleme oder Verletzungen verbinden. Kein Wunder, denn unsere Kniegelenke sind doch von frühester Kindheit an großen Belastungen ausgesetzt – insbesondere beim Laufen. Allerdings deutet nicht jeder Schmerz im Knie auf eine Erkrankung desselben hin, wie das der atypische Knieschmerz zeigt. Sport ist wieder möglich „Dieses Syndrom kann zum Beispiel das Läuferknie imitieren und ist am effektivsten mittels hochauflösendem Ultraschall oder Nervenblockade diagnostizierbar“, ergänzt Arthur Schultz. Ist die Diagnose eindeutig, sollten Betroffene das Tragen enger Kleidung vermeiden, Schmerzinfiltrationen und die Einnahme abschwellender, entzündungshemmender Medikamente in Betracht ziehen. Schlagen konservative Maßnahmen fehl, bietet sich die mikrochirurgische Nervenlösung (Neurolyse) beziehungsweise Dekompression an. „Ich suche den Nerv unter Lupenbrillenvergrößerung im Bereich des Leistenbandes auf, um ihn freizulegen oder zu durchtrennen“, erklärt Veith Moser. „80 Prozent der Patienten sind danach schmerzfrei und können ihren Sport wieder ungehindert ausüben.“ K 104 RUNNING | 6/2016 FOTOS: PRIVAT Schmerzauslöser enge Kleidung Bestes Beispiel dafür ist die Meralgia paresthetica nocturna, die durch zu enge Kleidung hervorgerufen werden kann. Dabei wird ein sensibler Ast des Beinnervengeflechts eingeengt, was unter anderem zu Knieschmerzen führt. „Das Tragen enger Sportkleidung, wie den bei Läufern sehr beliebten Tights, ist den Betroffenen nicht mehr möglich, weil die Schmerzen unerträglich werden“, weiß Dr. Veith Moser, Nerven- FOTO: G-STOCKSTUDIO/ISTOCKPHOTO.COM nieprobleme äußern sich meist in Form von Schmerzen, die vor allem bei sportlicher Betätigung auftreten oder stärker werden. „Schmerz gilt zwar als Leitsymptom verschiedenster Kniegelenkerkrankungen“, erläutert der Wiener Unfallchirurg und Sporttraumatologe Dr. Arthur Schultz. „Im Falle atypischer Knieschmerzen unterscheiden wir aber zwischen Ausstrahlungsschmerz, Umgebungsschmerz und intraartikulären Schmerzen.“ Es ist also nicht zwangsläufig das Kniegelenk, das schmerzursächlich ist, beziehungsweise ein Problem aufweist, wenn Patienten von Knieschmerzen sprechen. Operation nicht als Mittel der Wahl Der sogenannte Umgebungsschmerz wiederum besitzt unterschiedlichste Gesichter, wie Dr. Schultz ausführt: „Von der Baker-Zyste bis hin zum Läuferknie zeichnen verschiedenste Erkrankungen für diese Schmerzform verantwortlich. Beim ‚Runner’s Knee‘ kommt es zu einer lokalen Entzündung des Gewebes zwischen den außenseitigen Oberschenkelknorren und dem sogenannten Tractus iliotibialis, einem Faszienstreifen, der die Muskulatur stützt.“ Schmerzauslösend seien Laufen und in manchen Fällen Radfahren, weshalb eine Sportpause unabdingbar sei. „Zu den konservativen Behandlungsmethoden neben der Pause zählen das physiotherapeutische Tractus-Stret- ching, Kortisoninjektionen und Stoßwellenbehandlungen. Alles in Kombination mit entzündungshemmenden Medikamenten und Kühlung.“ Nach Arthur Schultz gilt die Operation nicht als Mittel der Wahl, vielmehr „ist die chirurgische Behandlung die letzte Möglichkeit. Dabei wird das entzündliche Narbengewebe entfernt, ein Oval in den Tractus geschnitten oder dieser Z-förmig verlängert.“ Ein weiteres Syndrom Ein weiteres Nervenkompressionssyndrom, das Läufer betrifft, ist das Nervus-saphenus-Syndrom. Laut Dr. Moser eine Schmerzproblematik, deren Ursache häufig übersehen wird. „Es kommt dabei knieinnenseitig zu Schmerzen, wobei bildgebende Verfahren, wie Röntgen oder MRT, unauffällig sind. Ein Ast des Nervus saphenus, der Ramus infrapatellaris, ist dabei eingeengt. Das wiederum strahlt unangenehm in Knieschmerzen treten in allen Altersgruppen auf und steigen mit dem Alter an, beispielsweise von 15 Prozent bei den 15- bis 24-jährigen Frauen auf 26 Prozent bei den 55- bis 64-Jährigen. Quelle: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die Vorder- und Innenseite des Knies sowie den Unterschenkel aus und sollte mikrochirurgisch gelöst werden, wenn Entzündungshemmer, Infiltrationen und Kryotherapie nicht anschlagen.“ Der Experte gibt zu bedenken, dass eine Nervenoperation nur dann angezeigt ist, wenn tatsächlich eine Einengung oder Verletzung eines Nervs vorliegt. „Bei Patienten mit persistierenden Schmerzen sollte man eine Nervenuntersuchung mittels Nervenleitgeschwindigkeitsmessung und hochauflösender Dr. Veith Moser Dr. Arthur Schultz Sonografie in Erwägung ziehen. Blutergüsse, Verletzungen oder Operationen können Nervenkompressionssyndrome hervorrufen, die meist nur im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs zu beheben sind“, so Dr. Veith Moser. Den Heilungsprozess nicht gefährden Wie auch immer sich der Knieschmerz äußert – er darf keinesfalls ignoriert werden. Werden Schmerzen chronisch, kann das fatale Auswirkungen haben und die Lebensqualität massiv einschränken. Des Weiteren gilt, sich an auferlegte Sportpausen zu halten, um den Heilungsprozess nicht zu gefährden. „Wer Empfehlungen ignoriert, läuft Gefahr, seinem Körper zu schaden und sein Leben zu zerstören“, warnen Dr. Arthur Schultz und Dr. Veith Moser. Ihre interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich Knie trägt maßgeblich zu einer schnelleren Diagnosefindung bei und gewährleistet eine auf jeden Patienten individuell abgestimmte Behandlung. „Eines sollte jeder von Knieschmerz Betroffene verinnerlichen: Die Sportpause gilt als essenzieller Bestandteil der Therapie bis zur völligen Schmerzfreiheit“, mahnt Spezialist Arthur Schultz. SURFTIPPS ZUM THEMA: www.nervenschmerz.com www.drschultz.at www.nervenschmerz-ratgeber.de www.dgss.org www.orthopaedie-rs.de www.gesundheit.de RUNNING | 6/2016 105