Rhetorische Figuren Die nachfolgend aufgeführten rhetorischen Figuren (c> S.184 ff.)werden keineswegs nur in der Lyrik, sondern in Texten aller Gattungen eingesetzt. Besonders bedeutend ist ihr Gebrauch zum Beispiel in der I> öffentlichen Rede (bei Gericht, in der Politik) oder in der Werbung. Dort werden diese Mittel gezielt eingesetzt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Ein Großteil der Stilmittel ist seit der Antike bekannt, was sich noch heute an den meist grie­ chischen Fachbegriffen ablesen lässt. Wichtiger als die Kenntnis dieser "Vokabeln" ist es für Sie zunächst, ein Gespür für den bewussten Umgang mit sprachlichen Mitteln zu entwickeln. Bei einem Satz wie "Im Traum/nicht einmal mehr/suche ich/mein verlorenes Paradies/bei dir" soll­ ten Sie z. B. auf die ungewöhnliche Stellung der Satzglieder aufmerksam werden. Diese Beson­ derheit kann man umschreiben, man kann sich darüber aber auch mit dem Fachbegriff "Inver­ )ion" verständigen - das ist bei manchen rhetorischen Figuren unkomplizierter und kürzer. Es lmpHziert zudem das Verständnis dafür, dass hier nicht eine sprachliche Ungeschicktheit unter­ laufen ist, sondern ein Stilmittel bewusst eingesetzt wird, um eine bestimmte Wirkung zu erzie­ len. Für eine kompetente Verständigung über die sprachlichen Strategien von Lyrik und ande­ ren Texten ist die Kenntnis rhetorischer Termini hilfreich. I> S.406ft., 485ft. 1. Rhetorische Mittel entfalten ihre Wirkung auf un­ dern hauptsächlich für die Erkenntnis ihrer Funk­ terschiedlichen sprachlichen Ebenen. Man kann tion und Wirkung, die z. B. liegen können in einem unterscheiden zwischen Zugewinn von • Anschaulichkeit, VorsteIlbarkeit, • Klangfiguren, • Nachdruck, Betonung, Eindringlicrlkeit, • Wortfiguren, • Sinnlichkeit, ästhetischem Reiz, • Satzfiguren, • Kommunikation, Einbezug des Adressaten, • Gedankenfiguren. a) Ordnen Sie die rhetorischen Mittel aus der • Spannung, Erwartung. folgenden Zusammenstellung diesen unter­ Überlegen Sie, welches Wirkungspotenzial in den schiedlichen Bereichen zu (Mehrfachz~ordnun­ nachfolgend aufgelisteten rhetorischen Mitteln gen sind möglich). jeweils hauptsächlich vorhanden ist. b) Definieren Sie dann die genannten Oberbe­ Beachten Sie: Endgültige Aussagen über die Wirkung griffe. bestimmter sprachlicher Mittel können nur unter ~. Die Identifizierung von rhetorischen Mitteln ist Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes getroffen kaum um ihrer selbst willen von Interesse, son­ werden! 183 B 3 Gattungen: lyrik Definition Rhetorische Figur Beispiel ~ Akkumulation, die Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott! Reihung von Begriffen zu einem ­ genannten oder nicht genannten ­ Oberbegriff Allegorie, die Gott Amor für Liebe konkrete Darstellung abstrakter Begriffe, oft durch l> Personifikation Alliteration, die Milch macht müde Männer munter. Wiederholung des Anfangslauts von Wörtern Er schaut nicht die Felsenriffe/ Er schaut nur hinauf ... Wiederholung eines oder mehrerer Wörter an Satz-/Versanfängen Antithese, die Nicht du/um der Liebe willen/ sondern/um deinetwillen/ die Liebe Entgegenstellung von Gedanken und Begriffen Apostrophe, die Du schönste Wunderblume süßer Frauen! feierliche oder betonte Anrede, Anruf Chiasmus, der Ich schlafe am Tag, in der Nacht wache ich. sY1Ilmetrische Überkreuzstellung von semantisch oder syntaktisch einander entsprechenden Satz­ gliedern Correctio, die Er war von schöner, von außergewöhnlich schöner Gestalt. Korrektur eines zu schwachen Ausdrucks Ellipse, die Je früher der Abschied, desto kürzer die Qual. unvollständiger Satz; Auslassung eines Satzteils/Wortes, das leicht ergänzbar ist Epipher, die Doch alle Lust will Ewigkeit,! will tiefe, tiefe Ewigkeit! l> S. 185 Anapher, die I Euphemismus, der vollschlank statt dick I Wiederholung gleicher Wörter am Satz-/Versende Beschönigung I Hyperbel, die ein Meer von Tränen starke Übertreibung Der Schultern warmer Schnee wird werden ka lter Sand. Umkehrung der geläufigen Wortstellung im Satz Das hast du ja mal wieder toll hinbekommen! unwahre Behauptung, die durch­ blicken lässt, dass das Gegenteil gemeint ist r Inversion, die , Ironie, die - Klimax, die Veni, vidi, vici (Ich kam sah und siegte. ) 184 dreigliedrige Steigerung B3.2 Grundlagen der Gedichtinterpretation Rhetorische Figur Beispiel D efinition Litotes, die Sie hat nicht wenig darunter I gelitten. Bejahung durch doppelte Vemeinung Metapher, die Der verstand ist ein messer in uns Bedeutungsübertragung; sprachli­ che Verknüpfung zweier semanti­ scher Bereiche, die gewöhnlich unverbunden sind Metonymie, die Das Weiße Haus macht wieder einmal Schlagzeilen. Ersetzung eines gebräuchlichen Wortes durch ein anderes, das zu ihm in unmittelbarer Beziehung steht: z. B. lA utor für Werk, Gefäß für Inhalt, Ort für Person Neologismus, der Berufsjugendliche; Nebelspinne Wortneuschöpfung schnattattattattattattattattern; zutschen und nuckeln und lutschen Lautmalerei Oxymoron, das beredtes Schweigen; geliebter Feind Verbindung zweier Vorstellungen, die sich ausschließen Paradoxon, das Vor lauter Individualismus tragen sie Uniform. Parallelismus, der Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht. Paronomasie, die Lieber arm dran als Arm ab. Onomatopoesie, die I . Scheinwiderspruch Wiederholung gleicher syntaktischer Fügungen I I Periphrase, die Der den Tod auf Hiroshima warf/Ging ins Kloster Wortspiel durch Verbindung klangähnlicher Wörter Umschreibung Personifil(ation, die Vater Staat Vermenschlichung, [> Allegorie I Pleonasmus, der der nasse Regen Wiederholung eines charakteristi­ schen semantischen Merkmals des Bezugswortes Rhetorische Frage, Wer ist scho1'f perfekt? die scheinbare Frage, bei der jeder die Antwort kennt Symbol, das Sinnbild, das über sich hinaus auf etwas Allgemeines verweist; meist ein konkreter Gegenstand, in dem ein allgemeiner Sinnzusammen­ hang sichtbar wird Taube als Symbol des Friedens; Ring als Symbol der Treue und Ewigkeit !> S.184 B 3 GattlJngen: Lyrik . Beispiel Rhetorische Figur Definition r --, Synästhesie, die I Sehe mit fühlendem Aug/ fühle mit sehender Hand Verbindung unterschiedlicher Sin­ neseindrücke Sie leben alle unter einem Dach. Ein Teil steht für das Ganze oder Synekdoche, die umgekehrt. I Tautologie, die ,:: Es ist, was es ist; nie und nimmer; in Reih und Glied I Wiederholung eines Begriffs bzw. Ersetzung durch ein sinnverwand­ tes Wort ("Zwillingsformeln") I Vergleich, der Achill ist stark wie ein Löwe. I I Verknüpfung zweier semantischer Bereiche durch Hervorhebung des Gemeinsamen (des sog. tertium comparationis) I Zeugma, das Als Viktor zu Joachime kam, hatte sie Kopfschmerzen und Putzjungfern bei sich. ungewohnte Beziehung eines Satzteiles auf mehrere andere, meist des Prädikats auf ungleich­ artige Objekte LERN KARTEI RHETORISCHE MITTEL Rhetorische Mittel in ihrem Einsatz zu erkennen und in ihrer Wirkung zu durchschauen fördert Ihr Verständnis von und vielleicht auch das ästhetische Vergnügen an Texten. Rhetorische Mittel selbstzu benutzen vergrößert Ihre sprachliche Überzeugungskraft und Ausdrucksfähigkeit. Sie können Ihre aktiven und passiven rhetori­ schen Kenntnisse und Fähigkeiten trainieren, indem Sie sich eine Lernkartei zu diesem Thema anlegen. Sie brauchen dafür • Karteikarten oder Zettel im Format DIN A7 oder A6, • einen entsprechend großen Karton o. Ä. zum Aufbewahren der Karten/Zettel. So gehen Sie vor: • Übertragen Sie zunächst die Begriffe aus der Liste rhetorischer Figuren (s.o.) auf die Karten (f> S. 187): o den Namen der rhetorischen Figur auf die Vorderseite, die Definition auf die Rückseite; o auf der Rückseite können Sie weitere Informationen notieren, z. B. die Zuordnung zu bestimmten Figu­ rentypen, Hinweise zur Wirkung, Hinweise auf verwandte oder ähnliche Mittel.. • Legen Sie zu jeder rhetorischen Figur noch eine zweite (evtl. andersfarbige) Karte an: o auch hier schreiben Sie den Begriff auf die Vorderseite; o auf die Rückseite das in der Liste angegebene Beispiel, dann alle weiteren Beispiele, auf die Sie bei Ihrem Umgang mitT~xten aufmerksam werden. Ihre Sammelaktivität sollte sich keineswegs nur auf den Deutschunterricht bescrlränken, sondern auch das Sprachmaterial aus anderen Fächern - z. B. den Fremdsprachen - mit einbeziehen. • In gewissen zeitlichen Abständen können Sie dann mit Hilfe der Lernkarten testen, inwiefern Ihnen die Begriffe noch geläufig sind und ob Sie die Beispiele zuordnen können. • Auch eine Erweiterung des Begriffe-Pools ist möglich - schlagen Sie in entsprecllender Fachliteratur (z. B. in Handbüchern zur Rhetorik oder Literaturlexika) nach. 186 B 3.3 Was ist ein Gedicht? Anapher Das Wasser rauscht',! " das Wasser schwoll ..... · kämmt ihr goldenes Haar.! " S re -Sie kämmt es .. , u Anapher . , ,,:, Wiederholung wichtiger Wärter an Vers-1Satzan/ängen • Klc:ngjigur, Satz/igur . • Wirkung: Eindringlichkeit Intensivierung , t> Epipher "-­ RHETORIK-QUIZ Von Zeit zu Zeit können Sie Ihre Lernkartei auch für eine Quiz-Stunde im Unterricht benutzen. Quiz-Aufgaben können sein: • ein vorgegebenes rhetorisches Mittel definieren • eine rhetorische Figur anhand ihrer Definition identifizieren • ein Beispiel der entsprechenden rhetorischen Figur zuordnen • zu einer vorgegebenen Figur in einer bestimmten Zeit ein Beispiel formulieren