Militärgeschichte

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Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 – 4163
Heft 4/2002
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Bundesgrenzschutz
Friedrich Paulus
Der Untergang der 6. Armee
Stalins V-2
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
IMPRESSUM
Editorial
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Herausgegeben
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
durch Jörg Duppler und
Hans-Joachim Harder
Liebe Leserinnen und Leser,
Redaktion:
Andreas Groh (ag), Clemens Heitmann (ch),
Herbert Kraus (hk), Andreas Kunz (ak)
Anschrift der Redaktion:
Militärgeschichtliches Forschungsamt
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam
Telefon: (0331) 9714-531
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© 2002 für alle Beiträge beim
Militärgeschichtlichen Forschungsamt
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber ermittelt
worden sein, bitten wir ggfs. um Mitteilung.
Die Nutzung des Namens »Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung« erfolgt
mit freundlicher Unterstützung des Verlages
E.S. Mittler & Sohn.
Herstellung:
Militärgeschichtliches Forschungsamt,
Bernd Nogli, Marina Sandig,
Aleksandar-S. Vuletić
Layout:
Militärgeschichtliches Forschungsamt,
Maurice Woynoski
Druck:
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden
ISSN 0940-4163
Das Team der »Militärgeschichte«: Maurice Woynoski, Clemens Heitmann,
Marina Sandig, Aleksandar-S. Vuletić, Andreas Groh und Herbert Kraus
I
hnen liegt nun das vierte und letzte
Heft der »Militärgeschichte« in
diesem Jahr vor. Anfang des Jahres
2002 hatten wir Ihnen unsere neu gestaltete Zeitschrift erstmals vorgestellt. Seitdem erscheint die »Militärgeschichte«
im blauen Einband; inhaltlich haben wir
viele Anregungen unserer Leser – von
innerhalb wie von außerhalb der Bundeswehr – aufgegriffen und neue Elemente eingeführt. So bieten wir Ihnen
nun neben unseren bewährten Artikeln
einen ausführlichen Serviceteil rund um
die Militärgeschichte. Es ist unserer Auffassung nach jetzt noch zu früh, um
ein endgültiges Urteil über unsere neue
Zeitschrift zu wagen, doch das deutliche
Überwiegen positiver Leserkritiken, die
uns erreicht haben, lässt uns hoffen, auf
dem richtigen Weg zu sein.
Das vorliegende Heft 4/2002 der »Militärgeschichte« hat erstmals einen thematischen Schwerpunkt. Anlass ist der
sechzigste Jahrestag des Kampfes und
der Niederlage der deutschen Invasionstruppen in Stalingrad. Der vormalige
Name der heutigen Stadt Wolgograd ist
weltweit und vor allem in Russland und
Deutschland das weit über den an Militärgeschichte interessierten Kreis hinaus
bekannte Symbol für das Scheitern des
deutschen Versuchs, Russland zu erobern
und zu kolonialisieren. Gleichgültig, ob
die Schlacht um Stalingrad tatsächlich
die Wende im Zweiten Weltkrieg einleitete, im Bewusstsein der meisten Russen
und Deutschen steht die Kapitulation
der deutschen 6. Armee genau dafür.
Und obwohl nach der Tragödie von Stalingrad im weiteren Verlauf des Krieges
die Zahl der zu beklagenden Menschenopfer noch erschreckendere Ausmaße
annehmen sollte, steht gerade Stalingrad auch beispielhaft für Kriegsleid und
Kriegstod in beiden Ländern. Dies war
für die Redaktion Grund genug, einen
thematischen Schwerpunkt zu setzen.
Solche »Themenhefte« sind auch in
der Zukunft in einzelnen ausgewählten
Fällen vorgesehen. Das bedeutet allerdings nicht, daß wir uns künftig auf
einige wenige Themen beschränken
wollen. Ganz im Gegenteil wollen wir
Ihnen auch in Zukunft die gewohnte
Breite an militärhistorischer Information durch Aufsätze und unseren Serviceteil bieten.
Einer Anregung aus Ihren Reihen werden
wir jedoch schon 2003 folgen: Der Anteil
von Beiträgen unterschiedlicher Art
zum Themenbereich deutsche Militärgeschichte nach 1945, auch zur Geschichte
der Bundeswehr, soll merklich gesteigert
werden.
Die Redaktion wünscht allen Lesern
ein frohes Weihnachtsfest, ein erfolgreiches Jahr 2003 und genügend Muße,
die Zeitschrift »Militärgeschichte« auch
künftig mit Gewinn zu lesen.
Die Redaktion
D i e
A u t o r e n
Inhalt
Friedrich Paulus
Ein Soldatenschicksal vor Stalingrad
4
Vor sechzig Jahren:
Dr. Torsten Diedrich,
geboren 1956 in Berlin,
wiss. Mitarbeiter am
Militärgeschichtlichen
Forschungsamt, Potsdam
Der Untergang der 6. Armee
in Stalingrad
Stalins V-2
18
Service
22
Das historische Stichwort: Der deutsche Generalstab
22
Medien online/digital
24
Lesetipp
26
Ausstellungen
28
Geschichte kompakt
30
Militärgeschichte im Bild
31
Der Transfer der deutschen Raketentechnik
in die UdSSR
Andreas Kunz M.A.,
geboren 1970 in Lüneburg,
Archivreferendar im
Bundesarchiv
Bundesgrenzschutz
Dr. Matthias Uhl,
geboren 1970 in Nordhausen,
wiss. Mitarbeiter am
Institut für Zeitgeschichte,
Außenstelle Berlin
8
Grundausbildung beim Bundesgrenzschutz
(BGS) in den fünfziger Jahren. Anders als
die Rekruten der neu aufgestellten Bundeswehr sehen die abgebildeten »Grenzjäger«
des BGS in ihrer Uniform mit dem markanten Stahlhelm den Soldaten der ehemaligen
Wehrmacht recht ähnlich.
Bild: Privatbesitz F. Schießl sen., Hamburg
Foto: Stadtarchiv Nürnberg
Friedrich Paulus
Friedrich Paulus
Ein Soldatenschicksal
vor Stalingrad
Paulus schwört den Eid als Zeuge gegen die Wehrmachtführung am 11. Februar 1946 vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg.
»Ich war Soldat und glaubte damals,
gerade durch Gehorsam meinem Volk
zu dienen!«
D
er Mann, der dies angesichts
der totalen Niederlage des
Deutschen Reiches und nie da
gewesener Schrecken und Verbrechen
des Krieges formulierte, war einer der
führenden Generäle der Wehrmacht.
Persönlich belasteten ihn der Untergang seiner 6. Armee in Stalingrad und
das sinnlose Opfer von etwa 165 000
seiner Soldaten.
Der am 23. September 1890 in Breitenau im Hessischen geborene Friedrich
Wilhelm Ernst Paulus wurde in einer
kleinbürgerlichen Beamtenfamilie aufgezogen. Mit anerzogenen Beamtentugenden und von hoher Intelligenz
schien Paulus für den von ihm erträumten Offizierberuf wie geschaffen. Nach
bestandenem Abitur in Kassel lehnte
die sich elitär dünkelnde Kaiserliche
Marine Paulus 1909 jedoch ab. Daraufhin schrieb er sich zum Jura-Studium
in Marburg ein, verließ die Universität
jedoch schon im Februar 1910, um
als Fahnenjunker im 3. Badischen
Infanterie-Regiment (IR) Nr. 111 in
Rastatt seine militärischen Karriereträume zu verwirklichen. Nach Abschluss der Kriegsschule Engers erhielt
4
Paulus 1911 das Leutnantspatent. 1912
heiratete der junge Offizier die rumänische Adlige Elena Constance RosettiSolescu.
Als Adjutant des III. Bataillons des IR
Nr. 111 erlebte Paulus kriegsbegeistert
und kaisertreu den Beginn des Weltkrieges. Schnell erkannte man seine
Begabungen als Stabsoffizier: Gewissenhaftigkeit, Organisationstalent, ausgeprägtes operatives Denken sowie
Gewandtheit und Anpassungsfähigkeit im Umgang mit Vorgesetzten. Den
Krieg erlebte Paulus fast nur in Stabsstellungen.
Die deutsche Niederlage und der Sturz
der Monarchie in Deutschland trafen
den Monarchisten Paulus tief. Er empfand als Soldat die Schmach der Niederlage, seine Stellung zum Militär
blieb jedoch vom Kriegserleben unberührt. Es gelang Hauptmann Paulus
seine militärische Laufbahn in der
Reichswehr fortzusetzen. Seiner Neigung entsprechend wurde er nach
diversen Stabsverwendungen 1927 als
Taktiklehrer für »Führergehilfen« –
d.h. Generalsstabsausbildung eingesetzt. Im Herbst 1931 erfolgte die Versetzung ins Reichswehrministerium
als Lehrgangsleiter für Taktik und
Kriegsgeschichte. Hier verkörperte der
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
groß gewachsene, fast steif wirkende
Paulus den Prototypen des Stabsoffiziers Seecktscher Prägung. Die Fähigkeit zum operativen Denken verband
sich bei ihm mit der Abneigung zu
jedweder politischen Stellungnahme.
1933 bekam Oberstleutnant Paulus das
Kommando über die Kraftfahr-Abteilung 3 in Wünsdorf/Zossen übertragen. Unmittelbar in den Aufbau der
neuen Waffengattung »Panzertruppen«
Johannes Friedrich Leopold
von Seeckt
Geb. 22.4.1866, gest. 27.12.1936
Angesichts der chaotischen politischen
Verhältnisse der Weimarer Republik
entwickelte Seeckt als Chef der Heeresleitung (1920–1926) das Konzept
einer Überparteilichkeit der Reichswehr. Jede politische Betätigung wurde
dem Soldaten verboten, um eine parteiliche Ausprägung der Reichswehr auszuschließen. Seeckt führte die durch den
Versailler Vertrag auf 100000 Mann
Stärke begrenzte Armee aus der innenpolitischen Frontstellung heraus in eine
Neutralität gegenüber gesellschaftlichen
Gruppierungen und prägte in ihr den
Gedanken einer »unpolitischen Staatsund Befehlstreue« aus.
Foto: von Kutschenbach
Foto: von Kutschenbach
Der junge Hauptmann Paulus
am Ende des Ersten Weltkrieges.
Der Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Halder (dritter von links), und sein Oberquartiermeister Ia, Generalleutnant Paulus (links), 1941 bei einer Besprechung mit Hitler.
einbezogen, erlebte Paulus Hitlers
»Machtergreifung«. Instinktiv eher
gegen den »Proleten« und dessen
»Volkspartei« eingestellt, fühlte sich
Paulus doch von den Versprechen
Hitlers hinsichtlich der Entwicklung
Deutschlands und der Armee angezogen, ohne jedoch Nationalsozialist
zu werden. Er blieb der »unpolitische
deutsche Offizier«.
und operativer Berater des Generalstabschefs des Heeres sowie als Koordinator der Stabsbereiche und im Sonderauftrag. Halder brauchte diesen
operativ fähigen und mit der Panzertaktik vertrauten Mann; Paulus war
damit in die höchsten Führungskreise
der Wehrmacht und in die unmittelbare
Nähe Hitlers gerückt. Er vollendete die
Arbeiten an dem »Barbarossa«-Feldzugsplan und demonstrierte in zwei
Kriegsspielen vor der Wehrmachtführung die geplante Zerschlagung des
»Russischen Kolosses auf tönernen
Füßen«. Nach Hitlers Angriffsweisung
gegen die UdSSR kümmerte sich
Paulus um die Vorbereitung der
Verbündeten Rumänien und Ungarn
auf die Eroberungspläne des Dritten
Reichs.
Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs
mit dem Überfall auf Polen erlebte
Generalmajor Paulus als Chef des
Generalstabes der 10. Armee unter
Generaloberst von Reichenau. Feldzüge gegen Polen, Belgien und Frankreich ließen die Kritik der Wehrmachtführung gegen den »Führer« schnell
verstummen. Auch für Paulus war
die Schmach des Versailler Vertrages
getilgt, der »Erzfeind« besiegt und
Deutschland zu neuer Geltung verholfen. Innerhalb der 10., später 6. Armee
erwiesen sich Reichenau und Paulus
als ideales Gespann. Der entschlussfreudige, heißblütige Reichenau fand
in dem wie am Schachbrett wägenden,
alle Möglichkeiten sezierenden Stabschef das optimale Pendant. Paulus verehrte Reichenau und nahm von dessen
engen Bindungen an den Nationalsozialismus kaum Notiz.
In Vorbereitung des Überfalls auf die
UdSSR erkor Generalstabschef Halder
im Spätsommer 1940 den Generalleutnant Paulus zum Oberquartiermeister
I (OQu I) im Generalstab des Heeres.
Der OQu I fungierte als Stellvertreter
Paulus glaubte an die Notwendigkeit
einer Auseinandersetzung mit dem
bolschewistischen Reich, dessen politisches System er strikt ablehnte. Er
fragte nicht nach politischer Verantwortung, konzentrierte sich auf seinen
Auftrag, den er als die persönliche Karrierechance erkannte. So wurde auch
Paulus, wie so viele führende Militärs,
zu einem willfährigen Werkzeug von
Hitlers Aggressionspolitik.
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion
am 22. Juni 1941 erfüllten sich Paulus‘
hochgesteckte Ambitionen als Generalsstabsoffizier, der vom Kartentisch
aus die Operationen im Osten in großen
Zügen zu leiten hatte. Immer stärker
aber mischte sich Hitler in die mili-
tärische Führung ein, riss diese an
sich. Paulus aber war nicht der Mann,
der opponierte. Er verstand Gehorsam
als seine oberste Pflicht und vertraute
durchaus auf das militärische Können
des »Führers«. Hitler, von den Fähigkeiten aber auch von dem willigen Verhalten von Paulus angezogen, erwog
den sich vornehm und exakt gebenden General in die höchste Führung
des Oberkommandos der Wehrmacht
(OKW) zu holen. Zuvor sollte sich dieser jedoch als Armeeführer bewähren.
Der General der Panzertruppen erhielt
somit am 16. Januar 1942 das vakant
gewordene Kommando über die 6.
Armee. Umgehend setzte er für die
6. Armee den verbrecherischen Kommissarbefehl Hitlers außer Kraft und
hob den völkerrechtswidrigen HärteBefehl Reichenaus zum Vorgehen
gegen die russische Bevölkerung und
die Juden auf. Beide Befehle entsprachen nicht seinem Soldatenethos,
an dem er zeitlebens festhielt. Im Verlauf der Sommeroffensive 1942 bewies
Paulus seine Fähigkeiten beim Führen
eines operativen Truppenkörpers; er
erhielt das Ritterkreuz und befand sich
in hoher Gunst des »Führers«.
Im Kessel von Stalingrad begann
Paulus seine Mitschuld am Tod seiner
Soldaten, aber auch den Verrat der
Menschenleben verachtenden nationalsozialistischen Führung an seiner
Armee zu begreifen. Zum Opponieren
gegen Hitler nicht fähig, im Unklaren
über die Gesamtlage an der Südfront
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
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Friedrich Paulus
Der im März 1941 erlassene »Kommissar-Befehl« wies die Wehrmacht an,
die Politkommissare der Roten Armee
nicht als Kriegsgefangene zu behandeln,
sondern zu erschießen. Ebenso wie
der im Mai 1941 ergangene »Barbarossa-Gerichtsbarkeitserlass«, der Zivilpersonen in den besetzten Ostgebieten
aus der Rechtsprechung der Kriegsgerichte nahm und Übergriffe von Wehrmachtangehörigen gegenüber der Zivilbevölkerung nicht zwangsläufig unter
Ahndung stellte, gehörte der Kommissar-Befehl zu Hitlers »Glaubenskrieg gegen den Bolschewismus«. Beide
widersprachen dem Völkerrecht. Auf
dieser Grundlage gab der Oberbefehlshaber der 6. Armee, Walter von Reichenau, am 10. Oktober 1941 seinen
Härte-Befehl: »Verhalten der Truppen
im Ostraum«, der das völkerrechtswidrige Vorgehen gegen die Bevölkerung
unterstrich.
gelassen und mit einer unterversorgten Armee auch militärisch nicht in
der Lage, einen eigenständigen Ausbruch zu wagen, resignierte Paulus.
Am 31. Januar 1943 traf Hitlers Beförderung zum Generalfeldmarschall einen
in Lethargie gefallen Mann, der unwillig war, Hitlers Wunsch nach dem Freitod zu erfüllen, es aber auch nicht
wagte, die längst überfällige Kapitulation zu befehlen.
Sein Weg in die sowjetische Gefangenschaft führte Paulus in das Generalslager Woikowo. Während er in schweren
inneren Auseinandersetzungen seine
Mitschuld am Elend der 6. Armee
begriff, blieb seine Überzeugung, dass
er nur militärische, jedoch keine politische Verantwortung trage, noch unerschüttert. Paulus‘ Verhältnis zu der
kommunistisch initiierten »antifaschistischen Bewegung« war 1943 voller
Argwohn. Bis zum Sommer 1944 hielt
Paulus alles Politische von sich fern.
Am 24. Juli 1944 erfuhren die Gefangenen des Generalslagers von dem
missglückten Attentat auf Hitler. Viele
der Verschwörer kannte und schätzte
Paulus, so die Generale Beck, Fellgiebel, Olbricht und Oberst Stauffenberg.
Zugleich suggerierten die Sowjets dem
6
Feldmarschall, dass er nach dem Scheitern der Verschwörung der einzige sei,
der Einfluss auf die Wehrmachtführung nehmen könne. Paulus begann
die politischen Konsequenzen von NSRegime und Krieg für das deutsche
Volk zu erahnen. Am 8. August 1944
unterzeichnete er einen Appell zur
Beendigung des Krieges und wandte
sich im Sender »Freies Deutschland«
gegen Hitler und den Krieg. Der »Bund
Deutscher Offiziere« (BDO) und das
»Nationalkomitee Freies Deutschland«
(NKFD) gewannen eine Galionsfigur
hinzu, als ihre Bedeutung für die Sowjets bereits zu sinken begann. Paulus
aber hatte seine Neutralität aufgegeben.
Nach Kriegsende erregte der Generalfeldmarschall mit seinem Auftritt als
Zeuge vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal erneut das Interesse der Weltöffentlichkeit. »Heute, wo
über die Verbrechen Hitlers und seiner
Helfer Gericht der Völker gehalten
wird, sehe ich mich verpflichtet, alles,
was mir aufgrund meiner Tätigkeit
bekannt ist und als Beweismaterial
für die Schuld der Kriegsverbrecher
im Nürnberger Prozess dienen kann,
der Sowjetregierung zu unterbreiten«,
begründete er diesen Schritt. Mit seinen
Aussagen gegen die Führung der Wehrmacht schuf er einen tiefen Graben
zu vielen ehemaligen Kameraden, die
seine Haltung als Verrat werteten.
Am 24. Oktober 1953 kehrte Paulus
aus sowjetischer Gefangenschaft nach
Deutschland, in die DDR, zurück.
Beeinflusst wurde diese Entscheidung,
in den östlichen Teil Deutschlands und
nicht in die Bundesrepublik zu gehen,
von dem Tod seiner Frau im Jahre
1949. Denn nach dem Attentat vom
20. Juli 1944 hatte Hitler die Inhaftierung aller Angehörigen von Offizieren,
die sich aus sowjetischer Gefangenschaft heraus gegen Nationalsozialismus und Krieg aussprachen, verfügt.
Paulus‘ Frau war daraufhin u.a. im KZ
Dachau gefangen gehalten worden und
hatte diese »Sippenhaft« nicht lange
überlebt. Gewichtiger für Paulus war
jedoch die Furcht vor der Auseinandersetzung um seine Person in Westdeutschland und seine in der sowjetischen Gefangenschaft entwickelten
Vorbehalte gegen die Politik Adenau-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
»Nationalkomitee Freies
Deutschland« und »Bund
Deutscher Offiziere«
Das »Nationalkomitee Freies Deutschland« (NKFD) wurde am 12./13. Juli
1943 in Krasnogorsk bei Moskau auf
Initiative der UdSSR durch deutsche
Exilkommunisten und Kriegsgefangene
zum Kampf gegen die Hitlerdiktatur
und für die Beendigung des Krieges
gebildet. Da mit dem kommunistisch
geführten NKFD jedoch kaum höhere
Offiziere für den ideologischen Kampf
gegen Hitler gewonnen werden konnten, entstand am 11./12. September
1943 der »Bund Deutscher Offiziere«
(BDO) in Lunjowo unter der Führung
des Generals der Artillerie Walther von
Seydlitz-Kurzbach und Generalleutnant
Alexander Edler von Daniels. Trotz der
ehrenhaften Ziele zur Beendigung des
Krieges und Schaffung eines demokratischen Deutschlands blieb der BDO ein
von Moskau abhängiges politisch-ideologisches Gebilde. NKFD und BDO
verloren im Kriegsverlauf immer mehr
an Bedeutung und wurden, als die
UdSSR die Organisationen nicht mehr
brauchte, Ende 1945 aufgelöst.
Foto: Sammlung MGI/MGFA
»Kommissar-Befehl«
31. Januar 1943. Der frisch zum Generalfeldmarschall beförderte Paulus trifft als
Gefangener im Stab der sowjetischen
64. Armee in Beketowka ein.
ers zur Wiederaufrüstung und Integration der Bundesrepublik in ein westeuropäisches Paktsystem. Paulus war
nicht, wie oft behauptet, als General
beim Aufbau der Kasernierten Volkspolizei der DDR (KVP) tätig, wurde
aber als ziviler Leiter der Kriegshistorischen Forschungsabteilung der Hochschule der KVP in Dresden eingesetzt.
Hier sollte sein Buch über Stalingrad
entstehen.
Foto: Sammlung MGI/MGFA
Foto: Sammlung MGI/MGFA
Europäische Verteidigungsgemeinschaft
Aufgrund der nach Ausbruch des KoreaKrieges 1950 herrschenden Furcht vor
einem kommunistischen Überfall führten die westeuropäischen Staaten Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und
die Bundesrepublik Verhandlungen um
den Aufbau einer »Europäischen Verteidigungsgemeinschaft« (EVG). Das
im Mai 1952 unterzeichnete Vertragswerk scheiterte im August 1954 am
»Nein« der französischen Nationalversammlung. Nur zwei Monate später
unterzeichneten die USA, Großbritannien und Frankreich sowie die Bundesrepublik die »Pariser Verträge«, mit
denen die Bundesrepublik ein (weitgehend) souveräner Staat und Mitglied
der NATO wurde.
Paulus war kein Kommunist, ein kommunistisches Deutschland wünschte
er nicht, aber eine »friedliche Zukunft
eines geeinten demokratischen Deutschlands«. Seine Schuld an der Tragödie
von Stalingrad glaubte er mit dem
Ringen um die Wiedervereinigung
Deutschlands abtragen zu können. Mit
Sensibilität nutzte die DDR Paulus‘
patriotisches Streben. Über Treffen ehemaliger Kriegsteilnehmer wollte die
DDR ein gesamtdeutsches Bündnis
gegen die Pariser Verträge schaffen.
Paulus trat im Juli auf einer internationalen Pressekonferenz sowie im
Dezember 1954 in einem Interview mit
dem Deutschland-Sender in der Öffentlichkeit gegen EVG und Pariser Verträge auf. 1955 fungierte er als Galionsfigur der von der SED initiierten Treffen ehemaliger Wehrmachtoffiziere aus
Wiedervereinigung als Wiedergutmachung. Ehrlichen Herzens ringt Paulus
um ein einiges demokratisches Deutschland (Intern. Pressekonferenz 1954).
West- und Ostdeutschland in Ost-Berlin am 29./30. Januar und 25./26. Juni
1955. Hier vertrat Paulus die Auffassung, dass die Weltkriegsteilnehmer
eine tiefe Verantwortung für ein demokratisches Deutschland mittrügen, und
stellte sich gegen eine Armee der Bundesrepublik unter »fremder Flagge«.
Erneut politisch ausgenutzt, versuchte
Paulus auch jetzt sich selbst treu zu
bleiben und nur für Ziele einzutreten,
die seiner Überzeugung entsprachen.
Dabei negierte er, bewusst oder unbewusst, die Sowjetisierung und Aufrüstung in der DDR.
Tief trafen Paulus Briefe ehemaliger
Kameraden, die ihm Verrat an Deutschland und gemeinsame Sache mit den
Kommunisten vorwarfen, aber auch
jene von Angehörigen, die schmerzlich nach Soldaten der 6. Armee suchten. Alles ihm Mögliche tat er, um hier
zu helfen, aber auch im Ringen um
die Freilassung der verbliebenen deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR.
Das nagte an seiner Gesundheit, vergrößerte sein seelisches Leiden an der
Verantwortung, die er trug. Schwer
von einer Krankheit gezeichnet, verschwand Paulus Ende 1955 aus dem
politischen Rampenlicht. Am 1. Februar 1957 starb er in tiefer Depression,
die ihn in den Monaten November bis
Februar stets befiel. Selbst sein Todestag unmittelbar vierzehn Jahre nach
dem Untergang seiner Armee spiegelte
den tiefen Bruch in seinem Leben wider.
Nach einer Trauerfeier mit staatlicher
Anteilnahme in Dresden wurde Paulus
in der Bundesrepublik in Baden-Baden
neben seiner Frau beigesetzt.
Das Wirken des Generalfeldmarschalls
ist heute weder mit dem Stigma des
gewissenlos Menschenleben opfernden
Heerführers Paulus noch mit dem des
kommunistischen Saulus zu fassen.
Sein Handeln und sein Schicksal dokumentieren vielmehr eine die Verantwortung verdrängende und zum
mechanischen Räderwerk des NS-Staates verkommene Wehrmachtführungselite. Dank seiner Intelligenz begriff
Paulus dies und wollte in Gefangenschaft und in der DDR am deutschen
Volke Wiedergutmachung leisten. Zwischen Verantwortungslast und politischem Druck der für ihn nicht vollends erfassbaren neuen Gesellschaften
in Ost und West nach neuen Idealen
suchend, blieb Paulus, der sich als
»unpolitischer« Soldat verstanden hatte, eine hochpolitische Person. Letztlich wurden seine patriotischen Hoffnungen auf ein einiges, demokratisches
Deutschland und sein Versuch, hier
sein politisches Gewicht einzubringen,
erneut ideologisch ausgenutzt. Einsam
endete das Leben eines Mannes, der
tragische deutsche Geschichte letztlich
zweimal mitschrieb.
n Torsten Diedrich
Foto: von Kutschenbach
Exilkommunist Wilhelm Pieck und Feldmarschall Paulus im Sommer
1943 im Park des Hauses der NKFD in Ljunow.
Nach 15 Jahren Trennung. Wieder an der Seite
seiner von ihm so geliebten Frau. Beisetzung
1957 im Familiengrab in Baden-Baden.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
7
Stalingrad
Vor sechzig Jahren:
Der Untergang
der 6. Armee
in Stalingrad
Transportmittel oder Nahrung? Logistik in Stalingrad Ende 1942.
Bundesarchiv Bild 101/218/519/18A
8
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
M
it einem knappen Satz begann am 3. Februar 1943 die
im deutschen Rundfunk verlesene Tagesmeldung des Oberkommandos der Wehrmacht: »Der Kampf
um Stalingrad ist zu Ende. Ihrem
Fahneneid bis zum letzten Atemzug
getreu«, so erfuhren die gebannt vor
dem Radio sitzenden Menschen, »ist
die 6. Armee unter der vorbildlichen
Führung des Generalfeldmarschalls
Paulus der Übermacht des Feindes
und der Ungunst der Verhältnisse erlegen.« Die NS-Propaganda versuchte
dem Untergang der mehrere Hunderttausend Mann starken Armee einen
Sinn zu verleihen: »Das Opfer war
nicht umsonst. Als Bollwerk der historischen Mission hat sie [die 6. Armee]
viele Wochen hindurch den Ansturm
von sechs sowjetischen Armeen gebrochen. Vom Feind völlig eingeschlossen,
hielt sie in weiteren Wochen schwersten Ringens und härtester Entbehrungen starke Kräfte des Gegners gebunden. Sie gab damit der deutschen Führung die Zeit und die Möglichkeit zu
Gegenmaßnahmen, von deren Durchführung das Schicksal der gesamten
Ostfront abhing.« Bereits vier Tage
zuvor, am 30. Januar, hatte Göring in
einer Rede anlässlich des zehnten Jahrestages der Machtübernahme Hitlers
den Kampf der 6. Armee als ein Bollwerk gegen die sogenannte bolschewistische Bedrohung aus dem Osten
dargestellt. In den Ruinen von Stalingrad wurden Reden wie diese mittels
noch vorhandener Wehrmachtfunkgeräte mitgehört. Der damalige Leutnant
und Ordonnanzoffizier in der Abteilung Feindaufklärung (Ic) beim Stabe
des VIII. Armeekorps, Joachim Wieder,
beschrieb in seinen Erinnerungen seine
und die Empfindungen seiner Kameraden:
»Die widerliche Beweihräucherung des
qualvollen Sterbens unserer Armee
und die verlogene Heroisierung von
Zuständen, die gegen alle Gesetze
der Menschlichkeit verstießen, erfüllten mich mit Empörung, ja geradezu
mit Ekel.«
Die Propaganda stellte die Realität auf
den Kopf, und noch heute erscheint
die Legende vom Präventivkrieg gegen
die Sowjetunion unausrottbar. Mit dem
deutschen Angriff im Sommer 1941
»Mit der Kaukasus-Bahn nach Stalingrad«
– der Vormarsch. Bundesarchiv Bild 101/217/466/13
hatte Hitler einen historisch beispiellosen rasseideologischen Eroberungs-,
Raub- und Vernichtungskrieg vom
Zaun gebrochen. Der deutsche Ostfeldzug war das Ergebnis einer zutiefst
amoralischen und völkerrechtswidrigen Kriegführung. Weltanschauliche
Enge, Brutalisierung und zunehmende
Unmenschlichkeit prägten die Erfahrungen der Soldaten auf beiden Seiten.
Lag hier eine der Ursachen dafür, dass
die 6. Armee bis zur Handlungsunfähigkeit kämpfte?
Die vorhersehbare
Katastrophe
D
ie Ursachen für das Drama
an der Wolga reichten weit
zurück. Mit dem am 28. Juni
1942 begonnenen Sommerfeldzug hatte
Hitler den erneuten Anlauf genommen, im Osten die Entscheidung herbeizuführen. Die Erwartung, dass die
Alliierten im Verlauf des Jahres 1943 im
Westen die sogenannte Zweite Front
errichten würden, hatte die deutschen
Planungen von Beginn an unter Zeitdruck gesetzt. Trotz beeindruckender
Raumgewinne erlahmte die Stoßkraft
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
9
Stalingrad
3Infanterie, Sommer 1942, Südabschnitt
der Ostfront. Bundesarchiv Bild 101/217/465/32A
griffs, die Stadt als Rüstungszentrum
und Verkehrsknotenpunkt auszuschalten, war längst erreicht. Hitlers Befehl
indes, die Stadt vollständig einzunehmen, erforderte den Einsatz der kampfkräftigsten Verbände.
der deutschen Offensive, während es
der Roten Armee gelang, sich allen
Einschließungsversuchen zu entziehen.
Am 23. Juli spaltete Hitler die Offensive auf: Die Heeresgruppe B erhielt
den Auftrag, den Vorstoß der Heeresgruppe A zu den strategisch wichtigen kaukasischen Ölfeldern durch den
Aufbau einer Verteidigung entlang des
Don abzudecken. Darüber hinaus sollte
die Heeresgruppe die Wolga und die
Landbrücke zum Don abriegeln und
die Kräftemassierungen, die die Rote
Armee in der Region von Stalingrad
zusammenzog, zerschlagen.
Die entlang dem inneren Don-Bogen
gegen Kalatsch geführte deutsche
Offensive entwickelte sich zunächst
den Erwartungen entsprechend. Doch
in den letzten Julitagen wurde deutlich,
dass ein Durchbruch der Heeresgruppe
B bis zur Wolga und die Einnahme
Stalingrads nur in langwierigen Kämpfen gegen einen umfassend vorbereiteten Gegner möglich sein würden. Die
sowjetische Führung hatte die zentrale
Bedeutung des Stalingrader Raumes
für Industrie und Verkehr rechtzeitig
erkannt und die Zeit konsequent zur
Vorbereitung der Verteidigung genutzt.
Der 6. Armee unter General Paulus
fiel die Aufgabe zu, frontal über den
Don und gegen die Stadt anzugreifen.
Da die zur Verfügung stehenden deutschen und verbündeten Kräfte nicht
ausreichten, sollte die 4. Panzerarmee
des Generalobersten Hoth mit dem
Gros ihrer Kräfte durch einen zweiten,
südlich des Don geführten Stoß unterstützen.
Wochenlange Sommerhitze lag über
Stalingrad (heute Wolgograd), das
inmitten einer offenen Steppenlandschaft liegt. Die Stadt erstreckte sich
auf über fünfzig Kilometern Länge auf
dem hügeligen Westufer der Wolga.
Das Stadtbild der verkehrsmäßig günstig gelegenen Industriemetropole war
10
geprägt von Raffinerien, Stahlwerken
und Maschinenfabriken. Die erbitterten Kämpfe um die Ruinen ließen die
Namen dieser Industrieanlagen später
berühmt werden: das auf die Fertigung von Panzerstahl und Artilleriemunition spezialisierte Elektrostahlwerk »Roter Oktober«, das auf Panzerproduktion umgestellte Traktorenwerk
»Dschersinski« oder die Geschützfabrik »Barrikady«. Der nicht abreißende Strom von Flüchtlingen hatte
die Einwohnerzahl im Einzugsbereich
der Stadt bis zum Frühjahr auf bis
zu 900 000 Menschen ansteigen lassen.
Schwere deutsche Luftangriffe am 23.
und 24. August zerstörten große Teile
Stalingrads und kosteten Tausende von
Opfern unter der noch nicht evakuierten Zivilbevölkerung. Die Brände der
Brenn- und Rohstofflager der Industriekombinate und in den aus Holzbauten bestehenden Vororten ließen die
Stadt nächtelang wie eine riesige Fackel
lodern. Erst Ende August wurden die
letzten 300 000 Bewohner und Flüchtlinge evakuiert.
Am 3. September erreichte das XXXXVIII.
Panzerkorps das Kasernengelände am
Südwestrand Stalingrads. Die Angriffsspitzen des LI. Armeekorps waren zu
diesem Zeitpunkt noch ganze 8 Kilometer vom Stadtkern entfernt. Um die
Einnahme der Stadt entwickelten sich
Zeit und Kräfte raubende Orts- und
Häuserkämpfe. Tagelang wurde um
einzelne Gebäude oder Geländepunkte
wie beispielsweise den Mamaew-Hügel oder den Hauptbahnhof gerungen.
Die Soldaten der Roten Armee, aber
auch Zehntausende bewaffneter Zivilisten, sowie Angehörige von Arbeitermilizen und Volkswehrabteilungen
leisteten erbitterten Widerstand. Unter
dem Schutz des westlichen Steilufers
und auf dem Ostufer der Wolga zusammengezogener Artillerie wurden
kontinuierlich Reserven nachgeführt.
Das eigentliche Ziel des deutschen An-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Derweil waren die Flanken der Heeresgruppe weitgehend entblößt. Geschwächt war nicht nur die Ostflanke
der 4. Panzerarmee. Die Nordflanke
der Heeresgruppe dehnte sich über
800 Kilometer, weitgehend dem Verlauf des Don folgend, von der Grenze
zur Heeresgruppe Mitte bis zur Wolga.
Diese Frontlänge wurde gesichert von
der 2. Armee im Nordwesten und
der 6. Armee im Südosten. Dazwischen eingeschoben waren die ungarische 2. sowie die italienische 8. Armee,
deren Abschnittsbreiten allerdings in
keinem Verhältnis zu ihrer tatsächlichen Kampfkraft standen und die entgegen aller deutschen Versprechungen
auf Unterstützung in einem Besorgnis
erregenden Zustand geblieben waren.
Das Gleiche galt für die Verbände der
3. rumänischen Armee, die im Oktober deutsche Verbände für den Einsatz gegen Stalingrad abgelöst hatten
und mit unzureichenden Kräften einen
zudem taktisch unvorteilhaft gelegenen
Abschnitt verteidigen sollten. Angesichts der bevorstehenden Herbst- und
Winterperiode stellte sich die Frage,
ob die 6. Armee unter logistischen
Gesichtspunkten in der Lage war, den
Kampf aus ihrer exponierten Stellung
fortzusetzen. Für einen Verbleib in
Stalingrad sprachen die Schutz- und
Unterbringungsmöglichkeiten, die die
Stadt trotz der Zerstörungen im Gegensatz zur offenen und fast unbesiedelten Steppe bot. Doch die Armee war
nicht winterfest. Das logistische Debakel des Vorjahres, als der russische
Winter die sommerbekleidete Wehrmacht überrascht hatte, sollte sich zwar
nicht wiederholen. Die geringe landwirtschaftliche Nutzung der russischen
Steppe hatte indes zur Folge, dass
Verpflegung und Nachschub über riesige Entfernungen herangeführt werden mussten. Der inzwischen notorische Betriebsstoffmangel hatte bereits
zu Verzögerungen beim Angriff geführt. Die Schlammperiode musste wei-
tere drastische Einbrüche in der Versorgung der Truppe befürchten lassen.
Lange vor der Einschließung lebte die
6. Armee buchstäblich von der Hand
in den Mund. Bis Mitte November
hatte weniger als die Hälfte ihrer Soldaten spezielle Kälteschutzbekleidung
erhalten. Auch der Materialzufluss für
Stellungs- und Unterkunftsbau, insbesondere Kohle und Holz, geronn
immer spärlicher. Allein unter logistischen Gesichtspunkten gesehen hätte
die Armee in absehbarer Zeit ihre
Stellungen an der Wolga räumen müssen.
Es waren vor allem nicht-militärische
Gründe, die Hitler aus der Sicht der
Generäle starrhalsig und den Umständen zum Trotz an der Eroberung Stalingrads festhalten ließen. Wochenlang
hatte die NS-Propaganda den Fall der
Stadt, die den Namen des personifizierten Erzfeindes trug, vorweggenommen. Ein Abbruch der Kämpfe würde
ihn, so musste Hitler befürchten, mit
dem Odium des Verlierers belasten.
Dieser Umstand wog umso schwerer,
als die für die Meinungsforschung
zuständigen Stellen des NS-Staates
seit Monaten Risse im Führermythos,
eine tragende Säule von Hitlers Herrschaft, registrierten. Aus machtpolitischen Gründen, aber auch wegen der
Signalwirkung auf die mit dem Reich
Verbündeten, kam ein Abbruch der
Offensive für ihn nicht in Frage.
Artillerieeinsatz (10,5-cm-leichte Feldhaubitze 18) beim Angriff auf das Stadtgebiet.
Bundesarchiv Bild 101/218/529/6A
Indem es ihr gelungen war, den deutschen Vormarsch zu verlangsamen,
hatte die Rote Armee Zeit für den
Ausbau der Verteidigung gewinnen
und Reserven bilden können. Seit Mitte
Oktober liefen auf sowjetischer Seite
die Planungen für eine Gegenoffensive. Es konnte wenig überraschen,
dass als Ansatzpunkte die schwächsten
Stellen der deutschen Front, die Verbündeten, gewählt wurden. In ihren
Planspielen bereitete die sowjetische
Führung eine großräumige Zangenoperation vor, mit der sie die 6. Armee und
die 4. Panzerarmee einkesseln und vernichten zu können hoffte. Unter Zuführung frischer Kräfte sollte die Offensive bis zur Zerschlagung der deutschen und verbündeten Truppen am
Mittelauf des Don ausgeweitet werden.
Ein daran anschließender Stoß in Richtung Rostow zielte schließlich darauf,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
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Stalingrad
3Der Winter beginnt. Infanterie im Straßenkampf.
der Heeresgruppe A den Rückzug
abzuschneiden und somit den gesamten Südflügel der deutschen Ostfront
zum Einsturz zu bringen. Der von den
drei für die Operation vorgesehenen
Heeresgruppen besetzte 850 Kilometer lange Frontabschnitt wies, abgesehen von einer starken Massierung
an Luftstreitkräften, eine im Vergleich
zur gesamten Ostfront nur leicht überdurchschnittliche Kräftekonzentration
auf. Die Planungen sahen jedoch eine
konsequente Schwerpunktbildung vor:
Beispielsweise verfügte die sowjetische
Südwestfront bei einer Frontlänge von
250 Kilometer über Verbände in einer
Stärke von insgesamt 25 Divisionen; 12
davon wurden auf einen nur 22 Kilometer breiten Durchbruchsraum konzentriert.
Die Einschließung
A
m frühen Morgen des 19. November 1942 traten 30 sowjetische Divisionen aus ihren
Brückenköpfen Kletskaja und Bolschoi
30 zum Angriff gegen die rumänische
3. Armee an, durchbrachen deren Front
und standen am Abend desselben Tages 35 Kilometer tief in der Flanke
der 6. Armee. 24 Stunden später überwanden zwei sowjetische Armeen im
Raum südlich von Iwanowka innerhalb weniger Stunden die Linien des
rumänischen VI. Armeekorps. Der Vormarsch der gegnerischen Panzerspitzen schritt so schnell voran, dass das
Oberkommando der 6. Armee seinen
Gefechtsstand in Golubinski fluchtartig und unter chaotisch anmutenden
12
Szenen verlegen musste. In der Nacht
vom 21./22. nahm eine Vorausabteilung des sowjetischen 26. Panzerkorps
die Don-Brücke bei Kalatsch handstreichartig in Besitz und bildete einen
Brückenkopf jenseits des Flusses – im
Rücken der 6. Armee. Kurz darauf
wurde die von Rostow nach Stalingrad führende Bahnlinie, die Lebensader der 6. Armee, unterbrochen. Am
frühen Nachmittag des 23. trafen die
Angriffskeile bei Sowjetski aufeinander. Etwa 22 Divisionen und über
160 selbstständige Truppenteile der
6. und Teile der 4. Panzerarmee, aber
auch Rumänen und Zehntausende sogenannter russischer ›Hilfswilliger‹,
die im Dienste der Wehrmacht standen, waren eingeschlossen worden. Da
die sowjetische Führung mit sofortigen
Ausbruchsversuchen rechnete, wurde
der äußere Einschließungsring um 150
bis 200 Kilometer nach Westen vorgeschoben. Die Südwest- und die Woronesch-Front wurden angewiesen, Stöße
sowohl nach Süden auf Rostow als
auch nach Westen in Richtung Lichaja
gegen die italienische 8. Armee zu
führen. Die Liquidierung des Kessels,
die ursprünglich für den 10. Dezember vorgesehen war, wurde vorerst verschoben.
Das Risiko, das von der schwachen
Don-Front ausging, war Hitler und
seinen Generälen bekannt gewesen.
Da jedoch aus strategisch-operativen
Gründen eine Schwächung der Heeresgruppe A oder die Verlegung von
Kräften etwa aus dem Westen nicht
in Betracht kam, hatte sich Hitler statt
Maßnahmen zu ergreifen auf Weisungen beschränken müssen, die im Kern
den Kampf bis zur letzten Patrone forderten. In ihrer Feindlagebeurteilung
war die Abteilung Fremde Heere Ost im
Generalstab des Heeres zwar von der
grundsätzlichen Fähigkeit der Roten
Armee zu großräumigen Angriffsoperation ausgegangen, hatte deren Zielsetzungen jedoch im Mittel- und Nordabschnitt vermutet. Die Halbherzigkeit, mit der in den Folgemonaten
die Don-Verteidigung vorangetrieben
worden war, wird somit plausibel.
Erst um die Monatswende zum
November hatte das Bild der Feindlage
vor der Heeresgruppe schärfere Konturen angenommen. Doch nicht nur der
Zeitpunkt, sondern auch der tatsäch-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Bundesarchiv Bild 101/732/129/27
liche operative Schwerpunkt des Gegners waren den Experten der Feindaufklärung verborgen geblieben. Klarheit
darüber war erst eine Woche vor dem
Beginn des sowjetischen Angriffs eingetreten. Die von der Heeresgruppe nun
hektisch eingeleiteten Maßnahmen sollten sich als der berühmte Tropfen auf
den heißen Stein erweisen. Überhaupt
scheint das Ausmaß der sowjetischen
Offensive jenseits der Vorstellungswelt
der zuständigen deutschen Stellen gelegen zu haben: Die Möglichkeit einer
doppelt angelegten Einschließungsoperation war Fremde Heere Ost erst am
18. November zu Bewusstsein gekommen!
Obwohl sofort erkannt wurde, dass der
sowjetische Angriff auf die Einschließung der 6. Armee zielte, wirkte die
deutsche Führung aus der Rückschau
betrachtet wie gelähmt. Zwar begann
die 6. Armee umgehend damit, sich
angesichts der taktischen und logistischen Lage »einzuigeln«, bei gleichzeitiger Vorbereitung eines Ausbruchs nach
Südwesten. Doch alle weiterreichenden
Reaktionen des Armeeoberkommandos
und der Heeresgruppe auf die grundlegende Lageänderung hingen von den
Weisungen Hitlers und des Oberkommandos des Heeres (OKH) ab. Paulus‘
Ersuchen um Handlungsfreiheit beantwortete Hitler zunächst mit inhaltsleeren Weisungen, die jedoch erkennen
ließen, dass er nicht den Ansatz eines
Ausbruchs zur Lösung der Krise verfolgte. Hitlers Meinungsbildung wird
sich nicht mehr exakt rekonstruieren
lassen. Sie dürfte nicht nur von politischen Prestigeerwägungen bestimmt
gewesen sein. Hinzu kam Hitlers dogmatische Überzeugung, dass Halten
allemal besser sei als Weichen – eine
Auffassung, die sich der Diktator nach
den Erfahrungen des Vorjahreswinters
angeeignet hatte. Schließlich verkannten
Hitler und seine militärischen Berater
die Wucht des sowjetischen Angriffs.
Er überschätzte die eigenen operativen
Möglichkeiten und ging von der irrigen
Annahme aus, dass sich das Beispiel
der fast viermonatigen Luftbrücke nach
Demjansk auf die nun eingetretene Situation übertragen ließ.
In klarer Kenntnis der bedrohlichen Entwicklung im Südabschnitt der Ostfront
ernannte Hitler am 20. November Gene-
ralfeldmarschall von Manstein zum
Oberbefehlshaber der neu zu bildenden Heeresgruppe Don. Manstein, der
wegen seiner operativen Erfolge während des Sommerfeldzuges das besondere Ansehen Hitlers genoss, wurden
die 4. Panzer- und die 6. Armee sowie
die Reste der beiden rumänischen
Armeen unterstellt. Mansteins Einweisung im Stab der Heeresgruppe B
erfolgte am 24. November. Im Gegensatz zu den vor Ort verantwortlichen
Oberbefehlshabern des Heeres und der
Luftwaffe legte Manstein zunächst eine
große Zuversicht hinsichtlich der Versorgungsmöglichkeiten und des Durchhaltevermögens der 6. Armee an den
Tag. Dabei war Manstein nicht einmal
über die Gesamtzahl der im Kessel
befindlichen Soldaten genau informiert. Zu einer ersten Aussprache mit
dem Oberbefehlshaber der zuständigen Luftflotte 4 fand Manstein erst drei
Tage nach dem Abfassen seiner ersten
Lagebeurteilung die Zeit. Doch genau
die bestärkte fatalerweise Hitler in der
ihm psychologisch genehmen Auffassung, die 6. Armee in Stalingrad zu
belassen.
Ausbruch oder Entsatz?
E
benfalls am 24. November verpflichtete Hitler Paulus zum
Ausharren bis zum Entsatzangriff. Bis dahin sollte die 6. Armee
aus der Luft versorgt werden. Der
Oberbefehlshaber beurteilte die Leistungsfähigkeit der Luftwaffe und die
Möglichkeiten zum Schlagen eines Korridors zur eingeschlossenen Armee
skeptisch. Manstein ermahnte Paulus
zum Gehorsam: »Der Befehl des Führers entlastet Sie von der Verantwortung, die über die zweckmäßigste
und willensstärkste Durchführung des
Befehls des Führers hinausgeht. Was
wird, wenn die Armee in Erfüllung des
Befehls des Führers die letzte Patrone
verschossen haben sollte, dafür sind sie
nicht verantwortlich.« Ausgerechnet
Manstein, der im Heer größte Autorität
genoss und dem mitnichten eine naive
Führergläubigkeit unterstellt werden
kann, gab ein Beispiel dafür ab, dass aus
seiner Sicht Hitler nicht nur Oberster
Befehlshaber der Soldaten war. Zumindest für einen Teil der Wehrmachtgeneralität war der Diktator auch zur
Stalingrad – Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges?
Viele der Zeitgenossen empfanden die
Niederlage an der Wolga als eine
tiefe Zäsur des Krieges. Doch leitete
der Untergang der 6. Armee eine
Wende des Kriegsverlaufs insgesamt
ein? Eine solche Vorstellung gründet
auf der Annahme, dass sich die
Wehrmacht bis dahin auf der Straße
des Sieges befunden habe. Insofern
stellt Stalingrad das Ereignis dar, von
dem ab sich ein dahin vermeintlich
gewinnbarer Krieg nun in einen aussichtslosen gewandelt habe. Aus der
rückschauenden Perspektive des Historikers sind an dieser Sichtweise
Zweifel angebracht. Der Lauf der
Geschichte folgt zwar keinen Gesetzmäßigkeiten, die Entwicklungen und
Ereignisse quasi vorherbestimmen. Es
dürfte für das Deutsche Reich jedoch
kaum eine reale Chance gegeben
haben, den Krieg als Ganzen im
Sinne Hitlers siegreich zu beenden.
Als einige Gründe seien erwähnt: die
Maßlosigkeit der Hitlerschen Ziele,
die frühe Ausweitung zum Weltkrieg,
die personelle und materielle Überlegenheit der Alliierten, der amerikanische Vorsprung in der Nuklearwaffenentwicklung und schließlich die feste
Entschlossenheit der Alliierten, den
ihnen aufgezwungenen Krieg nicht
vor einer deutschen Niederlage zu
beenden (Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation). Betrachtet
man hingegen den Verlauf der Kriegsereignisse im Osten, so gilt dieser
Befund nur eingeschränkt. Zweimal,
im Herbst 1941 vor Moskau und im
Sommer 1942 im Südabschnitt der
Front, hatte ein Zusammenbruch der
Roten Armee im Bereich des Möglichen gelegen. Mit der Niederlage
von Stalingrad hatte die Wehrmacht
jedoch endgültig die Fähigkeit verloren, vergleichbare strategische Entscheidungssituationen noch einmal
herbeizuführen. Stalingrad markierte,
wie es der Historiker Bernd Wegner
formuliert hat, »den Schlusspunkt
eines Prozesses sich verringernder
Siegesoptionen im Osten«. Seit dem
Frühjahr 1943 begründeten auch operative Teilerfolge keine Hoffnungen
mehr auf einen Sieg im Osten. Zu
dieser Einsicht kamen auch Hitler und
seine militärischen Berater – entgegen
allen offiziellen ›Endsieg‹-Verlautbarungen. Es gehört zu den herausragenden Merkmalen der Kriegführung
des ›Dritten Reiches‹, dass die Einsicht
in die Niederlage keine Wende, sondern das Gegenteil, die weitere Radikalisierung der Kriegsanstrengungen,
auslöste. Nach Stalingrad sollte der
Krieg noch weitere zweieinviertel
Jahre dauern. Und es folgten Monate,
in denen mehr deutsche Soldaten
denn Tod fanden als in den Monaten
um die Jahreswende 1942/43.
Lufttransport im Winter. Bei der Versorgung Stalingrads gingen 269 Ju 52 verloren.
Bundesarchiv Bild 101/540/403/9
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
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Stalingrad
osten aufzurollen. Mansteins überlieferte Äußerungen lassen den Eindruck
entstehen, dass dieser selbst nicht von
der Möglichkeit eines durchschlagenden Erfolges des unter der Bezeichnung »Wintergewitter« anzusetzenden
Entsatzangriffs überzeugt war. Tatsächlich stellte sich heraus, dass das Unternehmen angesichts der vorhandenen
Kräfte und der operativen Lage von
vornherein zum Scheitern verurteilt
war. Am 12. Dezember begann das
LVII. Panzerkorps den Angriff über
die Entfernung von 120 Kilometern.
Am 19. gelang es, zwei Brückenköpfe
über den Fluss Myschkowa zu bilden;
mit letzter Kraft, wie sich kurz darauf
zeigen sollte. Wenig mehr als 50 Kilometer vom Südrand des Kessels entfernt blieb der Entsatzangriff liegen.
Das Unmögliche sollte versucht werden und im Nachhinein erscheint das
Unternehmen wie eine Demonstration, alles zum Freischlagen der 6.
Armee unternommen zu haben. Vergeblich versuchte Manstein Hitler dazu
zu bewegen, den Gesamtausbruch der
6. Armee nach Südwesten (»Donnerschlag«) zu befehlen.
moralisch höchsten Instanz geworden.
Viele Soldaten betrachteten die Einschließung nur als vorübergehend und
schenkten der von der Armeeführung
ausgegebenen Parole »Drum haltet aus,
der Führer haut uns raus« zunächst
Glauben. Für den Kommandierenden
General des LI. Korps, General von
Seydlitz-Kurzbach, bedeutete militärische Verantwortung aber mehr als
deren Verengung auf den reinen Gehorsam. Dem Grundsatz zu selbständigem Handeln insbesondere in Krisensituationen verpflichtet, forderte
er in einer an Paulus gerichteten
Denkschrift: Angesichts der zu erwartenden »völligen Vernichtung von
200000 Kämpfern und ihrer gesamten
14
Materialausstattung« gebe es für die
Armee »keine andere Wahl«, als »sich
die durch den bisherigen Befehl verhinderte Handlungsfreiheit selbst zu
nehmen«! Der Appell blieb wirkungslos; das Zeitfenster schloss sich. Mit
jedem Tag, der verstrich, verringerten
sich die logistischen Möglichkeiten der
Armee, mit eigener Kraft den Einschließungsring zu öffnen bzw. aus diesem
auszubrechen.
Am 1. Dezember erteilte Hitler der
Heeresgruppe Don die Weisung, mit
der Masse der Kräfte der 4. Panzerarmee ostwärts des Don aus dem
Raum Kotelnikowski anzugreifen und
die gegnerischen Kräfte nach Nord-
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Warum riskierte Paulus nicht spätestens jetzt, auf dem Höhepunkt der Entsatzoffensive, eigenmächtig den Aus
bruch? Der Befehlswirrwarr, der sich
zwischen Hitler, dem Generalstab des
Heeres, Manstein und der 6. Armee
entwickelte, dürfte ihn nicht davon
abgehalten haben. Die taktische und
logistische Lage der 6. Armee hatte
»Donnerschlag« längst alle Voraussetzungen genommen. Betriebsstoff- und
Munitionsmangel schränkten den Wirkungsradius derart ein, dass bei einem
Ausbruchsversuch schon nach wenigen
Kilometern Panzer, Geschütze, Kraftfahrzeuge und schweres Gerät hätten
stehen gelassen werden müssen. Das
Absetzen der Armee als Ganze bei allenfalls kurzfristiger Verbindung mit den
Entsatzkräften bezeichnete Paulus am
21. Dezember als »Katastrophenlösung«. Paulus, dem die Aussicht vor
Augen stand, dass sich die Truppe
durch die deckungslose Steppe gegen
einen materiell und personell überlegenen Gegner hätte durchschlagen
und dabei eine große Zahl Verwundeter hätte zurücklassen müssen, wusste
scheinbar noch nicht, dass »Wintergewitter« gescheitert war!
notwendig, da Auflösung an einzelnen
Stellen schon beginnt.« Indirekt stellte
Paulus damit die Frage nach der Einstellung der Kämpfe. Auch Manstein
regte in einem Ferngespräch mit Hitler
Verhandlungen mit der Roten Armee
an, sofern diese sich zur Einhaltung
der Genfer Konventionen verpflichtete.
Hitlers Reaktion war kurz und bündig:
»Eine Kapitulation der 6. Armee ist
schon vom Standpunkt der Ehre aus
nicht möglich [...]«.
General Paulus (rechts) und Gen.Major v. Seydlitz-Kurzbach auf einer Beobachtungsstelle im nördl. Abschnitt Stalingrads. Aufnahme: PK-Berichter Jesse / Bundesarchiv Bild 71/70/73
Der Alternative Kapitulation oder Vernichtung konnte die 6. Armee zu
diesem Zeitpunkt nicht mehr entrinnen. Die dramatischen Veränderungen
der operativen Gesamtlage in der letzten Dezemberdekade zerstörten alle
Illusionen. Am 16. Dezember hatte die
Rote Armee die Front im Bereich der
italienischen 8. Armee durchbrochen,
die mangels eigener Reserven und trotz
großer Verluste den Angriff nicht abriegeln konnte. Manstein erkannte, dass er
der 6. Armee angesichts der Kräfteverhältnisse vor der Front seiner Heeresgruppe und der sich alsbald abzeichnenden sowjetischen Umfassungsoffensive gegen seinen linken Flügel
nicht mehr helfen konnte. Am Heiligen
Abend musste die 4. Panzerarmee ihre
Stellungen an der Myschkowa unter
dem Druck weit überlegener Feindkräfte aufgeben.
Das Sterben der 6. Armee
H
atte man sich bis dahin trügerischen Hoffnungen, die
durch verzerrte Lagedarstellungen von außen genährt worden
waren, hingegeben, so setzte in der
Führung der 6. Armee nun Resignation ein. Über 240000 Mann umfasste
die Armee zu diesem Zeitpunkt noch,
davon allenfalls ein Zehntel Infanteristen. Die Zahl der auf den Lagekarten eingetragenen Verbände stand
in keinem realen Verhältnis zu ihrer
tatsächlichen Kampfkraft. Mit den
vorhandenen Kräften würde man, wie
Paulus am 26. Dezember Manstein
meldete, keinem massierten Angriff
der Roten Armee standhalten können.
Und trotzdem: Als am 8. Januar 1943
der Oberbefehlshaber der sowjetischen
Don-Front, Generalleutnant Rokossowski, die 6. Armee zur Kapitulation
aufforderte, bat Paulus Hitler erneut
um Handlungsfreiheit, hoffte auf Entsatz und befahl seinen Soldaten die
Fortsetzung des sinnlosen Widerstandes. Nach heftigem Artillerieeinsatz
begann am 10. Januar der Angriff
gegen die Nordwest- und Südfront des
Kessels. In weniger als einer Woche
wurde dieser auf ungefähr ein Drittel
seines früheren Umfangs eingeengt,
wenngleich Paulus und sein Stab
den Zusammenhalt ihrer zusammenschmelzenden Verbände wahren und
die Aufspaltung des Kessels verhindern konnten. Die großenteils unbeweglich gewordenen schweren Waffen
mussten meist zurückgelassen werden.
Als der Roten Armee am 22. Januar
ein breiter und tiefer Durchbruch der
Südwestfront gelang, fragte Paulus
in einem Funkspruch an das OKH:
»Welche Befehle soll ich den Truppen
geben, die keine Munition mehr haben
und weiter mit starker Artillerie, Panzern und Infanteriemassen angegriffen werden? Schnellste Entscheidung
Wochenlang unternahm das VIII. Fliegerkorps, dessen Kräfte auch andernorts in die Kämpfe eingreifen mussten,
große Anstrengungen, die 6. Armee aus
der Luft zu versorgen. Die Besatzungen flogen ohne Rücksicht auf klimatische Bedingungen und die sowjetische Luftabwehr. Die Luftwaffe verlor
in den Kämpfen um Stalingrad vom
24. November bis zum 3. Februar über
7200 gefallene und vermisste Soldaten
des nichtfliegenden und etwa 1000 Soldaten des fliegenden Personals. 168
Flugzeuge wurden total zerstört, 112
galten als vermisst und 215 Maschinen
hatten Bruch gemacht. Doch der Munitions- und Betriebsstoffverbrauch lag
um ein Vielfaches höher als der eingeflogene Nachschub. Seit dem 5. Januar war die 6. Armee praktisch unbeweglich und konnte streckenweise
nicht einmal mehr den eigenen Versorgungsbetrieb aufrechterhalten. Das
mit Abstand schlimmste Problem war
die zusammenbrechende Versorgung
der Soldaten mit Verpflegung. »Seit
Wochen bekommen wir 200g Brot,
15g Fett und 40g Kunsthonig für den
Tag«, hatte ein Soldaten bereits am
19. Dezember nach Hause geschrie-
Deutsche Soldaten
im Kessel
von Stalingrad,
Dezember 1942.
Bundesarchiv
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
15
Stalingrad
Soldatentums. Einem Funkspruch vom
25. Januar zufolge wurde die Hakenkreuzfahne auf dem höchsten Gebäude
des Stalingrader Stadtkernes gehisst,
»um unter diesem Zeichen den Kampf
zu führen«. Tags zuvor hatte die Armee
»grauenhafte Zustände« im Stadtgebiet von Stalingrad gemeldet: Starkem
feindlichen Artilleriefeuer fast pausenlos ausgesetzt, suchten »etwa 20000
unversorgte Verwundete« in den Häuserruinen Schutz; dazwischen »ebenso
viele Ausgehungerte, Frostkranke und
Versprengte meist ohne Waffen«.
ben: »Pferdefleisch ist selten geworden; außerdem kann man es auch nicht
roh essen; denn mitten in der baumlosen Steppe gibt es kein Brennholz«.
In den folgenden Wochen trieb der
Hunger die Soldaten zur Verzweiflung: Augenzeugen berichten, dass
zum Schluss sogar das für den menschlichen Körper ungenießbare Hartöl aus
der Metallverarbeitung als Delikatesse
gehandelt wurde. Am 28. Januar ordnete die Armee an, an Verwundete und
Kranke keine Verpflegung mehr auszugeben, damit, so die Begründung, »die
Kämpfer erhalten blieben«. Die Soldaten hausten in mehr oder weniger ausgebauten Stellungen und Erdbunkern.
Unterernährung, fehlendes Heizmaterial und in vielen Fällen eine unzureichende Bekleidung ließen die Soldaten bitterlich frieren. Die durchschnittlichen Temperaturen, die tagsüber bei
0 bis minus 5 Grad und nachts bei
minus 10 Grad lagen, wurden, auch
wegen des schneidenden Steppenwindes, noch kälter empfunden als sie
ohnehin schon waren. Katastrophale
hygienische Bedingungen hatten zur
Folge, dass die Armee zunehmend verlauste. Schon vor der Einschließung
im November waren Fälle von durch
Ungeziefer übertragenem Fleckfieber
und andere Infektionskrankheiten aufgetreten, die in den Kriegsgefangenenlagern Zehntausende Opfer fordern
sollten. Der Umstand, dass eine Kompanie am 23. Januar für den Marschweg von nur vier Kilometern Luftlinie
von morgens 6 Uhr bis in die Abenddämmerung benötigte, veranschaulicht
den körperlichen Verfall der Soldaten.
Katastrophal waren die psychologi-
16
schen und logistischen Folgen des Verlustes der Flugplätze. Als sich die Front
dem verbliebenen Flugplatz Gumrak,
in dessen Nähe sich das zentrale Lazarett des Kessels befand, näherte, spielten sich apokalyptische Szenen ab:
Abfliegende Maschinen wurden von
Verwundeten gestürmt; nur mit vorgehaltener Waffe konnte mitunter die
Passagierzahl verringert und dadurch
der Start ermöglicht werden. Ein Arzt
erinnert sich an die Fahrt von Gumrak
in die Stadt: »Auf dem ausgefahrenen,
vereisten Weg nach Stalingrad [...] lagen
an den Straßen überall und in grauenhaftem Umfang Verwundete, Erfrorene und Erfrierende, die unseren langsam fahrenden Wagen den Weg mit
ihren Leibern versperrten, die sich
mitten auf die Fahrbahn gewälzt hatten. Ihre Schreie, sie zu überfahren
oder mitzunehmen, wiederholten sich
in ähnlichen Bildern über die ganze
Strecke.«
Hitlers Kapitulationsverbot löste bei
Paulus und seinem Stab Reaktionen
aus, die rational nur schwer zu begreifen sind. Eine Zeit lang flüchtete man
sich vielleicht in die Vorstellung, dass
der Kampf feindliche Kräfte band
und auf diese Weise zur Rettung der
Heeresgruppe A und zur Neuformierung der Abwehrfront im Süden beitrug. Mit bizarren Treuebekundungen
für »Führer« und Nationalsozialismus
versuchten Armeeoberkommando und
einzelne Truppenführer schließlich
dem Sinnlosen einen Sinn zu vermitteln. Sie stilisierten den Untergang der
6. Armee zu einem Lehrstück über die
Standhaftigkeit nationalsozialistischen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Seit der Kessel am 26. Januar aufgespalten worden war, war an einen koordinierten Widerstand nicht länger zu
denken. Welche Gedanken beherrschten die Köpfe der Soldaten, die in den
letzten Januartagen in der Trümmerund Schneewüste Stalingrads dahinvegetierten? In seinen Erinnerungen
beschrieb Joachim Wieder, der bereits
zu Beginn des Beitrages erwähnte
junge Offizier, die unterschiedlichen
Reaktionen auf die Erfahrung, dass
die soldatischen Tugenden der Tapferkeit, der Hingabe, der Treue und
der Pflichterfüllung schändlich missbraucht worden waren. Sofern die Soldaten aufgrund körperlicher und seelischer Erschöpfung nicht ohnehin der
Gefangennahme apathisch entgegen
dämmerten, habe mancher, so berichtet Wieder aus eigener Anschauung,
»in seiner Verzweiflung angesichts des
Zusammenbruchs einer ganzen Welt
von Vorstellungen und im Hinblick
auf die Sinnlosigkeit der Katastrophe
zur Pistole gegriffen und seinem Leben
ein Ende gemacht«. Nicht wenige versteckten ihre innere Angst und geistige Leere hinter »einer verkrampft soldatischen Haltung« oder gar hinter
»einer betonten Landsknechtsgesinnung«: »Wenn sie nun schon einmal
dazu verurteilt seien ›draufzugehen‹«,
erinnerte sich Wieder, »dann wollten
sie wenigstens bis zuletzt ihre Haut
teuer verkaufen und noch möglichst
viele Russen ›mitnehmen‹.« Anderen
wiederum öffneten die grauenvollen
Erlebnisse und Bilder des Unterganges
einer ganzen Armee die Augen für das
von Lüge, Hass, Gewalt, Unrecht und
Unmenschlichkeit bestimmte Regime
Hitlers und seines Krieges. Auch Wieder erkannte: »Wir hatten Wind gesät,
jetzt mussten wir Sturm ernten.«
Es muss der Spekulation überlassen
bleiben, warum Paulus nicht die moralische Stärke fand, aus eigenem Entschluss die Einstellung der Kämpfe zu
befehlen, obwohl er als Armeeoberbefehlshaber bei anderen Anlässen charakterliche Integrität bewiesen hatte.
Die Initiative dazu blieb schließlich den
Kommandierenden Generalen, Divisions- und Regimentskommandeuren
überlassen. Einige Offiziere versuchten, sich mit kleineren Kampfgruppen
über Hunderte von Kilometern zu
den eigenen Linien durchzuschlagen.
Die Generalkommandos des IV. und
LI. Korps gaben Weisungen aus, die
es ihren Kommandeuren freistellten,
je nach örtlichen Verhältnissen den
Kampf einzustellen. Andere, wie der
Kommandierende General des VIII.
Korps, befahlen noch in den letzten
Tagen, dass jeder, der kapituliere oder
die weiße Fahne zeige, zu erschießen
sei. In Lethargie gefallen, war der Oberbefehlshaber der 6. Armee weder fähig,
das sinnlose Blutvergießen zu verhindern, noch Hitlers Forderung nach
Selbstmord nachzukommen. Die hatte
der Hitler subtil in Paulus’ Beförderung
zum Generalfeldmarschall gekleidet.
Der Rest des Stabes der 6. Armee hatte
Unterschlupf bei der 71. Infanteriedivision gefunden, die ihren Gefechtsstand in einem ehemaligen Kaufhaus
im Stadtzentrum Stalingrads eingerichtet hatte. Deren Kommandeur nahm
am 30. Januar Verbindungen mit der
sowjetischen Seite auf. Nach kurzen
Verhandlungen, denen Paulus‘ Chef
des Stabes beiwohnte, an denen der
Oberbefehlshaber jedoch keinen Anteil
hatte, wurden am darauffolgenden Tag
die Kämpfe eingestellt. Formell kapitulierte die 6. Armee nie, ihr Oberbe-
fehlshaber begab sich ausdrücklich nur
als Privatperson in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Im Nordkessel kämpften die Reste des XI. Armeekorps
noch zwei Tage länger einen sinnlosen
Kampf.
Mit letzter Gewissheit wird sich nicht
mehr feststellen lassen, wie viele Soldaten im Kessel umkamen; zu stark weichen die amtlichen Unterlagen, so sie
denn noch vorhanden sind, voneinander ab. Jüngeren Schätzungen zufolge
wurden etwa 195000 deutsche [!] Soldaten im November 1942 eingeschlossen. 25000 von ihnen wurden im Laufe
der Kämpfe ausgeflogen, vermutlich
60 000 starben im Kessel. Von den geschätzten 110 000, die Anfang Februar
den langen Weg in die Gefangenschaft
antraten, kamen schon auf dem Marsch
in die ersten Lager und Lazarette wahrscheinlich 17 000 ums Leben. Zehntausende sollten der körperliche Erschöpfungszustandstand und Krankheiten
in den Folgemonaten dahinraffen. Nur
etwa 5000 ehemalige Stalingrad-Kämpfer kehrten Jahre später in ihre Heimat
zurück.
Die Meldungen vom Ende der 6. Armee
lösten im Reich lähmendes Entsetzen
aus. Seit Spätsommer 1942 hatte das
Thema Stalingrad die deutsche Öffentlichkeit beherrscht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man den Menschen vorgegaukelt, dass der Krieg gewonnen, aber
nur noch nicht beendet sei. Die Angst
vor einem Stimmungsumschwung ließ
Hitler und seine Paladine vor radikalen Maßnahmen, um die personellen
und materiellen Ressourcen für den
Krieg zu mobilisieren, zurückschrecken. Goebbels‘ berüchtigte Berliner
Sportpalastrede am 18. Februar und
das hysterische Umjubeln seines »Wollt
Ihr den totalen Krieg?« durch die ausgesuchten Zuhörer war denn auch nur
ein propagandistischer Budenzauber.
Das Spektakel konnte die tiefgreifende
Vertrauenskrise des Regimes in großen
Teilen der Bevölkerung nicht beseitigen. Stalingrad bedeutete vor allem
eine psychologische Wende, eine Zäsur
in den Köpfen der Menschen: Die
einen sahen sich durch das Beispiel
der 6. Armee zum Einsatz aller Kräfte
verpflichtet, die anderen erkannten in
dem Ereignis den Anfang vom Ende.
Manche wollten ihre Haut so teuer wie
möglich verkaufen, andere versuchten
das Leben so lange und so gut wie
möglich zu genießen. Die Masse indes
klammerte sich an jeden Hoffnungsschimmer, um nach weiteren Niederlagen in Apathie und Resignation zu
verfallen.
n Andreas Kunz
Literatur:
Torsten Diedrich, Friedrich Paulus – Patriot in
zwei Diktaturen, in: Ronald Smelser/Enrico
Syring (Hg.), Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen, 2. Aufl.,
Berlin 1998, S. 388–405
Jürgen Förster (Hg.), Stalingrad. Ereignis, Wirkung, Symbol, 2. Aufl., München 1992
Manfred Kehrig, Stalingrad. Analyse und Dokumentation, 3. Aufl., Stuttgart 1979
Bernd Wegner, Der Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43, in: Das Deutsche Reich und der
Zweite Weltkrieg. Hg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd 6, Stuttgart 1990,
S. 761-1092
Joachim Wieder, Stalingrad und die Verantwortung des Soldaten, München 1962
Peter Steinkamp, Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, in: Gerd R. Ueberschär (Hg.), Hitlers
militärische Elite, Bd 2: Vom Kriegsbeginn
bis zum Weltkriegsende, Darmstadt 1998,
S. 161-168
Marsch in Gefangenschaft und Tod, Stalingrad 1943.
akg-images/sign. 9-1943-1-31-A2-4
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
17
Stalins V-2
Der Transfer
der deutschen
Raketentechnik
in die UdSSR
Stalins V-2
E
Grafik: Der Spiegel 3/2000, S. 42
nde Januar 1959 vermeldete
V-Mann Nr. 9771 Folgendes an
seinen BND-Führungsoffizier:
Auf der Bahnstrecke Lychen-Fürstenberg, 80 Kilometer nördlich von Berlin,
entlud eine sowjetische Einheit auf
freier Strecke »sehr große Bomben«.
Der Agent hatte einen bis heute wenig
bekannten Vorgang beobachtet. Zur
Jahreswende 1958/59 ließ die UdSSR
erstmals weitreichende Atomraketen
außerhalb ihres Territoriums stationieren. Zu diesem Zweck befahl der sowjetische Generalstab die Verlegung der
72. Raketenbrigade in den Großraum
Berlin. Die 635. Raketenabteilung der
Brigade bezog mit zwei Abschussrampen und sechs Raketen des Typs
R-5M (NATO-Code »SS-3 Shyster«)
bei Fürstenberg/Havel Stellung. Im 20
Kilometer entfernten Vogelsang lag die
638. Raketenabteilung mit ebensoviel
Fernkampfgeschossen. Jede der zwölf
Raketen war in der Lage, einen nuklearen Gefechtskopf mit einer Sprengkraft von 300 Kilotonnen TNT über
eine Reichweite von 1200 Kilometern
zu befördern. Mit diesem atomaren
Potential konnte die UdSSR erstmals
Bonn, Brüssel, Paris und London real
mit nuklearen Schlägen bedrohen.
Die Abbildung illustriert die Reichweite der
sowjetischen R-5M. Die NATO bezeichnete
die Waffe mit dem Code »SS-3 Shyster«.
18
Grundlage für alle weiteren sowjetischen Raketenentwicklungen.
Mit den 1959 in der DDR stationierten R-5M
konnte die UdSSR erstmals strategische Ziele
in Europa wie London, Paris und Brüssel ins
Visier nehmen.
Die für die Militäraktion ausgewählte
Truppe verfügte bereits über Deutschlanderfahrung. Die 72. Raketenbrigade war im Sommer 1946 auf Befehl
Stalins im thüringischen Berka aufgestellt worden. Hier sollte sie den
Abschuss des Ausgangsmodells aller
sowjetischen Fernkampfraketen, der
deutschen V-2, erproben. Die hierfür
übergebenen Raketen stammten aus
dem Werk Nr. 3 in Kleinbodungen,
einer kleinen Ortschaft in Nordthüringen unweit der Grenze zwischen
der sowjetischen und amerikanischen
Besatzungszone. Hier und in zahlreichen anderen Orten der Sowjetischen
Besatzungszone (SBZ) arbeiteten seit
Juli 1945 deutsche und sowjetische
Spezialisten intensiv an der Wiederherstellung und Weiterentwicklung der
Raketentechnologie des untergegangenen Deutschen Reiches.
Im Oktober 1946 verließen die sowjetischen Wissenschaftler zusammen mit
308 Deutschen überraschend Deutschland in Richtung Moskau. Als 1952
die ersten deutschen Techniker in ihre
Heimat zurückkehrten, existierte in
der UdSSR bereits eine funktionierende Serienfertigung der R-1, der sowjetischen Kopie der V-2. Sie war die
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Mit der R-5M gelang der UdSSR 1956
der Einstieg in ein qualitativ neues
Waffensystem. Diese Atomrakete revolutionierte nicht nur die Militärstrategie und -technik nach 1945 – sie veränderte auch die Politik des Kalten
Krieges. Die UdSSR und USA erwarben durch nukleare Raketenwaffen die
Fähigkeit, bei der Durchsetzung ihrer
weltweiten politischen Interessen auf
direkte militärisch-konventionelle Konfrontation zu verzichten. An ihre Stelle
trat das Kalkül mit der Drohung der
Vernichtung der jeweils anderen Seite.
Das Grundmuster für ein »Gleichgewicht des Schreckens« war geboren.
Die Sowjets auf den Spuren der
deutschen V-2
D
ie Staatsführung der UdSSR
war seit Mitte der 30er Jahre
kontinuierlich über die deutschen Arbeiten zur Raketentechnik
informiert. Daran hatte der sowjetische Geheimdienst NKWD einen nicht
geringen Anteil. Ihm war es bereits
1929 gelungen, Willy Lehmann, später
SS-Hauptsturmführer und Mitarbeiter
des RSHA anzuwerben. Agent »Breitenbach« erhielt seit 1935 auch Zugang
zu Informationen über das deutsche
Raketenprogramm, die er unverzüglich nach Moskau weiterleitete.
Nach der Enttarnung der »Roten Kapelle« wurde Lehmann im Dezember
1942 verhaftet und auf Befehl Himmlers erschossen. Doch Gerüchte über
deutsche »Wunderwaffen« erreichten
weiterhin die UdSSR. Deshalb wies
Stalin 1943 seine Geheimdienste an,
genauere Angaben über die V-2 zu
beschaffen. Anfang August 1944 stießen schließlich sowjetische Truppen
auf das geräumte Raketentestgelände
Debice in Polen vor. Hier erbeuteten
sowjetische Experten erstmals Bauteile
Lehmann, Willy
(1884-1942)
SS-Hauptsturmführer/Kriminalinspektor
alias Agent »A-201«/ »Breitenbach«. Vor
und während des Zweiten Weltkrieges war
Lehmann eine der wertvollsten Quellen
des sowjetischen Geheimdienstes NKWD
in Deutschland. 1911 wurde Lehmann in
den Berliner Polizeidienst übernommen,
dort war er ab 1920 stellv. Abteilungsleiter der Spionageabwehr und wurde 1929
von der Auslandsaufklärung des NKWD
angeworben. 1933 erfolgte seine Übernahme in die Gestapo, dort war er Leiter
der Abteilung »Kampf gegen kommunistische Spionage«. Dank seiner Informationen gelang es dem NKWD u.a.,
die geplante Verhaftung des sowjetischen
Agenten Arnold Deutsch zu verhindern.
1934 trat Lehmann in die SS ein, gleichzeitig wechselte er zum Amt IV des
RSHA. Dort war er für Spionageabwehr
innerhalb der deutschen Rüstungsindustrie zuständig. Diese Tätigkeit ermöglichte es »Breitenbach«, das NKWD mit
zahlreichen Informationen über deutsche Rüstungsvorhaben zu versorgen. Im
Dezember 1942 wurde Lehmann enttarnt
und verhaftet, wenig später auf Befehl
von Himmler erschossen, der gleichzeitig
anordnete, den Fall zu vertuschen.
V-2/A-4
(Vergeltungswaffe 2/Aggregat 4)
Erste militärisch einsetzbare Fernkampfrakete, entwickelt von 1936 bis 1943 in
Peenemünde. Die 14 Meter lange Rakete
hatte einen Durchmesser von 1,65 Metern
und eine Startmasse von 12 Tonnen. Das
auf der Basis von Flüssigsauerstoff und
75% Alkohol arbeitende Triebwerk entwickelte einen Schub von bis zu 30
Tonnen. Dies reichte aus, um 975 Kilogramm Sprengstoff über eine Reichweite
von bis zu 340 Kilometern zu befördern.
Ihre geringe Treffgenauigkeit ließ jedoch
nur den Beschuss von großflächigen
Zielen, wie Paris, London, Brüssel und
Antwerpen zu. Von September 1944 bis
März 1945 wurden 3 280 V-2 im militärischen Einsatz verschossen, sie kosteten mehr als 5 000 Menschen das Leben.
Nach dem Krieg wurde die V-2 in den
USA zur »Redstone« weiterentwickelt,
während die UdSSR auf der Grundlage
der V-2 die Raketen R-1 und R-2 baute.
der V-2. Die in Polen ausfindig gemachten Raketenteile wurde unverzüglich
nach Moskau abtransportiert.
In nur fünf Tagen sollten der Sowjetführung Angaben über Größe, Leistungsvermögen, Konstruktionsaufbau und
die taktischen Daten der V-2 gemacht
werden. Bereits nach den ersten Auswertungen stand für die sowjetischen
Wissenschaftler fest, dass sie hier die
Überreste einer Waffe gefunden hatten,
die nach ihren Vorstellungen eigentlich
gar nicht existieren durfte. Im Frühjahr 1945 wurden alle vorhandenen
Erkenntnisse über die deutsche V-2 in
einem Untersuchungsbericht für die
Partei- und Staatsführung der UdSSR
zusammengefasst. Darin kamen die
sowjetischen Experten zu folgendem
Schluss: »Die Fernkampfrakete erweist
sich als gewaltige wissenschaftlichtechnische Errungenschaft, die den
Grundstein für eine neue Art der Fernartillerie legt. [...] In naher Zukunft
werden analoge Raketen, bei Verbesserung ihrer Zielgenauigkeit, Reichweite
und Sprengkraft als selbständige Gattung einer mächtigen reaktiven Fernartillerie, zur Bewaffnung der großen
Staaten gehören.«
Peenemünde
Gemeinde im Nordwesten der Insel
Usedom. Seit 1936 Sitz der Heeresversuchsanstalt, die hier unter der Leitung
von Wernher von Braun die ballistische
Fernkampfrakete A-4 (V-2) entwickeln
und erproben ließ. Ab 1938 befand sich
hier auch eine Erprobungsstelle der Luftwaffe, die vor allem Flugbomben des
Typs Fi-103 (V-1) testete. Am 17. August
1943 wurde Peenemünde durch englische
Bomber angegriffen. Im Februar 1945
wurde das Gelände der Heeresversuchsanstalt geräumt und Anfang Mai 1945
von sowjetischen Truppen besetzt. Diese
demontierten die noch vorhandenen Testanlagen und transportierten sie in die
UdSSR. Danach war Peenemünde sowjetischer Marine- und Luftwaffenstützpunkt
bis 1952, als es an die DDR übergeben
wurde. Ab den 60er Jahren war Peenemünde Stützpunkt für die 1. Flottille
und des Jagdgeschwaders 9 der NVA.
1993 erfolgte die Auflösung des dortigen
Truppenstandortes.
Noch bevor die Endfassung des Berichts Stalin vorgelegt wurde, befahl
dieser, die Entwicklung von eigenen
Raketen voranzutreiben. Währenddessen näherten sich sowjetische Truppen
der Insel Usedom. Von der Besetzung
der dort befindlichen Heeresversuchsanstalt versprach sich die UdSSR einen
bedeutenden Erkenntniszuwachs über
die deutsche Raketentechnik.
Am 5. Mai 1945 trafen erste Raketenspezialisten in Peenemünde ein, um die
verbliebenen Reste der Forschungsanlagen zu untersuchen. Bei ihren Nachforschungen stellten die Fachleute fest,
dass die meisten Prüfstände, Werkstätten, Fertigungsanlagen und Labors
weit weniger zerstört waren als angenommen. Hier noch vorhandene 150
Triebwerke für die V-2, Teile der Funksteuerung der Rakete, 25 Prüfstände
und anderes Material wurden unverzüglich in die UdSSR abtransportiert.
Doch nicht nur in Peenemünde stießen
die sowjetischen Kommandos auf die
Reste der deutschen Raketenproduktion. Auch an anderen Orten fanden
Im Oktober 1944 untersuchten sowjetische
Experten des NII-1 erstmals wesentliche Teile
einer V-2 Rakete. Nach Aussage des Raketenspezialisten Boris Čertok stand nach den
ersten Analysen fest, dass man hier Überreste einer Waffe gefunden hatte, die nach
den Vorstellungen der sowjetischen Techniker eigentlich gar nicht existieren durfte.
Quelle: RGAE
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
19
Stalins V-2
KZ Mittelbau-Dora
Am 28. August 1943 bei Nordhausen
geschaffenes Konzentrationslager. Im angegliederten unterirdischen Mittelwerk
erfolgte ab 1944 die Serienfertigung der
sogenannten V-Waffen. Bis Kriegsende
bauten die Häftlinge des KZ MittelbauDora mehr als 5 700 V-2 und 6 300
V-1. Am 1. Oktober 1944 erhielt das
KZ Mittelbau-Dora als letztes deutsches
Konzentrationslager den Status eines eigenständigen Lagerkomplexes. Von den
60000 Häftlingen, die nach MittelbauDora kamen, überlebten 20 000 nicht.
Anfang April 1945 wurde das Lager durch
US-Truppen befreit und dann im Juli
1945 an sowjetische Truppen übergeben.
Zunächst wurde es als Repatriierungs-,
dann als Umsiedlerlager verwendet. Die
Einrichtungen des Mittelwerks wurden
durch die Sowjets demontiert und die
unterirdischen Anlagen 1947 gesprengt.
Seit 1966 befindet sich auf dem Gelände
des ehemaligen KZ eine Gedenkstätte.
Suchkommandos der Roten Armee Fertigungsanlagen und Bauteile für die
V-2. Trotzdem schienen die Ergebnisse
der Suchkommandos die sowjetische
Führung nicht zu befriedigen. Es sollte
bis Juli 1945 dauern, als endlich substantielle Fortschritte erzielt werden
konnten. Anfang dieses Monats räumten amerikanische Truppen das bisher
von ihnen besetzte Südharzgebiet. Hier
befand sich in der Nähe von Nordhausen das ehemalige Mittelwerk. Dort
hatten seit August 1943 Häftlinge des
Konzentrationslagers Mittelbau-Dora
die V-2 in Serie produziert. Nach
dem Rückzug der westlichen Alliierten sollte dieses größte und wichtigste
Rüstungswerk Mitteldeutschlands in
die Hände der Sowjets fallen. Mit der
Inbesitznahme der Mittelwerke erhielt
die UdSSR schließlich den Schlüssel zur
erfolgreichen Übernahme des Knowhows der deutschen Raketentechnik.
Besetzung und Demontage der
Produktionsstätten
E
nde 1947 wurde Stalin ein Film
vorgeführt, der die Entwicklung
der ersten sowjetischen Fernrakete dokumentierte. Die sowjetischen
Filmemacher zeichneten dabei ein Bild,
das sich bis heute tief in das Bewusst-
20
sein der Öffentlichkeit eingeprägt hat:
Aufnahmen von geplünderten und
zerstörten Anlagen wurden wie folgt
kommentiert: »Die Region Nordhausen
wurde zuerst von den Amerikanern
besetzt. Die Amerikaner haben alles
Wertvolle der Raketentechnik fortgeschafft: Fertige Raketen, Dokumentationen, Laboratorien und deutsche Spezialisten. Was übrig blieb wurde zerstört. An den Produktionsstätten der
V-2 trafen sowjetische Spezialisten ein.
Sie fanden nur Trümmerberge vor«.
Dem Diktator sollte damit der Eindruck
vermittelt werden, dass die Amerikaner der UdSSR nur kümmerliche Reste
der deutschen Raketentechnik überlassen hätten. Zugleich wollten die sowjetischen Raketentechniker durch die
bewusste Irreführung Stalins zugleich
ihren eigenen Anteil an der weiteren
Raketenentwicklung hervorheben und
den vorhandenen deutschen Einfluss
herunterspielen.
Tatsächlich aber hatten sowjetische
Sonderkommandos am 5. Juli 1945 eine
unterirdische Raketenfabrik in Besitz
genommen, die im Wesentlichen noch
intakt war. Obwohl die Amerikaner
hier eine große Anzahl von Raketenteilen erbeutet hatten, waren noch Tausende von Maschinen und Geräten zur
Raketenproduktion sowie zahlreiche
Bauteile für die V-2 in den unterirdischen Hallen des Mittelwerks vorhanden. Noch bevor aus Moskau Befehle
zur weiteren Verwendung der Anlagen eintrafen, setzten die sowjetischen
Raketenspezialisten Teile der unterirdischen Produktionsanlagen wieder in
Betrieb. Bereits wenige Tage nach der
sowjetischen Besetzung des Raketenwerkes montierten deutsche Ingenieure und Techniker in einem der Stollen, unter sowjetischer Aufsicht, erste
Raketenteile. Zwischen August und
September 1945 wurde die Montage
dann in das »Werk Nr. 3« verlegt.
Im Mittelwerk hatten unterdessen erste
Demontagetrupps Einzug gehalten.
Innerhalb kürzester Zeit transportierten »Trophäenkommandos« der Roten
Armee mit 717 Waggonladungen 5647
Tonnen Maschinen, Ausrüstungen und
Raketenbauteile in Richtung Osten. Bis
Anfang 1947 ließ das für Raketentechnik zuständige Sonderkomitee Nr. 2
aus der SBZ weitere 2270 Waggons,
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
beladen mit mehr als 14258 Tonnen
Raketenbaugruppen, Halbfabrikaten,
Spezialmaschinen und zahlreichem anderen technischen Gerät, in die UdSSR
bringen. Zum Vergleich: 1945 hatten
die US-Amerikaner aus dem Mittelwerk ca. 400 Tonnen Raketenmaterial
abtransportiert und zum amerikanischen Raketentestgelände bei White
Sands in New Mexico geschafft.
Weil die UdSSR nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges eben nicht nur
deutsche Technologie und Wissenschaftler in ihre Dienste stellte, sondern in bisher nicht gekanntem Maße
die Entwaffnung des ehemaligen deutschen Gegners nutzte, um das eigene
rüstungswirtschaftliche Potential zu
vergrößern, gelang ihr nicht nur der
Erwerb ausländischer Technologie,
sondern auch deren Weiterentwicklung. Festzuhalten bleibt: ohne die
völlige Demontage der deutschen
Raketenindustrie wäre der erfolgreiche
Transfer der deutschen Raketentechnik in die Sowjetunion nicht geglückt.
Er war eine der bestimmenden Voraussetzungen für den technologischen
Sprung der sowjetischen Rüstungswirtschaft nach 1945.
Weiterentwicklungen in der
Sowjetunion
I
nsgesamt wurde durch die mehr
als 11⁄2 jährige gemeinsame Arbeit
der ca. 7000 deutschen und mehr
als 1500 sowjetischen Raketenexperten in der SBZ der Grundstock für
eine erfolgreiche und schnelle Umsetzung des Fernlenkwaffenprogramms
der UdSSR gelegt. Damit hatte sich
die taktische Entscheidung der sowjetischen Führung als richtig erwiesen, zur
Aneignung der deutschen Raketentechnologie zunächst auf das in Deutschland vorhandene wissenschaftliche und
technologische Potential zurückzugreifen. Dies war besonders wichtig, da
bis Ende 1946 in der Sowjetunion
keine Forschungs- und Infrastruktur
für eine eigene Fernlenkwaffenentwicklung vorhanden war.
Nachdem im Oktober 1946 die 308
wichtigsten deutschen Raketentechniker in die UdSSR abtransportiert
wurden, modifizierte die Sowjetunion
das bisher angewendete Konzept des
Die R-1 war eine
vereinfachte Kopie
der deutschen
V-2 und sollte die
sowjetischen
Ingenieure und
Techniker mit den
erforderlichen
Technologien zum
Bau von Fernlenkwaffen vertraut
machen.
Quelle: RKK Energija
Technologietransfers. Obwohl die UdSSR
weiter höchstes Interesse an der Fernlenkwaffentechnologie des Dritten Reiches zeigte, dachte sie nie an eine langfristige Verwendung der deutschen
Forschungskapazitäten. Die für Russland und die Sowjetunion typische
Vorgehensweise beim Erwerb ausländischer Technologie, die auf nachholenden Kompetenzerwerb ausgerichtet
war, verhinderte, im Gegensatz zu den
USA, eine weitgehende Integration der
deutschen Wissenschaftler und Technikspezialisten in die sowjetische Forschungsstruktur. 1947 hatten die in die
UdSSR verbrachten Spezialisten aus
der SBZ noch wesentlichen Anteil an
den erfolgreichen Tests der sowjetischen V-2. Danach nahmen die sowjetischen Behörden die Deutschen aus
den jeweiligen Forschungsprogrammen. Spätestens ab Ende 1948 dienten
die deutschen Spezialisten in der Sowjetunion lediglich als Ideengeber für
theoretische Projekte, die von der praktischen Umsetzung ihrer Arbeitsergebnisse ausgeschlossen blieben. Daran
sollte sich bis zum Ende ihrer Tätigkeit im sowjetischen Fernlenkwaffenprogramm 1953 nichts mehr ändern.
Die wichtigste Hinterlassenschaft der
Deutschen im sowjetischen Raketenbau war ohne Zweifel die bereits bei
ihrer Rückkehr nach Deutschland funktionierende Serienproduktion der R-1.
Diese sowjetische »Kopie« der deutschen V-2 kann als einzige raketentechnische Entwicklung der Sowjetunion gelten, an der die deutschen Fach-
leute aus der SBZ allumfassend beteiligt
waren. Bereits bei ihrer Weiterentwicklung, der R-2, betraute das Sonderkomitee Nr. 2 die deutschen Spezialisten nur noch mit sehr begrenzten Teilaufgaben. Das militärische Nachfolgemodell der R-2, die R-5, war die erste
vollständige sowjetische Eigenkonstruktion. Sie wurde ohne jede direkte
deutsche Beteiligung entwickelt. Diese
Rakete hatte bereits eine Reichweite
von 1200 Kilometern und beförderte
einen herkömmlichen Sprengkopf mit
einem Gewicht von 1,42 Tonnen. Aus
ihr wurde kurze Zeit später die R-5M,
die erste Atomrakete der UdSSR entwickelt.
Damit hatten die deutschen Wissenschaftler und Techniker einen nicht zu
unterschätzenden Anteil an der Entwicklung der 1. Generation militärischer Fernkampfraketen in der UdSSR.
Zudem arbeiteten deutsche Fachleute
auch aktiv an der Entwicklung von
Flugabwehr-Raketen sowie Luft-SchiffFlugkörpern für die sowjetischen Streitkräfte. Insgesamt waren deutsche Wissenschaftler und Techniker während
ihres Aufenthalts in der UdSSR an der
Entwicklung und am Bau von mindestens fünf verschiedenen Raketenmustern beteiligt, die später in die Bewaffnung der sowjetischen Streitkräfte aufgenommen wurden. Dies waren neben
den Fernkampfraketen der Typen R-1
und R-2 auch die Fla-Rakete S-25
»Berkut« (Adler), die Luft-Schiff-Lenkwaffe »Kometa« (Komet) und die reaktive Panzerbüchse RPG-1. Deutsche
Technologie floss mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in die Entwicklung der ersten sowjetischen Panzerabwehrlenkrakete PUR-61 »Schmel«
(Hummel) und der ersten gelenkten
Luft-Luft-Rakete K-5 ein. Demnach
beruhten die ersten militärisch einsetzbaren Fernlenkwaffen der UdSSR nach
dem Zweiten Weltkrieg zum großen
Teil auf der Technologiebasis des untergegangenen Dritten Reiches und der
Arbeit der deutschen Spezialisten in der
Sowjetunion. Wegen der erfolgreichen
Umsetzung des Konzepts des nachholenden Technologietransfers waren
jedoch bereits an der Entwicklung der
zweiten Baureihe von Fernlenkwaffen
der 1. Generation keine deutschen Spezialisten mehr direkt beteiligt.
Die UdSSR beschränkte sich aber nicht
nur auf den Bau der Raketen. Gleichzeitig beschäftigten sich ihre Politiker
und Militärs intensiv mit den Fragen
des Einsatzes für diese neuen Waffen.
Noch unter der Herrschaft Stalins kam
es zu einem umfassenden Ausbau der
Raketentruppen. Der Diktator unternahm nicht nur erhebliche Anstrengungen, um endlich Atomwaffen in die
Hand zu bekommen, sondern er versuchte in Zusammenarbeit mit seinen
Militärs auch, ein mögliches Einsatzkonzept für sie zu skizzieren. Stalin
war bestrebt, wirkungsvolle militärische und politische Pläne für den Einsatz von Nuklearwaffen mit Hilfe von
Raketen zu entwickeln. Das dies zu
seinen Lebzeiten in letzter Konsequenz
nicht gelang, war dem damaligen technischen Entwicklungsstand der sowjetischen Kernwaffen- und Raketentechnik geschuldet. Weil einsatzbereite
Atomraketen nicht zur Verfügung standen, fehlte eine umfassende Militärdoktrin für ihre Verwendung. Dennoch, und das zeigen auch die umfassenden Fortschritte nach Stalins Tod,
wurden während seiner Herrschaft in
der UdSSR die entscheidenden Grundlagen für den militärischen Einsatz von
Raketentruppen geschaffen.
Es blieb Stalins Amtsnachfolger
Chruschtschow vorbehalten, die mit
Atomwaffen ausgestatteten Verbände
der Raketentruppen als eigenständiges
Machtmittel der sowjetischen Außenpolitik zu etablieren. 1959 ordnete er im
Rahmen der zweiten Berlin-Krise erstmals ihre militärische Verwendung an.
Die Drohung mit dem Einsatz von atomaren Raketenwaffen wurde damit zu
einem bestimmenden Handlungsmuster der sowjetischen Außenpolitik in
der »heißen Phase« des Kalten Krieges.
n Matthias Uhl
Fotos: S.18, 19, 21 in: Matthias Uhl, Stalins V-2
Matthias Uhl,
Stalins V-2,
Der Technologietransfer
der deutschen Fernlenkwaffentechnik in die
UdSSR und der Aufbau
der sowjetischen
Raketenindustrie
1945 bis 1959,
Bonn 2001
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
21
Service
Das historische Stichwort
Der deutsche
Generalstab
A
m 26. August dieses Jahres
wurde durch den Bundesminister der Verteidigung der
Generalinspekteur der Bundeswehr,
General Wolfgang Schneiderhan, mit
erweiterten und nun umfassenden
Befehlsbefugnissen für die Planung,
Vorbereitung und Führung aller im
Einsatz befindlichen Verbände der Bundeswehr ausgestattet.
Historisch betrachtet ist diese Befehlsgewalt für den höchsten deutschen Soldaten jedoch keineswegs neu. Nach
der Niederlage der preußischen Armee
gegen das napoleonische Frankreich
schuf der preußische Generalquartiermeister Gerhard von Scharnhorst im
Zuge der allgemeinen Heeresreform ein
damals neuartiges militärisches Führungsorgan, das nach dem Ende der
Befreiungskriege 1813/14 offiziell den
Namen »Generalstab« erhielt. Dessen
Aufgabe bestand zunächst darin, zur
Steigerung der Führungsleistung hoher
und höchster Truppenführer wissenschaftlich gebildete und in systematischer Stabsarbeit besonders geschulte
Kaiser Wilhelm II., Hindenburg und Ludendorff vor einer Generalstabskarte im Jahre
1914. Farbige Postkarte, bpk
Generalstabsoffiziere auszubilden. Diese sollten sowohl operative als auch
logistische Aufgaben übernehmen und
so den Truppenführer entlasten und
beraten.
Nach der Ernennung des späteren
Generalfeldmarschalls Helmuth Graf
von Moltke zum Chef des preußischen Generalstabs im Jahre 1857 entwickelte sich der preußische Generalstab zur höchsten militärischen Autorität in Preußen und nach den Einigungskriegen im Deutschen Reich insgesamt.
Die von Moltke im Deutsch-Französi-
Generalmajor Henning von Tresckow. Seit 1941 im Generalstab der Heeresgruppe Mitte. bpk
22
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
schen Krieg von 1870/71 entwickelten
Verfahren der Stabsarbeit wurden für
die Arbeit in den Großverbänden bis
zum Ersten Weltkrieg und sogar bis
in die Gegenwart zum Vorbild. Insbesondere das Prinzip des »Führens mit
Auftrag« (Auftragstaktik) wird bis in
die Gegenwart hinein als erfolgreiches
Führungsverfahren angesehen. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs entwickelte
sich der Generalstab zur politisch-militärischen Führungsinstanz im Deutschen Reich und bildete zusammen
mit anderen Bestandteilen des Großen
Hauptquartiers den Hauptbestandteil
der Obersten Heeresleitung. Seit 1916
wurde der Generalstab von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und seinem Ersten Generalquartiermeister General Erich Ludendorff
geführt. Der Generalstab beeinflusste
nun zunehmend auch den politischen
und wirtschaftlichen Bereich der
Reichsleitung und dominierte bis 1918
alle Bereiche des Staatswesens. Das
Reich befand sich schließlich weitgehend in der Hand des Militärs.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dem
Deutschen Reich durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags die Beibehaltung des Generalstabs verboten.
Dieses Verbot umging die Reichswehrführung durch die Schaffung eines
»Truppenamts«, das Ausbildungs- und
Führungsfunktionen eines Generalstabes wahrnahm und damit die Voraussetzungen für den späteren Aufwuchs eines deutschen Generalstabes
Truppenamt
Bundesarchiv Bild 146/76/26/2A
Der »Große Generalstab« und die Kriegsakademie waren im Versailler Vertrag
verboten worden. Dieses Manko glich
General Hans von Seeckt, 1919/20 Chef
des Truppenamtes und danach Chef der
Heeresleitung, dadurch aus, da er im
neu geschaffenen Truppenamt für die
Siegermächte weitgehend unbemerkt
Generalstabsaufgaben wahrnehmen ließ.
Im Einzelnen handelte es sich hier um
Operationsplanung und Truppenführung.
Die Ausbildung zum
Generalstabs-/Admiralstabsoffizier an der
Führungsakademie der
Bundeswehr in Hamburg
findet heute regelmäßig
mit breiter internationaler
Beteiligung statt.
Fotos: FüAkBw
schuf. Nach der Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten im Jahre
1933 wurden dann ungeachtet des Versailler Verbots ab 1935 ganz offen das
Oberkommando der Wehrmacht und
drei Führungsstäbe der Teilstreitkräfte
Heer, Luftwaffe und Marine geschaffen, die allesamt Generalstabsaufgaben wahrnahmen. Obwohl einerseits
zahlreiche Generalstabsoffiziere maßgeblich an der operativen Planung und
Umsetzung der deutschen Kriegsvorbereitungen Anteil hatten, waren es
andererseits vor allem Generalstabsoffiziere des Heeres wie etwa Generaloberst Ludwig Beck, Generalmajor
Henning von Tresckow oder Oberst
i.G. Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die sich zu koordiniertem militärischen Widerstand gegen das NSRegime entschlossen.
Mit der bedingungslosen Kapitulation
der deutschen Wehrmacht und dem
Untergang des Dritten Reichs im Mai
1945 endete zugleich auch die mehr als
einhundertdreißigjährige Geschichte
des deutschen Generalstabs. Dieser
war von Hitler während des Zweiten
Weltkriegs zwar zunehmend entmachtet worden, wurde aber dennoch 1946
im »Nürnberger Prozeß« als verbrecherische Organisation angeklagt und
verboten, als Führungsgremium durch
den Internationalen Militärgerichtshof
aber freigesprochen.
Die Bundeswehr hält seit ihrer Gründung an der Ausbildung besonders
befähigter und ausgewählter Offiziere
zu Generalstabsoffizieren fest. In der
Nationalen Volksarmee der DDR gab
es mit dem »Hauptstab« sogar ein zentrales, Generalstabsaufgaben wahrnehmendes Planungs- und Führungsorgan, dessen Umbenennung in »Generalstab« 1982/83 nur am Veto der
Sowjetunion scheiterte. Die Bundeswehr verfügt heute mit dem Einsatzführungskommando, dem Heeresführungskommando und dem neu
geschaffenen, als Entscheidungsgremium unter Vorsitz des Generalinspekteurs tagenden Einsatzrat über
Strukturelemente, die dem klassischen
Generalstab zumindest recht nahe
kommen.
Falko Heinz/ag/ch
Generaloberst von Seeckt
Zudem wurden einzelne Abteilungen des
ehemaligen Großen Generalstabs in den
zivilen Bereich ausgegliedert, so die Eisenbahnabteilung ins Verkehrsministerium
oder die kriegsgeschichtliche Abteilung ins
Reichsarchiv. Dort konnten die Generalstabsoffiziere nun, als Zivilisten getarnt,
weiterhin ihrer Arbeit nachgehen.
Gleichwohl blieb dieser verdeckte Generalstab in der Reichswehr hinter seiner
Machtstellung im Kaiserreich zurück: An
der Spitze der Armee stand nun der
Reichswehrminister, der Chef des Truppenamts rangierte dagegen noch hinter
dem Chef der Heeresleitung.
In der Ausbildung neuer Generalstabsoffiziere zwang das Fehlen der Kriegsakademie Seeckt zu einem Kunstgriff: In
»Wehrkreisprüfungen«, einem Auswahlverfahren, dessen Schwerpunkt die Taktik auf
der Ebene des Infanterieregiments bildete,
wurden befähigte Offiziere für eine zweijährige Ausbildung bei den Gruppenkommandos ausersehen. Nur die besten dieser
Ausgewählten (ca. 15 von 70) konnten dann
noch ein drittes Jahr an einem zentralen
Lehrgang in Berlin teilnehmen. Am Ende
des Lehrgangs beendeten in der Regel nur
acht bis zehn Offiziere erfolgreich diese
anspruchsvolle Ausbildung.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
23
Service
Medien online/digital
@
Unsere Themen
im Internet
on
E
in
Klassiker
unter
den
Geschichtsnachschlagewerken
und für jeden Geschichtsinteressierten eine schier unerschöpfliche
Fundgrube ist »Der Ploetz«. In Buchform hat »Der Große Ploetz« einen
Umfang von über 2 000 Seiten, was
eine schnelle Benutzung behindert und
auch die kleinere, bebilderte Version
(der »Farbige Ploetz«) ist mittlerweile
annähernd 1 000 Seiten stark.
Nun gibt es beide Bücher auch als
CD-ROM, als Vorlage diente dabei die
jeweils aktuelle Buchausgabe. Die CD
funktioniert unabhängig von der jeweiligen PC-Plattform und kann auf allen
Systemen, die über einen Acrobat-Reader ab Version 5.05 verfügen, genutzt
werden (alle Microsoft Betriebssysteme
ab Windows 95, Apple Mac ab OS
8.6 sowie Linux und Unix Workstations). Allerdings ist das verwendete
Adobe Acrobat-Format recht langsam
bei Suchfunktionen und Seitenaufbau.
Insgesamt nutzt das Programm die
digitalen Möglichkeiten nicht voll aus.
So gibt es nur wenige Verknüpfungen
(Hyperlinks) von Textstellen innerhalb
der eigentlichen Seiten, statt dessen
blättert man durch die digitale Version
Seite für Seite wie bei einem Buch. Die
Exportfunktionen sind eingeschränkt
und funktionieren nicht immer fehlerfrei. Das Menü für Suchfunktionen auf
der Nutzeroberfläche ist gewöhnungsbedürftig und auch das Inhaltsverzeichnis ist unübersichtlich und wenig
bedienfreundlich. Immerhin kann der
Nutzer über die Werkzeuge vom Acrobat Reader die Darstellungsgröße individuell anpassen, was besonders bei
Tabellen, Grafiken und Landkarten
nützlich ist.
Neben den erwähnten Schwierigkeiten bietet der Ploetz auf CD-ROM aber
eine Reihe von Vorzügen. Eine gezielte
Suche nach einem Namen (z.B. General
24
Der Farbige Ploetz,
Düsseldorf 2002.
ISBN 3-8155-9486-3;
1 CD-ROM,
19,90 €
Der Grosse Ploetz,
Düsseldorf 2001.
ISBN 3-8155-9484-7;
1 CD-ROM,
39,95 €
Friedrich Paulus), einem Datum (z.B.
30. Januar 1943) oder einem Ort (z.B.
Stalingrad) führt mit der CD-Version
schneller und einfacher zum Erfolg als
mit dem überdicken Großen Ploetz.
Für Lehrende an Schulen oder anderen Einrichtungen ist vor allem der
Farbige Ploetz besonders geeignet. Die
vielen Tabellen, Grafiken Landkarten
und Artikel sind sehr ansprechend
gestaltet und eignen sich für Unterricht
und Ausbildung z.B., wenn es um den
Überblick zu einer Epoche geht. Der
Große Ploetz ist kaum bebildert, dafür
sind aber die Artikel deutlich umfangreicher und bieten mehr Informationen. Mit dem Printmedium gemeinsam
hat der Ploetz auf CD-ROM, dass man
ihn als gutes Nachschlagewerk sowohl
für die Vorbereitung auf den Unterricht als auch für den schnellen Überblick zu einem Thema nutzen kann.
Fazit: Sowohl der Große als auch der
Farbige Ploetz bleiben hinter den technischen Möglichkeiten zurück. Ansonsten stellen beide eine Alternative zum
Printmedium dar, weil das Nachschlagen recht einfach und schnell geht, speziell über die Suchfunktion lassen sich
Artikel leichter und schneller finden als
über den Index des gedruckten Werkes.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
line
Wer aber schon einen Ploetz als Buch
hat, braucht die digitale Version nicht –
manchmal ist weniger auch mehr.
Texte, sei es in Buchform oder als digitale Version, können oftmals nicht die
Informationen vermitteln, die Bilder,
Grafiken oder Tabellen beinhalten.
Aber auch Landkarten enthalten viele
Angaben und machen Zusammenhänge erst deutlich, die ein geschriebener Text nur sehr schwer beschreiben
kann. Daher haben viele historisch Interessierte in ihrem Bücherregal einen
speziellen Geschichts-Atlas stehen.
Klassiker wie der »Bayerische Schulatlas« oder der »Putzger« sind zwar sehr
bewährt, haben allerdings auch ihren
Preis.
Eine preisgünstige und faszinierende
Alternative bietet auch hier das Internet. Wer Ansichten über die politische
oder wirtschaftliche Entwicklung deutscher Länder, einzelner Regionen oder
Europas sucht, findet unter
www.ieg-maps.uni mainz.de
die passende Karte. Die farbigen übersichtlichen, klaren und teilweise sogar
animierten Landkarten, die das Ins-
titut für Europäische Geschichte in
Mainz präsentiert, sind nicht nur wunderschöön anzuschauen, sondern auch
hochinteressant. So kann man auf ihnen
erkennen, wie einzelne Staaten sich
territorial ausdehnten, welche Gebiete
z.B. nach Kriegen den Besitzer wechselten, ja sogar, wann welche Stadtteile
einzelnen Großstädten eingemeindet
wurden. Diese Seite ist für alle diejenigen ein Muss, die über die in den letzten Jahren vielfältigen Veränderungen
auf der politischen Landkarte Europas
informiert sein wollen.
3www.ieg-maps.uni mainz.de
3
Waldemar Grosch,
Geschichte im Internet.
Tipps, Tricks und Adressen,
Schwalbach/Ts. 2002.
ISBN 3-87920-065-3;
167S.,
10,-€
Geschichte im Internet ist längst nichts
Neues mehr, auch zu Geschichtsthemen haben sich die Angebote vervielfacht – wer soll da den Überblick
behalten? Ein kleines Taschenbuch leistet neuerdings nützliche Hilfe. Wer sich
die zeitintensive und häufig auch nervenaufreibende Suche im Netz sparen
möchte (von Kosten für Verbindungsentgelte ganz zu schweigen), kann nun
ganz in Ruhe auf 160 Buchseiten das
gewünschte Angebot finden. Ein klar
gegliedertes Inhaltsverzeichnis und
eine Bewertung aller Seiten hilft frei
von Werbung beim Suchen und erspart
dem Suchenden so manche sinnlose
Seite im www. Von Antike und Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert; Archive
und Bibliotheken; Preußen, Deutschland und Europa und Erster und Zweiter Weltkrieg, Vietnam-, Kalter- und
Atomkrieg – Geschichte im Internet
bietet für jeden etwas!
ch
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
25
Service
Lesetipp
Stalingrad
Das größere Europa
I
m November des Jahres 2002 wurde
eine Anzahl mittlerer und kleiner
Länder von den NATO-Mitgliedsstaaten
eingeladen, der Allianz beizutreten.
Wenngleich die neuen Mitglieder keine
großen Armeen in das Bündnis einbringen werden, so wird doch das Territorium der NATO erheblich ausgeweitet:
Von der Nordostspitze der Ostsee bis
zum Schwarzen Meer wird demnächst
Antony Beevor,
Stalingrad,
München 2002.
ISBN 3-442-15101-5;
544 S.,
12,45 €
S
elten waren sich Forscher und Zeitzeugen so einig: Die Schlacht um Stalingrad gilt nach wie vor als eine der
bedeutendsten des Unternehmens »Barbarossa«, jenes verbrecherischen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, der
am 22. Juni 1941 mit dem Überfall der
deutschen Wehrmacht auf die Rote Armee
seinen Anfang genommen hatte. Der ehemalige britische Berufsoffizier Antony
Beevor hält sie sogar für kriegsentscheidend. Stalingrad markiert nicht nur den
Wendepunkt des Krieges im Osten. Das
Wort Stalingrad wirkt auch heute noch, 60
Jahre nach dem Untergang der 6. Armee,
als Fanal. Die Stadt, die den Namen des
feindlichen Diktators trug, wurde zum
Synonym für die Grausamkeit und die
Sinnlosigkeit des Krieges schlechthin.
Beevor erzählt spannend und eindringlich die Geschichte dieser Schlacht. Seine
Darstellung stützt sich auf die Befragung von Zeitzeugen und das Studium
unzähliger Dokumente sowie Briefe und
Tagebücher von Soldaten, aber auch bislang unter Verschluss gehaltener Geheimdienstunterlagen. Beevor schildert nicht
nur anschaulich den mörderischen Häuserkampf in der Stadt aus deutscher und
sowjetischer Sicht. Er beleuchtet auch
ausführlich die Vor- und Nachgeschichte
der Schlacht. Zahlreiche Fotos und ein
ausführlicher Anhang über die beteiligten Truppenverbände runden das Werk
ab. Ausführliche Personen- und Ortsregister machen das Buch zudem zu einem
idealen Nachschlagewerk für denjenigen, der sich gezielt über Einzelheiten
informieren will. Ein Wermutstropfen ist
die ungewöhnlich hohe Zahl von Druckfehlern, die aber den Inhalt nicht berühren und den hervorragenden Gesamteindruck des Werkes nicht trüben können.
Christian Kerper
26
Manfred Scheuch,
Das größere Europa. Polen, Ungarn,
Tschechien, Slowakei, Slowenien und die
Baltischen Staaten in Geschichte und
Gegenwart, Wien 2002.
ISBN 3-85498-169-4,
200 S. mit 235 Farb- und Schwarzweiß-Abb.,
49,90 €
das Nordatlantische Bündnis den militärischen Schutz seiner Mitglieder gewährleisten. Damit haben die nord- und südosteuropäischen Staaten Europas einen
Transformationsprozess abgeschlossen,
der beeindruckt: Aus den ehemaligen
sowjetischen Teilrepubliken bzw. Warschauer-Pakt-Staaten werden nun Mitglieder des westlichen Bündnisses. Doch
was wissen wir über die Staaten Estland,
Lettland und Litauen im Nordosten oder
Slowenien im Südosten? Nach dem
Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft wurde Europa erstmals nicht nur
ein geographischer, sondern ein politischer Begriff. Seit 1989/90 haben die
bis dahin durch den Eisernen Vorhang
isolierten Staaten sich Schritt für Schritt
an den Westen angenähert; Polen, Ungarn
und die Tschechische Republik sind
bereits seit einigen Jahren Mitglieder
der NATO. Nun soll die zweite Welle
der Beitritte erfolgen. Manfred Scheuch
beschreibt dieses »größere Europa« in
seinem Buch und stellt die Länder Polen,
Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowe-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
nien, Litauen, Lettland und Estland in
historischen Kurzporträts vor. Der
Schwerpunkt liegt auf der jüngeren
Geschichte dieser Länder, d.h. etwa ab
dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Ausführlich wird die Gründung von Nationalstaaten infolge des Ersten Weltkrieges
dargestellt und die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Ländern
in der Zeit zwischen den Weltkriegen
beschrieben. Es folgt die Darstellung der
Kriegszeit wie auch der anschließenden
– für die dortige Bevölkerung teilweise
bis heute traumatischen – sowjetischen
Besetzung sowie des Kampfes der Länder
um Eigenstaatlichkeit und Unabhängigkeit bis zum Anfang der neunziger Jahre.
Viele eindrucksvolle Bilder, einige ausgewählte Daten über Landesgröße, Bevölkerung und Geschichte sowie sehr hilfreiche
historische Landkarten und Schaubilder
bringen dem Leser die bald nicht mehr
ganz so fernen Länder jenseits des früheren Eisernen Vorhangs näher und vermitteln einen Eindruck vom »größeren
Europa«.
ch
Raketenspuren in Peenemünde
B
evor die Oder sich in die Ostsee
ergießt, liegt zwischen dem Fluss und
dem offenen Meer noch eine lang gezogene Insel: Usedom. Heute wie früher
liegt die Urlaubsinsel weit abgelegen von
großen Siedlungen und von menschlicher Hektik, hier ist die See das beherrschende Element. Doch am 3. Oktober
1942 wird diese Stille jäh durchbrochen.
Im dicht bewaldeten Gelände der »HeeVolkhard Bode und
Gerhard Kaiser,
Raketenspuren.
Peenemünde
1936–2000,
4. Aufl.,
Berlin 2002.
ISBN 3-86153-239-5;
211 S. mit 275 Fotos
und Abb.,
15,50 €
resversuchsanstalt« geschieht an diesem
Tag etwas Sensationelles: Zum ersten Mal
gelingt der Start einer Rakete, die mit
doppelter Schallgeschwindigkeit in Richtung Weltraum aufsteigt und anschließend – nach gerade einmal fünf Minuten
Flugzeit – kontrolliert auf die Ostsee aufschlägt und dort versinkt.
Was dort in der Nähe des kleinen Fischerdorfes Peenemünde geschieht, ist allerdings alles andere als die Geburtsstunde
der zivilen Raumfahrt. Vielmehr ist es
der Beginn einer völlig neuen Waffenart,
der Fernkampfrakete, die dort seit Mitte
der dreißiger Jahre in Peenemünde von
einem Heer deutscher Wissenschaftler
entwickelt wurde. Auf Grundlage der
dort hergestellten Muster werden nach
dem Krieg die Interkontinentalraketen
der Supermächte entwickelt, die mit ihren
Atomsprengköpfen die Grundlage der
nuklearen Abschreckung bilden.
Peenemünde ist zum Symbol der deutschen »Vergeltungswaffen« geworden,
mit denen die nationalsozialistische Führung hoffte, noch eine Wende in dem verlorenen Krieg herbeiführen zu können.
Zwischen Juni und September 1944
werden fast zehntausend »V-2-Raketen«
auf London, später auch auf andere Ziele
in England und Holland abgeschossen,
richten dort verheerenden Schaden an,
kosten tausende Menschenleben und verbreiten Angst und Schrecken unter der
wehrlosen Zivilbevölkerung. Doch auch
in Deutschland sind die V-Waffen und
ihre Konstrukteure Inbegriff des Terrors.
Die weitläufigen Anlagen in Peenemünde
werden von Zwangsarbeitern errichtet,
nach alliierten Bombenangriffen auf die
Insel im August 1943 werden die Fertigungsanlagen verlegt, zunächst nach
Polen, dann in unterirdische Fabriken im
Harz. Gefangene aus Konzentrationslagern müssen in diesen Stollen die V-2
montieren; im Konzentrationslager Mittelbau-Dora sterben Tausende an Misshandlungen und den Folgen der Haft.
Nach dem Krieg werden die Produktionsanlagen zur begehrten Beute bei Amerikanern und Sowjets, der Wettlauf um
die technologische Hinterlassenschaft in
Peenemünde hat nun begonnen. Seit den
fünfziger Jahren bestimmt dann das Militär der DDR im Ort; Volksmarine und
Luftwaffe unterhalten hier große Garnisonen, bis diese mit der Auflösung der
NVA schließlich geschlossen werden.
Das Buch »Raketenspuren« berichtet von
der Geschichte eines kleinen Ortes, der
sechzig Jahre lang Symbol für militärische Geheimhaltung war. Heute kann
man mit Hilfe des Buches in Peenemünde
die Hinterlassenschaft des Weltkrieges
und des Kalten Krieges auf der schönen
Urlaubsinsel Usedom erfahren.
ch
Die Wurzeln des
alliierten Sieges
W
Berliner Mauer-Radweg
arum gewannen die Alliierten den
Zweiten Weltkrieg? Auf diese
Frage gibt es zahlreiche Antworten, und
manche würden sie gar für überflüssig
erklären, so eindeutig ist schließlich die
Niederlage des Deutschen Reichs und
seiner Verbündeten ausgefallen. Warum
also ein Buch zu einer solchen Frage? Die
Antwort könnte lauten, dass Overy in
typisch britischer Art ein Buch geschrieben hat, das nicht von Fußnoten strotzt
und trotzdem (oder gerade deshalb) eine
große Detailfülle mit einer angenehmen
Lesbarkeit verbindet. Sicherlich ist die
eine oder andere These dieses Londoner
Professors diskussionswürdig, aber er
zeichnet insgesamt ein vielfältiges Bild
der Ursachen des alliierten Sieges, das
manchmal vertretene monokausale Erklärungen wie wirtschaftliche Dominanz
oder Luftüberlegenheit souverän als zu
kurz greifend entlarvt. Vor allem betont
Overy, dass die Alliierten den Sieg nicht
geschenkt bekamen, sondern dafür große
Opfer bringen mussten - was angesichts
der Verlustzahlen eindrucksvoll belegt
ist, oft aber vergessen wird.
»W
o stand eigentlich die Mauer?«
fragen Berlin-Besucher immer
wieder. Und selbst Berliner haben heute,
gerade mal zehn Jahre nach dem Ende
der DDR und dem Abriss ihres Beton
gewordenen Synonyms Probleme, diese
Frage präzise zu beantworten. Vorbei
sind die Zeiten, als man am Potsdamer
Platz nach drüben schauen oder mit
der West-Berliner U-Bahn durch Geisterbahnhöfe unterhalb des Ostteils der
Stadt fahren konnte. Nach 1989/90 wollten die meisten Berliner, dass die Mauer
möglichst schnell aus dem Stadtbild verschwindet. Zu den wenigen, die sich
dafür einsetzten, dass Teile der Mauer
unter Denkmalschutz gestellt werden,
gehörte der ehemalige Berliner Regierende Bürgermeister und Bundeskanzler
Willy Brandt. Bereits am 10. November
1989 forderte er öffentlich, ein Stück von
jenem scheußlichen Bauwerk als Erinnerung an ein historisches Monstrum
stehen zu lassen.
Wer heute den Verlauf der ehemals fast
300 Kilometer befestigter Grenze rund um
West-Berlin nachvollziehen möchte, kann
sich nun mit Hilfe eines speziellen Stadtplanes auf die Suche machen.
Richard Overy,
37 detaillierte Karten führen den
Die Wurzeln des Sieges.
Leser durch die geteilte Stadt
Warum die Alliierten den
und das Umland, historische und
Zweiten Weltkrieg
aktuelle Aufnahmen des Gebiegewannen,
tes werden gegenübergestellt
Hamburg 2002
und die (Mauer-)Geschichte der
(Taschenbuch).
Orte erzählt. Erstaunt stellt man
ISBN 3-499-61314;
fest, dass kaum noch etwas
496 S.,
stehen geblieben ist von der
12,90 €
Grenzlinie des Kalten Krieges.
An einigen wenigen Stellen findet man
noch ein paar Betonelemente, einen alten
Wachturm oder einen Kolonnenweg der
Von Luftherrschaft und Bombenkrieg DDR-Grenztruppen. An der Bernauer
über operative und taktische Verbesse- Straße in der Berliner Innenstadt sind
rungen, die ganz zentrale Bedeutung der sogar hundert Meter der Mauer origiLogistik bei den Alliierten (bzw. ihre nalgetreu wieder aufgebaut worden –
sträfliche Vernachlässigung seitens der als Gedenkstätte und Touristenattraktion.
Wehrmacht) bis hin zur unterschiedli- Das Radtourenbuch eignet sich hervorchen Koordination ziviler und militäri- ragend für Berliner wie auch für Ausscher Organe werden einzelne Punkte wärtige, die zu Fuß, mit dem Fahrrad
beleuchtet und mit großer Erzählfreude oder mit Bus und Bahn dieses besondere
ausgeschmückt.
Kapitel der Berliner wie auch der Weltgeschichte selber »erfahren« wollen.
ch
Insgesamt ein schwungvoll geschriebe- Michael Cramer, Berliner Mauer-Radweg. Eine
nes Buch, dessen Lektüre jedem am Zwei- Reise durch die Geschichte Berlins, 2. überarb.
ten Weltkrieg Interessierten empfohlen und erw. Aufl., Rodingersdorf (Österreich)
werden kann.
ag 2002. ISBN 3-85000-074-5; 131 S., 9,90 €
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2002
27
Service
•Berlin
Die Giganten. Aus der
Geschichte der deutschen
Grossflugzeuge.
Luftwaffenmuseum der
Bundeswehr
Groß-Glienicker Weg
14089 Berlin-Gatow
Telefon: (030) 36 87 – 26 01
Telefax: (030) 36 87 – 26 10
www.luftwaffenmuseum.de
Dienstag bis Sonntag
9.00 bis 17.00 Uhr
5. Dezember 2002
bis 17. März 2003
Verkehrsanbindungen:
Buslinien 134, 334 und 638
Ausstellungen
www.schlossbergmuseum.de
Dienstag bis Freitag
11.00 bis 16.00 Uhr
Samstag, Sonn- und
Feiertag
11.00 bis 17.00 Uhr
ab Februar 2002
Verkehrsanbindungen:
ÖPNV: ab »Hauptbahnhof
Chemnitz« Buslinie 41
Richtung »Heinersdorf« bis
Haltestelle »Nordstraße«.
Fußweg: ab Hauptbahnhof
etwa 20 Minuten.
Pkw: Autobahnen A 4 oder
A 72 bis zur Abfahrt
»Chemnitz-Nord«, dann auf
der B 95 (Leipziger Straße)
Richtung Zentrum und weiter
auf der B 169 + 173 (Richtung
Hainichen bzw. Freiberg)
•Hildesheim
Napoleon Bonaparte –
Zar Alexander I.
Epoche zweier Kaiser
•Bordesholm
Deutsche Jüdische
Soldaten. Von der Epoche
der Emanzipation bis zum
Zeitalter der Weltkriege
Verwaltungsschule/
Verwaltungsakademie
Bordesholm
Heitzestrasse 13
24582 Bordesholm
18. Dezember 2002
bis 25. Februar 2003
Ansprechpartner:
Herr Bautz (04322) 693 – 504
•Chemnitz
Verbrechen der
Wehrmacht. Dimensionen
des Vernichtungskriegs
1941–1944
Schloßbergmuseum
Chemnitz
Schloßberg 12
09113 Chemnitz
Telefon: (03 71) 48 84 52 0
Telefax: (03 71) 48 84 59 9
28
Roemer- und PelizaeusMuseum Hildesheim
Am Steine 1–2
31134 Hildesheim
Telefon: (05121) 9369-0
Telefax: (05121) 352 83
www.rpmuseum.de
Montag bis Sonntag
10.00 bis 18.00 Uhr
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Verkehrsanbindungen:
Pkw: Autobahn A7 bis
Abfahrten »Hildesheim« und
»Hildesheim-Drispenstedt«,
Parkplatz gegenüber dem
Museum
Fußweg: ab Hauptbahnhof
»Hildesheim« durch die Fußgängerzone bis zur Kreuzung
»Schuhstraße«, dann nach
rechts bis zum Museum
•Ingolstadt
Die Festungsstadt
Ingolstadt im
15.–19. Jahrhundert
Reduit Tilly
Bayerisches Armeemuseum
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (08 41) 93 77 0
Telefax: (08 41) 93 77 200
e-mail: sekretariat@
bayerisches-armeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.45 bis 16.30 Uhr
bis 30. September 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof bis
Bushaltestelle
»Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
Preußen und Bayern.
Zeugnisse preußischer
Militärgeschichte aus
dem Bayerischen
Armeemuseum
Bayerisches Armeemuseum
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Telefon: (08 41) 93 77 0
Telefax: (08 41) 93 77 200
www.bayerischesarmeemuseum.de
Dienstag bis Sonntag
8.00 bis 16.00 Uhr
bis 30. März 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab Hauptbahnhof bis
Bushaltestelle
»Roßmühlstraße/
Paradeplatz«
•Neumünster
Verbrechen der
Wehrmacht.
Dimensionen des
Vernichtungskrieges
1941–1944
Kiek In
Gartenstraße 32
24534 Neumünster
Telefon: (04321) 4 19 96 97
Telefax: (04321) 4 19 96 99
www.ausstellung@
neumuenster.de
www.kiek-in-nms.de
www.verbrechen-derwehrmacht.de
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Donnerstag
10.00 bis 20.00 Uhr
4. April bis
18. Mai 2003
•Nordhausen
KZ-Gedenkstätte
Mittelbau-Dora
Kohnsteinweg 20
99734 Nordhausen
Telefon: (03631) 4 95 80
Telefax: (03631) 49 58 13
www.thueringen.de/de/
museen/nordhausen/dora
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 16.00 Uhr
1. Oktober 2002
bis 31. März 2003
•Peenemünde
•Suhl
•Wustrau
Historisch-Technisches
Informationszentrum
Kalaschnikow.
Mythos und Fluch
einer Waffe.
Preußische Kadetten
Brandenburg-Preußen
Museum Wustrau
Eichenallee 7A
16818 Wustrau
Telefon: (03 39 25) 70798
Telefax: (03 39 25) 70799
www.brandenburgpreussen-museum.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 16.00 Uhr
bis 30. März 2003
Verkehrsanbindungen:
Ab DB-Bahnhof
»Wustrau-Radensleben« Bus
bis »Wustrau-Hauptstraße«.
Autobahn A 24, Abfahrt
»Neuruppin-Süd«
Im Kraftwerk
17449 Peenemünde
Tel.: (038371) 50 50
Fax: (038371) 505 111
www.all-in-all.com/1171.htm
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 16.00 Uhr
November 2002
bis März 2003
•Strausberg
Wege zur Freundschaft.
Ausgewählte Zeugnisse der
deutsch-amerikanischen
Beziehungen
Akademie der Bundeswehr
für Information und
Kommunikation/Stätte der
Begegnung
Proetzeler Chaussee 20
15344 Strausberg
19. Februar bis 2. März 2003
Verkehrsanbindungen:
S-Bahnlinie 5 bis
»Strausberg-Nord«
Waffenmuseum Suhl.
Spezialmuseum zur
Geschichte der
Handfeuerwaffen
Friedrich-König-Straße 19
98527 Suhl
Telefon: (0 36 81) 72 06 98
Telefax: (0 36 81) 72 13 08
www.waffenmuseumsuhl.de
[email protected]
bis 28. Februar 2003
Dienstag bis Samstag
9.00 bis 16.00 Uhr,
Sonn- und Feiertags
10.00 bis 16.00 Uhr
Verkehrsanbindungen:
Sie finden das
Waffenmuseum direkt
im Stadtzentrum,
gegenüber des Herrenteiches,
zwischen dem Congress
Centrum Suhl und dem
Lauterbogencenter.
Wie
finde
ich
Ausstellungen?
•Wilhelmshaven
Aufstand des Gewissens.
Militärischer
Widerstand gegen
Hitler und das
NS-Regime
1933–1945
Interessante Ausstellungen zu Themen Ihrer Wahl und in
Ihrer Nähe können sie ganz gezielt und bequem im Internet
suchen: www.damals.de oder www.webmuseen.de
Foyer des Stadttheaters
Wilhelmshaven
Virchowstrasse 42–44
20. April bis 15. Juni 2003
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2002
29
3. Februar 1933
Geschichte kompakt
Ansprache Adolf Hitlers vor Befehlshabern
des Heeres und der Marine
Bereits wenige Tage nach seiner
»Machtergreifung«, am 3. Februar
1933, sprach Adolf Hitler vor den
Spitzen von Heer und Marine. Die
Ansprache ist nach handschriftlichen
Aufzeichnungen des anwesenden Generalleutnants Liebmann erhalten.
Hitler kündigte hier verhältnismäßig
»Der Tod als der letzte Verbündete Hitlers«. offen seine Ziele für die nächsten
Fotomontage von Marinus Jacob Kjelgaard (1884–1964), Foto: akg-images Jahre an: Im Innern beabsichtigte
er ein »scharfes Vorgehen« gegen diejenigen, die sich ihm entgegenstellen würden.
Militärpolitisch war für die Zuhörer vor allem die Aussicht auf allgemeine Wehrpflicht
und zügigen Aufbau der Armee bedeutsam. Diese sollte beim angeblich notwendigen
Kampf des deutschen Volkes um »Lebensraum« die entscheidende Rolle spielen, vom
Kampf im Innern sollte sie jedoch entlastet werden, was die anwesenden Offiziere allgemein positiv aufnahmen.
Noch ungleich bedeutsamer ist jedoch, dass Hitler die Eroberung neuen »Lebensraums im
Osten« und dessen »rücksichtslose Germanisierung« in Aussicht stellte. Er hat hier seine
Ziele sehr deutlich ausgesprochen. Seine Zuhörer unterschätzten allerdings, wie ernst
Hitler es meinte, und waren sich eher darin einig, dass »die Rede kecker als die Tat« sein
werde und mit der Umsetzung solch radikaler Vorstellungen wohl nicht zu rechnen sei.
Insgesamt wurden die Absichten Hitlers aber durchaus positiv aufgenommen; die Offiziere hörten das heraus, was in ihrem Sinne zu sein schien.
Aus der heutigen Sicht ist diese Rede ein Dokument, das die Einbeziehung der deutschen
Streitkräfte in die nationalsozialistische Kriegführung, den ideologisch motivierten Raubund Vernichtungskrieg im Osten, zu einem ganz frühen Zeitpunkt eindrucksvoll belegt.
Gewusst haben also alle führenden Militärs von den Vorstellungen Hitlers über die künftige Kriegführung und die Kriegsziele, die meisten haben sie allerdings wohl eher nicht
ganz ernst genommen. Gleichwohl hatte der »Führer« an diesem Tag gedanklich vorweggenommen, was nur gut sechs Jahre später Realität werden sollte.
ag
ADN
2. Februar 1978
Rücktritt des Verteidigungsministers
Georg Leber
Am 2. Februar 1978 trat der damalige Verteidigungsminister
Georg Leber von seinem Amt zurück. Den Anlass für den
Sturz des in der Truppe durchaus populären Ministers, dem
die historische Aussöhnung der Streitkräfte mit den Gewerkschaften gelungen war, bildete dabei eine Abhör-Affäre des
MAD, für die er die Verantwortung übernahm. Hintergrund
des Rücktritts war aber auch ein innerparteilicher Richtungskampf in der SPD über die Frage, wie weit man beim Kampf
gegen Terrorismus und Spionage gehen dürfe. Mit dem Rücktritt Lebers konnte sich die Parteilinke in der SPD durchsetzen, dem Minister wurde ein sensibilisiertes Rechtsbewusstsein zum Verhängnis.
Der MAD hatte 1974 ohne Lebers Wissen dessen Sekretärin in deren Wohnung abgehört, da sie der Zusammenarbeit mit der DDR-Spionage verdächtigt wurde. Dies stellte
sich nachher jedoch als grundlos heraus. Der Minister erfuhr Anfang 1978 von der illegalen Abhöraktion, teilte dies aber dem Parlament erst mit, nachdem am 26. Januar 1978
die Illustrierte »Quick« einen entsprechenden Artikel veröffentlicht hatte. Er verschwieg
jedoch die illegale Abhörung des »Kommunistischen Bundes Westdeutschlands« – von
der er nach eigenen Angaben erst im Nachhinein erfahren hatte –, weil er sie für rechtmäßig gehalten hatte. Erst eine »von ihm angeordnete gründliche juristische Untersuchung«
ergab das Gegenteil – damit war Leber als Minister kaum noch tragbar. Mit seinem Rücktritt zog er die Konsequenzen für das Handeln des ihm unterstellten Dienstes.
ag
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Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
Heft 1/2003
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
Ü Vorschau
Die Niederschlagung des sogenannten Boxeraufstandes in China im Jahr 1900 war ein seltenes
Beispiel von Einmütigkeit unter den ansonsten
in Rivalität und Feindschaft zueinander stehenden imperialistischen Mächten. Auch Soldaten des
Deutschen Reiches beteiligten sich an dieser internationalen Intervention. Sie sollte den gewaltsamen Versuch von Teilen der chinesischen Bevölkerung, Eigenständigkeit durch Abwehr aller Beeinflussung von außen zu gewinnen, mit militärischer
Macht niederringen. Dabei wurden nicht nur für
die deutsche politisch interessierte Öffentlichkeit
Begriffe geprägt und Bilder gezeichnet, die jahrzehntelang Bestand haben sollten.
»The Germans to the front« lautet der Titel des
Gemäldes von Carl Röchling aus dem Jahr 1902
und bezieht sich dabei auf den Befehl von Admiral
Lord Seymour zum Vorrücken deutscher Truppen
unter Korvettenkapitän Buchholz im Juni 1900 in
einer für die Alliierten kritischen Situation. Für die
deutsche Öffentlichkeit standen diese Szene und
dieser Satz symbolhaft für den Aufstieg des Reiches
zur Weltgeltung, da der Vertreter der ersten Weltmacht – Großbritannien – den deutschen Beitrag
zur Sicherung der Weltordnung einforderte und
benötigte.
Die Rolle des deutschen Kanonenbootes »Iltis« bei
der Bezwingung der Taku-Forts an der chinesischen Küste am 17. Juni 1900 stand beispielhaft
für den Anteil der Kaiserlichen Marine beim Versuch des jungen Reiches, eine führende Rolle bei
der globalen Mitgestaltung durchzusetzen.
Als das deutsche Expeditionskorps im Juli 1900
zur zweiten Interventionsaktion nach China verabschiedet wurde, hielt Wilhelm II. eine Ansprache,
die als »Hunnenrede« in die Geschichte eingehen
sollte. Die Aufforderung, die deutschen Soldaten
sollten es in China den Hunnen im Mittelalter
gleich tun, wurde auch international aufmerksam
verfolgt und sollte den Ententemächten im Ersten
Weltkrieg ein willkommenes Bild für ihre antideutsche Propaganda liefern. Dabei stand die
Gewalttätigkeit der kaiserlichen Diktion in keinem
Verhältnis zur tatsächlichen militärischen Wirkung
der deutschen Truppen.
hk
Militärgeschichte im Bild
Bundesgrenzschutz
3
Theodor Blank bei einer Rede
anlässlich der Übernahme
von BGS-Angehörigen in die
Bundeswehr
Keystone Pressedienst
6WELT am SONNTAG 1955–1956
Übernahme von fast 10000
Grenzschutzbeamten in die
Bundeswehr am 1. Juli 1956
D
ass die Aufstellung der Bundeswehr eine Aufgabe war,
die vor allem personell nicht
von heute auf morgen gelöst werden
konnte, leuchtet auch bei einer vordergründigen Betrachtung schnell ein.
Schließlich hatte es in Deutschland seit
1945 keine Streitkräfte mehr gegeben,
erst seit 1949 gab es überhaupt die Bundesrepublik, und die Vorläufer des Verteidigungsministeriums (im Wesentlichen das »Amt Blank«) waren noch
jünger. Der erste Verteidigungsminister Theodor Blank hatte daher schon
vor seiner Ernennung zum Minister,
noch als Leiter der nach ihm benannten Dienststelle, Personalsorgen. Diese
waren in den 50er Jahren nicht leicht
zu lösen. Die allgemeine Stimmung
in der Bundesrepublik war nach der
Katastrophe des Zweiten Weltkriegs
nicht gerade militärbegeistert. Auch
absorbierte der enorme Wirtschaftsaufschwung, das »Wirtschaftswunder«,
zahlreiche Arbeitskräfte. Ehemalige
Soldaten hatten sich inzwischen häufig
in zivilen Berufen zurechtgefunden
und überhaupt gab es keine Parallele in
der deutschen Geschichte, eine Armee
quasi aus dem Nichts zu schaffen.
In dieser Situation bot sich Blank
wenigstens eine kleine Entlastungsmöglichkeit. Schließlich gab es schon
seit 1951 den Bundesgrenzschutz
(BGS), der vornehmlich die innerdeutsche Grenze (damals noch »Zonengrenze« genannt) zu sichern hatte. Hier
waren bereits »Grenzjäger« ausgebildet worden, die von ihrer Ausbildung
und ihrem Tätigkeitsfeld her dem Militär sehr nahe standen (unser Titelbild)
– viele hatten auch schon in der Wehrmacht gedient.
Die Debatte um eine Übernahme des
BGS als »Keimzelle« in die neue Bundeswehr (in der Tagespresse oft noch
als »neue Wehrmacht« bezeichnet) war
gleichwohl heftig, am Ende setzten sich
aber die militärischen und sicherheitspolitischen Vorteile durch. Die Grenzschutzbeamten durften wählen, ob sie
in die Bundeswehr eintraten, immerhin gut die Hälfte (knapp 10000 von ca.
17000) entschied sich für den Dienst
in der neuen Armee und wurde am 1.
Juli 1956 formell und acht Tage später
mit einem Großen Zapfenstreich in
die Bundeswehr übernommen. Der
Verteidigungsminister hatte also nun
Soldaten, die schon laufen konnten
(siehe Karikatur), und einige von ihnen
wurden später sogar 4-Sterne-Generale
wie Hans-Joachim Mack, Günter Kießling und Dieter Clauss.
ag
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2002
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P U B L I K A T I O N E N
des Militärgeschichtlichen
Forschungsamtes
Erster Weltkrieg –
Zweiter Weltkrieg:
Ein Vergleich
Krieg, Kriegserlebnis,
Kriegserfahrung
in Deutschland
Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes
herausgegeben von Bruno Thoß und Hans-Erich Volkmann,
Paderborn u.a.: Verlag Ferdinand Schöningh 2002,
45,-€,
ISBN 3-506-79161-3
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