Universität Potsdam Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät Institut für Mathematik Stoffdidaktische Ringvorlesung Wintersemester 2011/2012 Hausarbeit EINFÜHRUNG DER REELLEN ZAHLEN IN DER SCHULE QUANTITÄTEN UND ANDERE ABSURDITÄTEN 31. März 2012 Marcel Pietschmann Studiengang: Master LG Mathematik/Physik 1. Fachsemester Inhaltsverzeichnis 1 Warum reelle Zahlen? 1 2 Geschichte der reellen Zahlen 1 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R 3.1 Konstruktion nach Bachmann – Intervallschaltungen . 3.1.1 Intervallschachtelungen . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Äquivalenzrelation . . . . . . . . . . . . . . . . B 3.1.3 Operationen auf IK /∼B . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Beispiel für eine rationale Intervallschachtelung 3.2 Der Körper der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Addition und Multiplikation . . . . . . . . . . . 3.2.2 Kleiner-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Schlußfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3 3 4 6 8 8 9 9 9 4 Rahmenlehrplan 10 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule 5.1 Notwendigkeit der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Algebraische Weg . . . . . . . . . . . . . . . √ . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Bestimmung eines Näherungswertes für 2 über Intervallschachtelung 5.2.2 Mathematik nach der Intervallschachtelung . . . . . . . . . . . . . 5.3 Private Investigation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Geometrische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Einheitsquadrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Inkommensurabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Ursprungsgeraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Probleme bei Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 11 11 12 13 13 15 15 15 16 17 6 Fazit 18 Literaturverzeichnis 19 Symbolverzeichnis 21 Abbildungsverzeichnis 21 A Kopiervorlage 22 1 Warum reelle Zahlen? 1 Warum reelle Zahlen? Die reelle Zahlen finden innerhalb der Mathematik ihre größte Anwendung in der Analysis. Die heutige reelle Analysis wäre ohne reelle Zahlen in ihrem fast unerschöpflichen Reichtum nicht möglich. Eine Analysis auf der Menge der rationalen Zahlen Q ist zwar eingeschränkt realisierbar, so lässt sich der Begriff der Ableitung definieren, doch wichtige Sätze wie der Zwischenwertsatz sind nicht beweisbar. Danckwerts et al. fassen dies mit den einfachen, aber stets richtigen Worten zusammen: „Kurz und plakativ: Keine ’richtige’ Analysis auf Q!“ (Danckwerts et al., 2006, S. 30). Für eine authentische Analysis ist der Körper der reellen Zahlen R unablässig und zwingend notwendig. Oft wird die Einführung der rellen Zahlen mit der Bedingung der mathematischen Konsistenz begründet. Dies ist soweit korrekt, dass in der Mathematik nach Lösungen für Probleme gesucht wird. Dabei ist es oft vorgekommen, dass zunächst die mathematischen Grundlagen geschaffen werden mussten, damit eine Lösung des Ausgangsproblems zugänglich ist. Doch die mathematische Konsistenz sorgt nicht dafür, dass neue Bereiche der Mathematik erschlossen werden. Der Forschungsdrang der Mathematiker ist die treibene Kraft neuer mathematischer Errungenschaften. Eine Idee, ein Funke, ein zündener Gedanke lässt eine neue mathematische Theorie entspriesen und aufblühen. Wie diese neue mathematische Theorie in das bestehende Gebäude passt, ist dabei nicht primär. Vielmehr ist die Neugier, die Idee zu einer mathematischen konsistenten Theorie auszuarbeiten, der primäre Gedanke. Die mathematische Konsistenz ist also nicht die Begründung für eine Einführung, sondern das Ziel der Einführung. Die Geschichte der reelle Zahlen zeigt dies deutlich, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. Die reellen Zahlen mussten sich die Anerkennung erkämpfen. Erst zum Schluß wurde die mathematische Konsistenz verfolgt. Der zündende Gedanke war wie so oft in der Mathematik, die Unlösbarkeit einer Aufgabe bzw. ein Widerspruch in der damaligen Mathematik. 2 Geschichte der reellen Zahlen Im Laufe der (Mathematik-)Geschichte kamen viele Fragen und Problemstellungen auf, für deren Lösung neue mathematische Methoden entwickelt werden mussten. Aus so einem Antrieb heraus sind die reellen Zahlen erstmals durch Bernhard Bolzano (1781 – 1848), Richard Dedekind (1831 – 1916) und Georg Cantor (1845 – 1918) axiomatisch beschrieben worden. Die Geschichte der rellen Zahlen reicht jedoch bis zu den Griechen und sogar bis ins Babylonien zurück. Wir werden diesen langen Kampf zwischen Vernunft und Emotionen näher betrachten. Dabei soll die Stimmung der damaligen Zeit aufgenommen werden, woraus sich der anfängliche Mythos der reelle Zahlen begründet lässt. Wir werden mit den Griechen und ihrem geometrischen Verständnis der Welt anfangen. 1 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R Die rationalen Zahlen der Griechen reichten zur Beschreibung der inkommensurablen Strecken nicht mehr aus. Der Ausweg war keine Zahl, sondern Größen. Reelle Zahlen wurden zunächst als Größen verstanden. Die Griechen konnten durch sogenannte Größenverhältnisse ihre Grundlagenkrise lösen, jedoch wurden diese Größenverhältnisse nicht als eigene mathematische Denkobjekte betrachtet. Die intuitive Vorstellung von nichtrationalen Zahlen war nicht möglich. Der Grund dafür liegt in der engen Verbindung von Geometrie und Algebra in der griechischen Mathematik. Erst durch die Wechselwirkung zwischen mathematischer Theorie und intuitiven Vorstellungen durch Akkomodation und Assimilation wurden die reellen Zahlen als eigenständige Zahlen verstanden und begriffen (vgl. Malle, 2007, S.5). Die Araber lösten die Algebra von der Geometrie und haben die irrationalen Ausdrücke als eigene Objekte behandelt. Die reellen Zahlen wurden dadurch erstmalig als Zahlen verstanden. Jedoch auch die Araber haben sich noch gegen die völlige Anerkennung der irrationalen Zahlen als eigenständige Zahlen gewehrt und haben sie „unwirkliche“, „irreguläre“ oder „unerklärbare“ Zahlen genannt. Erst durch die Auffassung der irrationalen Ausdrücke als Quantitäten war es möglich die reellen Zahlen vollständig zu durchdringen, sodass sie als eigenständige Zahlen akzeptiert worden sind. Bei dieser Entwicklung hat maßgeblich der Mathematiker Simon Stevin (1548 – 1620) beigetragen, indem er die Dezimalschreibweise verbreitet hat. Durch diese Darstellung war es möglich, zu erkennen, dass irrationale Zahlen unendlich und nicht-periodische Nachkommastellen besitzen. Es gab keine logische Begründung für eine Ablehnung solcher Dezimalzahlen. Bestärkt wurde Stevin durch die Tatsache, dass die irrationalen Zahlen den Zahlenstrahl vervollständigen. Mit dieser Entwicklung wurden die Zahlen nicht mehr als nur „diskret“ verstanden, sondern auch als „kontinuierlich“ veränderbar (vgl. Malle, 2007, S.6f). Die (mathematische) Theorie der reellen Zahlen wurde erst im 20. Jahrhundert vollständig ausgefertigt. Zunehmend wurden Zahlen als Quantitäten aufgefasst. In der heutigen Zeit zweifelt niemand mehr die Existenz der reellen Zahlen an, jedoch ist die Vorstellung von nicht-endenen und nicht-periodischen Dezimalzahlen gerade für Schüler eine gewaltige Richtungsänderung in der Denkweise über Zahlen. 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R Im Folgenden wollen wir eine Konstruktion der reellen Zahlen näher analysieren, welche phänomenologisch in der Schule durchgeführt werden kann. Bei der mathematischen Beschreibung werden wir im Wesentlichen der Konstruktion nach P. Bachmann1 folgen, welche in Schmersau et al. (2000, S.127 ff) zu finden ist. Dabei werden wir nur einige Sätze beweisen, ansonsten sei auf Schmersau et al. (2000) verwiesen. 1 Bachmann, P.: Vorlesungen über die Natur der Irrationalzahlen. Teubner, Leipzih, 1892 2 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R 3.1 Konstruktion nach Bachmann – Intervallschaltungen Die Idee fast aller Konstruktionen der reellen Zahlen liegt in der Bildung von Äquivalenzklassen von bestimmten Objekten. Wir verfolgen den Weg der Intervallschachtelungen, wobei wir eine geeignete Relation ∼B definieren, die es uns erlaubt, Äquivalenzklassen zu bilden. 3.1.1 Intervallschachtelungen Zunächst machen wir uns klar, was überhaupt eine Intervallschachtelung ist. Definition 3.1 (Intervallschachtelung, Schmersau et al., 2000, S.67): Sei (K, +, ·, ≤) ein angeordneter Körper, (an )n∈N und (bn )n∈N seien Folgen in K. Die Folge von Intervallen ([an , bn ])n∈N heißt Intervallschachtelung in K, wenn: I-(i) (an )n∈N monoton wächst; I-(ii) (bn )n∈N monoton fällt; I-(iii) an < bn für alle n ∈ N gilt und I-(iv) (an − bn )n∈N ∈ N . Eine Intervallschachtelung ist eine Folge von Intervallen, wobei die Intervallgrenzen zwei monotone Folgen sind. Durch diese Definition können Verbindungen zu den Konstruktionen nach Cantor und Capelli hergestellt werden, siehe dafür Schmersau et al. (2000). Wir wollen nun die grundlegenden Eigenschaften von Intervallschachtelungen untersuchen. Eine wichtige Besonderheit ist der innere Punkt. Definition 3.2 (Innere Punkte von Intervallschachtelungen, Schmersau et al., 2000, S.68): Es sei ([an , bn ])n∈N eine Intervallschachtelung in K und p ∈ K. p heißt ein innerer Punkt der Intervallschachtelung, wenn an ≤ p ≤ b n für alle n ∈ N (3.1) gilt. Der innere Punkt ist also in allen Intervallen einer Intervallschachtelung enthalten. Festzuhalten ist dabei, dass es nach der Definition 3.2 mehrere innere Punkte geben kann. Dies verhindert der folgende Satz 3.3 (Eindeutigkeit des inneren Punkts einer Inntervallschachtelung): Jede Intervallschachtelung besitzt höchstens einen inneren Punkt. 3 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R Beweis: Wir folgen den Gedanken aus Schmersau et al. (2000, S.68). Sei ([an , bn ])n∈N eine Intervallschachtelung. Wir führen den Beweis durch Reductio ad absurdum. Annahme: Die Schachtelung habe die beiden verschiedenen inneren Punkte p1 und p2 . O.B.d.A. nehmen wir an, dass p1 − p2 > 0 gilt. Somit folgt: an ≤ p1 ≤ bn und an ≤ p2 ≤ bn für alle n ∈ N (3.2) Daraus folgt: bn − an ≥ p1 − an und p1 − an ≥ p1 − p2 für alle n ∈ N (3.3) und damit schließlich: bn − an ≥ p1 − p2 > 0 für alle n ∈ N. Dies ist ein Widerspruch zur Bedingung (I-(iv)). Wir wissen nun, dass, wenn ein innerer Punkt exisitert, dieser eindeutig ist. Wir werden sehen, dass der innerer Punkt einer Intervallschachtelung einer reellen Zahlen entspricht. Um dies zu zeigen, führen wir nun eine Relation ∼B ein, die es uns später ermöglicht, Äquivalenzklassen bilden zu können. 3.1.2 Äquivalenzrelation Definition 3.4 (Äquivalenzrelation): Seien ([an , bn ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N zwei Intervallschachtelungen. Dann stehen diese in Relation, wenn: ([an , bn ])n∈N ∼B ([cn , dn ])n∈N :⇔ (cn − an )n∈N ∈ N (3.4) und weiterhin definieren wir eine Kleiner-Relation ≺B : ([an , bn ])n∈N ≺B ([cn , dn ])n∈N :⇔ ∀n ∈ N : (an < dn ) ∧ ∃m ∈ N : (cm > bm ) (3.5) Interessanterweise existieren in der Literatur mehrere Definitionen der Relation (3.4). Ich habe mich für die entschieden, welche die phänomenologische Kernideen der schrittweisen Annäherung widerspiegelt. Bezeichnen wir die Menge aller Intervallschachtelungen in K B B mit IK , so ist ∼B eine Äquivalenzrelation in IK . Dies manifestiert der folgende Satz 3.5: Sei (K, +, ·, ≤) ein angeordneter Körper, dann ist ∼B eine Äquivalenzrelation B in IK und ≺B ist eine antireflexive Ordnungsrelation, die mit ∼B verträglich ist. Beweis: Wir zeigen, dass ∼B eine Äquivalenzrelation ist, dazu gilt: 1. Reflexivität: (an − an )n∈N ∈ N ⇔ ([an , bn ])n∈N ∼B ([an , bn ])n∈N 4 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R 2. Symmetrie: (cn − an )n∈N ∈ N ⇔ − (cn − an )n∈N ∈ N ⇔ (an − cn )n∈N ∈ N 3. Transitiviät: Aus (cn − an )n∈N ∈ N und (en − cn )n∈N ∈ N folgt: (en − cn )n∈N + (cn − an )n∈N ∈ N ⇔ (en − cn + cn − an )n∈N ∈ N ⇔ (en − an )n∈N ∈ N ⇔ ([an , bn ])n∈N ∼B ([en , fn ])n∈N B Auf den Beweis, dass ≺B eine antireflexive Ordnungsrelation auf IK bildet, verzichten wir aus Platzgründen. Dadurch sind wir in der Lage, Äquivalenzklassen zu bilden, die durch die Kleiner-Relation ≺B total geordnet sind. Definition 3.6 (Äquivalenzklasse): h ([an , bn ])n∈N i n ∼B = ([xn , yn ])n∈N | ([xn , yn ])n∈N ∼B ([an , bn ])n∈N o (3.6) Somit haben wir uns Klassen von Intervallschachtelungen geschaffen. Leider impliziert dies nicht, dass zwei äquivalente Intervallschachtelungen den selben inneren Punkt besitzen, sofern beide Intervallschachtelungen einen inneren Punkt haben. Dies holt der folgende Satz 3.7 nach. Satz 3.7 (Innerer Punkt äquivalenter Intervallschachtelungen): Sei (K, +, ·, ≤) B ein angeordneter Körper. Ferner seien ([an , bn ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N aus IK . ([an , bn ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N besitzen beide einen inneren Punkt. Gilt nun ([an , bn ])n∈N ∼B ([cn , dn ])n∈N , so sind die beiden inneren Punkte identisch. Beweis: Um dies zu beweisen, zeigen wir, dass alle Intervallschachtelungen einer Äquivalenzklasse bzgl. ∼B zu der Intervallschachtelung ([p, p])n∈N mit p = const. äquivalent sind. Zunächst ist leicht einzusehen, dass die Intervallschachtelung ([p, p])n∈N den inneren Punkt p hat, da p ≤ p ≤ p für alle n ∈ N (3.7) gilt. Weiterhin ist ([an , bn ])n∈N ∼B ([p, p])n∈N , wenn gilt: ⇔ ⇔ ([an , bn ])n∈N ∼B ([p, p])n∈N (p − an )n∈N ∈ N lim an = p n→∞ (3.8) (3.9) (3.10) ⇔ p innerer Punkt von ([an , bn ])n∈N (3.11) 5 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R Wenn also die Intervallschachtelung ([an , bn ])n∈N den inneren Punkt p hat, dann gilt genau dann ([an , bn ])n∈N ∼B ([p, p])n∈N . Durch die Transitivität von ∼B hat ([cn , dn ])n∈N ebenfalls den inneren Punkt p. Abschließend folgt, dass alle äquivalenten Intervallschachtelungen zu ([an , bn ])n∈N den selben inneren Punkt p haben. Wir haben nun gesehen, dass alle Intervallschachtelungen einer Äquivalentklasse den selben inneren Punkt haben, sofern er exisitert. Wir bezeichen bei Existenz des inneren Punktes diesen als Repräsentant dieser Äquivalenzklasse. (Repräsentant einer Äquivalentklasse): Eso sei n ([an , bn ])n∈N = ([xn , yn ])n∈N | ([xn , yn ])n∈N ∼B ([an , bn ])n∈N eine Äquivalenzklasse ∼B von Intervallschachtelungen mit den inneren Punkt p. Dann bezeichnen wir: hDefinition 3.8 ip h p= ˆ ([an , bn ])n∈N h ip ∼B als Repräsentant der Äquivalenzklasse ([an , bn ])n∈N ip ∼B . Wir haben nun Äquivalenzklassen gebildet, welche wir zu der Menge der Äquivalenzklassen B IK /∼B zusammenfassen. Auf dieser Menge definieren wir uns zwei binäre Operationen. B 3.1.3 Operationen auf IK /∼B Addition und Multiplikation Definition 3.9 (Addition und Multiplikation von Intervallschachtelungen): B . Dann sind die Addition ⊕ und Multipli([an , bn ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N seien aus IK kation wie folgt definiert: ([an , bn ])n∈N ⊕ ([cn , dn ])n∈N := ([an + cn , bn + dn ])n∈N ([an , bn ])n∈N ([cn , dn ])n∈N := ([an · cn , bn · dn ])n∈N (3.12) (3.13) Satz 3.10: Die in der Definition 3.9 definierten Operationen sind mit der Äquivalenzrelation ∼B verträglich. Beweis: Wir zeigen die Wohldefiniertheit. Da ([an , bn ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N Intervallschachtelungen sind, sind (an )n∈N und (cn )n∈N monoton wachsende Folgen. Analog ergibt sich, dass (bn )n∈N und (dn )n∈N monoton fallende Folgen sind. Die Summe von monoton wachsenden bzw. fallenden Folgen ist ebenfalls monoton wachsend bzw. fallend. Nach dem Monotoniegesetz gilt Punkt I-(iii). Weiterhin folgt aus ⇔ (3.14) (3.15) (an − bn )n∈N + (cn − dn )n∈N ∈ N (an + cn )n∈N − (bn + dn )n∈N ∈ N 6 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R Punkt I-(iv). Die Verträglichkeit mit ∼B folgt mit ([an , bn ])n∈N ∼B ([a0n , b0n ])n∈N und ([cn , dn ])n∈N ∼B ([c0n , d0n ])n∈N : ⇔ ⇔ ⇔ ((a0n − an ) + (c0n − cn ))n∈N ∈ N ((a0n − an + c0n − cn ))n∈N ∈ N (((a0n + c0n ) − (an + cn )))n∈N ∈ N ([an + cn , bn + dn ])n∈N ∼B ([a0n + c0n , b0n + d0n ])n∈N (3.16) (3.17) (3.18) (3.19) Für die Multiplikation verweisen wir auf Renesse, WS 11/12 Durch die Zurückführung auf die Operationen in C und somit auf die Operationen auf Q übertragen sich die Assoziativ- und Distributivgesetze sowie die Kommutativität auf ⊕ und . Auf die Nachweise verzichten wir aufgrund von Platzgründen und der eben genannten Vererbung. Neutrale Elemente und Inverses Zur Vollständigkeit wollen wir die neutralen Elemente und die inversen Elemente bzgl. ⊕ und angeben: B Definition 3.11: Sei ([an , bn ])n∈N ∈ IK . Bezüglich der Addition (3.12) ist mit der konstanten Folge (0)n∈N : ([0, 0])n∈N (3.20) das neutrale Element und: ([−an , −bn ])n∈N (3.21) das inverse Element. Für die Multiplikation (3.13) ergibt sich mit der konstanten Folge (1)n∈N : ([1, 1])n∈N (3.22) das neuetrale Element und mit ([an , bn ])n∈N 6= ([0, 0])n∈N : 1 1 , an b n (3.23) n∈N das inverses Element. Die Nachweise sind trivial, weshalb wir hier darauf verzichten. Sie gehen ebenfalls auf die entsprechenden Elemente in Q zurück. Bemerkung 3.12: Festzuhalten ist: 1. h 1 , 1 an bn i n∈N ist die inverse Klasse zu ([an , bn ])n∈N B 2. Es gilt: ([an , bn ])n∈N ([0, 0])n∈N = ([0, 0])n∈N für alle Klassen aus IK . 3. Es ist offensichtlich ([0, 0])n∈N 6= ([1, 1])n∈N 4. Für beliebige ([an , bn ])n∈N 6= ([0, 0])n∈N und ([cn , dn ])n∈N hat die Gleichung ([an , bn ])n∈N ([xn , yn ])n∈N = ([cn , dn ])n∈N die Lösung ([xn , yn ])n∈N = 7 h cn dn , bn an i n∈N 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R 3.1.4 Beispiel für eine rationale Intervallschachtelung Nun kommen wir zum Trick der Konstruktion. Bis jetzt müssten wir die Existenz des inneren Punktes voraussetzen. In K = Q ist dies auch notwendig, wie das folgende Beispiel zeigt: Beispiel 3.1 (Eulersche Zahl e): Wir betrachten die Intervallschachtelung: 1 an := 1 + n n 1 und bn := 1 + n n+1 Man überlegt sich leicht, dass dies wirklich eine Intervallschachtelung nach Definition 3.1 auf Seite 3 ist. Wie man bei Schmersau et al. (2000, S.135 ff) nachlesen kann, hat diese Intervallschachtelung den inneren Punkt: h e := lim an = lim bn = ([an , bn ])n∈N n→∞ n→∞ ip ∼B = " " 1 1+ n 1 , 1+ n n n+1 #! #p n∈N ∼B Es ist bekannt, das die Eulersche Zahl e keine rationale Zahl ist2 . Dadurch haben wir eine Intervallschachtelung gefunden, die keinen inneren Punkt in Q hat. Die irrationalen Zahlen sind somit Äquivalenzklassen, die keinen inneren Punkt in Q haben. 3.2 Der Körper der reellen Zahlen Wir wollen die Konstruktion zum Abschluss führen. Wie wir eben gesehen haben, existieren Intervallschachtelungen mit inneren Punkten, die nicht aus Q sind. Wir definieren dadurch eine reelle Zahlen r als Repräsentant einer Äquivalenzklasse mit den inneren Punkt r. Wir orientieren uns an die Defintion von Gräter (Definition 3.10 2004, S.59): Definition 3.13 (Reelle Zahlen): Den bis auf Isomorphie eindeutig bestimmten vollständigen archimedisch geordneten Körper bezeichnet man mit R. Die Elemente von R heißen reelle Zahlen. Wir setzen: R := IQB /∼B (3.24) Eine reelle Zahl r ∈ R ist somit Repräsentant einer Äquivalenzklasse: h b ([an , bn ])n∈N r= ir ∼B (3.25) Um den Körper der reellen Zahlen weiter zu charakterisieren, betrachten wir beispielhaft die Addition und Multiplikation. 2 siehe für den Nachweis Schmersau et al., 2000, S.137 ff 8 3 Mathematische Einführung in die reellen Zahlen R 3.2.1 Addition und Multiplikation Da wir die rellen Zahlen durch Intervallschachtelungen eingeführt haben, liegt es nahe, die Operationen ebenfalls durch die Operationen von Intervallschachtelungen zu definieren. Definition 3.14 (Addition und Multiplikation von reellen Zahlen): Seien a, b ∈ R. Dann sind die Addition + und Multiplikation · reeller Zahlen wie folgt definiert: h ia h ∼B ia a + b := ([an , bn ])n∈N a · b := ([an , bn ])n∈N ∼B h ib h ∼B ib ⊕ ([an , bn ])n∈N ([an , bn ])n∈N ∼B (3.26) (3.27) 3.2.2 Kleiner-Relation B Die Kleiner-Relation der rellen Zahlen wird ebenfalls auf die Kleiner-Relation aus IK zurückgeführt. Definition 3.15 (Kleiner-Relation der reellen Zahlen): Seien a, b ∈ R. Dann ist die Kleiner-Relation < der reellen Zahlen wie folgt definiert: h a < b :⇔ ([an , bn ])n∈N ia ∼B h ≺B ([an , bn ])n∈N ib ∼B (3.28) 3.2.3 Schlußfolgerung Mit den Ergebnissen aus den Abschnitten 3.1.3 und 3.2 folgt, dass (R, +, ·, <) ein archimedisch angeordneter und vollständiger Körper ist. Zur Vollständigkeit setzen wir die neutralen und inversen Elemente. Es ist mit a ∈ R: O := ([0, 0])n∈N −a := ([−an , −bn ])n∈N 1 := ([1, 1])n∈N 1 1 −1 a := , mit a 6= 0 an bn n∈N und somit haben wir alle algebraischen Grundlagen vom Körper R gefunden. Bemerkung 3.16: Der Körper R der reellen Zahlen hat folgende Eigenschaften: R1 Q ist Teilkörper von R, R2 R ist vollständig, R3 Jedes Element von R ist innerer Punkt einer Intervallschachtelung in Q. 9 (3.29) (3.30) (3.31) (3.32) 4 Rahmenlehrplan Aus diesem Grund heißt R auch Komplettierung (Vervollständigung, vollständige Hülle) des Körpers Q. Wir haben ein Modell der reellen Zahlen R gefunden. Punkt R2 lässt sich durch folgenden Satz zeigen. Satz 3.17 (Vollständigkeit): Sei (K, +, ·, ≤) ein angeordneter Körper. Dann gilt: (K, +, ·, ≤) ist genau dann vollständig, wenn (K, +, ·, ≤) archimedisch angeordnet ist und jede Intervallschachtelung in K einen inneren Punkt besitzt. 4 Rahmenlehrplan Nachdem wir uns mit der mathematischen Konstruktion der reellen Zahlen vertraut gemacht haben und bevor wir verschiedene Möglichkeiten der Einführungen in der Schule näher betrachten, wollen wir uns klar machen, welche Anforderungen der Rahmenlehrplan3 stellt. In der Sekundarstufe I werden bestimmte „Inhaltsbezogene mathematische Kompetenzbereiche“ definiert, die wiederum nach Leitideen geordnet sind. Die irrationalen Zahlen werden in der Leitidee: Zahl verortet. Der RLP4 der SEK I gibt als Standards für die Doppeljahrgangsstufe 9/10 • Schülerinnen und Schüler kennen Beispiele für irrationale Zahlen und rechnen mit reellen Zahlen, • beschreiben mathematische Situationen, in denen irrationale Zahlen benötigt werden, • beschreiben ein Verfahren zur Einschachtelung einer irrationalen Zahl an. Dabei sollen auch „in innermathematischen Zusammenhängen (...) irrationale Zahlen benutzt [werden]“. Punkt 3 ist ein direkter Verweis zum Intervallschachtelungverfahren. Es wird somit explizit gefordert, diese Methode zu benutzen. In der SEK II werden die selben Anforderungen gestellt. Die Schülerinnen und Schüler: • verwenden natürliche, ganze, gebrochene und reelle Zahlen zur Darstellung mathematischer Situationen und wenden diese zur Lösung von Problemen an, • erläutern und reflektieren die Verwendung von negativen Zahlen und die Eigenschaften von irrationalen Zahlen an Beispielen, • beschreiben und reflektieren ein Verfahren zur Einschachtelung einer irrationalen √ Zahl ( 2 oder π). 3 4 Im Folgenen nur kurz mit RLP bezeichnet. Soweit nicht anders angegeben sind die Angaben für die SEK I aus Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, 2008 und für die SEK II bzw. gymnasiale Oberstufe aus Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, 2006 10 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule Es fällt auf, dass die irrationalen Zahlen als Konstrukt zur Lösung von Problemen eingeführt werden und es dabei eine Betonung auf die Approximation von irrationalen Zahlen durch Dezimalzahlen mithilfe Intervallschachtelungen gibt. Die im nächsten Abschnitt 5 beschriebenen Verfahren bilden weitestgehend die oben genannten Anforderungen ab. Es ist dabei natürlich zu sagen, dass jedes Verfahren seine Stärken, aber auch seine Schwächen besitzt. Die unterrichtende Lehrkraft sollte sich deshalb der Unterschiede bewusst werden. 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule Eine Einführung der reellen Zahlen in der Jahrgangsstufe 9/10 besteht weitestgehend in der Erzeugung einer Notwendigkeit der Zahlenbereichserweiterung. Dieser traditionelle Weg liegt in der Entstehungsgeschichte, wie im Abschnitt 2 ab Seite 1 beschrieben, der reellen Zahlen begründet. Malle weist darauf hin, dass Schüler einen ähnlichen Denkprozess beim Kennenlernen der reellen Zahlen durchlaufen. Dabei beeinflussen sich mathematische Theorie und intuitive Vorstellung gegenseitig und behindern sich (siehe dazu Malle, 2007, S. 7&10f). Die Frage für den Unterricht dabei ist, wie die Einführung in die irrationalen Zahlen gestaltet werden kann. In der Geschichte ist dies über Jahunderte passiert, der Mathematikunterricht hat dafür nur wenige Schulstunden Zeit. 5.1 Notwendigkeit der reellen Zahlen Auf die Frage, warum die reellen Zahlen überhaupt „benötigt“ werden, lässt sich keine zufriedenstellende Antwort finden. Die allzu schnell formulierte Antwort, dass man damit mehr Gleichungen als mit rationalen Zahlen lösen kann, wird keinen Schüler vollkommen zufriedenstellen. Dies ist auch soweit klar, dass es dem Schüler nicht primär darum geht, algebraische Gleichungen mit irrationalen Lösungen zu untersuchen. 5.2 Algebraische Weg Eine oft genutzte Möglichkeit, die Einführung der irrationalen Zahlen im Unterricht zu gestalten, ist die Schaffung von Schwierigkeiten bei dem Versuch, Gleichungen in Q zu lösen, die aber in Q keine Lösungen haben. Meist wird die Gleichung x2 = 2 dafür verwendet. Neben dem reinen algebraischen Problem gibt es die Möglichkeit das algebraische Problem geometrisch zu motivieren. Dazu wird die Frage gestellt, wie man ein Quadrat vom Flächeninhalt verdoppeln kann. Dies führt bei einer Mathematisierung auf die eben genannte Gleichung. Mit dieser Methode wird der Menon-Dialog weiterentwickelt, indem zunächst das Problem geometrisch behandelt und anschließend in Gleichungen übersetzt wird. 11 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule Im Folgenden wollen wir beispielhaft die Gleichung x2 = 2 betrachten, wobei jede Gleichung mit irrationalen Lösungen geeignet ist. Dieser Weg ist eng verbunden mit dem Wurzelbegriff, der den Schülern gekannt ist. Als Leitfragen werden meist folgende Problemstellungen: 1. Bestimme die Zahl(en), deren Quadrat 2 ist. 2. Bestimme zu einem gegebenen Quadrat die Seitenlänge eines Quadrats mit doppeltem Flächeninhalt. 3. Wie lang ist eine Diagonale eines Quadrats der Seitenlänge 1. verwenden. Für die Lösung dieser Fragen werden oft Intervallschachtelungen verwendet, wie beispielhaft im folgenden Abschnitt gezeigt. 5.2.1 Bestimmung eines Näherungswertes für √ 2 über Intervallschachtelung Für ein Intervall werden logischerweise 2 Intervallgrenzen benötigt. Die einfachste Methode ist dabei 1 und 2 zu wählen, da 12 = 1 < 2 und 22 = 4 > 2 (5.1) gilt. Somit muss die gesuchte Zahl dazwischen liegen. Eine einfache Intervallschachtelung besteht nun daraus, den arithmetischen Mittelwert x zu bilden und zu überprüfen, ob das Quadrat x2 größer, kleiner oder gleich 2 ist. Ist das Quadrat größer, wird die rechte Intervallsgrenze durch den letzten Mittelwert x ersetzt. Ist jedoch das Quadrat kleiner,√wird die linke Intervallsgrenze ersetzt. Diese Intervallschachtelung konvergiert gegen 2, jedoch muss die Anpassung der Intervallgrenzen so durchgeführt und auch verdeutlicht werden. Die ersten 4 Durchläufe dieser Intervallschachtelung sind in der Tabelle 1 notiert. In der Schule bietet es sich an, mehr als 4 Schritte durchzuführen und √ Tabelle 1: Intervallschachtelung für 2 Anfangswert Endwert Mittelwert x x2 x2 > 2 1 1 1, 25 1, 375 2 1, 5 1, 5 1, 5 1, 5 1, 25 1, 375 1, 4375 ja nein nein ja 2, 25 1, 5625 1, 890625 2, 06640625 eventuell ein Tabellenkalkulationsprogramm5 zu nutzen, damit die Schülerinnen und Schüler ein „Gefühl“ für die unendliche Fortsetzbarkeit des Verfahrens erlangen. Jedoch ist ein Gefühl noch kein mathematischer Beweis. 5 Unter der Voraussetzung, dass die Schülerinnen und Schüler damit umgehen können, da die Programmierung einige Kenntnisse voraussetzt. 12 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule 5.2.2 Mathematik nach der Intervallschachtelung Wie bereits im letzten Abschnitt festgehalten, ist ein Gefühl kein mathematischer Beweis. Aus diesem Grund sollte nach der Intervallschachtelung die mathematische Manifestierung der Ergebnisse folgen. Die reine Durchführung der Intervallschachtelung sichert noch nicht, dass diese nie abbricht und unendlich oft fortsetzbar ist. Viel essentieller ist die Tatsache, √ dass nicht gezeigt wird, dass 2 keine rationale Zahl ist. Es ist für die Schülerinnen und Schüler nicht ersichtlich, dass hier eine unendliche, nicht-periodische Dezimalzahl √ vorliegt. Diese Tatsache verlangen nach einen Beweis für die Irrationalität von 2. Dies ist einfach als Widerspruchsbeweis durchführbar6 . Da der Beweis die Kenntnis über gerade und ungerade Zahlen voraussetzt, ist er für die Schule geeignet. Der Beweis ist abwandelbar, indem mit der eindeutigen Primzahldarstellung einer natürlichen Zahl argumentiert wird. 5.3 Private Investigation Jahnke plädiert für eine Art Private Investigation, bei der die Schülerinnen und Schüler Mathemtik betreiben sollen. Phasen von Erkundung und Erforschung werden durch Phasen der Entdeckung abgelöst. Die dabei gemachten Erfahrungen sollen die Schülerinnen und Schüler nutzen, um mit „Gewissheit [zu] suchen, also Mathematik betreiben“ (Jahnke, 2007, S.59). Jahnke plädiert für eine Untersuchung der Dezimalschreibweise, um seine Forderung nach einer untersuchenden Entdeckung nachzukommen. Zunächst wird eine falsche Addition von Brüchen definiert, indem Zähler und Nenner einzeln addiert werden. Startet man mit 01 und 11 , so erhält man alle Brüche. Hier sollte aber ausdrücklich auf die falsche Addition hingewiesen werden und eventuell ein anderes Additionszeichen verwendet werden. Dabei kommen auf natürliche Weise Fragen wie • Liegt der Additionsbruch immer zwischen den Summanden? • Wie kann man diese falsche Addition geometrisch veranschaulichen? auf, die eine nähere Betrachtung bedürfen. Anschließend geht man zur Dezimaldarstellung der Brüche über. Dabei geht es um das Verständnis des Divisionsalgorithmuses. Untersucht werden soll, warum der Algorithmus funktioniert. Leitfragen können dabei sein: • Wie schreibt man eine rationale Zahl mit endlichen vielen Dezimalen als Bruch? • Welche Bruchzahlen haben dezimal geschrieben endlich viele Stellen – und welche nicht? • Wann ist die Dezimaldarstellung einer Bruchzahl also periodisch? Kann sie auch nicht periodisch sein? • Wie findet man zu einer Zahl mit einer periodischen Dezimalzahldarstellung die zugehörige Bruchzahl? Geht das immer? 6 Siehe z. B. http://de.wikipedia.org/wiki/Beweis_der_Irrationalität_der_Wurzel_aus_2_bei _Euklid 13 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule • Warum taucht bei einer Division nie die Neuner-Periode auf? Die Fragen sollen verständlich machen, dass man die unendliche Periode durch die Bruchzahlen umgehen kann. Es ist somit möglich mit unendlich vielen Stellen zu rechnen. Weiterhin ist nun festgestellt, dass die Dezimalzahldarstellung einer Bruchzahl nur endlich viele Stellen besitzt oder periodisch ist. Nach dieser Untersuchung ist es fast zwingend notwendig, zu fragen, ob es nicht auch Zahlen gibt, die in der Dezimalzahldarstellung unendlich viele Stellen, doch nicht keine Periode besitzt. Fragen, die dies entwickeln sollen, sind: • Kann es sein, dass das Quadrat einer Bruchzahl 2 ist? • Kann das Quadrat einer Bruchzahl 2 sein, wenn ihre Deziamldarstellung endliche viele Stellen hat? Beachte ihre Endziffer! • Kann das Quadrat einer Bruchzahl 2 sein, wenn ihre Dezimaldarstellung periodisch ist? Beachte den Nenner in ihrer gekürzten Bruchdarstellung. Aufgrund dieser Fragen müssen neue Zahlen eingeführt werden, die dies erfüllen, also Zahlen, die weder endlich noch periodisch sind. Um den Zweifel zu lösen, ist es möglich, eine Zahl wie z. B. 0, 10110111011110111110 . . . an die Tafel zu schreiben. Jahnke führt aus, dass solche „regelmäßig unregelmäßigen Zahlen“ die Phantasie anregen (Jahnke, 2007, S.59). In einer Diskussion können Fragen, wie • • • • • Kann es sie überhaupt geben oder wird jede schließlich doch periodisch? Wie kann man das verhindern? Wie lassen sich solche Zahlen bilden und beschreiben? Haben sie einen Sinn? Wie kann man sie mit einer Vergrößerungslupe auf dem Zahlenstrahl finden? dazu führen, den Charakter dieser neuen Zahlen zu erfassen. Hat man sich über die Existenz der Zahlen geeignigt, so muss ein Name gefunden werden, den wir praktischerweise mit „irrational“ wählen. Als Abschluß werden die neuen Zahlen eingehend untersucht, indem folgende Fragen • • • • Gibt Gibt Gibt Gibt es es es es zwischen zwischen zwischen zwischen zwei zwei zwei zwei ratinalen Zahlen stets eine weitere rationale Zahl? rationalen Zahlen stets eine irrationale Zahl? irrationalen Zahlen stets eine rationale Zahl? irrationalen Zahlen stets eine weitere irrationale Zahl? näher betrachtet werden. Damit sollen die Unterschiede zu den rationalen Zahlen verdeutlicht werden. Jahnke weist ebenfalls darauf hin, dass dies die Vollständigkeit der reellen Zahlen tangiert. Die Problematik der Vollständigkeit wird im Abschnitt 5.5 näher beleuchtet. Bei dieser Einführung wird der Cauchy-Folgen-Charakter von den reellen Zahlen in der Dezimalschreibweise dargestellt. Durch die schrittweise Erkundung der Dezimalschreibweise von Brüchen und schließlich von irrationalen Zahlen wird eine Art „unsichtbare Abhängigkeit“ erzeugt. Es scheint so, dass die Nachkommastellen wie von Zauberhand 14 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule entstehen, jedoch lässt sich eine Abhängigkeit oder Regelmäßigkeit entdecken. Der Divisionsalgorithmus liefert die Nachkommastellen und durch die oben genannten Fragen wird dieser verstanden. So kann argumentiert werden, dass der Algorithmus die Glieder einer Kette entdeckt, die immer wieder in der selben Reihenfolge erscheinen, wenn wir den Algorithmus auf die selbe Zahl anwenden. 5.4 Geometrische Zugänge Für eine anschauliche7 Einführung bieten sich wieder das Einheitsquadrat oder auch die Ursprungsgeraden an. Die geometrischen Zugängen können andere Möglichkeiten unterstützen. Darüberhinaus visualisieren sie die irrationalen Zahlen, was eine gewisse Existenz dieser Zahlen suggeriert. 5.4.1 Einheitsquadrat √ Das Einheitsquadrat hat bekanntlich eine Diagonallänge von 2 Längeneinheiten und ist dadurch besten geeignet, die Irrationalität darzustellen. Die Leitfrage ist dabei die Ver- Fläche = 2 √ 2 Fläche = 1 Abbildung 1: Quadrat über der Diagonale des Einheitsquadrats dopplung des Flächeninhalts. Äquivalent zum Menon-Dialog wird der Schüler zur Lösung geführt. Es bietet sich dabei an, den Schüler zunächst eigene Überlegungen anstellen zu lassen, um im anschließenden Klassengespräch die Ideen zusammenzutragen. 5.4.2 Inkommensurabilität Das Einheitsquadrat ist darüberhinaus wegen der Inkommensurabilität von Seiten- und Diagonalenlänge interessant. Um das historische Auftreten der reellen Zahlen nachzuempfinden, ist es möglich, das Verfahren der „Wechselwegnahme“8 anzuwenden. Wie in 7 8 im Sinne von „mit den Augen aufnehmen“ Wechselwegnahme: übliche Methode, um das gemeinsame Maß zweier Strecken zu finden: man beginnt mit zwei Strecken a und b mit a > b, geht dann über zu b und a − b und so weiter, bis irgendwann einmal die kleinere Strecke in der größeren ganzzahlig enthalten ist. 15 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule 1 D C √ 2 1 a d E e B A √ G 2−1 F Abbildung 2: Wechselwegnahme beim Einheitsquadrat mit Diagonal- und Seitenlänge der Abbildung 2 ersichtlich, wird die Wechselwegnahme auf die Seitenlänge a und die Diagonale d √ angewendet. Nach einem Durchgang entsteht ein neues Quadrat mit der Seitenlänge 2 − 1. Eine weitere Anwendung würde wiederum eine neues Quadrat als Ergebnis haben. Das Verfahren ließe sich unendlich oft fortführen, da kein gemeinsaßes Maß existiert. 5.4.3 Ursprungsgeraden Einen weiteren sehr interessanten Weg haben Danckwerts et al. in ihrem Artikel (Danckwerts et al., 2006) vorgeschlagen. Danckwerts et al. untersuchen Ursprungsgeraden in einem ganzzahligen Gitter mit den Punkten (r, s) für r, s ∈ N. Die Kopiervorlage aus Danckwerts et al. (2006) ist im Anhang auf Seite 22 zu finden. Die zentrale Idee ist die Suche nach Ursprungsgeraden, die bestimmte Eigenschaften haben. Anzumerken ist, dass Danckwerts et al. die Idee für die Oberstufe empfehlen, um die Vollständigkeit der rellen Zahlen zu untersuchen. Jedoch kommt die grundlegende Eigenschaft irrationaler Zahlen, dass sie nicht durch einen Bruch darstellbar sind, zum Tragen. In der ersten Frage soll zunächst untersucht werden, ob Ursprungsgeraden mit der Geradengleichung y =m·x (5.2) existieren, die beliebige Punkte treffen. Die Frage ist damit zu beantworten, dass davon ausgegangen wird, dass die Gerade den Punkt (r, s) trifft und somit die Gleichung s=m·r (5.3) erfüllt ist. Multiplizieren wir die Gleichung (5.3) mit beliebigen k ∈ N, so folgt: k · s = k · m · r. Dies bedeutet, dass der Punkt (k · r, k · s) ebenfalls auf der Geraden liegt. 16 (5.4) 5 Reelle Zahlenbereichserweiterung in der Schule Die zweite Frage sucht eine Gerade, die keinen Punkt des Gitters enthält. Auf der Kopiervorlage ist eine solche Gerade angedeutet9 . Dies soll der Schüler nun untersuchen und dabei Bedingungen aufstellen, unter denen eine Gerade existiert. Wenn wir die Existenz einer solchen Ursprungsgeraden annehmen und nun die Geradengleichung (5.2) betrachten, so fällt auf, dass die Steigung m nicht rational seien kann. Jeder Punkt im Gitter hat ganzzahlige Koordinaten und damit folgt für beliebige (r, s) für r, s ∈ N, dass die Gleichung: s = m · r nie gilt, da sonst ein Gitterpunkt getroffen wird. Die Steigung m darf also keine rational Zahl sein. Da wir aber solche Geraden zeichen können, muss es solche Geradensteigung geben. Eine nähere mathematische Betrachtung solcher Zahlen rundet die Variation ab. Danckwerts et al. argumentieren, dass Ihre Konstruktion die Vollständigkeit der reellen Zahlen verdeutlicht. Die Vorständigkeit der reellen Zahlen ist eine Schwierigkeit für die Schülerinnen und Schüler, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden. 5.5 Probleme bei Einführung Bei der Betrachtung der rellen Zahlen muss der Schüler einen Denkprozess durchlaufen, der einige Schwierigkeiten enthält. Bei den rationalen Zahlen wird viel Wert darauf gelegt, dass Dezimalzahlen entweder endlich viele oder periodische Nachkommastellen besitzen. Es gibt bis dahin auch keinen begründeten Zweifel, der dieser Tatsache widerspricht. In dieser Denkweise wirkt es geradezu grotesk, neue Zahlen zu erfinden, die weder endlich, noch periodisch sind. Die reelle Zahlen wirken durch ihre „Nichtfassbarkeit“ unnatürlich. Die natürlichen Zahlen sind verständlich und einsichtig. Die ganzen Zahlen kann mich sich auch noch mit Beispielen, wie z. B. Schulden, erklären. Die rationalen Zahlen sind immer beliebt, um Kuchen und Pizzen aufzuteilen. Kurzum: Bis zu den rationalen Zahlen finden wir „natürliche Beispiele“ in unserer Umwelt, die die Existenz dieser Zahlen visualieren. Leider sind die irrationalen Zahlen und damit die reellen Zahlen so „unnatürlich“ und fremd, sodass wir kein geeignetes Beispiel in der Natur finden, wo diese Zahlen vorkommen. Kein Messgerät wird eine reelle Zahl anzeigen. Die Gleichungen der Physik √ sagen uns zwar, dass die Spannungsamplitude im deutschen Wechselstromkreis ub = 2Ueff V beträgt, jedoch wird man diese Spannung nie genau messen können. Die rellen Zahlen sind zunächst Konstrukte des Denkens und der Mathematik. Sie können mit den Sinnen nicht direkt aufgenommen werden, sodass ein intuitiver Zugang schwieriger wird. Verstärkt wird diese Tatsache mit der Vollständigkeit der Zahlengeraden. Die Zahlengeraden ist im Bereich der rationalen Zahlen dicht. Dies bedeutet, dass es immer zwischen zwei rationalen Zahlen eine weitere rationale Zahl gibt. Dies erweckt logischerweise den Eindruck, als ob es keinen Platz mehr für die irrationalen Zahlen auf der Zahlengerade gibt. Hier legt uns die „geometrische Grundvorstellung von der lückenlosen Zahlengeraden“ (Danckwerts et al., 2006, S.30) Denksteine in den Weg, die schon bei den rationalen Zahlen durch den Dichtbegriff unterschwellig mitgeliefert wird. Jedoch wird diese „Lückenlosigkeit“ 9 Natürlich ist diese Skizze kein Beweis, jedoch suggeriert sie die Existenz solcher Geraden. 17 6 Fazit 1 √ 1 0 2 0.5 1 1.5 2 Abbildung 3: Füllen der Lücken auf der Zahlengerade erst bei den rellen Zahlen durch die Vollständigkeit erfüllt. Danckwerts et al. führen aus, dass dies dem phänomenologische Standpunkt entspricht, sich die reelle Zahlen als Gesamtheit aller Punkte auf der Zahlengerade vorzustellen (vgl. Danckwerts et al., 2006, S.30). Die Abbildung 3 hilft dabei, die Lücken in der Zahlengerade „sichtbar“ zu machen und den Übergang von der mit den „rationalen Punkten dicht, aber noch lückenhaft besetzten Zahlengeraden zur lückenlosen reellen Zahlengeraden“ (Danckwerts et al., 2006, S.30), zu unterstützen. Dieser Prozess ist eine große erkenntnistheoretische Herausforderung. Abbildung 3 hilft dabei, das inhaltliche-anschauliche Verstehen zu aktivieren, da die Diagonallänge einem wohldefinierten und existenten Punkt auf der Zahlengeraden entspricht. Jahnke weißt außerdem darauf hin, dass die geometrische Vorstellung der lückenlosen Zahlengeraden den Eindruck entstehen lassen kann, dass die rationalen und irrationalen Zahlen abwechselnd liegen (vgl. Jahnke, 2007, S.59). Dies setzt voraus, dass es eine „nächste“ Zahl gibt. Diese Tatsache ist durch die Überallzählbarkeit der reellen Zahlen nicht standhaft und sollte so im Unterricht verständlich gemacht werden. 6 Fazit Es kann festgehalten werden, dass verschiedene Möglichkeiten zur Einführung der reellen Zahlen in der Schule existieren. Trotzdem werden jeweils die Aktivitäten Erkunden, Vermuten, Begründen und Darstellen benötigt. Ein forschender Mathematikunterricht hat mit den rellen Zahlen ein Feld zur Verfügung, auf dem die Schüler sich selbst ausprobieren und mathematisch-forschend aktiv werden können. Abschließen möchte ich mit den Worten von Leopold Kronecker, der die Sache mit den Zahlen auf den Punkt trifft: „Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.“ (Leopold Kronecker) 18 Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis Barzel, B., Elschenbroich, H.-J., Hefendehl-Hebeker, L., Heintz, G., Heske, H., Hußmann, S. und Lambert, A. 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(1993): Lehrbücher und Monographien zur Didaktik der Mathematik. Bd. 21: Zur Didaktik des Folgenbegriff. Hrsg. von N. Knoche und H. Scheid. Mannheim u. a.: BI Wissenschaftsverlag. 20 Abbildungsverzeichnis Symbolverzeichnis N Q R C N (an )n∈N ([an , bn ])n∈N ∼B ≺ h B i ([an , bn ])n∈N h ([an , bn ])n∈N i∼ pB ∼B B IK B IK /∼B ⊕ ([0, 0])n∈N ([1, 1])n∈N ([−a in ])n∈N h n , −b 1 1 , an bn n∈N kommutativer Halbring der natürlichen Zahlen Körper der rationalen Zahlen Körper der reellen Zahlen 8 Ring der Cauchyfolgen Ring der Cauchy-Nullfolgen Zahlenfolge (in einem Körper K) Intervallschachtelung 3 Bachmann-Äquivalenzrelation 4 Bachmann-Kleiner-Relation 4 Äquivalenzklasse bzgl. ∼B 5 Äquivalentklasse bzgl. ∼B mit inneren Punkt p (Repräsentant der Äquivalenzklasse) 6 Menge aller Intervallschachtelungen in K 4 Menge der Äquivalenzklassen unter ∼B von Intervallschachtelungen in K 6 Addition von Intervallschachtelungen 6 Multiplikation von Intervallschachtelungen 6 konstante Null-Intervallschachtelung 7 konstante Eins-Intervallschachtelung 7 negative Intervallschachtelung 7 inverse Intervallschachtelung 7 Abbildungsverzeichnis 1 2 3 Quadrat über der Diagonale des Einheitsquadrats . . . . . . . . . . . . . Wechselwegnahme beim Einheitsquadrat mit Diagonal- und Seitenlänge . Füllen der Lücken auf der Zahlengerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 21 15 16 18 A Kopiervorlage Kopiervorlage 10 Rational und irrational 1 1 Was gibt es hier zu entdecken? (Das Bild ist unendlich ausgedehnt zu denken.) 1. Kann es eine Ursprungsgerade geben, die genau einen (zwei, drei, …) Gitterpunkt(e) trifft? Falls ja, geben Sie eine an. (Mit Begründung.) 2. Kann es eine Ursprungsgerade geben, die überhaupt keinen Gitterpunkt trifft? Falls ja, geben Sie eine an. (Mit Begründung.) 3. Fassen Sie Ihre Ergebnisse zusammen! 31 PM Heft 11 | Oktober 2006 | 48. Jg. 22