Schlaglicht 39 Metagenomik, mehr als nur die Suche nach neuen Biokatalysatoren und Wirkstoffen Rolf Daniel & Wolfgang R. Streit, Institut für Mikrobiologie und Genetik, Georg-August Universität Göttingen Mikroorganismen dominieren die Biosphäre und besitzen eine erstaunlich hohe physiologische, metabolische und genetische Diversität. Die Gesamtzahl der verschiedenen prokaryotischen Arten auf der Erde wird auf ca. 1 bis 100 Millionen geschätzt, wobei bisher jedoch nur ein Bruchteil (<1%) dieser Mikroorganismen mit Standardmethoden kultiviert werden kann[1]. Daher ist der Hauptteil der global vorhandenen Mikroorganismen unbekannt. Metagenomik als neue Stufe der Genomforschung an Prokaryoten erschließt diese natürliche Komplexität von Mikrobengemeinschaften als umfangreiche und bisher weitgehend ungenutzte Ressource sowohl für die Anwendung als auch für die Forschung. Unabhängig von der Kultivierbarkeit der Mikroorganismen wird dabei die genomische DNA direkt aus Umweltproben oder komplexen Anreicherungskulturen isoliert und in geeigneten Vektoren als Genbibliothek in heterologen Wirten dargestellt (Abb. 1). Im Idealfall kann eine solche Metagenombank den Hauptanteil der gesamten genomischen Information einer mikrobiellen Lebensgemeinschaft enthalten. Die verfügbare Biodiversität eines Standortes, niedergelegt als genetische Ressource, kann beliebig ver- mehrt, untersucht und wirtschaftlich genutzt werden. Dieser Ansatz wurde bisher vorwiegend zur Isolierung neuartiger Gene und Gencluster, die für industriell-relevante Biokatalysatoren und Wirkstoffe kodieren, eingesetzt. In diesem Bereich der Metagenomik ist gerade in den letzten Jahren eine Reihe von Publikationen erschienen. Beispielsweise führten diese Arbeiten zur Isolierung von Genen für neuartige Cellulasen[6, 15], Xylosidasen[6], Lipasen/Esterasen[7, 15], Amylasen[12, 15], Proteasen[5], Na+/H+-Antiporter[10], Dehydratasen[9] und Oxidoreduktasen[8] sowie zur Klonierung von Genen zur Synthese von Biotin[4] und antibakteriellen Wirkstoffen[3, 12]. Für die Detektion der gewünschten Gene und Genprodukte wurden zumeist auf biologischer Aktivität basierende Verfahren angewendet. Die in den Metagenombanken niedergelegte metabolische Diversität von Mikrobengemeinschaften lässt sich auf diese Weise jedoch nur teilweise nutzbar machen, da diese Vorgehensweise von der Fähigkeit des verwendeten Wirtes zur Erkennung der natürlichen Promotoren und heterologen Produktion der Zielaktivität abhängt. In nahezu allen bisherigen Publikationen wurde E. coli als Wirt für die Durchmusterung ver- wendet, da dieser Organismus bereits häufig für industrielle Fermentationen eingesetzt wird und eine Vielzahl von molekularbiologischen Werkzeugen vorhanden ist. E. coli kann wahrscheinlich jedoch nur einen Bruchteil der tatsächlich in der klonierten metagenomischen DNA vorhanden Fremdgene exprimieren. Ferner sind in manchen Fällen posttranslationale Modifikationen erforderlich, um eine biologische Aktivität heterolog produzierter Proteine zu erzielen. Zur Besserung Nutzung des immensen Potentials von Metagenombanken und damit zur Erweiterung des Spektrums an Enzymen und Wirkstoffen, die im Rahmen von Durchmusterungsverfahren detektiert werden können, besteht hier ein großer Entwicklungsbedarf für neue bakterielle und archeaelle Wirts- und Vektorsysteme, die eine effiziente Konstruktion von Metagenombanken und deren Durchmusterung erlauben. Erste diesbezügliche Ansätze wurden bereits veröffentlicht[3, 14]. Ferner sind die meisten bisher isolierten Gene nur durch das Durchmustern von sehr großen Klonbanken identifiziert worden (zumeist über 30.000 Klone bis ca. 1 Mio. Klone für einen Treffer). Daher werden neben der Entwicklung von neuen molekularen Werkzeugen eine Optimierung der Durchmusterungsverfahren und der verstärkte Einsatz von Hochdurchsatztechnologien angestrebt. Die Metagenomik wurde bisher vorwiegend für biotechnologische Zwecke eingesetzt und dies steht vermutlich in direktem Zusammenhang damit, dass gerade Firmen diesen Ansatz zur Entwicklung von neuen Biokatalysatoren und Wirkstoffen aufgegriffen haben[5]. Metagenomik steht jedoch nicht nur im Dienst der Abb. 1: Strategie zur Ausnutzung der mikrobiellen Diversität als Ressource für Anwendung und die Grundlagenforschung BIOspektrum · 1/04 · 10. Jahrgang Schlaglicht 40 angewandten Forschung, sondern kann signifikante Beiträge zu zentralen Gebieten und Fragestellungen der molekularen und mikrobiellen Ökologie leisten. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Entdeckung der Proteorhodopsin-abhängigen Phototrophie in marinen Habitaten als signifikanten globalen Prozess[2]. Ferner wird die Metagenomik zur partiellen genomischen Charakterisierung von bisher unkultivierbaren aber weit verbreiteten Mikroorganismen benutzt[11]. Unserer Meinung nach kann die Metagenomik dazu beitragen, einen besseren Einblick in die Struktur und den Aufbau von komplexen mikrobiellen Habitaten zu erhalten. Bisher wurden Habitate fast ausschließlich durch die Analyse der 16S rDNA charakterisiert. Diese Daten waren zwar sehr hilfreich für die Beschreibung der an einem Standort vorhandenen mikrobiellen Diversität, lassen aber im Prinzip keine Aussagen über mögliche Stoffwechselwege, DNA Transfer oder das vorhandene pathogene Potential in einem Habitat zu. Zusätzlich zu den klassischen auf 16S rDNA-Sequenzierung basierenden Daten kann mit Hilfe von „Snap-Shot“-Sequenzierungen oder Sequenzierung von „large-insert“-Genbanken ein Einblick in die Plastizität und die Feinstruktur eines komplexen Metagenoms erhalten werden. Auch können mittelfristig mit Hilfe der Metagenomik die Grundlagen für regulatorische Studien in komplexen mikrobiellen Konsortien gelegt werden. Letztendlich wird das Entschlüsseln von Genomen oder Genomabschnitten von bisher nicht-kultivierbaren Mikroorganismen den Zugang zu den Proteomen (Meta-Proteomen) von komplexen mikrobiellen Habitaten ermöglichen. Erste diesbezügliche Schritte werden zurzeit im Göttinger Institut für Mikrobiologie und Genetik im Rahmen des vom BMBF geförderten Kompetenznetzwerkes – Genomforschung an Bakterien für die Analyse der Biodiversität und die Nutzung zur Entwicklung neuer Produktionsverfahren – am Beispiel von Modellhabitaten durchgeführt. Bei diesen Arbeiten steht die vergleichende Generierung von Metagenomdatenbanken für einen Trinkwasserbiofilm sowie für das Metagenom von Sedimentproben aus dem Norddeutschen Wattenmeer im Vordergrund[13]. Ein zentraler Aspekt beider Projekte ist es, durch die Akkumulation von möglichst umfassenden Datensätzen einen Überblick über die genetische Ausstattung und damit verbunden über das metabolische Potential beider Habitate zu erhalten. Bereits ein erster Vergleich der mikrobiellen Diversität beider Habitate zeigte, dass die mikrobielle Lebensgemeinschaft im Modell Trinkwasserbiofilm sich durch ca. 80 verschiedene Spezies auszeichnete und im Habitat des Wattenmeers eine mindestens 10-fach höhere Diversität zu beobachten war. Dementsprechend dürfte auch die Größe beider Metagenome stark verschieden sein (wenige hundert Megabasen für den Trinkwasserbiofilm und einige hundert Gigabasen für das komplexe Metagenom des Wattenmeers). Für beide Habitate wäre im Idealfall sicherlich eine vollständige Entschlüsselung der Genominformation wünschenswert. Dies ist aus Kostengründen derzeit nicht möglich, bei einem weiteren Sinken der Sequenzierkosten jedoch zumindest für das Habitat des Trinkwasserbiofilms mittelfristig nicht auszuschließen. Um einen ersten Einblick in die Genomstruktur beider Habitate zu erhalten, wurde die Sequenzinformation von mehreren tausend kurzen DNA-Fragmenten ermittelt und zum Aufbau von DNA-Datenbanken genutzt („Snapshot“-Sequenzierung). Ein zusätzlicher Informationsgewinn für beide Habitate wurde aus der Sequenzentschlüsselung größerer DNA-Fragmente (Contigs) gewonnen. Hierzu wurden „large-insert“-Banken in Cosmiden oder BAC-Vektoren („Bacterial Artificial Chromosomes“) konstruiert und auf die Präsenz von teilweise Habitatspezifischen Markergenen hin durchmustert. Die Analyse der Markergene und der sie umgebenden Genbereiche ermöglichte einen Vergleich mit entsprechenden bereits bekannten und konservierten Genregionen aus Einzelorganismen. Aufgrund dieser Daten lassen sich somit Rückschlüsse auf DNA-Transfer im Habitat, Evolution und auf die Plastizität der Metagenome erarbeiten. Die oben bereits angesprochene „Snapshot“-Sequenzierung von ca. 5.000 Plasmiden aus der Genbank des Trinkwasserbiofilms hat beispielsweise dazu geführt, dass wir eine detaillierte Vorstellung über die Stoffwechselmöglichkeiten des Modellhabitates haben. Es wurde deutlich, dass im Vergleich zu Einzelorganismen im Metagenom des Trinkwasserbiofilms ein hoher Anteil an Genen, die für lipolytische und proteolytische Enzyme kodieren, zu finden ist. Ferner belegten die Untersuchungen an beiden Modellhabitaten, dass vermutlich kein signifikantes Gefährdungspotential von den dort vorhandenen mikrobiellen Gemeinschaften für den Menschen ausgeht, da keine Gene gefunden wurden, die in Zusammenhang zu bekannten Pathogenitätsfaktoren stehen. Diese Beobachtung ist sicherlich im Bezug auf das Habitat des Trinkwasserbiofilms eine sehr wichtige Aussage, die für den Verbraucher von direkter Relevanz ist. Alle DNA-Sequenzinformationen werden zurzeit zum Aufbau von Habitatspezifischen Datenbanken genutzt. In diese fließen weitere Daten ein, die mit Hilfe von molekularen, biochemischen und physiologischen Methoden erarbeitet wurden. Zum einen können diese Datenbaken genutzt werden, um nach Genen zu suchen, die für neuartige Biokatalysatoren oder Metabolite mit hohem Anwendungspotenzial kodieren. Zum anderen tragen solche Datenbanken dazu bei zu verstehen, warum und wie sich mikrobielle Lebensgemeinschaften formen und in welchen Zusammenhang dies zum jeweiligen Standort steht. Im Hinblick auf den analysierten Trinkwasserbiofilm erhoffen wir uns Aussagen darüber, wie man Wachstum von Trinkwasserbiofilmen oder ähnlichen mikrobiellen Konsortien zukünftig vermeiden kann. Für das Wattenmeer wollen wir ein besseres Verständnis über die globale ökologische Rolle, die dieses Habitat spielt, erhalten. Untersuchungen wie diese unterstreichen die Bedeutung der Metagenomik und zeigen auf, dass die Entschlüsselung von Genomen bzw. Genomabschnitten von bisher nicht-kultivierbaren Organismen einen signifikanten Beitrag zur Grundlagenforschung leisten kann. Ausführliche Informationen zu den oben beschriebenen Modellhabitaten und anderen Arbeiten in den Labors der Autoren sind unter www.gwdg.de/~biofilm.de und www.metagenome.net zu finden. Danksagung Unser besonderer Dank gilt Prof. Dr. G. Gottschalk und Prof. Dr. W. Liebl für ihre tatkräftige Unterstützung. Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und dem Fonds der Chemischen Industrie danken wir für die finanzielle Förderung. Literatur [1] Amann, R.I., Ludwig, W., and Schleifer K.H. (1995): Phylogenetic identification and in situ detection of individual microbial cells without cultivation. Microbiol. Rev. 59: 143–169. [2] Béjà, O., Spudich, E.N., Spudich, J.L., Leclerc, M., and DeLong, E.F. (2001): Proteorhodopsin phototrophy in the ocean. Nature 411: 786–789 [3] Courtois, S., Cappellano, C.M., Ball, M., Francou, F.-X., Normand, P., Helynck, G., Martinez, A., Kolvek, S.J., Hopke, J., Osburne, M.S., August, P.R., Nalin, R., Guerineau, M., Jeannin, P., Simonet P., and Pernodet, J-L (2003): Recombinant environmental libraries provide access to microbial diversity for drug discovery from natural products. Appl. Environ. 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