Wenn der Rückfuß schmerzt

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Medizin & Fußpflege
Wenn der Rückfuß schmerzt
Zu den allgemeinen Problemfällen in der Podologischen Praxis zählen neben
den schmerzenden Hühneraugen (Clavi) und Nagelveränderungen auch Rückfußbeschwerden. Klaus Grünewald hat sich das Tarsaltunnel-Syndrom (TTS) aus
biomechanischer Sicht angesehen.
S
chmerzen am Rückfuß können den
Beschwerden des Fersensporns
ähneln, der sich in diesem Fall nach der
Untersuchung aber nicht bestätigen lässt.
Vielmehr findet man im Verlauf der Befragung (Anamnese) des Patienten heraus, dass sich die Schmerzen entlang des
hinteren (proximalen) inneren (medialen) Fußgewölbes ausbreiten und auch
Missempfindungen (Parästhesien) vorhanden sind.
Der Patient muss im Beruf viel Stehen
und wird körperlich beansprucht. Durch
den Sichtbefund fällt die extrem pronierte (der nach innen gekippten) Stellung des hier betroffenen rechten Fußes
auf. Die Anamnese und die pronierte
Fußstellung lassen den Verdacht zu, dass
ein Engpass des medial (weniger des la-
teral) verlaufenden Fußnervs dafür verantwortlich ist. Die Symptome deuten
auf ein sogenanntes Tarsaltunnel-Syndrom (TTS) hin. Der medizinische Fachbegriff dafür ist „Posteriore Tibiale Neuralgie“.
Die Pathologie
Das Tarsaltunnel-Syndrom (TTS) kann
durch die Auswirkung einer Zugbeanspruchung des Retinaculum musculi
flexorum entstehen, einem Halteband,
unter dem die Sehnen der langen Beugemuskulatur und Nervenstränge verlaufen. Es hat seinen Ursprung an der inneren (medialen) Fersenseite und setzt
oberhalb des medialen Malleolus an. Je
nach Zugbeanspruchung übt das Retinaculum eine mehr oder minder starke Kompression auf die hier verlaufenden Sehnen und der Verzweigung des
Nervus tibialis im Tarsaltunnel aus. Hiervon hauptsächlich betroffen ist der Nervus plantaris medialis.
Zur Anatomie des TTS
1 Skizzierter Verlauf der Verzweigung des Nervus
tibialis unter der rechten Fußsohle. Unter der plantaren
Innenseite des Fußes verläuft der Nervus plantaris medialis und zur Außenseite der Nervus plantaris lateralis. Die
Nervenbahnen enden jeweils an den Innen- und Außenseiten der Zehen.
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Eine Dysfunktion im Bewegungsablauf
des Fußes kann Traumen an den Strukturen des Gewebes – der Bänder, Muskeln und Nerven – verursachen. Zu
dieser Funktionsstörung zählt unter anderem das Tarsaltunnel-Syndrom. An
dem Syndrom mitbeteiligt ist das Retinaculum musculi flexorum, das sich in
Abhängigkeit zur Fußstellung spannt
und den Platz der darunter verlaufenden
Sehnen und Nerven einengt. An den Zug
des Retinaculums kann sich auch die
Plantaraponeurose beteiligen, da beide
am medialen Calcaneus verankert und
miteinander verbunden sind.
Bei der Pronation, der Senkung des
Fußes nach innen (medial), kann sich der
Zug der Plantaraponeurose auch auf das
Retinaculum übertragen und den Platz
im Tarsaltunnel verengen. Ebenso beeinflussen Schwellungen der Sehnenscheiden – durch Überlastung, Entzün-
dung oder Verletzung – den Raumbedarf
im Tarsaltunnel.
Schwellung und Bewegung der Strukturen können sich aber nach einer Untersuchung des Autors P. Havel [1] nicht
allein auf den Platzbedarf im Tarsaltunnel auswirken. Er glaubt, dass die Gabelung des Nervus tibialis im Tunneldurchgang mehr Raum beansprucht.
Havel sezierte 68 Fußpräparate und
entdeckte, dass die Gabelung des Nervs
innerhalb des Tunnels und nach dem
Tunneldurchgang in 93 Prozent der Fälle zu sehen war. Vor dem Tunnel war die
Gabelung bei sieben Prozent der Füße zu
sehen. Hier durchquerten zwei Nerven –
statt nur einer – den Tarsaltunnel. Seine
von ihm gestellte Frage, ob eine Häufigkeit der Gabelung des Nervs bei sieben
Prozent der allgemeinen Bevölkerung
mit dem Syndrom im Zusammenhang
stehen könnte, blieb bislang unbeantwortet.
Die Autoren W. Edwards et al. äußerten den Verdacht, dass ebenso der Muskel zur Abspreizung der Großzehe (M.
abductor hallucis) für die Kompression
Biomechanisches
Forum
In der Serie „Biomechanisches Forum“
von Klaus Grünewald sind bisher
erschienen:
– Teilaspekte einer Fußuntersuchung
(1/2, 2016);
– Welche Rolle spielt das Kahnbein
bei der biomechanischen Fußuntersuchung (3/4, 2016)
– Der Sporn in der Ferse (5/6, 2016)
– Wenn der Rückfuß schmerzt (7/8,
2016)
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des Nervs mitverantwortlich sein kann.
Betroffen hiervon wäre der Nervus plantaris medialis der in seinem Verlauf einen
Teil der Sehne des Muskels berührt. [2]
Ebenso ist eine MRT-Aufnahme vor einer Operation empfehlenswert um tiefliegende auf den Nerv einwirkende Faktoren (z. B. Lipome) auszuschließen.
Krankheitsbilder
mit ähnlichen Symptomen
Der Befund für ein TTS
Äußere Faktoren verursachen gewöhnlich Symptome eines TTS, beziehen sich
aber nicht direkt auf den Ablauf der Erkrankung (die Pathomechanik) des Syndroms. Ein Bruch im Lendenwirbelbereich kann zum Beispiel ähnliche
Symptome erzeugen. Ebenso können
Varicosen der tibialen Venen, eine diabetische Neuropathie, Gelenkerkrankungen (Arthropathien) oder ein
Lipom in der Nähe des medialen Malleolus den Beschwerden einer TTS
ähneln.
Äußere Einwirkungen verringern
durch direkten Druck auf den Nerv seine Blutversorgung. Mechanische Einflüsse bewirken eine anormale Stellung
des Fußes und können Zugverletzungen
am Nerven produzieren oder ein direktes Trauma durch das Retinaculum des
hinteren Schienbeinmuskels (M. tibialis
posterior) und seiner Umgebung hervorrufen.
Warum sollte eine
Operation vermieden werden
Die meisten Ärzte bejahen eine Operation für ein TTS-Syndrom nur zögerlich,
weil häufig postoperative Komplikationen in Form von sensorischen Dysfunktionen vorkommen können. Nahezu alle Patienten berichten, dass nach der
Operation die Schmerzen des Syndroms
zwar beseitigt, aber die Nervenleitgeschwindigkeit der motorischen Nerven
beeinträchtigt war. [3]
Bevor man sich für eine Operation entscheidet sollten neurologische Messungen für die Nervenleitgeschwindigkeit
des betroffenen Gebietes durchgeführt
und anormale Werte mit dem „sensorischen Aktionspotenzial“ des gesunden
Fußes verglichen werden.
Als Anhaltspunkt zur Ätiologie des TTS
rückt immer wieder die Bewegung und
Stellung des Fußes in den Blickpunkt.
Nach einer Studie von Labib [4], der
286 Patienten über drei Jahre hinweg betreute und eine neue Dreiheit (Trilogie)
der Fersenschmerzen entwickelte und
eine gewisse Popularität damit gewann.
Die „Heel pain triad“ (Fersenschmerzen
Trilogie) beinhaltet die Plantar-fasciitis,
die Tendinitis des M. tibialis posterior
und das Tarsaltunnel-Syndrom. Seine
Schlüsse aus den Studien ergaben, dass
die fehlende Muskelunterstützung für
das mediale Längsgewölbe des Fußes den
Druck am tibialen Nerven erhöht. Die
aus der fehlenden Muskelunterstützung
entstehende Pronation des Fußes verursacht in der Folge ein TTS.
Aus dieser Folgerung ist das „Tinel-Zeichen“ bekannt um den Verdacht auf ein
TTS zu erhärten. Der Fuß wird für diesen Test zirka 15 Sekunden dorsalextendiert und evertiert gehalten (was einer
pronierten Stellung des Fußes entspricht). Wenn eine Missempfindung
(Parästhesie) auf der plantaren Fläche
des Fußes eintritt kann ein TTS vorliegen.
Eine überzeugende Arbeit hierüber ist
von E. Trepman [5] geschrieben, der jeweils bei unterschiedlichen Stellungen
des Fußes den Druck in dem betreffenden Tarsaltunnel Bereich gemessen hat.
Wenn der Fuß proniert wurde, stellte er
grundsätzlich ein Anwachsen des
Druckes fest. Er stieg um durchschnittlich 32mmHg an – im Vergleich zu ungefähr 1mmHg, wenn der Fuß in Neutralstellung (weder proniert noch supiniert) war. Der Autor stellte auch fest,
dass die Inversion des Fußes – ebenso wie
die Plantarflexion des oberen Sprunggelenks – den Druck erheblich reduzierten.
2 a, b Tarsaltunnel am Skelett des rechten Fußes. Der
Verlauf dieser „Furche“ an der inneren (medialen) Seite
unterhalb des Fersenbeinbalkons (Sustentaculum tali ) ist
im unteren Bild zur Verdeutlichung blau gemarkt.
Wenn die Pronation des Fußes bei den
beschriebenen Tests Reaktionen zeigt,
scheint es logische Konsequenz zu sein,
dass plantar angebrachte Orthosen, die
diese Fußstellung beheben, die Reduzierung der Beschwerden unterstützt. Die
chirurgische Maßnahme bei einem Tarsaltunnel-Syndrom kann dadurch eventuell hinausgeschoben oder vermieden
werden.
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Praxiswissen!
Wirkung einer Orthose
Orthosen können – wie oben erläutert –
ein gutes klinisches Ergebnis für den
Patienten bringen.
Wenn die mediale Gewölbeunterstützung fehlt, kann sich der „Tunneldruck“
auf den tibialen Nerv erhöhen. Eine Orthose, die das mediale Fußgewölbe unterstützt, vermeidet zu einem großen Teil
die pronatorische Bewegung des Fußes
und verringert somit die Druckwirkung
auf den Nerv.
Ein guter Anfang für die Überlegung zu
einer Orthose ist ein semi-steifes, thermoplastisch verformbares Material (z. B.
EVA/Ethylvinylacetat), das ganzflächig
den Umrissen der Schuhinnensohle entsprechen soll. Je größer die Oberfläche
die den Fuß berührt, desto größer kann
die Wirkung auf die Bewegungskontrolle des Fußes sein. Durch Bearbeitung des
Gipsabdrucks vom Fuß des Patienten,
soll die fertige Orthose eine bis zu 16 Millimeter tiefe Fersenschale erhalten. Sie ist
zur Stabilisierung des Rückfußes notwendig, um die vier bis zu sechs Millimeter anzuhebende Innenseite des Fußes
wirksam zu unterstützen. Mit einem sta-
bilisierenden harten Rückfußkeil unter
der plantaren medialen Seite der Orthose kann zusätzlich der Pronation der Ferse entgegen gewirkt werden. Eine Anhebung der Ferse ist – in Abhängigkeit zum
geeigneten Schuhwerk – zusätzlich möglich. Die Erhöhung der proximalen
Fläche der Orthose bringt das obere
Sprunggelenk in eine plantarflektierte
Stellung und ergänzt die Entlastungsmaßnahme für den Nervus tibialis.
Allerdings kann die Orthose nur wirksam sein wenn der Patient sie in einem
Schuh trägt, der eine ausreichend steife
Sohle besitzt. Sie schränkt die Drehung
des Vorfußes zum Rückfuß während der
Gangabwicklung ein und vermeidet als
zusätzliches Hilfsmittel die Pronation der
Ferse.
Eine sorgfältig gefertigte Orthose ist in
der Lage die Symptome eines TTS zu
mildern oder zu beheben.
Ausblick
Als erster Schritt einer Behandlung sollte an eine konservative, die Ursache behebende Maßnahme gedacht werden.
Dies beinhaltet den Fuß durch einen korrigierenden Verband (Tape)
oder eine Orthose in eine weniger pronierte Stellung zu
bringen.
Entzündungswidrige oder
anästhetische (schmerzlindernde) Injektionen beziehungsweise Spritzen können
die begleitenden Symptome
lindern, aber die Ursache eines TTS nicht beheben. Nur
in Fällen anhaltender Beschwerden würde eine Operation als letzter Ausweg das
Retinaculum am medialen
1
Malleolus entlasten um damit
den Nerv zu dekomprimieren.
Ein Befund des Podologen
kann keine ärztliche Diagnose ersetzen. Seine Mitar3 Die Skizze zeigt den Querschnitt für eine Orthose (rote Linie) als
beit ist jedoch hilfreich, die
Einlage im Schuh. Die Kennzeichnung 1 zeigt die Lage des FersenbeinBeschwerden des Patienten
balkons (Sustentaculum tali). Hier befindet sich der wirkungsvollste
zu lindern oder zu beseiAnsatz zur Abstützung des Fußes gegen die Pronation. Die Lage des
tigen. «
Sustentaculum tali wird durch eine Senkrechte vom medialen
Fußknöchel (Malleolus) zum Abdruck des Fußes dargestellt (blauer
gestrichelter Pfeil) und dort markiert. Ein zusätzlicher harter Rückfußkeil unter der plantaren medialen Seite der Orthose kann zusätzlich
der Pronation der Ferse entgegenwirken.
Um ein Verrutschen der Orthose zu vermeiden sollte sie im Schuh vollflächig eingepasst sein. Eine vordere Quergewölbeunterstützung entfällt, da im belasteten Zustand des Fußes alle Mittelfußköpfchen aufliegen und keine Entlastung des Vorfußes erforderlich ist.
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Die Nerveinengung der Verzweigungen
des Nervus tibialis im Tarsaltunnel der
Ferse kann ähnliche Symptome wie eine
Plantarfasciitis hervorrufen. Es kann hierdurch leicht zur Fehleinschätzung eines
Befundes kommen.
Die lange Beugemuskulatur des Fußes
besteht aus dem hinteren Schienbeinmuskel (M. tibialis posterior), dem langen Zehenbeuger (M. flexor digitorum
longus) und dem langen Großzehenbeuger (M. hallucis longus)
Der innere (mediale) Malleolus – oder
auch innerer Fußknöchel – wird aus der
distalen Basis des Schienbeins gebildet
(in Bild 2 a, b am oberen Bildrand erkennbar).
Unter Plantaraponeurose versteht man
das flächige, von der Ferse bis zu den
Mittelfußköpfchen verlaufende Sehnenband unter der Haut der Fußsohle.
[2] W. Edwards, R. Lincoln et al., "The tarsal
tunnel syndrome: Diagnosis and treatment",
Journal of the American Podiatric Medical
Association (1969): 207:716
[3] W.H. Gundring, B. Shields, S. Wenger,
"An outcome analysis of surgical treatment
of tarsal tunnel syndrome", Foot and Ankle
International (2003); July 24(7):545
[4] S. A. Labib, J.S.Gould, "Heel pain triad,
the combination of plantar fasciitis, posterior
tibial tendon dysfunction and tarsal tunnel
syndrome", Foot and Ankle International
(2002) March 23(3):212
[5] E. Trepman, N.J. Kadel, "Effect of foot
and ankle position on tarsal tunnel compartment pressure", Foot Ankle International
(2000): Nov. 20(11):721
Klaus Grünewald, „Theorie der medizinischen Fußbehandlung Band 3 –
Podologische Biomechanik“, Verlag Neuer
Merkur, Planegg (2014)
ISBN: 978-3-95409-013-6
Literatur
[1] P. Havel, N Ebraheim, et al.,
"Tibial nerve branching in the
tarsal tunnel", Foot and Ankle
(1988): 9:117
Anschrift des Verfassers:
Klaus Grünewald
Braunschweig
[email protected]
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