Das trockene Auge Patienten mit hohem Leidensdruck Das trockene Auge (Keratoconjunctivitis sicca) ist eine häufige Erkrankung, bei der unterschiedliche Strukturen des Auges betroffen sein können. Entgegen der landläufigen Meinung handelt es sich keineswegs um eine reine Befindlichkeitsstörung, sondern um eine entzündliche Erkrankung, die mit erheblichen Symptomen und, insbesondere bei schweren Fällen, mit ernstzunehmenden Schädigungen des Auges einhergehen kann. Das trockene Auge ist definiert als eine multifaktorielle Störung von Tränenfilm und Augenoberfläche, die zu Beschwerden, Sehstörungen und einer Tränenfilminstabilität mit möglicher Schädigung der Augenoberfläche führt. Sie wird begleitet von einer erhöhten Osmolarität des Tränenfilms sowie einer Entzündung der Augenoberfläche.1 ­Weltweit leiden zwischen 5 % und 34 % der Menschen am trockenen Auge. Die große Differenz der verschiedenen Prävalenzangaben ergibt sich vor allem aufgrund unterschiedlicher Untersuchungskollektive sowie geografischer und methodischer Unterschiede zwischen den jeweiligen Studien.2 Aktuelle Daten zur Prävalenz in Deutschland liegen derzeit nicht vor.2 Nach Angaben des BVA (Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V.) hat etwa ein Fünftel der Menschen, die einen Augenarzt aufsuchen, trockene Augen. Je nach ­Altersstufe sind 5–35 % der Bevölkerung betroffen, Frauen häufiger als Männer, ältere Menschen häufiger als junge. In Deutschland leiden schätzungsweise bis zu 15 Millionen Menschen (Quelle: BVA) am trockenen Auge und assoziierten Symptomen. Genaue Zahlen sind schwierig zu ermitteln, denn viele Patienten greifen zur Selbstmedikation ohne augenärztliche Kontrolle. Milde Formen gehen in der Regel nicht mit einer Beeinträchtigung des Sehvermögens einher, so dass Betroffene zunächst Rat in der Apotheke suchen und sich mit OTC-Produkten behelfen. Häufig folgt eine Art „Odyssee“, die vom Apotheker über den Hausarzt zum Optiker führt, bevor letztendlich ein Augenarzt konsultiert wird, der die richtige Diagnose stellen und entsprechend therapieren kann. Eine komplexe Erkrankung mit vielfältigen Ursachen Diagnose und Behandlung des trockenen Auges sind allerdings auch für den Augenspezialisten alles andere als trivial. Dies liegt insbesondere an der Komplexität der Erkrankung, die viele verschiedene Ursachen haben kann, und – vor allem bei schweren Formen – an den eingeschränkten Möglichkeiten einer effektiven Behandlung. Abbildung 1 zeigt den komplexen Krankheitsprozess und die vielen möglichen Ursachen für die Entstehung des trockenen Auges. Die Augenoberfläche, bestehend aus Hornhaut, Bindehaut und akzessorischen Tränendrüsen, bildet gemeinsam mit den Meibomdrüsen, der Haupttränendrüse sowie der dazwischen geschalteten Innervation eine funktionelle Einheit.2 Wird ein Teil dieser Einheit durch systemische und/oder externe Faktoren gestört, so dass eine Funktionsbeeinträchtigung entsteht, führt dies über entzündliche Prozesse und hyperosmolare Bedingungen häufig zu einer Progression der Erkrankung, bei der weitere Komponenten der funktionellen Einheit in Mitleidenschaft gezogen werden.3 Es kommt zu einem Circulus vitiosus von Oberflächenschädigung und Entzündung.2 Symptome und Folgen des trockenen Auges Hyperosmolarität des Tränenfilms Stress durch Scherkräfte zw. Augenoberfläche und Lid Zytokine: áMAPK, áNFκB, KORNEA/ áIL-1, áTNF-α, KONJUNKTIVA áMMPs Xerophthalmie, okuläre Allergie, Konservierungsmittel, Tragen von Kontaktlinsen Tränenfilminstabilität (hohe Evaporationsrate) (Refraktive) Augenchirurgie, systemische Medikation, Autoimmunerkrankungen, Allergien/ Konservierungsmittel Becherzelle: Muzinverlust in der Glykokalyx Epitheliale Schädigung APOPTOSE ENT DUN Nervenschäden ZÜN Refraktive Chirurgie, Tragen von Kontaktlinsen, topische Anästhesie G Verminderung der Reflexsekretion Verminderter Tränenfluss TRÄNENDRÜSEN Neurogene Entzündung Neurosekretorische Blockade Herunterregulierte Sekretion Alterungsprozess, Androgenmangel, Nebenwirkungen systemischer Medikamente, trockenes Auge mit oder ohne Sjögren-Syndrom Meibomdrüsendysfunktion, zahnpastaähnliches Meibum, beeinträchtigte Lipidschicht, MEIBOMDRÜSEN Blepharitis, mikrobiologische Besiedlung des Lids, Lipasen, Esterasen, Reinigungsmittel Abbildung 1: Multifaktorelle Entstehung des trockenen Auges. Viele systemische und externe Faktoren können zu einer Dysfunktion der Hauptkomponenten der Tränenfunktionseinheit (Kornea, Konjunktiva, Tränendrüsen und Meibomdrüsen) führen. modifiziert nach: Quelle 3 Die Symptome bzw. subjektiven Beschwerden beim trockenen Auge sind in der Regel unspezifisch. Da sie zu Beginn meist mild ausgeprägt sind, gehen Betroffene nicht zwangsläufig von einer ernstzunehmenden Erkrankung aus, die einer ärztlichen Behandlung bedarf. Häufig auftretende Symptome sind:2 • Rötung der Augen • Brennen • Juckreiz • Stechen • Fremdkörpergefühl • Photophobie Eine Rötung der Bindehaut, eine Schädigung der Augen­ oberfläche (punktförmige Epitheldefekte) sowie ein verminderter Tränenmeniskus sind typisch beim trockenen Auge.2 Häufig liegt eine Meibomdrüsendysfunktion vor, bei der die Ausführungsgänge der Drüsen mit Drüsensekret verstopft sind. Dies kann bis zum völligen Verschluss der Drüsen führen.2 Darüber hinaus kann die Meibomdrüsendysfunktion mit einer Entzündung einhergehen. Je nach betroffener Region handelt es sich um eine Blepharitis oder Meibomitis. Bei einem schweren Verlauf kann es zu Vernarbungen der Bindehaut kommen. Auch die Hornhaut kann durch persistierende Epitheldefekte und Ulzerationen bis hin zur Perforation nachhaltig beschädigt werden.2 Solch schwere Komplikationen des trockenen Auges sind glücklicherweise selten und treten in der Regel nur im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen, wie Ichthyosis oder dem Stevens-Johnson-Syndrom auf. Schlimmstenfalls kann eine Visusminderung oder sogar eine funktionelle Erblindung die Folge sein.2 Die vom Patienten empfundenen Beschwerden müssen jedoch nicht unbedingt den tatsächlichen Befund widerspiegeln. Einige Patienten haben starke Symptome ohne wesent­ liche klinische Zeichen, während andere mit visusbedrohenden Komplikationen nur ein geringes Beschwerdebild zeigen.2 Risikofaktoren für das trockene Auge (hoher Evidenzgrad)2 •Alter • Weibliches Geschlecht • Postmenopausale Östrogentherapie entspricht in etwa der Minderung der Lebensqualität bei Angina pectoris.2 Sogar 38 % der Betroffenen klagen über eine Beeinträchtigung bei der täglichen Arbeit.2 Die Folgen der Erkrankung beim trockenen Auge gehen jedoch über rein körperliche Einschränkungen hinaus. Eine Studie konnte zeigen, dass Betroffene häufiger unter Symp­tomen von Angst und/oder Depressionen litten als Personen einer Kontrollgruppe.5 In einer weiteren Studie fanden sich bei 13,7 % der Patienten mit trockenem Auge im Vergleich zu 8,6 % der Kontrollgruppe Anzeichen einer manifesten Depression.2 • Einnahme von Antihistaminika •Kollagenose • Refraktive Chirurgie der Hornhaut •Bestrahlung • Hämopoetische Stammzelltransplantation •Vitamin-A-Mangel • Hepatitis C •Androgeninsuffizienz Erhebliche Einschränkungen für Betroffene Infolge der verminderten Sehfähigkeit beim trockenen Auge sind Patienten in verschiedenen Bereichen eingeschränkt. Diese Einschränkungen treten insbesondere beim Lesen, bei der Arbeit am Computer und beim Autofahren auf.2 Im Fahrsimulator zeigte sich eine signifikant verlangsamte Reaktionszeit, die mit dem Schweregrad der Erkrankung korrelierte.4 Darüber hinaus schnitten Patienten mit trockenem Auge in spezifischen Fahrsituationen (Einfahrt in eine Kreuzung / einen Kreisel) signifikant schlechter ab als gesunde Probanden.4 Insgesamt geben 60 % der Patienten an, dass sich die Erkrankung negativ auf ihre Lebensqualität in Alltag und Freizeit auswirkt. Dies Fazit Das trockene Auge ist eine häufige und ernstzunehmende entzündliche Erkrankung der Augenoberfläche. Im Verlauf können strukturelle Schädigungen des Auges auftreten, die zu einer Visusminderung oder sogar zur Erblindung führen können. Betroffene leiden als Folge der Erkrankung unter einer starken Einschränkung der Lebensqualität. Nicht nur Tätigkeiten im Alltag oder in der Freizeit, sondern auch die tägliche Arbeit kann als Folge der Erkrankung beeinträchtigt sein. Darüber hinaus ist das trockene Auge häufiger mit Angststörungen und Depressionen assoziiert – ein Anzeichen für den enormen Leidensdruck, dem ­Patienten mit dieser Erkrankung ausgesetzt sind. 1 DEWS Definition and Classification Subcommittee Ocul Surf 2007; 5: 75–92 2 Messmer EM Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 71–82 3 The Ophthalmologist 03/15; Article # 801: 34–35 4 Deschamps N et al. Am J Ophthalmol 2013; 184–189.e3 5 Li M et al. Curr Eye Res 2011; 36: 1–7 Neue Horizonte in der Behandlung von schwerer Keratitis bei trockenem Auge n Coming soon!