Musikverein Regensburg e. V. Dienstag, 1. März 2016, 19:30 Uhr, Vielberth-Gebäude der Universität (H 24) QUATUOR EBÈNE Nicolas ALTSTAEDT, Violoncello Pierre Colombet, Gabriel le Magadure, Violinen, Adrien Boisseau, Viola, Raphaël Merlin, Violoncello Was 1999 als Zerstreuungsübung vier junger französischer Musiker in den Proberäumen der Universität begann, wurde zu einem Markenzeichen des Quatuor Ebène und sorgte für einen nachhaltigen Paukenschlag in der Musikszene. Die vier hauchten der Kammermusik neuen Atem ein, indem sie stets einen direkten und unvoreingenommenen Blick auf die Werke haben und dabei voller Demut und Respekt der Musik entgegentreten, ganz gleich welcher Gattung. Sie wechseln so lustvoll zwischen den Stilen und bleiben doch ganz sie selbst: mit all ihrer Leidenschaft, die sie für jedes aufgeführte Stück empfinden und ungekünstelt und direkt auf die Bühne bringen und somit auch auf das Publikum übertragen. Einen Begriff für ihren Stil gibt es nicht, sie haben ihren eigenen geschaffen. Ihr traditionelles Repertoire leidet keinesfalls unter der Beschäftigung mit anderen Gattungen; vielmehr erzeugt der freie Umgang mit diversen Stilen eine Spannung, die jedem Aspekt des künstlerischen Wirkens gut tut. Diese Vielschichtigkeit im musikalischen Œuvre wurde von Beginn an begeistert von Publikum und Kritikern aufgenommen. Nach Studien beim Quatuor Ysaÿe in Paris sowie bei Gábor Takács, Eberhard Feltz und György Kurtág folgte der beispiellose und herausragende Sieg beim ARD Musikwettbewerb 2004. Damit begann der Aufstieg des Quatuor Ebène, der in zahlreichen weiteren Preisen und Auszeichnungen mündete. Platzmangel verhindert an dieser Stelle die Aufzählung der weltweiten Auftritte und der umfangreichen Diskographie. Der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt ist ein vielseitiger Musiker, dessen künstlerischer Bogen sich von der historischen Aufführungspraxis über das klassische Cello Repertoire bis zur Auftragsvergabe neuer Werke erspannt. Er gehört zu den letzten Schülern Boris Pergamenschikows in Berlin. 2010 wurde Nicolas Altstaedt mit dem Credit Suisse Young Artist Award 2010 ausgezeichnet, welcher mit seinem Debut mit den Wiener Philharmonikern unter Gustavo Dudamel beim Lucerne Festival verbunden war. Seitdem tritt er mit Orchestern in aller Welt auf. Zu seinen ständigen Kammermusikpartnern gehören u.a. Janine Jansen, das Quatuor Ébène als auch die Komponisten Jörg Widmann und Fazil Say. 2012 wurde ihm auf Vorschlag von Gidon Kremer die Leitung des Kammermusikfestes Lockenhaus anvertraut, seit dieser Saison ist er Chefdirigent bei der Österreich Ungarischen Haydn Philharmonie. Seine Diskographie ist hochkarätig und umfangreich. -2- Programm Henri Dutilleux 1916 – 2013 Trois Strophes sur le Nom de SACHER Violoncello Solo Henri Dutilleux 1916 – 2013 ‘Ainsi la Nuit’ für Streichquartett Nocturne – Miroir d’espace – Litanies – Litanies 2 – Constellations – Nocturne 2 – Temps suspendu - Pause - Franz Schubert 1797 – 1828 Streichquintett C-Dur D 956 Allegro ma non troppo Adagio Scherzo: Presto Allegretto Mit großzügiger Unterstützung durch eine private Spende -3- Henri Dutilleux: Trois Strophes sur le nom de Sacher Der Basler Dirigent und Musikmäzen Paul Sacher (1906–1999) widmete sich als Interpret, Organisator und Auftraggeber neuer Kompositionen vielseitig der zeitgenössischen Musik. Bereits 1926 stellte er sein erstes Orchester zusammen, das Basler Kammerorchester, welches bis 1987 bestand. 1941 folgte die Gründung des bis 1992 aktiven „Collegium Musicum Zürich“, und auch die 1933 ins Leben gerufene „Schola Cantorum Basiliensis“ geht auf Sachers Initiative zurück. Ein wichtiges Anliegen war es ihm von Anfang an, für seine Ensembles neue Werke schreiben zu lassen, wodurch er aufgrund seiner Heirat mit einer begüterten Witwe finanziell in der Lage war. Neben Komponisten des persönlichen Umfeldes wie Conrad Beck, Willy Burkhard oder Frank Martin nahm er bald auch mit internationalen Grössen wie Béla Bartók, Igor Strawinsky oder Paul Hindemith Kontakt auf, von denen manche zu seinen Freunden wurden. Später traten Namen wie Luciano Berio, Elliott Carter, Cristóbal Halffter, Hans Werner Henze, Heinz Holliger und Wolfgang Rihm hinzu – um nur einige zu nennen. Anlässlich des 70. Geburtstags dieses bedeutenden Förderers der Neuen Musik, der am 2. Mai 1976 in der Züricher Tonhalle feierlich begangen wurde, ersuchte Mstislaw Rostropowitsch zwölf Komponisten, ihm je ein Huldigungswerk für Violoncello solo zu schreiben, dem die Buchstaben des Namens Sacher (unter Mischung deutscher und italienischer Tonalphabete umgesetzt als eS-A-C-H-E-Re) zugrunde liegen sollten. Dieser Aufforderung folgten so namhafte Tonsetzer wie Conrad Beck, Luciano Berio, Pierre Boulez, Benjamin Britten, Henri Dutilleux, Wolfgang Fortner, Alberto Ginastera, Cristobal Halffter, Hans Werner Henze, Heinz Holliger, Klaus Huber und Witold Lutoslawski. Henri Dutilleux kam später auf sein aus diesem Anlass entstandenes Gelegenheitsstück zurück und ergänzte es durch Hinzufügen zweier weiterer Sätze zu den "Trois Strophes sur le nom de Sacher", die am 28. April 1982 in Basel ihre Uraufführung erlebten. Der für diese kurze, knapp zehnminütige Suite gewählte Titel leitet sich her vom Gedanken einer Wiederkehr, wenn nicht gar von der Vorstellung des sich Reimens. Die einzelnen Strophen stehen miteinander in Beziehung durch die Verwendung der sechs Noten des Namens Sacher, wobei das entsprechende Tonmotiv auch gespiegelt erscheint. Zugleich kommt Dutilleux auf die alte Technik der "Skordatur" auf Streichinstrumenten zurück. In den „Strophes“ müssen die beiden tiefsten Cellosaiten tiefer gestimmt werden: die G-Saite hinab nach Fis, die C-Saite nach B. Dutilleux hat noch weitere Anspielungen in sein Werk hineingeheimnist, die allerdings nur der Kundige hören kann. So findet sich am Ende der ersten Strophe ein kurzes Zitat aus Béla Bartóks "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta", die als Auftragswerk Paul Sachers entstand und von ihm im Januar 1937 in Basel uraufgeführt wurde. Henri Dutilleux: ‚‚Ainsi la Nuit“ für Streichquartett Der 1916 in Angers geborene Henri Dutilleux stammte aus einer künstlerisch begabten Familie: Maler und Musiker gehörten zu seinen Vorfahren. Früh zeigte sich sein eigenes musikalisches Talent, doch das Studium am Pariser Conservatoire ab 1933 befriedigte ihn wenig: aus dessen erstarrtem Konservativisimus befreite ihn erst eine Begegnung mit den unkon- -4ventionellen Ansichten André Jolivets und der Gruppe “Jeune France”. Obwohl Dutilleux auch mit Musikern der “Groupe de Six” in persönlicher Verbindung stand, schloss er sich keiner Schule an und verfolgte einen eigenständigen kompositorischen Weg. In seinen Werken entwickelte er abseits traditioneller Formmodelle ein Konzept der ständigen Metamorphose. Damit zusammen hängt eine Verweigerung herkömmlicher Werkbezeichnungen zugunsten individueller, poetisch sprechender Werktitel wie in der heute erklingenden Komposition “Ainsi la Nuit” für Streichquartett. Das Werk entstand zwischen 1973 und 1976 im Auftrag der US-amerikanischen “Koussevitzky Foundation” für das renommierte Juillard Quartett. Für dieses Projekt liess Dutilleux sich inspirieren, indem er zunächst die Streichquartette Beethovens, Bartóks sowie die “Sechs Bagatellen” von Anton von Webern studierte. Hierauf komponierte er einige vorbereitende, mit “Nuits” betitelte Studien, die er den Musikern des Juillard Quartetts zur Ansicht schickte und später zu einem Gesamtkonzept verband. Die Uraufführung des fertigen Werks übernahm jedoch im Jahre 1977 das französische “Quatuor Parrenin”; dem Juillard Quartett blieb die amerikanische Erstaufführung im April 1978 überlassen. “Ainsi la nuit” verläuft als klangliches Kontinuum, gliedert sich jedoch in sieben relativ selbstständige Teile, die mit Nocturne, Miroir d'espace, Litanies, Litanies II, Constellations, Nocturne II und Temps suspendu überschrieben sind. Sogenannte „Paranthèses“ bilden die Nahtstellen zwischen den Einzelteilen. In ihnen wird Material des vergangenen Abschnitts reflektiert und mit Vorahnungen des folgenden kombiniert. Zugrunde liegt der Komposition ein „Konzept des Erinnerns“, das an Prousts Romanzyklus „Die Suche nach der verlorenen Zeit“ gemahnt. Typisch ist, dass musikalische Materialien nicht gleich in ihrer prägnantesten Gestalt erscheinen, sondern zunächst unscharf und fragmentarisch, bevor sie deutlicher und plastischer werden, um schliesslich wieder in einem Dämmer des Vergessens zu verschwinden. So werden in den ersten Takten grundlegende Elemente der Rhythmik, der Harmonik, der Dynamik, des Tempos, des Lagenwechsels und der spieltechnischen Tongebung als kleine molekülartige Zellen vorgestellt, die später wachsen und sich entwickeln. Unter Ausnutzung zahlreicher Spieltechniken der Streicher zwischen normalem Bogenstrich, sul ponticello, pizzicato und vor allem Flageoletttönen entwickelt sich eine musikalische Dramaturgie, in der die einzelnen Traumgesichte zunehmend Alptraumcharakter erhalten, bevor sie in der „temps suspendu“, der „aufgehobenen Zeit“ des finalen Abschnitts wieder vergehen. Franz Schubert: Streichquintett C-Dur D 956 Kann man bei einem Komponisten, der knapp zweiunddreissigjährig stirbt, überhaupt von einem „Spätstil“ und einem „Spätwerk“ reden? In Bezug auf das erreichte Lebensalter scheinen diese Begriffe unangemessen, betrachtet man jedoch die innere Entwicklung des Musikers Schubert und denkt an Werke wie die späte B-Dur-Sonate, das Streichquintett oder die letzten, unvollendet gebliebenen Skizzen zu einer Sinfonie in D-Dur, so überwiegt der Eindruck, als habe in ihnen eine ins Transzendente zielende Entwicklung gegenüber früheren Werken eingesetzt. Als repräsentativ für den Spätstil – wenn man den Begriff einmal so akzeptiert – hat seit je das Streichquintett in C-Dur gegolten, Schuberts letztes Kammermusikwerk aus dem September 1828. Es ist zu bezweifeln, dass Schubert dieses Quintett zu Lebzeiten noch erklin- -5gen hörte. Die öffentliche Uraufführung fand erst am 17. November 1850 durch das Hellmesberger-Quartett und den Cellisten Josef Stransky im Kleinen Wiener Musikverein statt. Bemerkenswert ist die Besetzung des Werks mit einem zweiten Violoncello, während die Gattungsvorbilder, etwa die Streichquintette Mozarts, die Schubert gekannt hat, das Streichquartett um eine zusätzliche Viola erweitern. Durch diese Verwendung eines zweiten, vom ersten völlig unabhängig geführten Cellos enthält die Komposition einen dunkel timbrierten, sonoren Klang. Die Dimensionen des Quintetts sind, hierin der grossen C-Dur-Sinfonie nicht unähnlich, ins Riesenhafte geweitet, wobei der Schwerpunkt auf den Anfang verlagert ist: jeweils eine Viertelstunde nehmen der erste und der zweite Satz ein, während die beiden folgenden eine Spieldauer von je etwa zehn Minuten haben. Die das Werk prägenden Themen weiten sich zu ausgedehnten Formteilen; darüber hinaus gibt Schubert der Neigung nach, seine Einfälle in immer neuem klanglichem und harmonischem Gewand auftreten zu lassen. Scheinbar beginnt der erste Satz mit einem langsamen Vorspann, eine Illusion, die durch die Harmonik noch verstärkt wird: die Eintrübung des anfänglich erklingenden, dynamisch anwachsenden C-Dur-Dreiklangs zu einem verminderten Akkord ist eigentlich eine typische Einleitungsgeste. Die zu erwartende längere langsame Entwicklung bleibt jedoch aus: wir befinden uns von vornherein mitten im Satzgeschehen des „Allegro ma non troppo“. Die Tonart C-Dur kehrt nach der ersten Eintrübung sofort zurück: sie wirkt danach neu, als Grundtonart aber nicht mehr selbstverständlich. Nach der breiten Entfaltung des ersten thematischen Komplexes blüht in beiden Celli im Unisono das lyrisch-weiche Seitenthema auf, während die übrigen Streicher verhalten begleiten. Überraschend setzt dieses Seitenthema statt in G-Dur im terzverwandten Es-Dur ein, und erreicht erst nach umfangreichen Modulationen das zu erwartende G-Dur. Die Schlussgruppe der Exposition lässt ein neues, synkopisches Sekundschritt-Motiv erklingen, das zum Fundament der folgenden Durchführung wird. Die Reprise ist gegenüber der Exposition variiert und bereichert: so werden gleich zu Beginn die Spannungsakkorde von einer neuen, in Dreiklangsbrechungen aufsteigenden Figur kontrapunktiert. Ähnlich greift die Coda den Anfang nochmals auf und steigert ihn ins Fortissimo, bevor ein letzter zarter Anklang an das zweite Thema ertönt. Zwei harte Akkordschläge beenden den Satz. Das eigentliche Klangwunder des Schubertschen Streichquintetts ist der zweite Satz, ein ganz entrücktes Adagio. Ohne eigentlich thematische Kontur zu erlangen, bilden die drei Mittelstimmen ein in engem Raum in sich kreisendes Klanggeflecht, das von Pizzicatotönen des zweiten Cellos grundiert und von kurzen, mit punktierten Rhythmen der Primgeige eingeleiteten Seufzermotiven überwölbt wird. Reine Zuständlichkeit herrscht in dieser Musik, eine in sich erfüllte und gesättigte Ruhe wie in elysischen Gefilden. Zu diesem paradiesischen Verweilen bildet das Folgende den denkbar grössten Kontrast. Unvermittelt beginnt mit einer Rückung von E-Dur nach f-Moll in plötzlichem Fortissimo ein dramatischer Ausbruch. Seiner emphatischen Melodik, die von erster Geige und erstem Cello im Oktavunisono angestimmt wird, verleiht die synkopische Begleitung eine ungeheure Spannung. Sie wird aber nur für kurze Zeit aufrechterhalten. Jedem der drei Aufschwünge folgt ein resigniertes Absinken, bis sich die Energie abbaut und der Satz in eine variierte Wiederholung des Anfangsteils mündet. -6Das Scherzo beginnt mit einem stürmischen und von Vitalität strotzenden Presto. Der TrioMittelteil setzt sich von dieser temperamentvollen Musik aufs Schärfste ab: er ändert Tonart, Takt, Tempo und Dynamik und wirkt fast wie eine Fortsetzung des vorangegangenen Adagiosatzes. Eine absinkende Melodie, die im Unisono von Bratsche und zweitem Cello angestimmt wird, wirkt verhalten feierlich wie ein Trauermarsch. Danach lässt sich die Reprise des energischen C-Dur-Scherzos nicht mehr unbefangen hören: dessen Musik klingt nun seltsam unwirklich. Der Finalsatz versucht diesen beklommenen Eindruck endgültig zu verscheuchen. Er gibt sich als munteres Kehraus-Finale, in dem Sonaten- und Rondoform einander überlagern. Volkstümliche und unbekümmert tänzerische Tonfälle haben den Vorrang, doch ganz lassen sich die Schatten der vergangenen Sätze nicht abschütteln, die in einzelnen Molltrübungen und harmonischen Merkwürdigkeiten ihren Niederschlag finden. Eine Stretta in zweifacher Temposteigerung bildet den auftrumpfend-nachdrücklichen Beschluss des Werks, aber selbst dieser enthält in der finalen Halbtonführung Des-C noch einen chromatischen Widerhaken.