Ernährung und Demenz

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Übersicht
Ernährung und Demenz
NeuroGeriatrie 2013; 10 (1): 22 – 26
© Hippocampus Verlag 2013
M. Haupt
Zusammenfassung
Die ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr wird mit zunehmendem Schweregrad der
häufig im Alter vorkommenden Demenzerkrankungen ein wachsendes Problem. Die hierzu
mittlerweile in beachtlicher Zahl vorliegenden Studien zeigen, dass bei Demenzerkrankungen
die Ernährung sowohl in der vorbeugenden Phase als auch in der klinisch-symptomatischen
Phase eine bedeutsame Rolle spielt. Der präventive Effekt einer ausgewogenen, vorwiegend
mediterrannahen Kost mit einer wesentlichen Verminderung des Demenzmanifestationsrisikos
ist gegenwärtig hinreichend belegt. Die ärztliche Frühdiagnose von demenzrelevanten kognitiven Störungen ist ein wichtiger Baustein, um in der Folge der fortschreitenden Erkrankung
gesundheitsrelevante Fehl- und Mangelernährung zu mindern und das gesundheitliche Wohlbefinden des Kranken zu stabilisieren. Verhaltenstherapeutische Strategien zur Sicherung einer
ausreichenden Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und palliative Versorgung werden in den
späteren Abschnitten der Demenz immer wichtiger. Die Entwicklung diätetischer Lebensmittel
kann zur Stützung von leichter ausgeprägten kognitiven Einbußen beitragen. Ihr präventiver
Effekt ist bisher nicht untersucht.
Schwerpunktpraxis
Hirnleistungsstörungen im NeuroCentrum Düsseldorf
Schlüsselwörter: Demenz, Fehl-/Mangelernährung, Symptomfolgen, therapeutische Strategien
Vorbemerkung
Von einer Demenzerkrankung sind weltweit gegenwärtig
rund 24 Mio. Menschen betroffen. Können die aktuell zur
Verfügung stehenden therapeutischen Strategien in den
kommenden Jahrzehnten nicht relevant verbessert werden, wird die Zahl der Demenzkranken im Jahr 2050 auf
80 Mio. angewachsen sein. In Deutschland leben etwa 2,5
Mio. Menschen mit Demenz; diese Zahl wird sich bis zum
Jahr 2050 mindestens verdoppeln. Aufgrund der typischen
Krankheitssymptomatik mit kognitiven Störungen, einer
zunehmenden Minderung bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben, insbesondere auch der Selbstversorgung
zur Sicherung einer ausreichenden Nahrungszufuhr und
Flüssigkeitsbilanz, geraten viele Demenzkranke in einen
Zustand mangelhafter oder fehlerhafter Ernährung oder
der Dehydrierung [13]. Das Risiko ist dann besonders
hoch, wenn keine nächsten und kontinuierlichen Bezugspersonen mit dem Demenzkranken zusammenleben. Aber
auch Verhaltensstörungen können zu Problemen bei der
Ernährung führen, etwa dann, wenn der Betroffene durch
unentwegt bestehende Unruhezustände nicht in der Lage
ist, die notwendige Ruhe für die Nahrungsaufnahme aufzubringen.
Begriffsdefinition
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin
(DGEM) verwendet den Begriff »Fehlernährung« für
den angloamerikanischen Terminus »Malnutrition«,
auch wenn hierbei Zustände von Überernährung nicht
gemeint sind, sondern Fehlernährung im Sinne von
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Mangel- und Unterernährung [20]. Dabei wird Unterernährung als Bestehen verringerter Energiespeicher
verstanden und Mangelernährung als krankheitsassoziierter Gewichtsverlust, Eiweißmangel oder spezifischer
Nährstoffmangel (Defizit an essentiellen Nährstoffen,
Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Wasser,
essentiellen Fettsäuren).
Unter »Dehydrierung« wird allgemein die Abnahme
von Körperwasser verstanden, die entweder durch einen
zu hohen Flüssigkeitsverlust oder durch eine zu geringe
Flüssigkeitsaufnahme verursacht wird.
Bedingungen im höheren Lebensalter
Nicht nur im Rahmen einer Demenzerkrankung, sondern
generell im höheren Lebensalter wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Funktionsminderungen in den Organsystemen auftreten, die in akute oder chronische Krankheitszustände führen. Die hierbei mehrheitlich verordnete
Mehrfachmedikation kann infolge von unerwünschten
Wirkungen, insbesondere im gastrointestinalen Bereich,
eine mangelnde Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr nach
sich ziehen. Darüber hinaus sind Appetit und Durst
im höheren Lebensalter meist niedriger ausgeprägt als
in früheren Lebensabschnitten. Erschwerend kommen
eine reduzierte Geschmacks- und Geruchswahrnehmung
hinzu. Infolge krankheitsbedingter Funktionsstörungen
können zudem Kau- und Schluckprobleme bestehen oder
auch Einschränkungen in der Beweglichkeit und Koordinationsfähigkeit von Armen und Händen. Demenz­
erkrankungen können durch ihre Symptomatik in jedem
dieser Bereiche für eine Erschwerung verantwortlich
Ernährung und Demenz
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Nutrition and dementia
sein. Volkert hat die prinzipiell in Betracht kommenden
Faktoren zusammengetragen, die Ernährungsverhalten
und -zustand beeinflussen (siehe Tab. 1; [19]).
Über diese in Tabelle 1 gelisteten Faktoren hinaus
hat die Nahrungsaufnahme aber auch eine wesentliche
weitere Dimension; die soziale Dimension der Tischoder Mahlgemeinschaft. Im Laufe des Lebens haben
sich individuelle Vorlieben und Abneigungen entwickelt,
die die Abläufe während der Einnahme der Mahlzeit
betreffen, die Kommunikation untereinander, die Größe
des Kreises am Tisch, die Verteilung der Aufgaben bei
Zubereitung und Aufteilung der Mahlzeit. Der Weggang
der Kinder aus dem Haus, der Verlust des Partners, der
Wechsel der Wohnumgebung, u. U. mit Einzug in eine
Senioreneinrichtung und einem neuen Rhythmus und
Angebot der Mahlzeiten, können das Ernährungsverhalten negativ beeinflussen und sich entsprechend auf
den Ernährungszustand auswirken [13]. Aufgrund der
gegenwärtigen Datenlage empfiehlt die Diagnose- und
Behandlungsleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
zur Verbesserung der Nahrungsaufnahme »familien­
ähnliche Esssituationen« sowie verbale Unterstützung
und positive Verstärkung zur günstigen Beeinflussung
des Essverhaltens bei Menschen mit Demenz [6].
Empfehlungen für eine ausreichende Nahrungs- und
Flüssigkeitszufuhr im Alter
Nahrungszufuhr
Der Nährstoffbedarf ändert sich mit zunehmendem
Alter aufgrund der gegebenen physiologischen Veränderungen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung [5]
hat für die Gruppe der über 65-jährigen Personen Empfehlungen herausgegeben. Sie beziehen sich auf die für
diese Altersgruppe erforderliche Zufuhr von Nahrungsinhaltsstoffen und Flüssigkeit zur Aufrechterhaltung eines
gesunden Stoffwechsels.
So wird für eine Frau mit 65 Jahren und einem Gewicht
von rund 65 kg ein täglicher Gesamtenergiebedarf von im
Durchschnitt 1.800 kcal genannt, für einen Mann gleichen
Alters und einem Gewicht von rund 75 kg von 2.300 kcal.
Je nach Aktivitätsgrad im täglichen Leben, hervorgerufen
durch bewusste sportliche Betätigung oder krankheitsbedingt durch vermehrte motorische Unruhe, bzw. reduzierte Aktivität, muss der Gesamtenergiebedarf angepasst
werden. Allerdings ist die Energiemenge, die für körperliche Aktivität (Arbeitsumsatz) aufgewendet wird, die am
stärksten schwankende Komponente des Energiebedarfs
und kann bis zu 30 % am Gesamtenergiebedarf ausmachen. Richtwerte sind daher nur als Anhaltswerte zu
verstehen; so benötigt ein motorisch häufig unruhiger
Demenzkranker etwa 3.500 kcal am Tag [2].
Auch wenn die Gesamtmenge des Energiebedarfs im
Alter geringer wird, nimmt der Bedarf an allen Nährstoffen nicht wesentlich ab [5]. Zu diesen Nährstoffen
M. Haupt
Abstract
In the elderly, with ongoing progression of dementia a sufficient nourishment is an increasing problem. Up to now there is a considerable amount of
data demonstrating the relevant role of nutrition in preventing the manifestation of dementia and in stabilizing its symptomatic course. The preventive effect of balanced and Mediterranean food has been shown repeatedly.
Early diagnosis, done by the general practitioner, is an important factor to
minimize malnutrition and its symptomatic sequelae throughout the disease course. Behavioural interventions assuring a sufficient amount of food
and water intake and palliative care have growing importance with dementia progression. The development of dietary medical food may contribute to
the stabilization of mild cognitive symptoms. Its preventive power has not
been investigated yet.
Key words: dementia, malnutrition, symptomatic consequences, treatment
strategies
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zählen die sogenannten Makronährstoffe: Proteine,
Fette, Kohlenhydrate und Ballaststoffe, und die sogenannten Mikronährstoffe: Vitamine und Mineralstoffe.
Die Proteinzufuhr hat einen unverzichtbaren Stellenwert in der Ernährung des älteren Menschen, da nicht
selten Hypoalbuminämien mit Immunmangelerscheinungen beobachtet werden.
Die Fettzufuhr ist nach den Empfehlungen auf einen
Anteil von 30 % am Gesamtenergiebedarf zu beschränken, da ansonsten zum einen kardiovaskuläre Risiken
ansteigen können und zum zweiten eine ausreichende
Zufuhr anderer notwendiger Nahrungsbestandteile weniger gesichert ist. Bei den Fetten sind die mehrfach ungesättigten Fettsäuren zusammen mit den Omega-3-Fettsäuren, wie in Fisch und ungehärteten Pflanzenfetten,
gegenüber den einfach gesättigten Fettsäuren, wie in
tierischen Fetten, zu bevorzugen [3].
Die Kohlenhydratzufuhr als wichtige Energiequelle
für den Menschen wird unterteilt in Polysaccharide
(komplexe Kohlenhydrate), z. B. Zellulose und Stärke
Ernährungsverhalten
– einseitige Ernährung
– Fehlanpassung an veränderte Bedarfssituationen
Krankheits- und
Medikamenteneffekte
–Anorexie
– Behinderung bei der Nahrungsaufnahme
– Maldigestion und Malabsorption, erhöhte Nährstoffverluste
– Erhöhter Bedarf
Körperliche Behinderungen
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Geistige und psychische
Beeinträchtigungen
– Verwirrtheit, dementielle Erkrankungen
– Depression, Ängste, psychotische Symptome
– Agitiertheit, aggressives Verhalten
Sozioökonomische
Faktoren
–Bildungsstatus
– Einkommen, finanzielle Situation
–Wohnsituation
–Hilfsangebote
Mobilitätsstörungen und Immobilität
Behinderungen der oberen Extremitäten
Kaubeschwerden (Mund- und Zahnstatus)
Schluckstörungen (Dysphagien)
Tab. 1: Einflussfaktoren auf Ernährungsverhalten und -zustand
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in Getreide, Kartoffeln oder Gemüse, Monosaccharide
(einfache Kohlenhydrate), z. B. Trauben- und Fruchtzucker etwa in Honig, und Disaccharide wie Rohr- oder
Rübenzucker oder Milchzucker. Polysaccharide werden
im Darm langsam aufgespalten, der Blutzuckerspiegel
ist allmählich und nachhaltig ohne kurzzeitige Spitzenkonzentrationen erhöht, Mono- und Disaccharide
erhöhen unmittelbar und mit kurzzeitigen Spitzenwerten
den Blutzuckerspiegel. Beständigere Energiezufuhr und
gesündere Sättigung entsteht über die Zufuhr von Polysacchariden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
empfiehlt einen Anteil von mehr als 50 % (mindestens
100 g/Tag) von Kohlenhydraten, vorwiegend Polysacchariden, an der Gesamtenergiezufuhr [5].
Als Ballaststoffe werden diejenigen Nährstoffe
bezeichnet, die im menschlichen Verdauungstrakt nicht
abgebaut werden. Sie tragen aber zur Funktionstüchtigkeit der Verdauung bei, indem sie die Darmperistaltik
begünstigen und auch Vitamine und Mineralstoffe liefern. Zu den ballaststoffreichen Nahrungsmitteln gehören vor allem Gemüse, Obst und Vollkornprodukte. Die
Deutsche Gesellschaft für Ernährung [5] empfiehlt eine
Richtwertzufuhr von 30 g/Tag beim älteren Menschen.
Flüssigkeitszufuhr
Die regelmäßige und ausreichende Zufuhr von frischem
Wasser ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen
funktionierenden Stoffwechsel. Wasser erfüllt hierbei
wichtige Aufgaben als Lösungsmittel, Transportmittel
und Regulator der Temperatur. Mit Schweiß, Atemluft,
Urin und Faeces verliert der Körper unentwegt Wasser. Diese Verluste schwanken unterschiedlich stark
in Abhängigkeit von körperlicher Aktivität oder Umgebungs- und Körpertemperatur.
Mit fortschreitendem Alter nimmt das Durstempfinden trotz bestehenden Flüssigkeitsdefizits ab, da Funktionseinschränkungen der hypothalamischen Osmorezeptoren für die Salzkonzentration eine reguläre
physiologische renale Wasser-Salz-Balance nicht mehr
gewährleisten [2]. Ältere Menschen sind daher meist nicht
mehr in der Lage, nach Orientierung am Durstgefühl eine
ausreichende Flüssigkeitsbilanz aufrechtzuerhalten.
Im Allgemeinen wird für den älteren Menschen eine
tägliche Flüssigkeitszufuhr von 1,5 – 2 Litern empfohlen [2]. Der tatsächliche individuelle Bedarf ergibt sich
gleichwohl aus den besonderen Erfordernissen von
Flüssigkeitsverlusten durch körperliche Aktivitäten oder
krankheitsbedingte Störungen, etwa Infektionen, gastrointestinale Erkrankungen oder renale Störungen.
Die wichtigsten Folgen von Mangelernährung sind
allgemeine Schwäche, Antriebslosigkeit, Abnahme von
Kraft und Steigerung der Sturzrisikos, erhöhte Infektanfälligkeit, kognitive und emotionale Störungen, beeinträchtigte Wundheilung und verzögerte Genesung.
Zu den wichtigsten Folgen von Dehydrierung zählen Gewichtsverlust, Verstopfung, kognitive Störungen,
Antriebslosigkeit und Lethargie, trockene Schleimhäute
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(z. B. fehlender Speichelsee unter der Zunge, »pulvertrockene« Achselhöhle), reduzierte Harnmenge bei höherer
Harnkonzentration, Blutdruckabfall und Pulsbeschleunigung, mitunter Krampfanfälle wegen Elektrolytentgleisung [7].
Früherkennung von Problemen bei der Ernährung von
Demenzkranken
Vor allem alleinlebende Demenzkranke oder jene ohne
koordinierte Betreuung sind bedroht von Fehl- und Mangelernährung [13]. Die beste Voraussetzung für eine angemessene Prävention problematischen Ernährungsverhaltens bei Demenzkranken ist die frühzeitige Diagnose
der Demenzerkrankung. Hier kommt dem Hausarzt eine
zentrale Rolle zu, da er für entsprechende Warnsignale
Untersuchungsmöglichkeiten hat, etwa die Erhebung
von aktuellen Ernährungsgewohnheiten, die Bestimmung des Gewichts bzw. von Gewichtsänderungen, die
Untersuchung auf erste Zeichen für eine negative Flüssigkeitsbilanz, eine Inspektion der Mundhöhle und der
Zähne, die Identifizierung von auffälligen Laborparametern und damit verbundenen einfachen oder komplexen
Mangelzuständen [9]. Auch sollten die den Demenzkranken betreuenden oder in seinem Umfeld lebenden
Personen, etwa Pflegedienste, Besuchsdienste, Freunde,
Nachbarn, Apotheker und andere, für das Risiko von
Fehl- und Mangelernährung sensibilisiert sein. Unter
Umständen können präventive Hausbesuche erforderlich sein [13]. Eine Umgebung mit besonders hohem
Risiko für problematische Nahrungsaufnahme ist für den
Demenzkranken das somatische Krankenhaus [13]. Nicht
selten kommt es während der stationären Behandlung
aus diesem Grunde zu einer Verschlechterung seines
körperlichen und psychischen Zustands. Angebotene
Speisen werden in der Stationsumgebung abgelehnt,
nicht angerührte Speisetabletts ohne Ersatz abgeräumt;
Angehörige sind zudem mit der Gesamtsituation meist
überfordert. Für die Demenzkranken sollte hier eine
ruhige Essumgebung geschaffen werden, ggf. ist der Einsatz einer Special Nurse vorzusehen. Angehörige sollten
zudem mit ausreichender Information und Absprachen
in die Pflege einbezogen werden; ferner ist ein auf die
Sicherstellung der Ernährung bezogenes Entlass- und
Überleitungsmanagement von stationär nach ambulant
für den Demenzkranken zu entwickeln.
Praktische Aspekte zur Ernährung und
Flüssigkeitszufuhr bei Demenzkranken
Die vorangegangenen Ausführungen zum Gesamtenergiebedarf und Flüssigkeitsbedarf bei älteren Menschen
treffen im Wesentlichen auch auf die Situation von Demenzkranken zu. Beim individuellen Kranken müssen
gleichwohl für die Einschätzung einer ausreichenden
Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr die besonderen durch
den jeweiligen Symptomverlauf und die Demenzschwere
bestimmten Umstände berücksichtigt werden.
Ernährung und Demenz
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mangelnde Konzentration auf den Essvorgang
fehlende Einsicht in die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme
Vergessen der Mahlzeiten
koordinative/exekutive Probleme beim Umgang mit Besteck, Führen der Gabel zum Mund, Halten des Glases
fehlendes Erkennen von Essbarem, Verkennen von nicht Essbarem
Ablenkbarkeit durch Geräusche oder Hektik
gesteigerter Bewegungsdrang
veränderte Geschmackswahrnehmung
Irritation durch unterschiedliche Konsistenzen (z. B. Kapern in der
Soße)
Tab. 2: Auswahl problematischer Situationen bei der Ernährung von
Demenzkranken
Eine Vielzahl von Faktoren kann zu Problemen bei der
Ernährung von Demenzkranken führen (siehe Tabelle 2).
Das Aversive Feeding Behaviour Inventory, nach dem
Entwickler auch Blandford-Skala genannt [10], bietet
in der deutschen Übersetzung von Kolb [10] eine systematische Erfassung und Bewertung zusammen mit
konkreten Problemlösungsoptionen bei ablehnendem
Ess- und Trinkverhalten von Demenzkranken an. Unterschieden wird dabei in direkt und indirekt ablehnendes
Verhalten (siehe Tabelle 3).
Maßnahmen zur Lösung der in der Erhebungsskala
genannten problematischen Situationen bestehen beispielsweise für das selektive Verhalten darin, auf appetitanregende Präsentation der Speisen zu achten, ferner
von früher beliebte Speisen anzubieten, ggf. auch eine
Geschmacksverstärkung durch Zuckern von Wurst, süßsaures Anrichten von Soßen u. ä. vorzunehmen sowie
Zwischenmahlzeiten anzubieten. Bei der oropharyngealen Dysphagie sollten vermehrt weiche Speisen und
Getränke angeboten und häufiger kleine, mundgerechte
Portionen gereicht werden; genügend Zeit für jeden
Bissen und behutsame ermunternde Aufforderungen
beim Essen sind hier hilfreich. Auch beim ablehnenden
Verhalten können verschiedene Arrangements zu einer
Verbesserung von Essen und Trinken des Demenzkranken führen, etwa die Anwesenheit von vertrauten Personen bei der Mahlzeit oder die Einnahme des Essens
im Rahmen einer Tischgemeinschaft; Konfrontationen
sollten vermieden werden, im Zweifel sollte dem Kranken auch »ungewohntes« Essverhalten erlaubt sein,
selbst wenn die Kleidung oder der umliegende Boden
danach gereinigt werden müssen [10]. Grundsätzlich
ist bei der Nahrungsaufnahme nach den Empfehlungen
auf eine ruhige Umgebung ohne hektische Bewegungen,
laute Zurufe oder störende Geräusche zu achten, ferner
auf ausreichende Lichtverhältnisse und wertschätzende,
beruhigende Kommunikation [6, 12].
Ernährung in der letzten Lebensphase bei Demenz
Schreitet die Demenz weiter fort und tritt die letzte
Lebensphase ein, so verbraucht der Körper infolge der
katabolen Stoffwechsellage mehr Energie als er aufnehmen kann. Es kommt unweigerlich zu einem Gewichts-
Übersicht
Direktes ablehnendes Verhalten:
Indirektes ablehnendes Verhalten:
n selektives Verhalten (erfordert qualitative
n ablehnendes Verhalten
Änderung der Ernährung)
– lehnt Nahrung ab, verlangt nach
besonderem Essen
– probiert Essen, beklagt sich, isst
nicht weiter
– akzeptiert nur flüssige Nahrung
n oropharyngeale Dysphagie (fehlende
orale neuromuskuläre Koordination beim
Kauen oder Schlucken)
– presst Lippen zusammen
– beißt Zähne zusammen
– nimmt Nahrung in den Mund, stößt
sie wieder aus
– nimmt Nahrung in den Mund,
schluckt aber nicht
– wendet den Kopf zur Seite
– schiebt den Löffel weg
– wirft mit dem Essen
n allgemeine Dyspraxie/Agnosie (globale
kognitive Defizite, Verwirrtheit, fehlende
Konzentration)
– isst mit Fingern statt mit Besteck
– unfähig mit Besteck zu essen
– spielt mit dem Essen, ohne zu essen
– versucht, nicht Essbares zu essen
n phayngoösophageale Dysphagie (Nahrung
gelangt in die Luftwege)
– hustet oder würgt bei der Nahrungsaufnahme
– hat gurgelnde Stimme
Tab. 3: Auszüge aus dem Aversive Feeding Behaviour Inventory nach Übersetzung von
Kolb [10]
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Vermeiden von Medikamenten mit anticholinerger Wirkung
konsequente Mund-/Lippenpflege
künstlicher Speichel
Vermeiden von Zitrone/Glycerin
Vermeiden von Sauerstoff
kleine Eiswürfel
kleine Mengen Flüssigkeit (tropfenweise in den Mund)
Tab. 4: Vorbeugung und Behandlung der Mundtrockenheit in der
letzten Lebensphase
verlust. Um das Gefühl von Hunger und Durst zu stillen,
reichen im Regelfall kleine Mengen an Nahrung und
Flüssigkeit aus [1]. Das Durstgefühl ist dann wesentlich
von der Trockenheit der Schleimhäute abhängig, nicht
mehr von der Menge der zugeführten Flüssigkeit. Die
möglichen Maßnahmen zur Vermeidung eine Schleimhauttrockenheit sind nach Borasio [1] in Tabelle 4 aufgeführt (siehe Tabelle 4).
Häufig wird auch heute noch immer über die Anlage
eine PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie)-Sonde gesprochen, wenn ein Demenzkranker im schweren
Stadium seiner Demenz und im Übergang ins Sterben
keine Nahrung und Flüssigkeit mehr zu sich nehmen
will. Bei Berücksichtigung aller vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist nach einer CochraneAnalyse die PEG-Sonden-Anlage nicht empfehlenswert,
da sie einen höheren Schaden als Nutzen für den Kranken bedeutet; sie hebt das Infektionsrisiko und damit die
Wahrscheinlichkeit von Schmerzen an und erhöht die
Sterbehäufigkeit [14].
Präventive und therapeutische Aspekte der Ernährung
bei Demenz
Epidemiologische Studien liefern Hinweise darauf, dass
ein höherer Verzehr von Obst, Gemüse, Fisch, Nüssen und Hülsenfrüchten, im Sinne einer mediterrannahen Ernährungsweise, mit einem geringeren Risiko
für die Entwicklung von kognitiven Störungen oder
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einer Alzheimer-Demenz assoziiert ist [8, 15, 18]. Hierfür sind offenbar die von diesen Nahrungsbestandteilen ausgehenden antioxidativen und antientzündlichen
Wirkungen sowie eine Verbesserung des Zuckerstoffwechsels ursächlich. Demgegenüber ergaben epidemiologische und Interventionsstudien mit einer zusätzlichen
Zufuhr von B-Vitaminen oder Fettsäuren widersprüchliche Ergebnisse zu der Frage, ob das Auftreten einer
Demenz hinausgezögert bzw. vermieden oder ob eine
bereits bestehende Demenz in der Symptomatik günstig
beeinflusst werden könnte [4]. Es liegen Hinweise vor,
dass unter den Omega-3-Fettsäuren die Docosahexaensäure (DHA) im Vergleich zur Eicosapentaensäure (EPA)
ungleich bedeutsamer in der Risikominderung für das
Auftreten einer Alzheimer-Demenz sein könnte [11].
Zur Behandlung der leichten Alzheimer-Demenz
wurde kürzlich für besondere medizinische Zwecke
ein diätetisches Lebensmittel im Markt eingeführt, das
rezeptfrei in Apotheken erhältlich ist. Dieses diätetische
Lebensmittel, Souvenaid, enthält eine patentierte Kombination von Nährstoffen, die insbesondere solche Stoffe
umfasst, die mit der Funktion und Konnektivität von
zerebralen Neuronen in Verbindung gebracht werden.
Hierzu gehören u. a. ungesättigte Fettsäuren und Spurenelemente, Vitamine oder auch Cholin und Uridin
[17]. In zwei bisher publizierten kontrollierten Studien­
mit leichtgradig dementen Alzheimer-Kranken, die im
Wesentlichen einen Mini-Mental-Status-Testwert von
mindestens 20/30 Punkten bei einem Mittelwert von
24/25 Punkten aufwiesen, konnte mit einer Tagesdosis
von 125 ml über einen Zeitraum von 12 (n = 212 Alzheimer-Kranke) und 24 (n = 259 Alzheimer-Kranke) Wochen
gezeigt werden, dass sich, gemessen mit einer standardisierten und normierten Testbatterie, Leistungen der
Merkfähigkeit bedeutsam verbesserten [16, 17]. In den
gleichfalls erhobenen EEG-Ableitungen ergaben sich in
der Verumgruppe Hinweise auf eine verbesserte funktionelle Konnektivität [17].
Möglicherweise steht mit dem diätetischen Lebensmittel neben den zugelassenen Antidementiva und den
nichtmedikamentösen Verfahren eine weitere therapeutische Option zur günstigen Beeinflussung kognitiver Leis­
tungsfunktionen bei leichtgradig beeinträchtigten Alzheimer-Kranken zur Verfügung, auch wenn der Wirkeffekt
begrenzt ist. Dieser Umstand weist auch wiederum darauf
hin, dass ernähungsbezogene Aspekte in der Behandlung von Demenzen einen wichtigen Stellenwert besitzen.
Prospektive Studien zur präventiven Wirkung des diätetischen Lebenmittels auf das Manifestationsrisiko einer
Alzheimer-Demenz wurden bisher nicht durchgeführt.
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Interessenvermerk
Es besteht kein Interessenkonflikt.
Korrespondenzadresse
PD Dr. Martin Haupt
Schwerpunktpraxis Hirnleistungsstörungen
im Neuro-Centrum Düsseldorf
Hohenzollernstr. 1-5
40211 Düsseldorf
E-Mail: [email protected]
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