In den Fängen eines Trugbilds

Werbung
Kultur
12
NUMMER 145
Als
Waise in
der DDR
Kultur kompakt
AMERIKANISCHE FILM-ACADEMY
Christop Waltz darf künftig
über Oscars abstimmen
Oscar-Preisträger Christoph Waltz
wird als neues Mitglied in die amerikanische Filmakademie aufgenommen. Dies gab die Academy of
Motion Picture Arts and Sciences
bekannt. Der 53-Jährige, Star der
Nazi-Satire „Inglourious Basterds“,
zählt zu 135 Filmschaffenden, die
in diesem Jahr auf Einladung der
Organisation beitreten dürfen.
Auch Christian Berger (65), der für
seine Kamera-Arbeit in Michael
Hanekes Schwarz-Weiß-Drama
„Das weiße Band“ eine Oscar-Nominierung erhalten hatte, steht auf
der Liste. Die neuen Mitglieder
dürfen bei der Verleihung der Oscars mit abstimmen. (dpa)
Peter Wawerzinek
gewinnt in Klagenfurt
ADAM ZIELINSKI
Der Schriftsteller starb
im Alter von 81 Jahren
Der polnisch-österreichische
Schriftsteller Adam Zielinski ist
tot. Er starb nach kurzer schwerer
Krankheit in der Nacht zum Sonntag in Wien. Der Autor, der auf Polnisch und Deutsch schrieb, hatte
vor ein paar Tagen noch seinen 81.
Geburtstag gefeiert. Sein letztes
Buch, „Im Schtetl“, erscheint Ende
August. Zielinski wurde am 22.
Juni 1929 in Drohobycz bei Lemberg geboren. Seine Eltern wurden
während des Zweiten Weltkrieges
von den Nazis getötet. 1957 ging er
mit seiner Familie nach Wien und
gründete zunächst ein Handelsunternehmen. Seit 1989 war er auch als
Schriftsteller bekannt. (ddp)
BERLINER SCHLOSS-WIEDERAUFBAU
In Kürze Richtfest
für das Infozentrum
Trotz des verschobenen Baubeginns
für das Berliner Schloss laufen die
Vorarbeiten für das Mammutprojekt auf Hochtouren. Die sogenannte „Humboldt-Box“, die über
die künftige Nutzung des Schlosses
informieren soll, feiert am 8. Juli
Richtfest. Die Baukosten für die
„Humboldt-Box“ sind auf fünf Millionen Euro veranschlagt, die Eröffnung ist für Ende des Jahres geplant. In dem fünfstöckigen Bau
auf dem Schlossplatz soll über den
Wiederaufbau der einstigen Residenz informiert werden. (dpa)
AUSZEICHNUNG
Carlo-Schmid-Preis
für Kunsthistoriker Spies
Der Kunsthistoriker Werner Spies
(73) ist am Sonntag in Mannheim
mit dem Carlo-Schmid-Preis ausgezeichnet worden. Die Schmid-Stiftung hatte sich für Spies entschieden, um damit „seine besonderen
Verdienste um das deutsch-französische Kulturverhältnis“ zu würdigen. Laudator war Filmemacher
Volker Schlöndorff. Nach dessen
Meinung hat Spies auch schon vor
seiner Zeit als Direktor des Pariser
Centre Georges Pompidou zur Verständigung der Deutschen und
Franzosen beigetragen. (dpa)
Calaf (Ricardo Tamura, Mitte) wird bedrängt, Abstand zu nehmen von seinem Vorhaben, Turandot zu erobern.
Foto: A. T. Schaefer/Theater Augsburg
In den Fängen eines Trugbilds
Turandot Auf der Augsburger Freilichtbühne inszeniert Thaddeus Strassberger Puccinis
Opernstoff als schwärmerisches, sich letztlich auflösendes Gespinst eines jungen Mannes
VON STEFAN DOSCH
Augsburg „Keiner schlafe!“, lautet
die Empfehlung von der Bühne, und
nur zu gerne mochte man den berühmten Arienworten an diesem
Abend Folge leisten. Denn was für
eine tadellose Sommernacht war der
Saisoneröffnung der Augsburger
Freilichtbühne beschieden! Wachen
Sinns mochte man auf der malerischen Anlage am Roten Tor auch
deshalb sein, weil hier nach über 20
Jahren erstmals wieder „Turandot“
gegeben wurde, Giacomo Puccinis
in jeder Hinsicht opulente, exotische Oper, wie geschaffen für großes Ausstattungstheater und mithin
für die Freilichtbühne.
Thaddeus Strassberger (Regie/
Bühne) hat der Märchenhandlung
aus einem mythischen alten China
einen jüngeren Erzählrahmen verpasst. Zu Beginn sieht man eine kolonial-archäologische Situation, in
der unter Aufsicht europäisch gekleideter Auftraggeber im fernen
Osten Terrakotta-Kriegerfiguren
ausgegraben werden (Kostüme:
Madeleine Boyd). Dem jungen Calaf
wird die Legende von der gefühlskalten Prinzessin Turandot zur fixen Idee, schon gar, nachdem die
Ausgrabung eine Art Sarkophag ans
Licht befördert – aus dem später die
Kaiserstochter hervortritt.
Das ist ein Topos abendländischer Geisteswelt: der Mann in jungen Jahren, der sich in eine Gestalt
aus vergangener Zeit verguckt. Sigmund Freud, als er einen ähnlich
schwärmerischen Fall unter die
Lupe nahm (nämlich die Hauptfigur
in Wilhelm Jensens Novelle „Gradiva“), gab das Anlass zu psychoanalytischen Betrachtungen.
Die „Turandot“-Geschichte als
Phantasmagorie, als männlich-überhitztes Truggebilde – ein vielversprechender Ansatz. Der jedoch
rasch verebbt, weil es Strassberger
nur selten gelingt, daraus szenisch
Kapital zu schlagen. Die Idee, Turandot und Calaf auch dann, als alle
Hindernisse (scheinbar) überwunden sind, nicht beieinander, sondern
weit voneinander entfernt singen zu
lassen und somit die tatsächliche
Distanz zwischen den beiden zu versinnbildlichen, gehört dabei zu den
lobenswerten Ausnahmen.
Puccini und die Regie
gehen teils getrennte Wege
Schwer wiegt auch, dass das Konzept nicht selten mit Libretto und
Musik kollidiert. Was auf der notierten Ebene verhandelt wird, findet auf der Szene oft keinen Niederschlag. Das geht zulasten der Dramatik, schon gleich zu Beginn. Wie
viel kollektive Blutlüsternheit, aber
auch Angst liegt hier doch in den
Äußerungen der Volksmenge – welche Nervosität verbreitet auch die
Musik. Strassbergers ArchäologenSzenerie wirkt dagegen betulich,
trotz einiger Aufsehergewehre.
Überhaupt die Massen. Sie wollen
in dieser Choroper schlüssig bewegt
sein, damit die Schraube des Dramas
sich immer fester ziehe. Doch die
Regie lässt viel Potenzial verpuffen.
Würde der Pöbel am Ende nicht
buchstäblich Liù zerreißen, man
hätte wohl kaum Kenntnis davon,
dass er zuvor schon eine ganze Szene
hindurch die opferwillige Sklavin
mit dem Tode bedrohte.
Musikalisch freilich wird man in
dieser „Turandot“ des Theaters
Augsburg schadlos gehalten. Die
Partie der Liù – für manch einen das
emotionale Zentrum der Oper – erhält durch Sophia Brommers Sopran
nicht nur lyrischen Schmelz, sondern auch jenen Schuss Tapferkeit,
der die Figur zur anrührenden Opfergängerin macht. Sally du Randt,
eigentlich keine Hochdramatische,
verfügt zwar nicht über letzte
Durchschlagskraft, präsentiert all
die vokalen Sprünge und Spitzen der
Turandot jedoch souverän. Sie erfasst auch eindrucksvoll in Stimmgestaltung und Spiel die Ambivalenz
der Turandot: die emotionale Starre, hinter der sich gleichwohl ein
fühlendes Herz verbirgt.
Ricardo Tamura bleibt als Akteur
auf der Bühne blass, was wohl dem
Einspringerstatus geschuldet ist.
Unvollendet – vollendet
Puccinis „Turandot“ gehört zu den
unvollendeten Werken der Operngeschichte – der Meister starb 1924
vor Fertigstellung des 3. Akts. Sein
Schüler Franco Alfano vollendete die
Partitur nach Puccinis Notizen, die
Uraufführung der „Turandot“ fand
mit diesen Ergänzungen 1926
statt. Die viel kritisierte, dennoch gebräuchlich gewordene Fassung Alfanos ist auch Grundlage der Augsburger Aufführung. (sd)
Seine Tenorstimme aber besitzt
Kraft, Gleichmaß, Italianità, und so
geht seinem Calaf „Nessun dorma“
mit Leichtigkeit, vielleicht eine
Spur zu routiniert von den Lippen –
jenem Calaf, der am Ende von seinem
Liebesgespinst
Abschied
nimmt, als Turandot wieder im Sarkophag verschwindet. Sehr homogen das Ministertrio (das die Partie
des Kaisers gleich miterledigt) mit
Mark Bowman-Hester, Seung-Hyun Kim und Seung-Gi Jung. Ist bei
„Turandot“ vom Gesang die Rede,
geht es nicht ohne die Chöre. Karl
Andreas Mehling hat das komplette
Aufgebot des Theaters (Kinder inklusive) bestens präpariert.
Der Komponist als
Klassiker der Moderne
In Dirk Kaftans Dirigat ist das Bestreben zu verspüren, Puccini nicht
als bloßen Lieferanten süffiger Melodien zu verstehen, sondern als
Klassiker der Moderne, der sehr
wohl wusste, dass neben ihm Schönberg und Strawinsky wirkten. Einschlägig kantable Stellen der Partitur ließ Kaftan die Augsburger Philharmoniker jedenfalls nicht über die
Maßen auskosten, war auch bemüht, klanglichen Monumentalismus gar nicht erst aufkommen zu
lassen. Trotzdem hätte ein Quäntchen mehr Belcanto-Leidenschaft
der Aufführung zu noch packenderem Ausdruck verholfen. Vielleicht
auch deshalb zwar herzlicher, jedoch kein enthusiastischer Applaus.
O
Wieder am 29. Juni, dann bis 31. Juli
neun weitere Aufführungen.
Ganz auf Sicherheit
Mark Knopfler Der Gitarrist in München: perfektes Handwerk, nicht mehr, nicht weniger
VON FRANZ NEUHÄUSER
Bekanntes, allzu Bekanntes von einem
älteren Herrn: Mark Knopfler in München.
Foto: Stefan M. Prager
MONTAG, 28. JUNI 2010
München Eigentlich geht es um
Mark Knopfler und sein Konzert
auf dem Münchner Königsplatz.
Aber es bietet sich ein kurzer
Schwenk nach Dornbirn an.
Dornbirn?
Ja, Dornbirn, Österreich, south of
the border, nahe Bregenz. Dort gastierte vorvergangenen Samstag Bob
Dylan. Man wundere sich besser
nicht, in welchen Orten musikalischer Diaspora seine niemals endende Tour inzwischen Station macht.
Bob Dylan also in Dornbirn. Außergewöhnlich wie immer. Ein
16-Song-Programm, Raritäten aus
seinem umfangreichen Katalog, die
selbst vermeintliche Kenner ins
Grübeln bringen. „The lonesome
Death of Hattie Carrol“ – wo hat er
das ausgegraben? Aber auch wohlbekannte Klassiker, die der Meister
zuweilen sehr freihändig umdeutet.
So wie „Desolation Row“, das vertraut beginnt und nach der dritten
Strophe in eine Art Stakkato-Rap
mutiert. Typisch Dylan eben. Der
Wandel ist das beständigste Element
in seinem Schaffen.
Und jetzt dazu im harten Kontrast Mark Knopfler. Auch ein
16-Song-Programm. Aber ganz auf
Sicherheit gespielt. Wer an dem
wunderbaren Sommerabend die
Augen schließt, der könnte meinen,
dass da vorne auf dem Königsplatz
eine riesige Stereoanlage steht.
Der Sound perfekt ausbalanciert
(zumindest in den bühnennahen Regionen), die Interpretation originalgetreu. Perfektes Musiker-Handwerk, aber kein bisschen Risiko.
Beim Dire-Straits-Klassiker „Sultans of Swing“ zum Beispiel wird die
eigentlich acht Mann starke Band
freiwillig auf ein Quartett reduziert
– weil das der Originalversion entspricht. Manchmal wünscht man
sich ein bisschen mehr Dylan im
Knopfler. Warum nicht mal die
„Sultans“ im veränderten Arrangement? Fürchtet er, die Erwartungen
des Publikums zu verprellen, wenn
er sein Solo nicht lehrbuchexakt
nachspielt?
Neben den „Sultans“ greift
Knopfler noch weitere vier Mal auf
Dire-Straits-Material zurück („Romeo & Juliet“, „Telegraph Road“,
„Brothers in Arms“, „So far
away“), allesamt stürmisch gefeiert.
Das restliche Programm, ein Querschnitt aus seinen Soloalben, wird
freundlich begrüßt. In den hinteren
Reihen des weitläufigen Areals mag
man sich etwas gegrämt haben, dass
sich Knopfler keine Videotechnik
leisten mag, die ihn optisch etwas
näher bringt. Andererseits: Viel zu
sehen gibt es ja nicht. Ein älterer
Herr im grauen Hemd und in Jeans,
halb stehend, halb auf einem Hocker
sitzend – des Rückens wegen. Der
Arzt hat ihm „no more disco
dancing“ verordnet, erklärt Knopfler in einer kurzen Ansprache.
Ansonsten lässt er seine Musik
sprechen. Und am Ende ist auch die
spannendste Frage dieses Abends
beantwortet. Das Gewitter, das sich
im Münchner Osten aufgebaut hatte, verschonte den auf Sicherheit bedachten Herrn Knopfler und seine
zufriedenen Fans. Ganz getreu dem
Song-Titel und Tour-Motto „Get
lucky“ – werde glücklich.
Klagenfurt Peter Wawerzinek hat
mit seinem Text „Rabenliebe“ den
34. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Der Schriftsteller überzeugte mit den Erinnerungen an seine Kindheit in einem Waisenhaus in
der ehemaligen DDR nicht nur die
von Burkhard Spinnen geleitete siebenköpfige Fachjury, sondern auch
die Zuhörer, die ihm zusätzlich per
Internetabstimmung den Publikumspreis verliehen.
„Peter Wawerzineks Prosa ist
große Literatur“, lobte die Literaturkritikerin Meike Feßmann, die
den Autor für den Wettbewerb vorgeschlagen hatte. Die Preisträger
von vier der insgesamt fünf vergebenen Auszeichnungen sind Deutsche. Der von der Stadt Klagenfurt
gestiftete Hauptpreis, der mit 25 000
Euro dotiert ist, gilt als eine der
wichtigsten Literaturehrungen im
deutschsprachigen Raum. In diesem
Jahr waren bei dem dreitägigen
Vorlesemarathon 14 Teilnehmer am
Start, darunter neun Deutsche, drei
Österreicher und zwei Schweizer.
Das Leben als
immerwährender Winter
In Wawerzineks autobiografischem
Buch, das im Herbst 2010 bei Galiani Berlin erscheinen wird, geht es
um die Nöte eines Kindes, das von
seinen Eltern in der DDR zurückgelassen wurde. Im Waisenhaus wird
er als zurückgeblieben eingestuft
und von anderen wegen seiner Magerkeit gehänselt. „Mein Leben
kennt keine andere Jahreszeit als
den Winter“, heißt es in dem erschütternden Text. Den Preis nahm
Wawerzinek, der 1991 schon einmal
bei Bachmann-Wettbewerb las, am
Sonntag sichtlich bewegt entgegen.
Den Kelag-Preis (10 000 Euro)
erhielt die Schweizerin Dorothee
Elmiger für ihren Text „Einladung
an die Waghalsigen“. Sie war Wawerzinek zuvor bei der Stichwahl im
zweiten Wahlgang mit drei zu vier
Jurystimmen unterlegen. Der mit
7500 Euro dotierte 3sat-Preis ging
an die in Berlin lebende Judith Zander für ihren Romanauszug „Dinge,
die wir heute sagten“. Der in Gera
geborene, in Dublin lebende Aleks
Scholz bekam für „Google Earth“
den mit 7000 Euro dotierten ErnstWillner-Preis. (dpa)
Zur Person
Die Last
der Erinnerung
Peter Wawerzinek
ist mit 55 Jahren der
bisher älteste Preisträger
des renommierten Ingeborg-BachmannWettbewerbs.
1954 als Peter Runkel in Rostock in
der ehemaligen DDR geboren,
flüchteten seine Eltern in den Westen und ließen den Vierjährigen zurück. Nach zehn Jahren in staatlichen Kinderheimen wurde er adoptiert und wuchs an der Ostsee auf.
Nach dem Schulabschluss machte er
eine Lehre als Textilzeichner, brach
später jedoch sein Studium an der
Kunsthochschule ab. Der heute in
Berlin lebende Schriftsteller übte
anschließend viele Berufe aus, war
als Totengräber und Tischler tätig
und machte sich in der Ostberliner
Szene in den 1980er Jahren als Performance-Künstler und Stegreifpoet einen Namen. Die verlorenen Eltern belasteten jedoch weiterhin sein
Leben. Nach dem Mauerfall suchte
und fand er seine Mutter. Es blieb
aber bei einer einzigen Begegnung.
Über seine Gefühle und Erinnerungen geschrieben zu haben, habe eine
„riesige Last“ von ihm genommen,
sagt Wawerzinek über seinen beim
Klagenfurter Wettbewerb erfolgreichen Text „Rabenliebe“. (dpa)
Herunterladen