Healthcare Marketing 01/2017

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Übern Tag hinaus denken
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Kommunikation
Neugeschäft
Wie Agenturen und
Unternehmen zusammenfinden
Sucht ein Unternehmen eine (neue) Agentur, gibt es verschiedene
Möglichkeiten, eine Partnerschaft anzubahnen: Pitch, Chemistry Meeting,
Workshop oder Probeauftrag. Köpfe von GWA-Mitgliedsagenturen sprechen
über Für und Wider – und eigene Erfahrungen.
Autor: Christoph Witte, Pink Carrots
Wenn Marketingverantwortliche eine
(neue) Agentur suchen, spielen viele Faktoren eine Rolle: Agentur-Profil, Leistungsspektrum, Kompetenz des Teams,
Größe/Ressourcen, Präsenz national/
international, Network-Anbindung vs.
inhabergeführt, Reputation, Kundenportfolio, Kostenstruktur, Flexibilität
– und letztlich Sympathie. Die Auswahl
eines Agenturpartners im Rahmen eines
Pitch-Verfahrens ist eine anspruchsvolle
und aufwändige Aufgabe für Marketing
und strategischen Einkauf. Agenturen
verlangt dieser Prozess ein großes Engagement und beträchtliches finanzielles
Investment ab. Lässt sich der Auswahlprozess effizienter gestalten?
Triathlon: Longlist,
Shortlist, Pitch
Am Anfang des klassischen Auswahlprozesses steht bei Unternehmen oft die
Erstellung einer Longlist, idealerweise
mit sieben bis zehn Agenturen. In diesem
ersten Schritt wird abgeklopft, welche
Agenturen grundsätzlich für die Aufgabenstellung in Frage kommen. Die Agenturen erhalten die Möglichkeit, sich beim
Etat-Team auf Kundenseite via Credential Präsentation oder persönlich vorzustellen.
Die Präsentation umfasst meist die allgemeine Darstellung der Agentur und sollte
noch nicht auf die spezifische Problemstellung des Kunden eingehen. Auf Basis
der Longlist wird eine engere Auswahl
der Agenturen eingeladen. Diese Agentu-
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ren – in der Regel drei Agenturen plus gegebenenfalls der Etathalter – werden für
die Wettbewerbspräsentation gebrieft.
Nach dem Re-Brief, bei dem die Agenturen die Möglichkeiten haben, Fragen
zu stellen, folgt – in angemessenem zeitlichen Rahmen (vier bis acht Wochen bei
strategisch-kreativer Aufgabenstellung)
die Wettbewerbspräsentation.
Dieses „klassische“ Vorgehen ist für beide Seiten – Agenturen und Unternehmen
– mit hohem Aufwand verbunden. Auf
Agenturseite werden über Wochen Kapazitäten gebunden, Beratung und Kreation entwickeln mit viel Engagement ein
Pitch-Deck mit dem Ziel, beim Kunden
zu punkten und arbeiten, meist neben
dem Tagesgeschäft, auf Tag X – die Präsentation beim Kunden in spe, zu. Bis
zu diesem Tag hat die Agentur bei einer
mittleren Aufgabenstellung mal schnell
50.000 Euro investiert. Auftraggeber haben sich mit Agenturlisten und Credentials befasst, Briefings erstellt, Re-Briefings
gegeben und Termine jongliert. Dann
entscheiden meist 90 Minuten, ob es das
wert war…
Wie „ehrlich“ darf man sein, wenn man
auf die Shortlist will?
STEFANIE DÜRNBERGER, Geschäftsführerin DDB Health GmbH, München:
Es geht nur mit ehrlich – schließlich ist
das Ziel eine echte Partnerschaft, in der
man gemeinsam etwas bewegen möchte.
Da ist Ehrlichkeit von Anfang an eine
Selbstverständlichkeit.
ROGER STENZ, Managing Director,
Sudler & Hennessey GmbH, Neu-Isenburg: Ehrlichkeit ist etwas ganz Wichtiges in unserem Beruf. Wir geben immer
offen zu, wenn wir gern dabei wären – es
kann aber auch passieren, dass wir absagen.
CHRISTOPH WITTE: Ehrlichkeit ist
Trumpf, auch wenn das Prozedere an
sich nicht ganz fair ist. Hat man in einer Indikation (noch) keine Expertise, ist
man meist „raus“ – hat man aber einen
aktuellen Kunden, auch…
Wann ist – aus Agentursicht – ein klassischer Pitch angemessen?
DÜRNBERGER: Wenn es darum geht,
strategische, wissenschaftliche und kreative Kompetenz auf den Punkt zu bringen und zu beweisen, dass die Agentur
selbstständig auch umfassende Aufgaben
so lösen kann, dass das Ergebnis unique,
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begeisternd, aber gleichzeitig relevant
und umsetzbar ist.
STENZ: Ein Pitch ist angemessen, wenn
es um einen großen Etat geht. Pitches für
kleine Projekte sind Unsinn und sind für
die Agentur auch nach dem Sieg nie rentabel.
WITTE: Bei jeder anspruchsvollen Aufgabenstellung, hinter der ein Kunde
steht, der sich vorstellen kann, mit jeder
der eingeladenen Agenturen zusammenzuarbeiten, ist ein Pitch angemessen. Außerdem bedarf es eines Budgets, das den
Einsatz eines Agenturteams rechtfertigt.
Unter welchen Voraussetzungen lehnen
Sie eine Pitch-Teilnahme ab?
DÜRNBERGER: Wir sagen „leider
nein“, wenn das Timing keine Zeit für
echte Lösungen vorsieht, ganze Maßnahmenpläne gefordert werden oder kein
Pitch-Honorar angeboten wird. Hier
fehlt uns dann das Commitment von
Kundenseite.
STENZ: 1. Es ist ganz wichtig, dass es
ein vernünftiges Briefing gibt und dass
das Briefinggespräch persönlich in Anwesenheit des späteren Entscheidungsträgers erfolgt. 2. Der Pitch muss fair honoriert werden (Minimum 5.000 Euro).
3. Das Timing muss realistisch sein und
es muss die Möglichkeit zu einem Schulterblick in der Pitchphase geben. Sind
diese Punkte nicht gegeben, lehnen wir
die Pitchteilnahme ab.
WITTE: Wir lehnen eine Pitch-Teilnahme ab, wenn wir den Eindruck haben,
es ist dem Kunden nicht „ernst“ oder
das Timing ist unrealistisch oder unser
Team ist komplett ausgelastet – und
ohne Pitchfee gehen wir auch nicht an
den Start.
Auf Schnupperkurs:
Chemistry Meeting
Ganz anders ist das Vorgehen beim Chemistry Meeting. Hier hat der Auftraggeber bereits genaue Vorstellungen, mit
welchen Agenturen er sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnte, und initiiert ein persönliches Treffen. Mitarbeiter auf Kunden- und Agenturseite, die
später zusammenarbeiten sollen, haben
Gelegenheit „sich zu beschnuppern“.
Gegenstand eines Chemistry Meetings
kann beispielsweise die Diskussion einer Checkliste über Kernfragen der
künftigen Zusammenarbeit sein – oder
die prinzipielle Herangehensweise der
Teams an eine Aufgabe.
Die von uns befragten Agenturchefs sehen in Chemisty Meetings einen guten
Auftakt für eine Zusammenarbeit, die
beiden Seiten hilft.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Chemistry Meetings gemacht?
DÜRNBERGER: Sehr gute. Man merkt
in der Regel sehr schnell, ob man zusammenpasst oder vielleicht auch nicht.
So manche Aufgabenstellung wurde im
Chemistry Meeting gleich gemeinsam
gelöst und war der perfekte Start in eine
erfolgreiche Zusammenarbeit.
STENZ: Chemistry Meetings können
nur ein ungefähres Gefühl geben – noch
wichtiger ist der nächste Schritt, der
Workshop, in dem der Kunde die Arbeitsweise der Agentur näher kennenlernt.
WITTE: Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht – selbst in Fällen, wo es
nicht direkt zu einer Zusammenarbeit
kam. Stimmt die Chemie, bleibt man in
Kontakt.
Auf den Zahn gefühlt:
Workshop
Der Workshop ist üblicherweise als eintägige Veranstaltung aufgesetzt, bei der
Kunden- und Agenturvertreter über
Aufgabenstellungen und fachspezifische
Fragen diskutieren. Vergleichbar mit
dem „Assessment-Center“ im PersonalRecruiting kann der Kunde der Agentur
auch konkrete Aufgaben zur Lösung
geben. Ein Workshop ermöglicht ein
gegenseitiges Kennenlernen und erlaubt
dem Kunden Einblicke in die Arbeitsweise der Agentur.
Was spricht für Workshops als Auftakt –
was dagegen?
DÜRNBERGER: Für einen Workshop
spicht Kommunikation auf Leistungsebene, das heißt man kann und muss zeigen,
wie man denkt und arbeitet – und das
nicht nur für 90 Minuten. Ein Argument
dagegen ist, dass ein rein theoretisches
Thema bearbeitet wird, das unendliche
Vorbereitung benötigt, aber dessen Lösung nie gebraucht werden wird. Und darüber hinaus: Alle Teilnehmer müssen bereit sein, einen aktiven Beitrag zu leisten.
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Damit Agenturen und Unternehmen
zusammenfinden, muss es nicht immer
über den klassischen Pitch laufen
STENZ: Nichts spricht gegen einen Workshop, außer ein schlechtes Briefing. Wichtig ist hier wieder, dass Entscheidungsträger auf Kundenseite dabei sind und die
Agentur mit dem Team antritt, das später
den Kunden betreuen wird.
WITTE: Wenn die Erwartungshaltung im
Vorfeld klar ist und alle Beteiligten offen
für einen echten Austausch sind, ist ein
Workshop ein gelungener Auftakt. Bei unklarer Erwartungshaltung oder Vorbehalten ist der Misserfolg vorprogrammiert.
Real World Data:
Probeauftrag
Vergibt der Kunde einen Probeauftrag, bedeutet das Projektarbeit unter realen Bedingungen. Der Kunde lernt die Arbeits-
weise der Agentur kennen, beide können
sich gegenseitig ein Bild voneinander machen, und ein (erstes) gemeinsames Projekt
umsetzen. In der Regel hat der Kunde im
Vorfeld bereits Agenturen gescreent oder
vergibt einen Probeauftrag an eine Agentur, die sich in einem Pitch an zweiter Stelle
platziert, aber grundsätzlich für eine Zusammenarbeit empfohlen hat.
Ist die Vergabe eines Probeauftrags das
fairste Vorgehen, wenn es um kleinere
Projekte geht?
DÜRNBERGER: Ich glaube, das hängt
sehr von dem jeweiligen Projekt ab.
Wieviel Einarbeitung ist notwendig, wie
schnell und gut kann man den Kunden
kennenlernen, wie sehen die Rahmenbedingungen aus – einfach: wie gut kann
man zeigen, was man kann…
MARKUS HANAUER, Geschäftsführer, Spirit Link GmbH, Erlangen: Ich
empfehle Kunden, den Auswahlprozess so zu gestalten, wie sie später auch
die Zusammenarbeit gestalten wollen.
Wenn sie einfach eine kreative Agentur
benötigen, die mit Abstand arbeiten soll,
macht der klassische Pitch Sinn. Brauchen sie jemanden, der integriert mit
ihrem Team arbeiten muss, sind andere
Formate wie Workshops oder Chemistry
Meetings wesentlich sinnvoller.
Soweit die Insights der Geschäftsführer
führender Agenturen im Bereich Healthcare-Kommunikation. Der GWA bietet
Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Agenturen: http://www.gwa.
de/Agenturen/Agenturauswahl/Empfehlungen
Christoph Witte
Foto: Pink Carrots
ist Gründer und Inhaber der Frankfurter Agentur Pink Carrots Communications und engagiert sich im GWA Forum Healthcare Kommunikation.
[email protected]
Innerhalb des Agenturenverbands GWA, Frankfurt, gibt es das Forum Healthcare Kommunikation, dem 25 Agenturen angehören. 2011 startete das Forum den GWA Healthcare Award. Er pausierte 2015 und wurde 2016 mit neuen Kategorien wiederbelebt. Der
nebenstehende Beitrag erscheint in unserer Rubrik „übern Tag hinaus denken“, in der
sich Führungskräfte aus Healthcare-Agenturen zu einem visionären Thema ihrer Wahl
äußern. Bisher veröffentlichte Artikel der Rubrik sind unter www.gwa.de einsehbar.
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