Übern Tag hinaus denken Foto: TSUNG-LIN WU - Fotolia.de Kommunikation Neugeschäft Wie Agenturen und Unternehmen zusammenfinden Sucht ein Unternehmen eine (neue) Agentur, gibt es verschiedene Möglichkeiten, eine Partnerschaft anzubahnen: Pitch, Chemistry Meeting, Workshop oder Probeauftrag. Köpfe von GWA-Mitgliedsagenturen sprechen über Für und Wider – und eigene Erfahrungen. Autor: Christoph Witte, Pink Carrots Wenn Marketingverantwortliche eine (neue) Agentur suchen, spielen viele Faktoren eine Rolle: Agentur-Profil, Leistungsspektrum, Kompetenz des Teams, Größe/Ressourcen, Präsenz national/ international, Network-Anbindung vs. inhabergeführt, Reputation, Kundenportfolio, Kostenstruktur, Flexibilität – und letztlich Sympathie. Die Auswahl eines Agenturpartners im Rahmen eines Pitch-Verfahrens ist eine anspruchsvolle und aufwändige Aufgabe für Marketing und strategischen Einkauf. Agenturen verlangt dieser Prozess ein großes Engagement und beträchtliches finanzielles Investment ab. Lässt sich der Auswahlprozess effizienter gestalten? Triathlon: Longlist, Shortlist, Pitch Am Anfang des klassischen Auswahlprozesses steht bei Unternehmen oft die Erstellung einer Longlist, idealerweise mit sieben bis zehn Agenturen. In diesem ersten Schritt wird abgeklopft, welche Agenturen grundsätzlich für die Aufgabenstellung in Frage kommen. Die Agenturen erhalten die Möglichkeit, sich beim Etat-Team auf Kundenseite via Credential Präsentation oder persönlich vorzustellen. Die Präsentation umfasst meist die allgemeine Darstellung der Agentur und sollte noch nicht auf die spezifische Problemstellung des Kunden eingehen. Auf Basis der Longlist wird eine engere Auswahl der Agenturen eingeladen. Diese Agentu- Healthcare Marketing 01/2017 37 Kommunikation ren – in der Regel drei Agenturen plus gegebenenfalls der Etathalter – werden für die Wettbewerbspräsentation gebrieft. Nach dem Re-Brief, bei dem die Agenturen die Möglichkeiten haben, Fragen zu stellen, folgt – in angemessenem zeitlichen Rahmen (vier bis acht Wochen bei strategisch-kreativer Aufgabenstellung) die Wettbewerbspräsentation. Dieses „klassische“ Vorgehen ist für beide Seiten – Agenturen und Unternehmen – mit hohem Aufwand verbunden. Auf Agenturseite werden über Wochen Kapazitäten gebunden, Beratung und Kreation entwickeln mit viel Engagement ein Pitch-Deck mit dem Ziel, beim Kunden zu punkten und arbeiten, meist neben dem Tagesgeschäft, auf Tag X – die Präsentation beim Kunden in spe, zu. Bis zu diesem Tag hat die Agentur bei einer mittleren Aufgabenstellung mal schnell 50.000 Euro investiert. Auftraggeber haben sich mit Agenturlisten und Credentials befasst, Briefings erstellt, Re-Briefings gegeben und Termine jongliert. Dann entscheiden meist 90 Minuten, ob es das wert war… Wie „ehrlich“ darf man sein, wenn man auf die Shortlist will? STEFANIE DÜRNBERGER, Geschäftsführerin DDB Health GmbH, München: Es geht nur mit ehrlich – schließlich ist das Ziel eine echte Partnerschaft, in der man gemeinsam etwas bewegen möchte. Da ist Ehrlichkeit von Anfang an eine Selbstverständlichkeit. ROGER STENZ, Managing Director, Sudler & Hennessey GmbH, Neu-Isenburg: Ehrlichkeit ist etwas ganz Wichtiges in unserem Beruf. Wir geben immer offen zu, wenn wir gern dabei wären – es kann aber auch passieren, dass wir absagen. CHRISTOPH WITTE: Ehrlichkeit ist Trumpf, auch wenn das Prozedere an sich nicht ganz fair ist. Hat man in einer Indikation (noch) keine Expertise, ist man meist „raus“ – hat man aber einen aktuellen Kunden, auch… Wann ist – aus Agentursicht – ein klassischer Pitch angemessen? DÜRNBERGER: Wenn es darum geht, strategische, wissenschaftliche und kreative Kompetenz auf den Punkt zu bringen und zu beweisen, dass die Agentur selbstständig auch umfassende Aufgaben so lösen kann, dass das Ergebnis unique, 38 Healthcare Marketing 01/2017 Übern Tag hinaus denken begeisternd, aber gleichzeitig relevant und umsetzbar ist. STENZ: Ein Pitch ist angemessen, wenn es um einen großen Etat geht. Pitches für kleine Projekte sind Unsinn und sind für die Agentur auch nach dem Sieg nie rentabel. WITTE: Bei jeder anspruchsvollen Aufgabenstellung, hinter der ein Kunde steht, der sich vorstellen kann, mit jeder der eingeladenen Agenturen zusammenzuarbeiten, ist ein Pitch angemessen. Außerdem bedarf es eines Budgets, das den Einsatz eines Agenturteams rechtfertigt. Unter welchen Voraussetzungen lehnen Sie eine Pitch-Teilnahme ab? DÜRNBERGER: Wir sagen „leider nein“, wenn das Timing keine Zeit für echte Lösungen vorsieht, ganze Maßnahmenpläne gefordert werden oder kein Pitch-Honorar angeboten wird. Hier fehlt uns dann das Commitment von Kundenseite. STENZ: 1. Es ist ganz wichtig, dass es ein vernünftiges Briefing gibt und dass das Briefinggespräch persönlich in Anwesenheit des späteren Entscheidungsträgers erfolgt. 2. Der Pitch muss fair honoriert werden (Minimum 5.000 Euro). 3. Das Timing muss realistisch sein und es muss die Möglichkeit zu einem Schulterblick in der Pitchphase geben. Sind diese Punkte nicht gegeben, lehnen wir die Pitchteilnahme ab. WITTE: Wir lehnen eine Pitch-Teilnahme ab, wenn wir den Eindruck haben, es ist dem Kunden nicht „ernst“ oder das Timing ist unrealistisch oder unser Team ist komplett ausgelastet – und ohne Pitchfee gehen wir auch nicht an den Start. Auf Schnupperkurs: Chemistry Meeting Ganz anders ist das Vorgehen beim Chemistry Meeting. Hier hat der Auftraggeber bereits genaue Vorstellungen, mit welchen Agenturen er sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnte, und initiiert ein persönliches Treffen. Mitarbeiter auf Kunden- und Agenturseite, die später zusammenarbeiten sollen, haben Gelegenheit „sich zu beschnuppern“. Gegenstand eines Chemistry Meetings kann beispielsweise die Diskussion einer Checkliste über Kernfragen der künftigen Zusammenarbeit sein – oder die prinzipielle Herangehensweise der Teams an eine Aufgabe. Die von uns befragten Agenturchefs sehen in Chemisty Meetings einen guten Auftakt für eine Zusammenarbeit, die beiden Seiten hilft. Welche Erfahrungen haben Sie mit Chemistry Meetings gemacht? DÜRNBERGER: Sehr gute. Man merkt in der Regel sehr schnell, ob man zusammenpasst oder vielleicht auch nicht. So manche Aufgabenstellung wurde im Chemistry Meeting gleich gemeinsam gelöst und war der perfekte Start in eine erfolgreiche Zusammenarbeit. STENZ: Chemistry Meetings können nur ein ungefähres Gefühl geben – noch wichtiger ist der nächste Schritt, der Workshop, in dem der Kunde die Arbeitsweise der Agentur näher kennenlernt. WITTE: Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht – selbst in Fällen, wo es nicht direkt zu einer Zusammenarbeit kam. Stimmt die Chemie, bleibt man in Kontakt. Auf den Zahn gefühlt: Workshop Der Workshop ist üblicherweise als eintägige Veranstaltung aufgesetzt, bei der Kunden- und Agenturvertreter über Aufgabenstellungen und fachspezifische Fragen diskutieren. Vergleichbar mit dem „Assessment-Center“ im PersonalRecruiting kann der Kunde der Agentur auch konkrete Aufgaben zur Lösung geben. Ein Workshop ermöglicht ein gegenseitiges Kennenlernen und erlaubt dem Kunden Einblicke in die Arbeitsweise der Agentur. Was spricht für Workshops als Auftakt – was dagegen? DÜRNBERGER: Für einen Workshop spicht Kommunikation auf Leistungsebene, das heißt man kann und muss zeigen, wie man denkt und arbeitet – und das nicht nur für 90 Minuten. Ein Argument dagegen ist, dass ein rein theoretisches Thema bearbeitet wird, das unendliche Vorbereitung benötigt, aber dessen Lösung nie gebraucht werden wird. Und darüber hinaus: Alle Teilnehmer müssen bereit sein, einen aktiven Beitrag zu leisten. Foto: Gajus - Fotolia.de Übern Tag hinaus denken Kommunikation Damit Agenturen und Unternehmen zusammenfinden, muss es nicht immer über den klassischen Pitch laufen STENZ: Nichts spricht gegen einen Workshop, außer ein schlechtes Briefing. Wichtig ist hier wieder, dass Entscheidungsträger auf Kundenseite dabei sind und die Agentur mit dem Team antritt, das später den Kunden betreuen wird. WITTE: Wenn die Erwartungshaltung im Vorfeld klar ist und alle Beteiligten offen für einen echten Austausch sind, ist ein Workshop ein gelungener Auftakt. Bei unklarer Erwartungshaltung oder Vorbehalten ist der Misserfolg vorprogrammiert. Real World Data: Probeauftrag Vergibt der Kunde einen Probeauftrag, bedeutet das Projektarbeit unter realen Bedingungen. Der Kunde lernt die Arbeits- weise der Agentur kennen, beide können sich gegenseitig ein Bild voneinander machen, und ein (erstes) gemeinsames Projekt umsetzen. In der Regel hat der Kunde im Vorfeld bereits Agenturen gescreent oder vergibt einen Probeauftrag an eine Agentur, die sich in einem Pitch an zweiter Stelle platziert, aber grundsätzlich für eine Zusammenarbeit empfohlen hat. Ist die Vergabe eines Probeauftrags das fairste Vorgehen, wenn es um kleinere Projekte geht? DÜRNBERGER: Ich glaube, das hängt sehr von dem jeweiligen Projekt ab. Wieviel Einarbeitung ist notwendig, wie schnell und gut kann man den Kunden kennenlernen, wie sehen die Rahmenbedingungen aus – einfach: wie gut kann man zeigen, was man kann… MARKUS HANAUER, Geschäftsführer, Spirit Link GmbH, Erlangen: Ich empfehle Kunden, den Auswahlprozess so zu gestalten, wie sie später auch die Zusammenarbeit gestalten wollen. Wenn sie einfach eine kreative Agentur benötigen, die mit Abstand arbeiten soll, macht der klassische Pitch Sinn. Brauchen sie jemanden, der integriert mit ihrem Team arbeiten muss, sind andere Formate wie Workshops oder Chemistry Meetings wesentlich sinnvoller. Soweit die Insights der Geschäftsführer führender Agenturen im Bereich Healthcare-Kommunikation. Der GWA bietet Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Agenturen: http://www.gwa. de/Agenturen/Agenturauswahl/Empfehlungen Christoph Witte Foto: Pink Carrots ist Gründer und Inhaber der Frankfurter Agentur Pink Carrots Communications und engagiert sich im GWA Forum Healthcare Kommunikation. [email protected] Innerhalb des Agenturenverbands GWA, Frankfurt, gibt es das Forum Healthcare Kommunikation, dem 25 Agenturen angehören. 2011 startete das Forum den GWA Healthcare Award. Er pausierte 2015 und wurde 2016 mit neuen Kategorien wiederbelebt. Der nebenstehende Beitrag erscheint in unserer Rubrik „übern Tag hinaus denken“, in der sich Führungskräfte aus Healthcare-Agenturen zu einem visionären Thema ihrer Wahl äußern. Bisher veröffentlichte Artikel der Rubrik sind unter www.gwa.de einsehbar. Healthcare Marketing 01/2017 39