Tagungsbericht der Gesellschaft für Innere - Thüringen

Werbung
Tagungsbericht
Entzündung: Mehr als Bakterien
oder Viren
Frühjahrstagung der Gesellschaft für Innere Medizin
Thüringens e. V. im Rahmen des Internistenkongresses
in Wiesbaden
Andreas Stallmach, Paul La Rosée
In der Differentialdiagnose entzündlicher Erkrankungen denken wir rasch an
Bakterien und Viren. Doch die unspezifischen klassischen Symptome „Rubor,
Calor, Dolor, Tumor“ treten natürlich
nicht nur bei Infektionskrankheiten auf,
sondern sind auch Zeichen von autoimmunologischen Erkrankungen. Diese
betreffen etwa fünf Prozent der Menschen in den Industrieländern, ihre
Häufigkeit nimmt zu. Die Differentialdiagnose zwischen klassischen Infektionskrankheiten und Autoimmunerkrankungen ist schwierig.
Vor diesem Hintergrund fand am Sonntag, den 7. April 2013 auf dem 119. Jahreskongreß der Deutschen Gesellschaft
für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden unter diesem Titel „Entzündung:
Mehr als Bakterien oder Viren“ das traditionelle Regionalsymposium der Gesellschaft für Innere Medizin Thüringens e. V. statt. Trotz der frühen Stunden hörten mehr als 50 Interessierte,
wie zunächst Professor Dr. Frank
Brunkhorst (Jena, Paul-Martini-For-
schergruppe für Klinische Sepsisforschung, Universitätsklinikum Jena, Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) „Sepsis und Sepsisfolgen“) zu der klassischen Infektionskrankheit, der „Sepsis“, neue Aspekte
vorstellte. Er führte aus, daß das bisherige Scheitern neuer Ansätze zur Behandlung der schweren Sepsis und des septischen Schocks eng mit den Defiziten
einer differenzierten Diagnosemöglichkeit verbunden ist. Der Zeitpunkt der
Diagnose und damit die frühzeitige Initiierung therapeutischer Maßnahmen
sind jedoch die entscheidende Determinante der Mortalität. Sowohl im prähospitalen als auch im intrahospitalen Verlauf der Erkrankung vergehen häufig
Stunden bis Tage bis zur Diagnose und
adäquaten Behandlung auf der Intensivstation. Gerade bei Intensivpatienten ist
die Differentialdiagnose einer infektiösen Ätiologie des akuten inflammatorischen Organversagens (schwere Sepsis)
angesichts der geringen Spezifität klinischer Symptome (Fieber, Leukozytose,
Tachykardie und Tachypnoe, CRP-Anstieg) von anderen nichtinfektiösen Ursachen (SIRS) extrem schwierig. Zudem
ist der mikrobiologische Nachweis einer
Infektion gerade bei antibiotisch vorbehandelten Patienten problematisch. Procalcitonin (PCT) gilt gegenwärtig als einer der vielversprechendsten Biomarker
in der Differentialdiagnostik der Sepsis.
Procalcitonin ist ein Protein, das als Vorstufe des Hormons Calcitonin in der
Schilddrüse gebildet wird. Bei bakteriellen und mykotischen Infektionen jedoch
bilden auch Zellen in anderen Organen
dieses Prohormon, dessen Konzentrationen im Blut dann schnell um ein Vielfaches ansteigen.
In einer kürzlich publizierten Metaanalyse wurde die diagnostische Wertigkeit
dieses Biomarkers erstmals systematisch untersucht (Wacker C, Prkno A,
Brunkhorst FM, Schlattmann S., Procalcitonin as a diagnostic marker for sepsis: a systematic review and meta-analysis. Lancet Infectious Diseases.
May;13(5):426-35). Hierbei wurden hohe
Anforderungen bezüglich der methodischen Qualität gestellt, insbesondere
mußte der gegenwärtige Goldstandard
der Sepsisdefinition einschließlich mikrobiologischer Kriterien berichtet sein.
Die bivariate Analyse der Daten ergab
für Calcitonin eine mittlere Sensitivität
und Spezifität von 0,77 (95 Prozent Konfidenzintervall [CI], 0,72-0,81) und 0,79
(95 Prozent CI, 0,74-0,84). Die Fläche
unter der ROC-Kurve (AUC) betrug 0,85
(95 Prozent CI, 0,81-0,88). Die Heterogenität zwischen den Studien war jeAnzeige
Ausgabe 6/2013 24. Jahrgang
343
Tagungsbericht
doch erheblich (I2 = 96 Prozent). Procalcitonin ist der derzeit beste verfügbare
Biomarker für die frühe Diagnose einer
bakteriellen Sepsis. Allerdings reicht er
als alleiniger Test für eine sichere Therapieentscheidung nicht aus, dazu müssen die Vorgeschichte des Patienten, das
klinische Bild und immer auch mikrobiologische Untersuchungen mitbetrachtet werden.
Procalcitonin ist der derzeit beste verfügbare Biomarker für die frühe Diagnose
einer bakteriellen Sepsis.
Professor Dr. Peter C. Konturek, Klinik
Innere Medizin II (Thüringen-Kliniken
GmbH, Standort Saalfeld) zeigte, daß
eine immunsupprimierende Therapie
(Chemotherapeutika, monoklonale Antikörper, Immunsuppressiva nach
Transplantation, prolongierte Kortikoidtherapie, im Verlauf von hämatologischonkologischen beziehungsweise rheumatologischen Erkrankungen) eine Reaktivierung von verschiedenen viralen
Infektionen begünstigen kann. Bestimmte Viren verbleiben im Organismus nach der Primärinfektion in nichtinfektiöser Form und werden infolge der
Immunsuppression wieder reaktiviert.
Klinisch relevant sind in erster Linie Reaktivierungen von Herpesinfektionen
(α-Herpesviren wie Herpes-simplex-Virus-1, Herpes-simplex-Virus-2 und Varicella-Zoster-Virus, β-Herpesviren wie
CMV, HHV-6 und -7-Viren und
γ-Herpesviren wie Epstein-Barr-Virus,
Kaposi-Sarcoma-Herpesvirus – HHV-8
(KSHV)). Infolge der Immunsuppression findet eine erhöhte Virusreplikation
statt, die bei einem betroffenen Patienten zur progressiven Ausweitung der
Infektion mit Befall der Haut (insbesondere HSV-1, HSV-2, VZV), innerer Organe (Pneumonie, Hepatitis, Nephritis,
Enzephalomyelitis) und diversen Manifestationen im Gastrointestinaltrakt
(breites Spektrum an Läsionen von Erosionen bis zu tiefen Ulzerationen) führt.
Die Zytomegalievirusinfektion gilt als
eine der am häufigsten reaktivierten Virusinfektionen unter Immunsuppression. Die CMV-Reaktivierung führt zu
einer Reihe von klinischen Krankheits-
344
bildern wie Mononukleosesyndrom, Hepatitis, Chorioretinitis beziehungsweise
Retinitis, Enterokolitis, Meningoenzephalitis, Guillain-Barré-Syndrom, interstitielle
Pneumonie,
Myokarditis,
Thrombozythämie, hämolytische Anämie und in seltenen Fällen sogar akute
Nebenniereninsuffizienz. CMV zeigt
darüber hinaus eine hohe Affinität zu
dem Gastrointestinaltrakt und verursacht im Rahmen einer Reaktivierung
multiple Schleimhautulzerationen. Differentialdiagnostisch muß an die CMVReaktivierung bei Patienten mit Colitis
ulcerosa (viel seltener mit Morbus
Crohn) gedacht werden, falls die immunsuppressive Therapie mit einem
Anstieg der entzündlichen Aktivität in
der Kolonschleimhaut und Kortikoidrefraktärität assoziiert ist. Ohne eine spezifische Behandlung der CMV-Infektion
(z.B. mit Gancyclovir) droht den Patienten oft die Notwendigkeit einer Kolektomie.
Die
Reaktivierungen
der
γ-Herpesviren (EBV, KSHV) sind nicht
nur mit systemischer entzündlicher Reaktion, sondern auch mit erhöhtem onkogenem Potential verbunden. Die Folge
der Reaktivierung von EBV sind unter
anderem Posttransplantationslymphoproliferatives Syndrom (PTLS), BurkittLymphom, Morbus Hodgkin, Nasopharyngealkarzinom, Haarzelleukoplakie
und ganz selten X-chromosomale lymphoproliferative Erkrankung. Die Reaktivierung der KSHV (HHV-8) kann in
seltenen Fällen die Entwicklung eines
Kaposi-Sarkoms mit der Manifestation
an der Haut oder im Darm auslösen.
Die Reaktivierung einer Hepatitis B unter Immunsuppression stellt in der Praxis ein besonders wichtiges, aber leider
oft unterschätztes klinisches Problem
dar. Das Risiko einer Hepatitis-B-Reaktivierung ist abhängig vom serologischen Status, von der Intensität der Immunsuppression sowie von der Art der
Grunderkrankung. Das größte Risiko,
unabhängig von der zu Grunde liegenden Erkrankung, findet sich bei HBsAg-positiven Patienten. Grundsätzlich
können Reaktivierungen auch bei HBsAg-negativen Individuen (aber AntiHBc-AK-positiv) auftreten. Das Risiko
einer Hepatitis-B-Reaktivierung ist insbesondere hoch bei Therapie mit mono-
klonalen Antikörpern, Chemotherapie
(insbesondere Anthrazykline) beziehungsweise Therapie mit Rituximab
(Anti-CD20). Vor diesem Hintergrund
ist es klinisch relevant, immer vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie den serologischen Hepatitis-Bund -C-Status zu erheben. Schließlich
kann die Therapie mit monoklonalen
Antikörpern (Rituximab, Natalizumab
oder Efalizumab) in sehr seltenen Fällen
eine gefährliche, mit hoher Mortalität
assoziierte Manifestation im ZNS – die
progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML) – als Folge haben. Die
überlebenden Patienten sind infolge der
schweren neurologischen Symptome
(kognitive Störungen, motorische Dysfunktionen und Sehstörungen) stark
behindert. Die Reaktivierung der Polyomaviren (JC-Viren) wird pathogenetisch für die Entstehung dieser Erkrankung verantwortlich gemacht. Eine umgehende Therapieeinleitung mit Mefloquine und Mirtazapin ist derzeit die
empfohlene Behandlung.
Die Reaktivierung einer Hepatitis B unter Immunsuppression stellt in der Praxis ein besonders wichtiges, aber leider
oft unterschätztes klinisches Problem
dar.
Professor Dr. Peter Oelzner (Funktionsbereich Rheumatologie/Osteologie, Klinik für Innere Medizin III, Universitätsklinikum Jena) referierte zum Thema
„Infektionsgetriggerte Autoimmunerkrankungen/Kollagenosen“. Neuere Untersuchungen liefern begründete Hinweise für die Bedeutung einer Infekt­
triggerung in der Pathogenese von Kollagenosen, insbesondere des Systemischen Lupus erythematodes (SLE) und
des Sjögren-Syndroms. Virale Infekte
spielen einerseits eine bedeutende Rolle
bei der Induktion von programmiertem
Zelltod (Apoptose). Auf genetischer Basis sind beim SLE physiologische Mechanismen der Beseitigung von apoptotischem Material gestört. Diese Störung
bedingt eine Präsentation von Auto-Antigenen durch dendritische Zellen an TZellen sowie die Bildung von Auto-Antikörpern. Andererseits gibt es Hinweise
Ärzteblatt Thüringen
Tagungsbericht
für eine gestörte Viruselimination. Für
die Amplifikation der Entzündung sind
Dysfunktionen der in die Abwehr von
Virusinfektionen eingebundenen molekularen Systeme bedeutsam. Eine genetisch bedingte Überreaktivität des Tolllike-Rezeptor-abhängigen Interferon-αSystems, welches unter anderem durch
Erkennung viraler DNA stimuliert wird,
scheint in diesem Zusammenhang eine
zentrale Rolle zu spielen. Auf Basis dieser Erkenntnisse sind neue molekularbasierte Therapien (z.B. mit Antikörpern gegen Interferon-α) in Entwicklung, welche Ansätze für eine Differentialtherapie auf Basis genetischer Marker bieten.
In der Pathogenese des Systemischen
Lupus erythematodes (SLE) und des
Sjögren-Syndroms besitzt die Infekttriggerung eine hohe Bedeutung.
Eine zwar seltene, aber sehr wichtige Differentialdiagnose bei inflammatorischen
Krankheitsbildern ist die hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH).
Dr. Thomas Schenk aus der Klinik für
Innere Medizin II (Direktor: Prof. A.
Hochhaus) stellte in einer sehr informativen Übersicht zum Thema „Ungebremste Inflammation: Die hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH)“
Daten vor, die belegen, daß die hämophagozytische
Lymphohistiozytose
(HLH) ein oft lebensbedrohliches Hyperinflammationssyndrom ist, das klinisch durch persistierendes Fieber und
Splenomegalie gekennzeichnet ist (Abb.
1). Des weiteren findet man eine typische Laborkonstellation mit mindestens
Bizytopenie, Hypertriglyzeridämie (≥ 3
mmol/l), erniedrigtem Fibrinogen (< 1,5
g/l), Ferritinerhöhung (≥ 500 µg/l, oft
massiv erhöht), erhöhtem löslichen IL-2
Rezeptor (≥ 2400 U/ml), verminderter
NK-Zell-Aktivität sowie eine Hämophagozytose (in Knochenmark, Liquor oder
Lymphknoten), die jedoch kein zwingendes Diagnosekriterium darstellt. Für
die Diagnose müssen fünf der genannten Kriterien oder ein bekannter genetischer Defekt vorliegen. Pathophysiologisch liegt diesen Veränderungen eine
massive Zytokinaktivierung zugrunde.
Trigger für die Entwicklung einer HLH
sind vor allem (virale) Infektionen, aber
auch maligne oder rheumatische Erkrankungen (Synonym: Makrophagenaktivierungs-Syndrom). Während bei
der primären, vorwiegend im Kindesalter auftretenden HLH zunehmend definierte genetische Immundefekte als
Ursache entdeckt wurden und eine standardisierte Therapie zur deutlichen
Überlebensverbesserung geführt hat, ist
die Genese bei der im Erwachsenenalter
auftretenden sekundären HLH zum
Großteil ungeklärt und die Mortalität
mit ca. 50 – 60 Prozent hoch (Mitursache: Diagnose- und Therapieverzögerung!). Eine rasch eingeleitete intensive
Chemoimmuntherapie stellt bei schwerer HLH einen deutlichen Überlebensvorteil für den Patienten dar. Im Rahmen einer Registerstudie am Klinikum
Jena sollen offene Fragen zu Epidemiologie, Risikofaktoren und Therapie bei
der Erwachsenen-HLH untersucht werden ([email protected].
de).
Eine Registerstudie am Klinikum Jena
soll offene Fragen zu Epidemiologie, Risikofaktoren und Therapie bei der Erwachsenen-HLH untersuchen (HLH.
[email protected]).
Insgesamt zeigte die sehr intensive Diskussion, daß bei dem Thema der Frühjahrstagung viele interessierte und zahlreiche, auch schwierige Fragen im Gespräch mit den Referenten beantwortet
werden konnten. Vielleicht haben wir
damit einen kleinen Beitrag zum Gelingen des in diesem Jahr sehr gelungenen
Internistenkongresses liefern können.
Abb. 1. Nachweis deutlicher Makrophagenvermehrung mit Hämophagozytose im Knochenmark eines Patienten mit Myelodysplastischem Syndrom. Phagozytierter Zelldetritus ist als
dunkles Pigment deutlich in der Pappenheim-Färbung zu erkennen. Als ursächlich für die
HLH ist die maligne hämatologische Systemerkrankung zu betrachten. Nach Einleitung einer
spezifischen Therapie (5-Azacytidine) war die systemische Inflammation mit dem klinischen
Bild eines hochfieberhaften sepsis-ähnlichen Geschehens deutlich rückläufig, zeigte jedoch
im therapiefreien Intervall HLH-Rezidiv-Episoden. Aktuell erhält der Patient eine konsolidierende allogene Stammzelltransplantation. Hämophagozytose ist eines von 8 Diagnosekriterien
der HLH, wird jedoch nur in ca. 60% der Fälle beobachtet.
Bild: Dr. T. Schenk, Jena
Ausgabe 6/2013 24. Jahrgang
Prof. Dr. med. Andreas Stallmach
Klinik für Innere Medizin IV
Universitätsklinikum Jena
e-mail: [email protected]
PD Dr. med. Paul La Rosée
Klinik für Innere Medizin II
Universitätsklinikum Jena
Erlanger Allee 1101
07747 Jena
e-mail: [email protected]
345
Herunterladen