Skript Topologie Universität Basel FS 2015 Philipp Habegger 29. Mai 2015 Inhaltsverzeichnis 0 Einführung 0.1 Einleitung 0.2 Notation . 0.3 Varia . . . 0.4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Grundbegriffe 1.1 Topologische Räume . . . . . . . . 1.2 Basis einer Topologie . . . . . . . . 1.3 Stetige Abbildungen . . . . . . . . 1.4 Konstruktion topologischer Räume 1.4.1 Die Teilraumtopologie . . . 1.4.2 Die Produkttopologie . . . . 1.4.3 Die Quotiententopologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5 6 6 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 12 15 20 20 22 25 2 Eigenschaften topologischer Räume 2.1 Trennungsaxiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Separabilität und das erste Abzählbarkeitsaxiom . . . 2.3 Zusammenhängende Räume . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kompakte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Beweis des Satzes von Tychonoff – Ultrafilter 2.4.2 Die Stone-Čech Kompaktifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 31 35 39 44 47 51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Weitere Beispiele 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums . . . . . . 3.1.1 Die p-adischen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Das eingeschränkte Produkt topologischer Räume 3.2 Die Ordnungstopologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die lange Gerade . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 Fundamentalgruppe Homotopieäquivalenz . . . . . . . . . . . . Verknüpfung von Homotopieklassen . . . . Mehr zu Homotopie . . . . . . . . . . . . . Berechnung der Fundamentalgruppe . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Poincaré Vermutung – der Satz von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Perelman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 55 61 65 67 69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 73 75 78 81 84 84 3 Inhaltsverzeichnis 4.5.2 4 Höhere Homotopiegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 0 Einführung 0.1 Einleitung Aus der Analysis kennen wir verschiedene Normen auf dem Rn , bspw. die Supremumsnorm k(x1 , . . . , xn )k∞ = max{|x1 |, . . . , |xn |} oder die `p -norm für p ≥ 1 k(x1 , . . . , xn )kp = (|x1 |p + · · · + |xn |p )1/p . Bezüglich einer beliebigen Norm k · k auf dem Rn gibt es einen Stetigkeitsbegriff. Definition. Eine Abbildung f : Rn → R heisst k · k-stetig, falls es zu jedem x ∈ Rn und zu jedem > 0 ein δ > 0 gibt, mit |f (x0 ) − f (x)| < für alle x0 ∈ Rn mit kx0 − xk < δ. Hier bezeichnet |t| = max{t, −t} den Standardabsolutbetrag für t ∈ R. Wir kennen alle den folgenden Satz. Satz. Je zwei Normen auf dem Rn sind äquivalent. D.h. für zwei Normen k · k und k · k0 auf dem Rn gibt es eine Konstante c > 0 mit c−1 kxk ≤ kxk0 ≤ ckxk für alle x ∈ Rn . Hieraus folgt, dass die genaue Wahl der Norm in unserem Stetigkeitsbegriff unerheblich ist. Korollar. Seien k·k und k·k0 zwei Normen auf dem Rn . Für jede Abbildung f : Rn → R gilt f ist k · k-stetig ⇐⇒ f ist k · k0 -stetig. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es einen von der Norm losgelösten Begriff der Stetigtkeit gibt. Ebenfalls aus der Analysis kennen wir das Konzept von punktweiser Konvergenz von Funktionenfolgen. Sei dazu X = {f : R → R} die Menge aller Selbstabbildungen der reellen Zahlen. 5 0 Einführung Definition. Sei (fn )n≥1 eine Folge von Elementen aus X. Die Folge (fn )n≥1 konvergiert punktweise gegen f ∈ X, falls limn→ fn (x) = f (x) für jedes x ∈ R gilt. Mit Hilfe des Konvergenzbegriffes können wir ebenfalls von Stetigkeit sprechen. Obwohl wir nicht über eine Norm auf dem R-Vektorraum X verfügen, können wir die punktweise Konvergenz benutzen. Definition. Eine Abbildung F : X → R heisst stetig, falls für jedes f ∈ X und für jede Folge (fn )n≥1 aus X die punktweise gegen f konvergiert, lim F (fn ) = F (f ) n→+∞ gilt. Beispiel. Die Vorschrift F (f ) = f (0) definiert eine stetige Abbildung X → R. Die Topologie bietet eine einheitliche Sprache, die alle Stetigsbegriff oben umfasst. Sie geht jedoch über Beispiele aus der Analysis hinaus und wird in vielen Teilbereichen der Mathematik verwendet. 0.2 Notation Wir werden durchwegs naive Mengenlehre betreiben. Die Menge der natürlichen Zahlen {1, 2, 3, . . .} wird mit N bezeichnet. Die Menge der natürlichen Zahlen inklusive der Null ist N0 = {0} ∪ N. Für eine Menge X ist X N die Menge aller Abbildungen N → X. In anderen Worten, X N ist die Menge aller Folgen mit Folgenglieder in X. 0.3 Varia Dieses Skript entstand im Laufe des Sommersemester 2014 an der TU Darmstadt als die Grundlage einer zweistündigen Vorlesung. Es wird nun, im Frühjahrsemester 2015, laufend auf die vierstündige Vorlesung an der Universität Basel angepasst. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Stefan Schmid dafür, dass er die erste Version aufmerksam mitgelesen hat und viele Fehler entdeckte. Für die verbleibenden Fehler mathematischer und sprachlicher Natur bin ich verantwortlich, daher: Benutzung auf eigene Gefahr! Verbesserungsvorschläge können an [email protected] geschickt werden. 0.4 Literatur Beim Erstellen dieses Skripts waren die folgenden Quellen geholfen. (i) Allen Hatcher, Algebraic topology, Cambridge University Press, Cambridge, 2002. (ii) James R. Munkres, Topology: a first course, Prentice-Hall, Inc., Englewood Cliffs, N.J., 1975. 6 1 Grundbegriffe 1.1 Topologische Räume Am Anfang steht der Begriff des topologischen Raumes. Er umschreibt in kondensierter Form Konzepte, die in vielen Bereichen der Mathematik eine wichtige Rolle spielen. Definition 1.1. Ein topologischer Raum ist ein Paar (X, τ ) bestehend aus einer Menge X und einer Menge τ von Teilmengen von X. Dabei müssen die folgenden Eigenschaften erfüllt sein. (i) Es gilt ∅ ∈ τ und X ∈ τ . (“Die leere Menge und X sind offene Teilmengen von X.”) (ii) Für alle U, V ∈ τ gilt U ∩ V ∈ τ . (“Der Schnitt zweier offener Mengen ist offen.”) (iii) Für M ⊆ τ gilt offen.”) S U ∈M U ∈ τ . (“Die Vereinigung beliebig vieler offener Mengen ist Die Elemente von X heissen Punkte des topologischen Raums und die Mengen in τ heissen deren offenen Teilmengen. Das System von Teilmengen τ nennt man die Topologie des Paars (X, τ ) und τ nennt man oft auch eine Topologie auf X. Ein einfache Induktion zeigt, dass der Schnitt endlich vieler offener Teilmengen eines topologischen Raums auch offen ist. Beispiele 1.2. (i) Als erstes wollen wir ein uns aus der Analysis bekannten topologischen Raum studieren. Sei dazu X = R und τ die Teilmengen U ⊆ R, für die die folgende Eigenschaft erfüllt ist. Für jedes x ∈ U gibt es ein > 0 mit x0 ∈ U falls |x0 − x| < . Dass (R, τ ) die drei Axiome eines topologischen Raums erfüllt, lässt sich schnell zeigen. Für U = ∅ und U = R gibt es nichts zu zeigen. Also ist die erste Eigenschaft gezeigt. Seien U, V ∈ τ und x ∈ U mit U > 0 und V > 0 wie in der Definition von τ . Dann reicht = min{U , V } > 0 aus, um U ∩ V ∈ τ zu zeigen. Schliesslich ist das dritte Axiome offensichtlich erfüllt. Man nennt τ auch die Standardtopologie auf R. 7 1 Grundbegriffe (ii) Sei jetzt X = Rn und τk·k wie in Beispiel (i) wobei wir | · | durch eine beliebige Norm k·k auf dem Rn ersetzen. Wie im ersten Beispiel erfüllt (Rn , τk·k ) alle nötigen Axiome, um einen topologischen Raum zu sein. Die Tatsache, dass alle Normen auf dem Rn äquivalent sind, impliziert dass τk·k von k · k unabhängig ist. Dies werden wir in einer Übungsaufgabe beweisen. Wir nennen τk·k die Standardtopologie auf dem Rn . Für n = 1 stimmt sie mit der in (i) definierten Topologie auf R überein. (iii) Wir müssen uns aber nicht auf die reellen Zahlen beschränken. Sei jetzt X eine beliebige Menge. Jede Topologie auf X muss ∅ und X als offene Teilmengen enthalten. Die zwei reichen sogar aus, d.h. τ = {∅, X} ist eine Topologie auf X wie man sofort überprüft. Sie heisst die triviale Topologie auf X. (iv) Wieder ist X beliebig. Im anderen Extrem bildet die Potenzmenge von X P(X) = {U ⊆ X} eine Topologie auf X. Sie heisst die diskrete Topologie. Jede Teilmenge von X ist offen bezüglich der diskreten Topologie. (v) Auf der leeren Menge ∅ gibt es nur eine Topologie τ = {∅}. Das Paar (∅, τ ) heisst leerer Raum und hat besitzt Punkte X = ∅. Die Topologie ist zugleich diskrete und trivial. (vi) Auf einer einelementigen Menge X = {∗} gibt es nur eine Topologie τ = {∅, {∗}}. Wir nennen ({∗}, τ ) auch den einpunktigen Raum und er wird oft mit ∗ bezeichnet. (vii) Gibt es zwei Punkte X = {s, η} so haben wir mehrere Möglichkeiten für die Topologie. Ein interessantes Beispiel aus der algebraischen Geometrie ist τ = {∅, X, {η}} . Die Axiome lassen sich auch hier leicht überprüfen. Man nennt η generischer Punkt von X und s heisst spezieller Punkt. (viii) Sei X wieder eine beliebige Menge. Für U ⊆ X definieren wir U ∈τ ⇐⇒ U =∅ oder X r U ist endlich. Sicher gilt ∅ ∈ τ und X ∈ τ . Für U, V ⊆ X gilt X r (U ∩ V ) = (X r U ) ∪ (X r V ). Also ist X r (U ∩ V ) endlich, falls U, V ∈ τ nicht leer sind. Schliesslich ist die Vereinigung von Mengen aus τ entweder leer, also in τ , oder hat endliches Komplement in X, d.h. auch in τ . Wir nennen τ die kofinite Topologie auf X. 8 1.1 Topologische Räume (ix) Sei X wieder eine beliebige Menge. Eine Abbildung d : X × X → [0, +∞) heisst Metrik auf X, falls für alle x, y, z ∈ X (P) (Positivität) d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y, (S) (Symmetrie) d(x, y) = d(y, x), (D) (Dreiecksungleichung) d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z) gilt. Falls k · k eine Norm auf dem Rn ist, so definiert (x, y) 7→ kx − yk eine Metrik auf Rn . Die Metrik definiert wie folgt eine Topologie. Für U ⊆ X definieren wir U ∈ τd ⇐⇒ für alle x ∈ U gibt es > 0 mit x0 ∈ U falls d(x0 , x) < . Wie in Beispiel (i) zeigt man, dass τd tatsächlich eine Topologie auf X ist. Stammt die Topologie eines topologischen Raums von einer Metrik, so nennt man den Raum metrisierbar, das Paar (X, d) heisst metrischer Raum. Vorsichtig: verschiedene Metriken können die gleiche Topologie liefern. Also lässt sich die Metrik im Allgemeinen nicht eindeutig aus der Topologie gewinnen. (x) Sei n ≥ 0 eine ganze Zahl. Wie viele Topologien a(n) gibt es auf der endlichen Menge X = {1, 2, . . . , n}? Für kleine n kann man a(n) leicht bestimmen: a(0) = 1, a(1) = 1, a(2) = 4. Für n ≤ 1 gibt es nur die diskrete Topologie. Sie stimmt mit der trivialen Topologie überein. Für n = 2 sind diskrete und triviale Topologie verschieden. Dazu kommt die Topologie in Beispiel (vii). Vertauscht man die Rolle des generischen und speziellen Punkts, erhält man die vierte und letzte Topologie auf {1, 2}. Daher a(2) = 4. Für grössere n ist die Situation weniger übersichtlich. Die folgenden Werte werden wir nicht nachrechnen: a(3) = 29, .. . a(10) = 8977053873043. Können wir etwas über das Wachstum von a(n) in n sagen? Um a(n) gegen unten abzuschätzen, müssen wir Topologien auf X = {1, . . . , n} konstruieren. Sei dazu U ⊆ X eine nicht leere Menge. Wir setzen τU = {V ⊆ X; V ⊇ U } ∪ {∅} 9 1 Grundbegriffe und überprüfen, dass τU eine Topologie ist. Weiterhin gilt τU = τV =⇒ U = V, falls V ⊆ X nicht leer ist. Diese Konstruktion liefert 2n −1 paarweise verschiedene Topologie τU . Also a(n) ≥ 2 2n − 1 für alle n ≥ 0. Es gilt sogar die bessere untere Schranke a(n) ≥ 2(n −1)/4 , die wir hier nicht beweisen. Um a(n) gegen oben abzuschätzen, kann man wie folgt vorgehen. Per Definition ist jede Topologie τ auf X ein Element von P(P(X)), die Potenzmenge der Pon tenzmenge von X. Also a(n) ≤ 22 . In den Übungen werden wir die bessere Ungleichung a(n) ≤ 2n(n−1) zeigen. Konvention 1.3. Wir identifizieren oft einen topologischen Raum (X, τ ) mit der Punktmenge X. Hinter dieser Konvention lauert auch Gefahr, da es auf X mehrere Topologien geben kann. Definition 1.4. Eine Teilmenge A ⊆ X eines topologischen Raums X heisst abgeschlossen, falls X r A offen ist. Bemerkung. In jedem topologischen Raum X ist ∅ offen und abgeschlossen. Die gesamte Menge X geniesst auch diesen Doppelstatus. Es gibt sogar topologische Räume, die neben ∅ und X weitere Mengen besitzen, die sowohl offen wie auch abgeschlossen sind. Mehr dazu später. Definition 1.5. Seien τ und τ 0 zwei Topologien auf einer Menge X. Dann heisst τ feiner als τ 0 , falls τ ⊇ τ 0 . In diesem Fall nennen wir τ 0 auch gröber als τ . Ist τ feiner als τ 0 , so ist jede offene Teilmenge bezüglich τ 0 auch offen bezüglich τ . Beispiele 1.6. (i) Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Die diskrete Topologie auf X ist feiner als τ und die triviale Topologie ist gröber als τ . D.h. auf einer gegebenen Menge ist die diskrete Topologie die feinste Topologie und die triviale Topologie die gröbste Topologie. (ii) Die kofinite Topologie auf R ist gröber als die Standardtopologie. Zum Beweis sei U ⊆ R offen bezüglich der kofiniten Topologie. Gilt U = ∅, so ist U auch offen bezüglich der Standardtopologie. Falls U 6= ∅, ist R r U endlich und daher abgeschlossen in der Standardtopologie. Es folgt, dass U offen in der Standardtopologie auf R ist. (iii) Zwei Topologien τ und τ 0 auf einer Menge müssen nicht notwendigerweise kommensurabel sein. Es kann passieren, dass τ nicht feiner als τ 0 ist, ohne dass τ gröber als τ 0 ist. Als Beispiel nehme man X = {1, 2} und die zwei Topologien τ = {∅, X, {1}} 10 und τ 0 = {∅, X, {2}}. (1.1) 1.1 Topologische Räume Die folgenden Begriffe erinnern stark an entsprechende Spezialfälle in der reellen Analysis. Definition 1.7. Sei X ein topologischer Raum und M ⊆ X eine Teilmenge. (i) Der Abschluss von M (in X) ist \ M= A. M ⊆A⊆X A ist abgeschlossen in X Wir sagen, dass M dicht in X liegt, falls M = X. (ii) Das Innere von M (in X) ist [ M̊ = U. U ⊆M U ist offen in X (iii) Der Rand von M (in X) ist ∂M = M r M̊ . Das folgende Lemma enthält einige einfache Eigenschaften. Lemma 1.8. Sei X ein topologischer Raum und M ⊆ X eine Teilmenge. Dann sind M und ∂M abgeschlossen in X und M̊ ist offen in X. Ist M eine dichte Teilmenge von X und ist U ⊆ X offen und nicht leer, so gilt M ∩ U 6= ∅. Beweis. Dass M̊ offen ist, folgt aus der Tatsache, dass eine beliebige Vereinigung offener Mengen wieder offen ist. Betrachtet man das Kompliment, ist ein beliebiger Schnitt abgeschlossener Mengen wieder abgeschlossen. Daher sind M und ∂M abgeschlossen in X. Für den Beweis der letzten Aussage sei M ⊆ X dicht und U ⊆ X offen. Falls M ∩ U = ∅ liegt M im Komplement X r U . Aber X r U ist abgeschlossen, da U offen ist. Also M ⊆ X r U . Nach Voraussetzung gilt M = X und daher U = ∅. Beispiel 1.9. Sei X = R mit der Standardtopologie. Für M = (0, 1] und N = Q gilt M = [0, 1], M̊ = (0, 1), ∂M = {0, 1} und N = R, N̊ = ∅, ∂N = R. Die rationalen Zahlen liegen dicht in den reellen Zahlen. Definition 1.10. Sei X ein topologischer Raum und x ∈ X ein Punkt. Eine Umgebung von x (in X) ist eine offene Teilmenge U ⊆ X mit x ∈ U . Bemerkung. In einigen Texten wird nicht verlangt, dass eine Umgebung offen ist. Eine alternative Definition die man oft antrifft lautet, dass eine Umgebung von x ∈ X eine Teilmenge V ⊆ X ist, die eine offene Teilmenge U mit x ∈ U enthält. In der Praxis spielt diese Diskrepanz meist keine Rolle. 11 1 Grundbegriffe 1.2 Basis einer Topologie Die Topologie eines topologischen Raums kann aus sehr vielen offenen Teilmengen bestehen. Eine Basis einer Topologie ist eine Ansammlung von offenen Menge, welche die Topologie festlegt, jedoch in vielen Fällen deutlich einfacher zu handhaben ist. Beispiel 1.11. In der Standardtopologie auf den reellen Zahlen ist das Intervall (x, x + 1) offen für jedes x ∈ R. Es gibt also mindestens überabzählbar unendlich viele offene Teilmengen von R. Ist U ⊆ R eine beliebige offene Teilmenge und x ∈ U , so gibt es per Definition > 0 mit (x − , x + ) ⊆ U . Da Q dicht in R liegt, enthalten beide Intervall (x − , x) und (x, x + ) wegen Lemma 1.8 rationale Zahlen: a ∈ (x − , x) ∩ Q und b ∈ (x, x + ) ∩ Q. Es gilt x ∈ (a, b) ⊆ (x − , x + ). Diese Argument lässt sich auf jeden Punkt x ∈ U anwenden. Es folgt, dass U eine Vereinigung von offenen Intervallen mit rationalen Endpunkten ist. Wie wir bald sehen werden, bilden die Intervalle (a, b) mit a < b rational eine Basis der Standardtopologie auf R. Eine erstaunliche und nützliche Eigenschaft ist, dass diese Basis abzählbar unendlich ist. Definition-Lemma 1.12. Sei X eine Menge. Eine Subbasis einer Topologie auf X ist eine Menge B von Teilmenge von X, die die folgende Eigenschaft erfüllt. (i) Die Vereinigung aller Mengen in B ist X. D.h. jedes Element von X ist in einer Menge aus B enthalten. Wir nennen B eine Basis einer Topologie auf X, falls zusätzlich gilt: (ii) Seien B, B 0 ∈ B. Zu jedem Punkt x ∈ B ∩ B 0 gibt es B 00 ∈ B mit x ∈ B 00 und B 00 ⊆ B ∩ B 0 . Sei B eine Basis einer Topologie auf X. Die Elemente von B heissen Basiselemente. Wir nennen eine beliebige Teilmenge U ⊆ X offen bezüglich der Basis B, falls es zu jedem Element x ∈ U ein B ∈ B gibt, mit x ∈ B und B ⊆ U . Dann ist τB = {U ⊆ X; U ist offen bezüglich B} eine Topologie auf X und heisst die von B erzeugte Topologie. Man sagt auch, dass B eine Basis von (X, τB ) ist. Weiterhin ist jedes Basiselement offen in dieser Topologie. Beweis. Wir überprüfen zuerst, dass τ = τB eine Topologie auf X ist. Sicher liegt ∅ in τ . Aber X ∈ τ wegen (i). Aus (ii) folgt, dass U ∩ V ∈ τ , falls U, V ∈ τ . Schliesslich folgt völlig formal, dass eine beliebige Vereinigung von Mengen in τ wieder in τ liegt. Die letzte Aussage, d.h. B ⊆ τ folgt, da in der Definition von τ für gegebenes U ∈ B die Wahl B = U möglich ist. 12 1.2 Basis einer Topologie Beispiele 1.13. (i) Alle offenen Intervalle B = {(a, b); a, b ∈ R und a < b} bilden eine Basis einer Topologie. Eigenschaft (i) folgt, da (−1, 1) ∪ (−2, 2) ∪ (−3, 3) ∪ · · · = R. Da der Schnitt zweier offener Intervalle wieder ein offenes Intervall ist, folgt (ii). Die von B erzeugt Topologie ist die Standardtopologie auf R. (ii) Ein topologischer Raum kann verschiedene Basen besitzen, diese können sogar unterschiedlich Kardinalitäten besitzen. Die offenen Intervalle B = {(a, b); a, b ∈ Q und a < b} mit rationalen Endpunkten bilden ebenfalls eine Basis, die R mit der Standardtopologie erzeugt und nur abzählbar unendlich viele Elemente enthält. Definition 1.14. Ein topologischer Raum X erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom, falls X von einer Basis mit höchstens abzählbar unendlich vielen Elementen erzeugt wird. Beispiel 1.15. Der Raum der reellen Zahlen mit der Standardtopologie erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom. Weiter unten werden wir in Beispiel 1.17 einen Raum kennenlernen, welcher das zweite Abzählbarkeitsaxiom nicht erfüllt. Lemma 1.16. Sei X eine Menge und B eine Basis, welche die Topologie τ erzeugt. Die offenen Teilmengen von (X, τ ) sind genau die Vereinigungen von Elementen in B. Beweis. Wir haben bereits oben festgestellt, dass die Elemente in B offen in (X, τ ) sind. Sei umgekehrt U ⊆ X offen. Für jedes x ∈ U existiert Bx ∈ B mit x ∈ Bx und Bx ⊆ U . Also [ U= Bx , x∈U was zu zeigen war. Beispiel 1.17. Wir behaupten, dass die reellen Zahlen mit der diskreten Topologie das zweite Abzählbarkeitsaxiom nicht erfüllt. Sei B eine Basis dieses Raums. Für jede reelle Zahl x ∈ R ist {x} offen in der diskreten Topologie. Wegen Lemma 1.16 muss {x} ein Basiselement sein. Also enthält B überabzählbar unendlich viele Basiselemente, da es überabzählbar unendlich viele reelle Zahlen gibt. Wie kann man feststellen, ob eine Ansammlung offener Teilmengen eines topologischen Raums, eine Basis bildet, die den Raum erzeugt? Das nächste Lemma liefert dafür ein griffiges Kriterium. Lemma 1.18. Sei X ein topologischer Raum und B eine Menge offener Teilmengen von X mit der folgenden Eigenschaft. Für jede offene Teilmenge U ⊆ X und für jeden Punkt x ∈ U gibt es B ∈ B mit x ∈ B und B ⊆ U . Dann ist B eine Basis, welche die Topologie auf X erzeugt. 13 1 Grundbegriffe Beweis. Da die besagt Eigenschaft für U = X zutrifft, muss jeder Punkt aus X in einem Element aus B enthalten sein. Hieraus folgt (i) in der Definition der Basis. Seien B, B 0 ∈ B wie in (ii) der Definition und x ∈ B ∩ B 0 . Wir können die Voraussetzung auf die offene Teilmenge B ∩ B 0 von X anwenden. Es gilt also B 00 ∈ B mit x ∈ B 00 und B 00 ⊆ B ∩ B 0 . Also erfüllt B die nötigen Eigenschaft, um eine Basis einer Topologie auf X zu sein. Als letztes müssen wir noch zeigen, dass B die gegebene Topologie τ auf X erzeugt. Weil die Mengen aus B in τ liegen, erzeugt B eine Topologie auf X, die gröber als S τ ist. Sei U ∈ τ , also ist U offen in X. Nach Voraussetzung ist U eine Vereinigung U = x∈U Bx , wobei Bx ∈ B für jedes x ∈ U . Wegen Lemma 1.16 ist U offen in der von B erzeugten Topologie auf X. Bemerkung. Für jeden topologischen Raum (X, τ ) ist die Topologie τ eine Basis, die τ erzeugt. Auch mit einer Subbasis lässt sich eine Topologie erzeugen. Lemma 1.19. Sei X eine Menge und S eine Subbasis einer Topologie auf X. Die Menge aller endlichen Schnitte von Elemente in S B = {S1 ∩ · · · ∩ Sn ; S1 , . . . , Sn ∈ S} ist eine Basis einer Topologie auf X. Beweis. Wegen B ⊇ S ist die Vereinigung aller Mengen in B ganz X. Also ist B zumindest eine Subbasis. Wieso ist Eigenschaft (ii) in Definition-Lemma 1.12 erfüllt? Elemente B, B 0 ∈ B sind von der Gestalt B = S1 ∩ · · · ∩ Sn und B 0 = S10 ∩ · · · ∩ Sn0 0 mit S1 , . . . , Sn , S10 , . . . , Sn0 0 ∈ S. Wir bilden den Schnitt und erhalten mit B ∩ B 0 = S1 ∩ · · · ∩ Sn ∩ S10 ∩ · · · ∩ Sn0 0 erneut ein Element aus B. Diese Menge erfüllt die Rolle als B 00 in (ii). Also ist B eine Basis. Definition 1.20. Seien X, S und B wie im Lemma oben. Die von B erzeugte Topologie τ auf X heisst die von S erzeugte Topologie auf X. Man sagt auch, dass S eine Subbasis des topologischen Raums (X, τ ) ist. Bemerkung. Erzeugt eine Subbasis S eine Topologie τ , so sind die Elemente in τ wegen Lemmas 1.16 and 1.19 genau die Mengen der Form [ (Si,1 ∩ · · · ∩ Si,ni ) i∈I wobei I eine Indexmenge ist, ni ∈ Z mit ni ≥ 0 und Si,1 , . . . , Si,ni in S liegen. 14 1.3 Stetige Abbildungen Beispiel 1.21. (i) Sei X eine Menge und d eine Metrik auf X. Die offene Kugel im a ∈ C mit Radius r ist Br (a) = {x ∈ X; d(x, a) < r}. (1.2) Die Menge aller solcher Kugeln {Br (a); r > 0 und a ∈ X} bildet eine Subbasis, da jeder Punkt a in B1 (a) liegt. Diese Ansammlung ist sogar eine Basis. Hier ist der Beweis. Angenommen x ∈ Br (a)∩Br0 (a0 ). Wir zeigen Br00 (x) ⊆ Br (a)∩Br0 (a0 ) mit r00 = min{r − d(x, a), r0 − d(x, a0 )} > 0. Aus dieser Inklusion folgt, dass die Kugeln eine Basis bildet. Um sie zu zeigen sei y ∈ Br00 (x). Die Dreiecksungleichung liefert d(y, a) ≤ d(y, x) + d(x, a) < r00 + d(x, a) ≤ r − d(x, a) + d(x, a) = r, also y ∈ Br (a). Völlig analog erhalten wir d(y, a0 ) < r0 und damit y ∈ Br0 (a0 ), was zu zeigen war. Dass die Kugeln die Topologie τd auf X erzeugen, folgt aus der Definition in Beispiel 1.2(ix). (ii) Wir betrachten X = R als Grundmenge und setzen S = {(−n, n); n ∈ Z und n ≥ 0}. Die Vereinigung aller Intervalle in S ist ganz R, also ist S eine Subbasis einer Topologie auf R. Da der Schnitt zweier Elemente aus S wieder in S liegt, ist S sogar eine Basis. Die von S erzeugte Topologie besteht aus den Mengen (−n, n) mit n ∈ Z und n ≥ 0 sowie R. Diese Topologie ist strikt gröber als die Standardtopologie auf R. 1.3 Stetige Abbildungen Das Studium topologischer Räume wird erst ab der Einführung Struktur erhaltender Abbildungen interessant. Es handelt sich um die stetigen Abbildungen. Diese umfassen die uns bereits bekannte Klasse der stetigen Abbildungen R → R, wobei R mit der Standardtopologie ausgestattet ist. Auf dem ersten Blick scheint die Definition ungewohnt und mysteriös. Aber im allgemeinen Kontext des topologischen Raums sind -δ Argumente Tabu, da wir keine Möglichkeit haben, Abstände zu messen. Man kann einen Stetigkeitsbegriff mittels Folgen einführen (und wir werden diesen auch untersuchen), aber er ist weniger elegant und hat einige Nachteile. Definition 1.22. Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heisst stetig, falls für jede offene Teilmenge V ⊆ Y das Urbild f −1 (V ) eine offene Teilmenge von X ist. Beispiele 1.23. (i) Sei X ein topologischer Raum. Dann ist die Identitätsabbildung id : X → X stetig. 15 1 Grundbegriffe (ii) Seien X und Y topologische Räume. Jede konstante Abbildung X → Y ist stetig, da das Urbild einer offenen Teilmenge von Y entweder X oder ∅ ist. (iii) Ob eine Abbildung stetig ist, hängt von der Topologie auf Bild- und Urbildraum ab. Sei X eine Menge und τ, τ 0 zwei Topologien auf X. Die Identitätsabbildung id : X → X ist genau dann eine stetig Abbildung zwischen (X, τ ) und (X, τ 0 ), wenn τ feiner als τ 0 ist. Besitzt X mehr als ein Element, so ist die Identitätsabbildung keine stetige Abbildung zwischen (X, τtrivial ) und (X, τdiskret ). (iv) Wir betrachten R2 mit der Standardtopologie und zeigen, dass die durch π(x, y) = x definierte Projektion π : R2 → R stetig S ist. Wegen Beispiel 1.11 ist jede offene Teilmenge U ⊆ R eine Vereinigung i∈I (ai , bi ) von Intervallen, hier bezeichnet I eine Indexmenge. Es gilt ! [ [ [ π −1 (U ) = π −1 (ai , bi ) = π −1 (ai , bi ) = (ai , bi ) × R. i∈I i∈I i∈I Die Menge rechts ist offen in R2 . Also ist π stetig. Mit einem ähnlichen Argument kann man zeigen, dass jede Projektionsabbildung Rm → R stetig ist. (v) Für die Freunde der Kategorientheorie noch ein letztes Beispiel zum Anfangs- und Endobjekt: Für jeden topologischen Raum X gibt es genau eine stetige Abbildung ∅ → X vom leeren Raum und umgekehrt gibt es genau eine stetige Abbildung X → ∗ zum einpunktigen Raum, vgl. Beispiele 1.2(v) und (vi). Wir halten eine formale Eigenschaft von stetigen Abbildungen fest. Lemma 1.24. Seien X, Y, und Z topologische Räume. Die Verknüpfung zweier stetiger Abbildungen f : X → Y und g : Y → Z ist eine stetige Abbildung g ◦ f : X → Z. Beweis. Seien f und g stetig und sei U eine offene Teilmenge von Z. Das Urbild g −1 (U ) = V ist offen in Y und es gilt (g ◦ f )−1 (U ) = f −1 (g −1 (U )) = f −1 (V ). Also ist (g ◦ f )−1 (U ) offen in X. Lemma 1.25. Seien X und Y topologische Räume und S eine Subbasis der Topologie auf Y . Für eine Abbildung f : X → Y sind die folgenden Eigenschaften äquivalent. (i) Die Abbildung f ist stetig. (ii) Für jedes B ∈ S ist f −1 (B) offen in X. (iii) Zu jedem x ∈ X und jeder Umgebung V ⊆ Y von f (x) gibt es eine Umgebung U ⊆ X von x mit f (U ) ⊆ V . 16 1.3 Stetige Abbildungen (iv) Für jede abgeschlossene Teilmenge A ⊆ Y ist f −1 (A) abgeschlossen in X. Beweis. Die Implikation “(i)=⇒(ii)” ist klar, da Elemente einer Subbasis offene Teilmengen der Topologie sind. Der Beweis der umgekehrten Implikation “(i)⇐=(ii)” ähnelt dem Argument in Beispiel 1.23(iv). Wegen Lemma 1.19 bilden alle endlichen Schnitte B = B1 ∩ · · · ∩ Bn mit B1 , . . . , Bn ∈ S eine Basis B von Y . Es gilt die Identität f −1 (B) = f −1 (B1 ∩ · · · ∩ Bn ) = f −1 (B1 ) ∩ · · · ∩ f −1 (Bn ). −1 Also ist S f (B) offen in X für jedes B ∈ B. Jede offene Teilmenge U von Y −1hat die Form (U ) = i∈I Bi mit Bi ∈ B und I eine Indexmenge. Wie in Beispiel 1.23(iv) gilt f S −1 −1 f (B ) und daher ist f (U ) offen. Da U beliebig war, folgt die Stetigkeit von f. i i∈I Die Implikation “(i)=⇒(iii)” ist nicht weiter schwierig. Eine Umgebung V von f (x) ist per Definition offen in Y . Da f stetig ist, ist f −1 (V ) offen in X. Sicher gilt x ∈ f −1 (V ), also ist U = f −1 (V ) eine geeignete Umgebung von x. Nun beweisen wir “(i)⇐=(iii)”. Sei V ⊆ Y eine beliebige offene Teilmenge. Zu jedem x ∈ f −1 (V ) gibt es eine Umgebung Ux ⊆ X von x mit f (Ux ) ⊆ V . Die Menge Ux ist offen in X per Definition, also ist auch [ Ux x∈f −1 (V ) offen in X. Diese Vereinigung ist aber gleich f −1 (V ) und damit ist gezeigt, dass f −1 (V ) offen ist. Schliesslich ist die Äquivalenz “(i)⇐⇒(iv)” eine einfache Folgerung von der rein mengentheoretischen Identität X r f −1 (A) = f −1 (Y r A). Die Charakterisierung der Stetigkeit in Teil (iii) des Lemmas soll an die -δ Definition der Stetigkeit in der Analysis erinnern. Die Umgebung V spielt die Rolle von und U entspricht δ. Wir machen diese vage Beobachtung nun etwas präziser. Lemma 1.26. Seien X und Y topologische Räume, deren Topologien von Metriken dX bzw. dY auf den Punktmenge von X bzw. Y induziert werden, vgl. Beispiel 1.2(ix). Für eine Abbildung f : X → Y sind die folgenden Eigenschaften äquivalent. (i) Die Abbildung f ist stetig. (ii) Sei x ∈ X beliebig. Zu jedem > 0 gibt es ein δ > 0, so dass dY (f (x), f (x0 )) < falls dX (x, x0 ) < δ. 17 1 Grundbegriffe Beweis. Wir zeigen zuerst “(i)⇐=(ii)” und hierfür werden wir die Eigenschaft (iii) in Lemma 1.25 überprüfen. Sei x ∈ X und V eine Umgebung von f (x). Wegen der Definition von der durch dY erzeugten Topologie existiert > 0, so dass y ∈ V für alle y ∈ Y mit dY (f (x), y) = dY (y, f (x)) < . Wir wählen δ wie in Teil (ii) dieses Lemmas und erhalten dY (f (x), f (x0 )) < falls dX (x, x0 ) < δ. Mit y = f (x0 ) folgt y ∈ V . In anderen Worten f {x0 ∈ X; dX (x, x0 ) < δ} ⊆ V. | {z } =U Wir sehen, dass U die gesuchte Umgebung von x ist. Also ist f stetig. Die umgekehrte Richtung “(i)=⇒(ii)” beruht auch auf der Charakterisierung in Teil (iii) von Lemma 1.25. Sei x ∈ X und > 0. Die Menge V = {y ∈ Y ; dY (f (x), y) < } ist eine Umgebung von f (x) in Y . Also gibt es wegen der Stetigkeit von f eine Umgebung U von x in X mit f (U ) ⊆ V . Es gibt ein δ > 0 mit {x0 ∈ X; dX (x, x0 ) < δ} ⊆ U . Also gilt dY (f (x), f (x0 )) < falls dX (x, x0 ) < δ. Bemerkung. Mit diesem Lemma erhalten wir, zusammen mit unserem Vorwissen aus der Analysis, dass die klassischen Abbildungen auf Rm mit der Standardtopologie stetig sind. D.h. die folgenden Abbildungen R → R sind stetig: x 7→ p(x) mit p ein Polynom sowie x 7→ ex , x 7→ sin(x), x 7→ cos(x), .... Aus der Einführung in die Algebra kennen wir den wichtigen Begriff des Gruppenisomorphismus. Sind zwei Gruppen isomorph, so haben beide die gleichen algebraischen Eigenschaften. Einen ähnlichen Begriff gibt es in der Topologie. Definition 1.27. Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heisst Homöomorphismus, falls f stetig und bijektiv ist und falls die Umkehrabbildung f −1 : Y → X stetig ist. In diesem Fall sagen wir, dass X zu Y homöomorph ist. Bemerkungen. (i) Ist X zu Y homöomorph vermöge eines Homöomorphismus f : X → Y , so ist auch Y zu X vermöge f −1 : Y → X homöomorph. Homöomorph zu sein ist symmetrisch. Wir sagen in Zukunft, dass X und Y homöomorphe Räume sind. (ii) Die wohldefinierte Verknüpfung zweier Homöomorphismen ist ein Homöomorphismus. Homöomorph zu sein ist transitiv. Beispiele 1.28. (i) Für jeden topologischen Raum X ist die Identitätsabbildung id : X → X ein Homöomorphismus. 18 1.3 Stetige Abbildungen (ii) Seien X und Y topologische Räume mit gleicher Punktmenge {1, 2} aber verschiedenen Topologien τX = {∅, X, {1}} und τY = {∅, X, {2}}. Die durch f (1) = 2 und f (2) = 1 gegebene Abbildung f : X → Y ist ein Homöomorphismus. (iii) Sei R mit der Standardtopologie ausgestattet. Auf (0, +∞) betrachten wir die durch die Einschränkung der Metrik d(x, y) = |x−y| definierte Topologie. Wir betrachten die Abbildung f : R → (0, +∞), die durch f : x 7→ ex definiert ist. Wegen Lemma 1.26 ist f stetig. Sicher ist f auch bijektiv und die Umkehrabbildung f −1 (x) = log x ist ebenfalls stetig. Also ist f ein Homöomorphismus und daher sind R und (0, +∞) homöomorph. (iv) Zwei Intervalle (a, b) und (a0 , b0 ) mit a < b und a0 < b0 sind homöomorph, auch hier benutzen wir die eingeschränkte Metrik, um die Topologie zu definieren. Es reicht zu zeigen, dass (0, 1) zu (a, b) homöomorph ist. Die Abbildung f (x) = (b − a)x + a ist ein Homöomorphismus f : (0, 1) → (a, b). Das grundlegende Problem in der Topologie ist es, alle topologischen Räume bis auf Homöomorphie zu klassifizieren. Es handelt sich um ein “wildes” Problem, d.h. die möglichen topologischen Räume sind zu divers. Man erwartet nicht, dass dieses Problem je gelöst werden kann. Die Frage wird aber zugänglicher und interessanter, wenn man sich auf spezielle Klassen von Räumen wie beispielsweise Mannigfaltigkeiten beschränkt. In den Beispielen oben haben wir die Homöomorphie von zwei Räumen festgestellt, in dem wir konkret Homöomorphismen konstruierten. In der Regel ist es schwieriger zu zeigen, dass zwei gegebene Räume nicht homöomorph sind. Unser Repertoire an Technik reicht noch nicht aus, um viele Beispiele zu gegeben. Beispiel 1.29. Eine stetige Bijektion f : X → Y zwischen zwei topologischen Räumen X und Y muss kein Homöomorphismus sein. D.h. die Umkehrabbildung f −1 : Y → X ist unter diesen Voraussetzungen nicht notwendigerweise stetig. Dazu betrachten wir [0, 1) und S 1 = {z ∈ C; |z| = 1} (beide mit der von der eingeschränkten Standardmetrik induzierten Topologie), hierzu identifizieren wir C mit R2 in dem wir eine komplexe Zahl mit dem Paar aus Real- und Imaginärteil identifizieren. Sei i ∈ C mit i2 = −1. Die Abbildung f (t) = e2πit für 0 ≤ t < 1 19 1 Grundbegriffe ist eine stetig Abbildung f : [0, 1) → S 1 . Falls f −1 stetig wäre, so wäre f (U ) = −1 (f −1 ) (U ) offen für alle offenen Teilmengen U ⊆ [0, 1). In der auf [0, 1) definierten Topologie ist [0, 1/2) eine offene Kugel um 0 mit Radius 1/2. Das Bild f ([0, 1/2)) ist der Halbkreis {e2πit ; 0 ≤ t < 1/2}. Es ist keine offene Teilmenge von S 1 , da jede Kugel in S 1 um 1 das Komplement S 1 r f ([0, 1/2)) trifft. Beispiele 1.30. In den Beispielen unten betrachten wir alle Teilmengen von Rm als topologische Räumen mit der durch die eingeschränkte Metrik induzierte Topologie. (i) Wir zeigen, dass der topologische Raum [0, 1] nicht zu R homöomorph ist. Aus der Analysis wissen wir, dass eine stetige Funktion f : [0, 1] → R beschränkt sein muss. Also kann f nicht surjektiv und daher auch kein Homöomorphismus sein. (ii) Ist [0, 1] zu [0, 1]2 homöomorph? Bereits diese Frage ist heikler. Unsere Intuition suggeriert eine negative Antwort. Dennoch gibt es Grund zur Sorge, da es eine stetige und surjektive Abbildung [0, 1] → [0, 1]2 genannt Peano Kurve gibt. Es stellt sich aber heraus, dass sie nicht injektiv sind. Sie liefern kein Homöomorphismus zwischen [0, 1] und [0, 1]2 . In der Tat existiert kein Homöomorphismus zwischen diese Räume. Das werden wir in einigen Wochen beweisen können. (iii) Ist R2 zu R3 homöomorph? Auch hier sagt unsere Intuition klar nein. Aber sie beruht auf unser Verständnis von Dimension, ein Begriff den wir noch nicht angetroffen haben in der Topologie. Auch hier gilt: R2 und R3 sind nicht homöomorph. Der Beweis ist schwieriger als die entsprechende Nichtexistenz in (ii). Wir werden ihn hoffentlich gegen Ende des Semesters führen können. (iv) Ist R3 zu R4 homöomorph? Nein, aber dieser Beweis benötigt Hilfsmittel, die wir höchstens am Ende dieser Vorlesung erarbeiten werden! Ganz allgemein gilt: Rm und Rn sind nur für m = n homöomorph. 1.4 Konstruktion topologischer Räume Wir haben bereits einige topologische Räume kennengelernt. Weiterhin haben wir Methoden studiert, topologische Räume zu generieren (beispielsweise durch eine Metrik). In den nächsten Unterabschnitten werden wir einige wichtige Konstruktionen kennenlernen, um aus topologischen Räume neue Räume zu kreieren. 1.4.1 Die Teilraumtopologie Bereits in Beispiel 1.28 haben wir die Standardmetrik auf den reellen Zahlen auf ein Intervall eingeschränkt, um dieses mit einer Topologie zu versehen. 20 1.4 Konstruktion topologischer Räume Beispiel 1.31. Sei [0, 1] mit der durch die eingeschränkte Standardmetrik d(x, y) = |x − y| ausgestattete Topologie. Die offene Kugel um 0 mit Radius 1/2 ist [0, 1/2). Insbesondere ist [0, 1/2) eine offene Teilmenge von [0, 1] (aber natürlich keine offene Teilmenge in R). Ganz offensichtlich gilt [0, 1/2) = {x ∈ R; |x| < 1/2} ∩ [0, 1]. Im Allgemeinen ist jede offene Teilmenge von [0, 1] von der Gestalt U ∩ [0, 1] (1.3) mit U offen in R. Motiviert durch die Aussage um (1.3) werden wir nun eine Teilmenge eines beliebigen topologischen Raumes mit einer “kanonischen” Topologie ausstatten. Definition-Lemma 1.32. Sei X ein topologischer Raum und M ⊆ X eine Teilmenge. Dann definiert {U ∩ M ; U offen in X} (1.4) eine Topologie auf M , die durch X induzierte Teilraumtopologie auf M . Beweis. Das Überprüfen der Topologie Axiome für (1.4) ist eine einfache Übung. Beispiele 1.33. Wir betrachten R stets mit der Standardtopologie. (i) Die folgenden Mengen sind offen in X = [0, 1] ∪ [2, 3) ⊆ R ausgestattet mit der Teilraumtopologie: [0, 1] = (−1/2, 3/2)∩X, (1/2, 1]∪[2, 5/2) = (1/2, 5/2)∩X, [2, 3) = (3/2, 3)∩X. Insbesondere ist die Menge [0, 1] offen und abgeschlossen in X. (ii) Die offenen Teilmengen von (0, 1) ausgestattet mit der Teilraumtopologie induziert von R sind die offenen Teilmengen von R, die in (0, 1) liegen. Lemma 1.34. Sei X ein topologischer Raum, M ⊆ X eine Teilmenge und ι : M → X die Inklusionsabbildung. Wir betrachten M mit der von X induzierten Teilraumtopologie. (i) Die Abbildung ι : M → X ist stetig. (ii) Die Teilraumtopologie ist die gröbste Topologie auf M mit der Eigenschaft, dass ι stetig ist. (iii) Sei Y ein topologischer Raum und f : Y → X eine stetige Abbildung mit f (Y ) ⊆ M . Dann gibt es genau eine stetige Abbildung g : Y → M mit f = ι ◦ g. 21 1 Grundbegriffe Beweis. Alle Eigenschaft sind formale Überprüfungen. Für (i) sei U offen in X. Dann ist ι−1 (U ) = U ∩ M offen in M per Definition. Also ist ι stetig. Sei ι bezüglich einer Topologie τ auf M stetig. Dann ist ι−1 (U ) = U ∩ M offen im Raum (M, τ ) für jede offene Teilmenge U ⊆ X. Also ist τ feiner als die Teilraumtopologie auf M , was für (ii) zu zeigen war. Seien schliesslich Y und f wie in (iii). Die Eindeutigkeit von g ist klar. Auch die Existenz ist einfach, wir nehmen für g die Abbildung f mit Zielraum M . Sicher gilt f = ι ◦ g. Da sich der Zielraum geändert hat, müssen wir Stetigkeit überprüfen. Jede offene Teilmenge von M ist von der Gestalt U ∩ M mit U ⊆ X offen. Es gilt g −1 (U ∩ M ) = f −1 (U ), da f (X) ⊆ M . Weil f stetig ist, ist g −1 (U ∩ M ) offen in Y . Bemerkung. Eigenschaft (iii) im letzten Lemma heisst universelle Eigenschaft der Teilraumtopologie. Dass die Teilraumtopologie transitiv ist, folgt aus dem nächsten Lemma. Lemma 1.35. Sei X ein topologischer Raum und M, N ⊆ X Teilmengen ausgestattet mit der Teilraumtopologie induziert von X. Gilt M ⊆ N so ist die von N induzierte Teilraumtopologie auf M gleich der Topologie auf M . Beweis. Die offenen Teilmengen der von N auf M induzierten Teilraumtopologie haben die Gestalt M ∩U wobei U in N offen ist. Aber U ist N ∩V mit V offen in X. Also ist M ∩U = M ∩(N ∩V ) = M ∩ V offen in M . Umgekehrt ist jede offene Teilmenge von M von dieser Gestalt und daher auch offen in der von N induzierte Teilraumtopologie. Bemerkung. Ab jetzt werden wir oft stillschweigend eine Teilmenge eines topogischen Raumes mit der Teilraumtopologie als topologischen Raum betrachten. 1.4.2 Die Produkttopologie Wie der Name suggeriert werden wir dem kartesischen Produkt X × Y zweier topologischer Räume X und Y eine Topologie zuordnen. Auch hier lehnen wir uns einem bereits bekannten Fall an. Beispiel 1.36. Wir betrachten R und R2 = R×R mit der Standardtopologie. Jede offene Teilmenge von R2 ist eine Vereinigung [ (ai , bi ) × (a0i , b0i ) i∈I wobei I eine Indexmenge ist und ai , a0i , bi , b0i ∈ R. Für das Produkt zweier Räume ist dieses Beispiel wegführend. Eine offene Teilmenge eines Produkts zweier Räume wird Vereinigung von Produkten offener Mengen sein. Die Definition, die wir geben werden, geht jedoch einen Schritt weiter. Wir definieren eine Topologie auf dem Produkt beliebig vieler Räume. Dafür Bedarf es etwas Sorge. 22 1.4 Konstruktion topologischer Räume Definition 1.37. Sei I eine Indexmenge und für jedes i ∈ I sei ein topologischer Raum Xi gegeben. Sei Y πj : X = Xi → Xj i∈I die Projektion auf den j-ten Faktor. Dann ist {πi−1 (U ); i ∈ I und U ⊆ Xi offen} (1.5) die Subbasis einer Topologie auf X. Diese Topologie nennen wir Produkttopologie auf X. Bemerkung. Die in der Definition beschriebene Subbasis erzeugt wegen Lemma 1.19 eine Basis auf X. Die Basiselemente haben die Form Y Ui , (1.6) i∈I wobei jedes Ui ⊆ Xi offen ist und Ui 6= Xi für höchstens endlich viele i ∈ I. In den Übungen wird die sogenannte Boxtopologie auf X untersucht, die von Basiselementen (1.6) ohne die Endlichkeitseigenschaft erzeugt wird. Q Lemma 1.38. Wie in der Definition betrachten wir ein Produkt X = i∈I Xi aus topologischen Räumen mit Projektionsabbildungen πi . (i) Jede Projektionsabbildung πi ist stetig. (ii) Die Produkttopologie ist die gröbste Topologie auf X, für die alle πi stetig sind. (iii) Sei Y ein topologischer Raum und für jedes i ∈ I eine stetige Abbildung fi : Y → Xi gegeben. Dann gibt es genau eine stetige Abbildung g : Y → X, die Produktabbildung, mit πi ◦ g = fi für alle i ∈ I. In anderen Worten, das Diagramm g Y fi / X Projektionsabb. πi Xi kommutiert für jedes i ∈ I. Beweis. Das Urbild unter πi einer offenen Teilmenge von Xi ist ein Element der Subbasis (1.5) und damit offen in X. Hieraus folgt (i). Sei τ eine Topologie auf X bezüglich deren alle Projektionen stetig sind. Dann gilt πi−1 (U ) ∈ τ für alle offenen Teilmengen U ⊆ Xi . Also enthält τ die Subbasis (1.5) und damit auch die Produkttopologie auf X. Also ist (ii) bewiesen. Schliesslich wenden wir uns zu (iii). Wie in Lemma 1.34(iii) ist die Eindeutigkeit klar und legt g punktweise fest. Konkret, es muss g(y) = (fi (y))i∈I ∈ X 23 1 Grundbegriffe für alle y ∈ Y gelten. Diese Abbildung erfüllt πi ◦ g = fi für alle i ∈ I. Es reicht also Stetigkeit von g zu zeigen. Dank Lemma 1.25 müssen wir nur überprüfen, dass g −1 (S) offen in Y ist für jedes Element S der Subbasis (1.5). Aber S = πi−1 (U ) für ein i ∈ I und eine offene Teilmenge U ⊆ Xi . Also ist g −1 (S) = g −1 (πi−1 (U )) = (πi ◦ g)−1 (U ) = fi−1 (U ) offen in Y, was zu zeigen war. Bemerkung. Eigenschaft (iii) im letzten Lemma heisst universelle Eigenschaft der Produkttopologie. Bemerkung. Das kartesische Produkt topologischer RäumeQXi wird jetzt, falls nicht anders erläutert, mit der Produkttopologie versehen und mit i Xi bezeichnet. Beispiele 1.39. Sei R mit der Standarttopologie versehen. (i) Die Produkttopologie auf Rm = R × · · · × R ist gleich der Standardtopologie auf Rm . (ii) Die Additions- und Multiplikationsabbildungen +, · : R × R → R sind stetig. Die Inversionsabbildung x 7→ x−1 ist eine stetige Abbildung R r {0} → R r {0}. 2 (iii) Die Matrizen Matm (R) können wir mit Rm identifizieren. Auch hier sind Summation und Produktbildung (A, B) 7→ A + B und (A, B) 7→ AB stetige Abbildungen Matm (R) × Matm (R) → Matm (R), da sie von Polynomen beschrieben werden. Die Gruppe GLm (R) wird durch das Nichtverschwinden der Determinantenabbildung, ein Polynom in den Einträgen, charakterisiert. Also ist GLm (R) offen in 2 Rm . In der Teilraumtopologie definieren die Vorschriften (A, B) 7→ AB und A 7→ A−1 stetige Abbildungen GLm (R)2 → GLm (R) und GLm (R) → GLm (R). Definition 1.40. Eine topologische Gruppe ist eine Gruppe (G, ·, e),1 so dass G mit einer Topologie ausgestattet ist, wobei G×G→G (g, h) 7→ g · h und G→G g 7→ g −1 stetige Abbildungen sind. In den Beispielen 1.39 (ii) und (iii) haben wir (R, +, 0), (Rr{0}, ·, 1) und (GLm (R), ·, En ) als topologische Gruppen erkannt. 1 G bezeichnet die Menge der Gruppenelemente, · ist die Verknüpfung und e ∈ G ist das Einselement 24 1.4 Konstruktion topologischer Räume 1.4.3 Die Quotiententopologie Das dritte (und wichtige) Beispiel definiert eine Topologie auf den Klassen einer Äquivalenzrelation. Beispiel 1.41. Auf den reellen Zahlen R führen wir eine Äquivalenzrelation ∼ wie folgt ein. Es gilt x ∼ y genau denn, wenn x − y ∈ Z. Ausgehend von der Standardtopologie auf R werden wir nun eine Topologie auf den Äquivalenzklassen R/∼= R/Z einführen. Es wird sich zeigen, dass dieser topologische Raum zum Einheitskreis S 1 homöomorph ist. Definition-Lemma 1.42. Sei X ein topologischer Raum und ∼ eine Äquivalenzrelation auf X. Die Menge der Äquivalenzklassen bezeichnen wir mit X/∼ und die Quotientenabbildung mit q : X → X/∼. Dann ist τ = {U ⊆ X/∼; q −1 (U ) offen in X} eine Topologie auf X/∼, genannt Quotiententopologie. Beweis. Wie üblich ist der Nachweis, dass es sich bei τ um eine Topologie handelt ein formales Spiel. Wir müssen lediglich die folgenden Identitäten benutzen ! q −1 (∅) = ∅, q −1 (X/∼) = X, q −1 [ Ui ! = [ q −1 (Ui ), i i und q −1 \ Ui = \ q −1 (Ui ) i i wobei Ui ein System von Teilmengen von X/∼ ist. Lemma 1.43. Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einem topologischen Raum X und q : X → X/∼ die Quotientenabbildung. (i) Die Abbildung q ist stetig. (ii) Die Quotiententopologie auf X/∼ ist die feinste Topologie, so dass q stetig ist. (iii) Sei Y ein topologischer Raum und f : X → Y eine stetige Abbildung mit f (x) = f (x0 ) falls x ∼ x0 . Dann faktorisiert f durch die Quotientenabbildung. Präziser, es gibt genau eine stetige Abbildung g : X/∼→ Y mit g ◦ q = f , d.h. das Diagramm (1.7) X Quotientenabb. q f X/∼ ! g / Y kommutiert. 25 1 Grundbegriffe Beweis. Teil (i) folgt direkt aus der Definition der Quotiententopologie. Ist τ eine Topologie auf X/∼ bezüglich deren q : X → X/∼ stetig ist, so ist q −1 (U ) offen in X für alle U ∈ τ . Aus der Definition der Quotiententopologie folgt, dass U offen in X/∼ ist. Also ist jede Menge in τ offen bezüglich der Quotiententopologie. Insbesondere ist τ gröber als die Quotiententopologie und hieraus folgt (ii). Um die Existenz in (iii) zu zeigen, setzen wir g(q(x)) = f (x) für x ∈ X. Da q surjektiv ist, und weil q(x) = q(x0 ) für x ∼ x0 gilt, ist g wohldefiniert als Abbildung X/∼→ Y . Wir müssen noch nachweisen, dass g stetig ist. Für eine offene Teilmenge U ⊆ Y ist f −1 (U ) = q −1 (g −1 (U )) offen in X, weil f stetig ist. Aus der Definition der Quotiententopologie folgt, dass g −1 (U ) offen in X/∼ ist. Also ist g stetig. Schliesslich folgt die Eindeutigkeitsbehauptung in (iii) aus der Tatsache, dass es nur eine Funktion g gibt, mit g(q(x)) = f (x) für alle x ∈ X. Bemerkung. Eigenschaft (iii) im letzten Lemma heisst universelle Eigenschaft der Quotiententopologie. Definition 1.44. Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heisst offen, falls f (U ) in Y offen ist für alle offenen Teilmengen U ⊆ X. Bemerkung. Eine stetige Bijektion ist genau dann ein Homöomorphismus, wenn sie offen ist. Beispiele 1.45. Wir betrachten R mit der Standardtopologie. (i) Wie im ersten Beispiel dieses Abschnittes betrachten wir den Quotienten R/∼= R/Z wobei x ∼ x0 genau dann, wenn x − x0 ∈ Z. Wegen der universellen Eigenschaft faktorisiert die stetige Abbildung f : R → S1 f (x) = e2πix durch zu einer stetigen Abbildung g : R/Z → S 1 . Die Abbildung g ist surjektiv, da bereits f surjektiv war. Aber g ist auch injektiv, da e2πix = e2πiy genau dann, wenn x − y ∈ Z. Man kann sogar zeigen, dass g ein Homöomorphismus ist. Dazu müssen wir zuerst nachweisen, dass die Abbildung f offen ist. Die Intervalle (a, b) ⊆ R bilden eine Basis der Topologie auf R. Es reicht zu zeigen, dass f ((a, b)) offen in S 1 ist für alle reellen Zahlen a < b. Wegen f (x + x0 ) = f (x)f (x0 ) und f (1) = 1 können wir sogar annehmen, dass (a, b) = (−, ) gilt mit 0 < ≤ 1/2. D.h. wir können das Intervall (a, b) so verschieben, dass 0 in der Mitte liegt. Nun ist f ((−, )) offen in S 1. Sei nun U ⊆ R/Z offen, dann gilt wegen (1.7) g(U ) = f (q −1 (U )). Weil q stetig ist, ist q −1 (U ) offen in R. Weil f offen ist, ist das Bild dieser Menge unter f offen in S −1 . Also ist g(U ) offen. Hieraus folgt, dass g eine offene Abbildung ist. Also ist g wegen der Bemerkung oben ein Homöomorphismus. Insbesondere ist R/Z zum Einheitskreis homöomorph. 26 1.4 Konstruktion topologischer Räume (ii) Es gibt eine weitere Möglichkeit, den Einheitskreis S 1 als Quotienten zu präsentieren. Dazu führen wir auf [0, 1] die Relation x ∼ x0 ⇐⇒ x = x0 oder x, x0 ∈ {0, 1} ein. Im Quotienten X/∼ werden die Endpunkte des Einheitsintervalls [0, 1] verklebt. Die Abbildung f aus (i) faktorisiert ebenso hier, da f (0) = f (1). D.h. es gibt eine stetige Funktion g : [0, 1]/∼→ S 1 mit g ◦ q = f . Wie im ersten Beispiel beweist man, dass g eine Bijektion und sogar ein Homöomorphismus ist. (iii) Auf dem Einheitsquadrat [0, 1]2 führen wir die Äquivalenzrelation (x, y) ∼ (x0 , y 0 ) ⇐⇒ (x, y) = (x0 , y 0 ) oder (x, x0 ∈ {0, 1} und y = y 0 ) oder (y, y 0 ∈ {0, 1} und x = x0 ) oder {x, x0 } = {y, y 0 } = {0, 1}. D.h. zwei gegenüberliegende Kanten werden identifiziert. In den Übungen werden wir sehen, dass der Quotient [0, 1]2 /∼ zum Torus S 1 × S 1 homöomorph ist. (iv) Auf X = R2 führen wir die Äquivalenzrelation (x, y) ∼ (x0 , y 0 ) ⇐⇒ y = y0 ein. Die Projektion π2 : R2 → R auf die zweite Koordinate ist konstant auf den Äquivalenzklassen. Sie faktorisiert wie im ersten Beispiel durch den Quotienten, d.h. g ◦ q = π2 für eine stetige Abbildung g : X/∼→ R. Die Abbildung g ist auch eine Bijektion und man kann den Argumenten in (i) folgend zeigen, dass g ein Homöomorphismus ist. Dazu muss man nur beobachten, dass π2 offen ist. Dies ist eine Konsequenz von der Bemerkung direkt nach der Definition der Produkttopologie. (v) In R2 betrachten wir die zwei Geraden X = R × {0, 1} = R × {0} ∪ R × {1} mit der Teilraumtopologie. Auf X führen wir die folgende Äquivalenzrelation ein (x, y) ∼ (x0 , y 0 ) ⇐⇒ (x, y) = (x0 , y 0 ) oder x = x0 6= 0. In Worten, wir identifizieren Punkte der zwei Geraden mit gleicher x Koordinate, ausser diese verschwindet. Der Quotient X/ ∼ sieht aus wie die reellen Zahlen, aber mit zwei Nullpunkten q(0, 0) und q(0, 1). Schauen wir uns die Situation etwas genauer an. Seien U und V Umgebungen in X/∼ von q(0, 0) resp. q(0, 1). Die Urbilder q −1 (U ) und q −1 (V ) sind offen in R × {0, 1} und enthalten (0, 0) resp. (0, 1). Es gibt also > 0 mit (−, ) × {0} ⊆ 27 1 Grundbegriffe q −1 (U ) und (−, ) × {1} ⊆ q −1 (V ). Insbesondere gilt U ∩ V 6= ∅ da beispielsweise q(/2, 0) ein gemeinsamer Punkt dieser zwei Mengen ist. In X/∼ kann man die zwei Nullpunkten daher nicht durch hinreichend kleine offene Mengen trennen. Wir nehmen einige dieser Beispiele als Motivation für die nächste Definition. Definition 1.46. Sei X ein topologischer Raum und A ⊆ X eine Teilmenge. Wir definieren X/A als X/∼ wobei x ∼ x0 ⇐⇒ x = x0 oder x, x0 ∈ A. Beispiele 1.47. Wir betrachten R mit der Standardtopologie. (i) Im Quotienten R/[0, 1] wird das Interval [0, 1] zu einem Punkt kollabiert. Die durch : x < 0, x 0 : x ∈ [0, 1], f (x) = x−1 :x>1 definierte stetige Funktion f : R → R ist konstant auf [0, 1]. Daher faktorisiert sie durch eine stetige Funktion g : R/[0, 1] → R. Da f surjektiv ist, ist auch g surjektiv. Die Funktion g ist sogar bijektiv. Wir werden nun beweisen, dass g ein Homöomorphismus ist. Und dazu reicht es zu zeigen, dass g offen ist. Wir benutzen die Identität g(U ) = f (q −1 (U )) wobei q : R → R/[0, 1] die Quotientenabbildung bezeichnet. Nun ist V = q −1 (U ) offen in R und es gilt entweder V ∩ [0, 1] = ∅ oder [0, 1] ⊆ V entsprechend ob 0 6∈ V oder 0 ∈ V . Das Bild unter f ist f (V ) = (V ∩ (−∞, 0)) ∪ (V ∩ {0}) ∪ (( V − 1} ) ∩ (0, ∞)). | {z {x−1; x∈V } Falls 0 6∈ V , so ist f (V ) offen. Im anderen Fall gibt es > 0 mit (−, 1+) ⊆ f (V ). Wiederum sehen wir, dass f (V ) offen ist. (ii) Wie sieht es mit R/(0, 1) aus? Hier ist die Situation anders. Bezeichnet q : R → R/(0, 1) die Quotientenabbildung, so ist q −1 (U ) genau dann offen in R wenn U offen in R/(0, 1) ist. Sicher ist (0, 1) = q −1 (q(1/2)) offen in R, also ist die einelementige Menge q(1/2) (welche (0, 1) im Quotienten repräsentiert) offen in R/(0, 1). Da keine einelementige Menge von R offen ist, kann R/(0, 1) nicht zu R homöomorph sein. Definition-Lemma 1.48. Seien X und Y topologische Räume, die wir als disjunkt betrachten d.h. X ∩ Y = ∅, und X q Y ihre disjunkte Vereinigung. Dann definiert {U ⊆ X q Y ; U ∩ X offen in X und U ∩ Y offen in Y } eine Topologie auf X q Y . 28 1.4 Konstruktion topologischer Räume Beweis. Das Überprüfen der Axiome erfolgt in bekannter Weise. Bemerkung. Seien X und Y wie in der Definition. Die Inklusionsabbildungen X ,→ X q Y und Y ,→ X q Y sind stetig. Weiterhin gibt es auch hier eine universelle Eigenschaft. Diese Punkte werden in den Übungen behandelt. Wir werden X und Y als Teilmenge von X q Y betrachten. Die von X q Y auf X bzw. Y induziert Teilraumtopologie stimmt mit der gegebenen Topologie auf X bzw. Y überein. Wir verallgemeinern das Verkleben zweier Räume aus Beispiel 1.45(v). Definition 1.49. Seien X und Y topologische Räume, die wir als disjunkt betrachten, M eine Teilmenge von Y und f : M → X eine injektive Abbildung. Die Verklebung von X und Y entlang f ist der Quotient X ∪f Y = X q Y /∼ wobei x∼x 0 ⇐⇒ x = x0 oder x ∈ X, x0 ∈ M, f (x0 ) = x oder x ∈ M, x0 ∈ X, f (x) = x0 . Entsprechend ist Beispiel 1.45(v) die Verklebung von R mit sich selbst entlang der Inklusion A = R r {0} ,→ R. 29 2 Eigenschaften topologischer Räume In diesem Kapitel führen wir Eigenschaften topologischer Räume ein. Diese widerspiegeln einerseits die geometrische Intuition. Andererseits können die Eigenschaften z.T. verwendet werden, um auszuschliessen dass zwei topologische Räume nicht homöomorph sind. 2.1 Trennungsaxiome Wie wir in Beispiel 1.45(v) gesehen haben, lassen sich zwei verschiedene Punkte auf der reellen Gerade durch offene Teilmengen der Standardtopologie trennen. Weiterhin konnten wir diese Eigenschaft ausnutzen, um zu zeigen, dass R nicht zu dem Quotienten in besagtem Beispiel homöomorph ist. Definition 2.1. Ein topologischer Raum X hat die Hausdorffeigenschaft, falls sich verschiedene Punkt aus X durch offene Mengen trennen lassen. Konkret, für x, y ∈ X mit x 6= y gibt es offene Mengen U, V ⊆ X mit x ∈ U und y ∈ V , so dass U ∩ V = ∅. Einen topologischen Raum mit der Hausdorffeigenschaft nennt man Hausdorffraum oder T2 -Raum. Beispiel 2.2. (i) Die reellen Zahlen mit der Standardtopologie bilden einen Hausdorffraum. (ii) Eine Menge ausgestattet mit der diskreten Topologie ist ein Hausdorffraum. (iii) Die Menge X = {s, η} ausgestattet mit der Topologie aus Beispiel 1.2(vii) ist kein Hausdorffraum. Die einzige offene Menge, die s enthält ist X. (iv) Der Quotientenraum aus Beispiel 1.45(v) ist kein Hausdorffraum, da sich die zwei Nullpunkte nicht mit zweier offenen, disjunkten Mengen trennen lassen. (v) Jeder metrische Raum (X, d) ist ein Hausdorffraum: seien dazu x, y ∈ X verschiedene Punkte und r = d(x, y) deren Abstand. Es gilt r > 0 und Br (x) = {x0 ∈ X; d(x, x0 ) < r/2} bzw. Br (y) = {y 0 ∈ X; d(y, y 0 ) < r/2} sind disjunkte Umgebungen von x bzw. y. Lemma 2.3. (i) In einem Hausdorffraum sind einpunktige Mengen abgeschlossen. (ii) Teilräume und Produkte von Hausdorffräumen besitzen die Hausdorffeigenschaft. 31 2 Eigenschaften topologischer Räume Beweis. Sei x Punkt eines Hausdorffraums X. Zu jedem Punkt y ∈ X r {x} gibt es eine offene Teilmenge Uy ⊆ X mit y ∈ Uy und x 6∈ Uy .1 Die Vereinigung [ U= Uy y∈Xr{x} ist offen in X. Weiterhin gilt X r {x} ⊆ U aber x 6∈ U . Also ist X r {x} = U offen und daher ist {x} abgeschlossen in X. Dies zeigt Teil (i). Teil (ii) besteht aus zwei Aussagen. Sei zunächst M ⊆ X eine Teilmenge ausgestattet mit der Teilraumtopologie. Für Punkte x, y ∈ M mit x 6= y existieren offene Mengen U, V von X mit x ∈ U, y ∈ V und U ∩ V = ∅. Die Schnitte U ∩ M und V ∩ M sind offen in M , disjunkt, und enthalten x bzw. y. Also lassen sich x und y im Teilraum M durch disjunkte offene Mengen trennen. Daher ist M ein Hausdorffraum. Sei nun Xi eine Kollektion Q von Hausdorffräumen wobei i eine Indexmenge I durchläuft. Wir betrachten X = i∈I Xi mit der Produkttopologie. Zwei Punkte x, y ∈ X haben die Form x = (xi )i∈I und y = (yi )i∈I mit xi , yi ∈ Xi . Sei nun x 6= y. Wir wollen x und y durch disjunkte offene Mengen von X trennen. Nach Voraussetzung gibt es i ∈ I mit xi 6= yi . Da Xi die Hausdorffeigenschaft besitzt, existieren disjunkte offene Teilmengen Ui , Vi ⊆ Xi mit xi ∈ Ui und yi ∈ Vi . Sei πi : X → Xi die Projektion auf den i-ten Faktor. Dann sind πi−1 (Ui ) und πi−1 (Vi ) disjunkte und offene Teilmengen von X, die x bzw. y enthalten. Also ist X ein Hausdorffraum. Definition 2.4. Ein topologischer Raum heisst T1 -Raum, falls alle einpunktigen Mengen abgeschlossen sind. Bemerkung. (i) Wie wir in Beispiel 1.45(v) gesehen haben, ist der Quotient eines Hausdorffraums nicht notwendigerweise ein Hausdorffraum. (ii) Teil (i) des Lemmas oben impliziert, dass Hausdorffräume T1 -Räume sind. Die Umkehrung ist jedoch falsch. Die ganzen Zahlen Z mit der kofiniten Topologie, vgl. Beispiel 1.2(viii), ist ein T1 -Raum aber besitzt nicht die Hausdorffeigenschaft. Definition 2.5. Sei X ein T1 -Raum. (i) Wir nennen X regulär, falls es zu jedem Punkt x ∈ X und jeder abgeschlossenen Menge A ⊆ X mit x 6∈ A offene Mengen U, V ⊆ X mit x ∈ U, A ⊆ V und U ∩ V = ∅ gibt. (ii) Wir nennen X normal, falls sich disjunkte abgeschlossene Teilmengen von X durch disjunkte offene Teilmengen von X trennen lassen. Konkret, für A, B ⊆ X abgeschlossen mit A∩B = ∅ existieren offene Mengen U, V ⊆ X mit A ⊆ U, B ⊆ V und U ∩ V = ∅. 1 In der Tat gibt es sogar eine offene Umgebung von x welche Uy nicht trifft. Insbesondere enthält Uy den Punkt x nicht. 32 2.1 Trennungsaxiome Bemerkung. Einige Autoren fordern nicht, dass ein regulärer bzw. normaler topologischer Raum ein T1 -Raum sein muss. Es gilt die folgende Implikationskette X ist ein normaler topologischer Raum =⇒ =⇒ =⇒ X ist ein regulärer topologischer Raum X ist ein Hausdorffraum X ist ein T1 -Raum. Aus den Übungen kennen wir bereits einige normale Räume. Lemma 2.6. Ein metrischer Raum ist normal. Beweis. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Wir wissen aus Beispiel 2.2(v), dass X ein T2 -Raum ist. Insbesondere ist X wegen Lemma 2.3(i) auch ein T1 -Raum. Seien A und B abgeschlossene und disjunkte Teilmengen von X. Aus Aufgabe 4, Übungsblatt 2 (Urysohns Lemma für metrische Räume) ist bekannt, dass es eine stetige Abbildung f : X → R mit f |A = 1 und f |B = 0 gibt. Die offenen Mengen U = f −1 ((1/2, 3/2)) und V = f −1 ((−1/2, 1/2)) sind disjunkt und es gilt A ⊆ U und B ⊆ V . Bemerkung. Insbesondere ist Rm ein normaler topologischer Raum für alle m ≥ 0. Beispiele 2.7. Intervalle (i) Ein Hausdorffraum muss nicht notwendigerweise regulär sein. Die (a, b) und (a, b) r K mit a<b (a, b ∈ R) (2.1) wobei K = {n−1 ; n ≥ 1 in Z} bilden eine Basis einer Topologie auf den reellen Zahlen. Um Verwirrung zu vermeiden bezeichnen wir den entsprechenden topologischen Raum auf der Menge der reellen Zahlen mit RK . Die Topologie auf RK ist feiner als die Standardtopologie auf R, da alle Intervalle (a, b) eine Basis der Standardtopologie bilden und in RK offen sind. Da R ein Hausdorffraum ist, ist daher RK auch ein Hausdorffraum ist. Wir zeigen nun, dass RK nicht regulär ist. Die Menge K ist abgeschlossen in RK und es gilt 0 6∈ K. Wir werden annehmen, dass es disjunkte offene Mengen U, V aus RK gibt mit 0 ∈ U und K ⊆ V . Ohne Einschränkung können wir annehmen, dass U ein Basiselement wie in (2.1) ist. Nun gilt U = (a, b) oder U = (a, b)rK mit a < 0 < b. Der erste Fall ist unmöglich, da entsprechende Intervalle K treffen. Also gilt U = (a, b) r K. Wegen a < 0 < b existiert n ≥ 1 in Z mit 1/n ∈ (a, b). Wegen 1/n ∈ K gilt auch 1/n ∈ V . Die offene Teilmenge V enthält ein Basiselement (c, d) welches 1/n enthält. Der Schnitt U ∩ (c, d) ist nicht leer, er enthält jede reelle Zahl y mit max{1/(n + 1), c} < y < 1/n. Dies widerspricht U ∩ V = ∅. 33 2 Eigenschaften topologischer Räume (ii) Wir zeigen anhand eines Beispiels, dass das Produkt von normalen Räumen nicht notwendigerweise normal sein muss. Dazu führen wir auf den reellen Zahlen eine weitere Topologie ein. Die halboffenen Intervalle [a, b) mit a < b bilden eine Basis einer Topologie auf den reellen Zahlen. Wir bezeichnen diesen topologischen Raum mit Rsf , er heisst Sorgenfreygerade. Die Sorgenfreygerade besitzt die Hausdorffeigenschaft, ist also insbesondere ein T1 Raum. Sei A abgeschlossen in Rsf und b 6∈ A. Das Komplement von A ist offen in Rsf . Da es b enthält, enthält es auch ein Basiselement der Form [b, b0 ) mit b0 > b. Ist B auch abgeschlossen in Rsf mit A ∩ B = ∅ so ist [ V = [b, b0 ) b∈B S offen und enthält B. Analog konstruieren wir U = a∈A [a, a00 ) wobei [a, a00 )∩B = ∅. Wäre [a, a00 ) ∩ [b, b0 ) nicht leer, so würde entweder a oder b im Schnitt liegen. Das ist unmöglich, also folgt U ∩ V = ∅. Wir haben gezeigt, dass die Sorgenfreygerade ein normaler Raum ist. Nun zeigen wir, dass die Sorgenfreyebene R2sf mit der Produkttopologie nicht normal ist. Dies geschieht in mehreren Schritten. Schritt I. Die Teilmenge Q2 liegt dicht in R2sf . Jede offene und nicht leere Teilmenge U von R2sf enthält ein Produkt [a, b) × [c, d) mit a < b und c < d. In den halb-offenen Intervallen [a, b) und in [c, d) gibt es jeweils eine rationale Zahl. Folglich gilt U ∩ Q2 6= ∅ und Q2 6⊆ R2sf r U . Also ist Q2 dicht in R2sf . Wir betrachten die Antidiagonale ∆ = {(x, −x); x ∈ Rsf }. (2.2) Schritt II. Die Antidiagonale ist abgeschlossen in R2sf . Sei (x, y) ∈ R2sf mit x 6= −y. Falls x > −y so liegt [x, x + 1) × [y, y + 1) im Komplement von ∆. Falls x < −y wählen wir = −(x + y)/2 > 0 und stellen [x, x + ) × [y, y + ) ⊆ R2sf r ∆ fest. Also ist R2sf r ∆ offen und damit ist ∆ abgeschlossen in R2sf . Schritt III. Die Antidiagonale trägt als Teilraum von R2sf die diskrete Topologie. Für x ∈ Rsf ist ∆ ∩ [x, x + 1) × [−x, −x + 1) = {(x, −x)} eine offene Menge in ∆ als Teilraum von R2sf . Insbesondere ist ∆ ein diskreter topologischer Raum. Jetzt beweisen wir, dass R2sf nicht normal ist. Dazu nehmen wir das Gegenteil an, und werden einen Widerspruch herleiten. 34 2.2 Separabilität und das erste Abzählbarkeitsaxiom Eine Teilmenge A von ∆ und ihr Komplement ∆ r A sind beide abgeschlossen in ∆. Da ∆ abgeschlossen in R2sf ist, sind A und ∆ r A abgeschlossen in R2sf . Da wir annehmen, dass R2sf normal ist, gibt es disjunkte offene Teilmenge UA , VA ⊆ R2sf mit A ⊆ UA und ∆ r A ⊆ VA . Dies wird zu einem Widerspruch führen. Wir definieren eine Abbildung Ψ : {∅ ( A ( ∆} → Potenzmenge von Q2 (2.3) durch Ψ(A) = UA ∩ Q2 . Wir zeigen nun, dass Ψ injektiv ist. Sei ∅ ( A, B ( ∆ mit A 6= B. Wir müssen Ψ(A) 6= Ψ(B) beweisen. Angenommen z ∈ A aber z 6∈ B. Also z ∈ A ⊆ UA und z ∈ ∆ r B ⊆ VB . Es folgt z ∈ UA ∩ VB . Insbesondere ist UA ∩ VB eine offene und nicht leere Teilmenge von R2sf . Es muss damit die dichte Teilmenge Q2 in einem Punkt q treffen. Es gilt q ∈ UA ∩ Q2 und q 6∈ UB , die letzte Eigenschaft nutzt UB ∩ VB = ∅. Insbesondere ist Ψ(A) = UA ∩ Q2 6= UB ∩ Q2 = Ψ(B), was zu zeigen war. Der Fall z ∈ B aber z 6∈ A ist ähnlich. Die Menge ∆ hat die gleiche Kardinalität wie R. Deren Potenzmenge, sowie der Definitionsbereich von (2.3), hat grössere Kardinalität als R. Andererseits ist die Kardinalität der Potenzmenge von Q2 gleich der Kardinalität von R. Diese mengentheoretischen Überlegungen widersprechen der Injektivität von (2.3). Also ist die Sorgenfreyebene R2sf nicht normal. 2.2 Separabilität und das erste Abzählbarkeitsaxiom Die Sorgenfreyebene hat einige interessante Eigenschaften, die wir in einem Lemma festhalten. Lemma 2.8. (i) Die Sorgenfreyebene R2sf erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom nicht. (ii) Die Sorgenfreyebene R2sf besitzt eine höchstens abzählbar unendliche und dichte Teilmenge. Der Teilraum ∆, cf. (2.2), besitzt keine höchstens abzählbare und dichte Teilmenge. Beweis. Besitzt ein topologischer Raum eine höchstens abzählbar unendliche Basis, so besitzt auch jeder Teilraum eine höchstens abzählbar unendliche Basis. Wir haben in Beispiel 2.7(ii) Schritt III festgestellt, dass der Teilraum ∆ die diskrete Topologie trägt. Daher muss eine Basis von ∆ alle Teilmengen von ∆ enthalten. Teil (i) folgt, da ∆ die gleiche Kardinalität wie R besitzt, und daher überabzählbar unendlich ist. 35 2 Eigenschaften topologischer Räume Wir haben bereits in Beispiel 2.7(ii) Schritt I gezeigt, dass Q2 dicht in R2sf liegt. Damit ist die erste Aussage von (ii) bewiesen. Wie wir oben erwähnt haben, trägt ∆ die diskrete Topologie. Also ist die einzige dichte Teilmenge von ∆ der gesamte Raum ∆. Die zweite Aussage in (ii) folgt, da ∆ überabzählbar unendlich viele Punkte enthält. Definition 2.9. Ein topologischer Raum heisst separabel, falls er eine höchstens abzählbar unendliche dichte Teilmenge enthält. Beispiel 2.10. Der Raum Rm ausgestattet mit der Standardtopologie ist separabel, da er die dichte Teilmenge Qm besitzt. Bemerkung. (i) Ein Teilraum eines separabeln Raums muss nicht notwendigerweise separabel sein, wie wir in Lemma 2.8(ii) gesehen haben. (ii) Das Produkt zweier separabler Räume ist separabel und der Quotient eines separabeln Raumes ist separabel. Beide Aussagen werden in den Übungen bewiesen. Auf Seite 13 haben wir das zweite Abzählbarkeitsaxiom kennengelernt. Wir arbeiten uns nach unten und behandeln hier das erste Abzählbarkeitsaxiom. Definition 2.11. Sei X ein topologischer Raum. (i) Sei x ∈ X. Eine Umgebungsbasis von x (in X) ist eine Menge Ux von Umgebungen von x in X mit der folgenden Eigenschaft. Für jede Umgebung V von x in X gibt es U ∈ Ux mit U ⊆ V . (ii) Man sagt, dass X das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllt, falls jeder Punkt in X eine höchstens abzählbar unendliche Umgebungsbasis besitzt. Bemerkung. Sei X ein topologischer Raum. Eine Basis von X enthält eine Umgebungsbasis für jeden Punkt aus X. Erfüllt X das zweite Abzählbarkeitsaxiom, d.h. besitzt der besagte Raum eine höchstens abzählbar unendliche Basis, so erfüllt X auch das erste Abzählbarkeitsaxiom. Beispiele 2.12. Sei X ein topologischer Raum. (i) Trägt X die diskrete Topologie, so ist {{x}} eine Umgebungsbasis für x ∈ X. Damit erfüllt X das erste Abzählbarkeitsaxiom. (ii) Trägt X die triviale Topologie, so erfüllt X ebenfalls das erste Abzählbarkeitsaxiom. (iii) Wir nehmen an, dass die Topologie auf X von einer Metrik d : X × X → [0, +∞) induziert sei. Für x ∈ X ist die Ansammlung von offenen Kugeln (1.2) Ux = B1/n (x); n ∈ Z und n ≥ 1 eine Umgebungsbasis von x. Sie enthält höchstens abzählbar unendlich viele Mengen. Also erfüllt X das erste Abzählbarkeitsaxiom. 36 2.2 Separabilität und das erste Abzählbarkeitsaxiom (iv) Sei Rkof die Menge der reellen Zahlen ausgestattet mit der kofiniten Topologie. Sei x ∈ Rkof und seien U1 , U2 , . . . Umgebungen vonS x in Rkof . Dann ist Rkof rUi = Fi eine endliche Menge für jedes i. Die Vereinigung i≥1 Fi ist eine höchstens abzählbar unendliche Menge von reellen Zahlen. Da die Menge aller S reellen Zahlen überabzählbar unendlich ist, gibt es y ∈ Rkof mit y 6= x und y 6∈ i≥1 Fi . Folglich ist U = Rkof r{y} eine Umgebung von x in Rkof und es gilt Ui 6⊆ U für alle i. Also ist {U1 , U2 , . . .} keine Umgebungsbasis von x. Wir haben gezeigt, dass x keine höchstens abzählbar unendliche Umgebungsbasis in Rkof besitzt. Insbesondere erfüllt Rkof das erste Abzählbarkeitsaxiom nicht. Das erste Abzählbarkeitsaxiom spielt im Zusammenhang mit der Konvergenz von Folgen eine Rolle, wie wir unten sehen werden. Definition 2.13. Sei X ein topologischer Raum und (x1 , x2 , . . .) ∈ X N eine Folge. Wir sagen, dass x ∈ X ein Grenzwert von (xn )n≥1 ist, falls es für jede Umgebung U von x ein Index n0 = n0 (U ) gibt, mit xn ∈ U für alle n ≥ n0 . Bemerkung. In der Definition nennen wir x ein Grenzwert, da nicht ausgeschlossen ist, dass eine Folge mehrere Grenzwerte besitzt. Beispiele 2.14. Sei X ein topologischer Raum. (i) Trägt X die triviale Topologie, so gibt es nur eine Menge die als Umgebung eines Punktes aus X in Frage kommt: der gesamte Raum X. Jeder Punkt aus X ist ein Grenzwert einer gegebenen Folge F = (x1 , x2 , . . .) ∈ X N . (ii) Im anderen Extrem trägt X die diskrete Topologie. Hier ist {x} eine Umgebung für x ∈ X. Also ist x dann und nur dann Grenzwert einer Folge (x1 , x2 , . . .) ∈ X N , falls x = xn = xn+1 = xn+2 = · · · für ein hinreichend grosses n. Wir beweisen einige einfache Eigenschaften von Grenzwerten. Lemma 2.15. (i) Sei X ein topologischer Raum und M ⊆ X eine Teilmenge. Jeder Grenzwert einer Folge (xn )n≥1 ∈ X N mit Folgengliedern in M liegt im Abschluss M. (ii) Eine Folge eines Hausdorffraums besitzt höchstens einen Grenzwert. Beweis. Sei x ein Grenzwert der Folge aus (i). Das Komplement X r M ist offen in X. Würde x in diesem Komplement liegen, so müsste mindestens ein Folgenglied xn ebenfalls im Komplement liegen. Dies würde xn ∈ M widersprechen. Also gilt x ∈ M und damit ist (i) bewiesen. Sei X ein Hausdorffraum und (x1 , x2 , . . .) ∈ X N eine Folge. Wir nehmen an, dass x und y Grenzwerte dieser Folge sind. Falls x 6= y gibt es Umgebungen U von x und V von y mit U ∩ V = ∅. Andererseits gibt es ein n mit xn ∈ U und xn ∈ V . Dies ist ein Widerspruch, also muss x = y gelten und (ii) ist bewiesen. 37 2 Eigenschaften topologischer Räume Bemerkung. In einem Hausdorffraum werden wir von dem Grenzwert einer Folge sprechen. Wie wir gesehen haben, sind Folgen in einem allgemeinen topologischen Raum weniger aussagekräftig, als wir es aus der reellen Analysis gewohnt sind. Wenig überraschen sollte die Tatsache sein, dass Folgen nicht ausreichen, um Stetigkeit zu charakterisieren. Lemma 2.16. Seien X und Y topologische Räume und f : X → Y eine Abbildung. (i) Wir nehmen an, dass f stetig ist. Ist (xn )n≥1 eine Folge mit Grenzwert x ∈ X, so ist (f (xn ))n≥1 eine Folge in Y mit Grenzwert f (x). (ii) Wir nehmen umgekehrt an, dass für jedes x ∈ X welches ein Grenzwert einer Folge (xn )n≥1 ist, das Bild f (x) ein Grenzwert der Folge (f (xn ))n≥1 ist. Dann ist f stetig, falls X das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllt. Beweis. Der erste Teil ist eine direkte Anwendung der Definition des Grenzwertes. Angenommen V ist eine Umgebung von f (x) in Y . Dann ist f −1 (V ) = U offen in X, weil f stetig ist. Weil x ∈ U ein Grenzwert von (xn )n≥1 ist, gibt es ein n0 mit xn ∈ U für alle n ≥ n0 . Es folgt f (xn ) ∈ f (U ) ⊆ V für alle n ≥ n0 . Also ist f (x) ein Grenzwert von (f (xn ))n≥1 und Teil (i) ist bewiesen. Nun beweisen wir (ii). In der folgenden Behauptung nehmen wir an, dass X das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllt. Behauptung: Sei M ⊆ X eine Teilmenge. Jeder Punkt x im Abschluss M ist ein Grenzwert einer Folge (x1 , x2 , . . .) ∈ X N mit Folgengliedern in M . Beweis der Behauptung: Nach Voraussetzung existiert eine höchstens abzählbar unendliche Umgebungsbasis Ux = {U1 , U2 , . . .} von x in X. Da x im Abschluss von M liegt, ist M ∩ U1 nicht leer.2 Wir wählen x1 ∈ M ∩ U1 . Nach dem gleichen Argument ist auch M ∩ U1 ∩ U2 nicht leer. Sei also x2 ∈ M ∩ U1 ∩ U2 . Diesen Auswahlprozess führen wir induktiv fort. Wir erhalten eine Folge (x1 , x2 , . . .) mit xn ∈ M ∩ U1 ∩ · · · ∩ Un für alle n ≥ 1. (2.4) Nun beweisen wir, dass x Grenzwert dieser Folge ist. Sei U eine Umgebung von x. Da Ux eine Umgebungsbasis ist, gibt es Un0 ∈ Ux mit Un0 ⊆ U . Für n ≥ n0 gilt M ∩ U1 ∩ · · · ∩ Un0 ∩ · · · ∩ Un ⊆ Un0 . Wegen (2.4) liegt xn in Un0 , und damit in U , für alle n ≥ n0 . Also ist x ein Grenzwert unserer Folge und die Behauptung ist bewiesen. Auf Übungsblatt 2, Aufgabe 2 haben wir folgendes bewiesen: f ist stetig 2 ⇐⇒ f (M ) ⊆ f (M ) für alle Teilmengen M ⊆ X. Wären M und U1 disjunkt, so wäre M ⊆ X r U1 und damit M ⊆ X r U1 , da U1 offen ist. Dies würde x ∈ M widersprechen. 38 2.3 Zusammenhängende Räume Wir werden die Stetigkeit in (ii) beweisen, in dem wir f (M ) ⊆ f (M ) beweisen. Sei M eine Teilmenge von X. Sei x ∈ M und sei (xn )n≥1 eine Folge wie in der Behauptung oben, es gilt insbesondere xn ∈ M . Nach der Voraussetzung in (ii) ist f (x) ein Grenzwert der Folge (f (xn ))n≥1 . Die Folgenglieder f (xn ) sind Elemente von f (M ). Aus Lemma 2.15(i) folgt f (x) ∈ f (M ). Also gilt f (M ) ⊆ f (M ), was zu zeigen war. Definition 2.17. Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heisst folgenstetig, falls die folgende Eigenschaft erfüllt ist. Für jedes x ∈ X und für jede Folge (x1 , x2 , . . .) ∈ X N , die x als Grenzwert besitzt, ist f (x) ein Grenzwert der Folge (f (x1 ), f (x2 ), . . .) in Y . 2.3 Zusammenhängende Räume Ein geometrisch anschaulicher Begriff ist der des Zusammenhangs eines Raumes. Dabei gibt es zwei Varianten, wobei die Erste intuitiver ist. Definition 2.18. Ein topologischer Raum X heisst wegzusammenhängend, falls X 6= ∅ und falls es für alle x, y ∈ X eine stetige Abbildung γ : [0, 1] → X mit γ(0) = x und γ(1) = y gibt. Das Intervall [0, 1] trägt die Standardtopologie (induziert als Teilraum von R mit der Standardtopologie). Man nennt γ Weg von x nach y. Beispiele 2.19. (i) Die reellen Zahlen R mit der Standardtopologie ist ein wegzusammenhängender Raum. Sind x, y ∈ R so definiert γ(t) = ty + (1 − t)x einen Weg von x nach y. (ii) Allgemeiner ist auch Rm mit der Standardtopologie wegzusammenhängend. Der Beweis erfolgt wie in (i). (iii) Wir zeigen nun, dass der Einheitskreis S 1 wegzusammenhängend ist. Zwei Punkte z, w ∈ S 1 sind von der Form z = e2πix und w = e2πiy mit x, y ∈ R. Die Abbildung γ(t) = e2πi(ty+(1−t)x) ist stetig, definiert also einen Weg von z nach w. 2 (iv) Die Matrixgruppe GLm (R) (mit der Teilraumtopologie als Teilmenge von Rm ) ist nicht wegzusammenhängend. Um dies zu beweisen, wählen wir Matrizen A und B mit det A > 0 > det B. Sicherlich gilt A, B ∈ GLm (R). Wäre nun γ : [0, 1] → GLm (R) ein Weg mit γ(0) = A und γ(1), so wäre det ◦γ eine stetige Abbildung γ̃ : [0, 1] → R mit γ̃(0) > 0 und γ̃(1) < 0. Da γ nur invertierbare Matrizen im Bild hat, gilt sogar γ̃(t) 6= 0 für alle t ∈ [0, 1]. Dies widerspricht dem Zwischenwertsatz aus der Analysis. 39 2 Eigenschaften topologischer Räume Die Definition wegzusammenhängend entspricht unserer alltäglichen Vorstellung eines Raums “der aus einem Stück besteht”. Dennoch beruht die Definition auf einem besonderen Raum, dem reellen Intervall [0, 1]. Die folgende Definition kommt ohne diese Wahl aus, sie beruht nur auf intrinsischen Begriffen der Topologie. Definition 2.20. Ein topologischer Raum X heisst zusammenhängend, falls X 6= ∅ und falls die folgende Eigenschaft erfüllt ist. Sind U und V offene Teilmengen von X mit U ∪ V = X und U ∩ V = ∅, so gilt U = ∅ oder V = ∅. In anderen Worten, ein zusammenhängender Raum lässt sich nicht als disjunkte Vereinigung von zwei offenen und nicht leeren Teilmengen schreiben. Bemerkung. In einigen Büchern gilt der leere Raum als wegzusammenhängend oder zusammenhängend. Beispiele 2.21. (i) Trägt eine Menge X die diskrete Topologie, so ist X genau dann zusammenhängend, wenn #X = 1. Trägt X die triviale Topologie und gilt X 6= ∅, so ist X zusammenhängend. (ii) Die Menge der ganzen Zahlen ausgestattet mit der kofiniten Topologie ist nicht wegzusammenhängend und zusammenhängend. Dies ist eine Übungsaufgabe. Als nächstes werden wir eine Relation zwischen zusammenhängend und wegzusammenhängend beweisen. Lemma 2.22. (i) Das Intervall [0, 1] mit der Standardtopologie ist zusammenhängend. (ii) Ein wegzusammenhängender Raum ist zusammenhängend. Beweis. Sei [0, 1] = U ∪ V mit U, V offen in [0, 1] mit U ∩ V = ∅. Teil (i) werden wir durch einen Widerspruchsbeweis herleiten. Wir nehmen also U 6= ∅ und V 6= ∅ an. Ohne Einschränkung dürfen wir 1 ∈ V annehmen. Wir setzen u = sup U ∈ R, das Supremum ist wohldefiniert, da U 6= ∅. Es gibt also eine Folge (u1 , u2 , . . .) mit un ∈ U für alle n ≥ 1 und Grenzwert u. Es gilt U = [0, 1] r V , also ist U auch abgeschlossen in [0, 1]. Wegen Lemma 2.15(i) liegt u in U . Insbesondere gilt u < 1 und die Supremumseigenschaft impliziert (u, 1] ⊆ V . Andererseits können wir eine Folge (v1 , v2 , . . .) wählen mit vn ∈ (u, 1] für sämtliche n ≥ 1 und mit Grenzwert u.3 Wiederum ist V = [0, 1] r U abgeschlossen in [0, 1] und daher ist u ∈ V , wieder wegen Lemma 2.15(i). Aber u lag ebenfalls in U , dies widerspricht U ∩ V = ∅. Teil (ii) ist eine einfache Konsequenz von (i). Sei X wegzusammenhängend und X = U ∪ V mit U, V offene und disjunkte Teilmengen von X. Auch hier werden wir mittels Widerspruch zeigen, dass U = ∅ oder V = ∅ gelten muss. Gibt es u ∈ U und v ∈ V , so gibt es nach Voraussetzung einen Weg γ : [0, 1] → X mit γ(0) = u und γ(1) = v. Es gilt [0, 1] = γ −1 (X) = γ −1 (U ) ∪ γ −1 (V ) und dies widerspricht der Aussage von Teil (i). 3 Bspw. passt vn = u + (1 − u)/n. 40 2.3 Zusammenhängende Räume Definition 2.23. Eine Teilmenge eines topologischen Raums heisst (weg)zusammenhängend , falls sie als Teilraum (weg)zusammenhängend ist. Bemerkung. Auf einem topologischen Raum X führen wir eine Relation ∼ ein. Für x, y ∈ X gilt x∼y ⇐⇒ es gibt eine zusammenhängende Teilmenge M ⊆ X mit x, y ∈ M . Es gilt x ∼ x für alle x ∈ X, da der einpunktige Raum {x} zusammenhängend ist. Aus x ∼ y folgt unmittelbar y ∼ x. Also ist ∼ reflexiv und symmetrisch. Im nächsten Lemma zeigen wir, dass ∼ transitiv ist. Folglich ist ∼ eine Äquivalenzrelation auf X. Lemma 2.24. Sei X ein topologischer Raum. (i) Sei x ∈ X, I eine Indexmenge und für jedes i ∈ I sei S Mi eine Teilmenge von X mit x ∈ Mi . Sind alle Mi zusammenhängend, so ist i∈I Mi zusammenhängend. (ii) Sei M ⊆ X zusammenhängend und N eine Teilmenge von X mit M ⊆ N ⊆ M . Dann ist N zusammenhängend. Insbesondere ist der Abschluss M zusammenhängend. S Beweis. Beide Teile folgen rein formal. Sei i∈I Mi = U ∪ V mit U, V disjunkte und offene Teilmengen dieser Vereinigung. Ohne Einschränkung dürfen wir x ∈ U annehmen. Dann gilt Mi = (U ∩ Mi ) ∪ (V ∩ Mi ) für jedes i ∈ I und wegen Transitivität der Teilraumtopologie sind U ∩ Mi und V ∩ Mi offen in Mi . Weil Mi zusammenhängend ist und S wegen x ∈ U ∩ Mi , gilt U ∩ Mi = Mi . Also gilt Mi ⊆ U für alle i ∈ I und daher i∈I Mi = U . Es folgt V = ∅. Die Vereinigung ist zusammenhängend und Teil (i) ist bewiesen. Für (ii) wollen wir nachweisen, dass N zusammenhängend ist. Wir zerlegen N = U ∪ V in disjunkte und offene Teilmengen U, V von N . Wie in (i) erhalten wir M = (U ∩ M ) ∪ (V ∩ M ) mit U ∩ M und V ∩ M offen in M . Weil M zusammenhängend ist, gilt ohne Einschränkung V ∩ M = ∅, also M ⊆ N r V = U . Die Menge U ist auch abgeschlossen in N , also ist sie von der Form A ∩ N mit A abgeschlossen in X. Aus M ⊆ A folgt M ⊆ A und somit N ⊆ A. Daher muss U = A ∩ N = N gelten. Folglich ist N zusammenhängend. Bemerkung (Fortsetzung). Teil (i) des letzten Lemmas impliziert, dass ∼ eine Äquivalenzrelation ist. Sei x ∈ X und sei K ⊆ X die Äquivalenzklasse, die x enthält. Zu jedem Punkt yS∈ K gibt es eine zusammenhängende Menge My ⊆ X mit x, y ∈ My . Daher gilt K ⊆ Sy∈K My . Da x ein gemeinsamer Punkt aller zusammenhängender Mengen My ist, ist y∈K My wegen Teil (i) des vorigen Lemmas auch zusammenhängend. Also [ K= My y∈K und wir stellen fest, dass die Äquivalenzklasse K zusammenhängend ist. 41 2 Eigenschaften topologischer Räume Wegen Teil (ii) des Lemmas ist auch K zusammenhängend. Also ist jeder Punkt im Abschluss zu x äquivalent. Folglich gilt K = K. Die Äquivalenzklasse K ist eine abgeschlossene Teilmenge von X. Definition 2.25. Sei X ein topologischer Raum und ∼ die eben eingeführte Äquivalenzrelation auf X. Die Äquivalenzklassen von ∼ heissen Zusammenhangskomponenten von X. Mit der Argumentation in der Bemerkung können wir unmittelbar das folgende Lemma beweisen. Lemma 2.26. Ein topologischer Raum ist die disjunkte Vereinigung seiner Zusammenhangskomponenten. Die Zusammenhangskomponenten sind zusammenhängend und abgeschlossen. Achtung. Die Zusammenhangskomponenten eines topologischen Raums sind nicht notwendigerweise offen. Beispiele 2.27. (i) Der leere Raum besitzt keine Zusammenhangskomponenten. (ii) Wir betrachten Q als Teilraum von R mit der Standardtopologie und behaupten, dass jede Zusammenhangskomponente K von Q einelementig ist. Seien x < y Elemente von K. Es existiert eine irrationale Zahl z ∈ R mit x < z < y.4 Wir können K in ((−∞, z) ∩ K) ∪ ((z, ∞) ∩ K) zerlegen, was der Tatsache widerspricht, dass K zusammenhängend ist. Folglich gilt #K = 1. Topologische Räume deren Zusammenhangskomponenten alle einelementig sind, heissen total unzusammenhängend. Wir halten noch einige formale Eigenschaften von zusammenhängenden Räumen fest. Lemma 2.28. (i) Seien X, Y topologische Räume und f : X → Y eine stetig und surjektive Abbildung. Ist X zusammenhängend so ist auch Y zusammenhängend. (ii) Sei I eine Menge und für jedes i ∈ I sei Xi ein topologischer Raum. Dann gilt Y Xi ist zusammenhängend ⇐⇒ Xi ist zusammenhängend für jedes i ∈ I. i∈I Das Produkt links trägt wie üblich die Produkttopologie. Beweis. Teil (i) ist eine formale Konsequenz von den Identitäten f −1 (U ∪V ) = f −1 (U )∪ f −1 (V ) und f −1 (U ∩ V ) = f −1 (U ) ∩ f −1 (V ), die für alle Teilmengen U, V ⊆ Y gelten. Teil (ii) ist eine Übungsaufgabe. Zu diesem Lemma kommt noch ein Beispiel. 4 √ √ Z.B. passt hier z = x + (y − x)/ 2, da 2 6∈ Q. 42 2.3 Zusammenhängende Räume Beispiele 2.29. (i) Sei R wie üblich mit der Standardtopologie ausgestattet. Jetzt untersuchen wir die Menge aller reellwertigen Folgen RN mit der Boxtopologie. Wir zeigen, dass RN nicht zusammenhängend ist. D.h. Teil (ii) des letzten Lemmas ist falsch, wenn man die Produkttopologie durch die feinere Boxtopologie ersetzt. Wir beweisen die Behauptung, in dem wir RN explizit in offene Mengen zerlegen. Wir setzen U = {(a1 , a2 , . . .) ∈ RN ; es gibt B ∈ R mit |an | ≤ B für alle n ∈ N}, es ist die Menge aller beschränkter Folgen. Die Menge der unbeschränkten Folgen ist V = RN r U. Per Konstruktion gilt U ∩ V = ∅. Weiterhin ist U 6= ∅ und V 6= ∅, weil es beschränkte und unbeschränkte Folgen gibt. Unsere Behauptung folgt, wenn wir nachweisen können, dass U und V offen sind. Sei x = (a1 , a2 , . . .) ∈ U . Aus der Definition der Boxtopologie folgt, dass Y U0 = (an − 1, an + 1) n∈N eine offene Teilmenge von RN ist. Gilt |an | ≤ B für alle n ∈ N, so sind die Glieder einer beliebigen Folge in U 0 durch B + 1 beschränkt. Also sind Folgen in U 0 beschränkt, d.h. U 0 ⊆ U . Insbesondere ist x ein innerer Punkt von U , folglich ist U offen. Ganz ähnlich zeigt man, dass V offen ist. (ii) Die Kardinalität der Menge der Zusammenhangskomponenten eines topologischen Raums ist eine Homöomorphieinvariante. Sie erlaubt es uns zu zeigen, dass zwei topologische Räume wie beispielsweise [0, 1] und [0, 1] ∪ [2, 3] nicht homöomorph sind. Aber auch zusammenhängende Räume lassen sich mit der Hilfe dieses Begriffes voneinander unterscheiden. Wir behaupten, dass [0, 1] und S1 nicht homöomorph sind. Entfernt man von [0, 1] den Mittelpunkt 1/2 so erhält man einen topologischen Raum [0, 1/2) ∪ (1/2, 1], welcher nicht zusammenhängend ist. Entfernt man aber von S 1 einen beliebigen Punkt z, so hat man mit S 1 r {z} einen zusammenhängenden Raum. Also ist [0, 1] nicht zu S 1 homöomorph. Ein ähnliches Argument zeigt, dass R nicht zu Rm mit m ≥ 2 homöomorph ist. In der Tat ist Rr{0} = (−∞, 0)∪(0, +∞) nicht zusammenhängend. Für jeden Punkt z ∈ Rm ist Rm r {z} sogar wegzusammenhängend, wie man sich leicht überlegt. Also ist Rm r {z} wegen Lemma 2.22(ii) insbesondere zusammenhängend. 43 2 Eigenschaften topologischer Räume 2.4 Kompakte Räume Wie wir bereits in der Analysis gesehen haben, spielt Kompaktheit eine zentrale Rolle. Für allgemeine topologische Räume ist die intuitive Definition “abgeschlossen und beschränkt” oder “jede Folge besitzt eine konvergente Teilfolge” nicht ausreichend, nicht zuletzt, weil der Begriff der Beschränktheit ohne weitere Angabe einer Metrik nicht wohldefiniert ist. Wir wenden uns also an den Satz von Heine-Borel, der aus der Analysis bekannt sein sollte, für die folgende Definition. Definition 2.30. Ein topologischer Raum X heisst kompakt, falls jede offene Überdeckung eine endliche Teilüberdeckung besitzt. S Konkret, ist I eine Menge und Ui ⊆ X eine offene Teilmenge für jedes i ∈ I mit X = i∈I Ui , so existieren i1 , . . . , in ∈ I mit X = U i1 ∪ · · · ∪ U in . Eine Teilmenge M ⊆ X heisst kompakt, falls M ausgestattet mit der Teilraumtopologie kompakt ist. Bemerkung. Einige Autoren (z.B. Bourbaki) verlangen, dass ein kompakter Raum die Hausdorffeigenschaft besitzt.5 Beispiele 2.31. (i) Endliche topologische Räume sind kompakt. (ii) Sei X eine Menge, welche mit der kofiniten Topologie ausgestattet ist. Wir wolS len zeigen, dass X kompakt ist. Sei dazu X = i∈I Ui mit Ui offen in X. Ohne Einschränkung dürfen wir annehmen, dass ein Ui1 nicht leer ist. Dann ist X r Ui1 endlich, also gilt X r Ui1 ⊆ Ui2 ∪ · · · ∪ Uin für geeignete i2 , . . . , in ∈ I. Es folgt X = Ui1 ∪ · · · ∪ Uin und damit ist die Kompaktheit nachgewiesen. (iii) Die reellen Zahlen R mit der Standardtopologie bilden keinen kompakten Raum, da R = · · · ∪ (−2, 0) ∪ (−1, 1) ∪ (0, 2) ∪ · · · keine endliche Teilüberdeckung zulässt. Bevor wir weitere Beispiele betrachten, werden wir einige formale Eigenschaften von kompakten Räumen herleiten. Lemma 2.32. Sei X ein topologischer Raum. (i) Ist X kompakt, so ist jede abgeschlossene Teilmenge von X kompakt. (ii) Besitzt X die Hausdorffeigenschaft, so gilt die Umkehrung von (i): Jede kompakte Teilmenge von X ist abgeschlossen. 5 Topologische Räume, die bei uns kompakt sind, heissen bei Bourbaki quasi-kompakt. 44 2.4 Kompakte Räume S Beweis. Sei A ⊆ X abgeschlossen und i∈I Ui = A mit Ui offen in A als Teilraum von X. Dann gibt es offene Mengen Vi ⊆ X mit Ui = Vi ∩ A. Hieraus erhalten wir eine offene Überdeckung [ (X r A) ∪ Vi = X i∈I von X, weil A abgeschlossen in X ist. Da X kompakt ist, können wir zu einer endlichen Teilüberdeckung übergehen, d.h. (X r A) ∪ Vi1 ∪ · · · ∪ Vin = X mit i1 , . . . , in ∈ I. Hieraus folgt Ui1 ∪ · · · ∪ Uin = A, was für Teil (i) zu zeigen war. Sei K eine kompakte Teilmenge von X, d.h. K ist kompakt als Teilraum von X. Wir müssen zeigen, dass X r K offen in X ist. Dazu reicht es zu zeigen, dass es zu jedem Punkt x ∈ X r K eine Umgebung U in X gibt, mit U ⊆ X r K. Diese Umgebung konstruieren wir, indem wir die Hausdorffeigenschaft von X ausnutzen. Zu jedem Punkt y ∈ K gibt es offene Teilmengen Uy und Vy von X mit Uy ∩ Vy = ∅ und x ∈ Uy , y ∈ Vy . Folglich gilt [ Vy K⊆ y∈K S und daher auch K = y∈K Vy ∩K. Diese offene Überdeckung von K besitzt eine endliche Teilüberdeckung. Also existieren Punkte y1 , . . . , yn ∈ K mit K ⊆ Vy1 ∪ · · · ∪ Vyn . Wir setzen U = Uy1 ∩ · · · ∩ Uyn . Es ist eine offene Teilmenge von X, da es ein endlicher Schnitt von offenen Mengen ist. Weiterhin gilt nach Konstruktion x ∈ U . Schliesslich gilt U ∩ K = ∅, da jeder Punkt in K in einem Vyi liegt. Analog zu den offenen Abbildungen, vgl. Definition 1.44, gibt es abgeschlossene Abbildungen. Definition 2.33. Seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f : X → Y heisst abgeschlossen, falls f (A) in Y abgeschlossen ist für alle abgeschlossene Teilmengen A ⊆ X. Völlig analog zu den offenen Abbildungen, gilt die folgende Bemerkung. Bemerkung. Eine stetige Bijektion ist genau dann ein Homöomorphismus, wenn sie abgeschlossen ist. Teil (ii) des folgenden Lemmas ist ein sehr nützliches hinreichendes Kriterium für die Abgeschlossenheit einer Abbildung. Lemma 2.34. Seien X und Y topologische Räume, wobei X kompakt ist, und f : X → Y eine stetige Abbildung. 45 2 Eigenschaften topologischer Räume (i) Ist f surjektiv, so ist Y kompakt.6 (ii) Besitzt Y die Hausdorffeigenschaft, dann ist f abgeschossen. (iii) Besitzt Y die Hausdorffeigenschaft und ist f bijektiv, dann ist f ein Homöomorphismus. S Beweis. Teil (i) ist rein formal. Sei Y = i Vi mit Vi ⊆ YSoffen. Wir nehmen das Urbild und erhalten eine offene Überdeckung X = f −1 (Y ) = i f −1 (Vi ) von X, da f stetig ist. Also gibt es i1 , . . . , in mit X = f −1 (Vi1 ) ∪ · · · f −1 (Vin ). Weil f surjektiv ist, folgt Y = Vi1 ∪ · · · ∪ Vin , und damit ist bewiesen, dass Y kompakt ist. Wir beweisen nun (ii). Sei A ⊆ X abgeschlossen. Wegen Lemma 2.32(i) ist A kompakt, hier wird die Kompaktheit von X verwendet. Aus dem ersten Teil dieses Lemmas folgt, dass f (A) kompakt ist. Schliesslich muss f (A) abgeschlossen in Y sein, wegen Lemma 2.32(ii) und weil Y die Hausdorffeigenschaft besitzt. Teil (iii) folgt aus Teil (ii) und aus der Bemerkung vor diesem Lemma. Bemerkung. Aus Teil (i) des letzten Lemmas folgt, dass ein Quotient eines kompakten Raumes auch kompakt ist. Wir werden später sehen, dass ein Teilraum eines kompakten Raumes nicht kompakt sein muss. Die Frage, ob ein Produkt kompakter Räume wieder kompakt ist, ist subtiler und führt uns zu einem wichtigen Resultat. Satz 2.35 (Tychonoff). Das Produkt kompakter topologischer Räume ist kompakt. Beweis. Später. Bemerkung. Das Produkt im Satz von Tychonoff ist wie üblich mit der Produkttopologie versehen. Der Beweis dieses Satzes wird uns einige Zeit in Anspruch nehmen. Im Gegensatz zu vielen Beweisen, die wir bereits geführt haben, reicht das formale Anwenden der Definition nicht aus. Wir werden neue Begriffe einführen, die jedoch bereits bekannte Ideen verallgemeinern. Zuerst halten wir ein wichtiges Korollar fest (welches sich auch ohne den Satz von Tychonoff beweisen liesse). Korollar 2.36 (Heine-Borel). Wir betrachten Rm und seine Teilräume mit der Standardtopologie. (i) Das Intervall [0, 1] ist kompakt. (ii) Eine Teilmenge von Rm ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist. 6 “Das stetige Bild eines kompakten Raums ist kompakt.” 46 2.4 Kompakte Räume Beweis. Für den Beweis von Teil (i) betrachten wir X = {0, 1, . . . , 9} mit der diskreten Topologie. Es ist ein kompakter Raum und damit ist wegen dem Satz von Tychonoff Y XN = X n∈N kompakt. Wir betrachten die Abbildung f : X N → [0, 1], welche einer Folge die reelle Zahl mit entsprechender Dezimalentwicklung zuordnet: X an f (a1 , a2 , . . .) = . n 10 n∈N Diese Abbildung ist surjektiv, da jede reelle Zahl in [0, 1] eine entsprechende Dezimalentwicklung besitzt, und stetig, wie man schnell überprüft. Damit ist [0, 1] wegen Lemma 2.34(i) kompakt. Zum Beweis von (ii) sei zunächst A ⊆ Rm abgeschlossen und beschränkt. Es gibt n ∈ N mit A ⊆ [−n, n]m . Da [−n, n]m in Rm abgeschlossen ist, ist A abgeschlossen in [−n, n]m . Aber [−n, n]m entsteht durch eine Translation und einer Streckung aus dem Raum [0, 1]m . Wegen Tychonoff ist [0, 1]m kompakt und wegen Lemma 2.34(i) ist [−n, n]m kompakt. Schliesslich folgt aus Lemma 2.32(i), dass A kompakt ist. Die umgekehrte Aussage ist elementar. Eine unbeschränkte Menge lässt sich durch eine Folge von offenen Kugel mit Radii n ∈ N und Mittelpunkt 0 überdecken. Es gibt keine endliche Teilüberdeckung. Andererseits hat eine nicht abgeschlossene Teilmenge des Hausdorffraums Rm wegen Lemma 2.32(ii) keine Chance, kompakt zu sein. 2.4.1 Beweis des Satzes von Tychonoff – Ultrafilter Wir haben bereits gesehen, dass Folgen in einem beliebigen topologischen Raum von beschränktem Nutzen sind. Um den Satz von Tychonoff zu beweisen, müssen wir unsere Vorstellung einer Folge erweitern. Definition 2.37. Sei X eine Menge. Ein Filter auf X ist ein System F von Teilmengen von X mit den folgenden Eigenschaften. (i) Es gilt X ∈ F und ∅ 6∈ F. (ii) Für M, N ∈ F gilt M ∩ N ∈ F. (iii) Ist M ∈ F und N ⊇ M eine Teilmenge von X, dann gilt N ∈ F. Gilt zusätzlich (iv) M ∈ F oder X r M ∈ F für jede Teilmenge M von X so heisst F Ultrafilter auf X. Bemerkung. (i) Einen Filter soll man sich als Menge von “grossen” Teilmengen von X vorstellen. Die gesamte Menge X gilt als “gross” und die leere Menge natürlich nicht. 47 2 Eigenschaften topologischer Räume (ii) Ein Ultrafilter F ist ein maximaler Filter. Konkret ist F 0 ein weiterer Filter mit F 0 ⊇ F, so muss F 0 = F gelten. Wäre M ∈ F 0 welches nicht in F liegt, so wäre X r M wegen (iv) ein Element von F und damit wäre M ∩ (X r M ) ∈ F 0 wegen (ii). Dies widerspricht jedoch ∅ 6∈ F 0 . (iii) Sind M1 , . . . , Mn ∈ F Mengen in einem Filter, so ist deren Schnitt ein Element von F. Also M1 ∩ · · · ∩ Mn 6= ∅. Beispiele 2.38. (i) Sei X eine Menge und x ∈ X. Dann ist Fx = {M ⊆ X; x ∈ M } ein Ultrafilter von X. Ein Ultrafilter der Form Fx heisst fixierter Ultrafilter. (ii) Sei X eine unendliche Menge, dann ist F = {M ⊆ X; X r M ist endlich} ein Filter auf X. Es ist kein Ultrafilter, da X unendliche Teilmengen besitzt, deren Komplement ebenfalls unendlich ist. Wir werden später zeigen, dass sich jeder Filter zu einem Ultrafilter erweitern lässt. Dazu brauchen wir Zorns Lemma, eine Variante des Auswahlaxioms. Wir beweisen nun ein technisches Lemma, welches uns erlaubt Filter zu konstruieren. Lemma 2.39. Sei X 6= ∅ eine Menge und S ein System von Teilmengen von X mit der Eigenschaft, dass M1 ∩ · · · ∩ Mn 6= ∅ für alle n ∈ N und alle M1 , . . . , Mn ∈ S. (2.5) (Wegen Bemerkung 2.4.1(iii) besitzt jeder Filter auf X diese Eigenschaft.) Dann gibt es einen Filter F mit S ⊆ F. Beweis. Man überprüft sofort, dass F = {M ⊆ X; es gibt n ≥ 0 und M1 , . . . , Mn ∈ S mit M1 ∩ · · · ∩ Mn ⊆ M } alle Eigenschaft eines Filters besitzt. Zudem ist jedes Element von S in F enthalten. Lemma 2.40 (Zorns Lemma). Sei X eine nicht leere Menge und eine Halbordnung auf X, d.h. es gelten die folgenden Eigenschaften für alle x, y, z ∈ X. (i) Es gilt x x. (ii) Falls x y und y x, dann gilt x = y. (iii) Falls x y z, dann gilt x z.7 7 Wir fordern nicht, dass sich zwei beliebige Elemente mit der Relation vergleichen lassen. 48 2.4 Kompakte Räume Wir nehmen an, dass es für jede totalgeordnete Teilmenge M ⊆ X, d.h. m, n ∈ M =⇒ m n oder n m, ein x ∈ X mit m x für alle m ∈ M gibt. Man nennt x eine obere Schranke von M . Dann existiert xmax ∈ X mit x ∈ X und xmax x =⇒ xmax = x. D.h. xmax ist ein maximales Element von X. Beweis. Wir behandeln das Lemma von Zorn als ein Axiom der Mengenlehre. Lemma 2.41 (Ultrafilterlemma). Jeder Filter ist in einem Ultrafilter enthalten. Beweis. Sei F ein Filter auf einer Menge X. Wir betrachten die Menge {F 0 ist ein Filter auf X mit F 0 ⊇ F} (2.6) mit der Halbordnung F 0 F 00 ⇐⇒ F 0 ⊆ F 00 . Ist M eine totalgeordnete Teilmenge von (2.6), so folgt leicht aus der Definition, dass [ F0 F 0 ∈M ein Filter auf X ist. Er ist bezüglich eine obere Schranke für die Menge M . Aus Zorns Lemma folgt, dass ein maximaler Filter Fmax auf X existiert, welcher in (2.6) liegt. Da F ⊆ Fmax gilt, bleibt zu zeigen, dass Fmax ein Ultrafilter ist. Sei N ⊆ X mit X r N 6∈ Fmax . Wir müssen nachweisen, dass N im Filter Fmax liegt. Wir betrachten S = {N } ∪ Fmax , es ist ein System von Teilmengen mit der Eigenschaft (2.5) wegen Eigenschaft (iii) aus der Definition von Filter und X r N 6∈ Fmax . Wegen Lemma 2.39 liegt S in einem Filter. Weil Fmax maximal ist, muss S = Fmax gelten. Insbesondere ist N ∈ Fmax und ist Fmax ein Ultrafilter. Wir haben Filter eingeführt um Folgen zu ersetzen und um schlussendlich den Satz von Tychonoff zu zeigen. Nun werden wir Grenzwerte von Filtern definieren und untersuchen. Insbesondere betrachten wir jetzt Filter auf topologischen Räumen. Definition 2.42. Sei X ein topologischer Raum, x ∈ X und F ein Filter auf X. Wir sagen, dass F (gegen x) konvergiert, falls jede Umgebung von x in X ein Element von F ist. Achtung. Ein Filter kann gegen mehrere Elemente eines topologischen Raumes konvergieren. 49 2 Eigenschaften topologischer Räume Beispiele 2.43. (i) Sei X ein topologischer Raum, x ∈ X und Fx der fixierte Filter aus Beispiel 2.38(i). Dann konvergiert Fx gegen x. (ii) Wie bei den Folgen (vgl. Lemma 2.15(ii)) besitzt ein Filter auf einem topologischen Raum X mit der Hausdorffeigenschaft höchstens einen Grenzwert. Sei F ein Filter auf X und x, y ∈ X Grenzwerte von F. Wir müssen x = y beweisen. Gilt umgekehrt x 6= y, so können wir wegen der Hausdorffeigenschaft x und y durch offene und disjunkte Umgebungen U und V trennen. Aber U, V ∈ F weil F gegen x und y konvergiert. Aus den Eigenschaften eines Filters erhalten wir den Widerspruch ∅ = U ∩ V ∈ F. Kompaktheit lässt sich mit der Hilfe von Ultrafilter charakterisieren. Die nächste Proposition soll an die Charakterisierung von Kompaktheit im Rm durch konvergente Teilfolgen erinnern. Proposition 2.44. Für einen topologischen Raum X sind die folgenden Eigenschaften äquivalent. (i) Der Raum X ist kompakt. (ii) Jeder Ultrafilter auf X konvergiert gegen einen Punkt aus X. Beweis. Wir beginnen mit “(i)=⇒(ii)”. Sei F ein Ultrafilter auf dem kompakten Raum X. Wir nehmen an, dass F gegen keinen Punkt in X konvergiert. Dies wird einen Widerspruch zur Folge haben. Sei x ∈ X beliebig. Da F nicht gegen x konvergiert, existiert eine Umgebung Ux ⊆ X von x mit Ux 6∈ F. Wir erhalten eine offene Überdeckung [ X= Ux . x∈X Weil X kompakt ist, besitzt sie eine endliche Teilüberdeckung. Also existieren Punkte x1 , . . . , xn ∈ X mit X = Ux1 ∪ · · · ∪ Uxn . Für jedes i gilt insbesondere Uxi 6∈ F. Aus der Ultrafiltereigenschaft folgt also X r Uxi ∈ F. Der endliche Schnitt n \ (X r Uxi ) = ∅ i=1 ist leer und liegt in F, und dies ist ein Widerspruch. Auch “(i)⇐=(ii)” werden wir mittels Widerspruch zeigen. Hier benutzen wir das Ultrafilterlemma, d.h. Zorns Lemma verbirgt sich hinter dieser Implikation. Sei I eine beliebige S Indexmenge und X = i∈I Ui eine Überdeckung mit Ui ⊆ X offen für alle i ∈ I. Wir müssen zeigen, dass es eine endliche Teilüberdeckung gibt. Sei S = {X r Ui ; i ∈ I} (2.7) die Menge der Komplemente der Mengen in der Überdeckung. Wenn wir annehmen, dass es keine endliche Teilüberdeckung von X durch die Ui gibt, so ist jeder endliche Schnitt von Elementen aus S nicht leer. D.h. die Eigenschaft (2.5) ist erfüllt. 50 2.4 Kompakte Räume Wegen Lemma 2.39 gibt es einen Filter F auf X mit X r Ui ∈ F für alle i ∈ I. Lemma 2.41 erlaubt es uns F zu einem Ultrafilter zu vergrössern. Wegen der Voraussetzung (ii) konvergiert F gegen einen Punkt x ∈ X. Aber x ist in einem Ui mit i ∈ I enthalten. Da Ui offen ist, folgt SUi ∈ F. Dies ist ein Widerspruch da X r Ui ∈ F, wegen (2.7). Also muss X = i∈I Ui eine endliche Teilüberdeckung zulassen. Damit ist bewiesen, dass X kompakt ist. Jetzt besitzen wir fast alle Hilfsmittel, um den Satz von Tychonoff zu beweisen. Beweis von Satz 2.35. Zunächst kommt eine kurze Bemerkung. Seien X und Y Mengen und f : X → Y eine Abbildung. Für jeden Filter F auf X definieren wir den Pushforward von F als f∗ F = {M ⊆ Y ; f −1 (M ) ∈ F}. Man überprüft durch direktes Nachrechnen, dass f∗ F ein Filter auf Y ist. Weiterhin ist f∗ F ein Ultrafilter, falls F ein Ultrafilter ist. Den kurzen Beweis hierfür geben wir der Vollständigkeitshalber an: Für jede Teilmenge M ⊆ Y gilt die Implikationskette M 6∈ f∗ F ⇒ f −1 (M ) 6∈ F Ultrafilter =⇒ f −1 (Y r M ) = X r f −1 (M ) ∈ F ⇒ Y r M ∈ f∗ F. Sei I eine Indexmenge Q und für jedes i ∈ I sei Xi ein kompakter topologischer Raum. Wir schreiben X = i∈I Xi für den Produktraum und πi : X → Xi für die Projektionsabbildungen. Ohne Einschränkung dürfen wir X 6= ∅ annehmen. Sei F ein Ultrafilter auf X. Wegen Proposition 2.44 reicht es zu zeigen, dass F gegen einen Punkt in X konvergiert. Für jedes i ∈ I ist (πi )∗ F ein Ultrafilter auf Xi . Wegen Proposition 2.44 konvergiert (πi )∗ F gegen einen Punkt xi ∈ Xi . An dieser Stelle wird die Kompaktheit der Xi verwendet. Wir behaupten, dass F gegen x = (xi )i∈I konvergiert. Dazu müssen wir zeigen, dass jede Umgebung U ⊆ X von x im Filter F liegt. Wir haben die Produkttopologie auf Seite 23 mittels einer Subbasis eingeführt. Es gibt offene Mengen Uik ⊆ Xik mit 1 ≤ k ≤ n und ik ∈ I, so dass x ∈ πi−1 (2.8) (Ui1 ) ∩ · · · ∩ πi−1 (Uin ) ⊆ U n 1 gilt. Hier ist entscheidend, dass nur endlich viele Mengen im Schnitt auftauchen. An dieser Stelle scheitert der Beweis, wenn man X mit der Boxtopologie ausstattet. Weil (πi )∗ F gegen xi konvergiert, gilt πi−1 (Uik ) ∈ F für 1 ≤ k ≤ n. Damit ist der endliche k Schnitt (2.8) ebenfalls im Filter F. Aber ein Filter enthält mit einer Menge auch seine Obermengen. Also muss auch die grössere Menge U in F liegen. Dies war zu zeigen. 2.4.2 Die Stone-Čech Kompaktifizierung Viele interessante topologische Räume wie (0, 1) und R sind nicht kompakt. Aber (0, 1) lässt sich als Teilraum des kompakten Raumes [0, 1] verstehen. Die reelle Gerade R ist vermöge arctan homöomorph zu (0, 1). Damit lässt sich auch R als Teilraum eines kompakten Raumes realisieren. 51 2 Eigenschaften topologischer Räume Als Anwendung des Satzes von Tychonoff wollen wir eine grossen Klasse von topologischen Räumen auf systematische Weise kompaktifizieren. Konkret wollen wir einen topologischen Raum X (mit bestimmten Eigenschaften) als Teilraum eines kompakten Raumes realisieren. Definition 2.45. Seien X und Y topologische Räume. Eine stetige Abbildung f : X → Y nennen wir eine Einbettung, falls f : X → f (X) ein Homöomorphismus ist. Hier wird f (X) als Teilraum von Y betrachtet. Beispiele 2.46. (i) Die Inklusion (0, 1) ,→ [0, 1] ist eine Einbettung. (ii) Die durch f (x) = e2πix definierte Abbildung f : [0, 1) → S 1 ist stetig und injektiv, aber keine Einbettung. Wäre f eine Einbettung, so wäre [0, 1) zu S 1 homöomorph. Wie in Beispiel 2.29(ii) sieht man leicht, dass dies nicht der Fall sein kann. Wir führen ein weiteres Trennungsaxiom für topologische Räume ein, welches stärker als regulär ist. Definition 2.47. Ein topologischer Raum X heisst vollständig regulär, falls die folgenden Eigenschaften erfüllt sind. (i) Punkte sind in X abgeschlossen. D.h. X ist ein T1 -Raum. (ii) Ist x ∈ X und ∅ = 6 A ⊆ X eine abgeschlossene Teilmenge mit x 6∈ A, so gibt es eine stetige Funktion f : X → [0, 1] mit f (x) = 0 und f (A) = {1}. Beispiel 2.48. Wird die Topologie auf einem Raum X durch eine Metrik induziert, so ist X wegen Aufgabe 4 auf Blatt #2 ein vollständig regulärer Raum. Satz 2.49. Sei X ein vollständig regulärer topologischer Raum. Es gibt einen kompakten Hausdorffraum βX und eine Einbettung X ,→ βX mit den folgenden Eigenschaften. Sei f : X → [0, 1] eine stetig Abbildung, dann existiert genau eine stetige Abbildung g, so dass / βX X f ! g [0, 1] kommutiert. Weiterhin liegt das Bild von X dicht in βX. Beweis. Wir führen den Beweis in mehreren Schritten. Als Vorbereitung definieren wir die Menge C(X, [0, 1]) = {f : X → [0, 1]; f ist stetig} aller stetigen Abbildungen auf X mit Werten im Intervall [0, 1]. 52 2.4 Kompakte Räume Schritt I (Konstruktion von βX). Wir definieren Y Y = [0, 1] = [0, 1]C(X,[0,1]) f ∈C(X,[0,1]) und statten Y mit der Produkttopologie aus. Obwohl C(X, [0, 1]) typischerweise überabzählbar unendlich ist, ist das Produkt Y wegen dem Satz von Tychonoff kompakt. Die universelle Eigenschaft der Produkttopologie, Lemma 1.38(iii), liefert eine Abbildung ι : X → Y , sie ist durch die Vorschrift ι(x) = (f (x))f ∈C(X,[0,1]) gegeben und stetig. Der Raum βX aus der Behauptung ist der Abschluss von ι(X) in Y . Eine abgeschlossene Teilmenge eines kompakten Raumes ist kompakt, siehe Lemma 2.32(i). Also ist βX ein kompakter Raum und ι(X) ist eine dichte Teilmenge davon. Schliesslich besitzt Y als Produkt von [0, 1] die Hausdorffeigenschaft wegen Lemma 2.3(ii). Aus der gleichen Referenz folgt, dass der Teilraum βX auch die Hausdorffeigenschaft besitzt. Wir betrachten ι nun als stetige Abbildung X → βX. Schritt II (Die Abbildung ι : X → βX ist eine Einbettung). Wir zeigen zuerst, dass ι injektiv ist. Sind x 6= y zwei Punkte von X, so existiert eine stetige Abbildung f : X → [0, 1] mit f (x) = 0 und f (y) = 1, weil X vollständig regulär ist. Insbesondere gilt ι(x) 6= ι(y), da die zwei Bilder in der f -ten Komponente nicht übereinstimmen. Injektivität reicht noch nicht aus. Wir müssen zeigen, dass ι sogar ein Homöomorphismus auf sein Bild ist. Dazu reicht es zu zeigen, dass ι(U ) offen in ι(X) ist, falls U ⊆ X offen ist. Sei dazu y ∈ ι(U ) mit y = ι(x) und x ∈ U . Da X vollständig regulär ist, gibt es eine stetige Abbildung f : X → [0, 1] mit f (x) = 0 und f (X r U ) = {1}. Da f ∈ C(X, [0, 1]) entspricht diese Abbildung einem Faktor von Y . Sei πf : Y → [0, 1] die entsprechende Projektionsabbildung. Das Urbild V = πf−1 ([0, 1)) ist offen in Y und V ∩ ι(X) ist offen in ι(X). Es gilt y = ι(x) ∈ V . Wir behaupten V ∩ ι(X) ⊆ ι(U ). Der Beweis ist durch direktes Nachrechnen. Für y 0 = ι(x0 ) ∈ V mit x0 ∈ X gilt πf (y 0 ) < 1. Also auch f (x0 ) < 1 und somit x0 6∈ X r U , da f auf X r U den Wert 1 annimmt. Es folgt y 0 = ι(x0 ) ∈ ι(U ), was zu zeigen war. Wir haben bewiesen, dass jeder Punkt y ∈ ι(U ) eine offene Umgebung V ∩ ι(X) ⊆ ι(X) besitzt, die in ι(U ) liegt. Also ist ι(U ) offen in ι(X). Schritt III (Existenz von g). Ist f : X → [0, 1] eine Abbildung wie in der Behauptung, dann gilt sicher f ∈ C(X, [0, 1]). Mit der Bezeichnung πf aus Schritt 2 gilt πf ◦ ι = f als Abbildungen auf X. Also erfüllt g = πf die gewünschte Eigenschaft. Schritt IV (Eindeutigkeit von g). Seien g, g 0 : βX → [0, 1] Abbildungen mit g ◦ ι = g 0 ◦ ι. Dann stimmen g und g 0 auf der dichten Teilmenge ι(X) von βX überein. Da [0, 1] ein Hausdorffraum ist, folgt g = g 0 aus Aufgabe 3 auf Blatt #3 und Aufgabe 4 auf Blatt #4. Definition 2.50. Ist X vollständig regulär, so heisst der Raum βX aus Satz 2.49 die Stone-Čech Kompaktifizierung von X. 53 2 Eigenschaften topologischer Räume Man kann zeigen, dass die Erweiterungseigenschaft aus dem Satz den Raum βX bis auf Homöomorphie eindeutig festlegt. Beispiel 2.51. (i) Die Stone-Čech Kompaktifizierung βX ist in der Regel deutlich grösser als X. Trägt N die diskrete Topologie, so ist βN in Bijektion mit der Menge aller Ultrafilter auf N. Die Kardinalität von βN ist mindestens so gross wie der Kardinalität der Potenzmenge P(R). (ii) Nehmen wir das Beispiel X = (0, 1). Die Abbildung f (x) = sin(1/x) liegt in C(X, [0, 1]). Sie lässt sich zu einer stetigen Funktion auf βX fortsetzen. 54 3 Weitere Beispiele In diesem Kapitel studieren wir, z.T. mit den bereits entwickelten Methoden, neue Beispiele topologischer Räume sowie allgemeine (etwas exotischere) Konstruktionen. 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums Aus der Analysis wissen wir, dass jede Cauchy-Folge reeller Zahlen einen reellen Grenzwert besitzt. Andererseits muss eine Cauchy-Folge rationaler Zahlen kein rationalen Grenzwert besitzen. Der Raum der reellen Zahlen ist eine Vervollständigung der rationalen Zahlen. In diesem Abschnitt werden wir jeden metrischen Raum vervollständigen.1 Definition 3.1. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Eine Folge (xn )n≥1 ∈ X N heisst Cauchy-Folge, falls es zu jedem > 0 eine natürliche Zahl n0 gibt, mit d(xm , xn ) < für alle natürlichen Zahlen m, n ≥ n0 . Der metrische Raum (X, d) heisst vollständig, falls jede Cauchy-Folge mit Elementen in X einen Grenzwert in X besitzt. Ein Grenzwert einer Folge wurde in Definition 2.13 definiert. Da es sich in der Definition eben um einen metrischen Raum handelt, muss der besagte Grenzwert eindeutig sein. Beispiel 3.2. Sei p eine Primzahl. Jede rationale Zahl x ∈ Q ist entweder 0 oder hat die Form pe ab wobei a, b ∈ Z nicht durch p teilbar sind. Wir setzen |x|p = p−e . Für x = 0 definieren wir |0|p = 0. Dabei erhalten wir eine Abbildung | · |p : Q → [0, +∞), die sich wie der Absolutbetrag verhält, denn die folgenden Eigenschaften sind erfüllt. (i) Es gilt |x|p = 0 genau dann, wenn x = 0. 0 0 (ii) Ist x0 = pe ab0 mit a0 , b0 ∈ Z nicht durch p teilbar und x 6= 0 wie oben, so gilt 0 0 und weder aa0 noch bb0 sind durch p teilbar. Also xx0 = pe+e aa bb0 0 0 |xx0 |p = p−(e+e ) = p−e p−e = |x|p |x0 |p . Diese Gleichheit gilt natürlich auch, falls x = 0 oder x0 = 0. 1 Dabei werden wir annehmen, dass jede reelle Cauchy-Folge konvergiert – d.h. unser Argument ist kein neuer Beweis der Vollständigkeit von R. 55 3 Weitere Beispiele (iii) Für x, x0 ∈ Q gilt (mit Hilfe der Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung) die ultrametrische Dreiecksungleichung |x + x0 |p ≤ max{|x|p , |x0 |p }. Im interessanten Fall xx0 6= 0 mit x und x0 wie in (ii) und e ≥ e0 gilt e−e0 a0 ab0 + a0 b e0 p 0 e0 e−e0 a + 0 =p x+x =p p b b bb0 0 also |x + x0 |p ≤ p−e = max{|x|p , |x0 |p }, was zu zeigen war. Eine wichtige Beobachtung ist |x|p ≤ 1 falls x eine ganze Zahl ist. Setzen wir dp (x, y) = |x − y|p so erhalten wir die Metrik dp auf Q von Aufgabe 4, Blatt 1. Die rationalen Zahlen zusammen mit der Metrik dp bilden einen metrischen Raum der nicht vollständig ist. Dies werden wir im Fall p = 5 nachweisen. Dazu konstruieren wir eine Folge (xn )n≥1 in Z die bezüglich d5 eine Cauchy-Folge ist, die aber keinen Grenzwert in Q besitzt. Wir beginnen mit x1 = 2. Eine ganze Zahl der Form x1 + 5a mit a1 ∈ Z hat Abstand d5 (x1 , x1 + 5a1 ) = |x1 − (x1 + 5a1 )|5 = |5a1 |5 = |5|5 |a1 |5 ≤ 5−1 zu x1 , ist also “relativ nahe” an x1 . Unser Ansatz ist x2 = x1 + 5a1 und wir müssen a1 geeignet wählen. Wir rechnen x22 + 1 = (2 + 5a1 )2 + 1 = 4 + 20a1 + 25a21 + 1 = 5(1 + 4a1 + 5a21 ) falls a1 = 1 gilt |x22 + 1|5 = |50|5 = 5−2 . Also nimmt das Polynom X 2 + 1 beim Argument X = x2 einen kleinen Wert, 5-adisch gesehen. Diese Konstruktion lässt sich fortsetzen. Dazu machen wir den Ansatz x3 = x2 + 52 a2 und stellen sofort fest, dass d5 (x3 , x2 ) = |52 a2 |5 ≤ 5−2 und d5 (x3 , x1 ) ≤ max{d5 (x3 , x2 ), d5 (x2 , x1 )} ≤ 5−1 gelten, falls a2 ∈ Z. Weiterhin ist x23 + 1 = (x22 + 1) + 50a2 x2 + 54 a22 = 50 + 350a2 + 54 · 72 . Mit a2 = 2 finden wir 53 | x23 + 1, also |x23 + 1|5 ≤ 5−3 . Die 5-adische Schranke für X 2 + 1 bei x3 ist kleiner als im letzten Schritt. Allgemein funktioniert die Konstruktion wie folgt. Sei n ≥ 1 und angenommen wir haben xn ∈ Z konstruiert mit |xn − xn−1 |5 ≤ 5−(n−1) und |x2n + 1|5 ≤ 5−n . Also gilt x2n + 1 = 5n bn (3.1) für ein bn ∈ Z. Die ganze Zahl xn ist nicht durch 5 teilbar, da an sonst wegen (3.1) 1 durch 5 teilbar wäre. Das ist unmöglich, daher ist 2xn auch nicht durch 5 teilbar. Wegen dem chinesischen Restsatz gibt es an ∈ Z, mit 5 | bn +2an xn . Wir setzen xn+1 = xn +5n an und erhalten mit (3.1) x2n+1 + 1 = (x2n + 1) + 2 · 5n an xn + 52n a2n = 5n (bn + 2an xn ) +52n a2n . {z } | durch 5n+1 teilbar 56 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums Wegen n ≥ 1 ist die rechte Seite durch 5n+1 teilbar und es gilt |x2n+1 + 1|5 ≤ 5−(n+1) . Per Konstruktion gilt |xn+1 − xn |5 ≤ 5−n . Zusammengefasst erhalten wir also eine Folge (xn )n≥1 mit xn ∈ Z, mit |xn − xn−1 |5 ≤ 5−(n−1) und mit |x2n + 1|5 ≤ 5−n . Für ganze Zahlen n ≥ m ≥ 1 wenden wir die ultrametrische Dreiecksungleichung induktiv auf eine Teleskopsumme an und erhalten d5 (xn , xm ) = |xn − xm |5 = |(xn − xn−1 ) + (xn−1 − xn−2 ) + · · · + (xm+1 − xm )|5 ≤ max{|xn − xn−1 |5 , |xn−1 − xn−2 |5 , . . . , |xm+1 − xm |5 } ≤ 5−m . Folglich ist (xn )n≥1 eine Cauchy-Folge. Nun werden wir beweisen, dass diese Folge in (Q, d5 ) nicht konvergiert. Dazu nehmen wir an, dass x ∈ Q ein Grenzwert ist und werden einen Widerspruch herleiten. Also setzen wir n = x−xn ∈ Q und es gilt limn→+∞ |n |5 = 0. Aus unserer Konstruktion scheint zu folgen, dass die xn eine Nullstelle von X 2 + 1 in der 5-adischen Metrik approximiert. Also x2 + 1 = (xn + n )2 + 1 = (x2n + 1) + 2n + 2n . Wir wenden die ultrametrische Dreiecksungleich an und finden |x2 + 1|5 ≤ max{|x2n + 1|5 , |2n |5 , |2n |5 } ≤ max{5−n , |n |5 , |n |25 }. | {z } | {z } |{z} ≤5−n =|n |5 =|n |25 Die rechte Seite konvergiert für n → ∞ gegen Null und die linke Seite ist unabhängig von n. Wir finden |x2 + 1|5 = 0 und daher x2 = −1 mit x ∈ Q. Dies ist ein Widerspruch und daher ist (Q, d5 ) nicht vollständig. Es folgt nun ein griffiges Kriterium um sicherzustellen, dass ein metrischer Raum vollständig ist. Um einen metrischen Raum als vollständig zu erkennen, reicht es aus, Cauchy-Folgen in einer dichten Teilmenge auf Konvergenz zu untersuchen. Lemma 3.3. Sei (X, d) ein metrischer Raum und D ⊆ X eine dichte Teilmenge. Dann ist (X, d) vollständig, falls jede Cauchy-Folge (xn )n≥1 mit xn ∈ D für alle n ≥ 1 einen Grenzwert in X besitzt. Beweis. Wir müssen zeigen, dass eine beliebige Cauchy-Folge (yn )n≥1 ∈ X N einen Grenzwert in X besitzt. Da D eine dichte Teilmenge von X ist, gibt es wegen Lemma 1.8 zu jedem n ≥ 1 ein xn ∈ D mit d(xn , yn ) < 1/n. Wir zeigen nun, dass (xn )n≥1 eine Cauchy-Folge ist. Sei dazu > 0. Weil (yn )n≥1 eine Cauchy-Folge ist, gibt es ein n0 mit d(ym , yn ) < /3 für n, m ≥ n0 . Wir dürfen annehmen, dass n0 > 3/ erfüllt ist. Nun wenden wir die Dreiecksungleichung zweimal an und erhalten d(xm , xn ) ≤ d(xm , ym ) + d(ym , xn ) ≤ d(xm , ym ) + d(ym , yn ) + d(yn , xn ) < 1 1 + + . m 3 n Aus m ≥ n0 > 3/ und n ≥ n0 > 3/ folgt d(xm , xn ) < /3 + /3 + /3 = . 57 3 Weitere Beispiele Also ist (xn )n≥1 eine Cauchy-Folge mit Elementen in D und muss nach nach Voraussetzung einen Grenzwert x ∈ X besitzen. Es reicht zu zeigen, dass x auch ein Grenzwert von (yn )n≥1 ist. Für jedes > 0 gibt es ein neues n0 mit d(xn , x) < /2 für n ≥ n0 . Eine weitere Anwendung der Dreiecksungleichung ergibt d(yn , x) ≤ d(yn , xn ) + d(xn , x) = d(xn , yn ) + d(xn , x) < 1 + . n 2 Da wir n0 > 2/ annehmen dürfen, folgt d(yn , x) < und unsere Behauptung ist bewiesen. Wir vervollständigen einen metrischen Raum, in dem wir ihn durch neue Punkte ergänzen. Definition 3.4. Für einen einen metrischer Raum (X, d) definieren wir CF(X) = {(xn )n≥1 ∈ X N ; (xn )n≥1 ist eine Cauchy-Folge}. Wir betrachten CF(X) als Teilraum des Produkts X N , d.h. CF(X) trägt eine natürliche Topologie. Für zwei Elemente x = (xn )n≥1 , y = (yn )n≥1 schreiben wir x∼y ⇐⇒ lim d(xn , yn ) = 0. n→+∞ Man überprüft aus den Eigenschaften der Metrik d, dass ∼ eine Äquivalenzrelation auf CF(X) ist. b = CF(X)/∼ und betrachten X b mit der Quotiententopologie. Wir definieren X b ein vollständig metrischer Raum ist. Dazu müssen Wir werden später feststellen, dass X b wir zuerst eine Metrik auf X definieren. Dies werden wir im nächsten Lemma tun. Lemma 3.5. Sei (X, d) ein metrischer Raum. (i) Für Cauchy-Folgen x = (xn )n≥1 , y = (yn )n≥1 ∈ CF(X) existiert der Grenzwert limn→+∞ d(xn , yn ). Wir bezeichnen diesen mit dCF (x, y). Es gilt dCF (x, y) ≥ 0 und dCF (x, y) = dCF (y, x). (ii) Sind x, y, x0 , y 0 ∈ CF(X) mit x ∼ x0 und y ∼ y 0 , so gilt dCF (x, y) = dCF (x0 , y 0 ). Insbesondere erhalten wir eine wohldefinierte Abbildung b ×X b → [0, +∞). db : X b (iii) Die Abbildung db in (3.2) ist eine Metrik auf X. 58 (3.2) 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums Beweis. Für Teil (i) brauchen wir die aus der Analysis bekannten Tatsache, dass R vollständig ist. Sei > 0 und n0 eine natürliche Zahl mit d(xm , xn ) < /2 und d(ym , yn ) < /2 für m, n ≥ n0 . Wir wenden die Dreiecksungleichung zweimal an und erhalten d(xm , ym ) ≤ d(xm , xn ) + d(xn , yn ) + d(yn , ym ) < + d(xn , yn ). Also gilt d(xm , ym )−d(xn , yn ) < und aus Symmetriegründen auch d(xn , yn )−d(xm , ym ) < und damit |d(xm , ym ) − d(xn , yn )| < . Also ist (d(xn , yn ))n≥1 eine Cauchy-Folge reeller Zahlen und besitzt damit einen Grenzwert in R. Dieser Grenzwert kann wegen d(xn , yn ) ≥ 0 (für alle n ≥ 1) nicht negativ sein, weiterhin gilt d(xn , yn ) = d(yn , xn ) (für alle n ≥ 1) und damit dCF (x, y) = dCF (y, x). Also folgt Teil (i). Nun beweisen wir Teil (ii). Weil dCF symmetrisch ist, reicht es aus, dCF (x, y) = dCF (x0 , y) nachzuweisen. Wir schreiben x0 = (x0n )n≥1 und behalten die Notation für x und y aus (i) bei. Die Dreiecksungleichung impliziert d(xn , yn ) ≤ d(xn , x0n ) + d(x0n , yn ). Wegen x ∼ x0 ist limn→+∞ d(xn , x0n ) = 0. Nehmen wir links und rechts den Limes, so folgt dCF (x, y) ≤ dCF (x0 , y). Aus Symmetriegründen folgt ebenfalls die umgekehrte Ungleichung und damit dCF (x, y) = dCF (x0 , y), was für (ii) zu zeigen war. Jetzt beweisen wir Teil (iii). Aus den entsprechenden Eigenschaft von dCH , die wir in b ×X b symmetrisch und nicht negative ist. (i) bewiesen haben, folgt sofort, dass db auf X b z) ≤ d(x, b y) + d(y, b z) für alle x, y, z ∈ X, b da Weiterhin gilt die Dreiecksungleichung d(x, die d auf X die Dreiecksungleichung erfüllt und da die Konvergenz in (i) Ungleichungen b x) = 0 für alle x ∈ X. b Erfüllen umgekehrt x, y ∈ CF(X) die erhält. Sicherlich gilt d(x, b Bedingung dCF (x, y) = 0 so gilt x ∼ y. Damit ist gezeigt, dass db eine Metrik auf X definiert. b konstruiert und dadurch haben wir einen Nun haben wir zumindest eine Metrik auf X b b guten Kandidaten (X, d) für eine “Vervollständigung” von (X, d) gefunden. Bemerkung. Wir behalten die Notation von oben bei. Für jedes x ∈ X ist die konstante Folge (x, x, x, . . .) ∈ X N eine Cauchy-Folge, liegt also in CF(X). Wir erhalten daher eine Abbildung X → CF(X), welche x auf (x, x, x, . . .) abbildet. Wir verketten sie mit der b und erhalten eine Abbildung ι : X → X. b Sie bildet Quotientenabbildung CF(X) → X ein Element x ∈ X auf die Äquivalenzklasse der konstanten Folge (x, x, x, . . .) ab. Aus der Definition von db in Lemma 3.5(i) stellen wir fest, dass b d(ι(x), ι(y)) = d(x, y) gilt. Definition 3.6. Seien (X, dX ) und (Y, dY ) metrische Räume. Eine Abbildung f : X → Y , die dY (f (x), f (x0 )) = dX (x, x0 ) für alle x, x0 ∈ X erfüllt, heisst Isometrie. 59 3 Weitere Beispiele Bemerkung. Eine Isometrie ist wegen Lemma 1.26 stetig. Sie ist injektiv, da f (x) = f (x0 ) =⇒ dY (f (x), f (x0 )) = 0 =⇒ dX (x, x0 ) = 0 =⇒ x = x0 . Schliesslich ist sie sogar ein Einbettungen. Dazu muss man feststellen, dass die Umkehrabbildung von f : X → f (X) wieder eine Isometrie und daher insbesondere stetig ist (dazu braucht man Aufgabe 1 auf Blatt 3). b aus Lemma 3.5, Proposition 3.7. Sei (X, d) ein metrischer Raum, db die Metrik auf X b und ι : X → X die eben definierte Isometrie. (i) Die Abbildung ι aus der Bemerkung oben ist eine Einbettung, wir nennen sie die kanonische Einbettung. b (ii) Das Bild ι(X) liegt dicht in X. b ist vollständig. b d) (iii) Der metrische Raum (X, Beweis. Die Abbildung ι ist eine Isometrie und daher eine Einbettung wegen der Bemerkung oben, hieraus folgt Teil (i). b ein Element welches durch (xn )n≥1 ∈ CF(X) repräsentiert wird. Für jedes Sei x ∈ X > 0 gibt es n0 ∈ N mit d(xm , xn ) < für alle m, n ≥ n0 . Insbesondere gilt für jedes b ι(xn )) ≤ . Weil beliebig war, folgt n ≥ n0 die Schranke d(xn , xn0 ) < und daher d(x, 0 b aus Lemma 1.8, dass ι(X) dicht in X liegt. Um Teil (iii) zu zeigen, wenden wir Lemma 3.3 auf die Menge D = ι(X) an, die beb liegt. D.h. es reicht zu zeigen, dass jede Cauchy-Folge mit kannterweise dicht in X b besitzt. Die besagte Cauchy-Folge hat die Folgengliedern in ι(X) einen Grenzwert in X Gestalt (ι(xn ))n≥1 , wobei (xn )n≥1 ∈ CF(X), weil ι eine Einbettung ist. Aber (xn )n≥1 b und dies ist der gesuchte Grenzwert, da repräsentiert ein Element x ∈ X b n ), x) = lim d(xn , xm ) d(ι(x m→+∞ gegen 0 konvergiert für n → +∞. b heisst Vervollständigung b d) Definition 3.8. Der eben konstruierte metrische Raum (X, des metrischen Raums (X, d). In den Übungen werden wir die folgende Eindeutigkeitsaussage beweisen. bi , dbi ) vollständige metrische Lemma 3.9. Sei (X, d) ein metrischer Raum. Seien (X bi Isometrien mit ιi (X) dicht in X bi für i ∈ {1, 2}. Räume und ιi : X → X b1 → X b2 mit ι2 = f ◦ ι1 . (i) Es existiert genau eine Isometrie f : X (ii) Die Isometrie in (i) ist bijektiv und f −1 ist ebenfalls eine Isometrie. Insbesondere b1 und X b2 homöomorph.2 sind X 2 Man sagt, dass die Vervollständigung eines metrischen Raums zusammen mit der kanonischen Einbettung eindeutig ist, bis auf eindeutigen isometrischen Homöomorphismus. 60 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums Beispiel 3.10. Aus dem Lemma eben folgt, dass R mit der Standardmetrik (also (x, y) 7→ |x − y|) die Vervollständigung der rationalen Zahlen Q ist. Bemerkung. Wir werden, vermöge der kanonischen Einbettung, oft einen metrischen Raum als Teilraum seiner Vervollständigung betrachten. 3.1.1 Die p-adischen Zahlen Sei p ∈ {2, 3, 5, . . .} eine Primzahl. In diesem Abschnitt untersuchen wir die Vervollständigung von Q bezüglich der Metrik dp aus Blatt 1, Aufgabe 4 und Beispiel 3.2. Zur Erinnerung, dp (x, y) = |x − y|p wobei sich | · |p auf Q wie ein Absolutbetrag verhält. Die Vervollständigung von Q bezüglich dem Standardabsolutbetrag sind die reellen Zahlen. Nun untersuchen wir die Vervollständigung von Q bezüglich dp . Definition 3.11. Für eine Primzahl p bezeichnet (Qp , dp ) die Vervollständigung von (Q, dp ) wir verwenden dabei das gleich Symbol für die Metrik auf Qp wie für die Metrik auf Q. Wir nennen Qp (oder (Qp , dp )) den Raum der p-adischen Zahlen. Um die Notation einfach zu halten, betrachten wir Q vermöge der kanonischen Einbettung als Teilraum von Qp . Dann liegt Q dicht in Qp . Bemerkung. Die p-adischen Zahlen bilden, wie die reellen Zahlen, einen Körper. Wir definieren die Addition auf Qp wie folgt. Für x, y ∈ Qp wählen wir Folgen (xn )n≥1 und (yn )n≥1 mit Grenzwerten x und y und mit xn , yn ∈ Q für alle n ∈ N. Man überprüft nun leicht, dass (xn + yn )n≥1 eine Cauchy-Folge ist, da dp (xm + ym , xn + yn ) = |(xm + ym ) − (xn + yn )|p ≤ max{|xm − xn |p , |ym − yn |p } = max{dp (xm , xn ), dp (ym , yn )} gilt. Also konvergiert (xn + yn )n≥1 gegen ein Element in Qp welches wir mit x + y bezeichnen. Man kann auch ohne Probleme nachweisen, dass x + y unabhängig von der Wahl der Folgen (xn )n≥1 und (yn )n≥1 ist. Mit ähnlichen Mitteln kann man zeigen, dass (xn yn )n≥1 eine Cauchy-Folge ist. Dessen Grenzwert in Qp nennen wir xy. Auch dieses Element ist unabhängig von der Wahl der Folgen. Schliesslich kann man mit Aufwand, aber ohne grosse Schwierigkeiten überprüfen, dass die zwei Verknüpfungen (x, y) 7→ x+y resp. (x, y) 7→ xy auf Qp resp. Qp r {0} Inverse zulassen. Weiterhin ist 0 ∈ Q ⊆ Qp resp. 1 ∈ Q ⊆ Qp ein neutrales Element bezüglich diesen Verknüpfungen. Weiterhin kann man zeigen, dass die Verknüpfungen + und · stetige Abbildungen Qp × Qp → Qp induzieren. Es ist leicht zu überprüfen, dass die Produkttopologie auf Qp × Qp durch die Metrik ((x, y), (x0 , y 0 )) 7→ |x − x0 |p + |y − y 0 |p auf Qp × Qp induziert wird. Ist ((xn , yn ))n≥1 eine Folge in Qp , die gegen (x, y) konvergiert, so konvergiert (xn )n≥1 gegen x und (yn )n≥1 gegen y und lim |(xn + yn ) − (x − y)|p ≤ lim max{|xn − x|p , |yn − y|p } = 0. n→+∞ n→+∞ Also konvergiert (xn + yn )n≥1 gegen x + y und daher ist die Addition eine folgenstetige Abbildung Qp × Qp → Qp . Sie ist wegen Lemma 2.16 und weil metrische Räume das 61 3 Weitere Beispiele erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllen auch stetig. Analog zeigt man, dass · : Qp × Qp → Qp stetig ist und das die relevanten Inversionsabbildungen stetig sind. Nun muss man noch die verschiedenen Körperaxiome überprüfen. So gilt Beispielsweise (x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z ∈ Qp weil diese Relation auf der dichten Teilmenge Q × Q × Q von Qp × Qp × Qp gilt. Analog zeigt man die anderen gewünschten Eigenschaften. Mit ähnlichen Argumenten kann man zeigen, dass (Qp , +, 0) und (Qp r {0}, ·, 1) topologische Gruppen sind. Die Abbildung f : x 7→ dp (x, 0) bildet Qp auf R ab. Für x, y ∈ Qp gilt wegen der Dreiecksungleichung dp (x, 0) ≤ dp (x, y) + dp (y, 0), also dp (x, 0) − dp (y, 0) ≤ dp (x, y) und sogar |dp (x, 0) − dp (y, 0)| ≤ dp (x, y) aus Symmetriegründen. Lemma 1.26 impliziert, dass f : Qp → R stetig ist. Für x ∈ Q ⊆ Qp gilt f (x) = |x|p . Also setzt f den p-adischen Absolutbetrag fort und wir schreiben f (x) = |x|p für alle x ∈ Qp . Wegen Stetigkeit gelten (i) |x|p ≥ 0 mit Gleichheit genau dann, wenn x = 0, (ii) |xy|p = |x|p |y|p , (iii) |x + y|p ≤ max{|x|p , |y|p } für alle x, y ∈ Qp , da diese Eigenschaften auf der dichten Teilmenge Q von Qp gelten. Hier sammeln wir noch einige weitere Eigenschaften der p-adischen Zahlen. Definition 3.12. Sei p ∈ {2, 3, . . .} eine Primzahl. Wir nennen den Teilraum Zp = {x ∈ Qp ; |x|p ≤ 1} von Qp den Raum der ganzen p-adischen Zahlen. Bemerkung. Für x, y ∈ Zp gilt |x|p ≤ 1 und |y|p ≤ 1 und damit |x+y|p ≤ max{|x|p , |y|p } ≤ 1. Offensichtlich gilt auch | − x|p = |x|≤ 1 und 1 ∈ Zp . Also ist Zp eine Untergruppe von (Qp , +, 0). Lemma 3.13. Sei p ∈ {2, 3, . . .} eine Primzahl. (i) Für x, y ∈ Qp mit |x|p 6= |y|p gilt |x + y|p = max{|x|p , |y|p }. (ii) Für x ∈ Qp r {0} existiert e ∈ Z mit |x|p = p−e . (iii) Für jedes x ∈ Zp gibt es eine eindeutige bestimmte Folge (a0 , a1 , . . .) mit an ∈ {0, 1, . . . , p − 1} für alle n ≥ 0 und 2 3 x = a0 + a1 p + a2 p + a3 p + · · · = ∞ X an p n , n=0 hier ist 62 P∞ n=0 an pn als limN →+∞ PN n=0 an pn zu interpretieren. 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums Beweis. Ohne Einschränkung dürfen wir in (i) |y|p < |x|p annehmen. Die ultrametrische Dreiecksungleichung impliziert |x|p = |(x + y) − y|p ≤ max{|x + y|p , | − y|p } und dieses Maximum muss |x + y|p sein, da | − y|p = |y|p . Also |x|p ≤ |x + y|p . Andererseits gilt |x + y|p ≤ max{|x|p , |y|p } = |x|p . Es folgt |x + y|p = |x|p = max{|x|p , |y|p }, was für (i) zu zeigen war. Für x wie in (ii) dürfen wir, da Q dicht in Qp , ein y ∈ Q mit |y − x|p < |x|p wählen. Nach Definition gilt |y|p = p−e . Wir wenden (i) auf x und y − x an, und erhalten p−e = |y|p = |(y − x) + x|p = max{|y − x|p , |x|p } = |x|p . Hieraus folgt (ii). Um (iii) zu zeigen, beweisen wir zuerst, die folgende Behauptung: Für jedes x ∈ Zp gibt es ein y ∈ {0, 1, . . . , p − 1} mit |x − y|p ≤ p−1 . Dazu dürfen wir wegen (ii) |x|p = 1 annehmen (sonst ist y = 0 geeignet). Weil Q dicht in Qp liegt, existiert zumindest ein y 0 ∈ Q mit |x − y 0 |p ≤ p−1 . Wir schreiben y 0 = pe ab mit a, b ∈ Z und a, b nicht zu p teilbar. Wegen |x|p = 1 und (i) gilt e = 0. Weil p und b teilerfremd sind, erlaubt es uns der chinesische Restsatz ein k ∈ Z zu finden, mit a − pk ≡ 0 mod b. Wir setzen y = y 0 − pk/b = (a − pk)/b ∈ Z und stellen |x − y|p = |(x − y 0 ) + pk/b|p ≤ p−1 fest. Die Ungleichung |x − y|p ≤ p−1 gilt auch dann, wenn ein Vielfaches von p zu y addiert wird. Wir dürfen also y ∈ {0, 1, . . . , p − 1} annehmen und die Behauptung ist bewiesen. Sei x ∈ Zp wie in (iii). Wegen der Behauptung existiert ein a0 ∈ {0, 1, . . . , p − 1} mit |x − a0 |p ≤ p−1 . Also erfüllt x1 = (x − a0 )/p die Bedingung |x1 |p = |x − a0 |p |p−1 |p ≤ 1. Es gibt also a1 ∈ {0, 1, . . . , p − 1} und |x1 − a1 |p ≤ p−1 und wir setzen x2 = (x1 − a1 )/p etc. etc. Diese Konstruktion führen wir induktiv fort und erhalten die folgenden Gleichungen x = a0 + px1 = a0 + p(a1 + px2 ) = a0 + pa1 + p2 x2 .. . = a0 + pa1 + p2 a2 + · · · + pn an +pn+1 xn+1 {z } | yn für alle n ≥ 0 wobei alle ai in {0, 1, . . . , p − 1} liegen und |xn+1 |p ≤ 1 gilt. Also folgt |x − yn |p = |pn+1 xn+1 |p ≤ p−(n+1) . Die Folge yn konvergiert in Qp gegen x. Damit ist die Existenz in (iii) gezeigt. , a01 , . . .) eine von (a0 , a1 , . . .) verschiedene Folge mit a0n ∈ {0, . . . , p − 1} und Sei (a00P 0 n 0 0 yN = N n=0 an p . Ist n0 die kleinste nichtnegative ganze Zahl mit an0 6= an0 , so ist p 0 kein Teiler von an0 − a0n0 und aus (i) folgt |yN − yN | = p−n0 für alle N ≥ n0 . Also kann (yn )n≥0 unmöglich gegen x konvergieren. Hieraus folgt die Eindeutigkeit in (iii). Bemerkung. Teil (iii) des letzten Lemmas impliziert, dass (a0 , a1 , . . .) 7→ ∞ X an p n n=0 eine bijektive Abbildung f : {0, 1, . . . , p − 1}N0 → Zp definiert. Wir betrachten den Urbildraum mit der Produkttopologie. Die Abbildung f ist stetig. Denn sei x ∈ Zp und 63 3 Weitere Beispiele f (a) ∈ B (x) mit > 0 und a = (a0 , a1 , . . .) ∈ {0, 1, . . . , p − 1}N0 . Wähle nun n0 ∈ N0 mit p−n0 < . Dann gilt |f (a) − f (b)|p < , und somit |f (b) − x|p < , für jedes b in Y Ua = {(a0 , a1 , . . . , an0 −1 )} × {0, 1, . . . , p − 1}. n≥n0 In anderen Wort gilt Ua ⊆ f −1 (B (x)). Die Mengen Ua sind offen und überdecken f −1 (B (x)), also ist f −1 (B (x)) offen. Daher ist f stetig. Wegen Satz 2.35, dem Satz von Tychonoff, ist {0, 1, . . . , p − 1}N0 kompakt. Der Raum der p-adisch ganzen Zahlen ist ein metrischer Raum und daher einen Hausdorffraum. Also ist f : {0, 1, . . . , p − 1}N0 → Zp ein Homöomorphismus wegen Lemma 2.34(iii). Insbesondere ist Zp ein kompakter Raum. Im Spezialfall p = 2 stellen wir fest, dass Z2 zu {0, 1}N0 und daher zur Cantormenge ( ) X xn x ∈ R; es gibt (x1 , x2 , . . .) ∈ {0, 2}N mit x = 3n n∈N von Blatt 4, Aufgabe 1 homöomorph ist. Definition 3.14. Ein topologischer Raum X heisst lokalkompakt, falls es zu jedem Punkt x ∈ X eine offene Umgebung U und eine kompakte Menge K ⊆ X mit x ∈ U ⊆ K gibt. Beispiel 3.15. (i) Die reellen Zahlen mit der Standardtopologie bilden einen lokalkompakten Raum: für x ∈ R ist [x − 1, x + 1] kompakt und enthält die offene Menge (x − 1, x + 1). Aus ähnlichem Grunde bilden die komplexen Zahlen mit der Standardtopologie einen lokalkompakten Raum. (ii) Ein unendlichdimensionaler Banachraum über R oder C ist nicht lokalkompakt. Lemma 3.16. Sei p ∈ {2, 3, . . .} eine Primzahl. Der Raum Qp ist lokalkompakt und total unzusammenhängend. Beweis. Für beide Behauptungen benutzen wir die Tatsache, dass (Qp , +, 0) eine topologische Gruppe ist. Für festes a ∈ Qp ist die Translationsabbildung x 7→ x − a ein Homöomorphismus Qp → Qp . Für die erste Aussage reicht zu zeigen, dass 0 eine offene Umgebung U besitzt, die in einer kompakten Teilmenge K von Qp liegt. Aber U = {x ∈ Qp ; |x|p < 1} ist offen und Zp ⊆ U ist kompakt. Um die zweite Aussage zu zeigen, sei C die Zusammenhangskomponente von Qp , die die Null enthält. Die Abbildung | · |p : Qp → [0, +∞) ist stetig und ihre Einschränkung auf C ist es auch. Wegen Lemma 2.26 ist C zusammenhängend, ihr Bild |C|p ist auch zusammenhängend wegen Lemma 2.28(i). Die Werte von |·|p auf Qp sind {0}∪{p−e ; e ∈ Z}, dies haben wir in Lemma 3.13 gesehen. Würde C ein Element x 6= 0 mit |x|p = p−e enthalten, so wäre U = |C|p ∩ {y ∈ Qp ; |y|p < p−e−1/2 } und V = |C|p ∩ {y ∈ Qp ; |y|p > p−e−1/2 } 64 3.1 Die Vervollständigung eines metrischen Raums eine disjunkte Zerlegung von |C|p in zwei offene und nicht leere Teilmengen. Dies steht im Widerspruch zur Tatsache, dass C zusammenhängend ist. Also gilt C = {0}. Aber dann ist jede weitere Zusammenhangskomponente von Qp einelementig. Bemerkung. Im Gegensatz zu den reellen oder komplexen Zahlen, sind die p-adischen Zahlen weder zusammenhängend noch wegzusammenhängend. Dies ist ein grundsätzliches Hindernis, um auf den p-adische Zahlen Analysis so zu betreiben, wie wir sie von den reellen Zahlen kennen. Es gab im 20. Jahrhundert viele Ansätze dieses Problem zu lösen. Vladimir Berkovich hat in den 1990er gezeigt, wie man im Kontext der p-adischen Zahlen Punkte ergänzen kann, um einen wegzusammenhängenden, lokalkompakten Hausdorffraum zu erhalten. Die p-adischen sind für viele Bereiche der Mathematik von grosser Bedeutung, darunter die Zahlentheorie. Folgendes Resultat von Alexander Ostrowski, einem Mathematiker der von 1927 bis 1958 in Basel wirkte, klassifiziert alle Absolutebeträge auf Q. Satz (Ostrowski). Sei | · | : Q → [0, +∞) eine Abbildung mit den folgenden Eigenschaften. Für x, y ∈ Q gilt (i) |x| = 0 genau dann, wenn x = 0, (ii) |xy| = |x||y| und (iii) |x + y| ≤ |x| + |y|. Dann gilt entweder |x| = 1 für alle x 6= 0 (d.h. | · | ist der sogenannte triviale Absolutbetrag), oder es existiert s > 0 mit |x| = max{x, −x}s für alle x, oder es existiert eine Primzahl p und s > 0 mit |x| = |x|sp (d.h. | · | ist bis auf einen Exponenten der Standardabsolutbetrag oder der p-adische Absolutbetrag). Wir werden den Satz von Ostrowski nicht beweisen. Wir können aber beruhigt sein, da wir alle Absolutbeträge auf Q (bis auf die durch s induzierte harmlose Äquivalenz) gefunden haben. 3.1.2 Das eingeschränkte Produkt topologischer Räume Die p-adischen Zahlen Qp bilden zusammen mit den reellen Zahlen R alle möglichen Vervollständigungen von Q bezüglich eines nichttrivialen Absolutbetrags wie in Ostrowskis Satz. Aus konzeptionellen Gründen ist es sinnvoll die Qp und R als gleichwertig zu betrachten. Man könnte daher versucht sein, das Produkt Y X =R× Qp (3.3) p Primzahl als topologischer Raum zu untersuchen. Es gibt eine natürlich stetige Abbildung Q → X, die die rationalen Zahlen komponentenweise einbettet. Eine Motivation wäre, Probleme der Arithmetik, also Lösbarkeit von Gleichungen in Unbekannten aus Q mittels analytischen Methoden auf X zu untersuchen. Leider hat X kein besonders angenehme Eigenschaften und ist daher für diese Zwecke ungeeignet. 65 3 Weitere Beispiele Lemma 3.17. Der Raum X aus (3.3) ist nicht lokalkompakt. Beweis. Wir nehmen an, dass 0 ∈ X eine Umgebung U ⊆ X besitzt mit U ⊆ K für eine kompakte Menge K ⊆ X. Ohne Einschränkung ist U ein Basiselement der Q Produkttopologie wie in der Bemerkung auf Seite 23. Also ist U = U∞ × p Up mit U∞ ⊆ R, Up ⊆ Qp offen und Up = Qp für alle p mit höchstens endlich vielen Ausnahmen. Sei Up = Qp und πp : X → Qp die kanonische Abbildung. Dann gilt Qp = πp (Up ) ⊆ πp (K). Also ist πp (K) = Qp kompakt. Dies ist ein Widerspruch, da Qp die unendliche offene Überdeckung B1 (0) ⊆ B2 (0) ⊆ B3 (0) ⊆ · · · besitzt, welche keine endliche Teilüberdeckung zulässt. Die Tatsache, dass X nicht lokalkompakt ist, schliesst viele Anwendungen aus. Es ist bspw. bekannt, dass jede lokalkompakte topologische Gruppe ein Mass, das sogenannte Haarmass, trägt. Es gibt jedoch eine verfeinerte Konstruktion der Produkttopologie, die des eingeschränkten Produkts. Definition-Lemma 3.18. Sei I eine Indexmenge und für jedes i ∈ I sei Xi ein topologischer Raum und Yi ⊆ Xi eine Teilmenge. Wir setzen n Y Y X= (Xi : Yi ) = (xi ) ∈ Xi ; xi ∈ Yi für alle i ∈ I mit höchstens i∈I i∈I o endlich vielen Ausnahmen . Q Eine Basis einer Topologie auf X ist gegeben durch die Menge aller Produkte i∈I Ui wobei Ui ⊆ Xi offen ist für alle i ∈ I, und Ui = Yi für alle i ∈ I mit höchstens endlich vielen Ausnahmen. Wir betrachten X mit der von dieser Basis induzierten Topologie, dieser Raum heisst eingeschränktes Produkt der Xi bzgl. den Yi . Beweis. Dass es sich bei der besagten Kollektion von Mengen um eine Basis einer Topologie auf X handelt, lässt sich ohne Mühe nachprüfen. Bemerkung. Im Spezialfall Yi = Xi für alle Q Q i ∈ I stimmt das eingeschränkte Produkt (X : X ) als topologischer Raum mit i i i∈I i∈I Xi ausgestattet mit der Produkttopologie überein. Definition 3.19. Der Adelring A ist das eingeschränkte Produkt Y Y (R : R) × (Qp : Zp ) = R × (Qp : Zp ). p p Bemerkung. Ein Element in A ist ein Vektor x = (x∞ , x2 , x3 , x5 , . . .) mit x∞ ∈ R und xp ∈ Qp für alle Primzahlen p wobei |xp |p ≤ 1 mit höchstens endlich vielen Ausnahmen für alle p gilt. Wegen der ultrametrischen Ungleichung ist die komponentenweise Summe x + x0 ein Element von A. Weiterhin ist das komponentenweise Produkt xx0 auch in A. Daher ist A tatsächlich ein Ring. 66 3.2 Die Ordnungstopologie Proposition 3.20. (i) Der Adelring A ist lokalkompakt. (ii) Für x ∈ Q ist f (x) = (x, x, . . .) ∈ A. Das Bild f (Q) ist diskret als Teilraum von A. Beweis. Sei x = (x∞ , x2 , x3 , . . .) ∈ A. Für eine Primzahl p oder für p = ∞ setzen wir Kp = {x ∈ Qp ; |x − xp |p ≤ 1}. Jede Menge Kp ist kompakt, da sie ein Translat von Zp oder von [−1, 1] ist. Ist p eine Primzahl mit |xQ p |p ≤ 1, so gilt Kp = Zp wegen der ultrametrischen Dreiecksungleichung. Also ist K = p Kp eine kompakte Teilmenge von A und enthält x, das Produkt läuft über ∞ und alle Primzahlen. Wir setzen Kp = Zp : für eine Primzahl p mit |xp |p ≤ 1, {y ∈ Qp ; |y − xp |p < 1} : für eine Primzahl p mit |xp |p > 1, Up = (x∞ − 1, x∞ + 1) : falls p = ∞. In Aufgabe 1 von Q Übungsblatt 9 werden wir sehen, dass Zp offen in Qp . Höchstens endlich viele Faktoren in p Up = U unterscheiden sich von Zp und alle Faktoren sind offen. Also ist U offen in A, enthält x und ist eine Teilmenge von K. Somit ist Teil (i) bewiesen. Sei x ∈ Q. Um Teil (ii) zu zeigen, müssen wir die Existenz einer offenen Teilmenge U ⊆ A mit f (Q) ∩ U = {f (x)} nachweisen. Wir setzen {y ∈ Qp ; |y − x|p ≤ 1} : für eine Primzahl p, Up = (x∞ − 1, x∞ + 1) : falls p = ∞. Sicherlich ist U∞ offen in R. Es folgt leicht (wie in Aufgabe 1 auf Blatt 9), dass Up offen in Qp ist für jede Primzahl p. Taucht eine Primzahl p nicht im Nenner von x auf, so gilt |x|p ≤ 1. Und wir erhalten aus der ultrametrischen Ungleichung, dass Up = Zp gilt. Da nur endlich viele Primzahlen den Nenner von x Q teilen, gilt Up = Z für alle p mit höchstens endlich vielen Ausnahmen. Also ist U = p Up offen in A und es gilt f (x) ∈ U . Sei nun f (y) ∈ U mit y ∈ Q und δ = y −x ∈ Q. Für jede Primzahl p gilt |δ|p = |y −x|p ≤ 1. In anderen Wort: keine Primzahl teilt den Nenner von δ. Also ist δ eine ganze Zahl. Weiterhin ist y ∈ U∞ , also |δ| < 1. Es folgt δ = 0 und damit y = x. Wir haben damit f (Q) ∩ U = {f (x)} bewiesen, was zu zeigen war. 3.2 Die Ordnungstopologie Wir verallgemeinern die Standardtopologie auf R auf Mengen, die mit einer Totalordnung ausgestattet sind. Definition 3.21. Eine Totalordnung auf einer Menge X ist eine Halbordnung (vgl. Zorns Lemma 2.40), die zusätzlich (iv) x y oder y x für alle x, y ∈ X erfüllt. In diesem Fall schreiben wir x ≺ y falls x y und x 6= y. Für a, b ∈ X haben wir die Intervalle (a, b) = {x ∈ X; a ≺ x ≺ b}, (a, b] = {x ∈ X; a ≺ x b}, etc. 67 3 Weitere Beispiele Definition-Lemma 3.22. Sei X eine Menge, die mit einer Totalordnung ausgestattet ist. Dann bilden die Intervalle (a, b), (a, M ] falls M ∈ X existiert mit x M für alle x ∈ X, [m, a) falls m ∈ X existiert mit m x für alle x ∈ X. eine Basis einer Topologie auf X. Diese Topologie heisst Ordnungstopologie. Beweis. Dass es sich um eine Basis einer Topologie handelt, überprüft man wie bei den reellen Zahlen. Der einzige Unterschied zu den reellen Zahlen entsteht falls X ein Maximales Element M oder ein minimales Element m besitzt. Beispiel 3.23. (i) Die übliche Ordnung ≤ auf R ist eine Totalordnung und die Ordnungstopologie ist die Standardtopologie. (ii) Schränkt man ≤ von R auf [0, 1] ein, so erhält man wieder eine Totalordnung. Nun gibt es sowohl ein maximales Element M = 1 wie auch ein minimales Element m = 0. Die Ordnungstopologie auf [0, 1] ist gleich der Teilraumtopologie auf [0, 1] ⊆ R. (iii) Sei eine Totalordnung auf X und mit dem gleichen Symbol bezeichnen wir eine Totalordnung auf Y . Auf dem Produkt X × Y können wir eine Totalordnung, die lexikographische Ordnung einführen. Für (x, y), (x0 , y 0 ) ∈ X × Y definieren wir (x, y) (x0 , y 0 ) ⇔ x ≺ x0 oder (x = x0 und y y 0 ). (iv) Die ganzen Zahlen Z und das halboffene Intervall [0, 1) tragen beide die Totalordnung ≤. Die lexikographische Ordnung induziert eine Topologie auf der Menge Z × [0, 1). Dieser Raum ist zu den reellen Zahlen R mit der Standardtopologie homöomorph. Definition 3.24. Eine Totalordnung auf einer Menge X heisst Wohlordnung, falls jede nichtleere Teilmenge Y ⊆ X ein minimales Element besitzt, d.h. es gibt m ∈ Y mit m y für alle y ∈ Y . Beispiel 3.25. Zahlen N. (i) Die Standardordnung ≤ ist eine Wohlordnung auf den natürlichen (ii) Die Standardordnung ≤ auf [0, 1] ist keine Wohlordnung, da die Teilmenge (0, 1] kein minimales Element besitzt. Die folgende erstaunliche Proposition ist eine Konsequenz von Zorns Lemma. Proposition 3.26. Auf jeder Menge gibt es eine Wohlordnung. Beweis. Sei X eine Menge. Wir führen eine Halbordnung ≤ auf der Menge {(M, ); ist eine Wohlordnung auf der Teilmenge M von X.} (3.4) in dem wir genau dann (M, M ) ≤ (N, N ) setzen, wenn die drei folgenden Bedingungen erfüllt sind: 68 3.2 Die Ordnungstopologie (i) Es gilt M ⊆ N , (ii) die Wohlordnung M ist die Einschränkung von N auf M , und (iii) aus x ∈ M und y ∈ N mit y N x folgt y ∈ M . Man überprüft leicht, dass ≤ tatsächlich eine Halbordnung ist. Die Bedingung (iii) sorgt dafür, dass das Minimale Element in N bezüglich N bereits in M liegt. Also besitzt jede aufsteigende Kette als obere Schranke die Vereinigung der M und die durch die auf der Vereinigung induzierte Wohlordnung. Wegen Zorns Lemma 2.40 existiert eine maximales Element (M, ) in (3.4). Es reicht zu zeigen, dass X = M weil dann eine Wohlordnung auf X ist. Wir nehmen also an, dass es x ∈ X gibt mit x 6∈ M . Wir setzen auf N = M ∪{x}, in dem wir m x für alle m ∈ M definieren und natürlich auf x x. Man überzeugt sich schnell davon, dass eine Wohlordnung auf M ∪ {x} ist. Aber (M ∪ {x}, ) 6≤ (M, ) widerspricht der Maximalität von (M, ). Also gilt M = X. 3.2.1 Die lange Gerade In Beispiel 3.23(iv) haben wir die reelle Gerade mittels einer Ordnung auf Z × [0, 1) rekonstruiert. De facto werden abzählbar unendlich viele Kopien von [0, 1) aneinandergeheftet. Die lange Gerade ist ein topologische Raum, der entsteht, wenn man grob gesagt überabzählbar unendlich viele Kopien von [0, 1) aneinanderheftet. Die genaue Konstruktion ist etwas subtil. Lemma 3.27. Es existiert eine überabzählbar unendliche Menge ω1 mit einer Wohlordnung , so dass {x ∈ ω1 ; x ≺ y} für jedes y ∈ ω1 höchstens abzählbar unendlich ist. Beweis. Wegen Proposition 3.26 wissen wir, dass die überabzählbar unendliche Menge R eine Wohlordnung trägt (es ist natürlich nicht die Standardordnung!). Das Produkt {1, 2} × R trägt die lexikographische Ordnung (wobei {1, 2} die Standardordnung trägt) und es gilt (1, x) ≺ (2, 0) für alle x ∈ R. Die Ordnung ist eine Wohlordnung. Insbesondere gibt es eine Menge X mit einer Wohlordnung und ein Element M ∈ X, so dass {x ∈ X; x ≺ M } überabzählbar unendlich ist. Da eine Wohlordnung auf X ist, besitzt die nichtleere Teilmenge n o M ∈ X; {x ∈ X; x ≺ M } ist überabzählbar unendlich von X ein minimales Element Mmin . Das Lemma folgt mit ω1 = {x ∈ X; x ≺ Mmin }. Bemerkung. Man kann zeigen, dass ω1 bis auf Isomorphie von wohlgeordnete Mengen eindeutig bestimmt ist. Aus der Konstruktion folgt, dass die Kardinalität von ω1 höchsten die Kardinalität von R ist. Ob R und ω1 die gleiche Kardinalität besitzen oder nicht ist äquivalent zur Kontinuumshypothese. 69 3 Weitere Beispiele Definition-Lemma 3.28. Seien ω1 und wie in Lemma 3.27. Die lange Gerade L ist ω1 × [0, 1) ausgestattet mit der Ordnungstopologie, die von der lexikographischen Ordnung induziert wird. Bemerkung. (i) In einigen Bücher heisst L lange Halbgerade, da sie ein minimales Element besitzt und deshalb nur “in eine Richtung unbeschränkt ist”. Wir definiere ω1± als disjunkt die Vereinigung von zwei Kopien ω1− und ω1+ von ω1 , wobei die Ordnung auf ω1− umgekehrt wurde und wobei jedes Element in ω1− kleiner als jedes Element in ω1+ ist. Dann trägt ω1± eine Totalordnung. Die Ordnungstopologie induziert von der lexikographische Ordnung auf ω1± × [0, 1) wird z.T. auch als lange Gerade bezeichnet. (ii) Die lange Gerade ist ein Hausdorffraum, da die Ordnungstopologie stets das Trennungsaxiom T2 erfüllt. Trägt X die Ordnungstopologie bzgl. ≺ und seien x, y ∈ X mit x ≺ y. Gibt es z ∈ X mit x ≺ z ≺ y so sind (−∞, z) 3 x und (z, +∞) 3 y disjunkte offene Mengen. Gibt es kein z ∈ X mit x ≺ z ≺ y, so werden x und y von den disjunkten offenen Mengen (−∞, y) und (x, +∞) getrennt. Als nächstes wollen wir untersuchen, ob die lange Gerade wegzusammenhängend ist. Dazu brauchen wir ein nützliches Konzept. Ist X ein topologischer Raum, werden wir zwei Wege γ1 , γ2 : [0, 1] → X mit γ1 (1) = γ2 (0) zu einem neuen Weg γ1 γ2 : [0, 1] → X verknüpfen. Anschaulich werden wir zuerst den Weg γ1 mit doppelter Geschwindigkeit durchlaufen, um danach γ2 mit doppelter Geschwindigkeit durch zulaufen. Definition-Lemma 3.29. Wir behalten die Notation von eben und setzen γ1 (2s) : für s ∈ [0, 1/2], (γ1 γ2 )(s) = γ2 (2s − 1) : für s ∈ [1/2, 1]. Dann ist γ1 γ2 ein Weg von γ1 (0) nach γ2 (1), genannt die Verknüpfung von γ1 und γ2 . Beweis. Die Stetigkeit von γ1 γ2 folgt aus γ1 (1) = γ2 (0). Beispiel 3.30. Sei γ(s) = e2πis der Weg, welche den Einheitskreis S 1 umläuft. Wir setzen (s) = 1 ∈ S 1 für s ∈ [0, 1]. Die Verknüpfung 4πis e : für s ∈ [0, 1/2] (γ)(s) = 1 : für s ∈ [1/2, 1]. durchläuft S 1 einmal mit doppelter Geschwindigkeit und ruht schliesslich bei 1 ∈ S 1 für s ∈ [1/2, 1]. Lemma 3.31. Die lange Gerade ist wegzusammenhängend. 70 3.2 Die Ordnungstopologie Beweis. Wir werden diesen Beweis nur skizzieren. Seien p = (a, x), q = (b, y) ∈ ω1 × [0, 1) = L zwei Punkt. Falls a = b, so definiert γ(s) = (a, s(y − x) + x) einen Weg von p nach q. Wir können also ohne Beschränkung der Allgemeinheit a ≺ b annehmen. Wegen Lemma 3.27 gibt es höchstens abzählbar unendlich viele Elemente im Intervall (a, b) ⊆ ω1 . Wir nehmen der Einfachheitshalber an, dass es unendlich viele sind und schreiben a = a1 ≺ a2 ≺ · · · ≺ b, wobei kein Element aus ω1 zwischen an und an+1 liegt. (Das Argument ist etwas technischer im allgemeinen Fall.) Für n ∈ N definieren wir auf dem reellen Intervall In = [1 − 1/n, 1 − 1/(n + 1)) die stetige Abbildung γ : In → {an } × [0, 1) durch γ(s) = (an , (s − 1 + 1/n)(n2 + n)). Die Vereinigung aller In ist [0, 1) und wir erhalten also eine stetige Abbildung γ : [0, 1) → ω1 die wir mittels γ(1) = (b, 0) stetig auf [0, 1] fortsetzen können. Also ist γ ein Weg zwischen (a, 0) und (b, 0). Nun kann man p = (a, x) mit (a, 0) sowie (b, 0) mit q = (b, y) wie im Fall a = b oben durch Wege γ1 und γ2 verbinden. Verknüpfung man nun die drei Wege γ1 , γ und γ2 so erhalten wir einen Weg von p nach q. 71 4 Die Fundamentalgruppe In diesem Kapitel führen wir die Fundamentalgruppe ein. Es handelt sich um eine wichtige algebraische Invariante eines (punktierten) topologischen Raums. Mit der Hilfe dieser Gruppe werden wir u.a. zeigen können, dass R2 und R3 nicht homöomorph sind. Die Strategie ist die folgende. Wir werden zeigen, dass die Ebene ohne Ursprung R2 r {0} nicht zu R3 r {0} homöomorph ist. Die Fundamentalgruppe vermag das “Loch” in R2 r {0} vom “Loch” in R3 r {0} zu unterscheiden. Das dahinter liegende geometrische Prinzip ist schön und einleuchtend. Man stellt sich eine Schleife vor, die am Punkt (1, 0) in R2 befestigt ist, und den Punkt 0 ∈ R2 umschlingt aber nicht berührt. Die Schleife liegt also in R2 r {0}. Anschaulich lässt sie sich nicht “zusammenziehen”, ohne den Punkt 0 zu durchlaufen. Im R3 hingegen gibt es genug Platz, man kann die dritte Dimension ausnutzen, um den Nullpunkt zu vermeiden: Eine am Punkt (1, 0, 0) fixierte Schleife die komplett in R3 r {0} liegt, lässt sich problemlos zum Punkt (1, 0, 0) zusammenziehen. Diese Anschauung wollen wir nun mathematisch präzisieren. In diesem Kapitel trägt [0, 1] stets die Standardtopologie. 4.1 Homotopieäquivalenz Wir möchten Schleifen und Wege “deformieren”. Es handelt sich dabei um einen Spezialfall einer Homotopie zwischen Abbildungen. Definition 4.1. Seien X und Y topologische Räume und f0 , f1 : X → Y stetige Abbildungen. Eine Homotopie zwischen f0 und f1 ist eine stetige Abbildung H : X × [0, 1] → Y mit H(x, 0) = f0 (x) und H(x, 1) = f1 (x). Man sagt, dass f0 zu f1 homotop ist. In dieser Definition kann man sich t als Zeit-variable vorstellen und die Funktion H interpoliert stetig zwischen f0 und f1 . Bemerkung. Homotop zu sein ist eine Äquivalenzrelation. (R) Jede stetig Abbildung f : X → Y ist zu sich selbst vermöge H(x, t) = f (x) homotop. (S) Ist H eine Homotopie zwischen f0 : X → Y und f1 : X → Y , so erhalten wir eine Homotopie in umgekehrter Richtung, in dem wir die Zeit umdrehen. Wir setzen H 0 (x, t) = H(x, 1 − t) 73 4 Die Fundamentalgruppe und damit gilt H 0 (x, 0) = H(x, 1) = f1 (x) und H 0 (x, 1) = H(x, 0) = f0 (x). (T) Seien f0 , f1/2 , f1 : X → Y stetige Abbildungen, H 0 eine Homotopie zwischen f0 und f1/2 und H 00 eine Homotopie zischen f1/2 und f1 . Dann ist H(x, t) = H 0 (x, 2t) : für t ∈ [0, 1/2], H 00 (x, 2t − 1) : für t ∈ [1/2, 1] eine Abbildung H : X × [0, 1] → Y mit H(x, 0) = f0 (x) und H(x, 1) = f1 (x). Wegen H 0 (x, 1) = f1/2 (x) = H 00 (x, 0) ist H wohldefiniert und sogar stetig.1 Also ist f0 zu f1 homotop. Wir schreiben f ' g, falls stetige Abbildungen f, g : X → Y homotop sind. Beispiel 4.2. Sei f : Rm → Rm die konstante Abbildung f (x) = 0. Dann ist idRm ' f , weil H(x, t) = (1 − t)x eine Homotopie zwischen der Identitätsabbildung und f ist. Definition 4.3. Zwei topologische Räume X und Y heissen homotopieäquivalent, falls es stetige Abbildungen f : X → Y und g : Y → X mit g ◦ f ' idX und f ◦ g ' idY (4.1) gilt. Beispiel 4.4. (i) Sind f : X → Y und g : Y → X stetige Abbildungen mit g ◦f = idX und f ◦ g = idY , so gilt insbesondere (4.1). Also sind homöomorphe Räume auch homotopieäquivalent. (ii) Der Raum Rm ist zum einpunktigen Raum {∗} homotopieäquivalent. Dies folgt direkt aus Beispiel 4.2. Definition 4.5. Ein topologischer Raum, welcher zum einpunktigen Raum {∗} homotopieäquivalent ist, heisst zusammenziehbar. In dieser Sprache ist Rm zusammenziehbar. Wir werden später sehen, dass der Einheitskreis S 1 nicht zusammenziehbar ist. Wie wir in der Einleitung dieses Kapitels gesehen haben, spielen Homotopien von Wegen eine wichtige Rolle. Dabei möchten wir uns auf Homotopien beschränken, die Endpunkte festhalten. 1 Ist ein topologischer Raum Z Vereinigung zweier abgeschlossener Teilmengen A und B und ist f : Z → Y eine Abbildung mit f |A : A → Y und f |B : B → Y stetig, so ist f stetig. Wir werden diese elementare Aussage oft stillschweigend anwenden. 74 4.2 Verknüpfung von Homotopieklassen Definition 4.6. Seien X und Y topologische Räume und M ⊆ X eine Teilmenge. Zwei stetige Abbildungen f0 , f1 : X → Y mit f0 |M = f1 |M heissen homotop relativ zu M , falls eine Homotopie H : X × [0, 1] → Y zwischen f0 und f1 existiert, die zusätzlich H(x, t) = f0 (x) = f1 (x) für alle x ∈ M und t ∈ [0, 1] erfüllt. In diesem Fall schreiben wir f0 'M f1 . Man nennt H eine Homotopie zwischen f0 und f1 relativ zu M . Bemerkung. (i) Ohne Schwierigkeiten zeigt man wie auf Seite 4.1, dass 'M eine Äquivalenzrelation definiert. (ii) Wenn wir von einem homotopen Weg γ1,2 : [0, 1] → X sprechen oder γ1 ' γ2 schreiben, werden wir stillschweigend davon ausgehen, dass sie homotop relativ zu {0, 1} sind. Dies bedeutet, γ1 (0) = γ2 (0) und γ1 (1) = γ2 (1) und dass die implizite Homotopie zwischen γ1 und γ2 die Endpunkte festhält. 4.2 Verknüpfung von Homotopieklassen Die in Abschnitt 3.2.1 definierte Verknüpfung von Wegen ist der Ausgangspunkt für die Definition der Fundamentalgruppe. Um eine Gruppenstruktur zu erhalten, müssen wir zuerst homotope Wege (relativ zu {0, 1}) identifizieren. Definition 4.7. Ist X ein topologischer Raum und γ : [0, 1] → X ein Weg, so bezeichnet n o 0 0 [γ] = γ : [0, 1] → X; γ ist homotop zu γ relativ zu {0, 1} die Homotopieklasse von γ relativ zu {0, 1}. Die Homotopieklasse eines konstanten Wegs : [0, 1] → X wird das Einselement der Fundamentalgruppe sein. Lemma 4.8. Sei X ein topologischer Raum und γ1,2 : [0, 1] → X Wege mit γ1 (1) = γ2 (0). 0 Seien γ1,2 : [0, 1] → X weitere Wege mit den gleichen Anfangs- und Endpunkte wie γ1,2 und mit γi ' γi0 für i ∈ {0, 1}. Dann gilt γ1 γ2 ' γ10 γ20 und insbesondere ist die Verknüpfung ([γ1 ], [γ2 ]) 7→ [γ1 γ2 ] wohldefiniert. 75 4 Die Fundamentalgruppe Beweis. Sei H : [0, 1] × [0, 1] → X eine Homotopie zwischen γ1 und γ10 , dann ist H(2s, t) : für s ∈ [0, 1/2], 0 H (s, t) = γ2 (2s − 1) : für s ∈ [1/2, 1] eine Homotopie zwischen γ1 γ2 und γ10 γ2 . Also gilt γ1 γ2 ' γ10 γ2 . Völlig analog zeigt man γ10 γ2 ' γ10 γ20 , was wegen Transitivität zu zeigen war. Wir werden nun sukzessive nachweisen, dass man eine Gruppenstruktur aus dieser Verknüpfung gewinnen kann. Lemma 4.9. Sei X ein topologischer Raum und : [0, 1] → X eine konstante Abbildung. (i) Seien γ1,2,3 : [0, 1] → X Wege mit γ1 (1) = γ2 (0) und γ2 (1) = γ3 (0). Dann darf man Klammern umsetzen: [(γ1 γ2 )γ3 ] = [γ1 (γ2 γ3 )] (ii) Für jeden Weg γ : [0, 1] → X gilt [γ] = [γ] falls γ(1) = (0) und [γγ 0 ] = [] falls γ(0) = (0) wobei γ 0 (s) = γ(1 − s). Beweis. Der Weg (γ1 γ2 )γ3 durchläuft zuerst γ1 mit vierfacher Geschwindigkeit, dann γ2 wieder mit vierfacher Geschwindigkeit und schliesslich γ3 mit doppelter Geschwindigkeit. Bei γ1 (γ2 γ3 ) ist die Geschwindigkeit von γ1 um Faktor zwei höher und γ3 um Faktor vier. In anderen Worten, (γ1 γ2 )γ3 = (γ1 (γ2 γ3 )) ◦ ϕ wobei ϕ : [0, 1] → [0, 1] bijektiv, stetig und monoton steigend ist. Die gesuchte Homotopie zwischen (γ1 γ2 )γ3 und (γ1 (γ2 γ3 )) ist H(s, t) = (γ1 (γ2 γ3 ))((1 − t)ϕ(s) + ts). Somit ist (i) bewiesen. Der Beweis von (ii) ist ähnlich. Eine Homotopie zwischen γ und γ ist γ(2s/(1 + t)) : für s ∈ [0, (1 + t)/2], H(s, t) = (0) : für s ∈ [(1 + t)/2, 1]. Der Weg γγ 0 läuft von γ(0) mit doppelter Geschwindigkeit nach γ(1) und dann mit doppelter Geschwindigkeit rückwärts zurück. Eine mögliche Homotopie zwischen γγ 0 und ist γ(2s(1 − t)) : für s ∈ [0, 1/2], 0 H (s, t) = γ(2(1 − s)(1 − t)) : für s ∈ [1/2, 1]. Also sind beide Aussagen von (ii) bewiesen. 76 4.2 Verknüpfung von Homotopieklassen Die Grundlage für die Fundamentalgruppe bilden die Schleifen. Definition 4.10. Sei X ein topologischer Raum. Eine Schleife γ ist ein Weg, d.h. eine stetige Abbildung [0, 1] → X, mit γ(0) = γ(1). Arbeiten wir mit Schleifen die an einem festen Punkt fixiert sind, so müssen wir uns nicht darum sorgen, dass Anfangs- und Endpunkte zueinander passen. Das letzte Lemma garantiert, dass alle Gruppenaxiome für Homotopieklassen von Schleifen mit festem Anfangspunkt erfüllt sind. Definition 4.11. Sei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X. Die Fundamentalgruppe oder erste Homotopiegruppe von (X, x0 ) ist die Menge π1 (X, x0 ) = {[γ]; γ : [0, 1] → X ist eine Schleife mit γ(0) = γ(1) = x0 } mit der Verknüpfung aus Lemma 4.9 und dem Einselement [] wobei (s) = x0 für s ∈ [0, 1]. Man nennt x0 Basispunkt. Beispiel 4.12. Sei X = S 1 und x0 = 1 ∈ S 1 . Ist n ∈ Z, so repräsentiert die Schleife γn (s) = e2πin , s ∈ [0, 1] ein Element [γn ] ∈ π1 (S 1 , 1). Wir werden zeigen, dass π1 (S 1 , 1) als Gruppe zu Z isomorph ist, wobei [γ1 ] und [γ−1 ] zwei Erzeuger sind. Diese Aussage wird uns eine Weile beschäftigen und wir müssen theoretische Vorarbeiten leisten. Die Fundamentalgruppe ist ein Funktor. Wir werden diesen Begriff hier nicht definieren, sondern explizit beschreiben. Bemerkung. Seien X und Y topologische Räume und x0 ∈ X, y0 ∈ Y . Sei f : X → Y eine stetige Abbildung mit f (x0 ) = y0 . Für eine Schleife γ : [0, 1] → X mit γ(0) = x0 setzen wir f∗ γ = f ◦ γ. Es handelt sich um eine Schleife mit f∗ γ(0) = f (x0 ) = y0 . D.h. [f∗ γ] ∈ π1 (Y, y0 ). Wir werden nun zeigen, dass [f∗ γ] = [f∗ γ 0 ], falls γ 0 : [0, 1] → X eine Schleife ist, mit γ 0 (0) = x0 und [γ] = [γ 0 ]. Sei dazu H : [0, 1] × [0, 1] → X eine Homotopie zwischen γ und γ 0 relativ zu {0, 1}. Dann ist f ◦ H : [0, 1] × [0, 1] → Y eine Homotopie zwischen f ◦ γ und f ◦ γ 0 relativ zu {0, 1}. Es folgt [f∗ γ] = [f∗ γ 0 ], was zu zeigen war. Jede stetige Abbildung f wie oben induziert eine wohldefinierte Abbildung f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) [γ] 7→ [f∗ γ]. Man überprüft sofort, dass f∗ (γ1 γ2 ) = (f∗ γ1 )(f∗ γ2 ) gilt, für Schleifen γ1,2 → X mit γ1 (0) = γ2 (0) = x0 . Folglich gilt f∗ ([γ1 ][γ2 ]) = f∗ ([γ1 γ2 ]) = [f∗ (γ1 γ2 )] = [(f∗ γ1 )(f∗ γ2 )] = [f∗ γ1 ][f∗ γ2 ] = f∗ ([γ1 ])f∗ ([γ2 ]). In anderen Worten, f∗ ist ein Gruppenhomomorphismus π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ). 77 4 Die Fundamentalgruppe Wir beweisen noch einige wichtige Eigenschaft dieser Konstruktion. Lemma 4.13. Seien X, Y, und Z topologische Räume, x0 ∈ X, y0 ∈ Y, und z0 ∈ Z. (i) Für stetige Abbildungen g : X → Y und f : Y → Z mit f (y0 ) = z0 und g(x0 ) = y0 gilt (f g)∗ = f∗ g∗ . (ii) Es gilt (IdX )∗ = Idπ1 (X,x0 ) . (iii) Sind f1 , f2 : X → Y homotop relativ zu {x0 } mit f1 (x0 ) = f2 (x0 ) = y0 , so gilt (f1 )∗ = (f2 )∗ . (iv) Seien f : X → Y und g : Y → X stetig mit f (x0 ) = y0 , g(y0 ) = x0 , f ◦ g '{y0 } IdY , und g ◦ f '{x0 } IdX , so ist f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) ein Gruppenisomorphismus. Beweis. Teile (i) und (ii) folgen direkt aus der Definition. Um Teil (iii) zu zeigen, sei H : X × [0, 1] → Y eine Homotopie relativ zu {x0 } zwischen f1 und f2 . Für eine Schleife γ : [0, 1] → X mit γ(0) = x0 setzen wir H 0 (s, t) = H(γ(s), t) und erhalten eine stetige Abbildung [0, 1] × [0, 1] → Y . Es gilt H 0 (s, 0) = H(γ(s), 0) = f1 (γ(s)) und analog H 0 (s, 1) = f2 (γ(s)). Also ist H 0 eine Homotopie zwischen f1 ◦ γ und f2 ◦ γ. Wegen H 0 (0, t) = H(x0 , t) und H 0 (1, t) = H(x0 , t) ist diese Homotopie relativ zu {0, 1}. Also gilt (f1 )∗ ([γ]) = (f2 )∗ ([γ]) für alle [γ] ∈ π1 (X, x0 ). Hieraus folgt Teil (iii). Teil (iv) folgt aus den ersten drei Teilen: Aus f ◦ g '{y0 } IdY und Teil (iii) folgt (f ◦ g)∗ = (IdY )∗ . Teil (ii) impliziert, dass (f ◦ g)∗ auf π1 (Y, y0 ) die Identitätsabbildung ist. Schliesslich ist auch f∗ ◦ g∗ ebenfalls die Identität wegen (i). Völlig analog ist g∗ ◦ f∗ die Identität auf π1 (X, x0 ). Also ist f∗ ein Gruppenisomorphismus. 4.3 Mehr zu Homotopie Der Schlüssel zur Berechnung der Fundamentalgruppe π1 (S 1 , 1) ist die durch x 7→ e2πix definierte Abbildung R → S 1 . Es handelt sich um einen Spezialfall einer Überlagerung. Definition 4.14. Sei X ein topologischer Raum. Eine Überlagerung von X ist ein e p), wobei X e topologischer Raum und p : X e → X eine stetige Abbildung ist mit Paar (X, S der folgenden Eigenschaft. Es gibt eine offene Überdeckung X = i∈I Ui so, dass jedes S eij von offenen Teilmengen von X e ist, Urbild p−1 (Ui ) eine disjunkte Vereinigung j∈J U eij → Ui ein Homöomorphismus für alle j ∈ J. mit p|Ueij : U 78 4.3 Mehr zu Homotopie Beispiel 4.15. Sei p : R → S 1 die durch x 7→ e2πix definierte stetige Abbildung. Wir haben bereits in Beispiel 1.45(i) gesehen, dass p eine offene Abbildung ist. Also bilden U1 = {e2πix ; 0 < x < 1} und U2 = {e2πix ; 1/2 < x < 3/2} eine offene Überdeckung von S 1 . Es gilt p−1 (U1 ) = (0, 1)+Z und p−1 (U2 ) = (1/2, 3/2)+Z. Also ist (R, p) eine Überlagerung von S 1 . Als wichtiges technisches Hilfsmittel halten wir das folgende Lemma fest. Grob gesagt, könnten wir Wege zu der Überlagerung liften. Der Lift ist eindeutig bis auf die Wahl des Anfangpunktes. e p) eine Überlagerung eines topologischen Raums X. Lemma 4.16. Sei (X, e mit p(e (i) Sei γ : [0, 1] → X ein Weg und x e0 ∈ X x0 ) = γ(0). Dann gibt es genau e einen Weg γ e : [0, 1] → X mit γ e(0) = x0 und p ◦ γ e = γ (der Lift von γ an x0 ). e (ii) Sei Y ein topologischer Raum, H : Y ×[0, 1] → X eine Homotopie und fe0 : Y → X eine stetige Abbildung mit p(fe0 (y)) = H(y, 0). e : Y × [0, 1] → X e mit H(y, e 0) = fe0 (y) (der Dann existiert genau eine Homotopie H Lift von H an fe) Beweis. Teil (i) folgt aus Teil (ii) mit derSWahl Y = {∗}, fe0 (∗) = x e0 und H = γ. Es reicht also Teil (ii) zu zeigen. Sei X = i Ui eine Überdeckung wie in Definition 4.14. Schritt I (Existenz eines lokalen Lifts). Behauptung: Zu jedem y ∈ Y gibt es eine e =H e y : V × [0, 1] → X e von H an fe, d.h. Umgebung V = Vy von y in Y und ein Lift H e = H|V ×[0,1] . p◦H Die Homotopie H ist stetig. Also existiert für jedes t ∈ [0, 1] eine Umgebung Vt × It von (y, t) in Y ×[0, 1] mit H(Vt ×It ) ⊆ Ui für ein i. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit sind die It Intervalle. Sie bilden eine offene Überdeckung von [0, 1]. Wegen Korollar 2.36(i) ist dieser Raum kompakt, also wird er bereits von endlich vielen Intervallen überdeckt. Ohne Einschränkung gibt es 0 = t0 < t1 < · · · < tn = 1 (4.2) mit H(Vti × [ti , ti+1 ]) ⊆ Ui für 0 ≤ i ≤ n − 1. Wir bilden den endlichen Schnitt aller Vti und erhalten eine Umgebung V von y mit H(V × [ti , ti+1 ]) ⊆ Ui für alle 0 ≤ i ≤ n − 1. (4.3) e existiere Wir zeigen die Behauptung mittels Induktion auf i und nehmen an, der Lift H auf V × [0, ti ] mit i ≥ 0. Der Induktionsanfang i = 0 ist durch die Voraussetzung, d.h. 79 4 Die Fundamentalgruppe ei fe0 , erledigt. Aus der Definition der Überlagerung folgt, dass es eine offene Teilmenge U e ti ) ∈ U ei erfüllt. gibt, welche vermöge p homöomorph auf Ui abgebildet wird und H(y, −1 e e Wir ersetzen V × {ti } durch H| V ×{ti } (Ui ). Dann bleibt V eine Umgebung von y und e ei . Die Verknüpfung p|−1 ◦ H|V ×[t ,t ] ist wegen (4.3) wohldefiniert. H(V × {ti }) ⊆ U ei U i i+1 Diese Verknüpfung stimmt auf V × {ti } mit dem Lift aus der Induktionsvoraussetzung überein. Wir können stetige Funktion zu stetige Funktionen verkleben, vgl. Fussnote auf Seite 74. Also erhalten wir einen Lift auf V × [0, ti+1 ]. Unsere Behauptung und Schritt I folgt nun aus Induktion. Schritt II (Eindeutigkeit im Spezialfall Y = {∗}). Bevor wir den lokalen Lift auf Y × [0, 1] fortsetzen, werden wir die Eindeutigkeitsaussage für den einpunktigen Raum Y = {∗} beweisen. Wir kürzen {∗} × [0, 1] durch [0, 1] ab. Es reicht die folgende e H e 0 : [0, 1] → X e eines Weges H : [0, 1] → X an Behauptung zu beweisen. Zwei Lifts H, e e 0 (0) sind identisch. Wie in Schritt I können wir die Kompaktheit von [0, 1] H(0) = H ausnutzen, um t0 , t1 , . . . , tn mit (4.2) und H([ti , ti+1 ]) ⊆ Ui für 0 ≤ i ≤ n − 1 (4.4) e und H e 0 auf [0, ti ] übereinstimmen. Das Intervall zu finden. Wir nehmen an, dass H e i , ti+1 ]) wegen [ti , ti+1 ] ist zusammenhängend wegen Lemma 2.22(i) und das Bild H([t −1 Lemma 2.28(i) ebenfalls. Aus (4.4) sehen wir, dass dieses Bild in p (Ui ) liegt. Aber e die einzelnen p−1 (Ui ) ist eine disjunkte Vereinigung von offenen Teilmengen von X, e ei , Mengen enthalten also die Zusammenhangskomponenten. Folglich gilt H([ti , ti+1 ]) ⊆ U ei ein Mitglied der Vereinigung ist. Das selbe Argument funktioniert für H e 0 und wobei U e i) = H e 0 (ti ) erhalten wir H([t e i , ti+1 ]) ⊆ U ei . Es handelt sich hier um Lifts, also wegen H(t folgt e e 0 (t)) für t ∈ [ti , ti+1 ]. p(H(t)) = H(t) = p(H ei injektiv ist, gilt H(t) e e 0 (t) für t ∈ [ti , ti+1 ]. Schritt II folgt aus Induktion. Weil p auf U =H e auf Y × [0, 1]). Jedes y ∈ Y besitzt wegen Schritt I Schritt III (Existenz von H e y : Vy × [0, 1] → X e an fe|Vy . Sind y, y 0 ∈ Y und eine Umgebung Vy ⊆ Y und einen Lift H y 00 ∈ Vy ∩ Vy0 , so haben wir e y (y 00 , 0) = fe(y 00 ) = H e y0 (y 00 , 0). H e y und H e y0 auf (Vy ∩ Vy0 ) × {0} überein. Wegen Schritt II sind sie sogar Also stimmen H e y (y, t) ist eine wohldefinierte auf (Vy ∩ Vy0 ) × [0, 1] identisch. Die Vorschrift (y, t) 7→ H e : Y ×[0, 1] → X. e Weil ihre Einschränkung auf die offenen Mengen Vy ×[0, 1] Abbildung H e stetig. Hieraus folgt die Existenz aus Teil (ii) des Lemmas. stetig sind, ist H e Sind H e und H e 0 zwei Lifts von H, so gilt für y ∈ Y Schritt IV (Eindeutigkeit von H). e 0) = fe(y) = H e 0 (y, 0). Wir wenden Schritt II wieder an, und schliessen die Identität H(y, e t) = H e 0 (y, t) für alle t ∈ [0, 1]. H(y, Bemerkung. Der zweite Teil dieses Lemmas heisst Homotopie Lifting Lemma. 80 4.4 Berechnung der Fundamentalgruppe 4.4 Berechnung der Fundamentalgruppe Satz 4.17. Sei γn : [0, 1] → S 1 die Schleife γn (s) = e2πins für n ∈ Z. Es gilt [γn ] = [γ1 ]n in π1 (S 1 , 1) und ϕ(n) = [γn ] definiert einen Gruppenisomorphismus ϕ : Z → π1 (S 1 , 1). Beweis. Für n ≥ 1 ist die n-fache Verknüpfung γ1 · · · γ1 eine Umparametrisierung von | {z } n mal γn . Wie im Beweis von Lemma 4.9(i) folgt, dass γn zu dieser Verknüpfung homotop ist relativ zu {0, 1}, d.h. [γn ] = [γ1 ]n . Diese Gleichung gilt auch für negative n, da γ1−1 = γ−1 . Sie gilt trivialerweise auch für n = 0. Somit ist die erste Behauptung bewiesen. Folglich ist die Abbildung ϕ ein Gruppenhomomorphismus. Es bleibt zu zeigen, dass er bijektiv ist. Dafür brauchen wir die Überlagerung p : R → S 1 , welche durch p(x) = e2πix definiert ist, sowie das Homotopie Lifting Lemma. Wir beweisen zuerst die Surjektivität. Sei γ : [0, 1] → S 1 eine beliebige Schleife mit γ(0) = 1. Wegen Lemma 4.16(i) gibt es einen Weg γ e : [0, 1] → R, der Lift, mit p ◦ γ e = γ. Wir dürfen den Anfangspunkt frei wählen und verlangen daher γ e(0) = 0. Obwohl γ eine Schleife ist, ist γ e nur ein Weg, d.h. der Endpunkt γ e(1) kann ungleich γ e(0) sein. Auf jeden 2πie γ (1) Fall gilt e = γ(1) = 1, also γ e(1) = n ∈ Z. Die Abbildung e t) = (1 − t)e H(s, γ (s) + stn ist eine Homotopie zwischen γ e und dem Weg s 7→ sn relativ zu {0, 1}. Die Verkettung e p ◦ H liefert eine Homotopie zwischen e 0) = p ◦ γ e 1) = γn p ◦ H(·, e und p ◦ H(·, relativ zu {0, 1}. Es gilt also [γ] = [γn ] und hieraus folgt die Surjektivität von ϕ. Injektivität benötigt den zweiten Teil des Homotopie Lifting Lemmas mit Y = [0, 1]. Sei n ∈ Z so, dass ϕ(n) = [γn ] trivial ist in der Fundamentalgruppe. Es gibt also eine Homotopie H : [0, 1] × [0, 1] → S 1 zwischen γn und der konstanten Schleife (s) = 1 e : [0, 1] × [0, 1] → R relativ zu {0, 1}. Wir heben diese Homotopie zu einer Homotopie H e = H, dabei dürfen wir H(s, e 0) = sn annehmen. mit p ◦ H Weil die Homotopie H relativ zu {0, 1} ist, gilt H(0, t) = H(1, t) = 1 für alle t ∈ [0, 1]. e bedeutet dies H(0, e t), H(1, e t) ∈ Z. Die stetigen Funktionen t 7→ H(0, t) und Für H t 7→ H(1, t) müssen auf [0, 1] konstant sein, da [0, 1] zusammenhängend ist und Z als Teilraum von R die diskrete Topologie trägt. Es folgt e 0) = H(0, e 1) und n = H(1, e 0) = H(1, e 1). 0 = H(0, (4.5) Aber s 7→ H(s, 1) = (s) ist konstant und aus ähnlichem Grund wie oben folgt, dass e 1) konstant ist. Es folgt H(0, e 1) = H(1, e 1). Wir erinnern uns an (4.5) und s 7→ H(s, folgern n = 0, was zu zeigen war. Achtung. Die Fundamentalgruppe ist im Allgemeinen keine abelsche Gruppe. 81 4 Die Fundamentalgruppe Lemma 4.18. Seien X und Y topologische Räume, f : X → Y ein Homöomorphismus und x0 ∈ X. Dann ist f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, f (x0 )) ein Gruppenisomorphismus. Beweis. Das Lemma folgt direkt aus Lemma 4.13(iv). Satz 4.19. Sei m ∈ N so, dass Rm zu R2 homöomorph ist. Dann gilt m = 2. Beweis. Später. Dieser Satz ist eine Anwendung unseres Wissens über die Fundamentalgruppe von S 1 . Bevor wir ihn beweisen, benötigen wir ein letztes Lemma. Lemma 4.20. Sei m ∈ N mit m ≥ 3 und x0 ∈ Rm r {0}. Dann ist π1 (Rm r {0}, x0 ) die triviale Gruppe. Beweis. Sei γ : [0, 1] → Rm r {0} eine Schleife mit γ(0) = x0 . Als Erstes werden wir zeigen, dass γ zu einer stückweise linearen Schleife homotopieäquivalent relativ zu {0, 1} ist. Jeder Punkt γ(s) mit s ∈ [0, 1] liegt in einer offenen Kugel Br(s) (γ(s)) bzgl. der euklidischen Norm welche den Punkt 0 ∈ Rm nicht enthält. Die Mengen γ −1 (Br(s) (γ(s))) bilden eine offene Überdeckung des kompakten Raums [0, 1]. Es gibt 0 = s0 < s1 < · · · < sn = 1 mit γ([si−1 , si ]) ⊆ Bri (ai ) mit ri > 0 und ai ∈ Rm für 1 ≤ i ≤ n. Wir dürfen auch hier 0 6∈ Bri (ai ) annehmen. Wir definieren s − si−1 s − si−1 γ(si ) falls s ∈ [si−1 , si ]. (4.6) γ(si−1 ) + l(s) = 1 − si − si−1 si − si−1 Diese Abbildung verbindet γ(si−1 ) mit γ(si ) stückweise linear, sie ist also stetig und es gilt l(0) = l(1) = γ(0). Da das Bild von γ auf [si−1 , si ] in der (konvexen) Kugel Bri (ai ) enthalten ist, ist auch das Bild von l auf diesem Intervall in der Kugel enthalten. Insbesondere gilt l(s) 6= 0 für alle s ∈ [0, 1]. Die Schleifen γ und l sind vermöge H(s, t) = (1 − t)γ(s) + tl(s) homotop relativ zu {0, 1}. Wegen der Konvexität von Kugeln ist das Bild von H in Rm r {0} enthalten. Folglich gilt [γ] = [l]. Wir müssen zeigen, dass [l] = [] mit (s) = x0 für s ∈ [0, 1] gilt. Ein Kandidat für eine Homotopie ist H 0 (s, t) = (1 − t)l(s) + tx0 . Aber jetzt gibt es ein Problem. Es ist a priori nicht klar, dass H 0 Werte in Rm r {0} annimmt. Es könnte sein, dass es s, t ∈ [0, 1] gibt mit (1−t)l(s)+tx0 = 0. Dies können wir nicht ausschliessen, ohne die Voraussetzung m ≥ 3 zu benutzen. Wäre diese Gleichheit erfüllt, so gäbe es wegen (4.6) ein 1 ≤ i ≤ n mit γ(si−1 ), γ(si ), x0 82 4.4 Berechnung der Fundamentalgruppe linear abhängig. Unsere Konstruktion von l erlaubt es uns, die Zwischenpunkte l(s1 ), . . . , l(sn−1 ) durch neue Zwischenpunkte in einer hinreichend kleinen Umgebung zu ersetzen. Es ist möglich, die Zwischenpunkte so zu pertubieren, dass keine lineare Abhängigkeit wie oben gelten kann. Man muss lediglich die Nullstellenmenge eines Polynoms in den Koordinaten der γ(si−1 ) vermeiden, welche von einer Determinantenbedingung kommt. Beweis von Satz 4.19. Angenommen Rm ist zu R2 homöomorph. Das Komplement R2 r {0} ist zu Rm r {z} homöomorph für ein z ∈ Rm . Nach einer Translation um −z dürfen wir z = 0 annehmen. Der Raum R r {0} = (−∞, 0) ∪ (0, +∞) ist nicht zusammenhängend und R2 r {0} ist sogar wegzusammenhängend. Also gilt m ≥ 2. Wir führen die durch x r(x) = kxk2 definierte stetige Abbildung r : Rm r {0} → S m−1 = {x ∈ Rm ; kxk2 = 1} in die (m − 1)Sphäre S m−1 ein.2 Bezeichnet i : S m−1 → Rm die Inklusion, so gilt r ◦ i = idS m−1 . Wir wenden Funktoralität der Fundamentalgruppe an. Die Verknüpfung r∗ ◦ i∗ ist auf π1 (S m−1 , x0 ) die Identitätsabbildung, (4.7) hier ist x0 = (1, 0, . . . , 0) ∈ S m−1 . Wir wissen aus Satz 4.17, dass π1 (S m−1 , x0 ) nicht die triviale Gruppe ist, falls m = 2. Aus (4.7) folgt, dass π1 (R2 r{0}, x0 ) nicht trivial ist. Nach Voraussetzung ist π1 (Rm r{0}, x0 ) nicht trivial und damit gilt m = 2 wegen Lemma 4.20. Korollar 4.21. Für m ≥ 2 ist π1 (S m , x0 ) die triviale Gruppe für x0 = (1, 0, . . . , 0). Beweis. Wir behalten die Notation des Beweises von Satz 4.19 bei. Wir haben gesehen, dass r∗ ◦ i∗ die Identitätsabbildung auf der Fundamentalgruppe π1 (S m , x0 ) ist. Aber r∗ : π1 (Rm+1 r {0}, x0 ) → π1 (S m , x0 ) ist wegen Lemma 4.20 der triviale Gruppenhomomorphismus. Folglich ist r∗ ◦ i∗ ebenfalls trivial, was zu zeigen war. Als letzte Anwendung werden wir einen Spezialfall des Satzes von Borsuk-Ulam über die 2-Sphäre S 2 . Satz 4.22 (Borsuk-Ulam in Dimension 2). Für jede stetige Abbildung f : S 2 → R2 gibt es x ∈ S 2 mit f (x) = f (−x). Insbesondere existiert keine stetige und injektive Abbildung S 2 → R2 . Beweis. Wir nehmen an, dass es f : S 2 → R2 gibt mit f (x) 6= f (−x) für alle x ∈ S 2 . Dann ist f (x) − f (−x) g(x) = kf (x) − f (−x)k2 eine stetige Abbildung g : S 2 → S 1 . 2 Wir identifizieren hier C mit R2 im Falle m = 2. 83 4 Die Fundamentalgruppe Sei γ : [0, 1] → S 2 die Schleife γ(s) = (cos 2πs, sin 2πs, 0) um den Äquator und η = g ◦ γ : [0, 1] → S 1 seine Verkettung mit g, wobei η(0) = y0 . Es gilt γ(s + 1/2) = −γ(s) für s ∈ [0, 1/2] und f (−x) − f (x) = −g(x). g(−x) = kf (−x) − f (x)k2 Also η(s + 1/2) = −η(s) auf [0, 1/2]. Wie im Beweis von Satz 4.17 wenden wir Lemma 4.16(i) an, und heben η zu einem Weg ηe : [0, 1] → R mit e2πieη(0) = y0 . Die Funktionalgleichung aus dem letzten Paragraphen ergibt e2πieη(s+1/2) = η(s + 1/2) = −η(s) = e2πi(eη(s)+1/2) auf [0, 1/2]. Aus der Stetigkeit von η folgt, dass es n ∈ Z gibt, mit ηe(s + 1/2) = ηe(s) + n + 1/2 auf [0, 1/2]. Wir werten diese Gleichheit bei s = 0 und s = 1/2 aus, erhalten dabei ηe(1/2) = ηe(0) + n + 1/2 und ηe(1) = ηe(1/2) + n + 1/2, also ηe(1) = ηe(0) + 2n + 1 = 2n + 1. Die Schleife η in S 1 ist homotopieäquivalent zu γ2n+1 in der Notation von Satz 4.17. Wegen 2n+1 6= 0 ist daher [η] nicht das neutrale Element in π1 (S 1 , y0 ). Es gilt [η] = g∗ [γ] wegen η = g ◦ γ. Aus dem Korollar oben folgt, dass π1 (S 2 , x0 ) die triviale Gruppe ist mit x0 = (1, 0, 0) ∈ S 2 . Also ist g∗ : π1 (S 2 , x0 ) → π1 (S 1 , y0 ) ebenfalls trivial. Aber π1 (S1 , y0 ) ist vermöge der Drehung s 7→ y0−1 e2πis isomorph zu π1 (S 1 , 1) wegen Lemma 4.18. Damit müsste aber [η] doch das neutrale Element sein. Dies ist ein Widerspruch. 4.5 Ausblick 4.5.1 Poincaré Vermutung – der Satz von Perelman Die Klassifikation von topologischen Räumen ist, wie bereits angedeutet, ein wildes Problem: man erwartet keine vollständige Lösung zu finden. Aus diesem Grund (und auch weil viele topologische Räume nicht unserer täglichen Anschauung entsprechen) beschränkt man sich gerne auf topologische Räume, die dem Rm ähneln. Definition 4.23. Sei n ≥ 0 eine ganze Zahl. Eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit ist ein Hausdorffraum X 6= ∅ der das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt und so dass jeder Punkt aus X eine offene Umgebung besitzt, die zu Rn homöomorph ist. Beispiel 4.24. Natürlich ist der Rn eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit. Weiterhin ist auch S 1 eine 1-dimensionale Mannigfaltigkeit, vgl. Beispiel 4.15. Der folgende Satz ist zugänglich mit unseren Methoden. Wir liefern jedoch keinen Beweis. Satz 4.25. Jede zusammenhängende, 1-dimensionale Mannigfaltigkeit ist zu S 1 oder zu R homöomorph. Inbesondere gibt es bis auf Homöomorphismus nur eine kompakte, zusammenhängende, 1-dimensionale Mannigfaltigkeit. 84 4.5 Ausblick Beweis. Ein vollständiger Beweis befindet sich in Lees Buch [2, Theorem 5.27]. In Dimension drei werden die Schwierigkeiten grösser. Der folgende Satz von Perelman löste die Poincaré Vermutung – ein für ca. 100 Jahre offenes Problem. Sein Beweis ist jenseits unserer Methoden. Satz 4.26 (Perelman 2006). Sei X eine kompakte, zusammenhängende, 3-dimensionale Mannigfaltigkeit, so dass π1 (X, x0 ) trivial ist (für einen Punkt x0 ∈ X). Dann ist X zu S 3 homöomorph. 4.5.2 Höhere Homotopiegruppen Neben der Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) eines topologischen Raums X gibt es die höheren Homotopiegruppen πn (X, x0 ) für n ≥ 1. Bei den höheren Homotopiegruppen spielt der Hyperwürfel [0, 1]n die Rolle des Intervalls [0, 1] und die Seitenflächen S = {(s1 , . . . , sn ) ∈ [0, 1]n ; si ∈ {0, 1} für alle 1 ≤ i ≤ n} ersetzen {0, 1}. Ein Element aus πn (X, x0 ) ist [γ], die Homotopieklasse relativ zu R einer stetigen Abbildung γ : [0, 1]n → X mit γ|R = x0 . Im Spezialfall n = 1 entspricht dies der Definition 4.7. Man kann ebenfalls zwei stetige Abbildungen γ1,2 : [0, 1] → X wie folgt verknüpfen γ1 (2s1 , s2 , . . . , sn ) : für 0 ≤ s1 ≤ 1/2, (γ1 γ2 )(s1 , . . . , sn ) = γ2 (2s1 − 1, s2 , . . . , sn ) : für 1/2 ≤ s1 ≤ 1. Diese Verknüpfung ist wohldefiniert im Sinne, dass die Zuordnung ([γ1 ], [γ2 ]) → [γ1 γ2 ] wohldefiniert, d.h. unabhängig von der Wahl der Representanten γ1,2 ist. Nun kann man weiter beweisen, dass πn (X, x0 ) mit dieser Verknüpfung und mit der konstanten Abbildung (s1 , . . . , sn ) = x0 eine Gruppe definiert. Ohne Beweis formulieren wir den folgenden Satz. Satz 4.27. Seien i ≥ 1 und n ≥ 1 ganze Zahlen und S n die Einheitsphäre im Rn+1 . Dann gilt Z : falls i = n, n ∼ πi (S ) = 0 : falls i < n. Beweis. Das ist Korollar 4.9 [1]. Für i > n ist die Situation viel komplizierter. 85 Literaturverzeichnis [1] Allen Hatcher, Algebraic topology, Cambridge University Press, Cambridge, 2002. [2] John M. Lee, Introduction to topological manifolds, second ed., Graduate Texts in Mathematics, vol. 202, Springer, New York, 2011. 87