§3 Rechnen mit komplexen Zahlen 3.1 Woher stammen die komplexen Zahlen Nun kommt einer meiner Lieblingsmonologe. Wie kommt man überhaupt auf die Idee der komplexen Zahlen? Um das zu erklären, muss ich erstmal ein wenig ausholen (wer lieber direkt zu dem Rechnen kommen will, sollte diesen Abschnitt überspringen)... Angefangen zu Zählen hat man mit den natürlichen Zahlen N = {1,2,3, · · · }. Das ging dann solange gut, bis man die Subtraktion verinnerlicht hatte – was passiert, wenn ich von zwei Objekten wieder zwei Objekte wegnehme? Man benötigte eine Null. Und wenn man schon dabei war, dann konnte man auch gleich die negativen Zahlen (z.B. Schulden) berücksichtigen. So kam man dann auf die ganzen Zahlen: Z = N ∪ (−N) ∪ {0}. Das Problem dabei war, dass diese Zahlen nur ganze Objekte“berücksichtigt haben. Was ist nun mit ” halben oder geviertelten Objekten? Daraus folgten die rationalen Zahlen: Q= Z N Damit konnte man dann auch eine lange Zeit rechnen, bis ein neues Problem aufgetaucht ist: Die Umkehrfunktion des Quadrats. Wenn ich weiß, dass q12 = q1 · q1 ist, gibt es dann auch ein q2 mit q1 = q2 · q2 (qi ∈ Q)? Die Antwort ist Nein, nicht für alle qi aus Q. Aus dieser Umkehrfunktion, auch bekannt als die Wurzel, entstanden zwei neue Zahlenbereiche. Beschränken wir uns zunächst auf die Wurzel von positiven rationalen Zahlen. √ Beispiel: 2. √ Man kann z.B. sagen, dass für die Funktion f (x) = x2 − 2 die Nullstelle xN = 2 ist. Diese Nullstelle kann man dann mit dem Newtonschen Verfahren annähern. Das Ergebnis der Näherung ist die Folge: √ xn+1 = 1/xn + xn /2. Diese (rekursive) Vorschrifft besagt: Wollen wir einen √ genaueren Ausdruck für 2 haben, müssen wir einen Anfangswert in diese Formel einsetzen, der Nahe 2 ist. Beispielsweise die 2. √ Wir sagen also√x0 = 2. Daraus folgt, dass x1 = 3/2 ist. Dieser Wert liegt nun näher an 2 als x = 2. 0 √ √ über einen Das Problem: 2 ist eine sogenannte reelle Zahl ( 2 ∈ R), dass bedeutet, 2 lässt sich nicht √ Bruch darstellen, wie etwa mit dieser Vorschrift. Wollen wir wirklich einen exakten Wert für 2 erhalten, müssen wir dieses Verfahren unendlich oft anwenden. Und dass ist der Grund, warum man zwischen reellen Zahlen R und rationalen Zahlen Q unterscheidet. Übrigens ist das auch der Grund warum die reellen Zahlen nicht abzählbar sind: Schon allein in den Intervall von zwei rationalen Zahlen q1 und q2 können unendlich viele reelle Zahlen liegen. So, nun kommen wir zu den komplexen Zahlen. Um die reellen Zahlen zu begründen, haben wir explizit nur positive rationale Zahlen betrachtet. Nun kümmern wir uns auch um die negativen. Zunächst müssen wir uns dazu die Abbildung Quadrieren genauer verstehen. Wenn wir eine positive Zahl quadrieren, so vergrößern wir den Abstand der Zahl zur Null – das haben wir bereits geklärt. Quadrieren wir allerdings eine negative Zahl, so führen wir gleich zwei Operationen aus: Wir vergrößern den Abstand zur Null und wir kippen die Zahl auf die positive Achse. Abbildung 1: Quadrieren von 2 entspricht einer Streckung des Abstandes. Entspricht dann das Quadrieren von -2 einer Spieglung am Ursprung und einer Streckung des Abstandes? 1 Was genau ist mit kippen gemeint? Da die Abbildung Quadrieren sowohl für negative, wie auch positive Zahlen gleich definiert ist, kann das Kippen nicht eine Spieglung am Ursprung sein. Sonst wäre auch 22 = −4. Die Idee die man hierbei verfolgt hat ist die Folgende: Wir erweitern den Zahlenstrahl (eine Dimension) auf ein Koordinatensystem“(zwei Dimensionen) (siehe Abbildung 2). Um nun das Quadrat zu beschrei” ben sagen wir zunächst, dass wir einerseits die bekannte Operation, den Abstand zur Null vergrößern durchführen. Als zweite Operation drehen wir nun um das doppelte des Winkels zwischen der positiven Achse des ursprünglichen Zahlenstrahls und der Verbindungsgerade von Null zu unserer Zahl. Liegt diese Zahl auf der positiven Achse, ist der Winkel gleich Null, also passiert bei der zweiten Operation nichts. Liegt unsere Zahl auf der negativen Achse, hat unser Winkel eine Größe von 180◦ , π und die zweite Operation dreht den Winkel auf 360◦ , 2π – sie liegt nun auf der positiven Achse. Da wir nun die Abbildung Quadrieren verstehen, können wir nun die Wurzel genauer untersuchen. Da die Wurzel die Umkehrfunktion des Quadrats ist, muss sie die erste Operation umkehren – das Strecken wird zum Stauchen – und viel interesannter, die Umkehrung der zweiten Operation: Die Drehung um den doppelten Winkel wird zu einer Drehung um den halben Winkel (Abbildung 2). Abbildung 2: Die Komplexe Zahlenebene, mit der reellen x-Achse und der imaginären y-Achse. Eingezeichnet mit der Wuzel einer komplexen Zahl z1 . Befindet sich die Zahl, von der wir die Wurzel berechnen wollen, auf der positiven Achse, so ist der eingeschlossene Winkel φ = 0 und wir erhalten das Ergebnis, welches wir schon mit den reellen Zahlen ausdrücken konnten. Befindet sich nun allerdings eine Zahl auf der negativen Achse, so bedeutet eine Drehung um den halben Winkel, dass sie auf den neuen Zahlenstrahl landet – den sogenannten imaginären Zahlenstrahl. Beispielsweise: √ −1 = ±1 in imaginäre Richtung“ = ±i (1) ” Das ± wird später noch begründet. Und so lassen sich dann die komplexen Zahlen begründen, die eine Summe von reellen und imaginären Zahlen sind. Mit den zweidimensionalen, reellen Koordinaten, die man als komplexe Zahlen C bezeichnet ist noch lange nicht Schluss, es gibt noch die vierdimensionalen Quaternionen H und die acht-dimensionalen Oktonionen O, aber das ist eine andere Geschichte... 2 3.2 Relevantes über komplexe Zahlen Nach dem doch etwas länger gewordenen Monolog will ich die wichtigen (rechentechnischen) Eigenschaften der komplexen Zahlen z ∈ C zusammenfassen. • Eine Komplexe Zahl ist eine Zahl, die man so verstehen kann, dass sie in einem zwei zweidimensionalen Koordinatensystem lebt. Die x-Achse ist die reelle Achse, die y-Achse die Imaginäre. Man kann damit eine komplexe Zahl über zwei Möglichkeiten darstellen (1) Die euklidische Darstellung: x ist der Abstand auf der reellen Achse zum Ursprung, y ist der Abstand auf der imaginären Achse zum Ursprung, und i ist die imaginäre Zahl mit i2 = −1, die angibt, dass man in imaginäre Richtung läuft: x, y ∈ R , z ∈ C ; z = x + iy (2) Man sagt auch x ist der Realteil von z: x = Re(z) und y ist der Imaginärteil von z: y = Im(z). (2) Die Poladarstellung: Diese Darstellung entspricht dem, was ich versucht habe, in dem vorherigen Abschnitt zu erklären. Wir nutzen nun zwei alternative Größen (r und φ), um eine komplexe Zahl zu beschreiben. r ist der Abstand der komplexen Zahl zum Ursprung und φ ist der Winkel zwischen der positiven reellen Achse und der Verbindungsstrecke vom Ursprung zur komplexen Zahl (siehe Abbildung 2). Über die Winkelsätze lässt sich nun diese komplexe Zahl darstellen 1 . r ∈ R+ , φ ∈ [0,2π] , z ∈ C ; z = r(cos(φ) + i sin(φ)) (3) • Der Betrag einer komplexen Zahl (also der Abstand zum Ursprung) lässt sich auch, analog zur Vektorrechnung, mithilfe von dem Satz des Pythagoras berechnen: p (4) r = x2 + y 2 Mit Hilfe von r sowie x und y lässt sich φ über die Winkelsätze bestimmen. Analog kommt man mit φ und r auf x und y. • Für die Addition von komplexen Zahlen sollte man die euklidische Darstellung benutzen, da somit die Addition zweier komplexen Zahlen die folgende Form hat: z1 = x1 + i y1 , z2 = x2 + i y2 z1 + z2 = (x1 + x2 ) + i(y1 + y2 ) (5) Sie läuft also analog zur Vektoraddition komponentenweise ab. • Für die Multiplikation empfiehlt sich eher die Polardarstellung, lässt sich aber auch durch die euklidische Darstellung berechnen: z1 · z2 = x1 x2 + ix1 y2 + iy1 x1 + i2 y1 y2 = (x1 x2 − y1 y2 ) + i(x1 y2 + y1 x2 ) (6) (7) • Mit der Multiplikation lässt sich der Betrag einer komplexen Zahl auch anders darstellen – über die Multiplikation mit der komplex Konjugierten. √ r = z z̄ (8) • Die komplex Konjugierte Zahl z̄ einer Zahl z entsteht durch das drehen des Vorzeichens des Imaginärteils: 1R + z = x + iy (9) z̄ = x − iy (10) sind alle positiven reellen Zahlen. 3 • Das Eulertheorem eiφ = cos(φ) + i sin(φ) , (11) vereinfacht das Rechnen der Polardarstellung, denn somit wird die komplexe Multiplikation zu einer reellen Multiplikation und einer reellen Addition: z1 = r1 eiφ1 und z2 = r2 eiφ2 z1 · z2 = (r1 · r2 )ei(φ1 +φ2 ) (12) Die Abstände zum Ursprung werden multipliziert und der Winkel zwischen Zahl und positiven reellen Achse, wird durch die Addition der Winkel erreicht. Aus diesem Grund ist die Multiplikation in Polardarstellung meist einfacher als in der Euklidischen. Nun kommen wir zu den spannenderen Teil, den Teil mit dem man die komplexen Zahlen auch begründete: Das komplexe Potenzieren und die komplexe Wurzel. 3.3 Komplexe Potenzrechnung – die Wurzel Wie schon angedeutet, ist die Multiplikation einfacher in der Polardarstellung zu berechnen. Berechnen wir z.B. das Quadrat oder die Wurzel einer komplexen Zahl, entspricht dies auch einer multiplikativen Operation. Wollte man beispielsweise (1 + i)6 berechnen, müsste man ohne die Polardarstellung ein Pascalsches Dreieck der Ordnung 6 einzeichnen, usw... Mit der Polardarstellung vereinfacht sich dieser Ausdruck: p √ √ (13) r = z z̄ = (1 + i)(1 − i) = 2 π x ⇒ φ= (14) cos(φ) = r 4 z 6 = r6 ei 6φ = 8ei 3/2π = −8i (15) Nun kommen wir zu der komplexen Wurzel. Während man bei der Multiplikation und Potenzierung mit natürlichen Exponenten die Polardarstellung benutzt hat um Arbeit zu sparen, benötigt man zwangsläufig die Polardarstellung für die komplexe Wurzel (soweit ich weiß). Vorher muss ich aber noch eine Anmerkung zu der Eindeutigkeit einer Darstellung verlieren. Ein Kreis umfasst einen Winkel von 360◦ was einem Bogenwinkel von 2π entspricht. Sind wir beispielsweise bei einem Winkel von π könnte ein Zweiter behaupten, dass wir doch eigentlich den Winkel 3π = π + 2π betrachten, also schon einmal eine komplette Runde gedreht haben. Die Angabe eines Winkels ist also nicht eindeutig! Anders gesagt, eine komplexe Zahl z besitzt die folgende Darstellung in Polarkoordinaten: z = reiφ = rei(φ+2π k) , k ∈ Z (16) Die Zahl ist die selbe, man weiß nur nicht, wieviele ganze Umdrehungen sie hinter sich hat. Der Grund, warum ich das erzähle, ist der Folgende: Ziehen wir nun die komplexe Wurzel, so ziehen wir einerseits die reelle Wurzel des Betrages, drehen aber auch um den halben Winkel (Erinnerung: Am Anfang war noch nicht klar in welche Richtung wir drehen). Beispiel: p √ √ −1 = 1 · eiπ = ei(π+2π k) (17) = ei(π+2π k)/2 = eiπ/2 · eiπ k k = i · (−1) = ±i (18) (19) Wir sehen nun, dass sobald wir die Wurzel ziehen, die nicht eindeutige Darstellung unserer komplexen Zahl dafür sorgt, dass man verschiedene Lösungsmöglichkeiten besitzt. Betragsmäßig sind diese immer gleich und für den Fall, dass wir die quadratische Wurzel bilden, liegen die Lösungen um den Winkel 2π/2 auseinander. Das ganze gilt natürlich auch analog für die n-te Wurzel. √ √ n z = n reiφ/n · e2πik/n (20) Es gibt n verschiedene Lösungen, die zwar Betragsmäßig gleich sind, aber jeweils um den Winkel 2π/n verschoben sind. 4 3.4 Fazit Das Rechnen mit komplexen Zahlen ist für die Addition im Prinzip das selbe wie in der zweidimensionalen Vektorrechnung. Arbeitet man mit der Multiplikation bzw. mit Potenzen eine komplexen Zahl, sollte man sich die Darstellung in Polarkoordinaten wählen, da diese die Rechnung vereinfacht. Bei der Berechnung einer Wurzel sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass die Polardarstellung nicht eindeutig ist, was bei der Bildung der Wurzel zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Die komplexe Rechnung ist dabei ein extrem wichtiges Werkzug der Mathematik, welches kaum wegzudenken wäre. Später werdet ihr feststellen, dass nahezu jedes schwingende Objekt durch eine komplexe Exponentialfunktion beschrieben wird, die Fourier-Transformation ermöglicht Objekte aus einer anderen Sichtweise zu analysieren und die Funktionstheorie gibt an wie man nahezu unmögliche Integrale mit Hilfe des Residuensatzes innerhalb weniger Zeilen löst... Um es kurz zu machen: Beherrscht man den Umgang mit komplexen Zahlen, wird sich später ein Großteil der Rechnungen stark vereinfachen. 5