1 Prof. Dr. Reinhard Singer SS 2011 Modul Zivilrecht I Fälle 1 - 6 Fall 1: Typen der Störungen im Schuldverhältnis K kauft bei V einen gebrauchten Sportwagen zum Preis von 25.000,- €. Die Übergabe soll später stattfinden, da V noch einige kleinere Mängel in der Werkstatt beheben soll. Wie ist die Rechtslage, wenn in der Nacht nach Vertragsschluss die Werkstatt des V ohne dessen Verschulden abbrennt und dabei das verkaufte Auto, das K für 30.000 € hätte weiterverkaufen können, völlig zerstört wird? Variante a): V sollte das Fahrzeug am 5. Januar ausliefern; infolge Überlastung in seiner Werkstatt ist das Auto aber erst am 15. Januar fertig. Kann K von V Ersatz der Kosten für einen Mietwagen in Höhe von 500.- € der Zeit vom 5.-15. Januar verlangen? Variante b): Der gebrauchte Sportwagen wird termingerecht fertig gestellt. Bei der Abholung kommt allerdings K auf einer Öllache, die sich vor dem Eingang zum Geschäftslokal des V befindet, zu Fall und verletzt sich am Oberschenkel. Kann er von V Ersatz seines Verdienstausfalls (6 Monate à 5.000.- €) verlangen? Variante c): Wie ist die Rechtslage, wenn K vor Vertragsschluss beim Betreten des Geschäftslokals auf der Öllache ausgerutscht wäre und sich verletzt hätte? Literatur: Brox/Walker, Schuldrecht I, § 21; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 332 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, § 22. Fall 2: Verschulden von Erfüllungsgehilfen Dachdeckermeister U lässt die am Haus des B übernommene Dachreparatur von seinem Gesellen G ausführen. Dieser beschädigt mit seiner Leiter die auf dem Dachboden angebrachte Beleuchtung, lässt einen Dachziegel auf die Straße fallen, wodurch ein Passant verletzt wird, dichtet das Dach schlecht ab und nimmt schließlich auf dem Boden hängende Wäsche des B mit. Ist U schadensersatzpflichtig? Literatur: Brox/Walker, Schuldrecht I, § 20; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Rn. 384 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, § 25. Fall 3: Versendungskauf Antiquitätenhändler V aus München verkauft an den Berufskollegen K in Hamburg eine antike Vase zum Preis von 5.000 €. Er übernimmt den Versand auf eigene Kosten. Beim Transport durch die Speditionsfirma S wird durch Verschulden ihres Aushilfsfahrers A die Vase zerstört. Wie ist die Rechtslage? Variante a): Wie ist die Rechtslage, wenn A als Angestellter von V den Transportauftrag ausgeführt und dabei schuldhaft die Vase zerstört hätte? Variante b): Wie ist die Rechtslage, wenn K ein Privatmann ist? 2 Literatur: Brox/Walker, Allg. SchuldR, § 22 Rn. 47; Bes.Schuldrecht, § 7 Rn. 4 f.; Medicus/Lorenz, SchR I, Rn. 438; BT Rn. 34 ff.; Medicus/Petersen, Bürg. Recht, Rn. 275; Büdenbender, NJW 2000, 986; Oetker, JuS 2001, 833; RGZ 96, 258. Fall 4: Vom Gläubiger zu vertretende Unmöglichkeit S ist Inhaber eines Betriebs für Beleuchtungstechnik und Lichtdesign. Im Jahre 1997 wurde er von G – einem renommierten Konzertveranstalter im Bereich der Rock- und Pop-Musik – engagiert, um bei den Auftritten der geplanten Tournee der Pop-Gruppe „Tic Tac Toe“ die Bühne kunstvoll auszuleuchten. Für jeden Konzert-, Aufbau- und Probeabend sollte S 450.- DM als Vergütung erhalten, für jeden veranstaltungs-, probe und aufbaufreien Tag 225 DM. Der Beginn der Tournee wurde wegen einer angeblichen Verletzung von Ricky mehrfach verschoben. Dabei bat G den S, der eine andere Produktion in Aussicht hatte, sich weiterhin zur Verfügung zu halten, da die Verletzung von Ricky alsbald behoben sein würde. Die Tournee scheiterte endgültig, als sich die Popgruppe am 21.11. 1997 vor laufenden Kameras auflöste. S verlangt daraufhin von G das Honorar, das er bei der geplanten 3-wöchigen Konzert-Tournee erhalten hätte. G war nur bereit, einen Teilbetrag zu zahlen und meinte, dass er schließlich nicht für die Auflösung der Popgruppe verantwortlich sei. Wie ist die Rechtslage? Literatur: BGH NJW 2002, 595; Brox/Walker, § 22 Rn. 37 ff.; Medicus/Lorenz, SchR I, Rn. 444; ders., Bürg. Recht, Rn. 269; Looschelders, Rn. 725 ff. Fall 5: Haustürgeschäft: Freizeitveranstaltung K nimmt an einer Reise durch Süddeutschland teil, die von dem Reiseunternehmen R durchgeführt wird. Im Rahmen dieser Reise wurden mehrere Tagesausflüge unternommen. K nahm an einem Tagesausflug nach Meißen teil. Auf diesem Tagesausflug wurde eine Porzellanmanufaktur besichtigt, was die Teilnehmer erst nach Antritt des Tagesauflugs erfuhren. Bei kostenloser Bewirtung mit Tee und Gebäck wurden den Teilnehmern verschiedene Porzellangefäße und ihre Anfertigung gezeigt. Reisebegleiter war ein Mitarbeiter der Porzellanmanufaktur. K kaufte ein Porzellanservice zum Preis von 650 €. Wieder in Berlin angekommen, widerruft sie den Kaufvertrag und verweigert die Bezahlung. Steht K ein solches Widerrufsrecht zu? Literatur: BGH NJW-RR 1991, 1524; Medicus/Lorenz, SchR I, R. 581 ff. (589). Fall 6: Fernabsatz: Internetversteigerung V handelt gewerblich mit Gold- und Silberschmuckstücken. Am 7. Mai stellt er auf der Web-Site von eBay ein "15-Karat-Diamanten-Armband ab 1,- Euro" zur Versteigerung ein und bestimmte eine Laufzeit für die Internet-Auktion von 1 Woche. K gab am 14. Mai mit 252,51 Euro das höchste Gebot ab, verweigerte jedoch unter Berufung auf den am 20. Mai erklärten Widerruf gemäß § 312d Abs. 1 BGB Abnahme und Bezahlung des Armbands. V verlangt Zahlung zuzüglich 11,- Euro Versandkosten, insgesamt 263,51 Euro nebst Zinsen. Die AGB von eBay bestimmen, dass der Vertrag zwischen Anbieter und Käufer dadurch zustande kommen soll, dass der Anbieter bereits mit der Freischaltung seines Angebots die Annahme des höchsten Kaufangebots erklärt. § 156 BGB findet laut AGB ausdrücklich keine Anwendung. Literatur: BGH NJW 2005, 53; BGHZ 149, 129 („ricardo.de“); Medicus/Lorenz, SchR I, R. 581 ff. (594).