8 Internationale Beziehungen

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Sitzung 8: Die Dekolonisierung in den internationalen Beziehungen
Die Dekolonisierung in Asien und Afrika vollzog sich parallel zum Ost-West-Konflikt, dem
so genannten Kalten Krieg.
FOLIE: KALTER KRIEG: TEILUNG EUROPAS UND DEUTSCHLANDS
Der Kalte Krieg
Der Kalte Krieg entzündete sich in Europa, genauer: in der Auseinandersetzung zwischen den
USA und den demokratisch-kapitalistischen Ländern und der Sowjetunion und den von ihr
installierten kommunistischen Marionettenregimes in Osteuropa um die künftige politische
Landkarte Deutschlands und Europas nach dem zweiten Weltkrieg. Die Teilung des besetzten
Deutschland und die Gründung von zwei deutschen Teilstaaten 1949 war das herausragende
Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Endpunkt des Konflikts um die Teilung Deutschlands
war der Bau der Mauer entlang der innerdeutschen Grenze und die vollkommene Abriegelung
West-Berlins gegenüber der DDR im Jahre 1961. Bis dahin hatten mehrere schwere Krisen
immer wieder die Gefahr eines großen Krieges, und das bedeutete eines Atomkrieges, in
Europa heraufbeschworen.
FOLIE: KALTER KRIEG: KRISEN IN EUROPA
Die beiden großen Siegermächte des zweiten Weltkrieges, die USA und die Sowjetunion,
versuchten nach 1945 zunächst, ihre Einflussbereiche in Europa auszuweiten. Dies galt
insbesondere für die Sowjetunion, die nach dem zweiten Weltkrieg versuchte, Griechenland
und die Türkei unter ihre Kontrolle zu bringen. Das galt aber auch für die Vereinigten Staaten,
die beispielsweise 1949 mit Hilfe des amerikanischen Geheimdienstes CIA massiv die
italienischen Wahlen beeinflusste, um eine starke kommunistische Fraktion im Parlament in
Rom zu verhindern. Vordringliches Anliegen der beiden Supermächte in Europa aber war die
Konsolidierung (Festigung) ihrer jeweiligen Einflussbereiche: die Sowjetunion bzw. ihre
Klientelregimes schlugen mit brutaler Gewalt mehrere Volksaufstände nieder (DDR 1953,
Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968), 1955 gründete Moskau den so genannten Warschauer
Pakt, ein Militärbündnis, dem alle osteuropäischen Länder mit Ausnahme Jugoslawiens
beitraten.
FOLIE: DOPPELTE HEGEMONIE IN EUROPA
Die USA hatten bereits 1949 mit westlich-demokratischen europäischen Ländern die
Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft gegründet. In den fünfziger Jahren setzten sie
sich dann vehement für die Wiederaufrüstung des westdeutschen Teilstaates ein. Die
Hegemonien, die die beiden Supermächte in Europa errichteten, waren völlig unterschiedlich:
die Sowjetunion errichtete in Osteuropa Zwangsregimes, die nicht den politischen Willen der
Mehrheit der Bevölkerung widerspiegelten. Sie und ihre Klientelregimes unterdrückten
fundamentale Menschenrechte, die Wirtschaften wurden, vergleichbar den Bedingungen
kolonialer Herrschaften, in den Dienst der sowjetischen Wirtschaft gestellt. Die USA dagegen
errichteten in Westeuropa ein „empire by invitation“ (so der norwegische Historiker Geir
Lundestad): sie folgten dem dringenden Wunsch der Westeuropäer, ihnen Schutz gegen die
Sowjetunion zu gewähren. Unter der amerikanischen Hegemonie in Westeuropa entwickelten
sich freiheitlich-demokratische Regimes, die Menschenrechte achteten und die ihren Bürgern
einen noch nie gekannten Reichtum bescherten.
FOLIE: DIMENSIONEN DES KALTEN KRIEGES
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Hier angedeutet ist bereits, dass der Kalte Krieg auf mehreren Ebenen ausgetragen wurden:
der machtpolitischen, der ideologisch-kulturellen, der wirtschaftlichen und der sozialen
Ebene.
Stabilität und Konflikt: Bipolarität versus polyzentrisches System
FOLIE: KALTER KRIEG: BIPOLARITÄT VERSUS POLYZENTRISMUS
In Europa wurde ein großer Krieg vermieden, weil das Militärpotential der beiden Blöcke die
Gefahr einer globalen Katastrophe und das Ende jeder Zivilisation in sich barg. In der
außereuropäischen Welt, in der sich die Dekolonisierung vollzog, mündete der Kalte Krieg
jedoch in vielen Konflikten, die durch die Auseinandersetzung zwischen Ost und West
aufgeladen wurden. Durch den Kalten Krieg wurden manche Dekolonisierungskonflikte – wir
haben es bereits am Beispiel Indochinas oder der Befreiungskriege in den portugiesischen
Kolonien gesehen – zu Stellvertreterkriegen antagonistischer Systeme und
Systemvorstellungen.
Der Kalte Krieg brachte also Stabilität im Zentrum und schürte Konflikte in der Peripherie.
Kompliziert wurde diese Konstellation des internationalen Systems nach 1945 aber noch
durch zwei weitere wichtige Aspekte: die Konkurrenz innerhalb der jeweiligen Blöcke, und
zweitens das in gewisser Weise schizophrene Bestreben der Länder der Dritten Welt, dem
Konflikt zwischen West und Ost auszuweichen, ihn gleichzeitig jedoch für eigene Zwecke zu
nutzen. Insofern ist es zwar sinnvoll, von einem bipolaren internationalen System zu
sprechen. Das gilt aber nur für Europa. Auf globaler Ebene handelte es sich vielmehr um ein
polyzentrisches System, um ein System, in dem viele kleinere und größere Akteure um
Einfluss und Macht rangen.
Die USA und die Dekolonisierung
FOLIE: USA UND DEKOLONISIERUNG
Diskutieren wir zunächst die Konkurrenz innerhalb der Blöcke. Verschiedentlich wurde
bereits angedeutet, dass die Vereinigten Staaten und die europäischen Kolonialmächte
durchaus unterschiedliche Interessen und Strategien verfolgten. Denken Sie etwa an die
Atlantik-Charta vom August 1941, die nach amerikanischer Lesart für alle Völker die
Selbstbestimmung forderte (und die der britische Premierminister Churchill auf die von den
Nationalsozialisten besetzten Länder beschränkt wissen wollte). Auch nach dem Krieg, und
bis in die sechziger Jahre hinein, gab es in den USA eine weit verbreitete
kolonialismuskritische öffentliche Meinung. Die amerikanischen Regierungen unter Harry S.
Truman (1945-1953), Dwight D. Eisenhower (1953-1961), John F. Kennedy (1961-1963) und
Lyndon Johnson (1963-1968) waren gegenüber den Kolonialmächten zwar sehr viel
zurückhaltender als etwa Senat, Repräsentantenhaus und öffentliche bzw. veröffentlichte
Meinung. Sie fürchteten immer wieder Verbindungen zwischen Nationalisten in der dritten
Welt und dem Kommunismus, und in der Regel wog die Sorge, ein Land könne zum
Kommunismus wechseln, schwerer als das Freiheitspostulat, das sich aus der amerikanischen
Unabhängigkeitserklärung von 1776 („We hold these truths to be self-evident, that all men are
created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that
among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness“) und der Verfassung von 1787
ergab.
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FOLIE: DECLARATION OF INDEPENDENCE
FOLIE: KOLONIALISMUSKRITIK IN AKTION
Das bedeutete aber nicht, dass sich die USA vorbehaltlos hinter die Kolonialmächte stellten:
in den Vereinten Nationen setzten sie sich immer wieder von der Linie der Kolonialmächte
ab, im Treuhandkomitee der UN sprachen sie sich für konkrete Zeitpläne und für eine
graduelle Dekolonisierung aus, im Fall der Konflikte im Maghreb rieten sie den französischen
Regierungen zum Kompromiss und zum Rückzug. Offen auf die Seite der nationalistischen
Befreiungsbewegungen stellten sie sich in Indonesien, wo sie mit finanziellem Druck die
Niederlande zwangen, die Unabhängigkeitserklärung anzuerkennen. In Indochina, und auch
darüber sprachen wir bereits, hatte das amerikanische Engagement eine subversive Qualität:
einerseits unterstützten sie die Franzosen in ihrem Kampf gegen die kommunistische
nationalistische Bewegung unter Ho Chi Minh, andererseits versuchten sie, eine unabhängige
„dritte Kraft“ jenseits von Kolonialismus und Kommunismus aufzubauen.
Grundsätzlich wirkten also die Vereinigten Staaten auf eine Welt hin, die frei vom
Kolonialismus war. Sie waren davon überzeugt, dass Kolonialismus wirtschaftlicher
Protektionismus bedeutete und dem Gedanken des Freihandels entgegen stand. Für die USA
war der Kolonialismus ein anachronistisches Relikt der Vergangenheit.
FOLIE: INNEREUROPÄISCHE DIFFERENZEN
Innereuropäische Differenzen um den Kolonialismus
Ideologisch-kulturelle und auch machtpolitische Konflikte gab es innerhalb der westlichen
Staatengemeinschaft aber nicht nur zwischen den Kolonialmächten und den Vereinigten
Staaten. Auseinandersetzungen gab es auch zwischen den Kolonialmächten, insbesondere
zwischen Großbritannien und Frankreich. (Die Niederlande waren trotz ihrer Besitzungen auf
Papua (bis 1962), Surinam (bis 1975) und in der Karibik (bis heute) als Kolonialmacht nicht
mehr von Bedeutung. Portugal als relativ große Kolonialmacht wurde von einer autoritären
Führung regiert, die sich jeder Kolonialismuskritik von außen grundsätzlich verweigerte.)
Frankreich versuchte in bis in die frühen fünfziger Jahre immer wieder, in Afrika und in den
Vereinten Nationen mit Großbritannien kolonialpolitisch zusammen zu arbeiten, etwa im
Bereich der gemeinsamen Ausbeutung von Bodenschätzen, der Entwicklung, der Gesundheit,
Migrationspolitik etc. Das lehnte Großbritannien immer ab, weil es fürchtete, dies könne nach
einem kolonialpolitischen „ganging up“ aussehen (was schlecht im Hinblick auf die
öffentliche Meinung in den USA und in der Welt war) und weil London nicht mit dem
französischen Kolonialismus in Verbindung gebracht werden wollte. Dieser unterschied sich
ja, das haben wir vielfach gesehen, erheblich vom britischen, nicht zuletzt – aber entscheidend
– in der Frage der Gewährung der Unabhängigkeit. Mittelbar trug diese Weigerung
Großbritanniens übrigens dazu bei, dass Charles de Gaulle in den sechziger Jahren den
Eintritt Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (später: EU)
verweigerte.
FOLIE: KOMMUNISTISCHER PLURALISMUS
Kommunistischer Pluralismus
Die Sowjetunion
FOLIE: SOWJETUNION
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Die Sowjetunion verstand sich qua ihrer Ideologie als die antikolonialistische Macht. Der
antiimperialistische Freiheitskampf galt als wesentliches Element der Weltrevolution, und für
Lenin führte der revolutionäre Weg in die kapitalistischen Metropolen Europas über Asien.
Doch hier gab es um 1920 nur sehr wenig Kommunisten. Lenin empfahl daher die
Zusammenarbeit von Kommunisten und ‚bürgerlichen’ Nationalisten, eine Linie, der die in
Moskau nach der Revolution gegründete Kommunistische Internationale (Komintern) folgte.
Doch diese Strategie erwies sich als gefährlich, wie die nach 1927 ausbrechenden Kämpfe
zwischen chinesischen ‚bürgerlichen’ Nationalisten (Guomindang unter Chiang Kaishek) und
chinesischen Kommunisten (seit 1935 unter Führung Mao Zedongs) zeigten. Überhaupt
hatten es Kommunisten in der kolonialen Welt schwer: seit 1920 gab es drangsalierte, aber
letztlich geduldete kommunistische Parteien in den Metropolitanmächten, aber in den
Kolonien wollten koloniale Verwaltungen keine Unruhestifter. Winzige kommunistische
Splittergruppen operierten etwa in Indonesien oder Indien daher weitgehend im illegalen
Raum.
FOLIE: STALINS SCHOCKTHERAPIE
Der zweite Weltkrieg bescherte den Kommunisten in der Dritten Welt dann einen dreifachen
Schock: erst blieb die Sowjetunion Stalins im europäischen Krieg neutral, dann verbündete sie
sich im Hitler-Stalin-Pakt mit dem ideologischen Erzfeind der Kommunisten, und schließlich
ging sie nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion ein Bündnis mit den
Kolonialmächten ein. Diese Vorgänge waren bei allem Verständnis für die bedrängte Lage
der Sowjetunion in den Kolonien schwer vermittelbar, und einige, etwa Ho Chi Minh in
Vietnam oder Tito in Jugoslawien, zogen daraus den Schluss, dass sie aus eigenem Antrieb
ihre Länder befreien mussten. Eine vierte Kehrtwende vollzog die Sowjetunion 1948, als sie
die so genannte „Zwei Lager“- Theorie verkündete (dabei stand dem „imperialistischen und
antidemokratischen Lager“ unter Führung der USA das „antiimperialistische und
demokratische Lager“ unter Führung der Sowjetunion gegenüber). Die Konsequenz dieser
Theorie war, dass die nichtkommunistischen antikolonialistischen Kräfte aus Sicht Moskaus
plötzlich dem „imperialistischen und antidemokratischen Lager“ zugehörten, also zum
Beispiel die noch junge indische Regierung oder die nationalistische Bewegung in
Indonesien. Letztere schlug dann auch gleich (September 1948) einen schlecht vorbereiteten
kommunistischen Aufstand auf Java nieder, um sich den Vereinigten Staaten in ihrem Kampf
gegen die Niederlande zu empfehlen.
Ideologisch war die Sowjetunion für die überwältigende Mehrheit der nationalistischen,
westlich sozialisierten Eliten der Dritten Welt also kein Vorbild. Auch machtpolitisch hatten
sie mit der sowjetischen Führung unter Stalin ihre Probleme. Denn dieser hatte am Ende des
zweiten Weltkrieges die Unverfrorenheit besessen, öffentlich Anspruch auf sowjetische
Kolonien zu erheben (Bosporus, Libyen). Im Grunde war Stalin die außereuropäische Welt
relativ gleichgültig. Seine schrille Propaganda unterstützte die kleinen kommunistischen
Bewegungen in Indien, Malaya oder Indonesien, und die eine oder andere Waffenlieferung
dürfte auch den Weg von der Sowjetunion in die weite Ferne gefunden haben. Stalin war alles
recht, was den Westen irgendwie destabilisierte. Wichtiger als die koloniale Welt war für ihn
aber die Zusammenarbeit mit der starken französischen kommunistischen Partei – und die
tauchte beim Problem der Dekolonisierung im Interesse ihrer Klientel ab.
FOLIE: CHRUSCHTSCHOWS CHARME-OFFENSIVE
Erst nach dem Tod Stalins wandelte sich das Verhältnis der Sowjetunion zur Dekolonisierung
und zur entstehenden dritten Welt auf grundlegende Weise. Nikita Chruschtschow, seit 1955
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in Moskau pares inter pares, betrachtete auch die ‚bürgerlichen’ Nationalisten als Verbündete
im Kampf gegen Kapitalismus und den Westen. Triumphale Reisen führten ihn 1955 nach
Neu Delhi und nach Jakarta, wo er die von russischen Arbeitern und Bauern mühsam
erwirtschafteten Dollar herumwarf wie Konfetti. Vor allem Indien, Indonesien und Ägypten
profitierten bis weit in die sechziger Jahre hinein von sowjetischer Entwicklungshilfe. Im
Mittelpunkt der sowjetischen Auslandsaktivitäten stand aber bis zur Implosion der
Sowjetunion die Militärhilfe: mit russischen Waffen hielten sich afrikanische Potentaten
ebenso an der Macht wie Fidel Castro auf Kuba, die Kalaschnikow feierte ihren Triumph als
Instrument echter und vermeintlicher Befreiungskriege in aller Welt. Unter Leonid Breschnew
(Parteichef 1964-1982) setzte die Sowjetunion dann zunächst erfolgreich zum wirklich
globalen Ringen um Einfluss und Macht in allen Erdteilen an. Im Schatten des
amerikanischen Krieges in Vietnam rüstete sie weiter auf, baute eine global aktive Marine
auf, erwarb Stützpunkte in Asien und Afrika. Dieses Ausgreifen in die Dritte Welt führte dann
aber vergleichbar dem französischen Beispiel zu einem klassischen imperial overstretch.
Jugoslawien
FOLIE: JUGOSLAWIEN
Wenden wir uns nun den anderen kommunistischen Staaten zu. Da finden wir in Europa
zunächst einmal Jugoslawien, dass sich Anfang der fünfziger Jahre dem Einflussbereich der
Sowjetunion entzog und eine unabhängige Außenpolitik verfolgte. (Als einziges Land des
östlichen Europa war Jugoslawien am Ende des zweiten Weltkrieges nicht von der Roten
Armee, sondern von eigenen Kräften vom Nationalsozialismus befreit worden – Stalin
liebäugelte zwar mit einer Besetzung, entschied sich dann aber aus historischen und
strategischen Gründen dagegen). Diese orientierte sich zwar an der kommunistischen Linie,
die von Moskau propagiert wurde („Anti-imperialistischer Kampf“), Jugoslawiens Staatschef
Tito engagierte sich aber in den fünfziger und frühen sechziger Jahren gemeinsam mit
Ländern der Dritten Welt in der Bewegung der blockfreien Staaten, die auf eine Überwindung
des Ost-West-Konflikts und auf ein Ende des Kolonialismus hinwirkte. Aber Jugoslawien war
letztlich kein entscheidender weltpolitischer Akteur.
FOLIE: VOLKSREPUBLIK CHINA
Die Volksrepublik China
Viel wichtiger für die Dekolonisierung war das kommunistische China unter Mao Zedong.
Mao wurde das ideologische Vorbild einer ganzen Generation von revolutionären
Nationalisten in der Dritten Welt, und zwar von Kommunisten und Nichtkommunisten
gleichermaßen. Denn Mao hatte in China eine Revolution gemacht, bei der nicht die Arbeiter
(nach Marx, Engels, Lenin und Stalin die Speerspitze der Revolution), sondern die Bauern die
treibende Kraft gewesen war. In seinen Schriften betonte Mao immer wieder, die sozioökonomischen Verhältnisse in der Dritten Welt wären grundsätzlich anders als in Europa
(einschließlich Russland/Sowjetunion). Mao propagierte die Mobilisierung der bäuerlichen
Massen, er verkörperte einen kommunistischen Pluralismus und damit eine
Selbstbestimmung, die nicht durch Weisungen aus Moskau eingeschränkt war, er wies der
Dritten Welt einen Weg (besser: Irrweg), gewissermaßen aus dem Nichts die
Industrialisierung voranzutreiben. Und er verstand es meisterhaft, der Welt eine dem
sowjetischen Kommunismus fehlende Flexibilität des Denkens und Handelns vorzuspiegeln.
Mao galt als der Befreier in der Dritten Welt, und auch noch viele demonstrierende
Studierende und Intellektuelle der „68er“ trugen sein Konterfei auf T-Shirts. Heute wissen
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wir, dass Maos Politik mindestens 30 Millionen Chinesen das Leben kostete (Stichwort:
Demozid, in Abwandlung von Genozid).
FOLIE: CHINESISCH-SOWJETISCHE SPANNUNGEN
Das China Mao Zendongs verhinderte im Koreakrieg den Zusammenbruch des
kommunistischen Regimes im Norden der Halbinsel (1950-53), es unterstützte die Viet Minh
in ihrem Kampf gegen die Franzosen in Indochina, und es forderte in den fünfziger Jahren
zweimal die Vereinigten Staaten heraus, als es zu Taiwan (dem nichtkommunistischen China)
gehörende Inseln bombardierte. Nach 1956 aber wurde es auch zu einer ideologischen
Bedrohung für die Sowjetunion. Denn nun begann Mao, offen um die Meinungsführerschaft
unter den Kommunisten in aller Welt zu werben. (Hintergrund: Mao warf dem nach Stalin –
gestorben 1953 – an die Macht gelangten sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita
Chruschtschow Abweichung von der reinen Lehre des Kommunismus und Anbiederung an
die USA vor. Chruschtschow trat für eine „friedliche Koexistenz“ von Osten und Westen ein).
Nicht alle Länder der Dritten Welt folgten Mao und dem Vorbild China. Indien beispielsweise
wurde von seinen Erwartungen in China 1962 furchtbar enttäuscht, als die Chinesen indische
Teile Tibets besetzten. Auch Fidel Castro auf Kuba versprach sich von Moskau mehr als von
Beijing. Zurecht: die Möglichkeiten der Sowjetunion, den jungen Staaten der Dritten Welt
Entwicklungshilfe zu geben, waren ungleich größer als die des noch armen China. Dennoch:
seit Ende der fünfziger Jahre gaben sich nationalistische Führer Afrikas, Befreiungskämpfer,
big men und solche, die es werden wollten, in Beijing ein Stelldichein. Als Nikita
Chruschtschow im Januar 1960 in einer Aufsehen erregenden Rede nationalistischen Gruppen
in aller Welt die uneingeschränkte Unterstützung – das bedeutete: auch militärische
Unterstützung – der Sowjetunion zusagte, war der Westen empört. Der eigentliche Adressat
der Rede aber war China.
Wie wir gesehen haben, unterstützte China in den sechziger und siebziger Jahren
beispielsweise in Mosambik und Angola Bewegungen, die nicht nur in den portugiesischen
Kolonialisten, sondern auch in rivalisierenden sowjettreuen Bewegungen ihre Gegner sahen.
Das Engagement Chinas – und damit verbunden die Sicherstellung von Rohstoffen für die
expandierende chinesische Wirtschaft – in Afrika hält bis heute an. Beispielsweise
unterzeichnete Beijing noch kürzlich mit dem international geächteten Autokraten Robert
Mugabe (Simbabwe) ein Abkommen über Entwicklung und gemeinsame Ausbeutung von
Rohstoffen.
Zwischenfazit
FOLIE: ZWISCHENFAZIT
Während also der Ost-West-Konflikt vor allem aus deutscher Perspektive ein bipolarer
Konflikt war, der sich symbolisch an der Berliner Mauer ausdrückte, stellte er sich für viele
Staaten der Dritten Welt als ein Konflikt dar, in dem verschiedenste Akteure und deren
Interessen aufeinander trafen. Dabei spielte zwar für alle Beteiligten der Konflikt zwischen
der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten schon allein wegen seiner atomaren Dimension
eine herausragende Rolle. Dennoch: das polyzentrische Weltsystem wurde als solches
anerkannt. Es sorgte für Wettbewerb innerhalb der Blöcke, es begrenzte zuweilen Einfluss der
Supermächte, es eröffnete antikolonialistischen Befreiungsbewegungen ideologische und
materielle Alternativen, und es ermöglichte einigen Staaten der noch jungen dritten Welt, die
vielfältigen Konkurrenzen auszunutzen, um mehr Entwicklungshilfe zu erhalten (dies gilt
insbesondere für Indonesien unter Sukarno [bis 1965] und einige afrikanische Staaten).
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Integrationsbestrebungen der Dritten Welt
FOLIE: INTEGRATIONSBESTREBUNGEN IN DER DRITTEN WELT
Für fast alle Nationalisten in der kolonialen Welt und in der Dritten Welt war der
Kolonialismus eine Folge des Kapitalismus. Dieser bildete die Triebkraft, die europäische
Händler und später europäische Nationalstaaten dazu gebracht hatte, Handelsstützpunkte,
Siedlungskolonien und Beherrschungskolonien zu gründen. Skepsis gegenüber dem
Kapitalismus und Vorbehalte gegenüber der Politik des Westens – und zunächst auch des
Ostens – bildeten ein wichtiges Moment asiatisch-afrikanischer Solidarität. Hinzu kam nach
gewonnener staatlicher Unabhängigkeit auch das Interesse an Mitsprache in der
internationalen Politik. Sämtliche Regierungen der dritten Welt wollten nicht länger mehr nur
Objekte, sondern Subjekte in den internationalen Beziehungen sein.
FOLIE: INTEGRATIONSBESTREBUNGEN: PHASEN
Die Bemühungen um Solidarität innerhalb der dritten Welt und um Integration lassen sich,
grob gesagt, in drei Phasen gliedern: in der ersten Phase, die bis Mitte der fünfziger Jahre
andauerte, gab es zwei wesentliche Ziele: die Distanzierung vom Ost-West-Konflikt, und die
Forderung nach Unabhängigkeit der afrikanischen Territorien. In der zweiten Phase, die 1961
herum ihren Höhepunkt fand, stand der Versuch einer lockeren Gemeinschaft von Staaten der
Dritten Welt im Mittelpunkt, eine gemeinsame Politik der Blockfreiheit im Kalten Krieg zu
finden. Daneben wurden bereits Probleme der Entwicklungspolitik diskutiert. Diese
Diskussion mündete dann nach 1964 in einer dritten, stark entwicklungspolitisch geprägten
Phase, die mit der Gründung der United Nations Conference on Trade and Development
einsetzte und in deren Rahmen die Länder der Dritten Welt nach 1967 als „Gruppe der 77“
(Konferenz von Algier) eine gemeinsame Stimme gegenüber den Interessen der entwickelten
Länder zu finden suchten.
FOLIE: PHASE I
Phase 1: Die Suche nach einer afro-asiatischen Solidarität und die Distanzierung vom
Ost-West-Konflikt
Noch vor der Unabhängigkeit Indiens berief der indische Premierminister Jawaharlal Nehru
im März 1947 die so genannte Asian Relations Conference ein, die ein Forum zur Diskussion
gemeinsamer asiatischer Anliegen bieten und ein gewisses Einigkeitsbewusstsein gegenüber
dem Westen demonstrieren sollte. Heraus kam dabei aber nichts, weil die Interessen und Ziele
der Teilnehmer zu disparat waren. Eine weitere Konferenz, die Nehru im Januar 1949
einberief, hatte daher moderatere Ziele: es ging um die Unterstützung der indonesischen
Nationalisten in ihrem Kampf gegen die Niederlande. Wirklichen Einfluss auf die
Entwicklungen in Indonesien konnte diese Konferenz auch nicht nehmen, aber ihre Ziele
wurden im wesentlichen von den Vereinigten Staaten vertreten, die in dieser Phase des
indonesischen Befreiungskampfes mit Hilfe der Vereinten Nationen auf den raschen Rückzug
der Niederlande hinarbeiteten. Eine vergleichbare Konferenz zu Indochina kam übrigens nicht
zustande, weil einige asiatische Länder, beispielsweise Thailand, aber auch Indien, Sorge vor
einer kommunistischen Unterwanderung ihrer Gesellschaften hatten. Hier deutete sich bereits
das zentrale Problem an, an dem letztlich jede afro-asiatische Integration scheiterte: es gelang
nicht, sozialistische, kapitalistische, autoritäre und demokratische Regimes auf eine
gemeinsame Linie gegenüber dem Ost-West-Konflikt zu verpflichten.
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Die vielleicht wichtigste, damals zumindest medienwirksamste Konferenz fand im April 1955
in Bandung (Indonesien) statt. Zu ihr kamen auf Einladung des indonesischen Präsidenten
Sukarno Vertreter von 23 asiatischen, darunter der chinesischen Regierung, sowie 6
afrikanische Länder (vor allem Nasser aus Ägypten). Die Konferenz sandte einen Appell an
die Kolonialmächte aus, ihre afrikanischen Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. An
der Frage der Blockfreiheit schieden sich aber die Geister. Während Indien, Indonesien und
Ägypten die Supermächte auffordern wollten, das Wettrüsten zu beenden, waren Thailand,
Pakistan oder auch die Philippinen – Länder, die mit den Vereinigten Staaten militärisch
kooperierten – dagegen. Außerdem herrschte völlige Uneinigkeit, was die Politik gegenüber
dem kommunistischen China anlangte. Die Konferenz war wichtig, weil sie erstmals die
meisten asiatischen Regierungen an einem Tisch vereinte, und weil von ihr ein Signal der
Solidarität mit den nationalistischen Strömungen in Afrika ausging. Substantielles wurde aber
nicht erreicht.
FOLIE: PHASE II
Phase 2: Die Blockfreie Bewegung
1956 belasteten zwei Krisen die internationale Politik: die brutale Niederschlagung des
Volksaufstands in Ungarn durch die rote Armee, und der letztlich gescheiterte Versuch
Großbritanniens und Frankreichs, den Suezkanal zu besetzen und die souveräne ägyptische
Regierung zur Rücknahme der Verstaatlichung der Betreibergesellschaft zu zwingen. Vor
dem Hintergrund dieser Krisen verdichteten sich Bemühungen von Jugoslawien, Ägypten und
Indien, eine Gruppierung von Staaten ins Leben zu rufen, die den Ost-West-Konflikt und jede
Form von Imperialismus ablehnten. Dass nun Jugoslawien eine führende Rolle übernahm,
machte deutlich, dass sich die Interessen verschoben: weg von einer afro-asiatischen
Solidarität hin zu einer globalen Interessengemeinschaft, deren Hauptanliegen nun nicht mehr
das Ende des Kolonialismus war. Nach langen Vorbereitungen tagte im September 1961 in
Belgrad eine Konferenz, an der die meisten asiatischen Länder, die unabhängigen Staaten
Afrikas und viele Vertreter nationaler Befreiungsbewegungen teilnahmen. Sämtlich
lateinamerikanischen Staaten hatten aber abgesagt, weil das kommunistische Kuba an der
Konferenz teilnehmen wollte. Die Konferenz symbolisierte einen Moment der Einheit und der
Solidarität. Über allgemeine Floskeln zum Erhalt des Weltfriedens kam aber auch sie nicht
hinaus. Zu unterschiedlich waren die Interessen zwischen den Ländern, die einem
Allianzsystem angehörten (vor allem Länder, die bilateral oder im kollektiven Rahmen
militärisch mit den Vereinigten Staaten kooperierten, aber auch das mit der Sowjetunion
verbündete Kuba), und denen, die bündnisfrei waren (Indien, Indonesien, Ägypten,
Jugoslawien).
FOLIE: PHASE III
Phase 3: Schwerpunkt Entwicklungspolitik
Entwicklungspolitik, wir werden darüber noch sprechen, stand seit dem Ende des zweiten
Weltkrieges ganz oben auf der Agenda der Kolonialmächte, der Vereinigten Staaten, der
Vereinten Nationen und der neuen unabhängigen Staaten. In Expertenforen, im Rahmen
regionaler Organisationen der Vereinten Nationen (Lateinamerika, Asien), auf bilateraler und
auch auf multilateraler Ebene wurden Fragen von Entwicklung und Entwicklungspolitik
diskutiert. Mit der Gründung der United Nations Commission on Trade and Development
(UNCTAD) 1964 übernahmen nun aber die Länder der Dritten Welt die Initiative.
Gemeinsam wollten sie nun wirtschaftliche Problemlösungen erarbeiten und Mittel für
Entwicklungspolitik einfordern. Dafür schien ein Forum der Vereinten Nationen am besten
geeignet. Um die Kooperation zu vertiefen, formierten sich 1967 auf einer Konferenz in
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Algier, zu der der algerische Präsident Houari Boumedienne eingeladen hatte, 77 zumeist
asiatische und afrikanische Staaten zur so genannten „Gruppe der 77“. Sie sandte zwar in der
Tradition der Blockfreien Bewegung einen Appell an die Supermächte, doch dieser war nun
nicht mehr rein politisch, sondern primär entwicklungspolitisch motiviert: man kritisierte die
Entwicklungspolitik des Ostblocks und die Politik der Liberalisierung des Welthandels, die
die amerikanische Regierung vorantrieb. Im Rahmen des General Agreement on Tariffs und
Trade (die Welthandelsorganisation WTO trat in den 90er Jahren die Nachfolge des GATT
an) trat die „Gruppe der 77“ immer mal wieder gemeinsam auf, insbesondere wenn es um die
Forderung nach Erhöhung von Entwicklungshilfe ging. Aber auch hier zeigte sich, wie bereits
bei der politisch ausgerichteten Bewegung der Blockfreien, dass die Interessen der vielen
Länder letztlich zu disparat waren, als dass sie ein wirkliches Gegengewicht zur
industrialisierten Welt hätten bilden können.
FOLIE: REGIONALE INTEGRATION
Regionale Integrationen
Die Gründe für regionale Kooperation sind vielfältig, lassen sich in der Regel aber in zwei
Komponenten gliedern. Wirtschaftlich: gemeinsame Interessen aufgrund komplementärer
Volkswirtschaften (Austausch von Produkten oder Rohstoffen; Migrationen und
Arbeitsmärkte; Kern- und Satellitenwirtschaften, etc.); Sicherheitspolitisch: Abbau von
Spannungen zwischen Ländern; Zusammenschluss infolge gemeinsamer Bedrohung. Ein
Beispiel einer erfolgreichen regionalen ist die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG
(später EG und dann EU), wo zunächst sicherheitspolitische Erwägungen im Vordergrund
standen, die durch wirtschaftliche Integration realisiert wurden. In den 1990er Jahren bildete
sich aus rein wirtschaftlichen Gründen heraus die North Atlantic Free Trade Area (NAFTA)
mit Mexiko, Kanada und den USA – hier handelt es sich im wesentlichen um komplementäre
Volkswirtschaften.
FOLIE: INTEGRATION IN AFRIKA
Bemühungen um eine regionale Kooperation bzw. Integration gab es auch in Afrika. Kwame
Nkrumah lud 1958 zu einer All-Africa People´s Convention nach Accra ein. Auf afrikanische
Nationalisten hatte der Meinungsaustausch eine elektrisierende Wirkung; integrative Impulse
gingen von ihr nur bedingt aus. Nkrumah schwebte aber nach wie vor ein einiges Afrika vor
(mit ihm selbst als Führer), und Anfang der sechziger Jahre fand er dabei auch bei anderen
afrikanischen Politikern Gehör. Dieser Panafrikanismus hatte politische, wirtschaftliche und
kulturelle Wurzeln. Er hing zusammen mit der Négritude-Bewegung afrikanischer
Intellektueller (Aimée Cesaré, Léopold Senghor u.a.), die der westlichen Kulturhoheit eine
afrikanische Kultur und ein afrikanisches Denken entgegensetzen wollten. Diese Bewegung
hatte eine klare emanzipatorische Zielsetzung. In politischer Hinsicht gab es die mit Blick auf
die Balkanisierung des französischen Kolonialreiches nicht unberechtigte Sorge, die Europäer
wollten möglichst kleine afrikanische Einheiten, um diese nach der Unabhängigkeit besser als
informal empire steuern zu können. In wirtschaftlicher Hinsicht traten afrikanische Staaten
zwar häufiger als Konkurrenten auf dem Weltmarkt auf; zudem war infolge der
Kolonialherrschaft die wirtschaftliche Integration (mit Ausnahme des südlichen Afrika) nicht
weit fortgeschritten. Aber es gab gemeinsame Interessen: Entwicklung, bessere Bedingungen
für afrikanische Produkte auf dem Weltmarkt, eine gerechtere weltwirtschaftliche
Finanzarchitektur. Vor diesem Hintergrund gründete sich im Mai 1963 die Organisation of
African Unity (OAU, heute: African Union). Sitz der OAU wurde die äthiopische Hauptstadt
Addis Abeba (Äthiopien war als einziges afrikanisches Reich vom Kolonialismus verschont
geblieben, sieht man mal von der Besetzung durch das Italien Mussolinis ab 1935 ab). Im
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Mittelpunkt der Beratungen in der Gründungsphase war die Unverletzlichkeit der Grenzen.
Afrikanische Staatschefs erkannten damit die von den Kolonialisten gezogenen Grenzen an,
um zwischenstaatliche Konflikte zu vermeiden. Dies war angesichts der Heterogenität der
Kulturen und Ethnien eine große Leistung. Zu mehr war die OAU dann aber auch kaum in der
Lage. Insbesondere in entwicklungspolitischer Hinsicht glaubten die Mitgliedstaaten, über
Abkommen der Einzelstaaten mit Geberländern und Geberinstitutionen mehr für ihre Länder
erreichen zu können als im Verbund.
FOLIE: INTEGRATION IN SÜDOSTASIEN
Eine zweite regionale Organisation gehört eigentlich kaum noch in den Zeitraum, den wir
besprechen: die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), die sich 1967 in Bangkok
gründete und an der sich zunächst Indonesien, die Philippinen, Thailand, Malaysia und
Singapur beteiligten (heute sind alle zehn Staaten Südostasiens Mitglied der Organisation).
Ihr Zweck bestand zunächst aus zwei miteinander verknüpften Zielen: die Festschreibung der
Unverletzlichkeit der Grenzen (die ebenfalls weitgehend von Kolonialregimes gezogen
worden waren) und das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der
Mitgliedstaaten. Das war nach den Spannungen zwischen Malaysia und Indonesien während
der so genannten Periode der Konfrontasi wichtig. Seit den neunziger Jahren standen dann
auch Fragen der wirtschaftlichen Integration auf der Agenda der ASEAN.
FOLIE: KALTER KRIEG UND DRITTE WELT
FOLIE: ZUSAMMENFASSUNG
 Verschränkung von Ost-West-Konflikt und Dekolonisierung
 Kalter Krieg in Europa – heiße Kriege in der Dritten Welt
 Polyzentrisches Weltsystem
 Beschleunigende und verlangsamende Faktoren
FOLIE: VON DER WELTPOLITIK….
Von der Weltpolitik nach Zentralafrika: Die Kongokrise 1960-1964
Wir haben bisher den Zusammenhang von Ost-West-Konflikt und Dekolonisierung untersucht
und dabei die Positionen der verschiedenen Akteure im Hinblick auf Kolonialismus,
Dekolonisierung und Systemkonkurrenz Revue passieren lassen. Wir haben darüber hinaus
Kooperations- und Integrationsformen innerhalb der dritten Welt diskutiert. Werfen wir zum
Schluss dieser thematischen Einheit einen Blick auf den Kongo. Denn hier trafen
Dekolonisierung und Kalter Krieg wie in keinem Land Afrikas unmittelbar aufeinander.
FOLIE: KONKO: ECKDATEN
Das Ende der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo
Francis Ford Coppola benutzte für seinen 1979 erstmals in den Kinos gezeigten Film
„Apocalypse Now“ – meiner Meinung nach der eindrucksvollste Spielfilm über den
Vietnamkrieg und vielleicht einer der besten Kriegs- und Antikriegsfilme überhaupt – eine
literarische Vorlage von Joseph Conrad, die dieser 1902 unter dem Titel „The Heart of
Darkness“ veröffentlichte. Die Novelle handelt von der Reise in das Herz der Finsternis – die
Finsternis der Urwaldlandschaft am Kongo, und die persönlichen Abgründe des Protagonisten
Kurtz. Es ist eine Geschichte über Gewalt, Brutalität und menschliches Versagen – sie
spiegelt die Lage im Kongo der Jahrhundertwende wieder. Belgisch-Kongo war seit der
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Berliner Konferenz von 1884 (Sie erinnern sich) der Privatbesitz des belgischen Königs
Leopold III. Dieser errichtete ein für die Kolonialherrschaft beispielloses Regime von
Zwangsarbeit, moderner Sklaverei und rücksichtsloser Ausbeutung. Doch auch nachdem
Leopold 1908 aufgrund internationaler Proteste das riesige Gebiet an den belgischen Staat
abgetreten hatte, änderte sich wenig. Die Kolonie wurde im Grunde bis weit nach dem
zweiten Weltkrieg wie eine einzige riesige Plantage betrieben. Erste Kommunalwahlen
wurden 1957 abgehalten, nachdem auch den Politikern in Brüssel klar geworden war, dass es
so nicht weitergehen konnte.
FOLIE: UNABHÄNGIGKEIT
Wir können die Entwicklungen im Einzelnen hier nicht behandeln. Hier nur die wesentlichen
Aspekte:
Belgien entschloss sich 1959 völlig überraschend und überstürzt, angesichts der
Entwicklungen in Afrika nun auch den Kongo in die Unabhängigkeit zu entlassen. Allerdings
hatte die Kolonialmacht politische Beteiligung vorher massiv unterdrückt, es gab praktisch
keine ausgebildeten Fachkräfte, keine Politiker, keine Bildungselite, keine einheimischen
Händler. Und um was für eine Art Unabhängigkeit es sich handeln sollte, machte der
Befehlshaber der Armee, der belgische General Jansen deutlich. Er gab an seine
kongolesischen Soldaten die Weisung aus: „Vor der Unabhängigkeit = nach der
Unabhängigkeit“. Das hörten die Soldaten gar nicht gerne und meuterten. An die Spitze der
Armee wurde ein junger Oberst namens Joseph Mobutu berufen. Und zwar von einer tief
zerstrittenen kongolesischen Regierung, die im Frühjahr 1960 von den Belgiern berufen
worden war und die am 30. Juni 1960 die Unabhängigkeit vollzog. Zu diesen Zeitpunkt gab es
im Kongo Dutzende von Parteien, die sich vorwiegend ethnisch organisierten und die nach
1957 in aller Eile gegründet worden waren. Und es gab drei führende Politiker: Joseph
Kasavubu vom Volk der Bakongo (östlicher Kongo), seit kurzem Präsident des Kongo und
pro-westlich eingestellt; Patrice Lumumba, seit kurzem Premierminister und Nationalist, der
von einem kongolesischen Zentralstaat träumte; und Moishe Tschombe, der mit dem Datum
der Unabhängigkeit die Unabhängigkeit ‚seiner’ Provinz Katanga vom Kongo proklamierte.
Katanga war nicht irgendeine Provinz des Kongo. Sie war das wirtschaftliche Rückgrat des
Kongo, und sie verfügte über die größten Uranvorkommen der Welt. Und dafür gab es seit
dem zweiten Weltkrieg genau einen Kunden: das Pentagon in Washington.
FOLIE: WIRREN: DIMENSIONEN
Kehren wir zur Meuterei der Truppe zurück. Sie löste eine Massenpanik unter den noch
verbliebenen Belgiern aus, die zu Tausenden nach Rhodesien flüchteten. Belgien schickte nun
Fallschirmjäger in den Kongo, die die Landsleute schützen sollten. Daraufhin erklärte der
Kongo Belgien den Krieg und rief den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an, weil seine
Truppen sich nicht in der Lage sahen, die Belgier zu vertreiben. Dieser sah sich nun zum
ersten Mal in seiner Geschichte mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich in die inneren
Angelegenheiten eines Staates einzumischen. Zunächst schickte der Sicherheitsrat Truppen
aus Tunesien und Ghana, um die Kontrahenten zu trennen, später übernahmen Inder die
Führung. Im Hintergrund jedoch agierten nun die Vereinigten Staaten. Sie waren alarmiert
darüber, dass Lumumba, um die Belgier des Landes verweisen zu können, in Moskau um
Militärhilfe gebeten hatte. (Das gleiche hatte er vorher in Washington versucht, wo man ihm
mit Rücksicht auf den belgischen NATO-Partner die kalte Schulter gezeigt hatte. Angeblich
hinterließ Lumumba bei Präsident Eisenhower einen sehr ungünstigen Eindruck, als er im
Weißen Haus um blonde Hostessen ersuchte.) Von diesem Zeitpunkt geriet Lumumba ins
Fadenkreuz der CIA. Diese schmierte Mobutu, der Lumumba gefangen nehmen und ermorden
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ließ. Kasavubu blieb zunächst Präsident, der starke Mann im Kongo war von nun aber
Mobutu. Nachdem nun eine mögliche kommunistische Unterwanderung verhindert worden
war, gingen die USA, die UN und die kongolesische Zentralregierung in Kinshasa daran, die
abtrünnige Provinz Katanga wieder unter Kontrolle zu bringen. Dort traf diese Koalition auf
erbitterten Widerstand Tschombes, der mit Hilfe einer Söldnertruppe weißer Südafrikaner
Katanga kontrollierte. Zu allem Übel stürzte dann auch der UN-Generalsekretär Dag
Hammerskjöld mit seinem Flugzeug über dem Kongo ab. 1962 eroberten dann aber doch die
indischen UN-Truppen die Provinz. Allerdings kam es nach deren Abzug sofort zu einem
blutigen Bürgerkrieg, der Kongo zerfiel, die Zentralregierung kontrollierte nur noch ein
Drittel des Territoriums. Mit Hilfe belgischer Fallschirmjäger, die von den Amerikanern
eingeflogen wurden, konnten Mobutus Truppen 1965 die Lage einigermaßen stabilisieren. Im
Jahr darauf putschte er sich dann an die Macht. Mit eiserner Faust, mit einem auch für
afrikanische Verhältnisse beispiellosen System von Günstlingswirtschaft und Korruption und
mit einigem taktischen Geschick hielt Mobutu dann den Kongo – von ihm in Zaire umgetauft
– bis Mitte der neunziger Jahre einigermaßen zusammen. In den 1980er Jahren erfolgte der
wirtschaftliche Kollaps, der auf wundersame Weise an dem mittlerweile zum Milliardär
mutierten Mobutu spurlos vorbeiging, 1991-1993 zerstörten landesweite Plünderungswellen
die Reste der Wirtschaft und der Infrastruktur, und 1997 eroberte ein neuer „big men“ aus
dem Osten die leidgeprüfte Hauptstadt: Laurent Kabila. Mobutu ging ins Exil nach Marokko
und verstarb dort nach wenigen Monaten an Krebs. Danach hob ein weiterer Akt der nicht
enden wollenden Tragödie an: mehrere ethnisch motivierte parallel verlaufende Bürgerkriege
im Riesenstaat, Interventionen von Ruanda, Angola, Uganda, Simbabwe, Dauerkämpfe,
Chaos, Anarchie. Die Situation im Kongo Ende der neunziger Jahre hat die belgische
Reisebuchautorin Lieve Joris eindrucksvoll beschrieben. (Der Tanz des Leoparden. Mein
afrikanisches Tagebuch, München 2003).
Im Kongo überlappten sich auf unglückliche Weise Dekolonisierung und Kalter Krieg, trafen
ein verantwortungsloses Kolonialregime, zentrifugale Kräfte, ethnische Spannungen und
Eigeninteressen einiger „big men“ aufeinander. Eine Lösung des Problems ist bis heute nicht
in Sicht.
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