Vichy, die Königin der Thermen

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Vichy, die Königin der Thermen
Bericht von Udo Haafke
François schlurft auf abgewetzten Pantinen in die Trinkhalle. Ein verbeulter Becher baumelt am hellbraunen Lederband vor der Brust des
Rentners. Er nimmt das Trinkgefäß heraus, hält es unter einen der zahlreichen Wasserhähne, die aus der hellblau gekachelten Wand herausragen. Schwefliger Geruch wabert in der Weite des Raumes, den künstliche Lampen erhellen. François setzt das gefüllte Glas an die Lippen,
leert es vorsichtig bis zur Neige. Für einen Moment hält er inne, verfolgt intensiv den Weg des Getränks in die Tiefen seines Körpers. Dann
macht er kehrt und verlässt gemächlich den von feucht-warmer Luft
geschwängerten Raum. Den kunstvoll geschmiedeten Blumenrosetten an
den Fenster- und Türrahmen widmet er keinerlei Aufmerksamkeit. Zu oft
schon hat er sie gesehen; sie verlieren ihre künstlerische Bedeutung,
sind nur noch notwendiges Übel, wenn man ihnen dreimal am Tag,
überdies zwangsläufig begegnet.
"Ich bin jeden Morgen kurz nach 6 hier, dann komme ich zur
Mittagszeit und nochmals um 8 abends," erzählt er, während er eine
der weißen Bänke im weitläufigen Parc des Sources auswählt und sich
schwerfällig auf ihr niederlässt. Die ersten Sonnenstrahlen suchen mühsam ihren Weg durch das dichte Laubwerk der Platanen, jedoch ohne
allzu großen Erfolg. "Es bleibt hier immer schön kühl, selbst wenn die
Sonne im Zenit steht." François blinzelt neidvoll zu einem kleinen
Pavillon herüber, an dem eine Frau Tische und Stühle für das
Tagesgeschäft aufstellt. Blaues Neonlicht umrahmt rhythmisch blinkend
einen Werbetext: pastilles de Vichy. "Die hat´s gut! Die verkauft ihre
Pfefferminzbonbons und darf ab und zu mal einen lutschen. Und ich?
Ich bin auf Diät und muss mir dieses schweflige, warme Wasser verabreichen! Alles nur der Gesundheit zuliebe. Schon seit Jahren, aber an
diesen merkwürdigen Geschmack habe ich mich bis heute nicht
gewöhnt!" Er schüttelt sich. "Na ja, Hauptsache es hilft."
Seit Ende des 16.Jahrhunderts kommen die Menschen nach Vichy, um
die heilsamen Kräfte der Thermen und Quellen zu erleben. Dem damaligen Stand der Medizin zufolge, wurde die Wirkung von Trinkkuren und
Bädern mit Zauberei und Magie erklärt. Berühmte Persönlichkeiten der
Zeitgeschichte sorgten für einen hohen Bekanntheitsgrad des Ortes am
Rande der wohl größten Vulkanlandschaft Europas im Herzen der
Auvergne. Den geologischen Besonderheiten der Region verdanken
auch noch einige weitere Orte den Status eines Thermalbades (La
Parc des Sources
Thermalquelle
Das Thermalbad
Thermalbad - innen
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Bericht von Udo Haafke
Bourboule, Chatel-Guyon, Le Mont-Dore oder Royat), doch gilt Vichy als
die ungekrönte Königin unter ihnen. Als zwei Töchter Ludwigs XV. den
Sommer des Jahres 1785 hier verbrachten, sagte ihnen zwar die Kur,
weniger jedoch die einfachen, äußeren Umstände zu, die nicht im
Mindesten den Ansprüchen des Hochadels entsprachen. Ihr Neffe
Ludwig XVI. sollte sich den architektonischen Gegebenheiten widmen,
größere Bäder und annehmbare Unterkünfte errichten.
Vor allem die Anwesenheit Napoleons III. zwischen 1861 und 1866
zu recht erfolgreich verlaufenden Kuren sorgte für einen nun heftig einsetzenden Boom, der Vichy endgültig erfasste. Napoleon ließ den Fluss
Allier eindämmen, machte die sumpfige Uferlandschaft urbar, legte ausgedehnte Gärten an, das heutige Arboretum. Straßen, Boulevards wurden gebaut, herrschaftliche Häuser und Paläste zur Unterkunft des
Kaisers und seines Gefolges. Jedoch auch die weltlichen Vergnügungen
Hotel de Ville
Die Oper
ließ man nicht außer acht und richtete am südlichen Ende des Parc des
Sources 1865 ein Casino ein. Noch nachhaltiger jedoch prägt die
Belle Époque das heutige Aussehen der Stadt. Insbesondere die
Einweihung des Opernhauses 1903, unweit des Casinos, und des großen Thermalbades in klassischer Jugendstilarchitektur mit orientalischem
Einfluss belegen dies eindrucksvoll. Auch der Parc des Sources bekam
ein Jugendstilaccessoire, dessen Dimension durch den mittlerweile ausgesprochen wuchtigen Baumbestand jedoch geradezu niedlich wirkt:
eine verschnörkelte Metallgalerie, 700 Meter lang, als wertvolles
Präsent aus der Weltausstellung von 1889.
Hausfasade in der Rue de Clemenceau
Die Zahlen der Kurgäste stiegen stetig an, sodass noch weitere Bäder
in der Stadt hinzukamen und die Kapazität an Unterkünften erhöht werden musste. Eine Tatsache sowie das gut funktionierende Telefonnetz,
die Vichy zum zweifelhaften Ruhm während des 2.Weltkrieges verhalf,
als sich das aus Paris und Bordeaux vertriebene Parlament in der Stadt
etablierte, in der ehrwürdigen Halle der Oper die Regierung gestürzt
wurde und sich gegen nur geringen Widerstand der machtbesessene
Marschall Philippe Petain für 4 Jahre zum Staatsoberhaupt machen
ließ. Eine kurze, aber heftige Hauptstadtzeit folgte.
"Früher bin ich wohl etwas zu häufig auf dem Allier-See gerudert.
Daher vermutlich mein Rheuma.
Passage Giboin
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Damals gab es auch nicht diese neumodischen Begriffe wie Wellness!"
François kratzt sich im schütteren Haupthaar. "Meine Altersgenossen
und ich, wir wären gern nochmal jung und würden Gesundheitsurlaub
machen, so wie die vielen Touristen es tun. Mit allem was dazugehört:
Massagen, Sauna, Fitnessstudio oder Sport in den tollen Anlagen am
westlichen Seeufer. Oder Golf...!" Dann berichtet François schwärmerisch von der goldenen Ära der Oper, als ein kultureller Höhepunkt den
nächsten jagte und Richard Strauss höchstpersönlich 1935 die Oper
Salome zur Uraufführung brachte, Vichy als Hauptstadt der Musik
glänzte. Heute sind die Inszenierungen wohl perfekter, jedoch weniger
zahlreich und spektakulär. Der Glamour der 30er indes hat sich überlebt. Lediglich die 1995 liebevoll restaurierten Jugendstilelemente im
Treppenhaus oder im Großen Saal, die Blumendekors an den Wänden
spiegeln die verspielte und verschwenderische Lebensfreude wider.
Unweit der Oper, am Rande des Parks befindet sich in einem tempelartigen Rundbau eine weitere Thermalquelle, an der jeder, der mag oder
muss, sein tägliches Scherflein abholen kann. Gleich daneben eines der
in Frankreich so beliebten Karussells mit wippenden Holzpferdchen, in
zarten Pastelltönen anmutig bemalt, und von Kindern stark frequentiert.
Vis-a-vis liegt eine ausgedehnte Fußgängerzone in der die Belle Époque
weitgehend dominiert. Besonders hübsch wirken die kleinen, überdachten Passagen, in denen Souvenirläden genauso zu finden sind wie
allerfeinste Restaurants.
Information: www.franceguide.com, www.ville-vichy.com
Anreise: Nach Vichy gelangt man am schnellsten mit der Air France
von allen deutschen Flughäfen, teilweise mit Zwischenstop in Paris, teilweise aber auch direkt nach Clermont-Ferrand. Von hier aus weiter mit
dem Bus oder Mietwagen. Mit dem PKW dauert die Fahrt ins Herz
Frankreichs recht lang. Die Autobahnen sind teils mautpflichtig.
Unterkunft: Zahlreiche Hotels jeglicher Preiskategorie stehen zur
Verfügung, auch Ferienhäuser in der näheren Umgebung. An der
Rezeption können meist Termine in den Thermen für Massagen oder
Anwendungen gebucht werden.
Aktiv: Verschiedene Wassersportaktivitäten auf dem Lac d´Allier (Kanu,
Segeln, Rudern), dazu Tennis, Mountain-Bike, Golf etc. im Parc
Omnisports. Für Kinder bietet der Parc du Soleil am Seeufer unterschiedliche Spielmöglichkeiten, zum Teil mit Animation.
Park an der Oper
Place De Gaulle
Pavillon im Parc des Sources
Kirche in der Rue G. Clemenceau
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