Hotelkette Das Gebäude, das dem Entwurf zugrunde liegt, ist typologisch, aber nicht topologisch definiert: Die Neutralität des Ortes und die Forderung der Reihung implizieren eine Universalität, die in diesem Maße nicht vorhanden sein kann – dennoch sollen Überlegungen zur ortsneutralen Situierung eines Gebäudes angestellt werden, die sich mit der geschilderten Thematik auseinandersetzen. Die grundsätzliche Strukturierung des Hotelgebäudes abstrahiert die in der Aufgabenstellung vernachlässigten regionalen, topographischen und klimatischen Bedingungen – die bei endloser Reihung und dadurch Querung aller Regionen, Topographien und Klimate zu wichtigen Faktoren werden – in eine neutrale Matrize. In diese kann der typisierte Entwurf gesetzt werden. Der Grundriss reiht sich entlang einer horizontalen Achse auf,(1) in deren Folge er die Welt umspannen wird. Überlegungen zur endlosen Reihung typisierter Grundrisse Die programmatische Bezeichnung „Hotelkette“ spiegelt die endlose Reihung typisierter Grundrisse wider. Das Hotelgebäude spannt sich in konsequenter Folge um die Erde, es durchzieht auf seinem Weg – der hier statisch und nicht in Form von Bewegung zu verstehen ist – verschiedene Regionen, Topographien und Kulturkreise. Die Dynamik des Gebäudes ist von seinen Insassen geprägt, die im klimatisch geschützten Inneren die Welt durchwandern können. Der Innenraum tritt in Korrespondenz mit dem Äußeren – die uniforme Wahrnehmung des Inneren verdeutlicht die heteroforme Beschaffenheit der äußeren Welt. Die Verbindung von Nord- und Südseite wird durch notwendige Querungen von Infrastrukturen gewährleistet: Trifft das Hotel beispielsweise auf Straßen, überirdische Versorgungsleitungen oder kleinere Flussläufe, so werden die oberen Stockwerke diese nach Möglichkeit als Brücke überspannen, um ein Fortlaufen der Struktur zu ermöglichen. Topographische Hindernisse Architektursprache Rainer Schützeichel Hotelkette, o.O., Konstruktiver Entwurf 2006, Modell 1:500, Ansicht der Südfassade (1) Archizoom interpretierte die Stadt als oggetto naturale, das nach den „natürlichen“ Regeln der Vernunft gestaltet ist. Im Entwurf ihrer No-Stop-City (1970- 1972) multiplizierten sie typisierte Grundrisse in beiden Horizontalausdehnungen. Die hierin geäußerte Kritik an der Moderne, die sich als neutrale Schablone abbildet, soll im vorliegenden Entwurf als Hintergrund betrachtet werden. Unter der aktuellen Problematik globalisierter Strukturen versucht der Entwurf des Hotels, regionaltypische Rahmenbedingungen zu integrieren, aber trotzdem in standardisierter Form die Regionen zu durchziehen. Vgl. hierzu auch die Definition von „Dissimulations- ironie“ in: Stauffer, Marie Theres: Unendliche Stadt, S. 54f; in: Bund Deutscher Architekten (Hrsg.): Der Architekt 9-10/05, Wohnvisi- onen, Berlin 2005, S. 52-56. wie Bergketten werden durch eine entsprechende Terrassierung überwunden, während großflächige Hindernisse wie die Ozeane nicht in gewöhnlicher Weise überbrückt werden können. Sollte ein Fortlaufen nicht möglich oder zu aufwendig sein, so setzt sich das hier unterbrochene Gebäude ideell an der Stelle fort, an der die geradlinige Fortsetzung der Struktur auf das Festland träfe. Interregionale Ausführung Das Gebäude muss während seiner Errichtung an jedem Ort mit einfachen Mitteln weitergebaut werden können. Beton stellt den primären Baustoff dar, der in eine einfache, aber standardisierte Schalung eingebracht werden muss. Um die aufwendige Fertigung von Schalelementen, die zudem einen Transport aus einem spezialisierten Werk zu den Baustellen nötig machte, zu vermeiden, werden die Schalelemente vor Ort mit Schalbrettern belegt, die eine Höhe von 12,5 Zentimetern haben und in der Länge dem jeweiligen Bauteil angepasst werden. Verfärbungen des Betons und divergierende handwerkliche Ausführungen ließen sich nur durch erhöhten Kostenaufwand vermeiden: Ein heterogenes Fassadenbild, das dennoch einigen festen Grundprinzipien im Hinblick auf Farbigkeit und Modularität folgt, stellt aufgrund der interregionalen Situierung eines Gebäudes, das zudem nicht in zeitlicher Kontinuität gebaut werden kann, einen unvermeidbaren und gewünschten Bestandteil sowohl regionaler als auch alterungsbedingter Unterscheidung dar. Grundrissanordnung Die strukturelle Konzeption des Hotelgebäudes leitet sich im Grundriss grundsätzlich von der Orientierung zu den verschiedenen Himmelsrichtungen ab. Die Zimmer im Nord-Osten bilden eigenständige Baukörper, zwischen denen sich jeweils ein zu drei Seiten geschlossener Hof befindet. Durch die Öffnung zu diesem Hof fällt Nordlicht in die Zimmer, zudem kann der Flur zwischen den gegenüberliegenden Zimmern im Norden und Süden Architektursprache Rainer Schützeichel durch den Rücksprung in der nord-östlichen Fassade belichtet werden. Die Höfe haben die funktionale Aufgabe der Belichtung von Nordzimmer und Flur, während sie konzeptionell die Ansicht im Nord-Osten rhythmisieren und zudem das urbane Thema des „Fensters zum Hof“ innerhalb eines endlos gereihten Gebäudes bedienen. Die süd-westlichen Zimmer sind im Grundriss gespiegelt, so dass jeweils zwei Zimmer spiegelbildlich nebeneinander liegen – diese Paare setzen den Grundriss in Reihung fort. Das Erdgeschoss dient im Wesentlichen als Promenade. Die vertikale Zirkulation wird über die nordöstlichen Baukörper organisiert – nach einer Folge von fünf Zimmern findet sich in jedem sechsten ein Treppenhaus, über das die drei oberen Etagen erreicht werden können. In diesen können auch die erforderlichen technischen Installationen vertikal verteilt werden. Die konstruktive Ausbildung unterscheidet ebenfalls zwischen der Nord- und der Südseite: Im Nord-Osten sind die drei Außenwände der eigenständigen Baukörper tragend ausgebildet, die Aussteifung erfolgt in erster Linie über Rahmenwirkung. Im Süd-Westen legt die offene Struktur der Fassaden eine Auflösung der Tragstruktur nahe – die Trennwände der einzelnen Loggien setzen sich in Form von Wandscheiben als Stützen im Erdgeschoß fort und führen die Lasten der darüberliegenden Geschosse ab. Die frei gespannte Decke muss entsprechend mit Spannbeton oder äquivalenten konstruktiven Lösungen ausgebildet werden. Dieser Text ist der Erläuterungsmappe zum Konstruktiven Entwurf (SS 2005, WS 2005/06) bei Prof. Dipl.-Ing. Carola Wiese entnommen. Architektursprache Rainer Schützeichel