Graues Kloster, Berlin Das Grundstück für den Studienort Graues Kloster befindet sich im Stadtteil Berlin Mitte südwestlich des Alexanderplatzes und grenzt im Norden an die Grunerstraße. Weitere Grundstücksbegrenzungen bilden die Littenstraße in Osten sowie die Klosterstraße im Westen. Die auf dem südlichen Teil des Grundstückes erhaltene Kirchenruine des ab dem Jahre 1249 nachweisbaren Franziskanerklosters beziehungsweise des späteren Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster weist teils großflächige Zerstörungen im Bereich der beiden Seitenschiffe, des Giebels sowie der südlichen Langhauswand auf. Die Verglasungen der Fenster sowie der Dachstuhl fehlen im gesamten Bereich der Kirche. Graues Kloster, Berlin-Mitte, Wettbewerb 2005 (mit Helga Müller), Modell 1:500, Ansicht von Süd-West Entwurf Die Kirchenruine bildet das zentrale Bindeglied des Entwurfes, das durch die Anlage des Studienkomplexes eine neue Präsenz und Bedeutung im Gefüge der Stadt erlangt. Die Ruine der ehemaligen Klosterkirche wird als maßstabgebendes Element in einer Reihe von Studiengebäuden betrachtet, da sie als einzig vorhandenes Zeugnis der Geschichte dieses Ortes als Kloster und Ort der Lehre die Ansiedlung des Studienkomplexes bedingt. Die parallele Ausrichtung der Gebäude zur Kirchenruine führt im Bereich der Grunerstraße zu einer Abweichung von der Straßenflucht: Dieser Bruch bildet im Westen einen Trichter, der sich zur Straße hin öffnet, im Osten weitet sich der zum Grundstück gehörende Park zum Chor hin auf. Die Drehung betont somit die besondere Funktion des Studienortes und lenkt die Besucher an der Westfassade zum Haupteingang des Komplexes, an der Ostseite wird die Wichtigkeit des Chores hervorgehoben. Die Ruine wird in ihrer nunmehr seit Jahrzehnten zugedachten Funktion als Mahnmal erhalten. Ihr Zustand wird beibehalten und bildet somit ein Fragment der Geschichte, ohne die ursprüngliche, heute aber nicht mehr in Anspruch genommene Bestimmung eines liturgischen Ortes durch ein wiederaufgebautes Äußeres zu imitieren. Architektursprache Rainer Schützeichel Der Ansatz des Entwurfes ist die Umfassung der Ruine und ein mit der Positionierung der Gebäude verbundener Schutz der stark beschädigten Nord- und Südseite. Im Süden offenbart sich die stärkste ‚Verwundung’ der Kirche durch das Fehlen von großen Teilen der Langhauswand und des Seitenschiffes. Das Gebäude an der südlichen Seite bildet, als konzeptionelle Ergänzung der Kirchenruine, den soliden Abschluss des Studienbezirks. An der Nordseite schließen die Studien- sowie das Wohngebäude an und nehmen durch diese Orientierung zur Kirche die Richtung der Kloster- und Gymnasialgebäude auf. Die Gebäude des Studienbezirks definieren durch einen gemeinsamen Sockel, der Abstand zur Kirche hält und dadurch die Erdverbundenheit des Bauwerkes verdeutlicht, eine klare Grenze. Durch ihn hebt sich der Ort des Studiums vom angrenzenden Gelände ab. Treppenstufen, die als Block dem Sockel vorgelagert sind, machen Eingänge zum Studienkomplex kenntlich und verbinden den Bezirk als einen öffentlichen Ort mit der Umgebung. Die Unterscheidung des Niveaus von Gelände und Sockel unterstreicht die besondere Bestimmung des Bezirks und seine Gruppierung um die Kirchenruine. Der Studienort ist aber gleichsam mit der Stadt verbunden und öffnet sich dem Zugang von interessierten Besuchern. Die einzelnen Bauten sind nach ihren Nutzungen in Wohnen, Seminar und Verwaltung, Bibliothek sowie museale Ausstellung unterschieden. Sie reihen sich an einer linearen Erschließungsstruktur auf und umfassen die Kirchenruine als das strukturgebende Element. Der Raum innerhalb der Ruine wird weiterhin für kulturelle Veranstaltungen genutzt und spielt damit neben seiner Funktion als Ort der Besinnung eine aktive Rolle innerhalb des Grauen Klosters. Die Abmessungen der Gebäude entwickeln sich aus den Vorgaben der Kirchenruine. Der Struktur von Grundriss- und Fassadenteilung liegen die Raumachsen der Pfeiler in der nördlichen Langhausfassade zugrunde, die Gebäudebreiten beziehen sich auf Raummaße der Kirche. In ihrer Höhenentwicklung richten sich die Baukörper nach der Höhe der Langhauswände. Die in Sichtbeton ausgeführten Fassaden nehmen die vertiArchitektursprache Rainer Schützeichel kale Betonung der Kirchenfassade auf und öffnen sich mit Ausnahme des Wohngebäudes zu diesem zentralen Element. Das Ausstellungsgebäude schließt konzeptionell die zerstörte Südfassade der Kirche und bildet den Abschluss des Komplexes – eine Öffnung findet nur im Norden zur Kirche statt und lässt die Ausstellungsstücke in Beziehung mit ihrem ursprünglichen Aufstellungsort treten. Das Gebäude der Bibliothek im Norden der Ruine wendet sich dieser ebenfalls mit der Öffnung seiner Fassade zu. Gleichermaßen findet sich im Seminargebäude die Orientierung zur Kirche. Der den Gebäudekomplex nach Norden abschließende Wohnriegel wendet sich mit seinen Öffnungen der Nordseite zu und fungiert somit als Bindeglied zwischen der Stadt und dem Bezirk des Grauen Klosters, da der Blick an dieser Stelle durch die Öffnung auf die Nachbarschaft gerichtet und der Studienbezirk geöffnet wird. In der Grundrissfigur zeigt sich der Komplex zu drei Seiten geschlossen; im nördlichen Gebäude findet sich die Öffnung zur Nachbarschaft, die übrigen Bauten rahmen die Kirchenruine und fangen die verwundeten Seiten auf. Im Osten ragt der Chor über die Gebäudegrenzen hinaus und zieht durch seine Öffnungen die Umgebung in das Innere. Auf dieser Seite führen zudem Wege, entsprechend denen im Westen, die Besucher zwischen den einzelnen Gebäuden hindurch in den Studienort. Durch vier Wandscheiben, die in der Verlängerung der westlichen Gebäudeseiten aufgestellt sind, findet der Sockel einen räumlichen Abschluss. Die Zugänge und Wege werden durch die entstehenden Aussparungen zwischen den Wänden hervorgehoben. Die Giebelseite der Kirchenruine erhält durch das Fehlen einer vorgestellten Wandscheibe ein stärkeres Gewicht in der Gebäudekette. Die Zirkulation innerhalb des Ensembles wird auf dem Plateau an der Westseite organisiert. Die einzelnen Gebäude werden – in Anlehnung an den Eintritt an der Westseite der Ruine – kopfseitig von Westen her betreten, wobei die Kirche selbst durch die vom Sockel in das Gelände hinabführende Treppe eine besondere Betonung erfährt. Innerhalb der im Norden gelegenen Baukörper bildet sich die vertikale Erschließung Architektursprache Rainer Schützeichel an den westlichen Kopfseiten aus, wodurch die Funktion des Eintritts und der Verteilung, den diese Seite übernimmt, verdeutlicht wird. Eine durchgehende Fassadenöffnung, die bei diesen drei Baukörpern an korrespondierender Stelle zu finden ist, lässt das städtische Umfeld mit der Ruine in Kontakt treten und bildet zugleich eine Sichtachse an den zentralen Stellen der Gebäudezirkulation. Im südlichen Museumsbau verbindet eine Treppe an der geschlossenen Südwand die Ebenen. An dieser Stelle werden der Abschluss des Studienortes und die Ausrichtung des Gebäudes zum Kircheninnenraum unterstrichen. Rainer Schützeichel und Helga Müller Dieser Text ist der Erläuterungsmappe zum Wettbewerb der Rudolf Lodders-Stiftung, Studienort Graues Kloster (Rudolf Lodders-Preis 2005) entnommen. Architektursprache Rainer Schützeichel