- Deutsche Mozart

Werbung
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
MOZART!
SCHWERPUNKT
WETTSTREIT
HÖHER, SCHNELLER, SCHÖNER?
Konkurrieren um den Schönklang – heute und früher
03+06
08
10
12
14
05+16
Eine Oper über die Oper:
FLORIAN GASSMANNS »L’OPERA SERIA«
dirigiert von René Jacobs in Brüssel
COMPOSER SLAM
Wettbewerb ad absurdum geführt
AUGSBURG – SALZBURG – ZHUHAI
© Daniel Delang
Die drei großen Mozartwettbewerbe
Die Musik ist wichtiger als Wettbewerbe:
Interviews mit JULIA JONES und INGOLF WUNDER
UNSERE EMPFEHLUNGEN –
Bücher und CDs
EDITORIAL
Liebe Mitglieder der DMG,
liebe Crescendo-Leser,
DOKUMENT
»Mon très cher Pére« – mit diesen Worten beginnt Wolfgang
Amadé Mozarts Brief vom 16. Januar 1782, in dem er seinem
Vater vom Wettstreit mit seinem Kollegen Muzio Clementi
berichtet, den er am Weihnachtsabend vor Kaiser Joseph II.
und Ehrengästen in der Wiener Hofburg absolvieren musste.
© Internationale Stiftung Mozarteum, Bibliotheca Mozartiana
Wettbewerbe sind ein essentieller Bestandteil des Musikbetriebs geworden und kaum eine internationale Karriere eines Spitzenkünstlers ist ohne die Beteiligung an namhaften Formaten wie einem
ARD-Wettbewerb oder ähnlichen internationalen Marken denkbar.
Mozart hätte sich in seiner Zeit wohl kaum vorstellen können, wie
ausgefeilt Jury-Regularien sein können und wie hart umkämpft der
Musikmarkt. Wettbewerbe waren im 18. Jahrhundert eher noch ein
Wettspiel und ein aristokratisches Vergnügen, das der Unterhaltung
diente. In diesem Zusammenhang denken wir z. B. an die von ­Kaiser
Josef II. am Weihnachtsabend 1781 arrangierte Begegnung zwischen Mozart und Clementi, bei der beide Künstler am Fortepiano
versuchten, die auf sie ausgesetzten Wetten für sich zu entscheiden.
Anders verhält es sich schon mit dem 1786 ebenfalls von Josef II.
ausgelobten Opernwettstreit. Bei einem Fest im Palmenhaus von
Schönbrunn trafen mit Mozart und Salieri zwei Komponisten aufeinander, die grundsätzlich um Aufträge konkurrierten. In der Folge stilisierte man beide zu erbitterten Gegenspielern. Vermutlich
pflegten sie aber eher einen professionellen Umgang miteinander,
darauf lässt jedenfalls die als Gemeinschaftswerk komponierte Arie
Per la ricuperata salute di Ophelia schließen, die erst jüngst im Prager
Musik­museum gefunden wurde.
Wettbewerb um Aufträge und die Gunst des Publikums gibt es aber
nicht nur in der Wiener Klassik. In den europäischen Metropolen
verlangt ein inzwischen bürgerliches Publikum nach immer neuen
aufregenden Entdeckungen und Virtuosen, die wir heute Stars nennen. Ein Musiker- oder Primadonnenwettstreit wie noch in Mozarts
Schauspieldirektor entspricht kaum mehr der Wirklichkeit. Statt von
den Künstlern selbst, wird dieser heute von den Marketingabteilungen großer Labels oder Agenturen ausgetragen. Sie konkurrieren um
Marktanteile in einem globalen Klassikgeschäft, das um Quoten und
bei gleichbleibendem Standardrepertoire, um neue, unverbrauchte
Interpreten ringt. Diese wiederum – und hier schließt sich der Kreis –
generiert der Klassikmarkt in Wettbewerben.
Mit der vorliegenden Ausgabe bieten wir Ihnen einen Streifzug
durch die Welt der Wettbewerbe von »Jugend musiziert« bis zum
»Composer Slam«. Bei allem Wettbewerbsdenken, wollen wir aber
auch die persönlichkeitsbildende Kraft der Musik nicht aus dem
Auge verlieren.
Viel Vergnügen und eine anregende
Lektüre wünscht Ihnen
Fundstück
So ein Wettspiel zweier Musiker auf Befehl adliger Gönner
dürfte einigermaßen demütigend gewesen sein. Doch ließ
sich Mozart bereitwillig darauf ein: Er war auf das Wohl­
wollen des Kaisers angewiesen, konnte jede Einkommensquelle gebrauchen – die 50 Dukaten, mit denen ihn der
Kaiser belohnte, waren ebenso großzügig wie hoch willkommen – und wollte sich und seine Kunst in den musikaffinen
Wiener Kreisen bekannt machen. Die Rechnung ging auf:
Anfang März 1782 konnte Mozart das erste eigene Konzert
geben.
Während Clementi sich später v. a. an das elegante Äußere
Mozarts erinnerte, bietet Mozart in seinem Bericht an den
Vater Einblick in seine ästhetischen Überzeugungen: Geschmack und Empfindung waren ihm wichtiger als bloße
Technik. Noch heute gilt es bei jedem Wettbewerb, zwischen
diesen beiden Aspekten abzuwägen. ❙
Ihr
THOMAS WEITZEL,
Präsident der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Cover ❙ Flötist, Preisträger, Mozartfan: SÉBASTIAN JACOT
im Herkules-Saal in München beim ARD-Wettbewerb 2015,
fotografiert von Daniel Delang
2Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Aufruhr in der »theuren Halle«: In der Romantik
hielt man den Sängerkrieg auf der Wartburg
für ein historisches Ereignis.
WETTSTREIT
Höher, schneller, schöner?
Mozart war nicht der Erste,
der musikalisch gegen seine Kollegen antrat
von Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Das antike Vorbild
Fresko von Moritz von Schwind: Der Sängerkrieg, 1855, Wartburg
»Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Corinthus Landesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibycus, der Götterfreund.«
Angesichts der dramatischen Ereignisse, von denen Schiller in seiner Ballade Die Kraniche des Ibycus (1798) erzählt, überliest man
bisweilen den Hintergrund des Szene: Ibykos, ein historisch belegter lyrischer Dichter des 6. Jhs. v. Chr. ist auf dem Weg zu den
isthmischen Spielen in Korinth. Diese fanden seit 580 v. Chr. alle
zwei Jahre zu Ehren des Gottes Poseidon statt. Wie die drei anderen
sogenannten panhellenischen Wettspiele – die olympischen, die pythischen und die nemeischen – umfassten auch die Isthmien nicht
nur athletische Disziplinen wie verschiedene Läufe, Wagenrennen
mit Pferden, Fünfkampf, Diskuswerfen oder Ringen, sondern auch
eine ganze Reihe musischer Wettkämpfe: Singen zur Kithara, Singen
zum Aulos, reines Aulos-Spiel, reines Kithara-Spiel, Tragödien-­Auf­
führungen, rhetorische Vorträge und Malen.
So ist die Geschichte der Musik-Wettbewerbe also mittlerweile über
2500 Jahre alt. Und wenn die Kombination von Sport und Musik
heutzutage auch eher abwegig erscheint, gelten andere Aspekte noch
immer: So gab es bereits Wertungs-Jurys, die sich auf Beurteilungskriterien einigen mussten – schließlich ermittelten sich musische
Sieger im Gegensatz zu sportlichen nicht von selbst. Die Sieges­
preise waren eher symbolischer Art – Lorbeerkränze in Delphi,
Fichten­zweige in Korinth –, doch konnte der so gewonnene Ruhm
etliche positive Folgen haben. Wer, wie der Chorlyriker Pindar, mit
dem Dichten und Komponieren seinen Lebensunterhalt verdienen
wollte – was damals noch alles andere als die Regel war –, konnte
nach ­einem Sieg auf Aufträge reicher Mäzene oder gar eine Anstellung hoffen. Mozart, der als Wunderkind zwar keine regulären Wett­
bewerbe absolvierte, aber von seinem Vater ein Show-Programm
beigebracht bekommen hatte, bei dem die zirzensisch-sportlichen
Anteile überwogen, ging es ebenso.
Ritter, Barden, Meistersinger
Musikwettbewerbe – also im Vergleich ermittelte beste Sänger,
Barden oder Dichter-Komponisten – standen auch bei der ritter­
lichen Elite an den mittelalterlichen Höfen hoch im Kurs. Weiterhin wurde das musikalische Wetteifern nach einem sportlichen
Muster, dem der Turniere, gemodelt und diente nicht der Vor­
führung professioneller Standards, sondern dem Nachweis allgemeiner höfischer Qualitäten. Die Sage (und Liedersammlung)
vom Sängerkrieg auf der Wartburg ist ein plastischer Reflex davon.
Die ­Eisteddfoddau – Bardenwettbewerbe – der irischen und wali­
sischen Barden hingegen dürften als nationale Volksfest eher an
die Zusammenkünfte der alten Griechen erinnert haben. Zünftisch
ernst nahmen hingegen die städtischen deutschen Meistersinger
Regeln und Wettbewerb.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft3
Amphora des Andokides-Malers, aus Athen (um 525 / 520 v. Chr.).
Dargestellt werden zwei Musiker auf einer Bühne. Der eine ist ein
Aulos-Spieler, bei dem anderen könnte es sich um einen ­Sänger
handeln. Ist die Person vor den beiden Musikern ein Jury-Mitglied?
Dargestellt ist vermutlich ein musikalischer Wettbewerb.
Aber für all diese Formen gilt: Musikalische Praxis und Kreativität
forderte offenbar zum Vergleich auf. Musiker wie Publikum wollten schlecht von gut, gut von besser unterscheiden und zwar nicht
auf dem Papier, sondern in einer lebendigen Vorführung. Dass dabei die Unterhaltung oft wichtiger war als das Künstlerische, dokumentieren nicht zuletzt die von Fürsten angeordneten Wettspiele
von Musikern. Das Duell zwischen Mozart und Clementi von 1781
ist dabei durchaus typisch: Der Fürst, hier Joseph II., nimmt die
Durchreise eines fremden Virtuosen zum Anlass, dessen virtuose
Fertigkeiten zu testen, indem er einen seiner besten vor höfischem
Publikum gegen ihn antreten lässt und auch noch auf ihn wettet.
Auch der Stücke-Wettbewerb zwischen Mozart und Salieri im
­Februar 1786 war letztlich nur ein Moment im höfischen Fest­
kalender anlässlich des Besuches des niederländischen Statthalterpaars: Die Orangerie von Schloss Schönbrunn, in der auf je einer
Bühne rechts und links die heiteren Einakter Der Schauspieldirektor
(Johann Gottlieb Stephanie / Mozart) und Prima la musica e poi le
parole (Giambattista Casti / Salieri) gegeneinander antraten, war für
das höfische Festpublikum prächtig illuminiert worden. Wer da siegte und aufgrund welcher Kriterien, war eigentlich bedeutungslos,
jedenfalls ist es uns nicht überliefert.
wichtigen Instrument der musikalischen Ausbildung und beruf­
lichen Selektion. Erstmals trennt man klar zwischen Kompositionsund Interpretations-Wettbewerben.
Intern hatten Musiker freilich schon zuvor darauf gesetzt: Für die
Besetzung von evangelischen Kantoren-Positionen gab es formalisierte Prozeduren aus Vorspiel und der Aufführung einer eigenen
Komposition, und auch spontane Wettspiele ereigneten sich immer
wieder – Mozart beispielsweise wurde mehrmals von Kollegen zu
einem musikalischen »Duell« gefordert und trat sowohl gegen den
Organisten Häußler wie den Pianisten Ignaz Beecke an.
Das Wettbewerbsmodell entspricht einerseits den bürgerlichen
Werten: Der Erfolg einer Person wird nicht von ihrer Herkunft, sondern von ihrem Fleiß und ihrer objektiven Leistung bestimmt. Zugleich rückte mit dem Virtuosenzeitalter in den 1820er und 1830er
­Jahren die technische Fertigkeit und Brillianz in den Vordergrund,
wodurch so manche Vorführung wieder mehr an eine sportliche als
eine künstlerische Übung erinnerte. Wenn sich auch ab den 1840er
Jahren die Maßstäbe wieder änderten, besteht der Streit zwischen
Technik und interpretativer Kunst weiter fort. Die Diskussion um
Wertungs­maßstäbe, ihr Objektivierbarkeit und subjektiver Anteil
gehört folglich zu jedem Wettbewerb. Sie wird entsprechend ernsthaft geführt, nicht zuletzt, weil sich alle Beteiligten bewusst sind,
wie sehr die Karrieren junger Musikerinnen und Musikern von Wett­
bewerbs-Erfolgen abhängen. In den entsprechenden Viten jedenfalls
sind Wettbewerbs-Erfolge neben Auftritten an renommierten Häusern und mit bekannten Musikern die zentrale »Währung«, aufgrund
derer andere den künstlerischen Rang eines Musikers einschätzen.
© Andres Putting
Die Wissenschaft der Bewertung
Mit 365 Punkten moderner Held werden: Måns Zelmerlöw beim
­Eurovision Song Contest 2015 in Wien, mit dem Song »Heroes« (Platz 1)
Professionalisierung
Traten in den musikalischen Wettbewerben der Antike und des
Mittelalters nach heutigem Verständnis Liebhaber oder höchsten
Halb-Profis gegeneinander an, verschiebt sich das Bild ab dem
19. Jahrhundert. Mit der Herausbildung eines eigenständigen, von
professionellen Orchestern und formalisierten Ausbildungswegen
getragenen Musikwesens werden Wettbewerbe plötzlich zu einem
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann ist Musikwissenschaftlerin und leitet die Abteilung ­Musik am
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in
Frankfurt / Main.
Dass nicht immer und notwendig der oder die beste in einem
Wett­bewerb auch siegt und welche nicht-musikalischen Kriterien
unbewusst bei den Entscheidungen der Jury eine Rolle spielen, interessiert mehr und mehr auch die Wissenschaft. Mit statistischen
Analysen und Experimenten weisen Forscher nach, dass Aspekte wie
die Startnummer ihren Anteil an den Plazierungen haben. ­Furore
machte vor einiger Zeit ein Experiment, bei dem man erfahrenen
Jurymitgliedern die Wettbewerbsbeiträge verschiedener Personen
entweder nur als Film (ohne Ton) oder nur als Ton vorspielte und
zu bewerten bat. Dass sich daraus zwei unterschiedliche Rangfolgen
ergaben, leuchtet noch ein. Ernüchternd aber war, dass die Reihung,
die aufgrund der Filmaufnahme zustande kam, dem tatsächlichen
Ergebnis des Wettbewerbs wesentlich näher kam als die eigentlichen
musikalischen Bewertungen. Selbst professionelle Jurys hören also
auch mit den Augen.
In einem populären Musik-Wettbewerb wie dem
Euro­vision Song Contest – insgesamt gesehen wohl
der erfolgreichste Musik-Wettbewerb überhaupt –,
in dem laut Statuten eigentlich das beste Lied ermittelt werden soll, haben die Produktionsteams, Choreographen, Kostümbildern, Sänger und Tänzer diese Erkenntnis schon lange in die Praxis umgesetzt. ❙
4Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Dr. Melanie-Wald-Fuhrmann © Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Fotografin: Antje Pohsegger
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig /
Andreas F. Voegelin
WETTSTREIT
Empfehlungen
REZENSIONEN
CDs
auch einmal wieder einen guten
Booklet-Text leistet – Dieter
Borchmeyer führt in ihm Ideen
aus seinem Mozart-Buch weiter – ist ein weiterer positiver
­Aspekt dieses Mozart-Projekts.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Dorothea Röschmann:
Mozart Arias. Daniel Harding,
Swedish Symphony Orchestra.
Sony Classical 88875061262,
VÖ: Novem­ber 2015
Das Lachen, in das die Schlusskoloratur von Elettras Wahnsinns-Arie aus Idomeneo umschlägt, klingt angemessen irre
und gerät doch nicht außer
Kontrolle. Die schwarze Tiefe
der Arie der Vitellia ruft Schauder hervor und beeindruckt zugleich durch Klangfülle.
Das sind nur zwei der Höhepunkte des Mozart-Albums von
Dorothea Röschmann. Die Sängerin legt hier gleichsam eine
erste Summe ihrer Auseinandersetzung mit Mozarts Arien­
kosmos vor, die sie von den
lyrischen längst zu den hochdramatischen Partien geführt
hat. Ihre farbenreiche Stimme
erlaubt ihr, für beinahe jedes
Stück ein eigenes Timbre zu finden, und vereint Expressivität
mit perfekter Technik.
Das Swedish Symphony Orchestra, das ihr unter der Leitung
von Daniel Harding auf dieser Live-Einspielung zur Seite
steht, ist ein ebenbürtiger Partner: klanglich differenziert, dynamisch und prägnant arbeitet
es die Feinheiten des Mozartschen Orchestersatzes heraus.
Und dass sich eine Plattenfirma
Anton Wranitzky: Violin
Concerto op. 11, Paul Wranitzky:
Cello Concerto op. 27,
Sym­phony op. 16/3. Howard
Griffiths, Münchener Kammerorchester. Sony Classical
88875127122, VÖ: Januar 2016
Der im selben Jahr wie Mozart
geborene Paul und sein fünf
Jahre jüngerer Bruder Anton
Wranitzky gehörten zu den angesehensten Musikern im Wien
der Mozart- und Haydn-Zeit.
Mit Ämtern bei musikliebenden
Fürsten sowie leitenden Positionen an den Opernorchestern
standen sie im Zentrum der
musikalischen Ereignisse in den
1780er und 90er Jahren.
Ihr umfangreiches kompositorisches Oeuvre ist heute indes nur
noch wenig bekannt. Dass sich
eine Entdeckung aber lohnt, zeigen das Münchener Kammer­
orchester und Howard Griffiths
mit drei Ersteinspielungen, in
denen sie die Werke mit ebenso
großem künstlerischen Anspruch
wie Einsatz zum Leben erwecken. Als Solistinnen a­gieren
mit Veriko ­
Tchumburidze und
Chiara Enderle zwei junge
­
Musiker­innen, die von der Orpheum Stiftung zur Förderung
junger Solisten unterstützt
werden. Zu recht – überzeugen
sie doch durch technische Sou­
veränität, reine Tongebung,
differenzierten Ausdruck und
schöne Klangfarben.
Können die Konzerte durch abwechslungsreiche Satzcharak­
tere und farbige Details interessieren, so ist die Sinfonie
geradezu fesselnd: Auf einen
mitreißenden Kopfsatz folgen
ein abgründig zwischen Mollund Dur­passagen abwechselndes Adagio und ein quirliges
Finale. Im differenzierten und
effektvollen Einsatz der Instrumente, besonders der Bläser, steht Wranitzky Mozart in
nichts nach.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Mozart: Le Nozze Di Figaro,
­George London, Lisa Della
Casa, Roberta Peters, Giorgio
Tozzi, Fernando Corena,
Rosalind Elias, Sandra Warfield,
Gabor Carelli, Annie Felbermeyer, Ljubomir Pantscheff,
Wiener Philharmoniker / Wiener Staatsopernchor, Ltg.
Erich Leinsdorf (1958), URANIA
RECORD WS 121.304 (3 CD)
Wer bisher die alte Erich-­KleiberAufnahme als ideale Verwirk-
lichung des Figaro betrachtete
(die »historisch Informierten«
einmal außen vorgelassen), wird
bei Erich Leinsdorfs Einspielung
von Le Nozze di Figaro eines
Besseren belehrt. Die Wiener
Philharmoniker spielen unter
dem ehemaligen Bruno Walterund Toscanini-Assistenten nicht
nur präzise und klangprächtig,
sondern mit so viel Schwung,
buffonesker Spiellaune und funkelnder Virtuosität wie selten.
Eine unvergleichliche Aufnahme
auch des Sängerensembles wegen. Lisa della Casa sieht als Gräfin nicht nur wie ein Engel aus,
auch ihre sängerische ­
Beauté
ist betörend. Die lupenreine
Susanna von Roberta Peters
­
hat Despinaverschlagenheit. Der
Che­ru­bino der Rosalind Elias
agiert singend derart rasant, dass
man bei seinem Fenstersprung
im 2. Akt das Glas zerspringen
hört. Giorgio Tozzis Figaro ist
konkurrenzlos. Fernando Corena als Bartolo singt wie in einer
»Lerchenauischen Komödie«.
Der virile wie noble Graf George
Londons ist ein vergleichsloses
Stimmereignis. Der seit 1938 im
angelsächsischen Exil lebende
Wiener Dirigent, der 45 Jahre
Meister der MET war und erst
nach dem Zweiten Weltkrieg in
seine Heimat zurückkehrte, hat
mit dieser Aufnahme eine der
scharfgeschliffensten, aber auch
vollsaftigsten Interpretationen
des dramma giocoso vorgelegt.
Mehrfach ist es bei verschiedenen Labels erschienen, jetzt endlich klangrestauriert bei Urania
Records: was für ein Gewinn für
jeden Mozartisten!
Dr. Dieter David Scholz
Unsere Buchempfehlungen
finden Sie auf Seite 16.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft5
KARRIERE
Klassik-Karrieren:
Ohne Wettbewerb geht’s nicht
von Sven Scherz-Schade
© Erich Malter
Anders,
schöner, ­besser?
Stars werden in den Köpfen ihrer Fans geboren. Hand aufs Herz: Haben wir nicht alle
unsere Vorstellungen und Ideale – vielleicht auch Vorurteile, wie Vita und Karriere derer
aussehen sollen, die wir als Solistinnen und Solisten bestaunen?
Das Publikum ist neugierig und liest gern im Programmheft nach,
um befriedigt festzustellen, dass man sich Lebensweg und Referenzen bei ihr oder ihm genauso vorgestellt hat: Studiert an nam­
haften Hochschulen, Meisterkurse und natürlich: Musikpreise,
Best­platzierungen oder noch besser ›Nummer eins‹ … Wobei, wenn
allzu viele Lorbeeren aufgetischt werden, kann die Erwartungshaltung im Publikum einen unangenehmen Beigeschmack bekommen.
Denn Zuhörer, die allzu achtsam auf Höchstleitungen gespannt sind,
vergessen mitunter, die Musik schlichtweg zu genießen. Juroren, die
in Musikwettbewerben die Punkte zu vergeben haben, k
­ ennen dieses leidige Phänomen nur zu gut, wenn sie zum x-ten Male das von
allen Teilnehmern gewissenhaft eingeübte Pflichtstück vorgetragen
bekommen.
So allgegenwärtig wie das Wettbewerbsprinzip im Musik- und
Klassik­betrieb ist auch der widersprüchliche Irrsinn, der damit verbunden ist. Denn zu unseren Vorstellungen und Idealen gehört eben
auch das Wissen, dass in den Künsten und in der Musik – anders als
wie so oft im Sport – die Höchstleistung keineswegs das Maß aller
Dinge ist. Die oder der Beste zu sein, lässt sich bei Arien und Kadenzen nie exakt messen. Und ab einem bestimmten musi­kalischen
­Niveau wird es geradezu absurd, die Leistungen zu vergleichen.
Oder will sich jemand ernsthaft darüber den Kopf zerbrechen, ob
nun Julia Fischer oder Hilary Hahn die Mozart-Violinkonzerte
musikalisch-technisch »besser« gespielt hat? Dennoch weiß es jeder
Liebhaber und Kenner zu schätzen, dass die künstlerischen Lebenswege der beiden genannten Geigerinnen von einem ECHO hier und
einem Grammy dort gesäumt werden. Hut ab! Das Wettbewerbsprinzip gilt auch für die beiden Genannten, für ehemalige Wunderkinder sogar in besonderer Weise.
»Jugend musiziert«: schon früh Bestleistungen zeigen
»Der Wettstreit und der Wunsch, sich miteinander zu messen, gehört zum Menschen dazu wie essen und trinken«, sagt Reinhart von
Gutzeit. Der Musikpädagoge war Rektor der Salzburger Universität
Mozarteum, er ist Ehrenvorsitzender des Verbandes deutscher Musik­
schulen und Vorsitzender des Wettbewerbes »Jugend ­musiziert«, der
1963 vom Deutschen Musikrat initiiert wurde. Mit ihm bekommt
der Nachwuchs das allgegenwärtige Wettbewerbsprinzip in die
Wiege gelegt. Gern wird »Jugend musiziert« mit dem Pendant aus
dem Sport »Jugend trainiert für Olympia« verglichen, das mit dem
olympischen Gedanken »Dabei sein ist alles« wirbt. Durch Breiten­
wirkung die Besten zu suchen, gelte auch bei »Jugend musiziert«,
meint Reinhart von Gutzeit. Der Wettbewerb findet auf drei Ebenen mit jeweils recht unterschiedlichen Anforderungen statt: »Auf
der unteren Regionalebene wünschen wir uns schon, dass möglichst
viele mitmachen, auch diejenigen, die nicht für einen Preis auf Bundesebene in Frage kommen.« Wichtiger als erste Plätze zu machen,
sei es für die jungen Menschen zunächst einmal, dass sie sich ihre
innere Zielvorstellung klar machen: Sie nehmen teil, um ihre persönliche Bestleistung zu erringen. Sie zeigen, was sie erarbeitet haben und bekommen die Chance, im Moment der Präsentation ein
kleines Stück über ihr Können hinauszuwachsen. Die Frage, ob sie
damit besser als andere sind, sollte erst an zweiter Stelle stehen.
»Aber dass gerade junge Leute auch den Wunsch haben, gut abzuschneiden und gute Plätze zu machen, halte ich für völlig normal«,
sagt Reinhart von Gutzeit.
Zu wenige Wettbewerbe auf den »unteren Ebenen«
Jede Klavierlehrerin, jeder Cellolehrer – selbst Musikfachkräfte der
anthroposophischen Waldorfschulen, die in der Tradition Rudolf
Steiners dem Leistungsprinzip eher skeptisch gegenüberstehen –
sie alle wissen die Bedeutung des Vorspiels zu schätzen. Hier finden beim Kind oder Jugendlichen Entwicklungsschübe statt. Trotz
Aufregung und Lampenfieber birgt es die Chance auf stolze Freude
am musikalischen Vortrag. Und die behält der junge Mensch auch
nicht für sich, sondern teilt sie im Moment des Erlebnisses mit anderen. So gesehen müsste es noch viel mehr Musikwettbewerbe auf
jenen »unteren Ebenen« geben, wo breitenwirksam Vorspiel- und
Wettstreitsituationen inszeniert werden. Während Fußballkinder,
die im Verein kicken, jeden Samstag die Möglichkeit haben, sich
mit ­Gleichaltrigen zu messen, gibt es für junge Musiker nur einmal
im Jahr dazu Gelegenheit, eben wenn Vorspiel ist. Ein Blick in die
6Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© Petja Gohr
Wer es bis hierher geschafft hat, dem ist die Aufmerksamkeit der Jury gewiß: Vorspiel bei Jugend musiziert.
Landschaft der Sponsoren und deren gestifteter Preise zeigt, dass das
Musikland Deutschland – obwohl es insgesamt viele Preise zu gewinnen gibt – gerade an jenen »niederschwelligen« Wettbewerben
durchaus noch mehr vertragen könnte.
Sven Scherz-Schade © privat
Die neue Dimension: Wettbewerb im Internet
So wird der Musik- und Konzertbetrieb letzten Endes zur Metapher unseres gesellschaftlichen Lebens, das zu einem Großteil
von Konkurrenz und dem Ringen um Aufmerksamkeit geprägt
ist. Wird in der Klassik eher handwerkliches Können gemessen,
im Jazz mehr Originalität, so zählen im Pop vor allem Reichweite
und kommer­zielles Potential. Und während bis vor wenigen Jahren die Platten­firmen oder Rundfunk-Hitparaden noch ihre absolutistische Wächterposition innehatten, um den Besten der Besten
den Ritterschlag zu erteilen, so haben Digitalisierung und Internet
prinzipiell allen Musikern – auch jenen ohne Plattenvertrag – den
Zugang zum Markt geebnet. Diesen neuen Verhältnissen ist der in
Berlin geborene ­Pianist, Musikproduzent und Komponist Martin
­Herzberg in seiner Dissertation nachgegangen: Musiker im Wettstreit um Publikum bei YouTube, Facebook & Co. lautet der Untertitel
seiner Schrift Musik und Aufmerksamkeit im Internet, die deutlich
macht, dass für die künstlerische Bestätigung und für den musikalischen Erfolg die Zuhörerschaft jenseits des Konzertsaales von größter Bedeutung ist. Was er theoretisch erarbeitet hat, lebt ­Martin
Herzberg heute auch praktisch als Musiker im Cross-Over-­Genre.
Denn sein Umgang mit den neuen Online-Regularien schwankt
zwischen Ausprobieren und Ausnutzen. »Ich habe einem meiner
Videos auf YouTube den Titel ›Sehr bewegende Klaviermusik‹
­gegeben«, schildert Herzberg und schwärmt: »Das
hatte über eine Million Plays!« Weil dieser Titel als
Wortlaut vieler Suchanfragen genutzt wird, kam
ein extrem hohes Ranking zustande. Nach dem
gleichen Muster wäre auch ein Stück wie »traurige
­Klaviermusik« denkbar, es wird dann auf iTunes,
Spotify und anderen entsprechenden Musik-Por­
talen gefunden.
Und das World Wide Web lauscht mit –
Pianist Martin Herzberg spielt auf der
Klaviatur des Internets ebenfalls virtuos.
Der Musikwettstreit von heute beinhaltet insofern auch einen
Wettkampf um die besten Suchbegriffe und Herzberg weiß, dass
sich die Klassik-Szene damit schwer tut, wenn im Internet mehrere Dutzend Einspielungen von Vivaldis Vier Jahreszeiten um
Aufmerksamkeit ringen. »Aber auch Klassik-Ensembles müssen
etwas finden, was aus der Masse herausschaut, damit sie gefunden werden«, ist Herzberg überzeugt: »Die Klassik steht hier unter Druck, sich anzupassen.« Die dafür notwendige Selbstdarstellung sieht Herzberg als Teil der künstlerischen Persönlichkeit.
Wer nahbar ist, authentisch rüberkommt und kleine Überraschungen
liefern kann, sei am besten für diesen neuen Wettstreit gewappnet.
Doch die Klassik fordert weitaus mehr ein. Hier zumindest sind
heute die allermeisten Karrieren durch die Poliermühlen der Wettbewerbe geschliffen worden. Wer als Solist international unterwegs sein will, muss – so verlangen es Veranstalter – auch erfolgreich bei irgendeinem Big Player teilgenommen haben wie beim
ARD-Musikwettbewerb oder dem alle vier Jahre stattfindenden
Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau. »Musikpreise garantieren
nicht nur Aufmerksamkeit. Sie sind auch ein Qualitätsausweis«,
sagt Reinhart von Gutzeit.
Der ABBA-Titel The winner takes it all ist übrigens falsch. Im Musikgeschäft kursieren in der Regel immer auch die Namen der Zweitund Drittplatzierten, bei »Jugend musiziert« werden bei gleich
guter Leistung mitunter mehrere erste Plätze vergeben. Und dem
kroatischen Pianisten Ivo Pogorelich hatte 1980 beim Internationalen Chopin-Wettbewerb Warschau ein Eklat zum großen Erfolgs­
durchbruch verholfen. Die Jury hatte ihn von der Endrunde ausgeschlossen und ihm den ersten Platz verweigert. Das empörte die
Fans! Wie gesagt: Stars werden in deren Köpfen geboren. ❙
Sven Scherz-Schade (Karlsruhe) ist freier Journalist für Hörfunk und Print. Neben Berichten
über ­
Konzertwesen und Musikwirtschaft bildet die Kultur­­politik einen Schwerpunkt seiner
kultur­publizistischen Arbeit.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft7
Oper kurz vor Mozart
René Jacobs begeistert mit
FLORIAN LEOPOLD GASSMANNs »L’Opera seria«
in Brüssel · Premiere 9. Februar 2016
von Dr. Dieter David Scholz
Er war einer der wichtigsten Vorläufer der Wiener Klassik. In seinen komischen Opern hat er Mozart geradezu vorgearbeitet.
Der böhmische Komponist Florian Leopold Gassmann, der in Italien ausgebildet wurde und dort seine ersten Triumphe feierte,
war ab 1763 Nachfolger Christoph Willibald Glucks als Ballettkomponist am Wiener Hof und ab 1772 sogar Hofkapellmeister.
Als Nachrichten vom Dahinsiechen des auf einer Italienreise verunglückten Gassmann (der 1774 verstarb) Leopold Mozart zu Ohren gekommen waren, reiste er am 14. Juli 1773, verführt durch
die Wolfgang vom kaiserlichen Hofe in Wien erwiesenen Huld­
bezeigungen, mit seinem Sohn nach Wien in der Hoffnung, diesen
dort unterbringen zu können. Vergeblich. Doch gnadenlos, wie die
Musikgeschichte ist: Mozarts Genie ließ Gassmann schnell verblassen. So geriet auch seine ehedem so populäre Commedia per musica
L’Opera seria zu einer der besten Parodien auf die sterbende Gattung, der Mozart dessen ungeachtet noch einige glänzende Reverenzen erwies. Uraufgeführt wurde das Werk 1769 im Burgtheater in
Wien. Es geriet für über 200 Jahre in Vergessenheit. Vor mehr als 20
Jahren hat René Jacobs dieses Opernjuwel ausgegraben und erstmals
einem begeisterten Publikum vorgestellt. Es war eine Koproduktion der Berliner Staatsoper mit den Schwetzinger Festspielen, die
auch im Théâtre des Champs-Elysees in Paris gezeigt wurde. Jetzt
widmet er sich diesem Werk erneut und zwar im Cirque Royal, der
Ausweichspielstätte des wegen Renovierung geschlossenen Théâtre
de la Monnaie in Brüssel.
es gnadenlos. Dann treffen ein dummer Tenor und drei kapriziöse
Sängerinnen ein, streiten sich um alles und verlangen zusätzliche
Arien. Im ersten Akt überschlagen sich Intrigen, Eitelkeiten, Amouren, Capricen und Rivalitäten. Im zweiten Akt folgt die Opernprobe.
Im dritten Akt findet dann die Premiere der eigentlichen Opera seria
satt: L’Oranzebe ist die krachende Parodie einer barocken Oper seria: In ihr geht es um einen siegreichen Feldherrn, der in Liebesentscheidungsnot zwischen seiner Gefangenen, der indischen Königin,
und der Schwester seines Herrschers, der Prinzessin von Hindustan,
steht. Der Feldherr ist der Tenor, der in einem von einem großen
Krokodil gezogenen Kampfwagen seinen großen Auftritt hat und
seinem Herrscher Oranzebe, Kaiser der Mogulen, die gefangene indische Königin präsentiert; dazu gibt es den »Auftritt« eines Elefanten.
Die Opera seria endet schließlich in einem gewaltigen Fiasko samt
Prügelei. Dann brennt auch noch der Theaterdirekor mit der Kasse
durch. Die Katastrophe wird nur dank des beherzten Eingreifens der
Mütter en travestie verhindert.
Das Werk: eine Satire – das Ende: ein Fiasko
Als René Jacobs zum ersten Mal dieses bis dato vergessene Opernjuwel reanimierte, hat der inzwischen verstorbene Jean-Louis
Martinoty Regie geführt. Jetzt inszenierte Patrick Kinmonth,
langjähriger Ausstatter Robert Carsens. Jean-Louis Martinoty hat
seinerzeit eine Guckkastenbühne liebevoll ironisch vollgerümpelt
mit verstaubten Requisiten, Prospekten und Dekorationen aus
dem Opernfundus. Die Produktion hatte den unwiderstehlichen
Charme von striesehaftem Schmierentheater und war eine lustvolle
Klamotte. Patrick Kinmonths Inszenierung in der Zirkusarena dagegen ist elegantes, stilvolles Ausstattungstheater, ästhetisch ausgefeilt bis ins kleinste Detail. Er macht der turbulenten Komödie
Kein Opernführer verrät etwas über dieses bedeutende Werk, das
eine Satire auf die hohlen Themen und Texte der Seria, auf Starallüren und Sängertypen ist. Man will die Oper L’Oranzebe aufführen.
Der Komponist hört auf den sinnigen Namen Sospiro und schreibt
auch so: Seufzer. Der Dichter nennt sich Delirio (Gefasel) und liefert
sich mit jenem ein Wortgefecht um die Frage, ob Musik oder Wort
in einer Oper wichtiger seien. Der Impresario heißt bezeichnenderweise Fallito (Pleitemacher). Komponist und Librettist sind von ihrem Werk überzeugt, dem Impresario ist es aber zu lang. Er kürzt
Kulinarisches Theater, ästhetisch ausgefeilt
8Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Fotos Inszenierung © Baus / La Monnaie
INSZENIERUNG
Die Aufführung der Opera seria
»L’Oranzebe« im dritten Akt
Tenor im Kreise der Primadonnen (1. Akt) bei den
Streitereien, Capricen, Intrigen und Besser­
wissereien unter den Künstlern. Im Vordergrund
Dirigent René Jacobs.
Vorderbühne mit den drei »Müttern« (1. Akt), dahinter die barocke Kulissenbühne mit der Bewegungstanzgruppe und dem Ensemble quasi im Stillstand,
­räsonierend während des Tanzsatzes.
des Librettisten (und Gluckmitarbeiters) Calzabigi Beine, mit einer
durchgestylten, immer wieder auch ritualisierten »Performance«
auf zwei hintereinander liegenden Spielflächen, einer großen Bretterbühne und einer barocken Kulissenbühne, die unentwegt offene Verwandlungen zeigt, dazwischen das groß besetzte Orchester.
Man wohnt kulinarischem Theater bei, es ist beeindruckend, verglichen mit Martinotys Inszenierung aber von steriler Perfektion.
Hinreißend sind die historischen Kostüme von Patrick Kinmonth.
Seine Personenführung ist quicklebendig, lässt den Sängern viel
Raum für individuelle Entfaltung und überzeugt durch souveränes Handwerk. Die Tanztheater-Choreographien Fernando Melos’
wären, einmal abgesehen von den barocken Tänzen, nicht nötig
gewesen. An szenischen Gags, barocken Gesten und temporeicher
Situationskomik mangelt es nicht. Die inszenierten Publikums­
reaktionen im Zuschauerraum sind allerdings etwas heftig. Da hat
die Regie dem Affen wohl zuviel Zucker gegeben. Aber unterm
Strich, obwohl Krokodil und Elefant nicht auftreten dürfen, eine
beeindruckende Inszenierung, die das selten gespielte, lange Werk
unterhaltsam und prächtig beglaubigt, fern von allem obsessiven
Regisseurstheater.
Dieter David Scholz © privat
Quicklebendig und phantasievoll musiziert
Auch sängerisch beeindruckt die Produktion. Elf
anspruchsvolle Partien sind mit handverlesenen Solisten mehr als nur rollendeckend besetzt worden.
Eine Art Don Alfonso ist der fabelhafte Impresario
von Marcos Fink. Die Sopranistinnen Robin Johannsen, Sunhae Im und Alex Penda überbieten
sich an barockem Ziergesang und feuern zielsicher
ihre Koloraturraketen ab. Star des Abends ist jedoch
ein Ausnahmetenor, den man gehört haben muss: Mario Zeffiri legt
als Ritornello mit seinem fulminant hohen, hellen und beweglichen
Silbertenor (auch darstellerisch) eine hinreißende Karikatur von
eitel-gespreiztem, dummem Opera seria-Tenor hin. Am wenigsten
überzeugten die drei Counters Magnus Staveland, Stephen Wallace
und Rupert Enticknap als Mütter en travestie. Auch die Regie weiß
mit ihnen erstaunlich wenig anzufangen. Mit Wehmut denkt man
an die frühere Besetzung (Curtis Rayam, Dominique Visse und Ralf
Popken) zurück. Da standen René Jacobs andere Kaliber von falsettierenden Sängerdarstellern zur Verfügung, sie sind unvergessen.
Als Jacobs das Werk ausgrub, spielte Concerto Köln. In Brüssel arbeitet er mit dem belgischen B’Rock Orchestra und Musikern des La
Monnaie Symphony Orchestra zusammen. Ohne Frage ist ­Concerto
Köln das brillantere, virtuosere Orchester. Aber René Jacobs weiß
auch dem Brüsseler Ensemble ordentlich einzuheizen und den
überschäumenden musikalischen Witz des Stücks zum Ausdruck zu
bringen. Er entfaltet auch diesmal ein mehr als vierstündiges Feuer­
werk, indem er die sich überstürzende, einfallsreiche Musik von
Gassmann quicklebendig und phantasievoll musizieren lässt, pointiert und rasant, nicht so scharf gemeißelt wie ehedem, weicher im
Klang, aber mit enormer Spiellust, die offenbar auch die Musiker angesteckt hat. Das enthusiasmierte Publikum bedankte sich für diese
Ausnahmeproduktion mit Ovationen. ❙
Dr. Dieter David Scholz (Berlin) ist Musikjournalist in ARD-Hörfunk und Printmedien, Buch- und Programmheft-Autor, Moderator und war viele Jahre Jury-Mitglied (Operngesangswettbewerbe
und u. a. auch des Preises der Dt. Schallplattenkritik) und Mitglied
des künstlerischen Beirates der Kunststiftung Sachen-Anhalt.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft9
Pianistin Barbara Milou bei ihrem
Auftritt im Composer Slam
Wettbewerb ad absurdum geführt
Der Composer Slam als Einstiegshilfe
für die Klassikfans von morgen
von Constantin Alexander
Junge Menschen interessieren sich nicht mehr für Klassik oder Ernste Musik? Ein neues Konzept der Musikvermittlung beweist das Gegenteil: Bei Composer Slams bekommen Musiker fünf Minuten Zeit, eigene Stücke zu spielen.
Das ­Publikum kürt den Sieger des Abends. Nicht jedem in der Szene gefällt dieser nicht ganz ernst gemeinte Wettbewerb.
Das hannoversche Faust-Kulturzentrum ist bei Freunden klassischer
Musik bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte. Das ehemalige
Fabrik-Gelände im angesagten Stadtteil Linden könnte mit seinen
alten Backsteinmauern, den bunten Graffitis und den zahlreichen
Konzertplakaten ruhig als das genaue Gegenteil eines stattlichen
Konzerthauses oder einer Oper bezeichnet werden. Gemeinsam
mit zahlreichen anderen, ähnlich alternativen Clubs ist die Faust jedoch zu einer Art Keimzelle geworden für das, was die Zukunft der
Musikvermittlung sein könnte: Hier treffen sich regelmäßig junge
Komponisten, Musiker und Musikbegeisterte, um in zwangloser Atmosphäre Composer Slams zu feiern.
Der Composer Slam hat seine Ursprünge im Poetry Slam, einem
modernen Dichter-Wettstreit, der in den 1980er-Jahren in den USA
erfunden wurde. Poeten bekommen eine bestimmte Zeit, um eigene
Prosa oder Lyrik vorzutragen. Das Publikum entscheidet, wer der
oder die Beste des Abends ist. Inzwischen sind die Wettstreite ein
fester Bestandteil der Literaturszene geworden. Zu den deutsch­
sprachigen Poetry Slam-Meisterschaften kommen jedes Jahr Tausende Zuschauer, Videos der Stars werden bei Youtube millionenfach
angeklickt. Und im Wissenschaftsbereich hat sich bereits ein Pendant etabliert: der Science Slam. Publikum und Medien scheinen
diese Formate der kompakten Show also zu lieben.
Für den studierten Musiker Simon Kluth war der Besuch auf so einem
Poetry Slam 2012 eine Art Erweckung. Nach seinem Violin-­Studium
in Detmold, Paris und Hannover fragte sich Kluth, welche Alternativen es zu einer Karriere als Orchestermusiker gebe und wie man
gleichzeitig die Szene ein wenig verjüngen könnte. Im Slam-Format
fand er einen radikalen Ansatz: »Diese Energie hat mich einfach gepackt«, erzählt der Hannoveraner. Ihm gefiel besonders die Idee, dass
Künstler mit eigenem Stück auftreten konnten und das Publikum
dann entscheidet, wie der Abend verläuft. »Dieses Prinzip auf die
­Instrumentalmusik zu übertragen, schien mir geradezu natürlich.«
Für Schüler ist es »Klassik zum Ausprobieren«
2013 gab es den ersten Composer Slam in Eichstätt, kurz darauf
startete die Stammreihe in Hannover. Seitdem initiierte er Dutzende Slams in ganz Deutschland. Diesen April ist der Composer
Slam bereits zum dritten Mal beim Heidelberger Frühling zu Gast.
Im August 2014 gab es bereits eine Zusammenarbeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie beim Festival FREISPIEL. Vergangenen
Februar erweiterte Kluth die Idee und veranstaltete zum ersten Mal
Composer Slams speziell für Schüler in Hannover, Oldenburg und
Osnabrück. Dieses Musikförderprojekt wurde mit dem Förderpreis
Musikvermittlung 2015 der Niedersächsischen Sparkassenstiftung
und der Musikland Niedersachsen gGmbH ausgezeichnet. Zudem
war es unter den Nominierten für den JUNGE OHREN PREIS 2015. Bei
dem Schülerprojekt erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit,
mithilfe von Profis an eigenen Stücken und Ideen weiterzuarbeiten. Zum Abschluss treten die Teilnehmenden bei einem eigenen
Schüler-­Slam auf. »Besonders Schüler und junge Erwachsene begeistern sich für die Slams«, erklärt Kluth. »Das Format ist offen und gibt
keine Vorgaben, wie eine Komposition zu sein hat. Das kommt bei
den jüngeren Musikern gut an.«
10Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© Philip Loeper
MUSIKVERMITTLUNG
© Franziska Gili
© Philip Loeper
Constatin Alexander © Kevin Münkel
Composer Slam-Initiator Simon Kluth mit dem Komponisten Pablo A. Rosado.
Erst nach einem kurzen Interview zu Person und Werk werden die Stücke vorgestellt.
Niemand wird ausgegrenzt
Kompositionen in der Feuerprobe
Diese Offenheit ist eine Stärke, die auch erfahrene Musiker aus
den unterschiedlichsten Genres anspricht: Hier findet der studierte
­Instrumentalist zum ersten Mal eine Bühne, auf der er nicht nur reproduziert, was er in jahrelanger Übung perfektioniert hat. Hier finden auch etablierte Künstler einen Raum, in dem sie ihre Persönlichkeit in einer eigenen fünfminütigen Komposition zeigen können.
Viele nutzen die Chance und präsentieren ihre Fähigkeiten an Instrumenten, die sonst nur wenig Platz finden, auf den Hochkultur­
bühnen und in den Orchestern. Wo kommt man schon in den Genuss, free-jazz-artige Stücke auf der Bassklarinette zu hören, gefolgt
von experimentellen Elektronikstücken und dann wieder einer
klassisch-­romantischen Komposition auf dem Klavier?
Die Composer Slams werden für die Zuschauer so auch zu einer Einführung in das große Potenzial der Musik. »Es sind Einstiegshilfen
für Menschen, die sich für diese Art von Musik interessieren, aber
vielleicht nicht irgendwo starr zwei Stunden in einem Konzert sitzen
möchten«, erklärt Kluth. Für fünf Minuten offenbarten sich so ganze
Welten von Möglichkeiten. Der Wettbewerb rücke dabei aber in den
Hintergrund, im Zentrum stehe die Musik. »Beim Composer Slam
wird niemand ausgegrenzt. Egal, welche Musik er oder sie macht«,
so Kluth. »Ich wollte von Anfang an keine Diskussion um Begrifflichkeiten führen, sondern Musikern einfach die Möglichkeit geben,
sich und ihre Kunst zu präsentieren.«
Mit seinem Ansatz macht sich Kluth nicht nur Freunde. »Manche
Künstler finden das Konzept hinter dem Composer Slam anbiedernd.« Ihnen gefalle es nicht, sich einem Publikum auszusetzen,
das ihre Kunst bewertet. »Dabei sind Wettbewerbe doch ein fester
Teil der Szene. Nur dass bei uns keine Jury sitzt und entscheidet,
wer welches Stück am fehlerfreisten nachspielen kann.« Gleichzeitig
nehmen Composer Slams aus Kluths Sicht den ernsten Charakter
von klassischen Wettbewerben aufs Korn: »Bei uns gibt es keine großen Preisgelder zu gewinnen.« Niemand sei traurig, wenn er nicht
den ersten Platz mache. »Musik ist immer subjektiv,
und manchmal bin ich selbst erstaunt, welche Komposition gewinnt. Das Publikum zeigt aber immer
einen sehr guten Geschmack.« Dass fünf Minuten zu kurz für eine ernsthafte Komposition seien,
glaubt Simon Kluth hingegen nicht: »Länge ist nur
ein Parameter und sagt nichts über die Qualität einer
Komposition aus.«
Wie unvoreingenommen junge Menschen hingegen mit dem Format
umgehen, merkt Kluth immer wieder auf den Slams: »Zu uns kommen vorwiegend junge Erwachsene und Jugendliche, die häufig selbst
Musik machen und sich auch stark für Musik interessieren.« Die relaxte und oft alternative Atmosphäre der Clubs erinnert dabei häufig
an frühe Jazz-Konzerte: Die Zuschauer trinken entspannt Bier oder
Wein während der Vorstellung, rufen ihre Begeisterung über die Musik spontan heraus und diskutieren lebhaft über die gehörten Stücke.
Auch die Musiker genießen den Rahmen, um sich und ihre Stücke
mal in einer anderen Atmosphäre zu präsentieren. »In der Klassik
sind die Leute ja immer sehr zivilisiert«, erzählt Sebastian Wendt, der
mit seinen Stücken auf der Bassklarinette schon zahlreiche Composer Slams gewonnen hat. »Da das Publikum beim Slam aber so bunt
ist, kommt da schon oft eine ganz andere Energie rüber.« Er sieht
das auch nicht als richtigen Wettbewerb, sondern als ein interaktives
Konzert, das Genre-Grenzen »fröhlich ignoriert und dem Publikum
eine spielerische Interaktion mit dem Klanggeschehen ermöglicht«.
Die Abende sind für ihn auch immer wieder ein geeigneter Anlass,
um neue Stücke zu schreiben. »Besonders die Möglichkeiten der
Musikvermittlung sind beim Composer Slam wunderbar«, erklärt
Wendt. »Vielen eher verkopften Musikern würde es einmal gut tun,
ihre Kompositionen der Feuerprobe zu unterziehen und den vermeintlich ungeübten Hörern zum Fraß vorwerfen.«
Auch der Musiker Daniel Schunn hat auf Composer Slams nur gute
Erfahrungen gemacht: »Als ich das erste Mal als Zuhörer einen
Composer Slam erlebt habe, war ich fasziniert von der musikalischen Vielfalt«, erzählt er. »Von Panflöte, Mundharfe, Kalimba oder
Santur bis hin zu gewohnten Soloinstrumenten oder auch einem
live gespielten Computer habe ich mittlerweile viele verschiedene
Sounds, Spielweisen und Stilistiken gehört«. Für ihn ist das direkte
Feedback durch die Zuschauer ein klarer Pluspunkt: »Das ist besonders in jungen Jahren wertvoll.« ❙
Constantin Alexander hat Mandoline und Gitarre
spielen gelernt und viel mit Synthesizern experimentiert. Er pendelt als Nachhaltigkeitsberater und Journalist für Kultur- und Wirtschaftsthemen zwischen
Berlin und Hannover.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft11
MOZART-ORT(E)
© privat
»Mozart steht für ­die
ideale E
­ rziehung eines
­jungen Musikers«
Wer in Salzburg, Augsburg oder Zhuhai zum
­Wettbewerb antritt, hat gute Chancen, Paul Roczek
zu begegnen: Sein Name ist mit ­allen drei
­Wettbewerben untrennbar ­verbunden.
von Julia Rumplmayr
Bei den Mozartwettbewerben in Salzburg und Augsburg zeigen junge Musiker schon seit Jahrzehnten ihr Talent. 2015 hat die chinesische Stadt Zhuhai das Trio komplettiert. Paul Roczek kennt alle
drei von Beginn an – der Geiger im Gespräch über Mozart, den Musikerberuf und den Reiz der
Wettbewerbe.
Vor wenigen Jahrzehnten war die chinesische Küstenstadt Zhuhai
noch ein unbekanntes Fischerdorf. Mittlerweile ist sie ein beliebter
Touristenort, ein chinesisches Monte Carlo – mit Palmenallee, Golfplätzen und einer Formel-1-Strecke. 2014 wurde die »Stadt der hundert Inseln« zur lebenswertesten und nachhaltigsten Stadt C
­ hinas
ernannt. Zhuhai hat aber noch ein großes Ziel: Es will Kulturstadt
werden, über die Grenzen hinaus bekannt – und knüpfte dafür Kontakte nach Europa.
Das Pferd wurde vom Schwanz aufgezäumt, zuerst kam die Hülle,
dann der Inhalt: Parallel zum Bau eines prächtigen Kulturbezirks
wandte man sich an das Salzburger Mozarteum, das mit seiner Erfahrung bei der »Software« unterstützte. Den Start sollte ein internationaler Wettbewerb machen. Der Geiger Paul Roczek, kürzlich
emeritierter Professor und langjähriger Vizerektor am Salzburger
Mozarteum, war der ideale Partner dafür – schon seine gesamte berufliche Laufbahn über hatte er mit Wettbewerben zu tun: Als Präsident des Fachbeirates von Musik der Jugend kümmert er sich unter
anderen um den Jugendwettbewerb Prima la Musica, er ist Jurymitglied zahlreicher Wettbewerbe und langjähriger Juryvorsitzender
des Salzburger Mozartwettbewerbs und des Leopold-Mozart-Wettbewerbs in Augsburg. Nicht zuletzt verfolgte er mit seinen beiden
hochbegabten Kindern Saskia und Leonhard Wettbewerbe auch aus
der Vaterperspektive.
»Ich habe den Namen Zhuhai vor zwei Jahren zum ersten Mal gehört. Das wird den meisten so gehen«, erzählt Paul Roczek. »Vor
zwei Jahren war noch nichts gebaut. Es gab nur Pläne, aber die waren
gewaltig.« Mittlerweile hat Zhuhai ein Opernhaus, ein Konzerthaus,
Ausstellungshallen und neue Hotels. Es wurde an nichts gespart, ein
Konzertsaal wurde gar dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins
nachempfunden.
Roczek riet Zhuhai zu einem Jugendwettbewerb, und zum Verwenden des Namens Mozart: »Wenn das Mozarteum für den Wett­
bewerb verantwortlich ist, sollte das eine musikalische Ausrichtung
bekommen. Kein Wettbewerb, wer lauter, schneller oder sauberer
spielt, sondern einer, der die guten Musiker sucht. Und das war auch
ein Grund des großen Erfolgs.« Im September 2015 wurde die erste
Zhuhai Mozart Competition für Geige und Klavier ausgetragen, allein
für das Fach Violine gab es über 200 internationale Bewerbungen.
»Wir hatten ein wirklich gutes Bewerberfeld«, attestiert Roczek dem
jungen Wettbewerb. »Es war ein sehr guter Start, der auch international ausgestrahlt hat.« 2017 soll die nächste Ausgabe folgen, ein
Zwei-Jahres-Rhythmus ist vorgesehen. Der intensive Kontakt mit
dem Mozarteum wird weiter bestehen: »Wir sind bei den Inhalten
gefragt«, sagt Paul Roczek. »Hier wird alles gebraucht, Orchester,
Kammermusikensemble, Sänger, Bühnenbildner … Zhuhai ist ein
großes Zukunftsprojekt.«
Ideal: ein Wettbewerb mit Bürgerengagement
Vorbild war der Mozartwettbewerb des Salzburger Mozarteums,
der in diesem Februar zum zwölften Mal stattfand. Nach vielen
Jahren, in denen in gleich vier bis fünf Sparten Preisträger gekürt
wurden, wurde der Wettbewerb nun nach Disziplinen getrennt.
Er findet alle zwei Jahre statt, 2016 mit Violine und Klavier, 2018
12Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Salzburg © Christian Schneider | Augsburg © Christina Bleier | Zhuhai © Zhuhai International Mozart ­Competition for Young Musicians | Julia Rumplmayr © privat
mit Streich­quartett und Gesang. Der diesjährige Jury­vorsitzende im Fach Violine, Benjamin
Schmid, hat seine Karriere allerdings bei einem
anderen Mozartwettbewerb begonnen: beim
Internationalen Leopold-Mozart-Violinwett­
bewerb in Augsburg, dessen neunte Ausgabe
am 3. Mai dieses Jahres beginnt. Als langjähriges Jury-Mitglied ist Paul Roczek sehr gerne
dort: »Hier gibt es eine wunderbare Sache, die
ich mir für Salzburg wünschen würde: ein Bürgerkomitee, das für Organisation und Finanzierung zuständig ist«. Dass Augsburger Bildungsbürger Kandidaten während des Wettbewerbs
bei sich zuhause unterbringen, habe viele Vorteile: »Die Säle sind vom ersten Durchgang an
voll, weil die Gastgeber ihre Schützlinge sehen
wollen und ihnen die Daumen drücken. Sie sind
auch nicht böse, wenn diese die ganze Nacht
üben – sondern freuen sich darüber!« Roczek
beschreibt Augsburg als einen sehr lebendigen
Wett­bewerb mit internationalem Niveau. Außerdem habe er mit seinen ersten Preisträgern
Isabelle Faust und Benjamin Schmid gleich fantastische Sieger gehabt. »Dank ihnen war der
Wettbewerb sofort bekannt.«
Glücklich im Kreise der Camerata
Salzburg: Der russische Geiger
Sergej Malov im Finale 2011 des
Salzburger Mozart-Wettbewerbes.
Nur gute Nachrichten gab es für
Maia Cabeza (Mitte) beim LeopoldMozart-­Violin-Wettbewerb 2013
in Augsburg: Sie durfte den auch
von ihren Kollegen heiß begehrten
­Mozart-Preis entgegen nehmen.
Zum ersten Mal in China: ­Wert­volle
Handschriften und Dokumente
der Stiftung Mozarteum, in Zhuhai
erklärt von Dr. Gabriele Ramsauer,
der Direktorin der Mozart-Museen
der Stiftung Mozarteum.
Die Kür: Ein Mozart-Violinkonzert
Allen drei Mozartwettbewerben ist jedenfalls eines gemeinsam: ihr
Namensgeber. »Mozart steht für die ideale Erziehung eines jungen
Musikers«, erklärt Paul Roczek. »Dafür, dass man schon als junger
Mensch so fertig sein kann. Er vermittelt, dass es in diesem Wettbewerb um die Musik geht. Wer nur gut Geige oder Klavier spielen
kann, hat keine Chance.« Das Repertoire der Wettbewerbe ist zwar
breitgefächert, allen drei Wettbewerben gemein ist aber das große
Mozartkonzert als letzter Durchgang. Der Name Mozart bringt den
Wettbewerben auch eine besondere Anziehungskraft.
Es gibt nur wenige, die es wirklich schaffen
Begabte Musiker nehmen aus den unterschiedlichsten Beweggründen an Wettbewerben teil: Man misst sich mit jungen Kollegen,
wird von anderen bewertet, hat die Hoffnung, als Talent entdeckt zu
werden, oder kann einen ersten Platz in seine Vita eintragen. Eine
Heraus­forderung, die viele reizt, sei auch das Hinarbeiten auf den
Termin des Wettbewerbs, erklärt Paul Roczek. Es gilt, viele große
Werke gleichzeitig zu können und dann zu wechselnden Bedingungen abzurufen. Der Wettbewerb ist für viele außerdem die erste
»Öffnung hinaus in die Welt« mit ihrem Talent. Wettbewerbe sind
aber nicht unbedingt zum Gewinnen da, erklärt Roczek: »Davor hat
man schon das Meiste erreicht, der Rest hängt von Tagesform, Jury
und Glück ab. Man lernt enorm viel bei einem Wettbewerb, weil
plötzlich ein Druck da ist, den man ohne ihn nicht aufbauen könnte.«
Seine Schüler auf der Bühne zu erleben, ist auch für den Lehrer Paul
Roczek, der schon zahlreiche junge Musiker auf
Wettbewerbe vorbereitet hat, interessant. »Man erlebt den eigenen Schüler oft sehr anders«, erzählt er:
»Manche können auf der Bühne ihre Gefühle nicht
so gut zeigen, speziell bei Japanern ist schon durch
die Erziehung die letzte Öffnung am Podium oft
nicht möglich. Andere, die sogenannten Rampen­
sauen, blühen erst so richtig auf, wenn tausend ­Leute
zuschauen. Das sind dann die Performer, die aufs Podium gehören,
die anderen sind fürs Orchester geeignet.«
In der Natur der Wettbewerbe liegt ihre Ausrichtung auf das Solistische, wenngleich die Musikwelt natürlich nicht so viele Solisten
braucht: »Aber es führt nun mal kein Weg daran vorbei, dass ich als
Geiger das Brahms-Konzert perfekt spiele, welche Laufbahn darauf
auch immer folgt. Man kann nun einmal keine Schmalspur-Ausbildung machen, die zur zweiten Geige einer Mozart-Oper führt«, sagt
Paul Roczek.
Er selbst erlebte Wettbewerbe aber auch aus der Vater-Perspektive:
Sein Sohn Leonhard Roczek ist mehrfacher Preisträger von Cello-­
Wettbewerben, Tochter Saskia spielt wie ihr Vater Geige und gewann u. a. den ersten Preis beim internationalen Wettbewerb Giovani Talenti – Rovere d’Oro. Dass auch seine Kinder Musiker wurden,
war nicht unbedingt der Wunsch des Vaters: »Ich habe immer gesagt,
ich würde mich freuen, wenn sie die Musik nicht zu ihrem Beruf machen. Es gibt in der Musik nur wenige, die es wirklich schaffen und
dann ein wunderbares Leben haben, die anderen haben wahnsinnig
viel investiert und bekommen nur wenig zurück. Aber irgendwann
kam der Tag, an dem sie sagten, ich will Musiker werden.«
Paul Roczek ist seit Jahrzehnten Teil des Wettbewerbsgeschehens,
als Juryvorsitzender, als Juror, als Lehrer, als Vater. In Augsburg
ist er in diesem Jahr zum fünften Mal in der Jury, in Salzburg von
den Anfängen in den 1980er-Jahren an, der Wettbewerb in Zhuhai
trägt seine Handschrift. Wie interessant ist das Wettbewerbsgeschehen für ihn nach so vielen Jahren? »Es wird immer reizvoller. Es ist
immer etwas Neues, jeder junge Mensch zeigt wieder einen neuen
Zugang.« ❙
Julia Rumplmayr ist freie Kulturjournalistin in Oberösterreich, u. a. für die
Wiener Zeitung und die Bühne.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft13
INTERVIEW
Der Pianist Ingolf Wunder
Der österreichische Pianist Ingolf Wunder spielte zunächst Geige, als ein Lehrer die außer­
gewöhnliche pianistische Begabung des 14-Jährigen erkannte. Bald darauf gab er sein ­Debut
im Schubertsaal des Wiener Konzerthauses. Er gewann den ersten Preis bei mehreren
Wettbewerben und ist in ganz Europa, in Asien und Amerika aufgetreten, solistisch und mit
­renommierten Orchestern.
Was halten Sie denn von Wettbewerben, Herr
­Wunder?
Der Wettbewerb an sich ist etwas Menschliches, es liegt in unserer Natur, dass wir
Vergleiche ziehen wollen. Zu Mozarts Zeit
war es eine andere Art von Wettbewerb,
wenn sie improvisiert haben über Themen,
wenn sie sich gegenseitig begleitet haben.
Für mich waren die Jugend-Wettbewerbe,
von denen ich sehr viele gemacht habe, sehr
nützlich. Das waren wunderbare Gelegenheiten, mein Repertoire vor Publikum auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln.
Denn als Student ist es nicht selbstverständlich, dass man Konzerte vor Publikum bekommt.
Einigen Wirbel gab es im Jahr 2010 um den
Chopin-Wettbewerb in Warschau. Sie bekamen den 2. Preis sowie einige Sonderpreise, danach gab es eine hitzige Debatte, dass Sie doch
den ersten Preis verdient hätten. Hat das Ihre
Sicht auf Wettbewerbe nicht verändert?
Das ist ein von mir nicht favorisiertes Thema, denn Kunst und Musik können für mich
nicht in Nummern bewertet werden. Das
ist ein System, das nicht funktioniert. Aber
der Chopin-Wettbewerb 2010 ist eine sehr
positive Erinnerung für mich. Nur: um diese
großen Wettbewerbe herum hat sich ein gewisses Geschäft entwickelt, an dem hab ich
immer meine Zweifel geäußert habe. Aber
dass diese Wettbewerbe positive Seiten haben, ist unumstritten.
Ist es für einen jungen Pianisten vermeidbar, an
Wettbewerben teilzunehmen, wenn er weiter­
kommen will?
Natürlich, es geht immer anders. Aber große
Wettbewerbe wie der Chopin-Wettbewerb
sind im Zentrum der Medien. Wenn man
dort spielt, egal ob man gewinnt oder nicht,
kann man davon ausgehen, dass einen Leute
hören. Und wenn man dann gut spielt oder
fundamental gut spielt, ist es eigentlich egal,
ob man gewinnt oder nicht. Das ist die positive Seite.
Wie objektiv oder subjektiv kann denn die Jury
sein?
Wie soll man Musik in Nummern bewerten?
Und die ganzen Eindrücke und Emotionen,
die man in der Musik hat, wie kann man
die in hundert Punkte konvertieren? Da
fängt das Problem an. Wenn man ­Mozarts
Wettstreite betrachtet, etwa den mit ­Muzio
Clementi: Da hat der Kaiser beiden ein
­
Thema zum Improvisieren gegeben, jeweils
einer hat den anderen dabei am zweiten
Klavier begleitet, oder sie präludierten. Da
muss sehr viel Inspiration, sehr viel Kreativität drin gesteckt haben. Und da sollten
wir irgendwann wieder hin, dass die Kunst
weniger maschinell wird – wieder kreativer,
individueller.
Damit man zu einem tieferen Verständnis der
Musik kommt?
Ich arbeite jeden Tag an mir, um diesem
Verständnis ein bisschen näher zu kommen.
Wahrscheinlich werde ich, wenn ich neunzig bin, wenn ich soweit komme, oder mit
achtzig oder siebzig mein Leben beenden
und immer noch nicht wissen, was der Sinn
wirklich ist. Aber das ist das Schöne am Leben: Man lernt ständig und ist auf der Suche danach, was wirklich der Sinn ist. Beim
täglichen Wettbewerb der Künstler ist es wie
auf jedem Gebiet: Wenn das Angebot groß
ist, ist die Konkurrenz groß. Aber wir sind in
der Kunst und Musik in der glücklichen Position, dass es um etwas Höheres geht. Nicht
um den Verkauf von Gütern, sondern um
Kunst und das, was im Endeffekt uns Menschen ausmacht. Als Winston Churchill im
Zweiten Weltkrieg gefragt wurde, ob man
das Kunstbudget ins Militär geben soll, hat
er gesagt: »Aber wozu kämpfen wir dann
noch?« Das heißt, alles was von uns bleibt,
ist Kunst. Wir kennen unsere Vergangenheit
aufgrund der Kunstwerke, die Genies erschaffen haben. Das weiterzugeben, ist eine
schöne Aufgabe, und ich bin extrem froh,
dass ich meine volle Arbeitskraft darein stecken darf. Das ist die Hauptmotivation, wie
auch immer der Markt ausschaut.
Wie können wir da wieder zu einem Um­denken
kommen?
Wettbewerbe sind so wichtig geworden für
junge Leute, dass oft die falschen Motive
im Vordergrund stehen, auch von Kandidatenseite. Man muss sich immer vor Augen
halten, dass es nicht um den Wettbewerb an
sich geht, sondern um die Musik. Ich weiß,
dass das oft schwierig ist. Aber das ist die
Grundnachricht, die man weitergeben sollte. Es muss um die Musik gehen, von Jurorseite, von Kandidatenseite.
❙ Das Interview führte Julika Jahnke.
14Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© A. Svirskas
Es muss um die Musik gehen
INTERVIEW
© Maurice Korbel
Warum sollte ich einen
­Wettbewerb besuchen?
Die Dirigentin Julia Jones
Nach den Anfängen ihrer Karriere in Deutschland war Julia Jones vier Jahre lang Chefdirigentin für Oper am Theater Basel, 2008—2011 Chefdirigentin des Orquéstra Sinfonica
Portuguesa und des Teatro Nacional São Carlos Lissabon. Seit 2011 ist sie freischaffend tätig
und dirigiert häufig an den Wiener Opernhäusern sowie in den Opernhäusern in Frankfurt,
Dresden und London (Royal Opera House). Als gefragte Mozartkennerin dirigierte sie bei
den Salzburger Festspielen 2004 u. a. die Entführung aus dem Serail.
Warum haben Sie nie an einem Wettbewerb
teilgenommen?
Ich habe mit dreiundzwanzig Jahren angefangen zu arbeiten. Warum sollte ich einen
Wettbewerb besuchen? Es ist viel besser,
Arbeitserfahrungen direkt am Platz zu sammeln. Ich war erst Korrepetitorin, habe so
schon viel über den Beruf gelernt und mich
später für eine Kapellmeisterstelle beworben.
Haben Wettbewerbe für Sie einen zu hohen
Stellenwert?
Jeder hat eine andere Vorstellung davon,
wie er seine Karriere gestalten will oder sein
Lebensziel. Manche wollen das mit einem
Wettbewerb erreichen. Und es gibt andere,
so wie mich, die gleich in den Beruf eingestiegen sind. Für mich war es wichtiger,
gleich am Kölner Opernhaus zu beginnen,
wo ich von den besten Dirigenten und Sängern gelernt habe. Ein Dirigent lernt nur,
wenn er vor einem Orchester steht.
Gab es in der Zeit Ihrer musikalischen Ausbildung Konkurrenz unter den Studierenden?
Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich begonnen, Klavier an der Chetham’s School of
Music zu studieren, das ist die Internatsschule für begabte junge Musiker schlechthin in Großbritannien. Und man ist dort
natürlich der Konkurrenz ausgesetzt. Für
mich war nach einem Jahr klar, dass ich
mich nicht mit den anderen Studierenden
messen kann, die schon mit vierzehn ein
Tschaikowsky-Klavier­konzert spielen. Und
ich habe erkannt, dass ich gar nicht Konzertpianistin werden, sondern Musik zusammen
mit anderen machen möchte. Ich habe mich
damals geweigert, einmal im Monat ein Solo-­
Konzert zu geben, weil ich Kammer­musik
spielen und die Sänger bei Lieder­abenden
begleiten wollte. Und habe das durchgesetzt,
weil ich gemerkt habe, dass meine Fähigkeiten in diese Richtung gehen.
Wie kam es, dass Sie sich dann so eindeutig auf
die Oper festgelegt haben?
Weil ich im Internat auf eigenen Wunsch
angefangen habe, Sänger zu begleiten. Ich
habe schon mit fünfzehn die großen Liederzyklen im Konzert gespielt, z. B. die Winterreise. Ich habe eine enge Beziehung zum
Gesang gehabt und auch im Chor gesungen. Ich mag die menschliche Stimme sehr
und arbeite auch sehr gern mit Sängern. Da
kommt man automatisch zur Oper.
Sie sind eine ausgewiesene Mozartkennerin.
Haben Sie Mozart auch schon im Studium für
sich entdeckt?
Das begann schon viel früher, auch als Kind,
und dann später, als ich an der Musikhochschule viele Werke von ihm gespielt habe.
Aber ich kann nicht in Worten ausdrücken,
warum das so ist. Wenn ich einen Komponisten aussuchen müsste, mit dem ich lebe und
sterbe, dann ist das Mozart. Aber ob ich eine
Spezialistin bin, da bin ich vorsichtig. Ich
g­ estalte Mozart auf meine Art und Weise, ob
das »richtig« ist, kann ich nicht sagen. Es gibt
tausende Möglichkeiten, ein und dieselbe
Phrase zu interpretieren. Überzeugend muss
es sein und die Menschen, die zuhören, erreichen. Und deswegen ist es wichtig, seine eigenen Fähigkeiten zu erkennen. Wie in jedem
Beruf gibt es in der Musikwelt Neid, Konkurrenzkampf, sogar Mobbing. Als Dirigentin
stehe ich alleine auf dem Podium – Gott sei
dank –; als Dirigent muss man eine gesunde
Portion Egoismus haben. Zu zweit würde es
gar nicht gehen! Als Musiker im Orchester
zu sitzen, ist viel schwieriger. Man muss sich
in der Gruppe anpassen, und das oft über
Jahrzehnte lang. Positive Konkurrenz ist
gut, sogar überlebungswichtig, aber negative
Konkurrenz ist etwas ganz Schlimmes; und
solche Verstimmungen beeinflussen leider
den gesamten Apparat und schließlich das
musikalische Ergebnis. Auch Konkurrenz unter Sänger ist hart, aber mit der Einstellung
»Eigentlich müsste ich morgen an der MET
singen, aber ich sitze hier im kleinen Opernhaus« kommt man nicht weit.
Setzen sich die Guten denn immer durch?
Am Schluss kommt immer die Wahrheit
heraus. Es gibt schon einen großen Konkurrenzkampf der Veranstalter und Agenturen,
die junge Nachwuchstalente groß herausbringen. Das hilft manchen jungen Musikern anfänglich sicher. Aber ohne das notwendige technische und musikalische Talent
geht es auf Dauer nicht. Die besten Sänger
und Solisten, mit denen ich gearbeitet habe,
waren immer bescheidene, hart arbeitende
und hoch professionelle Menschen, die es
nicht nötig hatten, sich zu beweisen.
❙ Das Interview führte Julika Jahnke.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft15
Empfehlungen
REZENSIONEN
Bücher
W. A. Mozart im Spiegel des
Musikjournalismus. Deutschsprachiger Raum, 1782–1800.
Edition. Vorgelegt und kommentiert von Rainer J. Schwob.
Salzburg und Stuttgart 2015:
Carus-Verlag (Beiträge zur
Mozart-Dokumentation, Bd. 1),
822 Seiten.
Warum ist Mozart so schwer verständlich? Diese Frage stellten
sich seine Zeitgenossen. Eines
der Klavierkonzerte etwa nahm
der Berliner Musik­kritiker Carl
Spazier im Oktober 1791 zum
Anlass, um Mozart die »bizarreste Seelenschwelgerei« und
»seltsamsten Paradoxien« anzukreiden. Derlei scheinbar absurde Aussagen sollten nicht einfach abgetan werden: Damals
hörte man Mozarts Musik vor
dem Hintergrund seiner (beträchtlich erfolgreicheren) Zeitgenossen wie Cimarosa, Dittersdorf, Haydn oder Paisiello,
und verstand ihre komplexe
Tiefe noch im Missverständnis
vielleicht besser als wir.
Alle Urteile, Anekdoten, ja selbst
flüchtige Erwähnungen Mozarts,
die bis 1800 auf­zu­finden waren,
hat Rainer Schwob mit vorbildlicher Sorgfalt ediert und kommentiert. Man kann auf der Website
http://dme.­mozarteum.at/mozart­rezeption ergänzend ­sämtliche
Texte nach verschiedenen Stich­
wörtern (z. B. Spazier oder Klavierkonzert) durchsuchen (wo­
bei altertümliche Schreibweisen
gleich mitberücksichtigt werden).
Zum Lesen, Schmökern und Ent­decken empfiehlt sich hingegen
der schön aus­gestattete, gewichtige Band. Weitere zur Mozart-­
Rezeption im 19. Jahrhundert
sind in Vorbereitung.
Wolfgang Fuhrmann
Eva Gesine Baur: Mozart-ABC.
Illustriert von Chris Campe.
München 2016, 148 S.
Man kann aus der Not, dass einfach schon viel zu viel über Mozart geschrieben wurde, auch versuchen eine Tugend zu machen.
Eva Gesine Baur, die in den letzten Jahren schon mit der Pioniertat einer Schikaneder-­Biographie
und einer eigenwilligen Mozart-­
Deutung in Erscheinung getreten ist, versucht genau dies
in ihrem handlich-kleinen, au-
genzwinkernden Mozart-ABC.
In alphabetischer Reihenfolge
sind hier einige näher und ferner liegende Stichworte aus
dem Mozart-Kosmos erläutert.
Der durchgehende Plauderton
vermag aber durchaus auch
manche interessante Aufklärung zu bieten oder sonst nur
mühsam eruierbare Informationen auf den Punkt zu bringen: Gleich der erste Eintrag
»Amadeus« zeichnet nach, wie
aus Gottlieb (Taufeintrag) und
Amadé (Selbstnennung) der
ätherische Amadeus wurde.
Ansonsten dreht sich viel um
Details des Alltags (Essen und
Trinken kommen nicht zu kurz)
und interessante kleine kultur­
geschichtliche Eindrücke.
Brauchen tut man so ein Buch
sicher nicht; aber wenn man
es mal in der Hand hat, ist das
Blättern und Schmökern durchaus vergnüglich.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Christian Gerhaher: »Halb
Worte sind’s, halb Melodie«.
Gespräche mit Vera Baur.
Leipzig/Kassel 2015, 174 S.
»Bilde, Künstler! Rede nicht!«
Es gibt viele Künstler, denen
man dieses Goethe-Wort auch
heute noch ins Stammbuch
schreiben möchte. Für den Bariton Christian Gerhaher gilt
das indes nicht: Die besondere
Evidenz, Eindringlichkeit und
Nachdenklichkeit seiner von
Publikum und Kritik gleicher­
maßen gefeierten Lied- und
Opern-­Interpretationen weisen
ganz offenkundig auf einen
hoch reflektierten Künstler.
Dass er diese Reflexion nicht
nur in Gesang, sondern auch in
Worte übersetzen kann, zeigt
dieser als Gemeinschaftsproduktion der Verlage Seemann
Henschel und Bärenreiter erschienene Gesprächsband.
Zwar kennt man Gerhaher als
bekennenden Schumannianer
und Liedsänger, doch seit er
sich vermehrt der Oper zuwendet, nimmt auch Mozart
einen wichtigen Platz in seinem Wirken ein: Das erste der
beiden der Oper gewidmeten
Kapitel ist denn auch fast ausschließlich eine Reflexion auf
Gerhahers Erfahrung als Don
Giovanni in der Frankfurter
Produktion von 2014. Er ist
dabei tief in die Rolle eingedrungen und hat sich ein
durchaus eigenständiges Bild
von ihr gemacht. Aber auch in
jeder anderen Hinsicht ist dies
ein Buch, dessen Lektüre anregt und bereichert.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Impressum
Deutsche Mozart-Gesellschaft e. V.
Mozarthaus · Frauentorstraße 30 · 86152 Augsburg
Telefon: +49 (0)821 / 51 85 88
E-Mail: [email protected]
Präsident: Thomas Weitzel
Schriftleitung: Melanie Wald-Fuhrmann
Redaktion und Geschäftstelle: Julika Jahnke
Layout: Esther Kühne
16Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Herunterladen