Neue Z}rcer Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 15.01.2003 Nr.11 49 Wechselt das Erdmagnetfeld seine Richtung? Wachsende Antidynamos bei den Polen Für uns scheint es selbstverständlich zu sein, dass der magnetische Nordpol im Norden liegt. Laut französischen Forschern, die entsprechende Satellitendaten neu ausgewertet haben, wird eine Umkehr des Erdmagnetfeldes in den nächsten 2000 Jahren aber immer wahrscheinlicher. Bei den Polen erstarken im Erdinnern Antidynamos. Die Entstehung des Erdmagnetfeldes ist nach wie vor nicht ausreichend geklärt. Man geht davon aus, dass im Erdinnern Wärmeunterschiede an der Grenze des Mantels zum Kern in der flüssigen Masse des äusseren Erdkerns Konvektionsströmungen erzeugen. Da sich die Erde als Ganzes dreht, führt die Corioliskraft in dieser fliessenden Erdmasse zu Wirbel-artigen – zum Teil als Helix-Struktur beschrieben – Rotationsbewegungen. Weil die Flüssigkeit des äusseren Erdkerns Eisen und Nickel enthält und damit magnetisierbar ist, entsteht eine Art Dynamo. Dieser Dynamo – so die Theorie – erzeugt das Magnetfeld der Erde. Dieses Magnetfeld war jedoch im Laufe der Erdgeschichte starken Schwankungen unterworfen, welche aus noch ungeklärten Gründen zu Verschiebungen der magnetischen Pole bis hin zur kompletten Umpolung des gesamten Feldes führten. Im Gestein konservierte Magnetfelder Die Entwicklung des Magnetfeldes im Laufe der Erdgeschichte ist in der erstarrten Lava der Ozeanböden gut konserviert. Die magnetisierbaren Bestandteile des Magmas, das an den Mittelozeanischen Rücken kontinuierlich aus dem Erdinnern zugeführt wird, richten sich nach dem Magnetfeld aus, das zur Zeit des Magmaaustritts an diesem Ort wirkte. Ändert sich das Magnetfeld, ändert sich auch die Ausrichtung dieser elementaren Magnete in der Lava, die zu dieser Zeit aus dem Erdinnern strömte, sich parallel zu den Mittelozeanischen Rücken ausbreitete und dort schliesslich als Streifen erkaltete. Dieses magmatische Gestein enthält nicht nur Informationen über die Ausrichtung des Magnetfeldes, sondern gibt auch Auskunft über dessen Intensität. So bildet sich ein für das blosse Auge unsichtbares Streifenmuster des Paläomagnetismus. In den letzten 15 Millionen Jahren kam es durchschnittlich alle 200 000 Jahre zu einer Umpolung. Die Schwankungen und Polaritätswechsel im Erdmagnetfeld scheinen allerdings keinen festen Regeln zu folgen. So liegt die letzte Umkeh- © 1993-2004 Neue Zürcher Zeitung AG rung der Magnetisierungsrichtung 780 000 Jahre zurück. Seither hat es nur noch Schwankungen in der Intensität gegeben, und seit 150 Jahren lässt die Stärke des Magnetfeldes kontinuierlich nach. Bei gleich bleibendem Tempo führt das nach Ansicht der Fachleute in spätestens 2000 Jahren zu einer Umpolung. Gauthier Hulot vom Département de Géomagnétisme et Paléomagnétisme des Institut de Physique du Globe in Paris hat mit einer Gruppe nun neue Daten gefunden, die diese Hypothese zu bestätigen scheinen. Umgekehrte magnetische Flussrichtung Hulots Team wollte mehr über die Funktionsweise des sogenannten Geodynamos im Erdinneren erfahren. Auf der Suche nach Schwankungen in der Stärke des Erdmagnetfelds haben die Wissenschafter die Daten des amerikanischen Satelliten Magsat von 1980 und des dänischen Satelliten Oersted von 2000 ausgewertet und interpretiert. Dabei stellten sie fest, dass südlich von Südafrika und am Nordpol ausgedehnte Bereiche des Erdmagnetfeldes mit umgekehrtem magnetischem Fluss zu beobachten sind. Die Konvektion im äusseren Erdkern folgt hier nicht der des übrigen flüssigen Kerns. Die Regionen wirken dadurch als eine Art Antidynamo. Das Magnetfeld dieser Antidynamos existiert gleichzeitig neben dem normalen Erdmagnetfeld und wird durch dieselben Prozesse wie jene des Hauptdynamos in Gang gehalten. Da ein schnelles Anwachsen dieser Antidynamos beobachtet wird, könnten diese in relativ kurzer Zeit zu einer Umpolung des Erdmagnetfelds führen. Denn für eine Umpolung müsste nur das Gleichgewicht zu Gunsten der Antidynamos verschoben und somit die Rollen zwischen Antidynamo und Dynamo vertauscht werden. Dass solche Antidynamos eine wichtige Rolle bei der kompletten Umpolung spielen, bestätigen auch Computersimulationen. Geologische Daten der Vergangenheit zeigen allerdings, dass Schwankungen in der Intensität des Erdmagnetfeldes nicht zwangsweise zu einer Blatt 1 Neue Z}rcer Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Umpolung führen. Die Antidynamos liefern aber eine Erklärung für Polaritätswechsel, die sich relativ schnell, innerhalb weniger tausend Jahre vollzogen haben. Ausserdem macht die gleichzeitige Existenz von Dynamo und Antidynamo die Tatsache verständlich, dass das Erdmagnetfeld auch bei einer Umpolung nie vollständig verschwindet, © 1993-2004 Neue Zürcher Zeitung AG Mittwoch, 15.01.2003 Nr.11 49 sondern lediglich bis auf etwa einen Viertel seiner Feldstärke reduziert wird. Simone Ulmer Quelle: Nature 416, 591–594, 620–623 (2002). Blatt 2