FOTO ISTOCK Interview mit Dr. med. Pierre-Alain Buchard: Gesundheit! – Osteoporose Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge zählt Osteoporose zu den zehn häufigsten Erkrankungen überhaupt. Bei Osteoporose verliert der Knochen an Masse und Stabilität. Da diese Krankheit meist unbemerkt fortschreitet, wird sie häufig erst entdeckt, wenn es zu einem Knochenbruch kommt. Antoine Gessler (dt. Text Karin Gruber) Die kleine Eisfläche auf dem schlecht geräumten Gehweg bringt seine Füsse ins Rutschen. Mit wild herumfuchtelnden Armen versucht er, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Doch ehe er irgendwo sicheren Halt finden kann, landet er unsanft auf dem harten Asphalt. Ein junger Mann hätte sich wohl laut vor sich hin schimpfend wieder aufgerichtet und wäre mit einem schmerzenden Hintern weitergelaufen. Doch mit 75 Jahren ist man längst nicht mehr so agil, wie man es noch mit 20 war. Ein stechender Schmerz fährt durch die Hüfte des Gestürzten. Da sich der Mann nicht mehr aufrichten kann, ist die Ambulanz bald zur Stelle. Im Krankenhaus diagnostizieren die Ärzte einen Oberschenkelhalsbruch. Der Aufprall hat gereicht, um den von Osteoporose geschwächten Knochen zu brechen. So wie diesem Unglücklichen ergeht es vielen Menschen. Schon ein leichter Schlag, ein unglücklicher Sturz, eine unachtsame Bewegung – und die Röntgenbilder zeigen einen gebrochenen Knochen. Dr. Pierre-Alain Buchard, Facharzt für Rheumatologie und Chefarzt des Bewertungs- und Konsultationszentrums der Westschweizer Rehabilitationsklinik der SUVA in Sitten, informiert uns über die heimtückische Krankheit Osteoporose. Dr. Buchard, was ist Osteoporose genau? Osteoporose ist eine allgemeine Erkrankung des Skeletts, die durch eine Abnahme der Knochendichte gekennzeichnet ist. Diese schwindende Knochendichte ist die Folge eines übermässig raschen Abbaus der Knochensubstanz und -struktur. Die Knochen werden poröser und schwächer, wodurch sie leichter brechen können. Osteoporose ist eine sogenannte stille Krankheit, die asymptomatisch, das heisst ohne Beschwerden, fortschreitet. Die Betroffenen wissen meist gar nicht, dass sie daran leiden. Früher wurde die Diagnose zu spät gestellt, meist erst, nachdem es schon zum Knochenbruch gekommen war. Seit rund zwanzig Jahren können wir dieses Problem aber ganz anders angehen. Was heisst das? 1993 wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine neue Technik anerkannt: die Osteodensitometrie (Knochendichtemessung). Sie diente als Grundlage für eine revolutionäre neue Betrachtungsweise von Osteoporose: Hatte man sich früher nur auf die Fraktur konzentriert, eröffnet die Knochendichtemessung die Möglichkeit, den Knochenmineralgehalt zu messen. Dabei wird eine Röntgenuntersuchung gemacht: Geringe Mengen von Röntgenstrahlung werden durch den Knochen geschickt. Mit dem Durchdringen des Knochens wird die Röntgenstrahlung abgeschwächt. Je nachdem, wie porös der Knochen ist, dringt also eine bestimmte Menge Strahlung durch ihn hindurch, was auf dem Röntgenbild sichtbar wird. Knochenbruchs kann ein langer Spitalaufenthalt vonnöten sein. Das bedeutet natürlich auch hohe Kosten. Da unsere Bevölkerung immer älter wird und damit ihr Osteoporose-Risiko steigt, werden diese Kosten weiterhin zunehmen. Kann die Knochendichtemessung als eine Art Prävention gesehen werden? So kann man es nennen. Es lassen sich nämlich Parallelen zu anderen stillen Krankheiten ziehen: Bluthochdruck beispielsweise entwickelt sich lange Zeit unbemerkt, bis es zu einem Schlaganfall kommt; ein zu hoher Cholesterinspiegel im Blut kann nach etlichen Jahren ohne Beschwerden plötzlich zu einem Herzinfarkt führen. Dasselbe gilt für Osteoporose: Sie kann jahrelang unentdeckt fortschreiten und das Risiko für Knochenbrüche erhöhen, ohne dass die betroffene Person davon weiss. Welche Teile des Körpers sind am stärksten betroffen? Eigentlich können alle Knochen betroffen sein, gewisse Teile des Körpers sind jedoch bedeutend stärker gefährdet: Oberschenkelhals, Wirbelsäule, Handgelenk, Schulter. Das ist darauf zurückzuführen, dass der Knochen an diesen Stellen eine besondere Struktur hat, die fragiler ist. Diese sogenannten trabekulären Knochen sind poröser als die anderen Knochen und schwammartig aufgebaut. Welche negativen Folgen hat Osteoporose? Wie schlimm die Folgen von Osteoporose sind, hängt ganz davon ab, welcher Teil des Körpers betroffen ist. Osteoporose an sich ist keine tödliche Krankheit – vor allem bei einem Oberschenkelhalsbruch kann es aber zu unangenehmen und schweren Komplikationen kommen. Die wichtigste negative Auswirkung von Osteoporose ist eine deutliche Verringerung der Lebensqualität der Betroffenen. Frakturen können sehr schmerzhaft sein und den Patienten in seinem Alltag stark einschränken. Je nach Lokalisation des Sind Frauen stärker betroffen? Osteoporose betrifft vor allem Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Die Lebenserwartung der Menschen ist im letzten Jahrhundert stark angestiegen, was beide Geschlechter für Osteoporose anfällig macht. Frauen erkranken aber früher daran, was mit ihrer Menopause zusammenhängt. Die Eierstöcke bilden ab diesem Zeitpunkt nämlich weniger Östrogene, die auch eine schützende Rolle für die Knochen spielen. Ist Osteoporose schmerzhaft? Man weiss heute, dass Osteoporose ohne Fraktur schmerzlos ist. Sie entwickelt sich zwar fortschreitend, doch die betroffenen Patienten sind nicht von ständigen Schmerzen geplagt. Schmerzhaft wird es erst, wenn es zu Frakturen kommt. Seltsamerweise ist aber nicht jeder Knochenbruch schmerzhaft: Über 50% der Wirbelsäulenfrakturen beispielsweise lösen keine Beschwerden aus und werden erst bei systematischen Untersuchungen entdeckt. Ab welchem Zeitpunkt sollte man Untersuchungen durchführen lassen? Bis zum zirka 30. Lebensjahr baut der Mensch Knochenmasse – sein Kno- chenkapital – auf. Danach baut sich die Knochenmasse bei allen Menschen regelmässig ab. Das Ausgangskapital und die Geschwindigkeit von dessen Verlust schwanken stark von einer Person zur anderen. Im Alter von 80 Jahren ist jede zweite Person von Osteoporose betroffen. Leider ist es nicht möglich, eine grossflächige Früherkennung durchzuführen. Das würde enorme Kosten verursachen, ohne dass der finanzielle Nutzen einer solchen Aktion gerechtfertigt wäre. Wir müssen uns bei der Früherkennung also auf die am stärksten gefährdeten Personen konzentrieren. Wer sind diese Personen? Die Gefahr eines Knochenbruches hängt nicht allein vom Ergebnis der Knochendichtemessung ab. Da spielen auch noch andere Faktoren mit: eine frühere, spontan oder nach geringen Einwirkungen aufgetretene Fraktur (Low Energy Fracture), beispielsweise infolge eines Sturzes, die zu einer erneuten Fraktur führen könnte. Weitere ungünstige Faktoren sind Rauchen, der Konsum von mehr als drei Einheiten Alkohol pro Tag, die Einnahme von Kortison, Magerheit … Heisst das, dass «dickere» Menschen weniger gefährdet sind? Sie sind tatsächlich resistenter gegen Osteoporose. Doch das ist vermutlich der einzige Bereich in der Medizin, in dem Übergewicht der betroffenen Person einen Vorteil verschafft. Kann Osteoporose medikamentös behandelt werden? Knochen ist nicht ein lebloses Gewebe. Er baut sich andauernd ab und wieder auf. Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Tendenzen wird von zwei Arten von Zellen sichergestellt, die abwechselnd die Oberhand gewinnen. Die Idee einer medikamentösen Behandlung besteht darin, entweder die Osteoblasten (für die Knochenbildung verantwortliche Zellen) zu stimulieren, oder ihre Gegenspieler, die Osteoklasten zu hemmen. Seit mehr als fünfzehn Jahren verfügen wir über sehr effiziente Medikamente dafür. Gibt es eine mögliche Prävention? Die Prävention findet vor allem über eine gute Lebensführung statt: Vermeiden von Tabak und Alkoholmissbrauch, regelmässige Bewegung (vor allem Laufen), regelmässiger Konsum von kalziumhaltigen Milchprodukten (Milch, Joghurt und Käse). Durch eine vernünftige Sonnenexposition kann zudem Vitamin D aktiviert werden. An diesem Vitamin mangelt es unserer Bevölkerung leider häufig. Vor allem in Heimen muss daher auf ein entsprechendes Ergänzungspräparat zurückgegriffen werden. Realisiert durch die Partner Werbung