Berichte Wohin geht die Lebensmittelkennzeichnung? RAin Petra Nüssle Bei der Lebensmittelkennzeichnung ist derzeit vieles im Wandel. Die angestrebten Änderungen auf nationaler und auf EU-Ebene sollen nach dem Willen der Verantwortlichen zu einem Mehr an Verbraucherinformation führen. Ob dies im Ergebnis tatsächlich der Fall sein wird, soll in dieser und nachfolgenden Ausgaben der dbk untersucht werden. Politische Grabenkämpfe bei Gentechnik-Kennzeichnung Die politischen Grabenkämpfe um die Gentechnik werden auch bei der Kennzeichnungsdiskussion spürbar: Als die Beratungen zum Gentechnikgesetz im Sommer 2007 innerhalb der Regierungskoalition nur schleppend vorangingen, wurde der sogenannte „Gesamtkompromiss Gentechnik“ getroffen. Dieser Kompromiss war zwar vom Wunsch getragen, mehr Verbraucherinformation hinsichtlich gentechnikfreier Produkte zu schaffen. Er lässt aber in der Umsetzung gerade im Bereich des Kennzeichnungsrechts mehr Fragen offen, als er beantwortet. Zunächst wollte man die sogenannte „Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung“ (NLV) so ändern, dass Lebensmittel auch dann „Ohne Gentechnik“ zu kennzeichnen gewesen wären, wenn sie mit Hilfe von gentechnisch veränderten Zusatzstoffen hergestellt werden. Aufgrund der bisherigen Strenge der „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung und des damit verbundenen Aufwands zur Rückverfolgbarkeit kam diese Art der Kennzeichnung in der Vergangenheit sehr selten zum Einsatz. Dass es jedoch möglich ist, beweist beispielsweise das „Ohne Gentechnik“-Siegel der Upländer Molkerei. Mittlerweile hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) einen neuen Formulierungsvorschlag vorgelegt. Danach soll neben der bisherigen strengen „Ohne Gentechnik“Kennzeichnung ein neues Siegel „Vom gentechnikfrei gefütterten Tier“ geschaffen werden. Der vzbv-Vorschlag setzt voraus, dass ● ● „das Lebensmittel liefernde Tier selbst nicht gentechnisch verändert ist und sichergestellt wird, dass das Futter, mit dem die Tiere gefüttert wurden, nicht nach der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel kennzeichnungspflichtig ist“. Verbrauchererwartungen erfüllen – Transparenz durch Prozesskennzeichnung Nach Ansicht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) sollte die „Ohne Gentechnik“-Kennzeich- 20 dbk 1/08 nung nicht ausgeweitet werden. Der Verbraucher geht nämlich davon aus, dass während des gesamten Prozesses keine Gentechnik zur Anwendung kam. Würde nur noch auf einen Teilaspekt des gesamten Herstellungsvorgangs abgestellt, würde man dieser berechtigten Verbrauchererwartung nicht mehr gerecht. Gegen den vzbv-Vorschlag spricht, dass nicht kennzeichnungspflichtiges Futtermittel keineswegs gentechnikfrei sein muss, der Verbraucher bei einem derartigen Werbehinweis allerdings davon ausgehen muss, dass gentechnikfreies Futter zum Einsatz kam. Des Weiteren wäre eine Auslobung mit dem Siegel „Vom gentechnikfrei gefütterten Tier“ auch dann möglich, wenn das Tier unter Einsatz von gentechnisch hergestellten Futtermittelzusatzstoffen (Aminosäuren, Vitamine, Enzyme) gefüttert wurde bzw. bei der Weiterverarbeitung dem Produkt Derartiges zugefügt wird. Auch dies entspräche nicht der berechtigten Verbrauchererwartung. Die Lebensmittelwirtschaft lehnt beide Vorschläge aus Sicht des Verbraucherschutzes ab. Der Verbraucher würde damit nur noch die halbe Wahrheit erfahren. Will man im Bereich der Gentechnikkennzeichnung tatsächlich mehr Verbraucherinformation erreichen, ist hierfür eine Änderung des EU-Rechtes unverzichtbar. Dies kann nur im Wege einer durchgehenden Prozesskennzeichnung erreicht werden, welche auf die Verwendung von Gentechnik während des gesamten Entstehungsprozesses eines Lebensmittels hinweist, auch wenn sich im Endprodukt gentechnisch veränderte Organismen (GVO) nicht mehr nachweisen lassen. Das würde dann auch bei tierischen Produkten, die unter Verwendung von gentechnisch verändertem Futtermittel erzeugt wurden, (z. B. Fleisch, Milch) die Kennzeichnungspflicht „Gentechnisch verändert“ auslösen. Derzeit ist dies nicht der Fall, weil das EU-Recht vom Tier gewonnene Erzeugnisse von der Produktkennzeichnung ausnimmt. Bis zu einer Änderung des EU-Rechts ist dem Verbraucherschutz daher am besten gedient, wenn die nationale sichere „Ohne Gentechnik“Kennzeichnung so belassen wird, wie sie ist. Über das Kennzeichnungsrecht nach Mitteln und Wegen zu suchen, die von vielen Politikern ungeliebte Gentechnik nicht zur Anwendung zu bringen, würde jedoch bedeuten, das bisherige politische Versagen im Bereich der Gentechnik auf dem Rücken der Verbraucher auszutragen. Dies würde im verbraucherpolitisch hochsensiblen Bereich der Gentechnik anstatt der dringend notwendigen Aufklärung lediglich zusätzliche Ängste erzeugen. Verbesserte Nährwertkennzeichnung als Waffe gegen Übergewicht Die derzeitige Diskussion um die Nährwertkennzeichnung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Diskussionsgrundlage auf EU-Ebene ist das Weißbuch „Ernährung, Übergewicht, Adipositas: Eine Strategie für Europa“. In Deutschland gibt es ein Eckpunktepapier zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten der Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) sowie Gesundheit (BMG). Die Diskussionen um eine gesunde Ernährung führten unter anderem zur Forderung nach einer verbesserten Verbraucherinformation. Man erhofft sich, dadurch die Verbraucher von einem ungesunden Ernährungsverhalten abzubringen. Insbesondere von den Verbraucherverbänden, aber auch von Teilen der SPD wird eine farbige Kennzeichnung von Lebensmitteln in Form einer „Ampel“ gefordert. Diese wird auf freiwilliger Basis in England bereits praktiziert, ist aber auch dort umstritten. Die Lebensmittelwirtschaft lehnt die „Ampel“ entschieden ab, da es grundsätzlich keine ungesunden Lebensmittel gibt, sondern nur ungesunde Lebensweisen und ungesundes Ernährungsverhalten. So wäre ein eventuell wegen seines hohen Fettgehaltes mit der Warnfarbe Rot zu kennzeichnendes Produkt (z. B. Butter) nicht per se ungesund, sondern als Zutat zu einer ausgewogenen Mahlzeit sogar notwendig. Berichte Seehofer: Mehr Information statt Ampel Bundesminister Seehofer lehnt die „Ampel“ ebenfalls ab. Stattdessen will er die bestehende Nährwertkennzeichnung um bestimmte Verbraucherinformationen erweitern. Das BMELV hat einen „Leitfaden für erweiterte Nährwertinformationen auf Lebensmittelpackungen bzw. Etiketten“ anlässlich der Anuga der Öffentlichkeit vorgestellt. Danach soll über die sogenannten zentralen Elemente „1+4“ (Brennwert + Fett, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz) in Form wieder erkennbarer Symbole auf Lebensmittelverpackungen informiert werden. Dies soll, bezogen auf die Portion, unter Bezug zu der empfohlenen Tageszufuhr erfolgen. Die Schauseite des Etiketts soll mindestens den Brennwert unter Bezug auf einen durchschnittlichen Referenzwert für die tägliche Energieaufnahme von 2.000 Kilokalorien darstellen. Für die Angabe der Portionsgröße wird mittelfristig deren Vereinheitlichung für Lebensmittel derselben Kategorie durch die jeweiligen Branchen gefordert. Vonseiten der Lebensmittelwirtschaft wurde bisher eine Kennzeichnung der sogenannten „Big4“ (Brennwert, Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate) favorisiert. Bereits heute sind etwa 60 Prozent der verpackten Lebensmittel so gekennzeichnet. Vom Grundsatz her wird die erweiterte Nährwertkennzeichnung des BMELV vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde jedoch mehrheitlich mitgetragen. Entscheidend ist die Freiwilligkeit der Anwendung. Die Lebensmittelwirtschaft fordert allerdings mehr Flexibilität in der Anwendung. Der interessierte Verbraucher kann in der Regel heute schon die Zusammensetzung des Lebensmittels auf der Verpackung erkennen. Diejenigen, die an derartigen Informationen nicht interessiert sind, werden sich auch durch eine Ausweitung der Verbraucherinformation nicht angesprochen fühlen. Teilweise ist dies auch nicht notwendig, da es immer noch zahlreiche Verbraucher gibt, die bereits im Elternhaus gelernt und erfahren haben, wie eine gesunde Ernährung und gesunde Lebensweise aussieht. Dazu gehört auch die Tatsache, dass Lebensmittel eben nicht nur nach strengem Wortlaut Mittel zum Leben sind, sondern auch Genussmittel sein dürfen, wenn man gewisse Regeln befolgt. Demgegenüber ist die derzeit vielfach zu beobachtende Ernährungsberatung häufig von Verboten bestimmt. Dies birgt die Gefahr, dass Verbraucher verunsichert werden, resignieren und derartige Informationen gänzlich ignorieren. So wird beispielsweise regelmäßig zu Ostern und Weihnachten davor gewarnt, zu viel Eier oder Gebäck zu verzehren. Dass dies aber gerade zu diesen Festen gehört und ein vorüber- gehend gesteigerter Konsum für gesunde Menschen nicht schädlich ist, wird häufig vergessen. Den Verbrauchern, die nicht wissen, wie man sich ausgewogen ernährt, helfen in der Regel keine farbigen Punkte beispielsweise auf Schokoriegeln, sondern eher Ernährungsschulungen. Die Grundlagen für eine gesunde Ernährung sollten bereits den werdenden Eltern vermittelt werden. Denn diese sind in erster Linie für die Ernährung ihrer Kinder verantwortlich. Kindergärten und Schulen sollten ebenfalls in die Verantwortung genommen werden. Vorbild hierfür könnte die bereits etablierte zahnmedizinische Prävention sein. Der DBV wird sich auch weiterhin für eine klare Verbraucherinformation einsetzen. Denn diese ist die Grundlage für nachhaltiges Vertrauen. Und das Verbrauchervertrauen in deutsche Lebensmittel ist die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg der landwirtschaftlichen Betriebe. Deshalb wird der DBV auch künftig unsachgemäße Änderungen des Kennzeichnungsrechtes beim Namen nennen und für sinnvolle Verbesserungen eintreten. Europa setzt auf Verbindlichkeit Auf EU-Ebene wird derzeit innerhalb der Kommission ein Verordnungsentwurf der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz (DG SANCO) „über die Vermittlung von Informationen über Lebensmittel an Verbraucher“ abgestimmt. Dieser enthält unter anderem Vorschriften zur Nährwertkennzeichnung und Herkunftskennzeichnung. Rechtsgrundlage der Verordnung ist neben Artikel 95 (Harmonisierung) auch Artikel 153 EG-Vertrag und damit der Verbraucherschutz. Zur Nährwertkennzeichnung sieht der Verordnungsentwurf folgende verbindliche Angaben vor: Energie, Fett, gesättigte Fettsäuren, Zucker und Salz. Ein wesentlicher Unterschied zu der nationalen Strategie liegt im verpflichtenden Charakter der Verordnung. Es ist zu erwarten, dass durch Verbesserungen bei der Nährwertkennzeichnung die Verbraucher künftig umfassender über die Zusammensetzung der Lebensmittel informiert werden. Ob dadurch jedoch die Verzehrsgewohnheiten geändert werden, ist eher fraglich. Gesunde Ernährung durch Aufklärung Bereits jetzt lässt sich bei der Mehrzahl der verpackten Lebensmittel der Nährwert entnehmen. dbk 1/08 21