Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2011 Teil 2

Werbung
6. Jahrgang, 2. Ausgabe, 32-57
- - - Rubrik Neue Arzneimittel - - -
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2011
Teil 2: Multiple Sklerose
Fingolimod (Gilenya®)
Fampridin (Fampyra®)
Cannabinoide (Sativex®)
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 33 -
Was gab es Neues auf dem Arzneimittelmarkt 2011
Teil 2: Multiple Sklerose
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe DGPT,
Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie
Universitätsklinikum, Heinrich-Heine-Universität
Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
[email protected]
*Aus einem Vortrag des Autors vom 30.01.2012 im großen Hörsaal des LFI der Universitätsklinik Köln (organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein/Apothekerverband Köln
e.V./Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein Bezirksstelle Köln)
Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum
Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html
Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 34 -
Was gab es Neues auf dem
Arzneimittelmarkt 2011?
Prof. Dr. Georg Kojda
Fachpharmakologe, Fachapotheker für Arzneimittelinformation
Fortbildungsbeauftragter Apothekerkammer Nordrhein, Apothekerverband Köln e.V.
Herausgeber „Fortbildungstelegramm Pharmazie“
Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie,
UniversitätsKlinikum, Düsseldorf,
Fortbildungsvortrag vom 30.01.2011 organisiert durch Apothekerkammer Nordrhein,
Apothekerverband Köln e.V., Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Bezirksstelle Köln
Der Autor erhielt Forschungsgelder1 sowie dienstlich genehmigte Beratungs-2
und Referentenhonorare3 von folgenden Arzneimittelherstellern:
Actavis1, Boehringer3, Mundipharma3, Schwarz Pharma1, Pfizer1,2, Shire1
Autoimmunerkrankungen
Paul Ehrlich war der erste Forscher, der
den Unterschied zwischen „selbst“ und
„fremd“ erkannte.
Er beobachtete, dass ein Organismus
Blutzellen vernichtet, die nicht von ihm
selbst stammen und prägte den Begriff
Horror autotoxicus (Furcht vor
Selbstzerstörung).
Diese Selbsterkennung beruht auf der
Expression von Membranproteinen jeder
Körperzelle, den Klasse I und II MajorHistocompatibility-Complex-Molekülen
Autoimmunerkrankungen sind dadurch
gekennzeichnet, dass die Immunabwehr die
Bildung von Antikörpern gegen körpereigene Eiweiße zuläßt und dadurch schwerwiegende Organschäden verusacht.
Es sind etwa 60 verschiedene Autoimmunerkrankungen bekannt.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 35 -
Fingolimod (Gilenya®)
Arzneistoff
Fingolimod (Gilenya®)
Indikation
Krankheitsmodifizierende
Monotherapie von hochaktiver
schubförmig-remittierend
verlaufender Multipler Sklerose
Zusatznutzen
Hersteller
orale Alternative bei
Progression trotz INF-ß1a/1b
NOVARTIS Pharma GmbH
Fingolimod (Gilenya®)
Multiple Sklerose*
häufigste neurologische Erkrankung, führt im
jungen Erwachsenenalter zu bleibender
Behinderung und vorzeitiger Berentung
Weltweit ca. 2.000.000 Erkrankte, in
Deutschland ca. 120.000 Erkrankte
Frauen 2-3-Mal häufiger betroffen
Photosensibilität
chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung
mit Manifestation im ZNS mit Demyelinisierung
und axonalem Schaden.
Abb. A: weiße Substanz, Myelinhüllen=dunkelblaue
Ringe, Pfeil bezeichnet die Myelin-produzierenden
Oligodendrozyten
Abb. B: elektronenmikroskopischer Querschnitt,
spiralförmig, gegen den Uhrzeigersinn um das Axon
gewickelte Zellmembran mit äußerer (unten links) und
innerer (Mitte rechts) oligodendrozytaler „Plasmazunge“
*Frohman, N Engl J Med 2006; Ransohoff,
N Engl J Med 2007; AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 36 -
Fingolimod (Gilenya®)
zentral
- Fatigue
visuell
- Nystagmus
- Kognitions- Optikusstörungen
neuritis
- Depression
- Diplopie
- Stimmungsschwankungen
Sprache
Multiple Sklerose*
Die Symptomatik ist heterogen und
hängt von den jeweils betroffenen
Hirngebieten und der Progression der
Erkrankung ab.
- Dysarthrie
Hals
Bei vielen Patienten bleibt die
Gehfähigkeit für lange Zeit erhalten.
- Dysphagie
Muskuloskeletal
- Schwäche
- Spastik
- Ataxie
Häufige Frühsymptome sind eine
einseitige Optikusneuritis, Sensibilitätsstörungen (Hände, Arme, Beine) und
Gangstörung mit häufig belastungsabhängiger Schwäche der Beine und
Gangunsicherheit.
sensorisch
- Schmerz
- Hypästhesie
- Parästhesie
Darm
(AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050)
- Inkontinenz
- Diarrhöe
- Obstipation
urogenitatal
- Inkontinenz
- Retention
- sexuelle Dysfunktion
http://en.wikipedia.org/wiki/Multiple_sclerosis
*Frohman, N Engl J Med 2006; Ransohoff,
N Engl J Med 2007; AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050
Fingolimod (Gilenya®)
Klinisch isoliertes Syndrom (KIS)
erstmalige klinische Symptomatik mit
Hinweis auf demyelinisierendes Ereignis
Schubtherapie:
Methylprednisolon i.v. Pulstherapie, evtl.
wiederholen mit Dosiserhöhung
alternativ Plasmapherese
akute
Entzündung
Zunahme der Behinderung
Bisherige Therapie
Demyelinisierung
schubförmig-remittierender Verlauf
Bei ca. 50 % innnerhalb von 10 Jahren
Progression
Demyelinisierung
sekundär-progredienter Verlauf
bei ca. 15 % der Fälle
Demyelinisierung
Verlaufsmodifizierende Therapie
Basistherapie (nach erstem Schub):
INF-ß1b s.c. (Betaferon®), alternativ
INF-ß1a (Avonex® i.m., Rebif® s.c.)
(auch zur Behandlung des KIS zugelassen)
alternativ Glatirameracetat (Copaxone®),
Eskalationstherapie (bei Progredienz)
Natalizumab (Tysabri®)
Ultima ratio
Mitoxantron (Ralenova®)
(auch für sekundär-progredienten Verlauf)
Cyclophosphamid (Endoxan®)
primär-progredienter Verlauf
Zeit
*Frohman, N Engl J Med 2006; Ransohoff,
N Engl J Med 2007; AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 37 -
Fingolimod (Gilenya®)
Bedeutung von mononuklären Lymphozyten bei multipler Sklerose*
Extravasation durch
Endothel postkapillärer
Venolen im Plexus
choroideus
gesund
T-Helfer-Zelle
ZNS-Immunkontrolle
Migration durch
Plexus choroideus
Epithel ins ZNS
B-Zelle
Indexereigniss(e)
Lymphorgane
ca. 10 Jahre
Autoaktivierung
Extravasation ins ZNS
durch Blut-Hirn-Schranke
in entzündete multiple
Sklerose Läsionen
Multiple
Sklerose
T-Helfer-Zelle
Demyelinisierung
Axonschäden
akuter Schub
Behinderung
B-Zelle
Freisetzung von
Zytokinen, Superoxid,
NO etc.
*Frohman, N Engl J Med 2006; Ransohoff,
N Engl J Med 2007; AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050
Fingolimod (Gilenya®)
Bedeutung von mononuklären Lymphozyten bei multipler Sklerose*
Extravasation durch
Endothel postkapillärer
Venolen im Plexus
choroideus
gesund
T-Helfer-Zelle
ZNS-Immunkontrolle
Migration durch
Plexus choroideus
Epithel ins ZNS
B-Zelle
Indexereigniss(e)
Lymphorgane
ca. 10 Jahre
Natalizumab
Autoaktivierung
Fingolimod
Extravasation ins ZNS
durch Blut-Hirn-Schranke
in entzündete multiple
Sklerose Läsionen
Multiple
Sklerose
T-Helfer-Zelle
Methylprednisolon
Demyelinisierung
Axonschäden
akuter Schub
Behinderung
Freisetzung von
Zytokinen, Superoxid,
NO etc.
B-Zelle
INF-ß, Glatirameracetat
*Frohman, N Engl J Med 2006; Ransohoff,
N Engl J Med 2007; AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 38 -
Fingolimod (Gilenya®)
Sphingosin-1-phosphat bindet an Sphingosin-1-phosphat-Rezeptor (S1P1) und vermitttelt
dadurch Auswanderung von Lymphozyten (T- und B) aus den Lymphorganen
Lymphorgane
Peripherie
Sphingosin-1-phosphat
ZNS
Extravasation ins ZNS
durch Blut-Hirn-Schranke
in entzündete multiple
Sklerose Läsionen
(S1P)
S1P1Rezeptor
S1P1Rezeptor
autoaktivierter
Lymphozyt
Fingolimod (Gilenya®)
Der aktive Metabolit FTY720-Phosphat bindet an den S1P1-Rezeptor und behindert damit
die S1P1-vermittelte Auswanderung von T- und B-Lymphozyten aus den Lymphorganen
Lymphorgane
Peripherie
Sphingosin-1-phosphat
ZNS
Extravasation ins ZNS
durch Blut-Hirn-Schranke
in entzündete multiple
Sklerose Läsionen
(S1P)
S1P1Rezeptor
S1P1-RezeptorInternalisierung
S1P1Rezeptor
FTY720-Phosphat
autoaktivierter
Lymphozyt
Bioaktivierung
naive und zentrale T-Gedächtniszellen (nicht zentrale Effektor-TGedächtniszellen mit zytotoxischen
Eigenschaften*)
SphingosinKinase-2
Fingolimod
*N Engl J Med 2012;366:339-47
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 39 -
Fingolimod (Gilenya®)
Der aktive Metabolit FTY720-Phosphat bindet nicht spezifisch nur an S1P1-Rezeptoren
Lymphorgane
Peripherie
Sphingosin-1-phosphat
ZNS
Extravasation ins ZNS
durch Blut-Hirn-Schranke
in entzündete multiple
Sklerose Läsionen
(S1P)
S1P1Rezeptor
S1P1-RezeptorInternalisierung
T- und B-Lymphozyten
-Mangel bedeutet
S1P1Rezeptor
FTY720-Phosphat
weniger
Demyelinisierung, Axonschäden,
akuter Schübe und Behinderung
autoaktivierter
Lymphozyt
Effekte?
Bioaktivierung
S1P3,
S1P4,
S1P5Rezeptoren
SphingosinKinase-2
Fingolimod
aber auch
erhöhte Anfälligkeit für ZNSInfektionen, z.B. Herpes oder JCViren (Auslöser der progressive
multifokalen Leukenzephalopathie,
aufgetreten bei Rituximab oder
Natalizumab)
Nat Rev Immunol. 2005 Jul;5(7):560-70
Fingolimod (Gilenya®)
A
Rezidivfreiheit
(%)
Klinische Effektivität,
(FREEDOMS)
RCT an 1272 Patienten schubförmigremittierender MS, ca. 70 % weiblich,
Studiendauer 2 Jahre
Zeit bis zum 1. Rezidiv (Tage)
Progression der
Behinderung (%)
B
Therapie: 0,5 oder 1,25 mg pro Tag
oral oder Placebo
(A)
Primärer Endpunkt war die jährliche
Rezidivrate, diese sank signifikant und
vergleichbar bei beiden Dosierungen
(B)
Sekundärer Endpunkt war die Zeit bis
zur Progression der Behinderung, die
ebenfalls signifikant vermindert war
Zeit bis zur 1. Progression (Tage)
N Engl J Med 2010; 362:387-401
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 40 -
Fingolimod (Gilenya®)
Klinische Effektivität,
(FREEDOMS)
C
Gadolinium -verstärkte
Läsionen (%)
RCT an 1272 Patienten
schubförmig-remittierender MS,
ca. 70 % weiblich, Studiendauer
2 Jahre
Therapie: 0,5 oder 1,25 mg pro
Tag oral oder Placebo
(C)
signifikant weniger oder
vergrößerte mittels Gadolinium
kontrastverstärkte ZNSLäsionen
N Engl J Med 2010; 362:387-401
Fingolimod (Gilenya®)
adjustierte
Rezidivrate (%)
Klinische Effektivität,
(TRANSFORMS )
RCT an 1292 Patienten schubförmigremittierender MS, ca. 70 % weiblich,
Studiendauer 2 Jahre
Therapie:
0,5 oder 1,25 mg Fingolimod pro Tag oral
oder
30 µg Interferon beta-1a pro Woche, i.m.
Rezidivfreiheit (%)
Primärer Endpunkt war die jährliche
Rezidivrate, diese sank signifikant und
vergleichbar bei beiden Dosierungen (siehe
Abbildung)
Sekundäre Endpunkt war u.a. die Zeit bis
zur Progression der Behinderung, die
ebenfalls signifikant vermindert war (nicht
dargestellt)
Zeit bis zum 1. Rezidiv (Tage)
N Engl J Med 2010; 362:402-415
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 41 -
Fingolimod (Gilenya®)
Nebenwirkungen
Das Sicherheitsprofil wird durch die starke Verminderung der Leukozyten in Peripherie und ZNS
sowie möglicherweise durch die zu erwartenden Effekte eines Agonismus an S1P3-S1P5-Rezeptoren geprägt. Beobachtet wurden häufig kardiovaskuläre, pulmonale, dermale, sensorische und
psychiatrische Nebenwirkungen. Ob bei Anwendung außerhalb klinischer Studien Fälle
progressiver multifokaler Leukenzephalopathie* auftreten, muss abgewartet werden.
Sehr häufig
Häufig
InfluenzavirusInfektionen
Herpesvirus-Infektionen, Bronchitis, Sinusitis,
Gastroenteritis, Tineainfektionen
Lymphopenie, Leukopenie
abnormer Leberfunktionstest, erhöhte TriglyceridSpiegel im Blut, erhöhte Gammaglutamyltransferase
(GGT), erhöhte Leberenzyme,
Depressionen
Schwindel, Parästhesie, Migräne
verschwommenes Sehen, Augenschmerzen
Bradykardie, Atrioventrikulärer Block
Hypertonie
Dyspnoe
Ekzem, Alopezie, Pruritus
Asthenie, Gewichtsverlust
Kopfschmerzen
Husten
Diarrhö
Rückenschmerzen
erhöhte Alanintransaminase (ALT)
*opportunistische demyelinisierende ZNSInfektion durch JC-Virus bei Immunsuppression, 201 berichtete Fälle bei MSPatienten durch Natalizumab (Tysabri®)
http://www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm288186.htm
(20.01.2012)
Fingolimod (Gilenya®)
Nebenwirkungen
„Die im Folgenden angegebenen zusätzlichen Empfehlungen basieren auf Fallberichten von
Patienten mit unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen, darunter der Fall einer Patientin,
die nach der ersten Gabe von Gilenya (Fingolimod) aus bislang unbekannter Ursache verstarb.“
„Bei allen Patienten, die mit der Behandlung beginnen, sollte die
Überwachung während der ersten 6 Stunden nach Verabreichung
von Gilenya folgende Maßnahmen beinhalten:
Ein 12-Kanal-EKG vor der Erstgabe und 6 Stunden nach der
ersten Dosis
Eine kontinuierliche 6-stündige EKG-Überwachung
Stündliche Messungen von Blutdruck und Herzfrequenz.
Bei Patienten mit Hinweisen auf klinisch bedeutsame kardiale
Auffälligkeiten sollte die Überwachung bis zu deren Rückbildung
weitergeführt werden.“
Volltext siehe:
http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/RHB/Archiv/2012/20120125.pdf
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 42 -
Fingolimod (Gilenya®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit gegen Fingolimod oder einen der sonstigen Bestandteile.
bestehendes Immundefizienzsyndrom, erhöhtes Risiko für opportunistische Infektionen,
einschliesslich immungeschwächte Patienten (auch durch Pharmakotherapie)
schwere aktive Infektionen, aktive chronische Infektionen (Hepatitis, Tuberkulose)
bestehende aktive maligne Erkrankungen (nicht Basalzellkarzinom der Haut)
bestehende schwere Leberschäden (Child-Pugh-Klasse C)
Schwangerschaft (Reproduktionstoxizität im Tierversuch), sichere Kontrazeption bis 2
Monate nach Therapieende, bei unerwarteter SS Fingolimod absetzen
Besondere Vorsicht bei:
Ruhepuls <55 Schläge pro Minute, Beta-Blocker-Therapie, anamnestisch bekannte Synkopen
(keine Daten)
AV-Block 2.Grades oder höher, Sick-Sinus-Syndrom, ischämischer Herzerkrankung,
kongestiver Herzinsuffizienz oder signifikanten kardiovaskulären Erkrankungen, nicht
medikamentös eingestellte Hypertonie
Arrhythmien, die eine Behandlung mit Antiarrhythmika der Klasse Ia (z.B. Chinidin,
Disopyramid) oder Klasse III (z.B. Amiodaron, Sotalol) erfordern
schwere Atemwegserkrankung, Lungenfibrose oder chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
Fingolimod (Gilenya®)
Fazit
Der erste orale applizierbare Wirkstoff Fingolimod bewirkt über den neuen
Mechanismus einer S1P1-Rezeptormodulation eine starke Verringerung der
Lypmphozytenzahl in Peripherie und ZNS.
Bei Patienten mit schubförmig remittierender MS wurden gegenüber Placebo
und i.m. INF-ß-Therapie sowohl die Rezidivrate als auch die Verschlimmerung einer
Behinderung und die ZNS-Läsionen vermindert. Ob Fingolimod auch besser wirkt
als die effektivere Standardtherapie (s.c. INF-ß) ist nicht bekannt. Ein Vergleich mit
Glatirameracetat fehlt ebenso. Die Wirksamkeit bei primär- der sekundärprogredienter MS (keine Zulassung!) ist nicht untersucht. Bei Patienten mit
kardiovaskulären oder pulmonalen Komorbiditäten darf Fingolimod nur mit
besonderer Vorsicht eingesetzt werden. Schließlich geht die Therapie mit vielen
u.U. schwer beherrschbaren Nebenwirkungen einher.
Insgesamt stellt Fingolimod ein Reservemittel zur verlaufsmodifizierenden Therapie
der schubförmigen MS bei hochaktivem (schwerwiegendem) Verlauf dar.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 43 -
Fampridin (Fampyra®)
Arzneistoff
Fampridin (Fampyra®)
(in den USA Dalfampridin)
Indikation
zur Verbesserung der
Gehfähigkeit von erwachsenen
Patienten mit Multipler
Sklerose und Gehbehinderung
(Effektbeurteilung nach 2
Wochen erforderlich!)
Zusatznutzen
Hersteller
Verbesserung der Gehgeschwindigkeit
(Linderung der Gehbeeinträchtigung)
Biogen Idec GmbH
Fampridin (Fampyra®)
zentral
Symtomatische Therapie
Muskuloskeletal
Die symptomatische Therapie spielt
eine wichtige Rolle im multimodalen
Therapiekonzept der MS. Ziel dieser
Therapie ist es, funktionelle
Fähigkeiten und Lebensqualität der
Patienten zu verbessern.
- Fatigue
visuell
- Nystagmus
- Kognitions- Optikusstörungen
neuritis
- Depression
- Diplopie
- Stimmungsschwankungen
Sprache
- Dysarthrie
Hals
- Dysphagie
- Schwäche
- Spastik
- Ataxie
Eingesetzt werden hier u.a.
Physiotherapie
orale Muskelrelaxantien
Antidepressiva
Psychostimulantien
Antiepileptika
PDE5-Hemmer/Tibolon
zentrale Cholinesterasehemmer
neurotrop-muskulotrope Spasmolytika
(z.B. Oxybutinin)
sensorisch
- Schmerz
- Hypästhesie
- Parästhesie
Darm
- Inkontinenz
- Diarrhöe
- Obstipation
urogenitatal
- Inkontinenz
- Retention
- sexuelle Dysfunktion
http://en.wikipedia.org/wiki/Multiple_sclerosis
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
*AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050,
Courtney, Curr Opin Neurol 2011
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 44 -
Fampridin (Fampyra®)
Bei etwa einem Drittel der Patienten
fuhrt die MS wegen Behinderungen zu
vorzeitiger Berentung.
Die Einschränkung von Mobilität, z.B.
durch Lähmungen, Ataxie oder
Tremor, aber auch durch Visusbeeinträchtigung oder Inkontinenz geht
direkt mit einer Verminderung der
Lebensqualität einher.
Bislang gab es kein Arzneimittel,
welches für die Linderung von Gehbeeinträchtigungen zugelassen war.
4-Aminopyridin-Hartgelatine-Steckkapseln (NRF 22.3) wurden off-label
eingesetzt, d.h rezeptiert und in
Apotheken hergestellt
http://www.ms-blog.de
*AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050,
Courtney, Curr Opin Neurol 2011
Fampridin (Fampyra®)
Expanded Disability Status Scale
Pyramidenbahn, z. B. Lähmungen
Kleinhirn, z. B. Ataxie, Tremor
Hirnstamm, z. B. Sprach/Schluckstörungen
Sensorium, z. B. Verminderung des Berührungssinns
Blasen-und Mastdarmfunktionen, z. B. Harn- bzw. Stuhlinkontinenz
Sehfunktionen, z. B. eingeschränktes Gesichtsfeld-Skotom
Zerebrale Funktionen, z. B. Wesensveränderung, Demenz
intermittierender Bedarf von Gehhilfen
um etwa 100 m ohne Rast zu gehen
(Fampridin Studienpatienten)
0.0
1.0
keine
2.0
minimal
3.0
moderat
4.0
relativ
schwer
5.0
6.0
Tageshilfsberoutine
dürftig
behindert
7.0
an Rollstuhl
gebunden
8.0
9.0
bettlägrig bis
Hilflosigkeit
Grad der Behinderung
nach: http://multiple-sclerosis-research.blogspot.com
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 45 -
Wirkungsmechanismus
Kaliumkanalblockade
„Fampyra ist ein Kaliumkanalblocker. Durch Blockierung der Kaliumkanäle verringert Fampyra
das Austreten von Ionenstrom durch diese Kanäle, verlängert so die Repolarisation und
verstärkt die Aktionspotentialbildung in demyelinisierten Axonen sowie die neurologische
Funktion. Vermutlich werden durch die Verstärkung der Aktionspotentialbildung mehr Impulse
im zentralen Nervensystem weitergeleitet.“ (Fachinformation Fampyra)
Effekt hoher Konzentrationen von
Fampridin auf Aktionspotentiale
demyelinisierter C-Fasern.
Auf myelinisierte Fasern hat Fampridin
keinen Effekt.
Die therapeutische Plasmakonzentration
nach 10 mg Fampridin (etwa 0,17 mg/kg)
liegt bei etwa 25 ng/ml (0,25 µM).
Damit sind die Effekte von Bostock et al.
bei der 4.000-fachen Konzentration
beobachtet worden.
Bostock et al., J Physiol (Lond) 1981; 313: 301–15.
Wirkungsmechanismus nach Bostock et al., 1981
Mehr spannungsabhängige Kaliumkanäle (Kv ) bei Myelinschäden
Dies verkürzt die Repolarisation, verstärkt die Hyperpolarisation, reduziert die Aktionspotentialdauer und die synaptische Ausschüttung von Acetylcholin und vermindert somit die Muskelkraft
Dauer des Aktionspotentials
Depolarisation
neuromuskuläre
Endplatte
Repolarisation
Kv
Hyperpolarisation
Myelin-Schaden
durch MS
Myelin
Axon
Snyapse
spannungsabhängige
Kaliumkanäle
Acetylcholin
*AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050,
Courtney, Curr Opin Neurol 2011
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 46 -
Wirkungsmechanismus nach Bostock et al., 1981
Fampridin hemmt unspezifisch spannungsabhängige Kaliumkanäle
Kv-Hemmung verlängert Repolarisation, vermindert Hyperpolarisation, erhöht Aktionspotentialdauer, verbessert synaptische Ausschüttung von Acetylcholin und verbessert somit Muskelkraft
Dauer des Aktionspotentials
Depolarisation
neuromuskuläre
Endplatte
Repolarisation
Kv
Fampridin
Hyperpolarisation
Myelin-Schaden
durch MS
Myelin
Axon
Snyapse
spannungsabhängige
Kaliumkanäle
Fampridin
Acetylcholin
*AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050,
Courtney, Curr Opin Neurol 2011
Wirkungsmechanismus nach Smith et al., 2000
Neuere in-vivo Daten widersprechen jedoch der Hypothese der
Selektivität von Fampridin für demyelinisierte Axone
Danach beruhen die Effekte von Fampridin (4-Aminopyridin, 4-AP) eher auf einer Potenzierung
der synaptischen Transmission mit konsekutiver Verstärkung der Muskelkraft.
intakt
demyelinisiert
Effekt 10-facher therapeutischer
Konzentration von Fampridin auf
Aktionspotentiale der dorsalen
Hinterhornwurzel.
Appliziert wurden 2,5 mg/kg KG i.v.
L4
Weder auf myelinisierte noch auf
demyelinisierte Axone hat Fampridin
einen Effekt.
Smith et al., Brain. 2000 Jan;123 ( Pt 1):171-84.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 47 -
Wirkungsmechanismus nach Smith et al., 2000
Neuere Daten widersprechen jedoch der Hypothese der
Selektivität von Fampridin für demyelinisierte Axone
Danach beruhen die Effekte von Fampridin (4-Aminopyridin, 4-AP) eher auf einer Potenzierung
der synaptischen Transmission mit konsekutiver Verstärkung der Muskelkraft.
Effekt therapeutischer Konzentration
von Fampridin auf motorneuroninduzierte Muskelkontraktion (twitch
tension) des 4. Zehs bei intakter
Myelinisierung.
Appliziert wurden 0,27 mg/kg KG i.v.
Fampridin verstärkt die Muskelkraft,
obwohl es keinen Effekt auf die
Aktionspotentialdauer hat.
Kraftmessung
Stimulus
Dies spricht für eine Verstärkung der
synaptischen Transmission mit
konsekutiver Verstärkung der
Muskelkraft.
Ischiasnerv
4. Zeh
Smith et al., Brain. 2000 Jan;123 ( Pt 1):171-84.
Wirkungsmechanismus nach Smith et al., 2000
Die neueren Befunde sprechen für die Unabhängigkeit der Wirkung von
Fampridin von der Myelinisierung, zeigen die Bedeutung der Wirkung auf
die synaptische Transmission und erklären die Nebenwirkungen und
strikten Kontraindikationen
M
Effekt therapeutischer Konzentration
von Fampridin auf motorneuroninduzierte Muskelkontraktion nach
Auslösung des Hoffmann-Reflexes.
H
Appliziert wurden 0,35 mg/kg KG i.v.
Der direkte Effekt der Stimulation
(M) bleibt unverändert, während die
durch den Reflexbogen verzögerte
Muskelkontraktion (H) durch
Fampridin deutlich verstärkt wird.
Stimulus
Ischiasnerv
Kraftmessung
Auch dieser Befund spricht für eine
Verstärkung der synaptischen
Transmission durch Fampridin mit
konsekutiver Verstärkung der
Muskelkraft.
4. Zeh
Smith et al., Brain. 2000 Jan;123 ( Pt 1):171-84.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 48 -
Fampridin (Fampyra®)
Klinische Effektivität,
Randomisierung, 3:1 (Fampridin:Placebo)
(Fampridine MS-F203 Investigators*)
RCT an 301 Patienten mit jeder Form
von MS, 60- 71 % weiblich, EDSS: 5,8
10 mg Fampridin 2-Mal pro Tag
Placebo
Patienten jeder Gruppe wurden in
Responder und Non-Responder
eingeteilt
14 Wochen doppelblinde
Behandlung
4 Wochen
nachverfolgt
Responder zeigten eine Zunahme der
Gehgeschwindigkeit an >3 Visits
mittlere Veränderung (%)
Responder:
Fampridin: 35 %
Placebo: 8% (P<0.0001)
Gehgeschwindigkeit:
Fampridin: +25,2 % (0,51 Fuß/s)
Non-Responder: + 7,5 % (0,16 Fuß/s)
Placebo: + 4,7 % (0,1 Fuß/s)
3
4
5
6
7
8
Visiten
Gefähigkeit:
(erfasst durch MSWS-12-Punktwert)
Fampridin: -6,8
Placebo: -0.05 (P<0.0002)
Signifikant stärkere Verbesserung der
Muskelkraft (LEMMT-Score)
*Lancet 2009; 373: 732–38
Fampridin (Fampyra®)
Randomisierung, 3:1 (Fampridin:Placebo)
(MS-F204 Investigators*)
RCT an 239 Patienten mit jeder Form
von MS, 62- 75 % weiblich, EDSS: 5,8
10 mg Fampridin 2-Mal pro Tag
Placebo
Patienten jeder Gruppe wurden in
Responder und Non-Responder
eingeteilt
9 Wochen doppelblinde
Behandlung
mittlere Veränderung (%)
Klinische Effektivität,
2 Wochen
nachverfolgt
Responder zeigten eine Zunahme der
Gehgeschwindigkeit an >3 Visits
Responder:
Fampridin: 42,9 %
Placebo: 9,3 % (P<0.0001)
Gehgeschwindigkeit:
Fampridin: +24,7 % (0,51 Fuß/s)
Non-Responder: + 6,0 % (0,12 Fuß/s)
Placebo: + 7,7 % (0,17 Fuß/s)
2
4
6
8
Behandlungswoche
9
8
Gefähigkeit:
(erfasst durch MSWS-12-Punktwert)
Fampridin: -6,0 (P<0.001)
Non-Responder/Placebo: -0.9
Signifikant stärkere Verbesserung der
Muskelkraft (LEMMT-Score)
*Ann Neurol. 2010 Oct;68(4):494-502
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 49 -
Fampridin (Fampyra®)
Nebenwirkungen
Viele der häufigen Nebenwirkungen einschließlich der nach Markteinführung
aufgetretenen Krampfanfälle lassen sich durch verstärkende Effekte von Fampridin
auf die synaptische Transmission erklären. Fampridin hat eine enge therapeutische
Breite. Insbesondere zentralnervös vermittelte Nebenwirkungen nehmen bei
Steigerung auf 2-Mal täglich 15 oder 20 mg deutlich zu.
Sehr häufig
Harnwegsinfekt
Häufig
Schlaflosigkeit, Angst
Schwindel, Kopfschmerzen,
Gleichgewichtsstörung, Parästhesie,
Tremor
Dyspnoe
Pharyngolaryngeale Schmerzen
Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Dyspepsie
Rückenschmerzen
Asthenie
Fampridin (Fampyra®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit
Krampfanfälle (auch anamnestisch), Vorsicht bei Faktoren, die die Krampfanfallsschwelle herabsetzen können
leichte, mässige oder schwere Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance <80 ml/min).
gleichzeitige Behandlung mit Inhibitoren von OCT2*, wie z.B. Cimetidin, gleichzeitige
Anwendung von OCT2-Substraten, wie z.B. Carvedilol, Propranolol und Metformin
Kardiovaskuläre Rhythmusstörungen und sinuatriale oder atrioventrikuläre
Herzüberleitungsstörungen
Schwangerschaft, keine Daten (tierexperimentellen Studien zeigten
Reproduktionstoxizität), Anwendung von Fampridin während der Schwangerschaft
wird nicht empfohlen.
Stillzeit, keine Daten zum Übergang in die Muttermilch. Anwendung von Fampridin
während der Stillzeit wird nicht empfohlen.
*organischer Kationentransporter 2, wesentlich an
der renalen Elimination von Fampridin beteiligt
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 50 -
Fampridin (Fampyra®)
Fazit
Fampridin ist der erste Arzneistoff, der zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei
multipler Sklerose zugelassen wurde. Als Kaliumkanalblocker bewirkt Fampridin
eine Verbesserung der Skelettmuskelkontraktion, die vermutlich auf einer
Verstärkung der synaptischen Transmission beruht.
Fampridin hat bei etwa einem Drittel der Patienten einen geringen aber statistisch
signifikanten Effekt auf die Gehgeschwindigkeit über eine kurze Distanz.
Gleichzeitig nehmen die Patienten eine Verbesserung Ihrer Gehfähigkeit war
(MSWS-12). Ob der Effekt für längere Zeit erhalten bleibt, ist nicht bekannt.
Fampridin hat eine enge therapeutische Breite, so dass eine Einmaldosis von 10 mg
nicht überschritten werden darf (Patientenhinweis!) und eine gute Nierenfunktion
erforderlich ist. Im Vordergrund stehen ZNS-Nebenwirkungen (z.B. Schlaflosigkeit,
Angst) einschließlich eines erhöhten Krampfanfall-Risikos sowie Harnwegsinfektionen unbekannter Ursache.
Die Zulassung von Fampridin ist nur vorläufig, da die EMA eine weitere Studie zur
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit für erforderlich gehalten hat.
Cannabinoide (Sativex®)
U9-Tetrahydrocannabinol
Arzneistoff
Tetrahydrocannabinol
und Cannabidiol (Sativex®)
Indikation
Cannabidiol
Symptomatische Behandlung
mittelschwerer bis schwerer
Spastik bei multipler Sklerose,
wenn andere Anti-SpastikMedikamente mangelhaft
wirksam sind
Standardisierter Extrakt von chemisch und genetisch
charakterisierten Cannabis sativa L. Pflanzen (Blätter-, Blüten-Dickextrakt) eingestellt auf je 2,7 mg pro Sprühstoß
Zusatznutzen
Hersteller
Besserung der Spastik als
Zusatz zu Muskelrelaxantien
Almirall Hermal GmbH
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 51 -
Cannabinoide (Sativex®)
Spastik
zentral
- Fatigue
visuell
- Nystagmus
- Kognitions- Optikusstörungen
neuritis
- Depression
- Diplopie
- Stimmungsschwankungen
Sprache
Ursache der Spastik ist u.a. eine Schädigung des
extrapyramidal-motorischen Systems.
Symptome sind u.a. spastische Lähmungen der
Extremitäten, Muskelkrämpfe sowie Sprach- und
Schluckstörungen. Je schwerer die Symptomatik
umso größer sind die Einschränkungen der
Beweglichkeit und Koordination. Nach vorliegenden
Daten* leidet etwa ein Drittel der MS-Patienten
unter moderater bis schwerster Spastik:
16 % keine Spastik
50 % minimale bis leichte Spastik
17 % moderate Spastik (Einschränkung)
17 % schwere bis schwerste Spastik (starke
Einschränkung)
- Dysarthrie
Hals
- Dysphagie
Muskuloskeletal
- Schwäche
- Spastik
- Ataxie
sensorisch
- Schmerz
- Hypästhesie
- Parästhesie
Darm
Therapie
Physiotherapie
Tizanidin (zentraler a2-Adrenozeptoragonist),
Baclofen (GABA-B Agonist),
Benzodiazepine
Gabapentin
- Inkontinenz
- Diarrhöe
- Obstipation
urogenitatal
- Inkontinenz
- Retention
- sexuelle Dysfunktion
AMWF S1-Leitlinie Nr. 030/050, Courtney, Curr Opin
Neurol 2011, * Rizzo MA, Mult Scler 2004
http://en.wikipedia.org/wiki/Multiple_sclerosis
Cannabinoide (Sativex®)
Tetrahydrocanabinol wirkt als partieller Agonist
an beiden Cannabinoidrezeptoren
-NH2
H2NM
L
L
CB1 (472 AS)
CB2 (360 AS)
E
-COOH
-COOH
Die Cannabinoidrezeptoren sind G-Protein gekoppelte Rezeptoren (Gi/Go auch Gs)
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 52 -
Cannabinoide (Sativex®)
Expression von CB1
ZNS
Cortex (z.B. kognitive Funktionen)
Hippocampus (Lernen und Erinnerung)
Cerebellum (Bewegungskoordination)
Nucleus accumbens (Belohnung)
Basalganglia (Bewegungskontrolle)
Substantia nigra
Globus pallidus
Putamen
Hypothalamus (z.B. Temperatur, Elektrolyte)
Amygdala (emotionales Verhalten, Angst)
Zentrales Grau (Analgesie)
Medulla oblongata (z.B. Schlaf, Bewegung)
Periphere Neuronen
Enterisches Nervensystem
Sensorische Endigungen
im Magen-Darm-Trakt
Andere periphere Zellen
Fettzellen
Leberzellen
Endothelzellen
Nucleus tractus solitarii (Übelkeit, Erbrechen)
(periphere Signale incl. Schmerz)
Rückenmark
CB2 kommen weniger im ZNS jedoch mehr in der Peripherie vor
(z.B. T-Zellen, B-Zellen, Milz, Mandel, Keratinozyten)
Cannabinoide (Sativex®)
CB-Rezeptoren binden endogene Cannabinoide
Die endogenen
Cannabinoide werden bei
Aktivierung des Systems
neu synthetisiert und nicht
vesikulär gespeichert.
Anandamid
Anandamid wurde 1992
identifiziert und nach dem
Sanskrit-Wort „Ananda“
(Glück, Glückseligkeit)
benannt.
2-ArachidonoylGlycerin
Bild aus Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1(6), www.kojda.de
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 53 -
Cannabinoide (Sativex®)
Modulation der synaptischen Erregungsübertragung
im Sinne einer retrograden Signalgebung
Hemmung von spannungs-abhängigen
Kalziumkanälen (Typ N und P/Q)
Aktivierung von spannungsabhängigen
Kaliumkanälen mit konsekutiver
Hyperpolarisation
Hemmung der Adenylatzyklase, mit
konsekutiver Verminderung der
Bildung von cAMP
Aktivierung von Mitogen-aktivierten
Proteinkinasen mit konsekutiver
Änderung der zellulären Expression
von Proteinen.
(aus Kojda G, „Das Cannabinoidsystem- Neuer Angriffspunkt für Arzneimittel“, Fortbildungstelegramm Pharmazie 2007;1:53-63)
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Fortbildungsartikel/Cannabinoide%20fuer%20FORTE-PHARM2007.pdf
Cannabinoide (Sativex®)
Wie beeinflussen CB-Rezeptoren Zellfunktionen?
inhibitorische
Neurotransmisson
exzitatorische
Neurotransmisson
Aktivierung
CB-Rezeptor
erregende
Wirkung
z.B.
Belohnung,
Angst
hemmende
Wirkung
z.B.
kognitive
Defizite,
Muskelrelaxation
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 54 -
Cannabinoide (Sativex®)
Beeinflussung des Endocannabinoidsystems durch Arzneimittel
Zytostatika induziertes Erbrechen
CB1-Agonismus
Dronabinol (USA, MarinolR)
Nabilon (USA, CesametR)
Neurologische
Bewegungsstörungen
CB1-Agonismus
Dronabinol (USA, MarinolR)
Cannabisprodukte (Studien)
Schizophrenie
CB1-Agonismus
Anandamid hemmt vermutlich
Ausschüttung von Dopamin,
(bei schwerem Cannabis-Missbrauch Psychosen wegen CB1Rezeptor-Desensibilisierung)
Phobien
CB1-Agonismus
Anandamid hemmt die
Weiterleitung von Signalen in
der Amygdala (ermöglicht Abschwächung einer Konditionierung)
neuropathischer
Schmerz
CB2-Agonismus
Peripher antinozizeptiv,
HU308, GW405833, AM1241
Cannabinoide (Sativex®)
Tritation der wirksamen Dosierung sowie Evaluierung
der Wirksamkeit nach 4 Wochen erforderlich
Erhöhung der Anzahl der Sprühstösse wie folgt:
- Tag 1 und 2:
jeweils abends 1 Sprühstoss
- Tag 3 und 4:
jeweils abends 2 Sprühstösse
- Tag 5:
morgens 1 Sprühstoss, abends 2 Sprühstösse
- Tag 6:
morgens 1 Sprühstoss, abends 3 Sprühstösse
- Tag 7:
morgens 1 Sprühstoss, abends 4 Sprühstösse
- Tag 8:
morgens 2, abends 4 Sprühstösse
- Tag 9:
morgens 2, abends 5 Sprühstösse
- Tag 10:
morgens 3, abends 5 Sprühstösse
- Tag 11:
morgens 3, abends 6 Sprühstösse
- Tag 12:
morgens 4, abends 6 Sprühstösse
- Tag 13:
morgens 4, abends 7 Sprühstösse
- Tag 14:
morgens 5, abends 7 Sprühstösse.
Aufwachen bis 12:00 Uhr
16:00 Uhr bis Bettruhe
Zwischen den Sprühstößen 15 min Abstand, maximal 12 Sprühstöße pro Tag
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 55 -
Cannabinoide (Sativex®)
Primärer Wirksamkeitsendpunkt der Zulassungsstudie
Mittlere Spastizität 0-10 NRS (±SE)
als Add-on zur bestehenden Therapie mit
Baclofen (58%), Antiepileptika (24 %),Tizanidin (17 %) u.a.
Phase A
einfach-blind
Phase B
doppel-blind
Sekundäre Endpunkte
wie u.a.
n=572
Spasmushäufigkeit
Responder
aus Phase A
Schlafstörungen durch Spastik
n=117
n=241,
(ca. 40 %)
n=124
Barthel-Index Index für
Aktivitäten des täglichen
Lebens
Einschätzung der Veränderung
von Patienten, Pflegern und
Ärzten waren ebenfalls
signifikant verändert
Studiendauer (Wochen)
Cannabinoide (Sativex®)
Sehr häufige unerwünschte Wirkungen:
Schwindelanfälle
Müdigkeit
Häufige unerwünschte Wirkungen:
Anorexie (einschliesslich reduzierter Appetit), erhöhter Appetit
Depression, Desorientierung, Dissoziation, euphorische Stimmung
Amnesie, Gleichgewichtsstörung, Aufmerksamkeitsstörung,
Dysarthrie, Dysgeusie, Lethargie, Gedächtnisstörung, Schläfrigkeit
Verschwommenes Sehen
Vertigo
Obstipation, Diarrhoe, Mundtrockenheit, Glossodynie, Mundschleimhautaphthen, Nausea, Unbehagen und Schmerzen in der Mundhöhle,
Erbrechen
Schmerzen an der Verwendungsstelle, Asthenie, Unbehagen,
Trunkenheitsgefühl, Indisposition
Sturz
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 56 -
Cannabinoide (Sativex®)
Kontraindikationen
Überempfindlichkeit auf Cannabisextrakte oder einen der sonstigen
Bestandteile
Schizophrenie oder eine andere psychotische Krankheit, schwere
Persönlichkeitsstörung, erhebliche psychiatrische Störung mit
Ausnahme einer Depression
Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren
Patienten mit einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung
Stillzeit
Besondere Vorsicht bei:
Anamnese von Epilepsie oder rezidiven Anfällen
Anamnese von Suchtmittelmissbrauch
Schwangerschaft (nur in Ausnahmefällen, generell Kontrazeption bis
drei Monate Therapieende
Cannabinoide (Sativex®)
Fazit
Tetrahydrocannabinol ist in Deutschland seit mehr als 10 Jahren als BTM-Rezeptur
verordnungsfähig. Nun ist die sublingual anzuwendende Cannabinoid-Kombination
Sativex als Zusatztherapie zur Symptomverbesserung bei schwerer Spastik
aufgrund Multipler Sklerose zugelassen worden.
Etwa 40 % der Multiple Sklerose-Patienten mit Spastik, die nicht befriedigend mit
Baclofen, Tizanidin, Benzodiazepinen oder Antiepileptika wie Gabapentin behandelt
werden können, sprechen auf eine zusätzliche Therapie mit Cannabinoiden mit
einer Besserung der Spastik an. Das Ansprechen auf die Therapie muss also bei
jedem Patienten individuell geprüft werden, wobei über 2 Wochen hinweg die
Anzahl der Sprühstöße (bis max. 12) gesteigert wird „bis eine optimale Linderung
der Symptome erreicht ist“ (Fachinfo).
Häufigste Nebenwirkungen sind Schwindelanfälle und Müdigkeit. Alle zentralsedierenden Arzneistoffe und Alkohol können die Wirkung verstärken. Die von
Patienten berichtete Rauschwirkung ist gering und eine Abhängigkeit ist
unwahrscheinlich. Für Patienten mit erheblicher Störung von Leber- und
Nierenfunktion liegen keine Daten vor.
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Neue Arzneimittel 2011 – Multiple Sklerose
- 57 -
Hinweise
1) Die Bezeichnung Zusatznutzen bezieht sich auf das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (AMNOG), wonach der g-BA eine Nutzenbewertung neu zugelassener
Arzneimittel nach § 35 a SGB V durchführt. Es handelt sich bei den Kommentaren um
eine klinisch-pharmakologische Kurz-Einschätzung des Autors, die auf den publizierten
Zulassungsstudien und/oder den „European Public Assessment Reports“ der europäischen
Zulassungsbehörde „European Medicinal Agency“ (EMA) beruht.
2) Die Informationen zu den Arzneimitteln sind verkürzt dargestellt. Ausführlichere
Informationen finden besonders interessierte Leser unter Weblink 1.
3) Eine vollständige Liste der 23 im Jahr 2011 zugelassen Arzneistoffe mit Indikationen
und derzeitigem Zusatznutzen bei dieser Indikation ist unter folgendem Link erhältlich:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/fortbildungkoeln/index.html
Weblinks
1) wissenschaftliche Diskussion der Arzneistoffdaten einschließlich Nutzen-Risiko Einschätzung in den European
Public Assessment Reports (EPARs,) der Zulassungsbehörde European Medicinal Agency (EMA), verzeichnet
nach Handelsnamen, abgelegt unter Assessment History (nur in englischer Sprache)
http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/landing/epar_search.jsp&murl=menus/medicines/medicines.jsp&mid=WC0b01ac058001d125&jsenabled=true
Literatur
Zitate zu Leitlinien, Phase III-Studien und anderer verwendeter Literatur sind auf
Nachfrage beim Autor erhältlich
Impressum:
http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html
Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(2):32-57
Herunterladen