Grundlagen der Psychosomatik, MCW, Block 8, WS 2007/08

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MCW: Block 8
„Grundlagen der
Psychosomatik“
WS 2007/08
O. Frischenschlager, I. Pucher-Matzner
Zentrum für Public Health /
Medizinische Psychologie, MUW
Zeitplan
15 Min.:
Fallbeispiel
30 Min.:
15 Min.:
Grundlagen, Affekttheorie, Pathogenese
exemplarische psychosomatische
Forschungsansätze (Alexithymie, PNI)
Systematik psychosomatischer Störungen
SIP-Stoff, Fragen, Diskussion
20 Min.:
10 Min.:
Fallbeispiel
Medizinstudent, 24 Jahre,
„ chronische Rückenschmerzen
Anamnese
„
„
„
„
„
3) Übersicht über Beschwerden
4) jetziges Leiden
5) persönliche Anamnese (Biographie)
6) Familienanamnese
7) persönliche / psychische Entwicklung
8) soziale Situation
Anamnese
„
9) Systemübersicht +
integrierte Diagnose?
„ 10)
Therapieempfehlungen?
„
„
„
„
„
„
Was ist Psyche?
Wozu Psyche?
Was meint „psychosomatisch“?
Wie entsteht die psychophysische Organisation
einer Person?
Wie kommt es zur Variabilität dieser
Organisation?
Wie kommt es zu pathologischen
Ausformungen?
„ Primär
durch
„ Mangel an Instinktsteuerung des
Erlebens und Verhaltens
(verglichen mit anderen, auch höheren Lebewesen)
„ Sekundär
durch
„ Kompensationen dieses Mangels
„ Genetische
Voraussetzungen
„ Reifungsplan
„ Angeborene Affektausstattung
„ Angeborene Fähigkeiten und
Bedürfnisse
„ Lernen
„ Sozialisation
Die Funktion des „Psychischen“
Die Funktion des Psychischen
AUSSEN
INNEN
Grenze/Membran
Die Funktion des Psychischen
AUSSEN:
(Stimulus)
INNEN
(Verarbeitung/
Bewertung)
innäswahrSinneswahrehmung
nehmung
Die Funktion des Psychischen
AUSSEN
INNEN
Verarbeitung
Bewertung
Reaktion
Sinneswahrnehmung
Die Funktion des Psychischen
AUSSEN
(verändert)
INNEN
Verarbeitung
Bewertung
Reaktion
Sinneswahrnehmung
Aufgaben der psychischen
Funktionen
„ A)
„
„
„
Orientierung
(angeborene) Affekte,
(gelernte) Gefühle,
(nach und nach entwickelte)
Kognitionen
„ B)
Regulation
„ Autoregulation
„ Heteroregulation (regulierendes
Eingreifen in die Umgebungs-bedingungen
(z. B. mittels Kommunikation)
„ C)
Anpassung
„ Lernen
„ Verinnerlichung des Gelernten
(=Integration in Organisation des
Organismus / der Person)
Wie funktioniert
„Verinnerlichung“?
Mutter --- Kind
hetero-regulatorische Interaktionssequenz
Spannungszustand
+ Schreien
Wahrnehmung
durch die Mutter
+ Interpretation
+ mehr oder weniger
angemessene Reaktion
Entspannung
Viele solcher Sequenzen führen zu:
ERWARTBARKEITEN
(aufgrund erster
Gedächtnisspuren)
Später zu ERWARTUNGEN
d.h. zur
Internalisierung
der Sequenzen
Sie sind der
Kern der
psychischen Struktur
inner working model, individuelle Herangehensweise, Persönlichkeit, Charakter
Das Kleinkind
„ internalisiert
die regelmäßig
wiederkehrenden Szenen und Abläufe,
„ Sie
werden Teil der inneren Organisation,
„ sind vorerst im episodischen Gedächtnis
verankert,
„ und
daher unbewusst
„ Viele
verinnerlichte Szenen bilden ein
„inneres Arbeitsmodell“ von der Welt
„ es beinhaltet Erwartungen /
Befürchtungen
„ es steuert Erleben und Verhalten und
somit
„ weitere Erfahrungen, weitere Szenen
„
(siehe auch Freud´s „Wiederholungszwang“)
internalisierte Szenen
bestehen im Kern aus:
Definition von Affekt:
„ Angeborenes
Verhaltensprogramm,
das durch spezifische Stimuli
ausgelöst wird.
Definition
„
„
„
„
„
„
„
„
„Abfolge von aufeinander bezogenen,
synchronisierten Veränderungen in den fünf
Subsystemen
Ausdruck (=für Sozialpartner erlebbar),
Körpermuskulatur (=Handlungsvorbereitung),
Physiologie,
Erleben (bewusst / unbewusst, hedonische
Tönung),
Sprache,
die durch die Bewertung eines externen oder
internen Reizes als bedeutsam für die zentralen
Bedürfnisse des Organismus ausgelöst wird“
(Scherer 1990).
Beispiel: Ekel
Ausdruck,
Körpermuskulatur,
Physiologie,
Erleben,
Sprache
7 basale Affektqualitäten
„
„
„
„
„
„
„
„
sind im expressiven Bereich bereits kurz nach
der Geburt beobachtbar:
Freude
Interesse/Neugier
Überraschung
Ekel
Ärger
Traurigkeit
Furcht
Störungen der Affektentwicklung
„ deformiertes
Affekterleben
„ des-integriertes Affekterleben
„ nicht entwickeltes Gefühlsdifferenzierung
Wie werden Affekte „gelernt“?
„ Konditionierungsvorgänge (klassisch, operant)
„ Beobachtungslernen (Imitation, Introjektion,
Identifikation)
„ Affektansteckung,
„ Affektabstimmung
Affektinduktion
Untersuchung an 2,5 Monate alten Säuglingen
(Malatesta u. Haviland, 1982)
1) Zeigt die Mutter Trauer, führt dies zu:
ÆHemmung des Ärgerausdrucks,
ÆAnstieg der Saugbewegungen,
ÆVermeidung des Blickkontakts
2) Zeigt die Mutter Ärger, führt dies zu:
ÆInhibition von Interesse,
ÆAnstieg des Ärgerausdrucks,
ÆAnstieg motorischer Hemmung
ÆVermeidung des Blickkontakts
Fallbeispiel
„
„
„
„
Eine Patientin berichtet von häufig auftretenden
aggressiven Impulsen gegen ihr 1-jähriges Kind.
ihr Verhalten gegenüber dem Kind wechselt
abrupt: schroff, teilweise aggressiv dann, um Schuldgefühle wieder gut zu machen,
überschüttet sie das Kind mit Zärtlichkeiten.
häufig reißt sie es dabei sogar aus dem Schlaf.
Welche Folgen sind für die affektive
Entwicklung zu erwarten?
„
„
„
„
„
„
„
Mangelnde Integration des Erlebens wegen abrupter
Wechsel
Auftretende Spannungen können nicht selbst reguliert
werden
Mutter fällt als Regulierungshilfe aus, statt ihres Tröstens
wird die Irritation verinnerlicht
Kind wird bei der Spannungsbewältigung allein gelassen,
daher fragliche Grundsicherheit
Die Unterscheidung von eigenem Erleben und dem
Erleben des Anderen fällt schwer
Physisches Spannungserleben wird mangelhaft in
Psychisches (=kommunizierbare Gefühle) differenziert
Die Störung erfolgt vor dem Spracherwerb
Wenn die Entwicklung gelingt,
„ kommt
es zu einer Differenzierung,
„ die das Kind zunehmend befähigt,
„ Gefühle an Stelle von
„ Affekten zu erleben und zu
„ kommunizieren.
Das gereifte Kind ist z.B. imstande
mitzuteilen, dass es wütend ist…..
Des-Integration des Affekts
„ besteht,
wenn z.B. die
„ Handlungskomponente,
oder der Ausdruck gehemmt ist,
Zur Erinnerung: die Affektkomponenten
„ Ausdruck
„ Körpermuskulatur
(Handlung)
„ Physiologie
„ Erleben,
„ Sprache
Interpretation
„ Es
ist dann auch der Zugang zum
„ Erleben und zur Interpretation
blockiert.
„ In
diesem Fall ist die physiologische
Komponente des Affekts von den
anderen Komponenten abgekoppelt.
Psychosomatischen Forschung
1) Alexithymiekonzept
„
„
„
„
„
A-lexi-thymie bezeichnet:
Schwierigkeiten im Identifizieren und
Beschreiben von Gefühlen
Schwierigkeiten, zwischen Gefühlen und den
körperlichen Anzeichen emotionaler Aktivierung
zu unterscheiden
unzureichend entwickelte Vorstellungskraft Æ
Fehlen von Phantasietätigkeit
nach außen orientierter Denkstil
(Versachlichung)
Fallbeispiel
„ Erfassung
mittels
„ TAS (Toronto Alexithymia Scale)
„ LEAS (Levels of Emotional Awareness Scale)
„ LHI (Life History Interview)
„ BIQ (Beth Israle Questionaaire)
„
Kauhanen et al (1996):
Alexithymia and risk of death in middle aged men:
J Psychosom Research 41 (6) 541-549
„
Methode: prospektive Studie, 2297 finnische Männer,
Extremgruppenvergleich, follow up: 5 Jahre,
„
Kontrolliert wurde möglicher Einfluss von:
--Depression,
--Verhaltensparameter (Rauchen Alkohol, Bewegung)
--Biologische Parameter (Cholesterin, BMI,
Bluthochdruck)
--Soziale Parameter (Familienstand, soziale
Beziehungen, Bildungsgrad, Einkommen)
„
„
„
„
Ergebnis: signifikanter Zusammenhang zwischen
Alexithymie und Sterblichkeitsrisiko
2) PNI:
Psychoneuroimmunologie
(paradigmatisch für Interdisziplinarität in der Psychosomatik)
„
1975: Zufallsbefund (Ader u. Cohen):
Konditionierbarkeit der Immunsuppression
(bei Ratten).
„
1991: Konditionierbarkeit der NK Aktivität
(am Menschen)
„
Anatomische Grundlagen:
„
Innervation Lymphknoten, Knochenmark,
lymphatisches Gewebe im Darm, Milz, Thymus,
etc.
„
Zum Teil direkter Kontakt (Synapsen) der
Nervenenden zu Lymphozyten und Mastzellen
Linn et al (1988):
24 männl. Pat., Op. wg. Leistenhernie, (geplant), sonst
gesund, mittl. Alter: 59,3 Jahre
Präoperative Stressbelastung: a) subjektiv, b) Eiswassertest)
prognostiziert postoperative Komplikationen:
schlechtere Lymphozytenreaktionen prä und post
1)
3-mal soviel Narkosemittel
2)
5 Tage länger stationär
3)
Janice Kiecolt-Glaser et al (1987)
„
„
Auswirkung chronischer Stressbelastung
1-Punkt-Messung an 34 Angehörigen v. Alzheimer-Pat.
„
Ergebnis:
1) weniger T-Lymphozyten im peripheren Blut
2) Antikörper gg. Epstein-Barr erhöht
„
(im Vergleich mit einer KG)
„
„
Kiecolt-Glaser, et al (1987)
„
„
„
„
„
„
„
„
„
„
Vergleich:
200 Familien mit Alzheimerpatienten – 130 Familien
ohne Pflegebelastung:
1) depressive Symptomatik
2) deutlich schlechtere Immunwerte
Follow-up nach 2 Jahren:
(1/3 hatte keine Pflegebelastung mehr):
1) deutliche geringere Depressivität
2) Immunparameter bedingt verbessert:
Ja, wenn Pflege durch Jüngere erfolgte,
Nein, wenn Pflege durch (ältere) Partner erfolgte.
Kiecolt-Glaser, et al (2003)
„
„
„
„
„
„
Untersuchung an 90 Paaren im ersten Ehejahr,
Follow-up nach 10 Jahren:
Messung zu t1: Adrenalinwerte der (später)
Geschiedenen waren
34% höher (während Diskussion),
um 22% höher während des Tages,
Adrenalin + Noradrenalin um 16% höher in der Nacht
Fortsetzung
„
t1: ACTH Werte jener Frauen, die zu t2
Eheprobleme hatten, waren doppelt so hoch
„
t1: Paare mit späteren Konflikten (in aufrechter
Ehe):
34% höhere Noradrenalinwerte während der
Diskussion,
24% höher während des Tages
17% höher in der Nacht.
„
„
„
Janice Kiecolt-Glaser, et al (2005)
„
Beeinflussen Konflikte die Wundheilung?
„
Design:
„
„
42 gesunde Paaren wurden experimentell Wunden
zugefügt.
2 Mess-Zeitpunkte (jeweils 24 Stunden stationär):
1) supportives Gespräch 2) konflikthaftes Gespräch
Parameter: IL-6, TNF-α, IL-1β
„
Ergebnisse: Wundheilung im Konflikt schlechter.
„
Paare mit insgesamt mehr feindlichem Verhalten hatten
40% schlechtere Wundheilung
„
„
Systematik
1) Verhaltensauffälligkeiten mit
körperlichen Störungen (ICD-10: F5)
„
Essstörungen,
„
stoffgebundene
Abhängigkeiten
„
Adipositas
„
Bulimie F50.2
Anorexie F50.0
„
F10-19
„
E66.9
„
2) Befindlichkeitsstörungen
„
„
„
„
„
Z.B.
Schwitzen ICD-10: L74.9,
Durchfall ICD-10: K52.9
Übelkeit ICD-10: R11 (Nausea)
Oft Begleiterscheinungen seelischer Störungen,
Affektkorrelate, Affektäquivalente) wie Angst,
Depression
3) Dissoziative Störungen
(Konversionsstörungen) ICD-10: F44.x
„ Z.B.:
„ Lähmung,
Tremor, Schwindel, Aphonie,
Dysphonie, Taubheit, Globusgefühl,
Krampfanfälle, Sensibilitäts- und
Empfindungsstörungen.
„ IMMER
symbolischer Ausdruck!
„ IMMER unbewusst!
4) Somatoforme Störungen
(ohne organische Komponenten)
„
„…wiederholte Darbietung körperlicher
Symptome in Verbindung mit hartnäckigen
Forderungen nach medizinischen
Untersuchungen trotz wiederhgolter negativer
Ergebnisse und Versicherung der Ärzte, dass die
Symptome nicht körperlich begründbar sind.“
„
„
„
„
„
„
„
„
Z.B.
Herzphobie
Funktionelle Dyspepsie („Reizmagen“)
Colon irritabile, funktionelle Diarrhoe,
Obstipation
Hyperventilation
Reizblasensyndrom
Chronische Unterbauchbeschwerden bei Frauen
Somatoforme Rücken- und Kopfschmerzen
5) Körperliche Störung
mit psychischen Komponenten ICD-10: F54
z.B. Ko-Morbidität bei:
Asthma (F54 + J45)
Magenulcus (F54 + K25)
Colitis ulcerosa (F54 + K51)
etc.
Beispiel: Myocardinfarkt
„ Framingham-Heart-Studie
„ Wulsin
(1948-):
et al (2005):
„
N=3634, alter 52a, 55% weiblich, Zeitraum: 1983-1994
Erfassung der Depressivität,
Personen wurden Tertilen zugeordnet
„
Ergebnis:
„
Tertil mit höchster Depression zeigte um 88%
mehr Herztote, das mittlere Tertil um 33%
mehr. (P=0.005)
„
„
„
„
„
„
„
Rugulies (2002):
Meta-Analyse von 11 kontrollierten Studien:
Ergebnis:
RR (Odds ratio) für KHK
klinisch Depressive: 2,69 (P<0.001)
depressive Stimmung: 1,49 (P=0.02)
alle depressiven Personen 1,64 (P<0.001)
Therapie
„ Ausführliche Anamnese
„ Tragfähige Beziehung
„ Mobilisieren der Affekte (Alexithymie)
„ Verbalisieren emotionaler Inhalte
„ Containment (Sicherheit-Bindung,
„
Erfahrung des Gehaltenwerdens im unbekannten /
ausgeklammerten / desintegrierten Affektzustand,
(Schmerz, Wut, Trauer…)
„ Re-Integration (der desintegrierten Affektbereiche,
Verleugnung, Scham, Wut)
Zusammenfassung
„ Wichtige
Themen!
„ Alexithymie
„ Affekte,
Affektbestandteile,
Affektqualitäten,
„ Internalisierung
„ Systematik psychosomatischer Störungen
„ Danke
„
für Ihre Aufmerksamkeit!
ao. Univ. Prof. Dr. Oskar Frischenschlager
Zentrum für Public Health /
Institut für Medizinische Psychologie
„
„
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