Fachtagung Künstliche Ernährung in der Pflege Verhungern und

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Christian Kolb
Fachtagung Künstliche Ernährung in der Pflege
Abstract: Verhungern und Verdursten? Nahrungsverweigerung bei Demenzkranken
Wenn Demenzkranke nicht mehr bereit sind die Menge an Kalorien und Flüssigkeit
aufzunehmen, welche ihren Bedarf decken würde, müssen Pflegende, Angehörige und Ärzte
dieses Verhalten deuten. Oftmals, so auch in der Literatur, gibt es zwei konträre
Interpretationen hierfür.
„There are two major merciful developments in the irreversible progression of Alzheimer
Disease (AD). …. Second, the person with advanced AD loses the capacity to swallow and
is free to die in the enveloping comfort of the naturally palliative endorphin system.” (Post,
2000 )
„Zu den vielen Gründen für die Verweigerung jeder Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme
durch Demenzkranke gehört mit größter Wahrscheinlichkeit nicht der Wunsch zu sterben.”
(Wojnar, 2007)
Während die Einen das Ablehnen von Essen und Trinken, nach Ausschluss einer
behandelbaren Störung, als verbindliche Willensäußerung bei Demenzkranken erklären,
konstatieren Andere, dass dies in den seltensten Fällen in suizidaler Absicht geschieht. Für
sie ist die künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde, als (zusätzliche) Alternative zur
oralen Ernährung, eine legitime und für den Demenzkranken nützliche und gebotene
Maßnahme.
Doch jeder dementiell erkrankte Mensch hat zunächst das Recht, dass Pflegende,
Angehörige und Ärzte versuchen die Ursachen für sein ablehnendes Ess- und Trinkverhalten
zu eruieren bevor eine künstliche Ernährung in Erwägung gezogen wird. Dies bedarf einer
akribischen Analyse verschiedener Aspekte für eine ethische Vorgehensweise, welche sich
zwangsläufig an dem Bedürfnis des Menschen orientieren muss.
Verhungern und Verdursten?
Nahrungsverweigerung bei Demenzkranken
Christian Kolb
Krankenpfleger/Ethikberater
Klinikum Nürnberg (Akutgeriatrie)
Alzheimer – Demenz und Körpergewicht
Diagnosestellung
?
100
!
90
80
70
60
kognitive Leistung (%)
Körpergewicht (kg)
Neuropahtologie (%)
50
40
30
20
10
0
0
5
10
15
20
Krankheitsdauer (J)
25
Buchmann AS et al. Neurology 2005
Stewart R et al., Arch Neurol 2005
Poehlman et al, Am J Clin Nutr 2000
Vellas et al., Am J Clin Nutr 2000
Wolf-Klein et al., International
Psychogeriatrics 1992
Vanhanen et al., Neurology 2001
30 Barrett-Connor et al., J Am Ger Soc 1996
Holm et al., Clin Nutr 2003
Wang et al., J Nutr Health and Aging
2002
Potentielle Ursachen von Gewichtsverlust bei Demenz
Vgl.: S. Gillette‐Guyonnet, et al. (2007) IANA Expert Group: Weight Loss and Alzheimer´s Disease. Journal of Nutrition, Health & Aging. 11(19), 38‐48 ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Störung von Appetit und Homöostase bei
ƒ
Neurometabolischen Veränderungen
▪
Hypometabolismus in Gyrus cinguli, Hypothalamus
ƒ
Neuropathologischen Veränderungen ▪
Atrophie von Hippocampus, mes.Temporallappen
▪
Veränderungen in Bulbus olfactorius, Riechhirn
ƒ
Metabolischen Allgemeinveränderungen
▪
Erhöhter Zytokinspiegel (TNFα)
▪
Erhöhte Körperkerntemperatur
ƒ
Genetischer Prädisposition (ApoE‐ε4)
Aufmerksamkeitsstörung mit
ƒ
mangelnder Nahrungszufuhr und
ƒ
ungünstiger Nahrungsauswahl
Erhöhter Energiebedarf durch
ƒ
psychomotorische Unruhe, Verhaltensstörungen
ƒ
Sekundärerkrankungen
Mangelnde Energiezufuhr bei
ƒ
Pflegebedürftigkeit (Abhängigkeit)
ƒ
Apraxie, Dysphagie
ƒ
sedierender pharmakologischer Therapie
Frühphase
Modifikationen des Nahrungsangebotes für demente Patienten
Biernacki C, Baratt J (2001) Improving the nutritional status of people
with dementia. Br J Nursing 2001; 10: 1104 ‐ 1114
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Konsistenzänderungen für dys‐
phagische Patienten
„Finger Food“
Einführung von Snacks zwischen den Hauptmahlzeiten
Verminderung der Gewichtung der drei Hauptmahlzeiten
Weniger „gesundes“ Essen statt‐
dessen verstärktes Angebot von vertrauten und gewünschten Speisen
Gewichtszunahme über den Beobachtungszeitraum von 6 Jahren trotz deutlicher Alterszunahme des Kollektivs
Fazit
• Die Prävention von Gewichtsverlust ist eine wichtige Aufgabe in der Betreuung von dementiell erkrankten Menschen.
• Ernährungsprobleme müssen frühzeitig erkannt werden, wenn die Interventionen erfolgreich sein sollen.
• Gewichtsverlust bedeutet Verlust von Lebensqualität.
Ziel der Milieugestaltung
Familiäre stressfreie Umgebung
Tischgemeinschaften
Mitarbeiterpräsenz
Effect of family style mealtimes on quality of life, physical
performance, and body weight of nursing home residents
Nijs K, de Graaf C, Kok FJ, van Staveren WA; BMJ 2006.
•
244 Pflegeheimbewohner in 5 Pflegeheimen
•
Intervention (133/95):
•
1. Family‐style‐meals (≈ 6 Bewohner + 1 Pflegeperson/Tisch)
•
2. Tischgestaltung
•
3. Mahlzeiten‐Service
•
Kontrollgruppe (112/83): keine Änderung
•
beide Gruppe erhielten die gleichen Mahlzeiten •
Ergebnisse nach 6 Monaten (178 Bewohner):
•
Energieaufnahme ∆ : + 959 kJ (229 kcal)/d
•
Körpergewicht ∆ : + 1,5 kg
Individualized Feeding Assistance Care
for Nursing Home Residents
60 %
40 %
28 %
4,5 %
7,5 %
42 %
9%
Simmons SF, Schnelle JF, J Gerontol A Biol Sci Med Sci, 2004; 59 (9): 966-73.
9%
Durchschnittlicher Zeitaufwand
35‐40 Minuten
Simmons & Schnelle 2006 Feeding Assistance Needs of Long‐
Stay Nursing Home Residents and Staff Time to Provide Care. Journal of the American Geriatrics Society 54 (6) , 919–
924
Ineffektive und Effektive Strategien
Kayser‐Jones J. , Schell E. (1997) The Mealtime Experience of a Cognitively Impaired Elder: Ineffective and Effective Strategies, Journal of Gerontological Nursing, Jul;23(7):33‐9
Ineffektiv
• Bestimmtes Verhalten abstempeln (z.B. unkooperativ, aggressiv)
• Essen wird eingegeben ohne die Ressourcen zu fördern
• Das Essen wird vermischt
• Fehlende kontinuierliche Unterstützung
Effektiv
• Gemeinschaftliche Atmosphäre schaffen
• Vereinfachung der Darreichung (Vermeidung von Überforderung)
• Unterstützen zur Selbstständigkeit, durch Begleitung und Hilfestellung bei Bedarf
Interaktionen mit dementen Menschen
von Ulmer, Eva-Maria Margraf, Kirsten (2005) SCHLÜTERSCHE (DVD)
Fazit
„The overall goal for mealtimes for persons with
moderate to late‐stage dementia ist the
preservation of independence, social interaction, dignity, cultural issues, and rituals to give
meaning to meals and to ensure adequate intake
and quality of life.“
Amella EJ, Grant AP, Mulloy C (2008) Eating Behavior in Persons With
Moderate to Late-stage Dementia: assessment and Interventions. J Am
Psychiatr Nurses Assoc, 13(6), 360-367
„There are two major merciful developments in the irreversible progression of Alzheimer Disease (AD). …. Second, the person with advanced AD loses the capacity to swallow and is free to die in the enveloping comfort of the naturally palliative endorphin system.” (Post, 2000 )
ABLEHNENDES ESSVERHALTEN
„Zu den vielen Gründen für die Verweigerung jeder Nahrungs‐ und Flüssigkeitsaufnahme durch Demenzkranke gehört mit größter Wahrscheinlichkeit nicht der Wunsch zu sterben.” (Wojnar, 2007)
Food refusal amongst nursing home patients as conceptualized by nurses` aids and enrolled nurses: an interview study
Norberg A., Bäckström A., Athlin E., Norberg B. (1988) Journal of Advanced Nursing, 13, 478‐483
Wichtige Erkenntnisse aus dieser Studie
ƒ Kaum jemand fragte nach Ursachen von
Essensverweigerung, weder Ärzte noch Pflegekräfte.
ƒ Es wird angenommen, dass verrichtungszentrierte
Organisationen solche Probleme fördern: die
Eingeber kannten die Patienten schlecht. Je mehr
Patienten essen verweigerten, desto mehr Eingeber
hatten sie.
ƒ In den untersuchten Pflegeheimen ist Esseneingeben an die am wenigsten Ausgebildeten delegiert
worden.
ƒ Es ist schwierig, zwischen „Zwangsfüttern“ und
„dem Patienten helfen“ unterscheiden zu können,
wenn man zwischen „nicht essen können und nicht
essen wollen“ keine Unterscheidung macht.
Probleme des Essenseingeben bei schwer dementen Patientinnen unter den Aspekten „Verrichtung“ und „Beziehung“
Athlin E., Norberg A., Asplund K., Jansson L. (1993) Heft 2; Jahrg.. 6, 120‐128
ƒMangelnde Synchronie beim Essen eingeben
ƒFokussierung auf die Verrichtung und weniger auf die Beziehung
ƒDie meist ablehnenden Verhaltensweisen wurden zwar interpretiert, die Interpretationen konnten nicht begründet werden
ƒJe länger eine Pflegende dem gleichen Patienten Essen eingab, desto mehr interpretierte sie die Signale des Patienten als sinnvoll (Athlin, 1993)
ƒEine verbesserte Nahrungsaufnahme steht in enger Relation zur positiven Interaktionsgestaltung mit dafür geschulten Pflegekräften (Amella, 1999)
Prinzipien der mittleren Reichweite
Ablehnendes Essverhalten muss ich akzeptieren
Autonomie
Essen als angenehmes Erlebnis bedeutet kein Zwang.
Benefizienz
Zwangsmaß‐
nahmen, Schaden der Persönlichkeit
Wem kann ich genügend Zeit widmen?
Dieser Mensch kann die Folgen nicht abschätzen
„Hungertod“
verhindern
Malefizienz
Die Folgen der Mangelernährung schaden seiner Lebensqualität
Gerechtigkeit
Wem kann ich genügend Zeit widmen?
Bedarfsorientiert
Bedürfnisorientiert
Double‐Bind‐Konflikt
Feeding nursing home patients with severe dementia: a qualitative study
Pasman, H.R., et al.(2003) Journal of advanced nursing, 42(3), 304‐311
ƒ Es gibt unterschiedliche Interpretationen des ablehnenden Essverhalten von verschiedenen Pflegenden, bei den selben Bewohnern.
ƒ Es gibt in den unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen differente Kulturen, wie mit dieser Problematik verfahren wird. Pasman et al empfehlen die Beobachtung und Interpretation im Team (Ärzte, Pflegende und Angehörige) zu diskutieren um somit eine kontinuierliche Pflege zu gewährleisten.
Ethical issues in the feeding of patients suffering
from dementia
Wilmot S, Legg L., Barrat J. (2002) Nursing Ethics; Vol.9, 599‐611
Die gerechteste und konsistenteste Vorgehensweise, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einstellungen der Pflegenden, ist am besten durch angemessene Teambesprechungen und Organisationsabläufe zu erreichen. Vielmehr als wie durch einen Verhaltenskodex.
Multifaktorelles Geschehen
Biografie
Kultur
Sterben
Hospitalhopping
Dementielle
Psyche
Veränderungen
Krankheit
Beziehung
Altersbedingte
Veränderungen
Serial Trial Intervention (STI)
www.charite.de/pvf/dokumente/Fischer_Pflegezeitschrift_07_07.pdf
Vorgehensweise bei Ernährungsproblemen
?
Ursachen‐
forschung
Verbesser‐
ung der
Pflege‐
qualität
Erhöhung
der
Nährstoff‐
dichte
Orale
Ergänzungs‐
nahrung
Adjuvante
Sonden‐
Sonden‐
ernährung
ernährung
Modifiziert nach: Wirth, 2005, Therapie der Mangelernährung im Alter, In: Geriatrie Journal, 02/05, S.14
Richtlinien der Bundesärztekammer
Unabhängig von dem Ziel der medizinischen
Behandlung (z.B. Palliativ) hat der Arzt in jedem
Fall für eine Basisbetreuung zu sorgen. Dazu
gehören u.a.: Menschenwürdige Unterbringung,
Zuwendung, Körperpflege, Lindern von
Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen
von Hunger und Durst.
Hunger und Durst in der Sterbephase II
• Hochbetagte Palliativpatienten sind mit dem „75kg‐Normal Menschen“ nicht vergleichbar
• Flüssigkeitsnormen für Jüngere haben für sie keine Gültigkeit
• 500ml Flüssigkeit in 24 Stunden erweisen sich häufig als vollständig ausreichend
Aus dem Vortrag von Kojer M., Praxis der palliativen Geriatrie
Wann beginnt die Sterbephase?
???
Foto aus dem Buch: Jury M., Jury D., Gramp. Ein alter Mann stirbt, 1983, S. 141
2 Theorien
eingreifen
Gewichtsverlust und verringerte Nahrungs- und
Flüssigkeitsaufnahme ist bedingt durch die
Demenz:
„Verhungern und
Verdursten“
Verbesserung der
Sterbequalität
zulassen
Gewichtsverlust und verringerte
Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme ist
ein Teil des Sterbeprozesses:
„sanftes Versterben“
Verbesserung der
Sterbequalität
Praxis der Ernährungstherapie bei stationären dementen Patienten
•
•
Die mittlere Überlebenszeit der 85+‐Jährigen mit PEG‐Sonde betrug 21,6 Monate. Das beobachtete Patientenkollektiv (n=21, >85 Jahre) war durchschnittlich 90,2 Jahre alt. 25% der 85+‐PEG‐sondengestützt ernährten Senioren und –innen lebten im Durchschnitt 40 Monate.
Die Sterbequalität wurde verbessert, da die Ursache des Todes wiederum ein Ereignis anstelle einer Zeitspanne langsamer Auszehrung mit Todesfolge wurde
Rappold E., Praxis der Ernährungstherapie bei stationären dementen
Patienten, in: Aktuel Ernäehr Med 2004; 29; S. 63-68
Discomfort in Nursing Home Patients With Severe
Dementia in Whom Artificial Nutrition and Hydration Is Forgone
Pasman et al.. Arch Intern Med; 2005; 165, 1729-1735
Studie I (Finucane et al, JAMA1999)
• Aspirationspneumonie? • Mangelernährung? • Lebenserwartung? (Mittlere Lebenserwartung 7,5 Monate).
• Infektionen?
• Dekubitus?
• funktionelle Status? (Wiederherstellung von Funktionen, Kräfte, Aktivitäten des täglichen Lebens)
• Wohlbefinden?
DGG/DGEM
•Enterale Ernährung wird im frühen und mittleren Stadium empfohlen ( C ).
•Die Entscheidung für Sondenernährung bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz bleibt eine Einzelfallentscheidung ( C ).
Volkert D., et al., Leitlinie Enteralen Ernährung der DGEM und DGG, Enterale Ernährung
(Trink- und Sondennahrung) in der Geriatrie und geriatrisch-neurologischen Rehabilitation, in:
Aktuelle Ernährungsmedizin, Band 29, August 2004, S. 198-225
Grundlagen der Entscheidung zur Sondenernährung bei Demenz
• der (mutmaßliche) Wille des Patienten
• die Schwere der Erkrankung
• die individuelle Prognose
• die Lebensqualität mit und ohne enterale
Ernährung
• mögliche Komplikationen und Beeinträchtigungen im Rahmen der enteralen
Ernährung
DGG/DGEM
Für final demente Patienten wird Sondennahrung nicht empfohlen ( C )
•
•
•
•
•
Irreversibel
Immobil
Kommunikationsunfähig
Vollständig pflegeabhängig
Mangelnde körperliche Reserven
Does the published evidence on medical futility of artificial nutrition in elderly demented patients rests on mistakes? (Kratochvila,2005)
•
•
•
•
•
•
Wie war der Zustand der Probanden auf der linken Seite der Null‐Achse?
Warum gibt es einen starken Anstieg der Mortalität in den ersten sechs Monaten?
Demente Menschen im fortgeschrittenen Stadium sind nicht unbedingt im Sterbeprozess, warum wird künstliche Ernährung über eine PEG‐Sonde unter dem Motto „end‐of‐life“ diskutiert?
Der Schaden durch eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) selbst ist gegenüber anderen Intervention, welche weniger in Frage gestellt werden, relativ gering.
Fixation?
Für den Erfolg einer Ernährung über eine PEG‐Sonde ist ein wichtiges Kriterium der rechtzeitige Beginn.
Kein Nutzen der PEG bei fortgeschrittener Demenz?
1) Kein Nachweis eines Nutzens ≠ Nachweis keines Nutzens
2) Keine randomisierten klinischen Studien 3) Mittelwerte → individuelle Nutzeffekte nivelliert?
Prognostische Unsicherheit als Hauptproblem
→ Individuelle Prognose
Quelle: Vortrag Synofzik M. Der Verzicht auf Sondenernährung bei Alzheimer Demenz: eine ethische Analyse (AlzheimerEurope Kongress)
Entscheidungsgrundlage
¾Ist die künstliche Ernährung medizinisch indiziert?
¾Ist sie vom Patienten gewollt? Würde dieser eine Künstliche Ernährung akzeptieren, wenn er noch selber entscheiden könnte? Kontinuum oder Dichotomie
Autonomie
Autonomie
Fürsorge
Fürsorge
Richtlinien der
Bundesärztekammer
IV. Ermittlung des Patientenwillens
„Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer
Patientenverfügungen zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung
für den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die
der Patient in der Verfügung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine
nachträgliche Willensänderung erkennbar sind.“
Behandlung und Betreuung von zerebral schwerst
geschädigten Langzeitpatienten
Medizinisch-ethische Richtlinien der SAMW
Beim Demenzkranken, der aufgrund seiner Erkrankung die Nahrung nicht mehr
adäquat schluckt, ist eine Schluckstörung oder gastrointestinale Pathologie (Mund,
Rachen, Oesophagus,Magen) auszuschließen. Das oft beobachtete Verhalten von
Dementen, die Nahrung zu verweigern, ist nach zumutbarer Diagnostik zum
Ausschluss einer einfach behandelbaren Störung als verbindliche Willensäußerung
zu werten.
Im Rahmen der palliativen Maßnahmen sollen aber Nahrung und Flüssigkeit immer
wieder angeboten werden.
http://www.samw.ch/docs/Richtlinien/d_RL_PVS.pdf
Amtsgericht Siegen, Beschluss v. 28.09.07
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/siegen/ag_siegen/j2007/33_XVII_B_710beschluss20070928.html
Ein solcher rechtsverbindlicher Wille der Betroffenen ergibt sich nicht daraus, dass sie
gegenüber der Betreuerin, der Bevollmächtigten und dem Gericht geäußert hat, sie wolle
sterben, und – möglicherweise als Ausdruck hierfür – das Essen und Trinken verweigert.
Die rechtsverbindliche Äußerung von Wünschen als Ausdruck des
Selbstbestimmungsrechts setzt voraus, dass die betreffende Person die Möglichkeit
zur intellektuellen Kenntnisnahme der Tatsachen hat, welche ihre Situation
charakterisieren, und diese in ihrer Bedeutung erfasst. Darüber hinaus muss sie
diese Tatsachen prognostisch zu beurteilen verstehen, unter Einbeziehung eines
Wertesystems zu einer Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen
Alternativen fähig sein und sich entsprechend einer solchen Einsicht verhalten
können.
Dazu ist die Betroffene nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in der Lage.
In dubio pro vita
oder
ethischer Paternalismus?
ich winke ihr zu…sie so gut es geht
zurück…so auch heute… wenn
solche dinge passieren da weiß ich
hundertprozentig das es so richtig
war…oder wenn meine Enkel alle
hier sind…das Bild ist von
Weihnachten…soll ich da
sagen…“Schluß Mutti“ drehen wir ab
und gut…hat sie nicht auch das
Recht auf ein bißchen Freude…sie
reagiert noch gut wenn die kleinen da
sind…ja ab und zu nickt sie wenn ich
sie schmuse und streichle…heut früh
hab ich sogar ein Bussi bekommen…
nun hat meine Schwiegermutter bereits
ein Jahr die PEG und so wie es aussieht
mag sie sich auch nicht „trotz aller
Widersprüche“ verabschieden.
Immer noch mit ihrem „himmelblauen
Hugo“ immer noch mit einem Griff zu
einem ihrer Urenkel.
Kriterien für sinnvolle PEG‐Sonden
•
•
•
•
•
•
•
Das Einleiten der PEG-Sonde orientiert sich am mutmaßlichen Willen (und der Lebensqualität).
Es wurden vorher alle Maßnahmen versucht um den dementen Menschen zum Essen und Trinken zu
bewegen.
Ernährungsprobleme werden frühzeitig aufgedeckt und eine Sondenernährung wird auch dann
eingeleitet so lange der Betroffene noch ausreichend körperliche Ressourcen hat und die
Mangelernährung sich nicht manifestiert hat.
Eine PEG-Sonde bedeutet nicht Ausschluss aus dem sozialen Leben und den all-täglichen
Gewohnheiten. Es muss eine weitere Teilnahme an den gewohnten Mahlzeiten ermöglicht werden,
sowie eine orale Nahrungszufuhr, gegebenenfalls durch Basale Stimulation® sicher gestellt sein.
Andere Erkrankungen, nicht nur die Demenz müssen in die Entscheidung mit einfließen. Es gibt
bisher keinen Anhalt dafür, dass Demenz für eine Lebenszeitverkürzung verantwortlich ist.
Wesentlicher bedeutender sind hier die Komorbiditäten, bzw. das Stresserleben aufgrund der
demenzbedingten Beeinträchtigungen ( vgl. Wojnar, 2005).
In den Fällen, in denen eine Sondenernährung erforderlich ist, ist darauf hinzuwirken, dass eine
bedarfsgerechte Ernährung gewährleistet wird und keine pauschale Kaloriengabe von z.B. 1000 kcal.
Ein kompetentes Umfeld, welches sich bewusst sein muss auch darüber nachzudenken, wann eine
weitere Ernährung über eine PEG-Sonde nicht mehr dem Willen des Betroffenen entspricht, bzw. die
Belastung der Ernährung unter palliativen Aspekten kontraindiziert ist.
Kolb C. (2005) Sinnvolle Lebensverlängerung oder Störung des natürlichen Sterbeprozesses? ProAlter 3/05, S. 36-42
Christian Kolb
www.nahrungsverweigerung.de
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