Pitavastatin (Livazo®) Pitavastatin (Livazo®) ist ein weiteres Statin

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Pitavastatin - Pharmazeutische Chemie
Pitavastatin (Livazo
)
Pitavastatin (Livazo) ist ein weiteres Statin, das nun in Deutschland auf dem
Markt ist. Die Substanz ist schon längere Zeit bekannt und in Japan bereits seit
2003, in Korea seit 2005, in China seit 2009 und in den USA seit 2010
zugelassen. Es wird in Form des stabilen Calciumsalzes eingesetzt und ist
indiziert zur Senkung erhöhter Gesamtcholesterol- und LDL-Cholesterolwerte
bei primärer Hypercholesterinämie und gemischter Dyslipidämie, sofern
nichtmedikamentöse und diätetische Maßnahmen versagen.
HO
COOH
OH
F
N
Pitavastatin
Abbildung 1
Das erste Statin überhaupt - Mevastatin (ML-236B, Compactin) - wurde bereits
1973 entdeckt, wird aber nicht in der Klinik eingesetzt (Endo 2010). Neben
Pitavastatin sind zahlreiche weitere Statine in der Klinik etabliert: Lovastatin
(u.a. Mevinacor), Atorvastatin (Sortis), Fluvastatin (u.a. Cranoc, Locol),
Simvastatin (u.a. ZOCOR), Pravastatin (u.a. Mevalotin protect) und
Rosuvastatin (Crestor). Cerivastatin (Lipobay) wurde 2001 vom Markt
zurückgenommen.
Allen Statinen ist der Wirkmechanismus gemeinsam. Sie hemmen die endogene
Cholesterol-Biosynthese, indem sie kompetitiv die HMG-CoA-Reduktase - das
Schrittmacherenzym zur Bildung von körpereigenem Cholesterol - blockieren.
Dieses Enzym katalysiert unter Verbrauch von zwei Molekülen NADPH die 4Elektronen-Reduktion von 3-Hydroxy-3-methyl-glutaryl-CoA (HMG-CoA) zu
Mevalonsäure (Abbildung 2) (u.a. Istvan 2002, Friesen und Rodwell).
Mevalonsäure ist die Ausgangsverbindung für alle Isoprenoide und Sterole und
demnach auch für Cholesterol im menschlichen Körper.
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Als Kompensation zur verminderten, hepatischen Cholesterolsynthese durch die
HMG-CoA-Reduktase-Hemmung kommt es u.a. zu einer vermehrten
Expression von LDL-Rezeptoren, wodurch vermehrt LDL aus dem Plasma in
die Zellen aufgenommen wird und demzufolge der Plasma-LDL-Spiegel
absinkt.
Statine (u.a. Pitavastatin)
HO
COOH
HMG-CoA-Reduktase
HO
O
SCoA
OH
2 NADP+
CoA-SH
2 NADPH
2 H+
(R)-Mevalonsäure
(S)--3-Hydroxy-3-methyl-glutaryl-CoA
(HMG-CoA)
Abbildung 2:
COOH
Wirkmechanismus der Statine nach Istvan 2002
Statine werden unterteilt in die nichtsynthetischen Typ 1-Statine natürlichen
oder zumindest teilweise natürlichen Ursprungs und die vollsynthetischen Typ
2-Statine (Istvan 2002) (Strukturformeln s. Abbildungen 4 und 5). Zu den Typ
1-Statinen zählen das erste entdeckte Statin überhaupt, das Mevastatin, sowie
Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin. Pravastatin wird durch mikrobielle
Hydroxylierung aus Mevastatin gewonnen, Simvastatin wird partialsynthetisch
aus Lovastatin hergestellt (s. Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth 2010). Alle
anderen Statine, darunter auch Pitavastatin, gehören zu den Typ 2-Statinen und
werden vollsynthetisch hergestellt.
Die Statine zeigen hinsichtlich ihrer chemischen Struktur einen einheitlichen,
immer wiederkehrende Bauplan. Sie können als 7-substituierte 3,5Dihydroxyheptansäuren aufgefasst werden (s. Abbildung 3). Als Pharmakophor
fungiert dabei die 3,5-Dihydroxycarbonsäurekette mit den C-Atomen 1 bis 5, die
strukturell sehr ähnlich der Hydroxymethylglutaryl-Einheit von HMG-CoA ist
und diese am Enzym imitiert. Insbesondere die Konfigurationen an den beiden
chiralen und OH-tragenden Kohlenstoffatomen sind für die Wirksamkeit von
Bedeutung. Diese HMG-imitierende Gruppe der Statine bindet mit hoher
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Affinität an die HMG-CoA-Bindungsstelle des Enzyms. Die NADPHBindungsstelle wird von den Statinen nicht besetzt.
2
HO
1
COOH
3
4
OH
5
7
6
Ringsystem
7-substituierte 3,5-Dihydroxyheptansäure
Abbildung 3:
Einheitlicher Bauplan der Statine
Mevastatin, Lovastatin und Simvastatin sind Prodrugs. Die inaktiven
Lactonstrukturen dieser Verbindungen werden in Darmmukosa und Leber
schnell zu den entsprechenden wirksamen, offenkettigen Hydroxycarbonsäuren
hydrolisiert. Pravastatin ist das einzige Typ 1-Statin, das in seiner ringoffenen
Form vorliegt und damit keiner Bioaktivierung bedarf. Die Ethylgruppe (CAtome 6 und 7) als Spacer ist für die Aktivität optimal. Als Ringsystem
besitzen alle Typ 1-Statine ein teilweise ungesättigtes Decalin mit
charakteristischen Substitutionen.
Auch bei den Typ 2-Statinen ist die 3,5-Dihydroxycarbonsäurestruktur
vorhanden. Alle liegen in der ringoffenen, aktiven Form vor. In der Klinik
werden die stabilen Salze - vorwiegend die Calciumsalze - verwendet. Zwischen
der HMG-imitierenden Einheit (= Dihydroxycarbonsäure) und dem Ringsystem
ist ein Abstand von zwei C-Atomen optimal. Außer Atorvastatin besitzen alle
anderen Typ 2-Statine innerhalb der Kohlenstoffbrücke eine (E)-konfigurierte
Doppelbindung. Das Ringsystem kann stark variiert werden. Hier sind sowohl 5als auch 6-gliedrige (stickstoffhaltige) Aromaten und auch bizyklische Systeme
möglich.
Die Affinität zur HMG-CoA-Reduktase wird durch p-Fluorophenyl- sowie
verzweigte, kurze, aliphatische Substituenten wie zum Beispiel einem
Isopropylrest in ortho-Position des Ringsystems erhöht. Auch beim Pitavastatin
wurde das Rad nicht neu erfunden. Hier liegt ein Chinolinring vor, der an der
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einen ortho-Position den typischen p-Fluorophenyl-Substituenten trägt, an der
anderen anstelle des Isopropylrestes einen Cyclopropylrest.
Typ 1-Statine
inaktives Lacton,
Prodrug
HO
H
ringoffene Hydroxycarbonsäure
Wirkform
HO
O
Buttersäureester
O
+ H 2O
COOH
Hydrolyse
OH
O
2 C-Atome Abstand
O
H
vgl.
H
HO
COOH
Decalin-Ringsystem,
teilweise ungesättigt
O
S
Lovastatin
CoA
HMG-CoA
HO
H
O
HO
H
COOH
O
OH
O
O
O
O
H
H
H
HO
Simvastatin
Abbildung 4:
Pravastatin
Typ 1-Statine nach Istvan 2002
4
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Typ 2-Statine
HM G-imitierende Gruppe:
3,5-Dihydroxycarbonsäure
M ethylgruppe des
HM G -CoA fehlt
HO
COO H
HO
H
vgl.
O
COO H
Pitavastatin
OH
S
CoA
F
HM G-CoA
imm er
p-FluorophenylSubstituent
bei Pitavastatin Cyclopropylgruppe,
ansonsten immer Isopropylgruppe
N
zentrales Ringsystem, 5- oder 6-gliedrige H eteroarom aten,
auch Bizyklen möglich, bei Pitavastatin: Chinolin
H
HO
HO
H
COO H
COO H
OH
OH
F
F
(E)
N
O
Fluvastatin
H
HO
N
C erivastatin
HO
H
COOH
CO OH
OH
OH
F
F
N
N
N
O
N
S
O
HN
O
Atorvastatin
R osuvastatin
Abbildung 5:
Typ 2-Statine nach Istvan 2002
5
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Die Bindungsverhältnisse im aktiven Zentrum der HMG-CoA-Reduktase sind
durch Kristallstrukturanalysen sowie Molecular-Modelling-Untersuchungen
aufgeklärt worden (Istvan und Deisenhofer 2001, Istvan 2002, Saito 2009). Alle
Statine zeigen wie erwähnt ein ähnliches Bindungsverhalten - allerdings mit
einer unterschiedlichen Anzahl von Wechselwirkungen zwischen Enzym und
Inhibitor. Daraus resultieren dann unterschiedliche Wechselwirkungsenergien
und letztlich unterschiedliche Hemmkonstanten (s. Tabelle 1).
Statin
Fluvastatin
Cerivastatin
Rosuvastatin
Atorvastatin
Pitavastatin
IC50
28 nM
10 nM
5 nM
8 nM
6,8* nM
Tabelle 1:
IC50-Werte für Typ 2-Statine nach Istvan 2002
* nach Saito 2009
Der Pharmakophor - die 3,5-Dihydroxycarbonsäureeinheit - besetzt das aktive
Zentrum genau da, wo das natürliche Substrat HMG-CoA gebunden wird. Die
Carboxylatgruppe des Pharmakophors wird über H-Brücken mit den terminalen
Aminogruppen zweier Lysinreste (K692 und K735) sowie mit der
Hydroxylgruppe eines Serins (S684) fixiert. Zusätzlich stabilisiert wird die
Bindung des Pharmakophors im aktiven Zentrum durch H-Brücken seiner
beiden Hydroxylgruppen mit weiteren Aminosäuren (Glutaminsäure E559,
Asparaginsäure D690 und Asparagin N755).
Die variable, hydrophobe Partialstruktur der Statine positioniert sich in einer
Tasche des Enzyms, die sich erst nach Bindung des Pharmakophors durch
Neuausrichtung von Aminosäuren am C-terimalen Ende ausbildet. Für die Typ
2-Statine ergibt sich durch die p-Fluorophenylgruppe eine zusätzliche Bindung
mit einem Argininrest (R590).
Die Cyclopropylgruppe des Pitavastatins genauso wie auch die
Isopropylgruppen der übrigen Typ 2-Inhibitoren ersetzen funktionell den
Decalinring der Typ 1-Inhibitoren. Für Rosuvastatin und Atorvastatin ergeben
sich durch ihre zusätzlichen funktionellen Gruppen am Heterozyklus weitere
Wechselwirkungen mit Aminosäureresten des Enzyms.
In Abbildung 6 sind die vermeintlichen polaren Bindungen von Pitavastatin im
aktiven Zentrum der HMG-CoA-Reduktase wiedergegeben (nach Istvan 2002,
Saito 2009 und in Anlehnung an Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth 2010).
So sehr sich die Statine in ihrem Wirkmechanismus ähneln, so unterschiedlich
ist deren Pharmakokinetik (s. dazu u.a. Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth
2010, Saito 2009 und Kawai et al. 2011).
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D690
E559
K692
O
O
H
N
O
O
H
H
H
N755
O
O
H
K735
O
1
N
3
H
N
5
H
H
O
H
7
O
S684
F
R590
N
H
N
H
H
Abbildung 6:
N
N
H
H
Postulierte Bindung von Pitavastatin im aktiven Zentrum der HMG-CoA-Reduktase nach Istvan
2002 und Saito 2009.
Pitavastatin wird nach peroraler Einnahme schnell und gut aus den oberen
Abschnitten des Magen-Darm-Traktes resorbiert, wobei die unveränderte
Substanz einem enterohepatischen Kreislauf unterliegt. Die Absorptionsrate
beträgt 80 % (Fujino et al. 2003).
Interessant ist die Metabolisierung des Pitavastatins (s. Fujino et al. 2003, Saito
2009, Fachinformation Livazo 2011) (Abbildung 7). Statine sind bekannt
dafür, sich selektiv in der Leber anzureichern und dort über CYP-vermittelte
Reaktionen metabolisiert zu werden. Beispielsweise werden die lipophilen
Statine Lovastatin, Simvastatin und Atorvastatin über das CYP3A4-Isoenzym
verstoffwechselt. Pitavastatin ist ebenfalls lipophil, ähnelt bezüglich der
Biotransformation aber eher dem hydrophilen Pravastatin, das nur minimal über
CYP3A4 abgebaut wird und dessen Hauptbiotransformationsreaktion eine
Sulfatierung ist.
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Pitavastatin - Pharmazeutische Chemie
HO
COOH
Pitavastatin
OH
F
N
sehr wenig!
CYP2C9
Hydroxylierung
UDP-Glucuronyl
Transferasen
HO
COOH
OH
O
HO
HO
OH
OH
COOH
O
F
O
Esterglucuronid
OH
F
N
OH
N
M-13
Pitavastatinglucuronid
Elimination der Glucuronsäure
Ringschluss
HO
O
O
F
Hydrolyse
Pitavastatin
N
Pitavastatinlacton
Hauptmetabolit
Abbildung 7:
Pitavastatin-Metabolismus nach Saito 2009
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Pitavastatin - Pharmazeutische Chemie
Im Plasma liegt Pitavastatin überwiegend in unveränderter Form vor. Im
Vordergrund beim Pitavastatinmetabolismus steht die Konjugation mit
Glucuronsäure in der Leber durch verschiedene UDP-Glucuronyltransferasen
(UGT1A1, UGT1A3, UGT2B7). Die Konjugation erfolgt an der freien
Carboxylgruppe, so dass das resultierende Pitavastatinglucuronid als
Estertypglucuronid (Acylal) bezeichnet werden kann. Anschließend kommt es
unter Elimination der Glucuronsäure zur Bildung des inaktiven
Pitavastatinlactons, das der Hauptmetabolit ist.
Interessanterweise wird der Lipidregulator Gemfibrozil auch über UGT1A1 und
UGT1A3 metabolisiert und hemmt dadurch gleichzeitig stark die
Glucuronidierung von Statinen wie z.B. der Wirkform von Simvastatin, der
Simvastatinsäure (Vaughan und Gotto 2003). Dementsprechend ist die
gleichzeitge Anwendung von Pitavastatin und Gemfibrozil natürlich
kontraindiziert.
Die Metabolisierung des Pitavastatins über Cytochrom P450 spielt nur eine
untergeordnete Rolle. Ein Nebenmetabolit ist zum Beispiel das hydroxylierte M13, dessen Bildung u.a. durch CYP2C9 vermittelt wird, in vivo aber kaum
detektierbar ist (Fujino et al 1999). Dementsprechend sollte das
Interaktionspotenzial zum Beispiel bei gleichzeitiger Einnahme von CYP3A4Inhibitoren deutlich geringer ausgeprägt sein als beispielsweise beim
Simvastatin. Eine Studie zum Einfluss von Grapefriutsaft (CYP3A4!) auf die
Pharmakokinetik von Pitavastatin bestätigt diese Annahme (Ando et al. 2005).
Die selektive Anreicherung der Statine wird auf ihre Affinität zu einem
leberspezifischen Anionentransporter, dem OATP2, zurückgeführt, wodurch die
unter physiologischen Bedingungen vorwiegend als Carboxylat-Anionen
vorliegenden Statine aktiv in das Lebergewebe aufgenommen werden. Auch für
Pitavastatin wird ein solcher Mechanismus angenommen, da die gleichzeitige
Applikation von Ciclosporin, einem OATP2-Inhibitor, zu einem 4,6-fachen
Anstieg der Plasmakonzentration des Statins führte. Demzufolge ist Pitavastatin
bei denjenigen Patienten, die mit Ciclosporin behandelt werden, kontraindiziert
(Hirano et al. 2004, Saito 2009).
Literatur:
Ando, H. et al. Br J Clin Pharmacol 2005, 60, 494
Endo, A. Proc Jpn Acad Ser B Phys Biol Sci 2010, 86, 484
Fachinformation Livazo 2011
Friesen, J.A. und Rodwell, V.W. Genome Biology 2004, 5, 248
Fujimo, H. et al. Xenobio Metabol Dispos 1999, 14, 415
Fujino, H. et al. Xenobiotica 2003, 33, 27
Hirano, M. et al. J Pharmacol Exp Ther 2004, 311, 139
Istvan, E.S. und Deisenhofer, J. Science 2001, 292, 1160
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CA 17.7.2011
Pitavastatin - Pharmazeutische Chemie
Istvan, E.S. Am Heart J 2002, 144(6 Suppl), S27
Kawai, Y.K et al. Drug Des Devel Ther 2011, 5, 283
Saito, Y. Vasc Health Risk Manag 2009, 5, 921
Steinhilber, D., Schubert-Zsilavecz, M. und Roth, H.J. in: Medizinische Chemie,
Deutscher Apotheker Verlag 2010, 2. Aufl., 429
Vaughan, C.J. und Gotto, A.M. Circulation 2004, 110, 886
10
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