Wie viele Medikamente braucht ein Patient wirklich?

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WISSEN AKTUELL · KONGRESS
KHM-Forschungspreis für Hausarztmedizin 2014
Pilotstudie in Schweizer Hausarztpraxen –
Wie viele Medikamente braucht ein
Patient wirklich?
Im Rahmen der 16. Fortbildungstagung des Kollegiums für
Hausarztmedizin (KHM) in Luzern vom 26.-27. Juni 2014
wurde zum achten Mal der von der Mepha Pharma AG
(Schweiz) gestiftet Forschungspreis für Hausarztmedizin verliehen. Die diesjährigen Preisträger sind Dr. med. Stefan Neuner-Jehle, MPH, PD Dr. med. Oliver Senn und PD Dr. med.
Dipl. Soz. Tanja Krones mit ihrer Pilotstudie zur Polypharmazie in Schweizer Hausarztpraxen.
I
m Zentrum des Engagements des KHM und seiner Mitgliedsorganisationen steht die Sicherung und Förderung einer qualitativ hochstehenden und quantitativ ausreichenden medizinischen
Grundversorgung in der Schweiz. Die Forschungsförderung des
KHM und mit ihr der mit 30 000 CHF dotierte «KHM-Forschungspreis Hausarztmedizin», stellt hier ein zentrales Element dar.
Der Preis wurde in diesem Jahr an Dr. med. Stefan NeunerJehle, MPH und PD Dr. med. Oliver Senn, beide als Hausärzte und
als Forscher am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich
tätig, sowie an PD Dr. med. Dipl. Soz. Tanja Krones, Leitende
Ärztin klinische Ethik am Universitätsspital Zürich, verliehen. Mit
ihrer Pilotstudie zur Beurteilung der Polypharmazie älterer Patienten konnte diese Studiengruppe zeigen, dass bei diesen polymorbiden Patienten 9% der verschriebenen Medikamente überflüssig
sind (1).
Polypharmazie stellt besonders in der Hausarztmedizin ein
Problem bei der Behandlung multimorbider Patienten dar. Eine
lange Medikamentenliste erhöht deutlich das Risiko für Heimeinweisungen, Hospitalisationen, verschlechterte Mobilität, Morbidität und Tod.
In ihrer Studie adaptierte die Arbeitsgruppe um Dr. med. Stefan Neuner-Jehle den für die Geriatrie entwickelten und validierten Algorithmus «Good Palliative-Geriatric Practice» (GPGP) für
die Anwendung durch den Hausarzt. Diese Checkliste, bestehend
aus vier Fragen, die der Arzt gemeinsam mit dem Patient bespricht,
dient der Beurteilung aller aktuell verschriebenen Medikamente bezüglich tatsächlich gegebener Indikation, Nutzen-/RisikoVerhältnis, Dosierung und möglicher Alternativen. Der gesamte
Zeitaufwand beträgt ca. 15 Minuten. An der Studie nahmen 14
Hausärzte und 63 Patienten im Kanton Zürich teil und testeten die
Praxistauglichkeit des adaptierten GPGP-Algorithmus. Auswahlkriterien für die Patienten waren ein Alter über 60 Jahre und die
langfristig Einnahme von mindestens 5 Medikamenten.
Im Anschluss an die gemeinsam bearbeitete Checkliste schlugen die Studienärzte ihren Patienten bei Bedarf Änderungsmöglichkeiten der Behandlung vor. Dies war bei 16% der verschriebenen
Medikamente der Fall, wobei 80% dieser Vorschläge angenomder informierte arzt _ 08 _ 2014
Die strahlenden Gewinner des KHM-Forschungspreises 2014
men und die Verschreibung des Medikamentes verändert wurden.
9% der Medikamente wurden ganz abgesetzt. Die durchschnittliche Anzahl an Medikamenten pro Patient sank von 8.2 auf 7.4
(p < 0.001).
Überraschenderweise waren die Gründe für eine Modifikation nicht das Auftreten von Nebenwirkungen, sondern in 56% der
Fälle das Fehlen der Indikation, eine inadäquate Dosierung (21%),
das Vorhandsein einer besseren Alternative (12%) und nur in 11%
der Fälle waren unerwünschte Nebenwirkungen der Grund. Dies
zeigt, dass eine regelmässige kritische Hinterfragung der Notwendigkeit bzw. der richtigen Dosierung der verschriebenen Medikamente indiziert ist.
Im Hinblick auf seine Anwendbarkeit beurteilten sowohl die
teilnehmenden Ärzte (Mittelwerte zwischen 3.2 und 4.2 Punkten
auf einer 5-teiligen Likert-Skala) als auch die teilnehmenden Patienten (Mittelwert von 4.6 von max. 5) den Algorithmus als positiv.
Nach diesen ersten erfolgversprechenden Ergebnissen und um
die langfristigen Auswirkungen einer systematischen Anwendung
des adaptierten GPGP-Algorithmus zu untersuchen, plant die Forschungsgruppe eine randomisierte, kontrollierte Wirksamkeitsstudie mit klinischen Endpunkten.
wwDr. Heidrun Ding
Literatur:
1. Neuner-Jehle S, Krones T, Senn O. Systematisches Weglassen verschriebener
Medikamente ist bei polymorbiden Hausarztpatienten akzeptiert und machbar.
PRAXIS. 2014;103(6):317-22
Quelle: Medienmitteilung Healthworld (Schweiz) AG, Steinhausen
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