Nauser, M. (1998). Das Klima als Risikofaktor im Alpenraum. Umweltschutz - BUWALBulletin (3). Keywords: 8CH/Alps/climate change/economy/ecosystem/Malme/natural disaster/risk Abstract: In March 1998, the conclusion of the most extensive Swiss National Research Programme to date, 'Climate Change and Natural Hazards' (NRP 31), was presented. Research has shown that the climate change to be expected for Switzerland will have discernible impacts on the economy, increase the risk of natural disasters and lead to changes in Alpine ecosystems. http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/php/druckversion.php?/buwal/... UMWELTSCHUTZ 3/1998 Das Klima als Risikofaktor im Alpenraum Die neusten Erkenntnisse der schweizerischen Klimaforschung zwingen zum vorbeugenden Handeln in der Klimapolitik. Nach fünfjähriger Arbeit liegen die Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms "Klimaänderungen und Naturkatastrophen" (NFP 31) vor. Demnach werden nicht punktuelle Naturkatastrophen wie Unwetter, Murgänge und Lawinen die Schweiz am meisten beeinträchtigen, sondern die Folgen der schleichenden, kaum wahrnehmbaren Veränderung des saisonalen Klimas und der Vegetation. Indem die Forschung aufzeigt, wo unser Land am verletzlichsten ist, liefert sie wertvolle Grundlagen für vorbeugende und schadenvermindernde Massnahmen. Von Markus Nauser Angesichts der weit verbreiteten Besorgnis über die Auswirkungen einer beschleunigten Klimaveränderung auf Umwelt und Gesellschaft gab der Bundesrat 1990 den Auftrag zum Nationalen Forschungsprogramm 31 «Klimaänderungen und Naturkatastrophen» (NFP 31). Seit dem zweiten umfassenden Bericht der Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaänderungen (IPCC) von 1995 ist davon auszugehen, dass die vom Menschen verursachte Belastung der Erdatmosphäre mit Treibhausgasen das Klima nachweislich beeinflusst. Die weltweit beobachtete Erwärmung lässt sich allein mit natürlichen Ursachen jedenfalls nicht hinreichend erklären. Die Schweizer Forscherinnen und Forscher stützten sich bei ihrer Arbeit auf die globalen Szenarien des IPCC. Dank dem NFP 31 liegen nun erstmals konkrete Resultate über die möglichen Konsequenzen einer Klimaerwärmung für einen kleinen, kompliziert strukturierten und intensiv genutzten Raum wie die Schweiz vor. Das regional angepasste Modell geht bis zum Jahr 2030 von einem Anstieg der Durchschnittstemperatur um rund 2 Grad Celsius aus. Damit verbunden wäre eine deutliche Zunahme der Niederschläge im Winterhalbjahr. Einflüsse auf Witterung und Gewässerhaushalt Im Alpenraum wirkt sich die globale Erwärmung vor allem im Winterhalbjahr aus. Insbesondere auf der Alpensüdseite kann es zu einer markanten Zunahme von starken Niederschlägen kommen. Wenn sich im Zuge einer Klimaänderung die Druckverhältnisse auf der Nordhalbkugel verschieben, kommt die Schweiz vermehrt in den Einfluss winterlicher Sturmtiefs. Katastrophenereignisse wie der Sturm «Vivian» (1990) werden aber durch eine Vielzahl von Faktoren gesteuert, so dass sich eine Zunahme allein aufgrund veränderter Wetterlagen nicht voraussagen lässt. Nach den NFP 31-Simulationen zur Naturgefahren-Entwicklung in der Schweiz sind spürbare Änderungen zu erwarten, falls die globale Erwärmung weiter zunimmt. Die sommerliche Wildbach- und Murgangsaison dauert unter wärmeren Klimabedingungen länger. Dadurch sind im Mittel mehr Schadenereignisse zu erwarten. Lokal kann sich die Gefahrensituation durch den temperaturbedingten Rückzug von Gletschereis und Untergrundeis (Permafrost) verschärfen. Als Folge des 1 of 5 03.03.2006 11:05 http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/php/druckversion.php?/buwal/... Eisschwunds nehmen die hochalpinen Flächen mit freiliegendem Gesteinsschutt zu. In Abhängigkeit von der Steilheit des Geländes und der Niederschlagsentwicklung können hier katastrophale Ereignisse ausgelöst werden, für die es keinen historischen Vergleich gibt. In den tieferen und mittleren Höhenbereichen haben die fehlende oder stark reduzierte winterliche Schneedecke sowie die Zunahme von Starkniederschlägen im Winterhalbjahr eine deutlich ausgeprägtere winterliche Hochwassersaison mit erhöhten Abflussspitzen zur Folge. Eine mögliche, erwärmungsbedingte Umstellung der Verteilung der Luftdruckgebiete über dem Nordatlantik würde darüber hinaus vor allem im Winterhalbjahr eine verstärkte Neigung zu Extremniederschlägen im Alpenraum mit sich bringen. In diesem Fall wäre vermehrt mit extremen Hochwasserereignissen zu rechnen. Vorwiegend negative Auswirkungen auf die alpinen Ökosysteme Ökosysteme reagieren nicht nur auf veränderte Klimabedingungen, sondern auch auf die Anreicherung von Kohlendioxid (CO2) und Stickstoff in der Atmosphäre. Die im Rahmen des NFP 31 durchgeführten Untersuchungen haben gezeigt, dass Pflanzen sehr unterschiedlich auf diese Einflussfaktoren reagieren. Die Stabilität der alpinen Ökosysteme ist stark von den heute vorherrschenden Pflanzenarten geprägt. Eine weiterhin zunehmende Konzentration von CO2 und Stickstoff lässt hier Verschiebungen in der Zusammensetzung von Pflanzengesellschaften erwarten, die zumindest während einer Übergangszeit als eher ungünstig einzustufen sind. So könnten oberhalb der Waldgrenze weniger widerstandsfähige Arten überhand nehmen, die empfindlicher auf klimatische Extreme wie längere Kälteperioden reagieren und auch anfälliger sind gegen- über mechanischen Einwirkungen wie der Wassererosion. Klimaschwankungen oder Extremereignisse wie aussergewöhnlicher Starkregen können solche Ökosysteme stark in Mitleidenschaft ziehen. Zudem fördert die atmosphärische CO2- und Stickstoff-Anreicherung in alpinen Wäldern das Wachstum von Kräutern und Sträuchern. Dies droht sich negativ auf den Baumjungwuchs auszuwirken. Den negativen Folgen stehen nur wenige positive Effekte – vor allem in der Landwirtschaft – gegenüber. So erbringen intensiv genutzte Ackerflächen unter wärmeren Bedingungen und bei erhöhtem Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre einen Mehrertrag. Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft Nicht punktuelle Naturkatastrophen wie Unwetter, Murgänge und Lawinen werden die Schweiz am meisten beeinträchtigen, sondern die Folgen einer schleichenden, kaum wahrnehmbaren Veränderung des saisonalen Klimas und der Vegetation. Diese zentrale Einsicht aus dem NFP 31 zeigt sich besonders deutlich bei den ökonomischen Auswirkungen. Als Folge einer Erwärmung um durchschnittlich 2 Grad Celsius würde die Höhengrenze der Schneesicherheit in den nächsten 50 Jahren um rund 300 Meter ansteigen. Gebiete unterhalb von 1500 Metern dürften sich damit nicht länger für den wirtschaftlich wichtigen Skisport eignen. Vor allem der Wintertourismus im Jura und in den Voralpen erleidet Einkommensverluste von deutlich über 2 Milliarden Franken, falls dieses Szenario eintritt. Dagegen wären die erwarteten Folgekosten von zusätzlichen Schäden aus Naturkatastrophen wie Hochwasser und Murgängen mit jähr-lich 135 bis 450 Millionen Franken vergleichsweise gering. Demgegenüber nehmen sich Nutzen und Gewinne aus einer Erwärmung des Klimas (profitierender Sommertourismus, geringere Heizkosten, Waldzuwachs) mit rund 140 Millionen Franken pro Jahr eher bescheiden aus. Neben dem Tourismus hat vor allem die Land- und Forstwirtschaft eine grosse ökonomische Bedeutung für die Berggebiete. Die Auswirkungen des Klimawandels könnten die Konkurrenzfähigkeit der Berglandwirtschaft 2 of 5 03.03.2006 11:05 http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/php/druckversion.php?/buwal/... gegenüber den Tallagen weiter verschlechtern. Denn die Bergweiden profitieren in geringerem Mass von einer erhöhten CO2-Düngung als die Wiesen im Flachland. Häufigere Naturkatastrophen stellen die Bergbewohner zwar nicht vor grundsätzlich neue Probleme. Die verschärfte Risikolage dürfte aber den ohnehin vorhandenen Abwanderungsdruck weiter verstärken. Neben den direkten Auswirkungen einer Klimaänderung würde die Schweiz auch von den zum Teil bedeutend gravierenderen Konsequenzen in tropischen und subtropischen Regionen tangiert. Steigt der Meeresspiegel in dichtbevölkerten Küstengebieten oder breiten sich die Wüsten weiter aus, so wächst die Zahl der Umweltflüchtlinge aus Entwicklungsländern. Der verschärfte Migrationsdruck würde hierzulande Folgekosten von schätzungsweise 80 Millionen Franken pro Jahr verursachen. Zahlreiche offene Fragen Trotz der mit 20 Millionen Franken vergleichsweise grosszügigen Dotierung des Forschungsvorhabens musste sich das NFP 31 auf ausgewählte Themen beschränken. Zwangsläufig bleiben so zahlreiche Fragen offen. Eine für die Schweiz und den europäischen Raum besonders brisante Frage betrifft die Zirkulation der Meeresströmungen im Nordatlantik. Aufsehen erregt in diesem Zusammenhang eine am Physikalischen Institut der Universität Bern entwickelte Hypothese. Die Arbeit der Abteilung Klimaund Umweltphysik besagt, dass bei einer anhaltend raschen Zunahme der atmosphärischen CO2-Konzentration mit einer Verlangsamung oder dem vollständigen Ausbleiben der Zufuhr warmer Wassermassen aus äquatorialen Breiten (Golfstrom) zu rechnen ist. Über mögliche Auswirkungen solcher Prozesse kann im Moment erst spekuliert werden, doch steht ausser Zweifel, dass sie für das Klima in Europa von grosser Tragweite sein können. In Anbetracht der komplexen Aufgaben, die sich beim Klimaschutz stellen, sind Forschung, Verwaltung und Politik gleichermassen herausgefordert, noch intensiver als bisher zusammenzuarbeiten. Als einen Beitrag zu diesem Prozess hat das BUWAL vor kurzem die Publikation Auswirkungen von Klimaänderungen – Fragen an die Forschung veröffentlicht. Diese will die Diskussion mit der Wissenschaft über offene Fragen aus den drei Themenbereichen Abwehr von Naturgefahren, Waldentwicklung und Naturschutz anregen. Die Forschung im Kreuzfeuer wirtschaftlicher Interessen Bestehende Unsicherheiten dürfen nicht dazu verleiten, den Wert der Forschung oder den klimapolitischen Handlungsbedarf generell in Frage zu stellen, wie dies 1997 im Vorfeld der Verhandlungen für ein Zusatzprotokoll zur Klimakonvention geschehen ist. Als Argument gegen verbindliche Länderziele zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen wurde da etwa angeführt, nicht menschliche Aktivitäten, sondern natürliche Prozesse wie die variierende Sonnenaktivität seien Ursache der gemessenen Temperaturveränderungen. Zweifellos sind selbst die besten heute verfügbaren Klimamodelle noch stark verbesserungsfähig. Ein kritisches Hinterfragen des aktuellen Wissens ist auch notwendig, um weitere Erkenntnisfortschritte zu erzielen. Wenig zur Versachlichung der Diskussion tragen allerdings jene lautstarken Stimmen bei, deren Forschungsarbeit nachweislich im Auftrag von Interessenvertretern der amerikanischen Kohle- und Erdölindustrie erfolgt. Im übrigen sind sich die weltweit führenden Klimaforscher der Grenzen ihrer Möglichkeiten durchaus bewusst und legen diese in den IPCC-Berichten auch offen. Plausible Szenarien müssen als Entscheidungsgrundlage genügen Nüchtern betrachtet sind die Fragen der Klimaforschung zu komplex, als dass die Wissenschaft heute oder in Zukunft genaue Erklärungen und 3 of 5 03.03.2006 11:05 http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/php/druckversion.php?/buwal/... Voraussagen liefern könnte. Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft müssen diese Grenzen akzeptieren und ihre Erwartungshaltung gegenüber der Forschung entsprechend anpassen. Nicht anders als im Wirtschaftsalltag gilt es auch hier, sich mit plausiblen Szenarien und Wahrscheinlichkeits-Aussagen als Entscheidungsgrundlagen zu begnügen. Im Wissen um mögliche irreversible Schäden und aus Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen drängt sich eine Strategie der Vorsicht auf. Diese erlaubt es, dosiert und dem aktuellen Kenntnisstand entsprechend zu reagieren, solange die Handlungsspielräume überhaupt noch bestehen. Diesem Grundgedanken entspricht auch das in der Schweizer Umweltschutzgesetzgebung verankerte Vorsorgeprinzip, welches nicht primär Schäden begrenzen, sondern die Entstehung von Bedrohungen vermeiden will. Folgerungen für die Klimapolitik der Schweiz Die schweizerische Klimapolitik setzt sich zum Ziel, die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entfaltung von Gesellschaft und Wirtschaft zu erhalten, besonders gefährdete Gebiete vor den Folgen eines Klimawandels zu schützen und natürliche Ökosysteme vor irreversiblen Schäden zu bewahren. Das NFP 31 hat aufgezeigt, wo die Schweiz am verletzlichsten ist und damit wertvolle Grundlagen für solch vorbeugende und schadenvermindernde Massnahmen geschaffen. Diese Erkenntnisse gilt es in den nächsten Jahren vermehrt zu nutzen und in Behördenentscheide zu integrieren. Gerade bei der Planung in risikogefährdeten Gebieten hat das NFP 31 einen Nachholbedarf zutage gefördert, dem unbedingt Rechnung zu tragen ist. Aufgrund ihrer bisherigen Umwelt- und Energiepolitik und dank verstärkten Anstrengungen zur Verbesserung der Kostenwahrheit mittels Verursacherprinzip sowie zur Kooperation mit der Wirtschaft verfügt die Schweiz über ein klimapolitisches Instrumentarium, das im internationalen Vergleich gut bestehen kann. Der eingeschlagene Weg geht in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung und fördert Innovationen, welche unser Land in technischer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht für die Zukunft rüsten. Klimafakten Die nachweisliche Anreicherung verschiedener Treibhausgase in der Atmosphäre verstärkt den Treibhauseffekt. Je rascher deren Konzentration zunimmt, desto schneller ändert sich das Klima. Aus der Klimageschichte ist bekannt, dass beim Überschreiten gewisser Schwellenwerte Änderungen des Klimasystems in grossem Massstab eintreten können. Wann diese Kippeffekte in Gang kommen, ist aber nicht genau bekannt. Selbst bei einer raschen Reduktion der Emissionen steigen die Treibhausgas-Konzentrationen – aufgrund der langen Verweildauer dieser Gase in der Atmosphäre – noch längere Zeit an. Um die CO2-Konzentration zu stabilisieren, braucht es eine deutliche und dauerhafte Absenkung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen unter das heutige Niveau. Das Klimasystem besitzt eine grosse Trägheit. Die heutige Klimasituation entspricht der CO2-Konzentration vor ungefähr 30 Jahren. Die bisher registrierte Klimaänderung hinkt dem gemessenen Kohlendioxid-Gehalt folglich um drei Jahrzehnte hinterher. Die Ozeane reagieren noch viel langsamer. So wird der Meeresspiegel selbst dann noch ansteigen, wenn die Emissionen bereits massiv reduziert sind. Klimaschutz-Argumente Mit jährlichen Emissionen von gut 6 Tonnen CO2 pro Kopf der 4 of 5 03.03.2006 11:05 http://www.umwelt-schweiz.ch/buwal/php/druckversion.php?/buwal/... Bevölkerung liegt die Schweiz deutlich über dem Zielwert von 1–2 Tonnen, den die Wissenschaft langfristig als global klimaverträglich erachtet. Je nach Massnahme bringt die Verminderung der Treibhausgas-Emissionen zusätzliche, sofort wirksame Verbesserungen im Umweltbereich - insbesondere bei der Luftreinhaltung. Sollen die Länder des Südens auf klimapolitische Massnahmen verpflichtet werden, müssen die Industriestaaten vorgängig nachhaltige Produktions- und Konsumformen entwickeln. Eine aktive Klimapolitik der Entwicklungsländer ohne Aussicht auf einen angemessenen Lebensstandard ist unrealistisch. Die globalen Umweltprobleme lassen sich nur gemeinsam bewältigen. Ursachenorientierter Klimaschutz trägt dazu bei, andere drängende globale Probleme wie Entwaldung, Wüstenbildung, Süsswasserverknappung, Welternährung und Energieversorgung zu entschärfen. Um mehr zu erfahren Stephan Bader, Pierre Kunz: Klimarisiken – Herausforderung für die Schweiz. Wissenschaftlicher Schlussbericht NFP 31, Verlag vdf, 1998, Fr. 78.–. Beat Glogger: Heisszeit – Klimaänderungen und Naturkatastrophen in der Schweiz (Populärfassung des wissenschaftlichen Schlussberichts NFP 31), Verlag vdf, 1998, Fr. 48.–. Glaziologische Karte Julier-Bernina (Oberengadin). Synthesekarte NFP 31, Massstab 1:60000, Verlag vdf, 1998, Fr. 35.–. Klima in Gefahr. Fakten und Perspektiven zum Treibhauseffekt, BUWAL- Broschüre, 1997, Bestell-Nr. 9.342d, Fr. 5.–. 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