Multimodaler Ansatz verbessert die Verlaufskontrolle - Medizin-EDV

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Ausgabe 6/2011
Quantitative Bildgebung
Multimodaler Ansatz verbessert die
Verlaufskontrolle von Multipler Sklerose
Durch optische Messtechnik-Expertise bessere Einblicke in die Krankheit
Wer Multiple Sklerose hat, muss mit ständiger Ungewissheit leben: Wann wird wohl
der nächste Krankheitsschub auftreten, wie
ausgeprägt werden die Schäden sein, werden sie bleiben oder wieder vergehen? Ein
Kooperationsprojekt von PTB und Charité
hilft, den Verlauf der Krankheit besser zu
überwachen und die Wirkung von Medikamenten einzuschätzen.
Für Ärzte ist es schwierig, die oft diffus wirkenden Schädigungen im Gehirn genauer
einzuschätzen oder genau nachzuvollziehen,
ob bestimmte Medikamente wirken. Ärzte der
Charité – Universitätsmedizin Berlin haben
jetzt zusammen mit Messtechnik-Experten
der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt
(PTB) ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht.
Sie maßen gezielt die Schichtdicke bestimmter
Netzhautbestandteile und die Konzentration
eines bestimmten Neuronenmarkers in der
Sehrinde des Gehirns. Im Vergleich mit Messungen der allgemeinen Gehirnveränderungen zeigt sich: Beide, sowohl die Veränderungen in der Netzhaut als auch der
Neuronenmarker NAA, sind recht gute Indikatoren für das allgemeine Fortschreiten der
Krankheit. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, die Krankheit insgesamt besser zu ver-
stehen und die Wirkung von Medikamenten
effizienter zu überwachen.
Die Multiple Sklerose (MS) ist recht weit
verbreitet – in Europa ist sie die häufigste
chronisch-entzündliche Erkrankung des
Zentralnervensystems. Bei ihr werden – wahrscheinlich durch die Abwehrzellen des eigenen Körpers – die schützenden Myelinscheiden der Nervenfasern angegriffen. Als Folge
finden sich überall in der weißen Substanz
von Gehirn und Rückenmark verstreute Entzündungsherde, die fast jedes neurologische Symptom verursachen können. Entsprechend können MS-Kranke die
unterschiedlichsten Ausfallerscheinungen
bekommen. Recht typisch sind Sehstörungen mit Minderung der Sehschärfe und Störungen der Augenbewegung.
Kooperationsprojekt von Ärzten
und Medizinphysikern
Die Kooperationspartner in diesem Forschungsprojekt haben sich gezielt jene Teile
des Gehirns angeschaut, die fürs Sehen verantwortlich sind. Man wusste schon länger,
dass die charakteristischen Nervenschäden
schon gleich zu Beginn der Krankheit auftreten – aber sie waren vorher nicht konkret
Ein Blick ins Gehirn zeigt die Regionen, in denen NAA bestimmt wurde: weiße Gehirnsubstanz (links) und
visueller Cortex (rechts).(Abb.: PTB)
120
und quantifizierbar gemessen worden. In dem
Kooperationsprojekt untersuchten die Ärzte
der Charité und die Medizinphysiker der PTB
insgesamt 86 Patienten mit der häufigsten
Form der Multiplen Sklerose, der schubförmig-remittierenden MS. Mithilfe von optischer Kohärenztomografie bestimmten sie
die Schichtdicke der retinalen Nervenfasern
als Maß für die Schädigung des vordersten
Teils der Sehbahn. Die Ergebnisse verglichen
sie mit Magnetresonanztomografie-Aufnahmen, die den Anteil des Hirngewebes am
Hirngesamtvolumen („brain parenchymal
fraction“, BPF) zeigten und so Auskunft über
den allgemeinen Verlust von Gehirnsubstanz
gaben. Zusätzlich bestimmten sie in der PTB
per Hochfeld-Magnetresonanzspektroskopie
die Konzentration des Neuronenmarkers NAcetylaspartat (NAA) in weißer Gehirnsubstanz und dem visuellen Cortex und quantifizierten sie mit einem in der PTB
entwickelten Auswerteverfahren.
Es zeigte sich, dass alle drei Parameter
miteinander korrelieren. Erstaunlicherweise
galt das für den Neuronenmarker NAA nicht
für den Bereich der weißen Gehirnsubstanz,
wo ja die meisten MS-Entzündungsherde zu
finden sind, sondern nur für den visuellen
Cortex, also jenen Teil des Gehirns innerhalb
der grauen Gehirnsubstanz, der fürs Sehen
zuständig ist. In einem kombinierten statistischen Auswertemodell ermöglichen Messungen des Anteils des Hirngewebes am Hirngesamtvolumen (BPF) und des Markers NAA
im visuellen Cortex unabhängig voneinander
Aussagen über die retinale Nervenfaserschichtdicke – oder umgekehrt. So lassen die
Ergebnisse vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen Schädigungen in verschiedenen Bereichen der Sehbahn im Gehirn (nämlich dem sogenannten anterioren
und dem posterioren Anteil) gibt.
Die mit diesem neuen multimodalen Ansatz ermittelten Ergebnisse könnten die Verlaufskontrolle der Krankheit verbessern. So
lässt sich aus der Messung eines Parameters –
etwa der Schichtdicke der retinalen Nervenfasern – auf den Zustand der gesamten Hirnsubstanz schließen. Auf ähnliche Weise lässt
sich ermitteln, wie groß der Verlust von Hirnsubstanz in bestimmten Hirnarealen mit gemeinsamer Funktion ist. Auch die Bewertung
des therapeutischen Effekts neuroprotektiver
Substanzen könnte verbessert werden – also die Frage, ob ein Medikament wirkt oder
nicht. Schließlich könnten die Forscher allgemein etwas über überregionale Schadensprozesse in miteinander verschalteten Hirnbereichen lernen.
wdl
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