74 TRENDS & MACHER DIE WERTE DER JUGEND Generation Medienwandel Die Jugend von heute wird als Generation des neuen Medienzeitalters deklariert. Damit einher geht die Frage nach Verhaltensveränderungen. Jede Änderung im Verhalten kann je nach ihrer Intensität auch die Werthaltungen einer Gesellschaft prägen. Damit zukünftige Werthaltungstendenzen verstanden werden können, lohnt sich ein Blick auf die bisherigen Entwicklungen. Der modernen Gesellschaft liegen drei Revolutionen zugrunde: die ökonomische Revolution mit der Entstehung des Kapitalismus, die politische Revolution mit der Bildung der Demokratie sowie die kulturelle Revolution mit der Durchsetzung des Individualismus. Diese drei Merkmale kennzeichnen die moderne westliche Gesellschaft. Auf den Entwicklungen in Wirtschaft, Politik und Kultur basiert der Wertewandel auch in der Schweizer Bevölkerung. Die konforme, formale und verwurzelte Schweiz entwickelte sich in den 70er-Jahren dank dem Kampf der 68er-Generation zu einer Nation, deren Bevölkerung Wert auf Nonkonformismus, Antiautoritarismus und Eskapismus legt. In der anschliessenden Yuppie-Epoche nehmen durch den wirtschaftlichen Boom Erfolgs- und Prestigestreben massiv zu. Ein erfülltes, lustbetontes und aktives Leben hat Vorbildfunktion. Erst eine Zwischenphase, in welcher Unsicherheit durch Vorfälle in der Politik und Wirtschaft, aber auch durch Ereignisse wie etwa Tschernobyl ausgelöst wird, lässt den An- stieg progressiver und materialistischer Werthaltungen in der Bevölkerung vorübergehend stagnieren. Nach einigen Jahren der Unsicherheit nehmen bis Beginn des neuen Jahrhunderts Erfolgsstreben sowie auch Materialismus weiter zu. Nach dem Millennium folgt der wirtschaftliche Einbruch, dessen Auswirkungen sich erstmals mit dem Swissair Grounding in der Öffentlichkeit zeigte. Neben dem ökonomi­ schen Kollaps nehmen auch stetig neue weltpolitische Brandherde die Titelseiten der Medien in Beschlag. Dies führt dazu, dass sich die Schweizer in ihren Werten zurück in Richtung konservativ und introvertiert besinnen. DemoSCOPE ermittelt seit 1974 das Psychologische Klima der Schweiz (PKS) mit einer grossen Zahl von Aussagen, welche die Handlungsgewohnheiten der Probanden messen und diese in Wertepositionierungen umschreiben. Dadurch werden Veränderungen in den Werthaltungen der Schweizer Bevölkerung über die Jahre ersichtlich. Auch einzelne Bevölkerungsgruppen können im Zeitraffer nachverfolgt beziehungsweise in den Entwicklungen untereinander verglichen werden. Die Jugend ist eine dieser Bevölkerungsgruppen, die mit PKS analysiert werden kann. Lilian Demarmels Lilian Demarmels ist Medienwissenschaftlerin und seit 2011 als Projektleiterin beim Markt- und Meinungsforschungsunternehmen DemoSCOPE AG für den Markt der Medien zuständig. www.demoscope.ch Die Jugend gilt als Phase der Wertegenese. Hier besteht die Chance, einen eigenen Lebensstil aufzubauen, für das erste Mal wirklich selbstständig zu agieren und einen ganz persönlichen Weg zu finden. Der Weg soll dabei nicht nur persönlich, sondern – was oft eine grosse Herausforderung darstellt – auch einmalig sein. Mit diesem Originalitätsanspruch ist es klar, dass es bei der heutigen Jugend eine Pluralität von Lebens­welten gibt. Trotzdem zeichnen sich für die aktuelle TRENDS & MACHER DIE WERTE DER JUGEND 75 Rückbesinnung auf die Wurzeln: Die Beziehung zur eigenen Herkunft und der sozialen wie auch geografischen Umgebung wird den Schweizerinnen und Schweizern stets wichtiger. Jugendgeneration idealtypische Trends ab, die als seismo­grafische Nadel für die gesellschaftliche Entwicklung gesehen werden. So sehnt sich die Jugend von heute mehr denn in den vergangenen Jahren nach Realismus und Ruhe im Leben. In der heutigen, vernetzten und digital beeinflussten Weltgesellschaft versucht die Schweizer Jugend die Verbindung zum realen Leben und ihren Mitmenschen beizubehalten. Dieser Trend zeigt sich noch stärker bei den Schweizerinnen und Schweizern über 18 Jahren. Er verknüpft sich mit einem gesamtschweizerischen Drang zu mehr Sicherheit. Das Sicherheitsstreben wächst gerade auch bei den Jugendlichen stetig an. Damit einher geht eine höhere Wertschätzung von Ordnung. Nach wie vor findet auch eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln statt. Die Beziehung zur eigenen Herkunft und der sozialen wie auch geografischen Umgebung wird den Schweizerinnen und Schweizern stets wichtiger, was sich in einer Vielzahl von Schweizer Dokumentarfilmen oder auch den Besucherzahlen von Anlässen wie Schwing- und Jodlerfesten zeigt. Die Werte von Jung und Alt sind auch vom Wohlstandsdenken stark dominiert. Materialismus ist für die Schweizer Jugend kein Fremdwort. Einfluss medialer Veränderungen Werthaltungen bestimmen das menschliche Verhalten. Sie werden deshalb im Marketing gerne und zu Recht für Zielgruppendefinitionen beigezogen. Umgekehrt üben Verhaltensänderungen über die Zeit ihrerseits Einfluss auf gesellschaftliche Werte aus. Als Motor für Verhaltensveränderungen werden dabei auch kulturelle Entwicklungen gesehen. Technologische Errungenschaften haben Einfluss auf diese Entwicklungen. Die Vermutung liegt nahe, dass die digitale Medienentwicklung das Verhalten und die Werthaltungen der Schweizerinnen und Schweizer nachhaltig beeinflussen wird. Es ist keine neue Erkenntnis, dass dank der Digitalisierung die Bild: Photononstop « Die Jugend von heute sehnt sich nach Ruhe im Leben.» Welt mehr als je zuvor verbunden ist. Uns stehen unendliche Informationen zur Verfügung und – was es besonders spannend macht: Wir können auf diese jederzeit und überall zugreifen. Damit ist theoretisch die Basis für enorme Fortschritte in der Wissensgenerierung gegeben. Auch ein globales Vergleichen wird durch die digitale Medienentwicklung möglich. Man spricht vom globalen Dorf und zeigt damit die Ambivalenz zwischen einer gesellschaftlichen Kleinstgruppe und der gesam­ ten Weltbevölkerung auf. Wir leben in einem Zeitalter, in dem wir ohne Standortwechsel mit der ganzen Welt verbunden sind. Während der Kommunikationstheoretiker McLuhan warnend vermerkte, dass im globalen Dorf die Individualität www.vinum.ch plus VINUM-Digital 25 000 Weinbewertungen, Degustationsnotizen, Händleradressen in Ihrer Nähe, E-Mag und N Apps für das WeinA wissen unterwegs. w Lesegenuss für Weinliebhaber und Experten tz Das Angebot ist gültig, solange der Vorrat reicht. Alle Preise inkl. Steuer und Zustellgebühren. Auslandspreise auf Anfrage. Je Jetzt Schnupperabo sichern www.vinum.ch/schnupperabo [email protected] Tel. 071 844 91 53 t3 fü �x t r n es ur ten CH m F it 20 Pr .– äm ie • 3 VINUM-Ausgaben • Kostenloser Onlinezugang auf vinum.ch • 50% sparen gegenüber dem Einzelverkaufspreis (CHF 41.40) • Plus Prämie: Das kleine Weinlexikon mit über 900 Begriffen TRENDS & MACHER DIE WERTE DER JUGEND « Das Sicherheitsstreben wächst gerade auch bei den Jugendlichen stetig an. Damit einher geht eine höhere Wertschätzung von Ordnung.» durch eine kollektive Identität aufgegeben wird, scheint sich gerade die Jugend in ihrer Individualität global zu messen. Über Social Media präsentiert man sich und über verschiedenste Apps misst man sich. Die Grenzenlosigkeit bietet auch unendliche Möglichkeiten, mit denen wir erst zurechtkommen müssen. Der Alltag der Jugend ist ohne die neuen Medien nicht mehr denkbar. Begriffe wie Digital Natives, Head down Generation oder auch Generation Maybe versuchen daher die Veränderungen durch den Medienwandel zu umschreiben und der Jugend anzulasten. Fakt ist, dass sich die heutige Jugend zwischen 14 und 19 Jahren signifikant mehr als andere Altersgruppen für Unter­hal­ tungs- und Kommunikationsgeräte sowie für Computer und Informatik interessiert. Dies zeigt sich anhand der MACH-­ Studien der WEMF AG. Bei Downloads von Musik, Film und Spielen sind Jugendliche doppelt so aktiv wie der Rest der Bevölkerung. Zwei Drittel der Jugendlichen nutzen ausserdem mobiles Internet täglich oder fast täglich. Darüber, ob und welchen Einfluss dieses Verhaltensmuster auf die Werthaltungen der Schweizer in Zukunft hat, lässt sich allerdings nur mutmassen. Der mediale Umbruch dürfte so weitreichend sein wie der, den Gutenberg mit seiner Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert einleitete. Medienwandel in der Werbebranche Auf den Medienwandel müssen sich seit einiger Zeit verschiedene Branchen, wie die Werbebranche, einstellen. Das Nutzungsverhalten der Jugend lässt auf zukünftige Trends schliessen. Laut den Daten der MACH-Studien beachten bereits zwei Drittel der Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren Werbung in so­ zialen Netzwerken. Auch bei Werbung im Internet allgemein ist der Beachtungskreis im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der Schweiz bei den Jugendlichen höher. Dagegen beachten weniger Jugendliche Werbung in Printmedien wie Zeitungen, Zeitschriften oder auch Katalogen und Prospekten. Dies zeigt, dass die Werbung den Schritt Richtung digitale Medien mitmachen muss, wenn sie die neue Generation und die zukünftige Käuferschaft ansprechen möchte. Wenn es um das Empfinden von Werbung in den verschiedenen Medien geht, liegen die Meinungen der Jugendlichen und der Gesamtbevölkerungen allerdings noch sehr nahe. Weiterhin gelten klassische Medien wie Zeitungen und Zeitschriften als informativ und glaubwürdig. TV und grossflächige Plakate bieten, laut der Schweizer Bevölkerung, nach wie vor sehr attraktive Werbeflächen. Dagegen werden die digitalen Medien als Träger für Werbung weder mit dem Attribut Attraktivität noch mit demjenigen der Glaubwürdigkeit versehen. Mobile Apps und Handys sind als Werbeträger noch nicht akzeptiert. Zwar bietet das Internet vielseitige Möglichkeiten der Erhöhung der Informationstransparenz, doch leidet das Medium aufgrund der noch unzureichenden gesellschaftlichen Institutionalisierung und der fehlenden Kontrollierbarkeit der Informationen und deren Quellen noch immer an einem Glaubwürdigkeitsdefizit. Die Möglichkeiten für Werbung in den neuen Medien sind ausserdem noch lange nicht ausgeschöpft. Ausserdem sind gerade soziale Medien aber auch ein Weg, sich selber auszudrücken; sie bauen damit eine Intimität auf, welche durch Werbung gestört wird. Wie bei jeder, nennen wir sie mal überpointiert «Medienevolution» gehört eine gewisse Vorsicht zu Beginn dazu. Die Gesellschaft wird sich mit der Zeit aber auch hier an Werbeflächen gewöhnen und damit wird sich die Glaubwürdigkeit von Werbung in den digitalen Medien verfes­ tigen, denn in ihnen liegt die Zukunft. « Materialismus ist für die Schweizer Jugend kein Fremdwort.» 77