Ulrich Widmaier/ThomasKönig (Hrsg.) Technische Perspektiven und gesellschaftliche Entwicklungen Trends und Schwerpunkte der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland Studien zur gesellschaftlichen Entwicklung (SGE) Herausgegeben im Namen des Vorstands des Vereins zur Erforschung gesellschaftlicher Entwicklungen (VGE) von Prof. Dr. Rudolf Wildenmann und Prof. Dr. Manfred E. Streit Band 1 Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden Ulrich Widmaier und Thomas König Engpaßdiagnosen und Handlungsoptionen im Bereich sozialer Entwicklungen Gliederung 1. Demographische Trends: Ihre Ursachen und Folgen 11. Wertewandel 1. Bezugspunkte des Wertewandels 2. Wertewandel und gesellschaftliche Entwicklung 111. Stadtstrukturen, Verdichtungsräume,In!rastruktureinrichtungen l. Wohn- und Arbeitswelt 2. Technische Infrastruktur 3. Soziale Infrastruktur 3.1. Altenhilfe 3.2. Freizeiteimichtungen 29 F \ I I Engpaßdiagnosen und. Handlungsoptionen im Bereich sozialer Entwicldungen 1. Demographische Trends: Ihre Ursachen und Folgen . .' letzten Jahren die Geburtenraten stark geIn der Bundesrepublik smd m den . tiegen ist (in anderen europäisunken, während die Leb~iLSerwEart~nklg WegiteenraguefSgetreten bzw. werden mit ver.. ind ähnliche ntwIc un . .. schen Ländern s .. Die Fol e ist zunächst eme uberproschiedenen zeitlichen Abstand~n f~lgen). M hgn der eine sich beschleunidAnteils alterer ensc e , . ab poruonale Zun me es.. en wird Diese Entwicklung läßt sich auch . d plötzlich eine signifikante Zugende Abnahme der.Bevolke~ng folg . .d wenn WIder Erwarten un tf"' d Die Frauen die mit einer steigenden Ferdann mcht vermel en, nabme der Geburtenrate stat an e. ., ' . d nicht geboren wor.. .. k ang verhindern konnten, sm tilität den Bevolkerungsruc. g An· '1 der Kinder unter sechs Jahren an den. So hat sich von 1965 bIS 1985 der f 5t~~o verringert. Die neueste Modellder Gesamtbevölkerung von 10.1% au . B desministerium des Inneren: rechnung des Statistischen Bundesamtes (. : in der Bundesrepublik dAnnahme "Modellrechnungen zur BevölkerungsentWIc ung. .. F n" Bonn 1987) zeigt unter er . b's 1995 weiter steigenden LeDeutschland - aktualiSierte assu g, konstanter Fruchtbarkeitsraten (1984) und eI~er ~ die Entwicklung der deut. . n im einzelnen folgende Ergebmsse r benserwartu g . J h . 2030' Bevölkerungsentwicklung m der Bun. schen Bevölkerung bIS zum a re desr.epublik (Modellrechnung des Stat. Bundesamtes, 1987) 1985(ist) 1990 2000 2010 2020 2030 Altersgruppe in Millionen unter 20 20 bis 59 60 + 12,9 31,6 12,2 11,1 32,5 12,6 10,7 30,1 14,1 8,9 28,2 14,4 7,2 25,4 14,8 6,5 19,9 16,2 56,7 56,2 54,9 51,5 47,4 42,6 Insgesamt inv.H. unter 20 20 bis 59 60 + 23 56 21 20 58 22 19 55 26 17 55 28 15 54 31 15 47 38 Während der erwerbsfähige Bevölkerungsteil ~adurchh im dJeUgze:~b:l::~:~ . .. d' Bit ng durch dIe zune men des Gesundheitswesens und spürbar entlastet WIrd, wachst le . e a~ u . Menschen. Dies hat Folgen für die Fmanzierung des Rentensystems (siehe Bericht "Arbeitsmarkt"). Bei den derzeitigen Sterblichkeitsverhältnissen (1984) können rund 5% der Männer und fast 14% der Frauen ein Alter von 90 Jahren erreichen. 1950 bestand diese Chance nur für 3% bzw. 5%. Gerade die durch steigende Lebenserwartung überproportionale Zunahme sogenannter Hochbetagter (Alt-Senioren) wird aufgrund von notwendigen Pflegeleistungen zu beträchtlichen Belastungen des Gesundheitssystems führen (Schmähl: "Anpassung der Alterssicherung an veränderte Bedingungen". List-Forum, Bd.11, 1981/82; "Vierter Familienbericht Die Situation älterer Menschen in· der Familie". Bericht der Sachverständigenkommission des Dt. Bundestages, Bundestagsdrucksache 10/6145, Bonn 1986; OECD, 1987). Während diese Trends aufgrund vergangener und gegenwärtiger demographischer Entwicklungen gut abgesichert sind, müssen beim zukünftigen generativen Verhalten relativ gesicherte demographisch-strukturelle Komponenten von eher schwierig prognostizierbaren Verhaltensaspekten unterschieden werden. Die oben erwähnte Tatsache, daß bis heute zu wenig Mädchen geboren wurden, um einen Bevölkerungsrückgang in Zukunft zu verhindern, gehört zu den strukturellen Gegebenheiten. Die in Vergangenheit und Gegenwart beobachtbare geringere Neigung der Bevölkerung zu heiraten und Kinder zu bekommen, muß dem Komplex der verhaltensbedingten Ursachen eines zukünftigen Bevölkerungsrückganges zugeschrieben werden. Inwieweit gegenwärtig beobachtbare Trends zu größerer Ehemüdigkeit und geringerer Kinderzahl (Höhn, Ch., Ouo, J.: "Bericht über die demographische Lage in der Bundesrepublik Deutschland und über Weltbevölkerungstrends",in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft,l1, 1985, 4. S.46 ff.) in Zukunft anhalten werden, hängt im wesentlichen von der sozialen Lage der Bevölkerung und den ökonomischen Anreizstrukturen ab. Katrin Zapf ("Lebensphasen, Lebensstile und Stadtstrukturen", Beitrag zum Kongreß für Architektur und· Städtebau der Landesregierung BadenWürttemberg, Oktober 1987) spricht von der Pluralisierung der Lebensstile als Versuch der individuellen Bewältigung ungelöster sozialer Konflikte in der Gesellschaft, die fast alle auf eine Verkleinerung der Haushalte hinauslaufen. So kann die Zunahme der Singles und der Alleinerziehenden mit nur einem Kind insbesondere bei Frauen auf dem Hintergrund des ungelösten Konflikts zwischen Erwerbstätigkeit und Familienrolle erklärt werden (für eine erwerbstätige Frau ist ein "Pflegefall" genug (das Kind), einen weiteren (den Ehemann) ist sie nicht bereit, auch noch zu bewältigen). Auch Wohngemeinschaften sind inzwischen zumindest in den Städten längst keine Kommunen mehr, sondern zu Zweckgemeinschaften für billigen Wohnraum 31 30 _._._-----_._- _._---------_•._---- [r von im Prinzip Alleinlebenden geworden. Hausbesitzer, die ihre großen Wohnungen nicht mehr an Familien mit vielen Kindern vermieten können, sind zunehmend bereit, an Wohngemeinschaften zu vermieten, da letztere ihren Ruf als Orte sexueller Exzesse und politischer Subversivität völlig verloren haben (ökologisch orientierte Konununen auf dem Lande könnten unter Umständen als eine Fortsetzung der Konununenidee der sechziger Jahre mit anderen Mitteln und Inhalten betrachtet werden). Mit der Verringerung der Kinderzahl verkürzt sich automatisch auch die Zeit, die im Lebenszyklus für die Aufzucht von Kindern bestimmt ist. Entsprechend weiten sich andere Lebensphasen aus: die Postadoleszenz, die voreheliche und die nachelterliche Gefährtenschaft und nicht zuletzt die Ausweitung der Altersphase (unterteilt in Jung- und AltSenioren). Gleichzeitig erhöht sich die Zahl der Abweichungen vom "Normallebenslauf': Geschiedene, dauerhaft Unverheiratete, kinderlose Ehen ("Dinki " = double income, no kids) und Alleinerziehende. Hinzu treten es andere Entwicklungen, die einer Pluralisierung der Lebensstile Vorschub leisten: Öffnung des Bildungswesens, Anstieg des Zugangs zu Erwerbseinkommen bei Frauen und Vergrößerung des Einkommensanteils der Haushalte, der nicht für den unmittelbaren Lebensunterhalt benötigt wird. Lebensstile als Ausdruck sozialer Ansprüche und Interessen verlaufen dabei tendenziell quer zu den traditionellen Linien sozialer Schichtung (tendenziell deswegen, weil bestimmte (exklusive!) Stile mehr Einkommen oder Bildung erfordern und deshalb nicht frei als Lebensform gewählt werden können), In kleinen Haushalten und mit differenzierten Lebensstilen lassen sich inhaltliche Z~ele wie Emanzipation, Mobilität und sozialer Aufstieg leichter erreichen, Die Differenzierung der Lebensstile führt deshalb zu einer Schwächung des familialen Elements in der· Gesellschaft und ist damit ursächlich für den Rückgang der Geburten. Aber nicht nur die Soziologie liefert plausible "Erklärungen" für den zu beobachtenden Rückgang der Geburten, sondern auch die Ökonomie und dabei insbesondere die Familienökonomie. Die These vom "qualitativ" hochwertigen Kind besagt, daß bei steigendem Einkommen weniger die· Zahl der Kinder als die "Qualität" der Kinder erhöht wird (Ausbildung, Gesundheit, Zuneigung, Umgebung etc.). Dies hat seine Ursachen in der zunehmenden Bedeutung von nicht-monetären Nutzenfaktoren, die in die Kalküle der Eltern bei der Festlegung ihres generativen Verhaltens Eingang finden. Eine Verbesserung der materiellen Bedingungen führt nicht, wie z.B.· Malthus noch annahm, notwendigerweise zu einer steigenden Zahl von Kindern, sondern manifestiert sich in steigender Nachfrage nach mehr "Kinderqualität" (siehe Zimmermann, K..:"Familienökonomie. Theoretische und empirische Untersuchungen zur Frauenerwerbstätigkeit ' 1985; ders. (Hrsg.): Economic Theo o fund ' Geburtenentwickl" . ung, Berhn New York 19~7) °ImPt~alb ~opulatlOn, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg . u ngen kann man d ' gesellschaftliche Nutzen der Aufzu h . avon ausgehen, daß der ..c t von Kindern (z.B. als zukünftige Beitragszahier für dl'e R t en enverSlCh erung) . r . . Kosten privatisiert werden St tl' h p" .SOZla lSlert wIrd,· während die . aa lC e ramIen für Ki d Nachteil nur unzureichend tt E ' , n er machen diesen we. s 1st allerdmgs f li h "andern würden In ragE c,.. ob höhere Kompensationen an der Situat Ion ' etwas Thesen der Farnilienökonomie komm' ,. .. rgarlzung zu den Westfalen (Strohmeier K..P' "F 'l.t eme ~ngsschmttstudie in Nordrhein.. aIDllenentwlcklung in NRW G ' , Verhalten im sozialen und r eglOn . alen Kontext" H ft 47 d S h -. eneratlves ,e er c nftenreihe des Ministerpräsidenten des Landes N d h ' .or rem-Westfalen, Düsseldorf 1985) zu dem Ergebnis daß z B b . , . , elm ersten Kind der Ge en ' der Frau und dem "Kinderkr' ,,' ,g satz ZWIschen Erwerbstätigkeit legen welt wemger st k h . d ar wa rgenommen wird als bei der Entscheidung fü'r d as zweIte 'tend, Ki ' scheint eine DIes Erklärung dafür w . 0 er eVtI. d nt . , arum es sehr VIele Ein-Kind-Eh' mög~chen weiteren Kindern der "Mut verläßt", en gIbt und dIe Eltern bei ~le Tendenz zu kleinen Haushalten mit und ' " geWissen Widerspruch zu der h" f i " ohne Kinder steht m ewern soziale Netzwerke in ZUku: g gea~erte.n Erwartung, daß Familien und t verstarkt lffi Bereich d Humandienstleistungen "funkt'lOna1"lSlert " werden II er sogenannten (' Entbürokratisierung von sozialen d G ' so en StIchworte: . , un esundheItsdienst D ' , Pnvatlsierung) Diese Mod 11 d en, ezentrahslerung, . e e er Selbstbed' . Gesellschaft (Gershuny, 1978' W lenungs-. oder Informellen Eigenverantwortung und durch' D . Z~p~, 1987), dIe durch größere .. ezentrahslerung gep .. t P d ' Gutern aber vor allem D'lenstl' , N tzw rag ek ro uktlOn von elstungen m . ._ e er en, Informellen Organisationen, Haushalten und Famil' Marktversagen in bestimmten B . hlenverb.anden vorsehen, soll Staats- wie , erelC en gleIchermaßen k . durch dIe Revitalisierung der Idee d W ompensleren (z.B. ~r erkstatt als Ort der Produktion von Gütern und Dienstleistungen' ewerseits aber au h d ' 1 (Akzeptanz) der Produkte ande 'S'. h c er SOZIa en Vermittlung rerselts. le e dazu d Veränderung von Arbeit in ''Täti k . " . . en unterstellten Prozeß der H.: "Neue Stadtkultur, Von der g el~ mIt ho~e.r lll~ovativer Potenz bei Glaser, und Städtebaukon.greß der LaArdbelts- .zur Tatlgkeltsgesellschaft", Architekturn esreglerung Bad W" Oktober 1987) Dad h 11 en- urttemberg, Stuttgart , ' . urc so auch der möglichen E ' dualen Gesellschaft b . ntwlcklung hm zu einer egegnet werden m d . h d' , Mehrheit der sozial und ökono ' h" ,er SlC le DIstanz zwischen der ffilSC mtegnerten K erngruppen und der von der .Wohlstandsentwicklung "ab e h " " g angten Randgruppen vergrößert. 33 32 t . . g der Haushalte als individuelle Reaktion auf Die Tendenz zur verklemeruhn . H ffnung auf eine Wiederbelebung von .. · K nflikte mac t dle 0 gesellschaftliche 0 F nkti etwa im Sinne tradltlOnaler Familienverbänden als B~is sol~her EU bl ~nbtenalso nur die Möglichkeit der .. h nd illusonsch. s el Großfaffilhen zune me .. I d"d n Inwieweit der sogenannte ..' Kleinfannhen und n IVl u e . · Vernetzung von . Teile der Schattenwirtschaft dafür geeIgnete informelle Sektor oder bestImmte h . 1 mentiert haben ist eine ebenso dacht und sc on Imp e ' . . d 11 innovatIve Mo e e vorge . kl' n Modellversuch zur quasl. ff F Der Schntt vom eme . ort raktizierter Organisations-und spannende WIe 0 ene rage. flächendeckenden Im~leme~tatlO~ :uf :d des relativ gut erforschten Finanzierungsmode~~ 1St,.Wle:vrr im Gegensatz zu dem in größeren b d (Logik kollektiven Verhaltens von IndlVlduen m Klem~p~. . h al 't SchWlengkelten ver un en . Gruppen Wlssen, manc m nn . . kosten) Dezentrale und Handeins "Trittbrettfahrerproblem", OrgamsatlOns . Kindern ~, .' wie sie z.B. bei der Betreuung von "spontane Orgamsatlonsformen, h . d müssen ihre und Schülern im Nachbarschaftsbereich zu ~eob:~:e :~e;eich erst noch Tragfähigkeit bei Daueraufgaben.im Gesundhel.tsd-udies wo~l auf Dauer nicht . t . lle Anreizstrukturen Wlr beweIsen. Ohne ma ene.. . .. r h Kostendämpfungen bei solchen funktionieren. Dennoch waren dIe mog lC en Modellen erheblich. :;:u Wertewandel 1I. 1. Bezugspunkte des Wertewandels der in der Bundesrepublik und in d ' b . er Der spezifische Wertewandelschub, . h f . den sechzIger un SIe zlg anderen westlichen Indu.striegesellsc a ten ;it ehend abgeklungen, in seinen g Jahren stattgefunden hat, 1St als solcher zw;:.,. kl. hkeit aber noch keinesfalls 1~ lcdiesen Wertewandel belegen Auswirkungen auf die gesellschaftliche bewältigt. Empirische Untersuchungen konn en W t t wurden . daß nicht ausnahmslos alte durch neue erte erse z . ' . d konkurrierender Werte auszugehen 1St. und aufzeIgen,. sondern eher von einemhNe?:nem~h~:he Werte bei unterschiedlichen, aber Teilweise konnten auc Wl ers~ru wenn nicht sogar bei ein und auch bei ein und derselben Bevolkerung~gruPP~rundsätzlich betrifft dieser derselben Person, ausgemacht wer en. Wertewandel zwei Bereiche: a) Das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft; b) Das Verhältnis zwischen materiellen,· an der Verbesserung des wirtschaftlichen Wohlstands ausgerichteten Werten, und nicht-materiellen Werten, wobei diese ebenso auf geistigseelische, politische und ästhetische Ziele wie auf die Erhaltung der Natur ausgerichtet sein können. ad a) Individuum und Gesellschaft Den zahlreichen begrifflichen Umschreibungen des Verhältniswandels zwischen Individuum und Gesellschaft ist die Zunahme individualisierender sowie die Abnahme gemeinschafts- oder gesellschaftsorientierter Orientierungsund Handlungsweisen gemeinsam, die sich z.B. in Form einer Zunahme von Selbstentfaltungswerten wie Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit und Selbstverwirklichung gegenüber einer Abnahme . von Pflicht- und Akzeptanzwerten wie Gehorsam, Pflichterfüllung, Unterordnung, Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft ausdrückt (vgl. Klages: "Wertorientierung im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognosen", Frankfurt 1985). Diese Verschiebung zu mehr personen- oder persönlichkeitsbezogenen Werten steht jedoch nicht notwendigerweise unter Vorzeichen wie Ichbezogenheit, Selbstsucht oder Bindungslosigkeit, sondern ist vielmehr in Zusammenhang mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu sehen. Bindungen werden nach wie vor· sowohl rational als auch emotional als notwendig erachtet, deren institutionelle Vorgabe allerdings abgelehnt. Für überkommene Institutionen, ob Ehe oder Familie, Staat oder Gemeinde, ob Kirchen oder Gewerkschaften bedeutet ein solcher Wandel den Abbau vorgegebener Loyalitäten, der zu einem ständigen Legitimations- und Bewährungsdruck führt. Divergierende Ziele, Interessengegensätze und Konflikte müssen mittels neuer Zielvorgaben und Verfahrensweisen zum Ausgleich oder zumindest zu einem tragfähigen Kompromiß gebracht werden (vgl. Spiegel: "Der Wertwandel: Sozialkulturelle Voraussetzungen - baulich-räumliche Folge", in: Bericht der Kommission "Architektur und Städtebau" der Landesregierung von Baden-Württenberg, Stuttgart 1987). ad b) Materielle und nicht-materielle Werte Aufbauend auf einer Hierarchie der Bedürfnisse, innerhalb derer vitale Grundbedürfnisse wie physische oder ökonomische Sicherheit Priorität genießen, und emotionale, intellektuelle oder ästhetische Bedürfnisse, die über die Existenzsicherung hinausgehen, erst nach der Befriedigung der 35 34 ·;------------------~~-~---_._--- r c I Grundbedürfnisse zum Tragen kommen, ist der Wandel des Verhältnisses zwischen materiellen und nicht-materiellen Werten zunächst eine Folge der Zunahme der verfügbaren Einkommen und der sozialen Sicherheit. Ein Beweis hierfür ist sicherlich das Aufkommen und die zunehmend extensive Ausl~gung des Begriffs "Lebensqualität", der eine Vielzahl von landschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren umfaßt. 2. Wertewandel und gesellschaftliche Entwicklung Der Wandel der Lebensstile und des generativen Verhaltens bildet mit dem Wandel der Werteinstellungen einen sich selbst verstärkenden Regelkreis. Wir gehen deshalb, wie schon ausgeführt, nicht davon aus, daß sich der Wertewandel etwa im. Sinne von Inglehart (1979) homogen von materialistischen bzw. akquisitiven hin zu postmaterialistischen bzw. partizipativen Werten verlagert. Allerdings zeigt die empirische Forschung über Wertewandel deutlich, daß Selbstentfaltungs-und Selbstverwirklichungsvorstellungen in den grundlegenden Wertorientierungen an Gewicht zugenommen haben. Trotzdem gilt: der Pluralisierung der Lebensstile entspricht die Differenzierung der Werthaltungen in der Bevölkerung. Damit lassen sich Entwicklungen in diesem Bereich ebenfalls auf die demographischen Gegebenheiten und den Ausbau des Wohlfahrtsstaates beziehen. Die Bundesrepublik hat eine sehr unterschiedliche Altersstruktur, was zu r~lativ häufigen demographischen Wellen führt, die sich als "Problemberge" durch die Alterskohorten wälzen (dem Kindergartenengpaß folgt der Lehrermangel, der Studentenberg wird zur "Akademikerschwemrne" und mündet schließlich im. Ansturm der Rentner auf die Pensionskassen). Demographische Wellen sind auch "Konjunkturzyklen der Sozialstruktur" (vgl. Bericht der Kommission des Landes Baden-Württemberg: "Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen", Stuttgart 1983), die Differenzierungen der Lebenschancen von Alterskohorten bewirken. Während die Generation der 68-er über reichlich Optionen bei der Verfolgung einer Berufskarriere verfügte, sind die heutigen Absolventen der höheren Bildungsinstitutionen (und nicht nur diese!) in ihren diesbezüglichen Chancen weit eingeschränkter. Sozial und materiell hoch abgesicherten sogenannten Versorgungsklassen stehen eher unsichere Perspektiven der Erwerbstätigkeit bei Jugendlichen gegenüber. Der Hinweis auf die Notwendigkeit von Flexibilität wird angesichts des sehr geringen Arbeitsplatzrisikos bei denjenigen, die Flexibilität propagieren, gelegentlich als zynisch empfunden. Mit anderen Worten, Pluralisierung der Lebensstile und Differenzierung der Werthaltungen ist nicht nur eine Folge der durch wohlfahrtsstaatliehe Grundsicherung geschaffenen freien Wahlm.öglichkeiten, sondern auch ein Verhalten das sozusagen aus der Not geboren wird. Das bedeutet, daß neue bzw. verä;derte Werthaltungen .sowohl positiv als Ergebnis wohlfahrtsstaatlicher Entwicklungen, als auch qUasI negativ durch die Einschränkung von Lebenschancen bei best~~e~ Alters~ohorten und sozialen Gruppen entstehen. Dazwischen gibt .es. .~a~rlic~ Mischformen: die Bildungsförderung bei vorgezogener VollJahrigkelt und Wohngeldanspruch schafft die Phase der Postadoleszenz und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen der ,Frühpensionierung führen zu Jungsenioren, die sich dann doch nicht völlig vom Arbeitsmarkt abmelden. Der Umfan.g der alternativen Szene ist deshalb einerseits durch freigewähltes Aussteigertum bestimmt, andererseits aber auch ein Resultat blockierter ''bürgerlicher'' Karrierepfade. In der Zukunft scheinen uns vor allem vier soziale "Szenarien" die weitere Differe~ierung von Lebensstilen und Werthaltungen in den Industnegesellschaften des Westens zu bestimmen: die sozial hoch abgesicherten "Versorgungsklassen" mit geringem materiellen Lebensrisiko die leistungsorientierten, risikobereiten Spezialisten und "Manager" mit h~her Qualifikation (~cht gleichzusetzen mit hohem formalen Bildungsgrad), die a~fgrund des wlr~schaftlichen Strukturwandels mit Qualifikationsproblemen ~am.pfe~de~ Arbe~tnehmer und die Kategorie der freiwilligen und erzwungenen AussteIger . DIe vor allem aus politischen Gründen, freilich gezwungenermaßen mit reduziertem Tempo, weiter fortschreitende Entwi~klung des Wohlfahrtsstaates und die Verschärfung des Vert~l1un~skampfes um prinzipiell knappe positionale Güter (z.B. attraktive ArbeItsplatze), werden den Trend zur Pluralisierung der Lebensstile mit sich differenzierenden Wert- und Überzeugungssystemen auch in Zukunft anhalten lass~n... ?ie demograp~ische Dynamik und die dringend notwendige ~eXlbihsierung des ArbeItsmarktes und der Beschäftigungsverhältnisse werden ihren zusätzlichen Beitrag dazu leisten (siehe dazu Mackensen, R., E. Umbach ~d R. Jun~ (~sg.): ~'Leben im. Jahr 2000 und danach", Berlin 1984 (Ergebnisse em~.r S~dIe uber dIe Auswirkungen der Bevölkerungs-Entwicklung auf die ~Igen Lebensbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland (ABELPrOJekt». Die.se Entwicklung stellt erhebliche Anforderungen an die Politik, aber auch an dIe Anpassungsfähigkeit der sie tragenden Basisinstitutionen der parlam.~ntarischen Demokratie (Konkurrenzdemokratie) und der sozialen Marktwirtschaft. Je größer die Pluralität von Lebensstilen und Werthaltungen, 37 36 desto größer ist tendenziell die Zahl der unterschiedlichen Interessen .mit Ans ch auf Vermittlung und Berücksichtigung im politischen Prozess. Diese pru d Tb (". ") Pluralisierung macht sich in einer Veränderung sowohl er emen issues, die Gegenstand·der Diskussionen und Entscheidungen. werd.en, a~s. auch der Strukturen und Verfahren, in deren Rahmen die DiskussiOnen. und Entscheidungen ablaufen, bemerkbar. Zum Beispiel hat ein großer Tell der aktuellen Konflikte, die sich aus der unterschiedlichen Bewertung von Natur und Techcik (Wissenschaft) ergeben, seinen Ursprung in unterschiedl~chen objektiven Stadien und subjektiven Standards der Befriedigung matenel~er Bedürfnisse. Damit erhöht sich das Aggregationsproblem von Interessen beim politischen Unternehmer. Politik im klassischen Links-Rechts-Schema wird dabei den differenzierten Problemlagen kaum mehr gerecht. Dennoch führt die Logik des politischen Wettbewerbs zu Versuchen, ~estimrnte, auch sehr spezifische Interessen politisch zu vereinnahmen und ihre Forderungen zum Zwecke der Maximierung von Wählerstimrnen durch entsprechende Allokationsentscheidungen zu befriedigen. Dies birgt die bekannte Gefahr der finanziellen und regulativen Überforderung des Staates und beschleunigt das Problem der Verkrustung der Institutionen durch Gewährung von Sonderrechten und Privilegien (siehe dazu MancUf Olsons These von der "institutionellen Sklerose" moderner Gesellschaften). Die im evolutionären Aufbrechen von homogenen sozialen Klassenstrukturen liegende Chance zur produktiven Entfaltung und Differenzierung der Gesellschaft der Zu~unft, d~ nicht dadurch vertan werden, daß dem "Klassendenken" wIeder em "Standesdenken" folgt, welches die Verteidigung von Besitzständen aller Art zum ausschließlichen Interesse von sozialen Gruppen mit ähnlichen Lebenslagen und Lebenschancen macht. Schon gar nicht sollte die Politik d~zu Hilfestellungen im oben erwähnten Stile leisten. Die Konsequenz wäre, daß sIch hinter der Pluralisierung der Lebensstile und dem dazu gehörenden Wertewandel in Richtung auf fortschreitende Differenzierung nichts anderes verbergen würde als die Entstehung neuer Ungleichheiten, die zuminde~t al~ latente Konfliktfelder die Zukunftsentwicklung belasten würden. Wenn WIr bel der Verhinderung solcher Entwicklungstendenzen aber weder auf die umfassende staatliche Innovationspolitik noch auf die großen, weitsichtigen Unternehmer im Sinne von Schumpeter rechnen können, dann bleibt als der einzige vernünftige Weg die "Innovation von unten" (vgl. Wolfgang Zapf: "Gesellschaftliche Entwicklungstrends - Engpässe und Innovationsmöglichkeiten", Beitrag zum Kongress der Landesregierung von Baden-Württemberg "Stadt, Kultur, Natur Chancen zukünftiger Lebensgestaltung", Oktober 1987). Nur eine Kombination von Deregulierung, aktiver staatlicher und privater Gestaltung und Initiative "von unten" auf Gebieten wie neue Technologien und Selbsthilfe, oder der Arbeitsteilung zwischen Geschlechtern und Generationen kann verhindern, daß sich die abzeichnenden Engpässe zu Krisen ausweiten. III. Stadtstrukturen, Verdichtungsräume, Infrastruktureinrichtungen Städte und Dörfer, ihre strukturelle Ordnung, funktionale Gliederung und architektonische Qualität sind häufig ein Abbild der Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Entwicklungen, indem sie das Verhältnis des Bürgers zum Gemeinwesen, zur Wohn- und Arbeitswelt, und den Stand der Zivilisation und des kulturellen Niveaus zum Ausdruck bringen. Die gegenwärtigen Veränderungen der Beschäftigtenstruktur, der demographischen Struktur, sowie technologische Veränderungen haben alle Siedlungsformen stark, aber in unterschiedlichem Ausmaß getroffen. Arbeitslosigkeit, Umweltschutz, neue Haushaltsformen, hohe Ausländeranteile, sinkende Finanzkraft und Konkurrenz um die Ansiedlung von "neuen" Industrien sind Beispiele dafür. Der technische Fortschritt ist auch zur Herausforderung für Architektur und Städtebau geworden. Neue Basistechnologien wie Informations- und Kommunikationssysteme, Bio-, Energie- und Werkstofftechnik bedeuten zugleich einen Veränderungsdruck für die gewachsenen Stadt- und Siedlungsstrukturen. Zudem werden Siedlungsstrukturen vor dem Hintergrund sich wandelnder Wertvorstellungen und demographischer Faktoren verändert. Als Bezugsrahmen für die Analyse der räumlichen Auswirkungen dienen vier Dimensionen, deren Trends kurz dargestellt werden: a) Bevölkerung - die Bevölkerung der Bundesrepublik wird insgesamt abnehmen; ein steigender Teil der Bevölkerung wird Ausländer sein; die Integration und Assimilation der Ausländer (z.B. in Form von Einbürgerungen) wird verschwindend gering bleiben; - die Bevölkerung wird älter werden; - die Zahl der Haushalte wird zunehmen, folglich werden die Haushalte kleiner werden; - die Zahl der alleinerziehenden Mütter und Väter wird zunehmen. 39 38 b) Wirtschaft der Anteil der in tertiären Berufen Beschäftigten wird steigen; langfristig bedeutsam werden hier Entwicklungen im. Bereich der "sonstigen Dienstleistungen" (Gaststätten, GesundheItswesen und andere Dienstleistungen); die veränderten Qualifikationsanforderungen werden auch Rückkoppelungseffekte vor allem auf die jetzige ~ittels~hicht haben (Wandel der Mittelschicht durch Einkommens~Ifferenz.lerung) und zugleich wird sich die Zahl der Arbeitslosen zummdest bIS 1990, aber vielleicht auch bis zum Jahre 2000, kaum verringern (strukturelle Arbeitslosigkeit); ein erhöhtes Freizeitbudget Arbeitszeitverkürzungen ab; . h ne t zeiC . h SIC durch zunehmende eine weitere Veränderung wird die stärkere Erwerbsbeteiligung der Frauen sein. c) Technologien die Standortflexibilität von Unternehmen und Haushalten wird sich erhöhen; die "neuen" Technologien werden aufgrund eines sich verschärfen~en internationalen Konkurrenzdrucks schneller eingeführt und verbreItet werden müssen. d) Wertewandel eine individualisiertere Gesellschaft zeichnet sich ab; eine stärkere soziale Segregation infolge der Pluralisierung der Lebensstile und der unterschiedlicheren Einkommen ist anzunehmen; die divergierenden Vorstellungen über Problemlösungskonzepte (bezogen auf Arbeitslosigkeit, neue Technologien, Integration von Gastarbeitern) werden die Konflikte zwischen den gesellschaftlichen Gruppen verschärfen. Präzise kausale und quantitative Aussagen über die Auswirkungen der o.g. Trends. sind schwer möglich, da sich z.B. einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit um zwei Prozentpunkte keine räumliche Folge eindeutig zuordnen läßt. Daher sollen im folgenden nicht die räumlichen Effekte jedes einzelnen Trends, sondern nur für ausgewählte Probleme ausgeführt werden: - die Nachfrage nach Wohnraum wird sich bis in die frühen neunziger Jahre nicht verringern, den größten Anteil an dieser Nachfrage werden die "neu~n Haushalte" (zwei Erwerbstätige, nicht verheiratet, keine Kinder) haben (vgl. Kreibich: "Wohnversorgung und Wohnstandortverhalten", in: Friedrichs (Hrsg.), Die Städte in den 80er Jahren, Darrnstadt 1985); - von einer Rückwanderung in die Städte ist nur bei bestimmten sozialen Gruppen auszugehen; - eine räumliche Segregation wird unterstützt durch die wachsende Wohnnraunmachfrage der Ausländer. Integrationsprobleme verlagern sich hier hauptsächlich auf die zweite Generation (vgl. Esser: "Ausländische Bevölkerung und großstädtische Entwicklungen", in: Friedrichs (Hrsg.), Die Städte in den 80ger Jahren, Darmstadt 1985); - die Heimarbeit wird keine großen räumlichen Veränderungen, schon aufgrund ihrer wahrscheinlich geringen Verbreitung, verursachen; - in der Branchenstruktur werden "ältere" Städte infolge der Persistenz räumlicher Strukuren (Gebäude, Bodennutzung) weitaus größere Anpassungsprobleme als jüngere Städte haben; - diese Unterschiede (auch in der Höhe der Arbeitslosenquote und der vorhandenen Branchen) und die ohnehin bestehende größere Attraktivität des Südens (Klima, Nähe der Reiseziele etc.) werden das Nord-Süd Gefälle verstärken. Effekte einer funktionalen Arbeitsteilung der deutschen Großstädte können nur vermutet werden. Dennoch ist davon auszugehen, daß die Konkurrenz um neue Betriebe nur wenige der großen deutschen Städte stärken und die Arbeitsteilung unter ihnen vergrößern wird: Düsseldorf als Handelszentrum, Hamburg als Medienstadt, Frankfurt ~s Finanzkapitale und München und Stuttgart als Zentrum neuer Technologien. Die Konkurrenz impliziert Vorleistungen bzw. Hilfen an neue Betriebe und hängt wesentlich von der Verschuldungsfähigkeit einer Stadt und damit von Entscheidungen der 41 40 Landesregierung ab. Eine Krise der Stadt ist hieraus jedoch ni~ht abzul~it~n. Vielmehr handelt sich es um einen Strukturwandel, der dIe langfnstlge Ablösung einer Gesellschaft von der Industrie zu ein~r Dienstleistungsgesellschaft vorsieht (vgl. Friedrich: "Die Zukunft der Städte 1D der Bundesrepublik", Darmstadt 1985). Die neuen Technologien werden hier als eine der Hauptursachen für diese Veränderung verantwortlich gemacht. Gleichzeitig wird in deren verstärkten Nutzung ein Ausweg gesehen, international konkurrenzfähig zu bleiben und somit den hohen Lebensstandard zu erhalten. Inwieweit diese neuen Technologien Veränderungen und Möglichkeiten der räumlichfunktionalen Zuordnung von Arbeitswelt und Wohnen mit sich bringen und damit zu neuen, 'vielleicht individualisierteren Arbeits- und Wohnformen beitragen können, soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden. 1. Wohn- und Arbeitswelt Die bestehende unterschiedliche räumlich-funktionale Zuordnung von Wohn- und Arbeitswelt wird mit dem verstärkten Einsatz neuer Technologien in Frage gestellt. Für einige Branchen erscheint die Vorstellung einer Trennung von der Produktion infolge einer zunehmenden Roboterisierung, von den Teilfunktionen der Produktionssteuerung und -überwachung, der Planung, Verwaltung und Forschung langfristig realisierbar zu werden. Mit der Einführung neuer Informations- und Kommunikationssysteme können zumindest' aus technischer Sicht diese Teilfunktionen auch produktionsstättenfern ausgeübt werden und zu einem neuen Nutzungsgemisch von Arbeit und Wohnen führen. Eine extreme Form einer räumlich dezentralen Standortwahl ist die Heimarbeit am Bildschirm ('Teleheimarbeit"). Abgesehen von den rechtlichen und sozialen Problemen wie Datenschutz, Kontrolle oder Isolation würde eine Verbreitung der Teleheimarbeit zu einer Neuformulierung der Anforderungen an Wohnungen führen. Dem geringeren Flächenverbrauch durch traditionelle Bürogebäude steht hier eine erhöhte Flächennachfrage pro Kopf der Wohnbevölkerung gegenüber. Eine Potentialabschätzung für Teleheimarbeit nehmen HenckeljNopper ("Einflüsse der Informationstechnologie auf die Stadtentwicklung", in: Friedrichs (Hrsg.), Die Städte in den 80er Jahren, Darmstadt 1985) vor. Durch Teleheimarbeit könnten danach 60% aller Tätigkeiten mit Wiederholungscharakter (Schreib- und Übersetzungsarbeiten, Auskunftsdienste und Beratungen, Bestellwesen, Versand etc.) und 30 bis 40% der Beschäftigungen in den Bereichen Organisation und Datenverarbeitung (Gutachter, Planung, Softwareentwicklung etc.) ausgeübt werden. Dennoch wird auch hier angemerkt, daß die Teleheimarbeit voraussichtlich nicht in Reinkultur auftreten wird und eher von ~iner M~~chform 'Heimarbeit/traditioneller Arbeitsplatz" auszugehen ist, die Je~oc~ e1D~n erhöhten Flächenverbrauchzur Folge hat. Begünstigt wird diese M~gh~hkelt.durch veränderte Arbeitsformen wie freie Mitarbeit, Halbtags- und Tel1zeltarbelt, aber auch durch steigende Kleinbetriebsgründungen gerade in Branchen, die bisher großen Einheiten vorbehalten schienen (Elektronik Forschu~g und Entwicklung). Diese Neugründungen zeichnen sich weitgehend d~rc~ e~ne hohe .Arbeitsintensität und Kapitalschwäche aus und liegen daher haufig 1D oder 1D der Nähe der Wohnungen. Ein Aspekt zugunsten der Nutzungsmischung ist auch in der verbreiteten Selbsthilfe, Nachbarschaftshilfe u~d Hobb~bewegung zu sehen, deren ganzheitliche Eigenproduktion häufig zu eI~er quas~-g:wer?lichen ,unterwanderung mancher Wohngebiete führt (vgl. EInseie: RaumhchfunktlOnale Veränderungen zwischen Wohn- und Arbeitswelt", Stuttgart 1987) Die räumlich-funktionale Zuordnung von Wohnen und Arbeiten ist jedoch heute und wohl auch zukünftig von folgenden Faktoren abhängig: - der funktionalen Verträglichkeit der beteiligten Nutzungen, z.B. Emissionen/Immissionen, Erschließungsanlagen und .-belastungen (Straßenausbau, Schwerverkehr etc.); - b~sonders t:ennungs- oder ~ber mischungsfreundlichen Standortbedingungen Wie ~.B. .~ahe von EnergIeträgern oder Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeltskraften, aber auch der Kundenbasis; - allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellungen und Erwartungen zu den Voraussetzungen für Trennung bzw. Mischung von Funktionen wie z.B. die Verträgli~.hk~it oder Erträglichkeit gegenseitiger Beeinträchtigungen, die Verseibständigung und Loslösung des Arbeitsprozesses aus den übrigen Engagements und Beziehungen (derzeit wird die Distanz zum Arbeitsort häufig mit erhöhter Lebensqualität verbunden); ~en o.g..Faktoren spielt der Bezugsraum, innerhalb dessen getrennt oder ge~scht WIrd, eine entscheidende Rolle. Danach bemißt sich, ob ein bestImmter Durchdringungsgrad noch als Mischung oder bereits als Trennung empfunden wird. - bei 42 43 2. Technische Infrastruktur Die Entwicklung von Siedlungsstrukturen, die Verteilung von Wohn- und Versorgungseinric.htunge~. un~ Arbeitsstätten, von zentralen . 't' 'chtungen die Ent- und Versorgung sind ohne dIe Zuganghchkelt , . . F reIZei emn . t PKW kaum denkbar. Die Verfügbarkelt emes durch den pnva en d leistungsfähigen Straßenverkehrssystems förderte bis~er die Trennung ~r Funktionen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, BIlden, ~rhol~n. ~Ie .h I'ch dadurch aus daß sie ZugänghchkeitsvorteIle Flächennutzungen zeiC nen s . , .' . .. für den PKW und damit eine erhöhte Mobilität durch mdIVlduelle motonslerte Verkehrsmittel schaffen. Die Integration von Siedlungsstrukturplanung und Verkehrsinfrastrukturplanung wurde hierbei selten vollzogen und daher tr~ten Konflikte immer mehr in den Gebieten auf, wo Wohn- und ?ewerbegeblete ohne Berücksichtigung der Folgewirkungen durch Ver~~hr reallSlert wurden. In der Regel wird erst nach der Feststellung der völligen Uberlastung beste~ender Verkehrsstraßen nach Verkehrslösungen gesucht, die je~och .Fehle~ m d~r Standortwahl nicht beheben können. Hier wäre sicherhch ~me dIe Gemeindegrenzen überschreitende Verkehrsplanung erford.erhch. I~ wesentlichen stellt sich in diesem Bereich die Frage, welche AusWIrkungen die nach dem Jahr 2000 absehbaren sozio-demographischen oder auch technologischen Veränderungen auf die Verkehrssysteme hab.en wer~en. Derzeit verzeichnen schon viele öffentliche Verkehrsmlttel._ emen Kundenstammruckgang, der im wesentlichen auf eine abnehmende S.chul~r~ahl zurückzuführen ist (dieser Trend ist jedoch nicht bundesemh~~thch). Gleichzeitig ist ein Trend einer ansteigenden privaten Mo~orlSle~ng auszumachen, der dem öffentlichen Personennahverkehr TeIle S~I~er Existenzgrundlage entzieht und vor allem im länd~ichen Raum elm~e öffentliche Verkehrsmittel verschwinden läßt. TechnologIsche Verbesserung m Form von _ Reduktion der Schadstoffemissionen durch die Einführung der Katalysatortechnik, _ Verringerung der Lännentwicklung z.B. durch Flüsterasphalt, _ Einführung von Zielführungssystemen (Routenwahl), _ Einsatz künstlicher Intelligenz zur umfassenden Erhöhung der Verkehrssicherheit kommen dem Straßenverkehrssystem umnittelbar zugute und unterstreichen die Wettbewerbsfähigkeit des individuellen Verkehrsmittels. Integrierte Lösungen der Stadt-, Landschafts- und Verkehrsplanung werden daher zukünftig an Bedeutung gewinnen (vgl. Schönharting: "Veränderte Voraussetzungen der technischen Infrastruktur Verkehr", Stuttgart 1987). 3. Soziale Infrastruktur Die soziale Infrastruktur weist ein weites Spannungsfeld auf, das von der Sicherung elementarer Existenzgrundlagen bis zur Vermittlung anspruchsvollen Bildungsguts reicht. Einer der entscheidenden Bestimmungsfaktoren der sozialen Infrastruktur ist die demographische Entwicklung, die den Bedarf und die Wirtschaftlichkeit der Einrichtungen bemißt. Geringere Auslastung der Kindergärten, die Ausweitung der Einzugsbereiche und die damit verbundenen Beförderungsprobleme sind nur einige Beispiele, die sich aus den rückläufigen Bevölkerungszahlen ergeben. Andere Faktoren wie z.B. Werturteile über die sinnvolle Größe solcher Einrichtungen oder die Veränderung der Familienstruktur spielen bei der Bewertung und der Planung eine maßgebliche Rolle. Exemplarisch sollen im folgenden kurz zwei Teilbereiche behandelt werden, die von den zu erwartenden Trends der demographischen Entwicklung, aber auch von der voraussichtlich weitergehenden Arbeitszeitverkürzung und des vorzeitigen Altersruhestandes, besonders betroffen sein werden: - die Altenhilfe, - die Freizeiteinrichtungen. 3.1 Altenhilfe Die Bedeutung der Altenhilfe ergibt sich aus dem steigenden Anteil der Altersgruppe "über 60", der im Jahr 2030 voraussichtlich 38 % betragen wird (1985: 21 %). Bei der Bevölkerung "über 60" steigt dazu noch infolge der höheren Lebenserwartung die Zahl der Hochbetagten ("über 85") auf fast das Doppelte. Die Versorgung alter Menschen konzentrierte sich bisher auf die Unterbringung in Heimen. Altengerechte Wohnungen und Altenwohnheime stellen hier sinnvolle Alternativen dar, die auch einen Beitrag zur notwendigen Kostendämpfung leisten könnten. Bei der Planung von altengerechten Wohnungen kommt der Lage die entscheidende Bedeutung zu, Schwierigkeiten auch bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sind hier zu berücksichtigen und räumen einem guten Fußwegenetz mit der Erreichbarkeit aller zentralen 45 44 Einrichtungen Priorität ein. Zudem setzt dieses Modell ein funktionierendes System offener Hilfen voraus, das sich auf häusliche Dienste, Mahlzeitendienste, Hausnotruf-Systeme, aber auch· Begegnungsstätten oder Erholungseinrichtungen erstreckt. Neben dieser Form werden Altenheime und Altenpflegeheime nicht an Bedeutung verlieren. Als Eckwert für den Pflegesatzbedarf werden derzeit nicht unumstrittene 2% der über 65jährigen angenommen. Kapazitätserweiterungen müssen hier sicherlich mit der zu erwartenden steigenden Zahl von Hochbetagten vorgenommen werden. 3.2 Freizeiteinrichtungen Generell kann infolge von voraussichtlich steigender Verbreitung der Arbeitszeitverkürzungen und der vorzeitigen Altersruhestandsregelungen von einem wachsenden Bedarf an Freizeiteinrichtungen ausgegangen werden. Gegenläufige Tendenzen stellen hier die steigende Frauenerwerbsbeteiligung und Teilzeitbeschäftigung von Schülern und Studenten dar, die jedoch mehr die Art und Weise der Freizeitnutzung verändern werden. Mit eher fortschreitender Arbeitszeitflexibilisierung wird eine Familienfreizeit, die sich zudem fast ausschließlich am Wochenende orientierte, unwahrscheinlicher. Die Individualisierung der Arbeitszeit bewirkt auch eine Individualisierung der Freizeit und damit sicherlich eine Veränderung der Nutzung von Freizeiteinrichtungen. Dazu kommt noch, daß die Freizeitinteressen einem laufenden Wandel und auch modischen Trends unterliegen, die eine längerfristige Phmung erschweren und auch hier nur einige Aussagen über generelle Aspekte erlauben. Allgemein sollte bei der Planung von Freizeiteinrichtungen der Umweltschutz (verringertes Verkehrsaufkommen) und der stadtnahen Erholung besonderes Augenmerk geschenkt werden. Generationsspezifische Freizeiteinrichtungen dürfen nicht übersehen und· die Trennung der Aktionsbereiche der jüngeren und älteren Generation müssen zumindest teilweise berücksichtigt werden. Weiterhin ist anzunehmen, daß die Verzahnung von Alltag und Freizeit zunehmen wird, und damit eine Multifunktionalität von Gebäuden eingeplant werden sollte (vgl. Gerhardt: "Veränderte Voraussetzungen der sozialen Infrastruktur", Stuttgart 1987). 46