âventiure? waz ist daz? And shortly for to tellen as it was, Were it by aventure, or sort, or cas, The sothe is this, the cut fil to the knyght, Of which ful blithe and glad was every wyght. [Langer Rede kurzer Sinn, war es nun Zufall, Vorsehung oder ein glücklicher Umstand, Tatsache ist die, daß das Los auf den Ritter fiel, weshalb ein jeder voll Zufriedenheit und glücklich war. Geoffrey CHAUCER, The Canterbury Tales, General Prologue, 844 f.] Wir befinden uns nun mitten in den Vorbereitungen zur Schwertleite Tristans im gleichnamigen mittelalterlichen Versroman GOTTFRIEDs VON STRASSBURG, da bricht der Erzähler mitten in der üblichen Schilderung der enormen Prachtentfaltung mit einem nahezu ebenso üblichen Bescheidenheitstopos ab und gibt uns nunmehr Kunde von seinen literarischen Kenntnissen, Vorbildern und Ansprüchen. Eines jener Vorbilder ist völlig zu Recht und überdies auch völlig richtig erkannt HARTMANN VON AUE: Hartman der Ouwaere âhî, wie der diu maere beide ûzen unde innen mit worten und mit sinnen durchverwet und durchzieret! wie er mit rede figieret der âventiure meine! wie lûter und wie reine sîniu cristallînen wortelîn beidiu sint und iemer müezen sîn! [Der Hartmann von Aue (Der Artikel muß hier verstanden werden wie bei der Monroe, als Zeichen der Einzigartigkeit), wow, wie der die (jeweilige) Geschichte gleichermaßen auf Erzähl- wie auf Sinnebene mit Worten wie mit dem gemeinten Sinn ausmalt und durchstylt! Wie er in der Erzählung der âventiure meine Gestalt werden läßt! Von daher ist seine brillante Sprache glasklar und unverdorben und wird es auch immer sein! GOTTFRIED VON STRASSBURG, Tristan, 4621 f.] Dem aufmerksamen Leser wird schwerlich entgangen sein, daß die Zentralbegriffe in GOTTFRIEDs Loblied, der Titel dieses Buches und damit letztlich das, worum sich 25 im folgenden alles dreht, unübersetzt geblieben ist. Übelwollende, die dem Autor kurzschlüssig unterstellen, diese Unterlassung spreche Bände von Defiziten hinsichtlich seiner Übersetzungskunst, liegen insofern nicht vollends daneben, als ich tatsächlich Bände von dem sprechen will, was es meint, wenn es heißt: der âventiure meine. Nicht nur, daß diese Wendung weniger übersetzbar denn verstehbar ist; es sollte Aufgabe eines Wörterbuches sein, nicht lediglich ein Buch voller Wörter zu sein, sondern im besten Falle alle Facetten eines Begriffes in seinem Wort- und Sinnzusammenhang darzustellen und auszuleuchten. Dieser Sinnzusammenhang ist nun aber ungleich mehr als die Summe seiner Verwendung in mittelalterlichen Romanen, er ist schlicht Faktor wie Produkt allen Erzählens im höfischen Kontext. Wenn aber das, um das sich dort wie hier alles dreht, in einer kurzen, profanen Formel faßbar wäre, dann wäre dem mittelalterlichen Ritterroman in demselben Maße die Existenzgrundlage entzogen wie dieser Untersuchung, und dem ist ja offensichtlich nicht so. Fragen wir uns aber ruhig einmal andersherum, welchen Sinn ein Buch mit dem Titel Der Name der Rose hätte, wenn irgendwann zwischen Vesper und Komplet der Begriff Rhodon Foetida fiele. Das wäre entweder ein schlechter Scherz (wenngleich einem genialen Autor wie ECO durchaus zuzutrauen) oder schlicht eine Enttäuschung, wie sie seinerzeit einigen Kritikern bei der Uraufführung von T. S. ELIOTs Stück Murder in the Cathedral in Venedig widerfuhr. Nur hatten die eben ein Kriminalstück erwartet, vorgesetzt bekamen sie Schwerverdauliches aus der scholastischen Cuisine. Hätte das Stück beispielsweise den Titel Thomas B. gehabt, hätte es womöglich auch ein Bestseller werden können. Hätte ECO hingegen, wie ursprünglich einmal in Erwägung gezogen, den marktschreierischen Titel Die Abtei des Verbrechens gewählt, so stünde sein Roman heute wahrscheinlich in meinem Regal zwischen Raymond CHANDLER und Nicolas FREELING. So aber gab es keine Titelprobleme, und nach dem Debakel von 1952 haben wir endlich einen richtigen Krimi aus dem Mittelalter. Doch zurück zu meinem Titel, der so ganz mein Eigen leider auch nicht ist. Unter demselben Titel erschien 1975 in der Reihe MEDIUM AEVUM ein hochgelehrter Aufsatz von HAUG, in welchem er, wie so oft noch, sinnreiche, ja fast beweisbare Spekulationen über etwas anstellt, das leider nicht überliefert ist; die Rede ist von dem Prolog des Erec von HARTMANN VON AUE. Gottlob befinde ich mich mit dieser Art Titelklau in so schlechter Gesellschaft nun auch wieder nicht, nannte doch mein Lehrer Harald FRICKE einen Vortrag zum 60. STACKMANNs nicht umsonst in Anlehnung an Karl KRAUS "es". Freilich hat er da aber auch eine Sache auf den Punkt gebracht, die der EIGENLOB-Kenner wohl eher in der huldvolleren Fassung seines Namens für würdig erachtet hätte: 26 Linguistische, sprachgeschichtliche, logische und sprachphilosophische Anmerkungen zum deutschen Impersonale samt einer Anwendung auf die Literaturwissenschaft nebst einigen wissenschaftsgeschichtlichen Exkursen unter Einschub eines Seitenhiebes auf die Psychoanalyse mit abschließenden Grundsatzüberlegungen zu den Möglichkeiten und Zielen wissenschaftlicher Sprachkritik. Fragen wir uns nun aber einmal, was der bislang so oft erwähnte HARTMANN selbst zum Komplex der âventiure zu sagen hat, und zwar in Texten, die tatsächlich auf uns gekommen sind. Wir befinden uns nunmehr zu Karidol, einem der Orte, da Artus Hof zu halten pflegte, es ist um Pfingsten, und man hat ausgiebig getafelt. Man tut sich zu diversen Gruppen zusammen, um Kurzweil zu pflegen. Daselbst bildet sich auch ein Kreis interessierter Zuhörer um einen Ritter namens Kalogrenant, der nun ein Erlebnis erzählen wird, welches ihm auf seinen Fahrten als irrender Ritter oder Chevalier errant widerfuhr, und von dem wir schon in demselben Moment, da er anhebt zu erzählen, wissen, daß es die Geschichte eines Versagens sein muß. Denn eines werden wir im Verlaufe unserer Beschäftigung mit etlichen Romanen noch erkennen: Der ritterliche Erfolg spricht immer für sich selbst, und es verstößt im höchstem Maße gegen die Hofetikette, sozusagen am Lagerfeuer von seinen Erfolgen zu prahlen. Dies ist Metier und Kennzeichen von Keie, dem Hofknigge, der aber nur deshalb ständig für sich selbst sprechen muß, weil die Taten und deren Täter, Gott sei's geklagt, aber auch immer gegen ihn sprechen. Wenn also einer einen Schwank aus seinem Leben zum besten gibt, dürfen wir uns über folgende Sachverhalte im klaren sein: Entweder ist es Keie, und dann hört sowieso keiner mehr hin, oder ein Ritter erzählt ein Mißgeschick. Dann aber wissen wir gleichzeitig, daß er es überlebt hat und es so schlimm nun auch wieder nicht gewesen sein kann und daß darüber hinaus womöglich noch eine nette Pointe enthalten sein kann. Wichtig für uns ist nunmehr eine scheinbar unwesentliche Begegnung Kalogrenants am Rande (auch am Rande der Oikumene übrigens, jenem Gebiet, wo auch die Geschichten ganz anderen Gesetzmäßigkeiten folgen, als dies unsere Mediävisten auch nur ahnen). Dort trifft er auf ein Ungeheuer von Wesen, versehen mit allen Attributen unhöfischen Aussehens wie Gebarens. Das ist gleichwohl aber weder aggressiv noch uninteressiert oder ungelehrig, grad so, wie wir also auf so einen Ritter wirken mußten, sind wir nicht gleich von der pfadfinderischen Besserwisserei gewisser Yankees aus Connecticut. Nachdem nun der Waldschrat gutmütig Auskunft über sich gegeben hat, etwas, was ein Ritter gegenüber einem Gegner nur im Moment der Niederlage zugäbe, fragt dieser nun seinerseits Kalogrenant, wes Geistes Kind er wohl sei, und es entwickelt sich folgendes Gespräch: 27 'nune sol dich niht betrâgen, dune sagest mir waz dû suochest. ob du iht von mir geruochest, daz ist allez getân.' ich sprach 'ich wil dich wizzen lân, ich suoche âventiure.' dô sprach der ungehiure 'âventiure? waz ist daz?' 'daz wil ich dir bescheiden baz. nû sich wie ich gewâfent bin: ich heize ein riter und hân den sin , daz ich suochende rîte einen man der mit mir strîte, der gewâfent sî als ich. daz prîset ihn, und sleht er mich: gesige aber ich im an, sô hât man mich vür einen man, und wirde werder danne ich sî. sî dir nû nahen ode bî kunt umb selhe wâge iht, des verswîc mich niht, unde wîse mich dar; wand ich nâch anders nihte envar' Alsus antwurt er mir dô 'sît dîn gemüete stat alsô daz dû nâch ungemache strebest und niht gerne sanfte lebest, ichn gehôrte bî mînen tagen selhes nie niht gesagen waz âventiure waere:' ["Nun sollte es dir nicht schwerfallen, mir den Anlaß deiner Unternehmungen zu nennen. Was du von mir wissen wolltest, habe ich gesagt." Ich erwiderte: "So laß dir gesagt sein, ich suche âventiure." Da erstaunte sich das Ungeheuer: "âventiure? Was ist das?" "Das will ich dir gern erklären. Sieh mal her, wie ich (aus-)gerüstet bin: Meine Bezeichnung lautet Ritter, und meine Beschäftigung besteht darin, daß ich umherreite und Leute zum Kampf suche, die ähnlich uniformiert sind wie ich. Geht der Kampf zu seinen Gunsten aus, so mehrt dies seinen Ruhm, gewinne ich hingegen, so steige ich im Ansehen der Leute und - sit venia verbo - in der Computerweltrangliste. Kennst du nun dergleichen Möglichkeiten in dieser Gegend, so verhehle sie mir nicht, sondern zeige mir die Richtung, wo mir doch nach nichts anderem der 28 Sinn steht." Darauf entgegnete er mir all so: "Wenn dir nun der Nervenkitzel mehr behagt als die Bequemlichkeit, dann habe meiner Lebetage nie von dergleichen gehört, was dem Begriff âventiure nahe käme". HARTMANN VON AUE, Iwein, 520 f..] Das können und wollen wir natürlich nicht unkommentiert stehen lassen, so sehr auch die Übersetzung bemüht ist, die Worte aus dem berufenen Munde des Fachmannes im rechten Lichte erscheinen zu lassen. Wir können sie aber auch schon deshalb nicht einfach so dastehen lassen, weil den meisten Lesern mit Sicherheit das Augenzwinkern HARTMANNs entgangen sein dürfte. Soviel sei hier schon mal vorweggenommen: Wenn in einem mittelalterlichen Roman oder Maere ein Mensch, sei er Ritter oder Knecht, im guten Glauben seiner Expertenrolle eine Definition vornimmt oder einen guten Rat erteilt, dann dürfen wir hier zweier Konsequenzen versichert sein. Zum einen geht die Probe aufs Exempel grundsätzlich schief, und das nicht von ungefähr, und zum anderen werden solch bierernste Expertisen beim Publikum nahezu unkontrollierte Heiterkeitsausbrüche zur Folge gehabt haben. Wer mir in diesem Punkte nicht zu folgen vermag, dem seien dergleichen Offenbarungen neueren Datums hülfreich zur Hand gereicht. Wird beispielsweise eine einstellige Nummer der Computerweltrangliste gefragt: "dorch got, wat es tennis?“, und wir erhalten zur Antwort: "bumm, bumm!", dann kann uns dies erheitern oder erschüttern, nimmermehr aber aufklären. Diese Reihe von geradezu olympischen Erleuchtungen ließe sich beliebig fortsetzen, wir aber wollen mildes Verständnis walten lassen, nicht jedoch, ohne zuvor all jenen, die es immer noch nicht begriffen haben, zuzurufen: "Ein Fußballspiel dauert zweimal 45 Minuten, gelle". So sehr nun auch dieser kurze Exkurs in die Welt mannbaren Turniers bei manchem den Eindruck erweckt haben könnte, so groß wollen am Ende die Unterschiede zwischen damals und jetzt schon gar nicht gewesen sein, der spitze die Ohren, er soll eines Besseren belehrt werden. *** 29