Kapitel 8 Temperatur und Gase 8.1 Die Brownsche Molekularbewegung Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde die Vorstellung von einem atomaren Aufbau der Materie noch von vielen Wissenschaftlern abgelehnt. Es war damals natürlich noch niemandem gelungen, einen einzigen direkten Beweis für die Existenz von Molekülen oder Atomen zu erbringen. Auch war es schon relativ früh klar, dass die Grösse von Atomdurchmessern etwa 10–9 bis 10–10 m sein müsste, und niemand hatte die Hoffnung, ein so kleines Teilchen nachweisen zu können. Physik 361 Temperatur und Gase Der englische Botaniker R. Brown1 hatte schon im Jahre 1827 unter einem Mikroskop beobachtet, wie im Wasser suspendierte Blütenpollen eine dauernde unregelmässige Bewegung ausführten. Siehe Abb. 1. Er gab keine Erklärung, warum solche Teilchen sich so verhielten. Experiment: Brownsche Bewegung (Live mit Mikroskop) Im Jahr 1905 entwickelte Einstein2 seine Theorie der Brownschen Bewegung. Er schrieb3: “Mein Hauptziel dabei war es, Tatsachen zu finden, welche die Existenz von Atomen von bestimmter endlicher Grösse möglichst sicherstellen. Dabei entdeckte ich, dass es nach der atomistischen Theorie eine der Beobachtung zugängliche Bewegung suspendierter mikroskopischer Teilchen geben müsse, ohne zu wissen, dass Beobachtungen über die “Brownsche Bewegung” schon lange bekannt waren.” Die grundlegende Annahme Einsteins war, dass die Brownsche Molekularbewegung von den Stössen der Flüssigkeitsmoleküle auf die Teilchen erzeugt wird. Die suspendierten Teilchen sind natürlich sehr viel grösser als die Moleküle der Flüssigkeit und werden deshalb von allen “Seiten” von ihnen gestossen. 1. R. Brown (1773-1858) 2. A. Einstein (1879-1955) 3. in seinen autobiographischen Bemerkungen 362 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Brownsche Molekularbewegung 15 7 16 11 10 12/14 8 9 6 5 13 19 17 18 20 25 21 4 22 38 23 24 37 3 27 2 26 31/33 34 28 1 32 29 30 t = 1/6 Sekunde 0 Figur 1. .01 36 35 .02 .03 mm Illustration der Brownschen Bewegung. Wäre das suspendierte Teilchen sehr gross, und wäre die Anzahl der anderen Moleküle hoch, so würden im Mittel von allen Seiten zu jeder Zeit gleich viele Stösse geschehen, so dass das suspendierte Teilchen in Ruhe bleibt. Wäre das suspendierte Teilchen klein und die Anzahl der stossenden Moleküle gering, würden die Stösse unregelmässig geschehen. Das suspendierte Teilchen verhält sich wie ein sehr grosses Molekül, und Physik 363 Temperatur und Gase seine Bewegung sollte qualitativ der der Flüssigkeitsmoleküle entsprechen. Wäre die Anzahl der Flüssigkeitsmoleküle pro Einheitsvolumen sehr gross, so gäbe es keine Fluktuation, und es würde keine Brownsche Bewegung stattfinden. Wäre diese Anzahl andererseits sehr klein, so wäre die Brownsche Bewegung sehr “heftig”. Es folgt daraus, dass die Anzahl der Flüssigkeitsmoleküle pro Einheitsvolumen aus der Brownschen Bewegung berechnet werden kann, und diese Anzahl wurde zum Beweis der atomaren Theorie erfolgreich benutzt. Gibt es eine physikalische Grösse, die der Bewegung der Moleküle entspricht? Als wir die Materie in Kap. 7.6 mikroskopisch beschrieben haben, konnten wir die Moleküle nicht als “tanzende” Teilchen darstellen. In Wirklichkeit werden alle Teilchen eine solche Bewegung machen. Man beobachtet, dass in allen Phasen der Materie (Gase, Flüssigkeiten sowie Festkörper) die Atome oder die Moleküle eine Art von dauernder unregelmässiger Bewegung aufweisen: 1. 2. in Gasen werden sich die Gasmoleküle durch das gesamte Volumen bewegen, das das Gas einnimmt. in Festkörpern oder Flüssigkeiten werden die Atome oder Moleküle um ihre Gleichgewichtslage schwingen. Diese Bewegung nimmt mit der Temperatur zu und wird deshalb als thermische Bewegung bezeichnet. 364 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Ausdehnung Die thermische Bewegung ist für die Änderung des Zustandes oder der Phase der Materie mit der Temperatur verantwortlich. 8.2 Thermische Ausdehnung Bei einer Temperaturänderung beobachtet man gewöhnlich eine Änderung der Grösse der Materialien. Im Allgemeinen werden Körper sich bei einer Erhöhung der Temperatur ausdehnen. Experiment: Dilatations-Apparat Ein Stab wird geheizt und dehnt sich aus. Wenn er sehr heiss ist, werden seine beiden Enden fest fixiert. Dann wird der Stab wieder gekühlt und er wird zu seiner ursprünglichen Länge zurückkehren. Weil der Stab fixert ist, wird er wegen der hohen Kräfte brechen. Wir betrachten einen einfachen Festkörper. Eine mikroskopische Beschreibung der Bewegung der Atome kann die thermische Ausdehnung erklären. Die Kräfte zwischen den Atomen in einem Festkörper können mit Hilfe einer potentiellen Energie von der Form von Leonard Jones (Siehe Kap. 7.3) ausgedrückt werden. Die Atome schwingen um ihre Gleichgewichtslage. Die Schwingungsamplitude ist ungefähr 10–11 m, d.h. ein Zehntel eines Atomdurchmessers. Bei einer gegebenen Schwingungsenergie ändert sich der Abstand der Atome periodisch zwischen einem Minimal- und einem Maximalwert. Physik 365 Temperatur und Gase Wegen der Asymmetrie der potentiellen Energie, ist der mittlere Abstand grösser als der Gleichgewichtsabstand r0. Siehe Abb. 2. Mittlerer Abstand r2 r1 E2 E1 Minimaler Abstand Maximaler Abstand r0 Gleichgewichtslage Modell der potentiellen Energie der Atome. Die Atome schwingen um die Gleichgewichtslage. Ihr mittlerer Abstand nimmt mit der Energie zu. Figur 2. Thermische Ausdehnung bedeutet eine Zunahme der mittleren Abstände zwischen den Atomen. Wenn wir annehmen, dass die Schwingungsenergie der Atome des Festkörpers sich mit der Temperatur erhöht, dann kann die thermische Ausdehnung als Folge der Asymmetrie der potentiellen Energie der Atome erklärt werden. Wäre die Potentialkurve bezüglich der Gleichgewichtslage symmetrisch, so wäre der mittlere Abstand unabhängig von der Schwingungsenergie. Die thermische Ausdehnung ist eine direkte Folge der Asymmetrie der potentiellen Energie. 366 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Thermische Ausdehnung Experimentell beobachtet man, dass bei nicht zu grosser Temperaturänderung die Längenänderung ∆L proportional zur Temperaturänderung ∆T und zur ursprünglichen Länge L ist: ∆L = α (T ) L∆T wobei α(Τ) der lineare Ausdehnungskoeffizient ist. Der Koeffizient α(Τ) hängt von der Temperatur ab. Diese Abhängigkeit wird normalerweise gegenüber der Messgenauigkeit vernachlässigt. Seine Definition ist die folgende α (T ) ≡ 1 ∆L L ∆T Für α=10–5/°C liegt die lineare Ausdehnung bei 1 mm für eine Länge von 1 m und eine Temperaturerhöhung von 100 °C. Die mittleren linearen Ausdehnungskoeffizienten für verschiedene Materialien sind in Tab. 1 angegeben. TABLE 1. Mittlere lineare Ausdehnungskoeffizienten für den Bereich 0°C bis 100°C; für Eis von –10°C bis 0°C. Material α in °C–1 Material α in °C–1 Aluminium 2,4×10—5 Hartgummi 8×10—5 Messing 1,9×10—5 Eis 5,1×10—5 Kupfer 1,7×10—5 Invar 0.1×10—5 Glas 0,9×10—5 Blei 2,9×10—5 Hartglas (Pyrex) 0,32×10—5 Stahl 1,1×10—5 Analog wird der Volumenausdehnungskoeffizient γ definiert γ (T ) ≡ Physik 1 ∆V V ∆T 367 Temperatur und Gase wobei V das Volumen des Körpers ist. Bei isotropen Festkörpern ist bei einer Temperaturänderung die relative Längenänderung in allen Richtungen dieselbe. Es folgt in diesem Fall γ (T ) = 1 ∆V 1 ∆( L1L2 L3 ) = ∆T V ∆T L1L2 L3 ∆L ∆L 1 ∆L1 L2 L3 + 2 L1L3 + 3 L1L2 T ∆ ∆ ∆ T L1L2 L3 T 1 = (α (T )L1L2L3 + α (T )L2L1L3 + α (T )L3L1L2 ) L1L2 L3 = = 3α (T ) Bemerkung: Für die meisten Materialien haben α und γ einen positiven Wert. D.h. sie dehnen sich bei der Erhöhung ihrer Temperatur aus. Eine wichtige Ausnahme ist das Wasser. Für eine Temperatur T>4°C dehnt sich das Wasser wie erwartet aus. Zwischen 0°C und 4°C nimmt sein Volumen bei steigender Temperatur ab! Diese Eigenschaft hat eine wichtige Konsequenz: bei T≈4°C erreicht die Dichte des Wassers ein Maximum. Das Wasser ist bei T≈4°C schwerer als bei 0°C. Das Eis schwimmt auf dem Wasser (bei Frost bildet sich das Eis zuerst auf der Oberfläche eines Sees und bleibt dort, weil es eine geringere Dichte als das Wasser hat.) 368 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer 8.3 Die Temperatur und das Gasthermometer Die Temperatur ist uns vertraut als eine Mass dafür, wie warm oder wie kalt ein Körper ist. Eine genaue Definition der Temperatur ist keineswegs trivial. Im Fall eines Festkörpers oder einer Flüssigkeit haben wir gesehen, dass die Temperatur mit der thermischen Bewegung der Atome korreliert ist. Im Fall eines Gases ist die Temperatur ein Mass für die mittlere kinetische Energie der Gasmoleküle. Ein Thermometer kann definiert werden, wenn sich eine physikalische Eigenschaft eines Körpers mit der Temperatur verändert. Eine quantitative Messung dieser Eigenschaft wird die Temperatur liefern. Eine solche Eigenschaft, die zur Temperaturmessung führt, wird eine thermometrische Eigenschaft genannt. Man kann z.B. die folgenden thermometrischen Eigenschaften benutzen 1. 2. 3. 4. Die thermische Ausdehnung eines Körpers oder einer Substanz (wie z.B. Quecksilber); Der elektrische Widerstand von Metallen, der mit der Temperatur zunimmt; Das Volumen eines Gases bei konstantem Druck; usw. Jede dieser thermometrischen Eigenschaften kann im Prinzip zur Messung der Temperatur eines Körpers benutzt werden. Physik 369 Temperatur und Gase 8.3.1 Das Gasthermometer Wir betrachten das Gasthermometer. Bei einer Version wird das Volumen des Gases als thermometrische Eigenschaft benutzt. Siehe Abb. 3. Vakuum l h Quecksilber Luft oder Gas Druck des Gases: p Volumen: V Temperatur: T Figur 3. Eine Version des Gasthermometers mit konstantem Druck. Das Quecksilber übt eine nach unten gerichete Kraft aus, deren Betrag gleich mg = ρlAg 370 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer ist, wobei ρ die Dichte des Quecksilbers und A die Querschnittsfläche ist. Der Druck p wird definiert als die senkrecht auf eine Fläche ausgeübte Kraft pro Fläche, d.h. p≡ F A wobei F die Kraft und A die Fläche ist. Einheit: Die MKS-Einheit des Druckes ist Newton pro Quadratmeter (N/m2), die als 1 Pascal bezeichnet wird 1 Pa = 1 N m2 Oft benutzt man auch die Atmosphäre (atm). Eine Atmosphäre entspricht ungefähr dem Luftdruck auf Meereshöhe 1 atm = 1, 01325 × 10 5 Pa Eine andere Einheit ist das bar 1 bar = 1000 mbar = 100 kPa = 10 5 Pa Der Druck p wird definiert als eine makroskopische Grösse, die den Zustand des Gases im Thermometer als Ganzes beschreibt. Das Quecksilber übt einen Druck p auf das Gas aus, wobei gilt p= Physik F ρlAg = = ρgl A A 371 Temperatur und Gase Man spricht vom Druck des Gases: p ≡ Druck des Gases In der Version des Gasthermometers, die wir nun betrachten, wird der Druck p des Gases konstant gehalten. Experimentell beobachtet man (Siehe Abb. 4), dass das Volumen des Gases bei konstantem Druck proportional zur Temperatur ist: V = C1T bei konstantem Druck Dieses Ergebnis ist als Gesetz von Gay-Lussac (J.L. Gay-Lussac 1778-1850) bekannt. Das Gesetz gilt für alle Gase bei niedrigen Dichten, unabhängig von ihrer chemischen Zusammensetzung. Der Druck eines Gases ist zur Temperatur des Gases proportional. Der Ballon wird auf flüssigen Stickstoff gestellt. Figur 4. 372 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer Es folgt, dass die Temperatur proportional zur Höhe h des Quecksilbers ist, T= Ah ∝h C1 bei konstantem Druck Um das Thermometer zu benutzen, müssen wir noch die Konstante A/ C1 bestimmen. Wir tauchen das Thermometer in ein Eis-WasserGemisch ein und messen h0. Dann messen wir die Höhe h100 beim Siedepunkt des Wassers. Eine beliebige Temperatur wird gemessen als T (h) = h − h0 × 100 o C h100 − h0 bei konstantem Druck In einer anderen Version des Gasthermometers kann das Volumen konstant gehalten und der Druck als thermometrische Eigenschaft benutzt werden. Experimentell beobachtet man, dass der Druck des Gases bei konstantem Volumen proportional zur Temperatur ist: p = C2T bei konstantem Volumen Dieses Ergebnis ist als Gesetz von Boyle4 und Mariotte5 bekannt. 4. R. Boyle (1627-1691) 5. E. Mariotte (1620-1684) Physik 373 Temperatur und Gase 8.3.2 Die absolute Temperatur und die Kelvin-Skala Aus der Beobachtung des Verhaltens des Gasthermometers können wir schliessen, dass es eine minimale Temperatur in der Natur gibt. Man spricht vom absoluten Nullpunkt. Bei einer Temperaturabnahme wird sich das Volumen (bei konstantem Druck) oder der Druck (bei konstantem Volumen) des Gases reduzieren. Experiment: Bestimmung des absoluten Nullpunktes Durch eine Extrapolation kann man beweisen, dass der Nullpunkt bei einer Temperatur gleich –273.15°C liegt. Siehe Abb. 5. Druck p (bei konstantem Volumen) 100 °C 0 °C -100 °C -200 °C -273 °C Temperatur Figur 5. Bestimmung des absoluten Nullpunkts. Die Kelvin-Skala wird definiert mit Hilfe des Tripelpunkts des Wassers. Beim Tripelpunkt stehen Wasserdampf, flüssiges Wasser 374 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Temperatur und das Gasthermometer und Eis miteinander im Gleichgewicht. Die Temperaturskala wird so definiert, dass die Temperatur des Tripelpunkts T3 = 273,16 K = 0, 01o C beträgt. Die Einheit der (absoluten) Temperatur ist das Kelvin6 (K). Der Nullpunkt der Kelvin-Skala liegt beim absoluten Nullpunkt (ein Wert T<0K ist unmöglich). Die Temperatur eines Körpers in der Kelvin-Skala kann mit Hilfe eines Gasthermometers bei konstantem Volumen gemessen werden: T= 273,16 K p p3 wobei p der gemessene Druck bei der Temperatur T ist, und p3 ist der gemessene Druck, wenn das Gasthermometer in Wasser bei dessen Tripelpunkt getaucht wird. Für geringe Dichte ist der Messwert der Temperatur unabhängig von der Art des Gases. Die Kelvin-Skala beruht auf der Abhängigkeit des Druckes von der Temperatur. Diese Eigenschaft besitzen alle Gase, unabhängig von ihrer bestimmten Art. 6. Lord Kelvin (William Thomson) (1824-1907). Physik 375 Temperatur und Gase 8.4 Gase 8.4.1 Die Zustandgleichung für ideale Gase Wir haben in Kap. 8.3.1 die Gesetze von Boyle-Marriote und von Gay-Lussac gesehen V = C1T p = C2T bei konstantem Druck bei konstantem Volumen Experimentell beobachtet man, dass der Druck steigt, wenn ein Gas bei konstanter Temperatur komprimiert wird. Wenn das Gas expandiert, so sinkt der Druck während der Volumenzunahme. In guter Näherung ist das Produkt aus dem Druck und dem Volumen bei konstanter Temperatur konstant. Diese Beziehung gilt für alle Gase bei geringer Dichte. Experiment: pV = Konst. Der Druck eines Gases in einem Volumen wird gemessen. Im Experiment wird das Volumen geändert und die Änderung des Druckes als Funktion des Volumens gemessen. Wenn wir das Volumen halbieren, wird der Druck verdoppelt. Wenn wir zwei identische Behälter betrachten, die mit gleichen Mengen desselben Gases bei der gleichen Temperatur gefüllt sind, ist es uns vertraut, dass man das doppelte Gasvolumen bei gleichem Druck p und gleicher Temperatur erhält, wenn beide Behälter zusammengefügt werden. Es folgt, dass das Produkt pV proportional zur Gasmenge sein muss. 376 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Diese Ergebnisse werden in der Zustandsgleichung des idealen Gases zusammengefasst pV = NkT wobei k die Boltzmann-Konstante, N die Anzahl der Gasmoleküle und T die absolute Temperatur (die Kelvin-Skala) ist. Wir bemerken, dass die Einheit der Boltzmann-Konstante gleich 2 3 p][V ] ( N / m )( m ) ( Nm) [ = = = [k ] = N [T ] K K J K ist. D.h., die Einheit der Konstante ist eine Energie geteilt durch eine Temperatur. Aus Experimenten weiss man, dass die Boltzmann-Konstante für alle Gase denselben Wert hat: k = 1,381 × 10 -23 J / K Mit Hilfe dieser Konstante kann eine Temperatur T in eine Grösse mit der Einheit Energie umgewandelt werden, z.B. [kT ] = (J / K )K = J ⇒ T = 300K kT = 4,1 × 10 −21 J Siehe Abb. 6. Physik 377 Temperatur und Gase Joule Kelvin Celsuis Fahrenheit Siedepunkt 5.15 x 10 –21 373 K 100 C 212 F Gefrierpunkt 3.77 x 10 – 21 273 K 0 C 32 F 0 0 K – 273 C – 459 F Absoluter Nullpunkt Vergleich von verschiedenen Temperaturskalen. Der Siedepunkt und der Gefrierpunkt von Wasser bei 1 atm sind angegeben. Figur 6. Wenn wir n Mol eines Gases betrachten, dann enthält es die folgende Anzahl von Molekülen N = nN A und die Zustandsgleichung des Gases lautet damit pV = NkT = nN A kT = nRT wobei R die Gaskonstante ist.Sie hat für alle Gase den Wert R ≡ N A k = 8,314 J / mol / K 378 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Beispiel: Die Temperatur T=273,15 K = 0°C und der Druck p=1 atm werden als sogenannte Standardbedingungen definiert. T = 0°C = 273,15 K p = 1 atm = 1, 01325 bar = 1, 01325 × 10 5 N / m 2 Das Volumen von 1 Mol eines Gases bei Standardbedingungen ist gleich nRT = p 1mol × 8, 314 J / mol / K × 273 K = 1, 01325 × 10 5 N / m 2 V= ≈ 22, 4 × 10 −3 m 3 = 22, 4 l 8.4.2 Mikroskopische Beschreibung des Gases Bis jetzt haben wir das Verhalten der Gase mit Hilfe der sogenannten makroskopischen Grössen p, T und V beschrieben. Wir betrachten nun das Gas als ein System, das aus einer grossen Anzahl von Molekülen besteht. Die Moleküle können z.B. die folgenden sein: 2. einatomig: He, Ar, Xe, Hg,... zweiatomig: H2, O2, N2, Cl2, ... 3. dreiatomig: H2O, NO2, N2O, SO2, ... 4. mehratomig: NH3, CH4, C2H6, ... 1. Die Moleküle bewegen sich “frei” im Behälter des Volumens V. Wir nehmen an, dass die einzelnen Moleküle nicht miteinander wechsel- Physik 379 Temperatur und Gase wirken. D.h., wir vernachlässigen die zwischenmolekularen Kräfte. Diese Annahme des “idealen Gases” gilt natürlich nur, wenn die Dichte des Gases gering ist. Die Gasmoleküle besitzen verschiedene Geschwindigkeiten und bewegen sich in alle Richtungen. Der Druck ist eine Konsequenz aus den Stössen der Moleküle mit den Behälterwänden. Siehe Abb. 7. Kinetische Berechnung des Druckes des Gases. Die Gasmoleküle stossen auf die Wände des Behälters. Figur 7. Ein Mol des Gases enthält schon mehr als 6×1023 Moleküle. Wie wir schon in Kap. 7.6 erwähnt haben, ist die exakte Lösung der Bewegung einer solchen Menge von Molekülen sehr schwierig. Wir werden statistische Methoden benutzen, um die Bewegung der Moleküle zu beschreiben. Am Anfang betrachten wir den vereinfachten Fall, in dem die Moleküle sich nur in der positiven und negativen x-Richtung bewegen. Siehe Abb. 8. 380 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Fl che A z y vx∆t x px=+mvx p'x=–mvx |∆px|=2mvx Figur 8. Gasmoleküle im Behälter. Im Zeitintervall ∆t treffen diejenigen Moleküle auf die Wand, die sich nach rechts bewegen und höchstens den Abstand vx∆t von der rechten Wand haben. Wir nehmen an, dass die Moleküle elastisch mit den Wänden stossen. Die x-Komponente des Impulses vor und nach dem Stoss ist dann gleich vor: px = mv x nach: px = − mv x Die Impulsänderung durch den Stoss des Moleküls ist daher ∆px = 2 mv x Die Anzahl der Moleküle, die in einem Zeitintervall ∆t auf die Wand treffen ist N V { Teilchen Dichte Physik × (v x ∆tA) × 123 Volumen 1 2 { Hälfte der Moleküle bewegt sich nach rechts 381 Temperatur und Gase wobei A die Fläche der Wand ist. Es folgt daraus, dass die Impulsänderung der Gasmoleküle im Zeitintervall ∆t gleich N 1 N × (v x ∆tA) × × 2 mv x = mv x2 A∆t V 2 V ist. Dank dem Newtonschen Gesetz können wir die Impulsänderung im Zeitintervall ∆t mit dem makroskopischen Druck, der von N Molekülen der Geschwindigkeit vx auf die Fläche A erzeugt wird, in Beziehung setzen: m∆v x F ∆t p( N , v x ) = = = A A N 2 mv x A∆t V N 2N 1 2 mv = mv x2 = V 2 x A∆t V Wenn wir viele Gasmoleküle mit verschiedenen Geschwindigkeiten betrachten, können wir z.B. ihre mittlere Geschwindigkeit definieren als N r v ≡ r ∑v i =1 i N wobei v i (i=1,...,N) die Geschwindigkeiten der Gasmoleküle sind. Wir haben angenommen, dass der Druck eine Konsequenz aus den Stössen von allen Molekülen ist. Nun betrachten wir den Fall, dass die Moleküle verschiedene Geschwindigkeiten in der x-Richtung besitzen. 382 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Gase Um den Druck des Gases zu berechnen, ersetzen wir in der Gleichung für P(N,vx) die Geschwindigkeit durch den Mittelwert p( N , v x2 ) = 2N 1 m v x2 V 2 wobei v x2 ≡ 1 N N ∑v i =1 2 i, x die mittlere quadratische Geschwindigkeit der Moleküle in der xRichtung ist. In Wiklichkeit werden sich die Moleküle in alle Richtungen bewegen. Wenn wir annehmen, dass die Moleküle sich isotrop in alle Richtungen bewegen, erwarten wir, dass gilt v x2 = v y2 = v z2 = 1 r2 v 3 r wobei v 2 = v x2 + v y2 + v z2 und r 1 v2 ≡ N N r2 ∑v i =1 i Es folgt pV = 2 1 r2 2 1 r 2 N m v = N mv 2 = N E kin 3 2 3 2 3 wobei <Ekin> die mittlere kinetische Energie der Gasmoleküle ist. Physik 383 Temperatur und Gase Der Ausdruck N<Ekin> ist gleich der gesamten kinetischen Energie (Siehe Kap. 7.1.7) 1 r 1 1 N E kin = N m v 2 = N m 2 2 N r 2 1 r m ∑ v i2 = ∑ E kin ,i i = 2 i =1, N ∑v d.h., das Produkt pV ist gleich zwei Drittel der gesamten kinetischen Energie des Gases. Mit dem Gesetz des idealen Gases ist die absolute Temperatur eines Gases direkt proportional zur mittleren kinetischen Energie eines Gasmoleküls pV = NkT 2 pV = N E kin 3 2 3 ⇒ kT = E kin ⇒ E kin = kT 3 2 Wir haben schon in Kap. 8.4.1 bemerkt, dass die Einheit der Konstante gleich einer Energie geteilt durch eine Temperatur ist. Das Produkt kT entspricht deshalb einer Energie. Im Fall des Gases ist das Produkt (3/2)kT gleich der mittleren kinetischen Energie eines Gasmoleküls und die gesamte kinetische Energie der N Gasmoleküle ist gleich (3/2)NkT. 8.5 Wärmekapazität Wenn zwei Körper mit verschiedenen Temperaturen miteinander in Berührung gebracht werden, werden sich die Temperaturen nach einer gewissen Zeit angleichen. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts 384 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t wurde diese Beobachtung durch die Existenz eines Wärmestoffs, der caloricum, erklärt. Der Wärmestoff wurde vom Körper mit höherer Temperatur zum Körper mit niedriger Temperatur abgegeben. Heute können wir sagen: Die Wärme Q ist das, was allein aufgrund eines Temperaturunterschiedes zwischen zwei Körpern ausgetauscht wird. Eine Einheit für die “Wärmeenergie” wurde eingeführt, als die Natur der Wärme noch unbekannt war. Die Kalorie (cal) wird definiert als die Wärmemenge Q, durch die 1g Wasser unter Normdruck (p=1 atm) von 287.65K auf 288.65K erwärmt wird. Wenn wir eine mikroskopische Beschreibung des Körpers benutzen, kann der Körper als ein Teilchensystem mit einer grossen Anzahl von Molekülen oder Atomen betrachtet werden. Wir haben in Kap. 7.1.8 die innere Energie U eines Teilchensystems definiert als U = E kin + E pot, interne = r2 1 miv i + E pot, interne ∑ 2 i =1,N d.h, die innere Energie U des Systems wird definiert als die Summe der kinetischen Energien der Teilchen und ihrer inneren potentiellen Energie. Wegen der Energieerhaltung muss sich die innere Energie U des Systems ändern, wenn wir dem Körper Energie zuführen. Aus unserer Diskussionen über Temperatur und mikroskopische Vorgänge folgt ganz klar, dass man einem Körper Energie zuführen muss, um seine Temperatur zu erhöhen. Physik 385 Temperatur und Gase Benjamin Thompson7 schlug erst am Ende des 18. Jahrhunderts vor, dass die “Wärme” eine Form von Energie ist. Man muss deshalb für die Wärmeenergie dieselbe Einheit der Energie benutzen, die für die mechanische Energie benutzt wird. Heute wird die MKS-Einheit Joule für die Wärmemenge verwendet, und es gilt 1 Kalorie (cal) = 4,1868 Joule ( J ) 8.5.1 Wärmekapazität und Wärmeenergie Verschiedene Körper underscheiden sich durch die Menge von Energie, die benötigt wird, um ihre Temperatur um einen bestimmten Betrag zu erhöhen. Wenn wir einem Körper eine Wärmeenergie ∆Q zuführen, wird seine Temperatur um ∆T erhöht. Die Wärmekapazität C des Körpers wird definiert als C≡ ∆Q ∆T ⇔ ∆Q = C∆T wobei ∆Q die benötige Energie ist, um die Temperatur des Körpers um ∆T zu erhöhen. Wenn wir die Wärmeenergie bei konstantem Volumen zuführen, werden wir schreiben CV ≡ ∆Q ∆T V = Konst 7. Benjamin Thompson (1753-1814) 386 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t Bei konstantem Druck wird es geschrieben als Cp ≡ ∆Q ∆T p = Konst Wir haben die Kapazität mit einem Index “V” or “p” geschrieben, um zu zeigen, dass die Wärme bei konstantem Volumen oder bei konstantem Druck zugeführt wird. Bei Substanzen wie Gase, die sich beim Erwärmen ausdehnen, ist die Wärmekapazität bei konstantem Druck cp verschieden (grösser) als die bei konstantem Volumen cV. Siehe Kap. 9.3. Die Wärmekapazität eines Mols einer Substanz wird als spezifische Wärmekapazität c bezeichnet. Die spezifische Kapazität einer Substanz ist deshalb c≡ ∆Q m∆T ⇔ ∆Q = cm∆T wobei c=cp oder cV , und m die molare Masse ist (Siehe Kap. 7.4). Man spricht z.B. von der Wärmekapazität C eines Gegenstands, aber von der spezifischen Wärmekapazität c von Kupfer. Die Wärmemenge, die man z.B. bei konstantem Volumen zuführen muss, um einen Körper von Ta auf Te zu erwärmen ist gleich Te Q = ∫ dQ = ∫ cV (T ) mdT Ta Physik 387 Temperatur und Gase Wenn die Temperaturänderung nicht zu gross ist, wird man die spezifische Wärmekapazität c(T) als eine Konstante betrachten, und es gilt Q = cV m(Te − Ta ) = cV m∆T 8.5.2 Wärmekapazität eines (einatomigen, idealen) Gases Wir betrachten nun ein Gas. Seine innere Energie hängt von der kinetischen und potentiellen Energie seiner Moleküle ab. Die potentielle Energie hängt vom intermolekularen Abstand, d.h. vom Volumen oder der Dichte des Gases ab. Im Fall des idealen Gases ist die innere Energie nur kinetische Energie, und die potentielle Energie ist vernachlässigbar 3 U ideal = E kin + E pot, interne = N E kin + 0 = N kT 2 wobei N die Anzahl der Gasmoleküle ist. Für ein ideales Gas hängt die innere Energie nur von der Temperatur ab. Wenn wir ein Mol des Gases betrachten, dann finden wir 3 3 3 U ideal (1mol) = N A kT = N A kT = RT 2 2 2 Wenn wir die Temperatur um ∆T erhöhen, erhöht sich die innere Energie um (3/2)R∆T. 388 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t Die Wärmekapazität CV des idealen Gases (bei konstantem Volumen) ist daher gleich CV = ∆Q ∆U ideal d 3 3 = = NkT = Nk 2 ∆T ∆T dT 2 Für ein Mol ist die spezifische Wärmekapazität gleich dU ideal (1mol) 3 = R dT 2 3 ≈ (8, 31 J / mol / K ) ≈ 12.5 J / mol / K 2 cV ≡ Wir brauchen 12.5 J pro Mol, um die Temperatur eines idealen Gases um 1K zu erhöhen. 8.5.3 Wärmekapazität eines Festkörpers Die Wärmekapazitäten (pro g) von Festkörpern haben sehr unterschiedliche Werte. Siehe Tabelle 2. Wenn wir uns auf die spezifische Wärmekapazitäten beziehen, d.h. auf die Anzahl der Atome und nicht auf die Masse, werden die Werte nicht mehr so unterschiedlich. Es gibt wenige Ausnahmen, wie z.B. Beryllium, Bor und Diamant. Diese Fälle werden als “anomal” bezeichnet und werden später betrachtet. Siehe Kap. 8.8.2. Man sieht auch, dass Wasser im Vergleich zu den meisten Festkörpern eine hohe Wärmekapazität besitzt. Physik 389 Temperatur und Gase Dass die spezifischen (pro Mol) Wärmekapazitäten von Festkörpern sehr ähnliche Werte aufweisen, wird als Dulong-Petitsche Regel8 bezeichnet: cV ≈ 25 J / mol / K Dieses Verhalten wird natürlich mit der Atomtheorie des Materieaufbaus erklärt. Wir beobacthen, dass der Wärmebetrag, der benötigt wird, um die Temperatur pro Atom um 1 K zu erhöhen, vom Stoff unabhängig ist. TABLE 2. Wärmekapazitäten verschiedener Stoffe bei Zimmertemperatur und einem Druck von 1 atm. Stoff Wärmekapazität in J/g/K molare Masse in g/mol spezifische Wärmekapazität in J/mol/K Aluminium 0,9 27 24,4 Kupfer 0,386 63.5 24,5 Blei 0,128 207 26,5 Silber 0,236 108 25,5 Beryllium 11 Bor 13 Kohlenstoff(Diamant) 6 Wasser 4,182 18 75,4 In Festkörpern schwingen die Atome oder Moleküle um ihre Gleichgewichtslage. Wenn das Volumen des Körpers konstant gehalten wird, so dass die Abstände der Atome ungeändert bleiben, tritt die zugeführte Wärmeenergie nur als Schwingungsenergie auf. 8. Dulong und Petit (1819). 390 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit t Wenn man die spezifische (pro Mol) Wärmkapazität betrachtet, hat man es beim Vergleich verschiedener Stoffe immer mit derselben Anzahl von Atomen zu tun. Es folgt, dass die spezifischen (pro Mol) Wärmekapazitäten von Festkörpern sehr ähnliche Werte aufweisen müssen. Experiment: Spezifische Wärme von Al und Pb Wir benutzen 14 Mol von Al und Pb Molare Masse: mPb = 207 g/mol mAl = 27 g/mol Masse: MPb = 14×207 ≈ 2900 g mAl = 14×27≈380 g ncV(Pb) ≈ ncV(Al) ≈ 25×14 = 350 J/K Wasser: CVW=4,182 J/g/K MW=500 g MWCVW=2090 J/K Wärme wird auf das Wasser übertragen: CVW M W (Te − TaW ) = ncV (Ta − Te ) wobei Ta und Te die Anfangs- und Endtemperatur sind. Mit Ta≈373K und TaW≈293K finden wir Te (nc T + C M T ) = (C M + nc ) V ≈ a W V W V W W a W V ((350J / K )(373K ) + (2090J / K )(293K )) ≈ 300K (2090J / K + 350J / K ) ≈ 30 C o Physik 391 Temperatur und Gase 8.6 Latente Wärme Wird einem Körper Wärme zugeführt, steigt im allgemeinen seine Temperatur. Wir wissen, dass bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck eine Wärmezufuhr keine Temperaturerhöhung verursacht, nämlich wenn ein Phasenübergang stattfindet. Die benötigte Wärme Q, um einen Phasenübergang (ohne Temperaturänderung) zu machen, ist zur spezifischen latenten Wärme L proportional Q = LM wobei M die Masse des Körpers ist. Einige Schmelz- und Siedepunkte und die spezifischen latenten Wärmen sind in Tabelle 3 aufgelistet. TABLE 3. Schmelzpunkte und Siedepunkte und spezifische latente Wärme (bei p=1 atm) 392 Substanz Schmelzpunkt (K) LSchmelz (J/g) Siedepunkt (K) LVerdampfung (J/g) Wasser 273,15 333 373,15 2260 Blei 600 25 2020 860 Helium — Sauerstoff 54,4 14 90,2 210 Stickstoff 63 26 77,35 200 Kupfer 1356 205 2839 4730 — Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia 4,2 20 Klassischer Gleichverteilungssatz 8.7 Klassischer Gleichverteilungssatz Bis jetzt haben wir die spezifische Wärmekapazität von Gasen aus der kinetischen mikroskopischen Beschreibung erklärt. Mit diesem Modell konnte man die spezifische Wärmekapazität von einatomigen Gasen wie z.B. Helium erklären. Alle anderen Gasatome (mit der Ausnahme von Edelgasen wie Helium, Argon, usw.) bilden Moleküle. Ein solches Molekül wird nicht als ein starres kugelförmiges Teilchen gesehen, das sich in alle Richtungen bewegt (die sogenannte Translationsbewegung der Gasmoleküle), das Molekül besitzt auch eine interne Struktur. Unter dieser Annahme kann man sich neben der Translationsbewegung der Moleküle auch eine Rotation und Schwingung der Moleküle vorstellen. Alle Bewegungsformen (Translation, Rotation, Schwingung) werden im Prinzip zur inneren Energie U des Gases beitragen. Die Rotation oder die Schwingung können z.B. bei Zusammenstössen angeregt werden. Jede Möglichkeit eines Moleküls, eine der verschiedenen Formen der Energie zu absorbieren, nennt man Freiheitsgrad f. Wir betrachten nun die verschiedene Freiheitsgrade der Gasmoleküle. Wir nehmen eine “klassische” Darstellung der Moleküle an. Wir werden in Kap. 8.8 sehen, dass eine solche Darstellung nicht ganz richtig ist. Physik 393 Temperatur und Gase Wenn das Molekül einatomig (n=1) ist, kann es sich in 3 unabhängige Richtungen bewegen, und es soll 3n=3 (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. Die Translationsbewegung hat drei Freiheitsgrade, einen für jede Raumrichtung. f einatomig = 3( Translation) x z y a) Rotation um x-Achse b) Rotation um y-Achse c) Rotation um z-Achse Die drei unabhängigen Rotationsfreiheitsgrade eines zweiatomigen Moleküls. Wenn wir die Atome als Kugeln betrachten, dann zählt die Rotation um die z-Achse nicht, und es gibt nur zwei unabhängige Rotationsfreiheitsgrade. Figur 9. Wenn das Molekül zweiatomig (n=2) ist, können sich im Prinzip beide Atome in 3 unabhängige Richtungen bewegen, und das Molekül soll 3n=6 (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. 394 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Klassischer Gleichverteilungssatz Die 6 Freiheitsgrade werden auf 3 Translations- und 3 Rotationsfreiheitsgrade verteilt. Die drei unabhängigen Rotationsfreiheitsgrade eines Moleküls sind in Abb. 9 gezeigt. Wenn wir die Atome als Kugeln betrachten, dann zählt die Rotation um die z-Achse nicht, und es gibt nur zwei unabhängige Rotationsfreiheitsgrade. Der letzte (kinetische) Freiheitsgrad entspricht dann der Schwingungsbewegung. f zweiatomig = 3( Translation) + 2(Rotation) + 1(Schwingung) = 6 In Wirklichkeit beobachtet man, dass die Schwingungsbewegung mehr als 1 Freiheitsgrad entspricht, weil es kinetische und potentielle Freiheitsgrade gibt. Siehe Kap. 8.8. Im Allgemeinen soll ein Molekül mit n Atome genau f n − atomig = 3n (kinetischen) Freiheitsgrade besitzen. Mit Hilfe der klassischen Mechanik hat J.C. Maxwell im Jahr 1858 gezeigt, dass für eine grosse Anzahl von Molekülen (die sich im thermischen Gleichgewicht befinden), alle oben genanten Freiheitsgrade dieselbe mittlere Energie speichern, die nur von der Temperatur abhängt. Die Aussage heisst Gleichverteilungssatz der Energie oder Äquipartitionstheorem. Es sagt: Befindet sich ein Körper im thermischen Gleichgewicht, besitzt jeder Freiheitsgrad eine mittlere Energie von (1/2)kT pro Moleküle ((1/2)RT pro Mol)). Physik 395 Temperatur und Gase Es folgt daraus, dass die innere Energie U des Körpers mit f Freiheitsgraden gleich 1 1 1 U = f NkT = f nN A kT = f nRT 2 2 2 ist, wobei N die Anzahl der Moleküle und n die Stoffmenge ist. Die spezifische (pro Mol) Wärmekapazität ist daher gleich cV = dU (1mol) 1 = f R 2 dT Die Aussage des Gleichverteilungssatzes kann mit den experimentellen Werten verschiedener Stoffe verglichen werden. Die vorausgesagten und gemessenen Werte sind für verschiedene Gase in Tabelle 4 gezeigt. Bei manchen zweiatomigen Gasen und den meisten mehratomigen Gasen sind die Wärmekapazitäten kleiner als die, die wir vorausgesagt haben. TABLE 4. Wärmekapazitäten Art des Gases 396 Anzahl der Teilchen verschiedener Gase bei 20°C und 1 atm. Freiheitsgrade Vorausgesagt CV (J/mol/K) Gemessen CV (J/mol/K) Helium 1 3 3/2R = 12,5 12,52 Neon 1 3 3/2R = 12,5 12,68 Argon 1 3 3/2R = 12,5 12,45 Krypton 1 3 3/2R = 12,5 12,45 Stickstoff N2 2 6 6/2R = 25 20,80 Wasserstoff H2 2 6 6/2R = 25 20,44 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Klassischer Gleichverteilungssatz TABLE 4. Wärmekapazitäten verschiedener Gase bei 20°C und 1 atm. Art des Gases Anzahl der Teilchen Freiheitsgrade Vorausgesagt CV (J/mol/K) Gemessen CV (J/mol/K) Sauerstoff O2 2 6 6/2R = 25 20,98 Kohlenmonoxid CO 2 6 6/2R = 25 20,74 Kohlendioxid CO2 3 9 9/2R = 37,5 28,17 Methan CH4 5 15 15/2R = 62,5 29,00 Bevor wir eine Erklärung finden, wollen wir nun die Wärmekapazität von Festkörpern mit Hilfe des Gleichverteilungssatzes voraussagen. Wir nehmen an, dass der Festkörper aus einer regelmässigen Anordnung von NA Atomen pro Mol besteht. Die gemessenen und die von der Regel von Dulong-Petit vorausgesagten Werte ergeben: 1 cV ≈ 25 J / mol / K = f R 2 ⇒ f =6 d.h. wir finden, dass die Atome im Festkörper 6 Freiheitsgrade besitzen. Im Festkörper ist die innere Energie gleich U = E kin + E pot, interne = r2 1 mv i + E pot, interne ∑ 2 i =1,N wobei Epot,interne der potentiellen Energie der zwischenatomaren Kräfte entspricht. Wenn ein Atom sich in seiner Gleichgewichtslage befindet, ist seine potentielle Energie gleich Emin. Wenn ein Atom aus seiner Gleichge- Physik 397 Temperatur und Gase wichtslage ausgelenkt wird, wird seine potentielle Energie zunehmen. Die potentielle Energie des Atoms i hängt von seiner Auslenkung aus der Gleichgewichtslage ab (Siehe potentielle Energie von Leonard Jones in Kap. 7.3): 2 r 1 d E pot r r 2 E i, pot ,int erne = E pot ( ∆ri ) = E min + ( r0 ) ( ∆ri ) + ... 2 dr 2 r 2 1 = E min + k ( ∆ri ) + ... 2 1 1 1 2 2 2 = E min + k ( ∆x i ) + k ( ∆y i ) + k ( ∆zi ) ... 2 2 2 wobei ∆xi, ∆yi, und ∆zi den 3 unabhängigen Auslenkungsrichtungen entsprechen. Es folgt, dass U= r2 1 r 2 1 m ∑ v i + k ∑ ( ∆ri ) 2 =1,N 2 i =1,N 14i2 43 14 4244 3 3 Freiheitsgrade 3 Freiheitsgrade und jedes Atom besitzt sechs (3 kinetische und 3 potentielle) Freiheitsgrade. 398 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit ten und die klassische Mechanik 8.8 Wärmekapazitäten und die klassische Mechanik 8.8.1 Wärmekapazitäten von Gasen Wir haben gesehen, dass bei manchen zweiatomigen Gasen und den meisten mehratomigen Gasen die Wärmekapazitäten kleiner sind, als die, die wir vorausgesagt haben. Um dieses Verhalten von Gasen zu erklären, wird die Temperaturabhängigkeit der spezifischen (pro Mol) Wärmekapazität von Wasserstoff in Abb. 10 gezeigt. Man spricht von eingefrorenen Freiheitsgraden. Bei einer Temperatur T < 100K ist die Wärmekapazität gleich (3/2)R, ein Wert, der für ein einatomiges Gases erwartet wird. In diesem Temperaturbereich (und Temperatur entspricht einer Energie, deshalb können wir auch Energiebereich sagen) können die Rotation und Schwingung des Wasserstoffmoleküls nicht angeregt werden. Die Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade existieren nicht. Sie sind eingefroren. Bei dieser Temperatur verhält sich das Wasserstoff-Molekül wie eine inkompressible Kugel. Bei Zimmertemperatur ist die Wärmekapazität gleich (5/2)R. Zwei zusätzliche Freiheitsgrade sind erschienen und thermische Energie wird nun auch in diesen internen Bewegungen gespeichert. Oberhalb von 750K nimmt die Wärmekapazität stetig auf (7/2)R zu. Bei diesen hohen Temperaturen nehmen die Zusammenstösse zwischen den Molekülen zu, und es werden Schwingungen angeregt. Physik 399 Temperatur und Gase Die Schwingung erscheint als 2 Freiheitsgrade, weil sie die Form 1 2 1 2 µv + kx 2 rel 2 rel besitzt, wobei µ eine reduzierte Masse (Siehe Kap. 7.1.3) und x ein Abstand ist. 4 7 2 CV/R 3 Schwingung 5 2 2 Rotation 3 2 1 Translation 0 20 50 100 200 500 1000 2000 Temperatur (K) 5000 10,000 Temperaturabhängigkeit der spezifischen (pro Mol) Wärmekapazität für Wasserstoff. Da Wasserstoff bei 3200K dissoziiert, bezieht sich die gestrichelte Kurve auf ein undissoziiertes Wasserstoffmolekül. Figur 10. Obwohl diese Erklärung mit den experimentellen Daten übereinstimmt, widerspricht sie der klassischen Mechanik. Die klassische Theorie kennt keine Abhängigkeit der spezifischen Wärmekapazitäten von der Temperatur. 400 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit ten und die klassische Mechanik 8.8.2 Anomale Wärmekapazitäten von Festkörpern Nun betrachten wir die “anomalen” Stoffe, wie z.B. Beryllium. In Abb. 11 ist die spezifische (pro Mol) Wärmekapazität von Blei, Aluminium und Beryllium als Funktion der Temperatur aufgetragen. Spezifische (pro Mol) Wärmekapazitäten dreier Festkörper als Funktion der Temperatur in Kelvin. Figur 11. Wir sehen, dass sich cV für alle drei Elemente bei hohen Temperaturen demselben Grenzwert nähert. Dass sich Beryllium “anomal” verhält, folgt aus der Tatsache, dass für Beryllium die Zimmertemperatur nicht als sehr hohe Temperatur angesehen werden kann. Experiment: Debye-Temperatur Pb und Al werden auf 80K abgekühlt. Physik 401 Temperatur und Gase Tatsächlich nähern sich die spezifischen Wärmekapazitäten dem Wert Null bei T≈0K und dem Dulong-Petit-Wert bei hohen Temperaturen. Im Jahre 1912 entwickelte Debye9 eine neue Theorie, die eine charakteristische Temperatur, die Debye-Temperatur θD, liefert. Die Debye-Temperatur ist eine für jedes Material konstante und charakteristische Grösse. Sie beträgt z.B. θ D ,Blei = 88K θ D ,Kohlenstoff = 1860K Die Debye-Temperatur wird mittels der Quantentheorie direkt mit einer materialspezifischen Schwingungsfrequenz in Beziehung gebracht. Die Theorie sagt voraus, dass als Funktion der dimensionslosen Grösse T/θD, die Wärmekapazitäten aller Stoffen den gleichen Verlauf zeigen. Die experimentelle Bestätigung (Siehe Abb. 12) ist einer der Erfolge der Quantentheorie. 8.8.3 Schlussbemerkung Damit stossen wir an die Grenzen der klassischen Mechanik. So wie die Newtonschen Gesetze bei sehr hohen Geschwindigkeiten versagen (Siehe Kap. 6.8), verlieren sie auch im atomaren oder molekularen Bereich ihre Gültigkeit. Im Bereich sehr kleiner Dimensionen wird die Newtonsche Mechanik durch die Quantentheorie ersetzt (Siehe Kap. 13). 9. P. Debye (1884-1966). 402 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia W rmekapazit ten und die klassische Mechanik Spezifische (pro Mol) Wärmekapazitäten für einige Stoffe als ΘD. Funktion der dimensionslosen Temperatur T/Θ Figur 12. Physik 403 Temperatur und Gase 404 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia