Verdi in Gegenwart transportiert - Vogtland

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Verdi in Gegenwart transportiert
Plauen – Gelungene
Premiere für Verdis „Maskenball“ am Samstag im Vogtlandtheater – der Apllaus wollte
nicht enden.
Zwischen 1839 und 1893 schrieb Giuseppe Verdi – ohne Bearbeitungen und Fassungen – 26
Opern. Den meisten Inhalten, die Verdi in seine unverkennbare Musik hüllte, liegen
geschichtliche Realitäten oder Bühnenstücke berühmter Schriftsteller zugrunde.
Die Nr. 21 seines Opern-Oeuvres „Ein Maskenball“ ist ein spätes Werk mit äußerst brisantem,
geschichtlichem Hintergrund. Es entstand in einer Zeit wirrer, aufgewühlter, politischer
Verhältnisse in seinem Land und greift mit realen Namen und Personen das Attentat vom 15.
März 1792 an König Gustaf III. aus Schweden auf. Infolge eines Aufführungsverbots, um die
aufgewühlte Stimmung des italienischen Volkes nicht weiter anzuheizen, musste Verdi seine
Oper überarbeiten, die agierenden Personen umbenennen und mit anderen Positionen versehen,
um sie am 17. Februar 1859 in Rom zur Uraufführung bringen zu können.
Thilo Reinhardt, der Regisseur der aktuellen Produktion „Ein Maskenball“, die am Samstag im
großen Haus des Vogtlandtheaters Premiere hatte, verzichtet auf die verharmloste
Überarbeitung und verwendet die Originalfassung. Seine Inszenierung projiziert Namen und
Handlung in gegenwärtige Politik und versetzte den Zuschauer mitten in das Geschehen, das
ihm Tag für Tag durch TV-Sendungen in die Wohnstube flimmert: Ein Parlaments-Raum in
makellosem Weiß, Parlamentsmitglieder, wie sie vermutlich überall zu finden sind. Oscar, der
beziehungsweise die persönliche Vertraute des Regenten Gustavo III., die von Verdis Hosenrolle
zum weiblichen Vamp mutierte, lässt Vermutungen zu, dass es sich um einen Parlamentsalltag
im Stiefel Europas handelt.
Kaugummi kauend, Zigaretten rauchend, Hüften schwingend und kleine Papierflugzeuge aus
überzähligen Parlamentsprotokollen faltend, stöckelt sie respektlos und betrunken durch‘s
Parlaments-Gewirr und tanzt über die Pulte (Uta Simone, gut gesungen und adäquat überzogen
gespielt).
Gustavo III. – der Freund seines Beschützers Ankastrom – liebt bei Verdi ausschließlich dessen
Gattin Amelia. Bei Thilo Reinhardt wurde er zum Allesfresser weiblicher Reize, der keinen Rock
unbegrapscht an sich vorüber ziehen lässt. Damit wird Gustavos Liebe zu Amelia, dessen
Beteuerung von Unerfülltheit und damit die Treue zu seinem Herrn unglaubwürdig. Das heißt,
die Schlussszene nach dem Mord auf den Regenten, dessen Vergeben und Sterben werden zur
Farce. Bei Verdi passend und richtig: Das Kräutlein gegen die Liebe. In dieser Inszenierung ist
es ein Anachronismus, eine unerlaubte Anleihe vom Original. In heutigen, märchenlosen Zeiten
gibt es keine liebestötenden Gewächse an düsterem Ort, noch weniger in einer Inszenierung in
derart modernem Gewand.
In der Summe ist diese Inszenierung trotz der Projektion ins Heute gut, besagte Unebenheiten
sind verschmerzbar. Das Bühnenbild von Philipp Kiefer ist hervorragend, aus einem Guss,
phantasievoll, einfühlsam und szenenwirksam. GMD Lutz de Veer begleitet – abgesehen von
kleinen Tempodissonanzen zwischen Bühne und Graben – Verdi-gerecht. Katrin Kapplusch
(Amelia) zeigte erneut mit Professionalität ihren wohlklingenden, in allen Lagen herrlich
strahlenden Sopran. Adrian Caves Tenor (Gustavo III.) hat eine wunderschöne, baritonale Tiefe
und Mittellage, die Höhen sind etwas angestrengt und forciert. Auch als Ankastrom (nach
Wilhelm Tell, Don Giovanni und Dr. Falke) bewies Shin Taniguchi sein zuverlässiges
stimmliches Vermögen – einen Bassbariton voller Größe, Beweglichkeit und Wärme. Die Blitze
einer Diskokugel irrlichtern durch den Raum, Gustavo III. stirbt und der Applaus will nicht
enden.
Von Ingrid Gregori
2011-02-01

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