Vorlesung 4 Veränderung von Einstellungen und Werthaltungen Überredung, Manipulation, Argumentation Einstellungen und Werthaltungen sind zentral für das Zusammenleben in Gruppen und in der Gesellschaft. Abweichende und antisoziale Haltungen können zum Problem werden (s. Flüchtlingsthematik) Welche Möglichkeiten gibt es, Vorurteile, antisoziale Einstellungen und Fanatismus zu ändern? Es existieren eine Reihe von theoretischen Ansätzen und deren empirische Überprüfung über Einstellungsänderung Die Kehrseite solcher Beeinflussungsmöglichkeiten ist die Manipulation in Form von mentaler und emotionaler Gleichschaltung, Überredung zum Konsum überflüssiger Waren und der Verlust rational-vernünftiger Auseinandersetzung mit gesellschaftlich-politischen Problemen Die radikalste Form der Überzeugungsänderung: Extreme existenzbedrohende Belastung Beobachtung Pawlows an einem Hund Der Überzeugungswandel in Orwells 1984 Transmarginale Hemmung Modell der affektiv-kognitiven Konsistenz (Rosenberg) Wenn die affektive Komponente einer Einstellung verändert wird, erfolgt eine konsistente Veränderung der kognitiven Komponente („Überzeugung“). Dieser Effekt tritt aber nur dann auf, wenn der Grad der kognitiv-affektiven Inkonsistenz einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Hypnose-Experiment Erfassung von Einstellungen gegenüber einer Reihe von Bereichen (Integration von Afroamerikanern, ökonomische Unterstützung schwacher Länder…) Versuchsgruppe erfährt Hypnose mit posthypnotischem Auftrag (wenn du erwachst……positives Gefühl für Nachbarschaft mit Schwarzen, negatives Gefühl für Hilfe anderer Länder…). Aufhebung mit einem Signal (Begriff auf einem Blatt Im posthypnotische Zustand Erfassung der Überzeugung (kogn. Komponente, ebenso nach Aufhebung des posthypnotischen Zustands Ergebnisse: Während des posthypnotischen Zustands starke Veränderung der kognitiven Komponente, während Kontrollgruppe kaum Veränderungen zeigt. Nach Aufhebung des hypnotischen Auftrags Rückkehr zur alten Überzeugung. 2. Experiment mit auf fünf Tage verlängertem posthypnotischem Auftrag Gleicher Befund. Die kognitive Veränderung hält über den gesamten Zeitraum bis Aufhebung durch ein Signal an. Danach Rückkehr zur alten Überzeugung. Es bleibt jedoch ein Rest der kognitiven Veränderung (Erklärung: Selbstüberredung) Bemerkenswert war die engagierte Argumentation für den neuen Standpunkt Gleichgewichtstendenzen bei Wunschdenken und logischem Denken Tendenz zur logischen Stimmigkeit von Annahmen und Behauptungen Wunschdenken bringt zum Ausdruck, wie wünschenswert eine Aussage unabhängig von ihrer Richtigkeit ist Das Individuum trachtet nach größerer Konsistenz Je wünschenswerter eine Schlussfolgerung ist, desto mehr kann die Logik beeinträchtigt werden (Prämissen werden nicht beachtet. Zusammenhang von wünschenswert und wahrscheinlich. McGuire empfiehlt die Sokratische Methode. Allein schon die wiederholte Beschäftigung mit dem Themenbereich verändert das System Richtung größerer Konsistenz Überredung ist erfolgreicher, wenn sie Konsistenz zwischen den logischen Aussagen und dem Wunschdenken herstellt. Beispiel Wunschdenken: der Flüchtlingsstrom ebbt ab. Syllogismus: Wir sind an der Grenze der Belastbarkeit Der Flüchtlingsstrom hält an Ergo: Es entsteht Chaos Herstellung größerer Konsistenz: a. Der Flüchtlingsstrom wird geringer (kleinere Veränderung des Wunschdenkens, 2. Prämisse wird abgeschwächt) b. Wir können durch Aufstockung mehr Flüchtlinge geordnet unterbringen (Conclusio wird hinfällig bzw. abgeschwächt) c. Es entsteht trotzdem kein Chaos (auch unter derzeitigen Bedingungen entsteht kein Chaos, Abschwächung der Prämissen) vielleicht kommen doch weniger Flüchtlinge Zusatzannahme. Wirtschaftsflüchtlinge bleiben aus (Abschreckende Maßnahmen) Indoktrination bei Anhängern des IS Jeden Morgen religiöse Einstimmung. Hypothetische Erklärung auf der Basis der Theorie kognitiver Balance. Prämissen: Koran ist wahr Koran muss wörtlich ausgelegt werden Schlussfolgerungen: Mischung aus Wunschdenken und Auslegung des Korans Zusätzlich: hohe Aggressivität wird durch Religion legitimiert. Harmonisierung von ‚böse‘ und ‚gut‘. Fernwick plant eine Ausstellung in den Verkaufsräumen A+ A- A- n n S+ F+ I S: Verkauf F: Fernwick A: moderne Kunst n S+ F+ II S+ FIII Drei Versuchsgruppen Vorhersage: Strukturänderung mit geringstem Aufwand wird präferiert (bei I z. B. Beziehung S-A) Drei zusätzliche Informationen: 1. Nach neuen Erkenntnissen erhöht moderne Kunst Verkaufszahlen (müsste von Gruppe 1 präferiert werden) 2. Fernwick plant gar nicht eine Ausstellung moderner Kunst (müsste von Gruppe 2 favorisiert werden) 3. Es stimmt nicht, dass Fernwick so hohe Verkaufszahlen erzielt (müsste von Gruppe 3 präferiert werden) Beurteilung der drei Nachrichten nach wünschenswert und zutreffend Ergebnisse bestätigen die Annahme Leugnen und kognitiv-affektives Ungleichgewicht Hat man eine Tat begangen, die in starkem Widerspruch zu eigenen Wertüberzeugungen und zu gesellschaftliche Normen steht, kann es zur Verleugnung der Handlung kommen, bis hin zur festen Überzeugung, die Tat niiht begangen zu haben. Bei kleinen Kindern häufig anzutreffen, bei Erwachsenen seltener und dann als pathologisch einzustufen, da Erwachsene (zumindest in unserer westlichen Gesellschaft) für die Folgen ihres Handelns einstehen müssen. Immunisierung gegen schädliche Einflüsse (McGuire) In Analogie zur Impfung wird empfohlen, dass die Gefährdeten (z. B. Jugendliche) sich mit Inhalten oder Praktiken in geringen Dosen auseinandersetzen und so immun werden gegen unerwünschte Einflüsse (fundamentalistische Propaganda, Computerspielsucht, Drogen) Befunde scheinen diese Annahme zu bestätigen Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) Der Fuchs und die Weintrauben Motivationsthesen: 1. Das Bestehen von Dissonanz motiviert dazu, die Dissonanz zu reduzieren und Konsonanz zu erzielen 2. Wenn Dissonanz besteht, wird man neben dem Versuch, sie zu reduzieren aktiv Situationen und Informationen zu meiden, die möglicherweise die Dissoonanz vergrößern könnten. Festinger vergleicht Dissonanz mit Triebzuständen wie Hunger und Frustration. Die Bedürfnisstärke hängt von der Größe der Dissonanz ab: je größer, desto stärker das Bedürfnis nach Reduktion (Autokauf nach Entscheidung) Drei Möglichkeiten der Reduktion: 1. Veränderung eines oder mehrerer Elemente, die an dissonanten Beziehuungen beteiligt sind. 2. Hinzufügen neuer kognitiver Elemente, die konsonant mit bestehenden kognitiven Einheiten sind. 3. Verringerung der Bedeutsamkeit von Elementen, die in dissonanten Beziehungen stehen Nachentscheidungsdissonanz: post decision dissonance Jede Entscheidung hat als Konsequenz die Entstehung kognitiver Dissonanz „Die kognitiven Elemente, die mit den positiven Kennzeichen der verworfenen Alternative korrespondieren und jene, welche mit den negativen Kennzeichen der gewählten Alternative korrespondieren, sind dissonant mit dem Wissen um diue Handlung, die ausgeführt wurde. Die Größe der Nachentscheidungsdissonanz hängt von drei Bedingungen ab: - Wichtigkeit der Entscheidung (Heirat, Hauskauf) - Attraktivität der nichtgewählten Alternative (aussortierte Partnerin (anderes Haus) - Größe der Überlappung: wenn abgelehnte Alternativ viele gemeinsamen Elemente mit der gewählten Alternative hat, sinkt die Dissonanz (ausgeschiedene Partnerin ist der gewählten ähnlich, verworfenes Haus ist gut vergleichbar mit gewähltem Haus). Entscheidungsdissonanz als Funktion von Merkmalen der nichtgewählten Alternative Erzwungene Einwilligung durchgezogene Linien: erzwungene Einwilligung ist erfolgt Unterbrochene Linien: erzwungene Einwilligung ist nicht erfolgt Informationssuche und Dissonanz Erweiterung der Theorie durch Brehm und Cohen: Commitment Engagement, Verpflichtung, Festgelegtsein besteht, wenn jemand sich entschieden hat, etwas Bestimmtes zu tun oder nicht zu tun und dadurch eine oder mehrere Alternativen verworfen wurden. Engagement in ein bestimmtes Verhalten. Nur wenn Commitment in der einen oder anderen Weise besteht, entsteht Dissonanz. Man fühlt sich an seine Entscheidung gebunden und gerät dadurch nicht nur kognitiv sondern auch emotional in Widerspruch zu dissonanter Information. Erzwungene Einwilligung: Auftrag oder Befehl, situativer Zwang. Je größer der Zwang, desto geringer die Dissonanz, allenfalls Lippenbekenntnisses. Region der Zustimmung und Beeinflussungsmöglichkeit Beispiele: Rauchen, Alkohol, Zahl der Flüchtlinge, IS bzw. religiöser Fanatismus Region der Zustimmung, Ablehnung und Indifferenz Je größer die Ichbeteiligung, desto schmäler die Region der Zustimmung Je breiter die Region der Zustimmung, desto leichter sind Beeinflussungs(überredungs-)versuche wirksam Bei starkem ego-involvement und enger Region der Zustimmung tritt ein Bumerang-Effekt bei Beeinflussung auf: die eigene Position wird noch verstärkt. Bumerang-Effekte Stärke der Verankerung Polarität der Position Negative Bewertung der Informationsquelle Stichhaltigkeit der Argumente Vorbehalte von vorneherein, dass Information zentrale Überzeugungen tangieren könnte. Experiment zur Einstellungsänderung (Cohen, 1962) Negative Einstellung zum Eingreifen der Polizei an der Universität in New Haven Schreiben eines positiven Essays zum Eingreifen der Polizei Belohnung: 0,50, 1.-, 5.-, 10.- Hypothese: Dissonanz am höchsten bei geringer Belohnung Ergebnis: Einstellungsänderung am höchsten bei niedriger Belohnung Experiment zur Reduktion von Hunger (Brehm & Cohen, 1962) Scheinexperiment: Einfluss des Hungers auf kognitive und motorische Leistungen Induktion von Dissonanz: Einwilligung in Teilnahme an weiteren Experimenten im Hungerzustand Geringe Dissonanz: Kreditpunkte zur Aufnahme in ein Praktikum Hohe Dissonanz: keine Kreditpunkte, aber 5 Dollar Ergebnis: Probanden mit Geldbelohnung verspürten weniger Hunger Experimente zur Reduktion von Aversion gegenüber Nahrungsmittel Army-Reservisten werden überredet, Heuschrecken zu essen Geringe Dissonanz: freundliches Verhalten, gute Atmosphäre, Rauchen erlaubt Hohe Dissonanz: unfreundliches, barsches Verhalten, kalte Atmosphäre, Rauchverbot Ergebnisse: Pbn in der kalten Atmosphäre verringerten ihre Abneigung gegen Heuschrecken stärker als Pbn in der positiven Atmosphäre Einwilligung von Heimschülern, Gemüse zu essen, das sie nicht mochten Die Dissonanz wächst mit der Menge des verzehrten Gemüses an: Variation der Größe der vorgesetzten Portionen Ergebnisse: Positive Einstellung zum zuvor abgelehnten Gemüse bei großer Portion, aber nur, wenn die Pbn zusätzlich negative Informationen über das betreffende Gemüse erhielten (!) Dissonanz und Arbeitsleistung 4 Versuchsgruppen: 1. Gruppe: Stundenlohn mit Information, zu hoch bezahlt zu werden 2. Gruppe: gleicher Stundenlohn mit Information adäquater Bezahlung 3. Gruppe: Stücklohn mit Information einer zu guten Bezahlung 4. Gruppe: gleicher Stücklohn mit Information adäquater Bezahlung Dissonanz bei Gruppe 1 und 3 Ergebnisse: Gruppe 1 leistete mehr als Gruppe 2 Gruppe 3 leistete weniger als Gruppe 4 Damit wird die Dissonanztheorie bestätigt Eigene Untersuchungen Ermittlung von vier Wertfaktoren Kurzvorträge gegen die eigene Überzeugung auf Band Ergebnisse: Bumerangeffekt umso stärker, je tiefer Wertüberzeugung verankert war und je stärker die Polarisierung ausgeprägt war. Bei tiefen religiösen Überzeugungen, Fanatismus, Extremismus ist in der Regel der Bumerangeffekt zu erwarten. Reaktanz, ein Sonderfall kognitiver Dissonanz Typisch für die Reaktanz ist eine Aufwertung der eliminierten Alternative, d. h. gerade diejenigen Freiheiten, die der Person genommen wurden, werden nun als besonders wichtig erlebt. Die betroffene Handlungsmöglichkeit kann der Person zuvor völlig unwichtig gewesen sein. Im Extremfall hat die Person von dieser Handlungsmöglichkeit vor dem Eintreten der Beschränkung nie Gebrauch gemacht, übt die Handlung aber seit dem Eintreten der Einschränkung aus. Reaktantes Verhalten besteht darin, solche Handlungen nun erst recht auszuführen. Auf diese Weise möchte sich die betroffene Person diese Freiheiten gleichsam zurückerobern (auch wenn dies ggf. gar nicht mehr möglich ist). Ausverkauf ⇒ die Ware erscheint mit zunehmender Knappheit begehrenswerter als zuvor. Kindererziehung: Kind begehrt Eis oder Süßigkeiten, die von der Mutter verboten werden. Partnerwahl: die ausgeschiedene Option wird attraktiv Reaktanzverhalten tritt insbesondere dann auf, wenn - äußere Einflussversuche zur Änderung oder Kontrolle von Einstellungen erfolgen [aktiver sozialer Einfluss von außen] oder - Barrieren errichtet werden [passiver sozialer Einfluss von außen] oder - ein Zwang zur Auswahl zwischen verschiedenen Alternativen besteht [aktive/passive Behinderung von innen]. Die Reaktanz ist umso größer: - je größer der instrumentelle Wert der bedrohten Verhaltensweise ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen; - je größer die Stärke des entsprechenden Bedürfnisses ist - Je größer die Erwartung ist, ein bestimmtes Ziel erreichen zu können. Hauptklassen an Reaktionen: Direkte Wiederherstellung der Freiheit durch entsprechende Verhaltensaktionen: effektivste Art der Reaktanzreduktion, aber häufig nicht möglich, wegen negativer Sanktionen oder irreversibler Elimination der Freiheit durch zuvor getroffene Entscheidung. Indirekte Wiederherstellung der Freiheit durch eine Verhaltensweise, die der verlorenen möglichst ähnlich ist. Aggression, die differenziert werden kann in: instrumentelle Aggression; unspezifische Aggressivität. Attraktivitätsveränderungen: Als kognitive Strategie zur Dissonanzreduktion wird die verlorene Freiheit in ihrer Attraktivität abgewertet. Eingriff in das Gehirn: neurologische Manipulation „Gottesmodul“ Klassische Konditionierung: Verknüpfung neutraler Reize mit Angst Reizung von Lustzentren Reizung von Angstzentren Drogen erzeugen Veränderungen im Gehirn Ausblick: rationale Informationsverarbeitung Bewusste Reflexion der Mechanismen, in die wir bei Einstellungen und Einstellungsänderungen verstrickt sind Nutzung der sokratischen Methode: Hebammenkunst. Durch Fragen zur rationalen Klärung Auf dieser Basis kreative Lösungen finden Angesicht drohender Beeinflussungstechniken: ethisch legitimierte Kontrolle