Consumer Industries & Retail Group Akzente 2’11 Mit Advanced Analytics lassen sich Kundeninformationen optimal nutzen Mehrumsatz aus Kundendaten Einkauf Global gewinnt: Wer die weltweiten Beschaffungsmärkte nutzen will, braucht kategoriespezifische Strategien Zukunft Vier Megatrends werden die wirtschaftliche Entwicklung bestimmen – wie Sie sich darauf einstellen können Interview Karl-Erivan W. Haub, Chef der Unternehmensgruppe Tengelmann, über einen Handelskonzern im Wandel Lieferkette Langsamdrehende Artikel können hohe Deckungsbeiträge bringen – wenn die Supply Chain optimiert wird Social Media Mehr Buzz gleich mehr Umsatz: Mit neuen Analysetools kann das Marketing Social Media besser nutzen 2 Inhalt 4 McKinsey News: Wettbewerb um Fachkräfte; Wirtschaftsfaktor Internet; Erfolgreiche Apps entwickeln; Big Data richtig nutzen; Vermögensverwalter im Plus; Buchtipp: Reimagining Japan 8 Titelthema: Mit Advanced Analytics Kundendaten optimal nutzen Wie Handelsunternehmen Kunden informationen zur Steigerung von Umsatz und Ertrag einsetzen können 16 Global gewinnt Wer die weltweiten Beschaffungsmärkte nutzt, braucht kategoriespezifische Strategien Titelthema: Kundendaten in Mehrumsatz verwandeln – mit Advanced Analytics Seite 8 22 „In jeder Generation muss ein wirklich erfolgreiches Investment gelingen“ Interview mit Karl-Erivan W. Haub, Chef der Unternehmensgruppe Tengelmann 28 Erfolgsfaktoren für das Multikanalgeschäft Modehändler, die ihre Vertriebsschienen intelligent verzahnen, verkaufen mehr 34 Wie Sie Zukunftstrends bewerten und nutzen Vier Megatrends bestimmen die Entwicklung – wie Sie sich darauf einstellen können Interview: Tengelmann-Chef Karl-Erivan W. Haub über die Herausforderung für die fünfte Generation Seite 22 40 Effiziente Supply Chains für Langsamdreher Mit vier Hebeln lässt sich die Lieferkette optimieren 44 Marketing von unten Mit neuen Analysetools lassen sich Social Media besser nutzen 50 Die Marke ist eine bedrohte Spezies ... … kommentiert Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbands 52 Werkstatt Aktuelle McKinsey-Studien Was erwarten Mütter von Babywindeln? In Social Media diskutieren Kunden – wie lässt sich das nutzen? Seite 44 53 Impressum Akzente 2’11 3 Editorial Es wächst zusammen, was zusammengehört Wer in Seoul U-Bahn fährt, wähnt sich unvermittelt im Lebensmittelgeschäft: An den Wänden einiger Stationen hat Home plus, der koreanische Ableger der britischen Handelskette Tesco, mit Fotos einen kompletten Supermarkt nachgestellt. Immer wieder bleiben eilige Berufspendler stehen, zücken ihr Smartphone und scannen die QR-Codes unter den abgebildeten Produkten. Und wenn sie nach Hause kommen, wird ihnen ein Karton mit den ausgewählten Lebensmitteln an die Wohnungstür geliefert. Das Angebot kommt an, weil die hart arbeitenden Koreaner die knappe Freizeit ungern in Supermärkten verbringen – wenn die Menschen nicht in die Läden kommen, bewegt Home plus sein Angebot dorthin, wo die Menschen sind. Die Technik macht es möglich. Und in den USA haben der Elektronikhändler Best Buy sowie die Kaufhauskette Macy’s einige Die koreanischen U-Bahn-Shopper können Sie sich auf YouTube anschauen. Filialen mit einer Technik ausgerüstet, die Stichwort: Home plus. die Mobiltelefone der Kunden zentimetergenau im Geschäft lokalisiert und dann passgenaue Werbung auf die Displays schickt. Eines ist den Beispielen gemein: Sie illustrieren das rasante Zusammenwachsen der Vertriebskanäle. Mobil, online und stationär sind längst nicht mehr in Entweder-oder-Kategorien zu denken, erst im Zusammenspiel stiften sie maximalen Nutzen. Diesem Thema in seinen verschiedenen Facetten begegnen Sie in dieser Ausgabe von Akzente gleich mehrfach: zum Beispiel im Beitrag über die Zukunftstrends, im Artikel über das Multikanalgeschäft und in unserem Interview mit Karl-Erivan W. Haub, Chef des Handelskonzerns Tengelmann. Anregende Lektüre wünscht Ihnen Klaus Behrenbeck, Herausgeber von Akzente, Leiter des europäischen Konsumgüter- und Handelssektors von McKinsey klaus_behrenbeck @mckinsey.com 4 News Wettbewerb um die Fachkräfte Wie Unternehmen qualifizierte Mitarbeiter halten und gewinnen können. Der demografische Wandel wird den Wettbewerb um Fachkräfte in Deutschland spürbar verschärfen. Bis 2025 fehlen bis zu 5 Millionen Fachkräfte,davon rund 2,4 Millionen Akademiker. Daher sollten Unternehmen bereits heute ihre Personalplanung langfristig ausrichten und eine klare, mit Zielkennzahlen hinterlegte Fachkräftestrategie verfolgen – nur so können sie zukünftige Engpässe vermeiden. Den Unternehmen bieten sich dazu individuelle Ansätze: „Die Politik kann bessere Rahmenbedingungen schaffen, aber jedes Unternehmen muss seine eigenen Chancen genau analysieren und konsequent nutzen“, sagte der Deutschlandchef von McKinsey, Frank Mattern, als er die neue McKinsey-Studie „Wettbewerbsfaktor Fachkräfte – Strategien für Deutschlands Unternehmen“ im Mai in einem gemeinsamen Pressegespräch mit Bundesministerin Ursula von der Leyen in Berlin vorstellte. Der Studie zufolge kümmern sich die Unternehmen in Deutschland bereits heute um die Sicherung ihres Fachkräftebedarfs. Allerdings analysieren sie nur in Einzelfällen ihren Bedarf an Fachkräften und die Zusammensetzung der eigenen Belegschaft in den kommenden 10 bis 15 Jahren systematisch nach Standorten und Anforderungsprofil. Mattern: „Dies ist aber Voraussetzung für eine zielgerichtete Personalplanung.“ Strategien zur Fachkräftesicherung Katrin Suder, Leiterin des Beratungsbereichs Öffentlicher Sektor bei McKinsey, Flexible Beschäftigungsmodelle für Mütter erschließen Potenziale – Frauen könnten die Fachkräftelücke um fast die Hälfte verkleinern. erläuterte im Pressegespräch, welche konkreten Maßnahmen Unternehmen zur Verfügung stehen. Zunächst können sie die vorhandenen Potenziale vor allem bei Frauen und älteren Fachkräften nutzen. „Mitarbeiterinnen besser zu fördern und ihre Chancengleichheit sicherzustellen ist ebenso Bestandteil einer erfolgreichen Fachkräftestrategie wie die Vermeidung von Frühverrentung“, sagte Katrin Suder. Gelänge es, mehr Frauen Vollzeitarbeit zu ermöglichen und zusätzlich die Erwerbsbeteiligung von Frauen insgesamt zu erhöhen, so könnte ein Potenzial von bis zu 2 Millionen Fachkräften aktiviert werden. Deshalb empfiehlt die McKinseyStudie Unternehmen, flexible Modelle für Frauen weiterzuentwickeln, beispielsweise das Instrument der Lebensarbeitszeit, oder Lösungen für Teilzeitbeschäftigte zu finden, die ihnen etwa höhere Wochenstundenzahlen ermöglichen. Ein Potenzial von bis zu 1,2 Millionen Fachkräften könnte zudem durch eine stärkere Einbindung von Mitarbeitern im Alter von über 55 Jahren aktiviert werden. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel können Unternehmen außerdem die eigene Wettbewerbsposition als Arbeit- gebermarke verbessern und Personalstandorte stärken. Die Mitarbeiterbindung lässt sich beispielsweise durch Weiterbildung erhöhen. In Kooperationen und Partnerschaften mit branchenübergreifenden Netzwerken lassen sich auch weniger attraktive Standorte aufwerten. „Dies sind vor allem Optionen für Mittelständler, die im Alleingang nicht immer über die kritische Größe oder einen bekannten Markennamen für nachhaltige Veränderungen verfügen“, sagte Suder. Dem Engpass ausweichen Schließlich können Unternehmen auch einen Ausweg wählen und in kritischen Bereichen ihren Fachkräftebedarf senken. Als Möglichkeit nannte Suder in diesem Handlungsfeld das Outsourcing und die Bündelung von Aufgaben in Dienstleistungszentren. Insgesamt ist das Fazit der McKinsey-Studie positiv: Zwar wird der Fachkräftemangel kommen – doch die Unternehmen können durch ihre Aktivität dafür sorgen, dass er sie nicht empfindlich trifft und auch gesamtwirtschaftlich keine nachhaltig negative Wirkung entfaltet . Die Studie finden Sie zum Download unter www.mckinsey.de Akzente 2’11 5 So entwickeln Unternehmen wirklich erfolgreiche Apps Wirtschaftsfaktor Internet Eine Studie des McKinsey Global Institute misst die Bedeutung der Internetindustrie. In den bedeutendsten Industrienationen – in der G8-Gruppe sowie in Brasilien, China, Indien, Südkorea und Schweden – trägt das Internet im Schnitt 3,4 Prozent zum Sozialprodukt bei. Insgesamt generiert es Umsätze, die höher liegen als das Sozialprodukt von Spanien oder Kanada, die Wachstumsrate liegt über der des Boomlands Brasilien. Die Internetnutzung korreliert mit den Wachstumsraten Dies sind einige Kennzahlen aus der Studie „Internet matters: The Net’s sweeping impact on growth, jobs, and prosperity“, die das McKinsey Global Institute gemeinsam mit der Telekommunikations- , Medien- und Technologie-Practice des Beratungsunternehmens jetzt vorgestellt hat. Kernaussage: Das Internet hat einen kritischen Einfluss auf das Wachstum der Volkswirtschaften – und zwar zunehmend. In den vergangenen 15 Jahren trug das Netz in den untersuchten Volkswirtschaften rund 10 Prozent zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum bei, betrachtet man nur die letzten 5 Jahre, so steigt dieser Wert schon auf 21 Prozent. Auch auf Unternehmensebene wirkt sich das Internet positiv aus. Bei 4.800 in der Studie analysierten mittelständischen Unternehmen brachte das Internet im Die Umsätze der Internetwirtschaft liegen über dem Sozialprodukt von Kanada: Die neue Studie „Internet matters“ vom McKinsey Global Institute. Schnitt eine Steigerung der Profitabilität um 10 Prozent. Den größten Nutzen stiftet das Netz dabei in klassischen Industrien: Auf sie entfallen 75 Prozent des Mehrwerts. Je „erwachsener“ ein Land in Sachen Internet ist – bezogen auf Internetnutzung, Qualität der Infrastruktur und Ausgaben für Internetkäufe – desto größer ist das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens. Und für jeden Job, der wegen Effizienzgewinnen durch das Netz verloren geht, schafft es im Schnitt 2,6 Jobs durch das Erschließen neuer Geschäfte. Unternehmen, die das Internet voll in ihr Geschäftsmodell integriert haben, schaffen doppelt so viele neue Jobs wie der Durchschnitt. Die Studie lässt sich downloaden unter www.mckinsey.com/mgi Der App Store von iTunes. Anfang dieses Jahres lud sich ein iPhone-Besitzer die zehnmilliardste App auf sein Mobiltelefon – die vielfältigen Programme sind ein Hit in der rasant wachsenden Gemeinde der Smartphone-Besitzer. Längst sind deshalb die Markenartikler im App Store präsent – mit unterschiedlichem Erfolg. McKinsey und NM Incite, das Joint Venture der Unternehmensberatung mit dem Marktforschungsunternehmen Nielsen, haben jetzt die Erfolgsfaktoren für solche Apps identi¿ziert. Apps, die eine stärkere Markenbindung zum Ziel haben, sollten auf interaktive Produktinformationen und spielerische Begegnungen mit der Marke setzen. Coca-Cola beispielsweise erzählt unter großem Multimedia-Einsatz seine Geschichte, Gucci gibt Liebhabern der Marke Tipps für das stilsichere Reisen. Mehr Umsatz bringen Apps, die den Kaufprozess vereinfachen oder mit attraktiven Features neue Käufer locken. Die App des Einzelhändlers Tesco beinhaltet einen „Store Finder“, außerdem kann man mit ihr Barcodes scannen und so Produkte auf die Online-Shoppingliste setzen. Manchmal offerieren Apps auch zusätzliche Dienstleistungen: Die meisten Banken etwa haben Apps, die nicht nur mobile Bankservices erledigen, sondern auch den Weg zum nächstgelegenen Geldautomaten weisen. 6 News Big Data: Wie die Datenflut Nutzen stiftet Unternehmen haben 2010 mehr als 7 Exabyte neue Daten gespeichert – doch wie wird daraus nützliche Information? Lokale Angebote aus der Ortung von Mobiltelefonen können einen Nutzen von 600 Milliarden US-Dollar stiften. Der technische Fortschritt macht es möglich: Jedes Jahr schwillt die Datenflut weiter an, sammeln und speichern Unternehmen, öffentliche Hand und Privatleute mehr Informationen. Wie sich der Datenschatz aus Big Data – definiert als große Datenmengen, die von herkömmlichen Softwaretools nicht mehr beherrschbar sind – heben lässt, haben jetzt das McKinsey Global Institute (MGI) und McKinseys Business Technology Office untersucht. Europas Regierungen könnten mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr sparen Die Studie entdeckt gewaltige Potenziale: So können beispielsweise Handelsunternehmen, die ihre Datenflut richtig auswerten, ihren operativen Gewinn um bis zu 60 Prozent steigern (siehe auch das Thema „Advanced Analytics“ auf Seite 8). Aber gerade auch im öffentlichen Sektor kann die Auswertung von Big Data großen Nutzen stiften: So könnte das US-Gesundheitswesen jährlich einen Wert von 300 Milliarden US-Dollar schaffen, wenn es die Daten kreativ und effektiv einsetzt. Zwei Drittel davon würden als reine Ersparnis anfallen. Die Gesundheitskosten der USA könnten um 8 Prozent gesenkt werden – allein durch intelligente Auswertung der Daten. Auch in Europa könnten sich die Regierungen die Datenflut nutzbar machen und so jährlich rund 100 Milliarden Euro sparen, weil sie ihre operative Effizienz steigern. Mögliche höhere Steuereinnahmen, weil Betrugsmöglichkeiten und Fehlerquellen minimiert würden, sind dabei noch nicht eingerechnet. Auch die Verbraucher würden vom effizienten Einsatz von Big Data profitieren: Aufbauend auf der lokalen Ortung ihrer Mobiltelefone könnten Unternehmen attraktive ortsspezifische Informationsund Serviceangebote entwickeln. Big Data fördern einen neuen Typ von Unternehmen Die exponential wachsenden Datenmengen werden den Unternehmen, die sie am besten zu nutzen verstehen, neue Wachstumschancen erschließen. Und sie werden ganz neue Typen von Unternehmen schaffen, die strategisch günstig an Knotenpunkten des Informationsflusses angesiedelt sind, an denen Informationen über Produkte, Lieferanten, Käufer und Verbraucherwünsche zusammenfließen. Die Studie identifiziert fünf Ansatzpunkte, um aus Big Data Nutzen zu ziehen: Bereichsübergreifenden Zugang schaffen. Auch getrennt operierende Un- ternehmensteile sollen ihre Datenschätze nicht für sich behalten, sondern teilen. Breiter anwenden. Organisationen sollten die verfügbaren detaillierten Performance-Daten von Lagerbeständen bis hin zu Krankentagen des Personals nutzen, um Ansatzpunkte für Verbesserungen zu finden. Segmentieren und Angebote maßschneidern. Marketing und Risikomanagement in vielen Großunternehmen nutzen Big Data schon intensiv, aber vor allem der öffentliche Sektor kann davon lernen und mit Big Data seinen Service verbessern. Entscheidungen durch Algorithmen unterstützen. Intelligente, automatisierte Analysen verbessern die Entscheidungsprozesse. Produkte und Services verbessern. Die Datenanalyse kann die Entwicklungsprozesse optimieren und zu innovativen Angeboten führen. Allerdings seien, schreiben die Autoren der Studie, noch einige Hindernisse zu überwinden. So fehlen allein in den USA 140.000 bis 190.000 Menschen mit der Ausbildung und den nötigen analytischen Fähigkeiten, um Big Data in großem Stil nutzen zu können. Mehr: www.mckinsey.com/mgi/publications/big_data Akzente 2’11 7 Zurück in die Erfolgsspur: Reimagining Japan Vermögensverwalter im Plus McKinsey stellt Ergebnisse des Asset Management Survey 2011 vor. Die globale Asset-Management-Branche hat sich 2010 weiter von den Folgen der Finanzkrise erholt. Die Gesamtsumme der weltweit verwalteten Vermögen stieg um 7 Prozent auf rund 35 Billiarden Euro. Doch nur 0,02 Prozent des Wachstums entfiel auf neue Geldanlagen, berichtet der „2011 Asset Management Economic Survey“ von McKinsey. Einmal im Jahr untersucht die Asset Management Practice der Unternehmensberatung, wie sich die weltweite Geldanlageindustrie entwickelt. Für die Jahre seit der Finanzkrise verzeichnet der Bericht regionale Ungleichgewichte: Während seit 2008 neue Anlagen in Höhe von 100 Milliarden Euro nach Lateinamerika flossen und zugleich Asien – ohne Japan – ein Plus von 172 Milliarden Euro verzeichnete, verlor Nordamerika 382 Milliarden Euro und Kontinentaleuropa 135 Milliarden Euro. Gesetzliche Regulierung bringt den indischen Markt ins Minus Japan (plus 134 Milliarden Euro) und Großbritannien (plus 101 Milliarden Euro) zogen viel neues Kapital an. Am schlechtesten entwickelte sich Indien. Nach einer gesetzlichen Regulierung sank der Wert der verwalteten Vermögen um 12 Prozent, obwohl gleichzeitig der indische Aktienmarkt ein Plus von 17 Prozent verzeichnete. Börse in Hongkong: Das größte Plus an verwalteten Anlagen verzeichnete Asien. Institutionelle Anleger sorgten mit Neuanlagen in Höhe von 363 Milliarden Euro zwischen 2008 und 2010 für Wachstum in der Geldanlagebranche, während private Anleger 335 Milliarden Dollar abzogen. Weltweit verdient die Branche wieder besser: Der durchschnittliche operative Gewinn stieg von 9,6 Basispunkten 2009 auf 12,5 Basispunkte im vergangenen Jahr, lag aber immer noch weit unter dem Wert von 2007 von 16,6 Basispunkten. „Die Studie zeigt, dass die meisten Topverwalter Profitmarge und verwaltetes Vermögen simultan steigerten“, sagt Martin Huber aus der Asset Management Practice, „und sie schafften das sowohl im Segment der privaten als auch der institutionellen Anleger.“ „Reimagining Japan“, herausgegeben von Brian Salsberg, Clay Chandler und Heang Chhor; Simon & Schuster 2011 Das richtige Buch zur rechten Zeit: Begonnen lange vor dem verheerenden Tsunami, der Japan im Frühjahr verwüstete, beschreibt „Reimagining Japan“ Auswege aus der Stagnation, die das Land schon viel früher erfasst hatte. McKinsey lud insgesamt 80 Autoren aus der ganzen Welt – Vorstände, Wissenschaftler, Japankenner, Journalisten, Kulturschaffende und Sportstars – ein, über Herausforderungen und Chancen für Japan zu schreiben. Aus Europa meldeten sich unter anderem Bernard Arnault, Chef des Luxuskonzerns LVMH, Peter Löscher, Vorstandsvorsitzender von Siemens, und Carlos Ghosn, Lenker von Renault-Nissan, zu Wort. Heang Chhor, ehemaliger Chef von McKinsey in Japan, zeichnet in einer Roadmap für die nächsten 20 Jahre detailliert den Weg zu neuer Dynamik für das asiatische Land vor. Wie ein roter Faden zieht sich eine Erkenntnis durch die Beiträge von Gastautoren und McKinseyBeratern: Wenn Japan wieder an die alten Erfolge anknüpfen will, ist es unabdingbar, dass sich das Land zu mehr Offenheit gegenüber und zu mehr Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt entschließt. 8 Handelsmarketing Mit Advanced Analytics können Händler Kundendaten optimal nutzen Die Flut der Kundendaten überfordert viele Handelsunternehmen. Neue Analysemethoden helfen, die Kundeninformationen zur Steigerung von Umsätzen, Margen und Erträgen zu nutzen. Akzente 2’11 9 Einkauf mit der Kundenkarte: Jede Transaktion hinterlässt eine Datenspur. Wie aus Daten nutzbringende Informationen für Handelsunternehmen werden, zeigt Advanced Analytics von McKinsey. 10 Handelsmarketing Von Peter Breuer, Boris Mittermüller und Jesko Perrey Handelsunternehmen genießen das Privileg des direkten Kundenkontakts. Während Konsumgüterhersteller komplizierte Marktforschungsmethoden benötigen, um mehr über ihre Käufer zu erfahren, begeben sich Händler einfach auf Spurensuche: Ob über seine Interaktionen, Bezahlvorgänge, Treuekarten oder durch Online-Feedback – bei jedem Kontakt legt der Kunde eine Datenfährte. Seit jeher sammeln und verarbeiten Händler diese Informationen, um die kaufentscheidenden Faktoren zu verstehen und das unternehmerische Handeln danach auszurichten, etwa durch optimale Preisgestaltung, maßgeschneiderte Angebote oder kundenorientierte Sortimente. Laut Esomar, der Dachorganisation der europäischen Meinungs- und Marktforscher, bearbeitet beispielsweise Wal-Mart eine Million Transaktionen pro Stunde und füllt damit Datenbanken von über 2.500 Terabyte – dies ist mehr als die hundertfache Kapazität der Library of Congress, der größten Bibliothek der Welt. Rechnet man die von Marktforschern wie Nielsen erhobenen Daten hinzu, kommt man schnell auf den Datensatz einer Volkszählung. Allein 2009, so vermuten Marktforscher von Amazon.com, wurden mehr Daten generiert als in den vergangenen 2.000 Jahren zusammen; aber nur 5 Prozent davon sind strukturiert, also für IT-Systeme lesbar. Und die Datenbestände wachsen rasant: nach Schätzungen der Marktforscher von IDC um rund 60 Prozent jedes Jahr, vor allem wegen der immer umfangreicheren Erfassung individueller Kundendaten (Gra¿k 1). Diese DatenÀut ist für die Händler Segen und Fluch zugleich. Die detaillierten Informationen sind der Schlüssel zu den Wünschen von Millionen von Kunden und verheißen echte Wettbewerbsvorteile. Doch wie halten die Unternehmen Schritt, wenn die Datenwelle immer schneller rollt? Wie werden sie aus der Fülle von Informationen zu Kundenaufkommen, Warenkorbgrößen und Wiederholungskäufen klug, wie aus Promotion-Ergebnissen, Werbeef¿zienzraten, Controllingdaten und allgemeinen demogra¿schen Angaben? Zugespitzter gefragt: Wie können sie Daten in aussagekräftige Informationen und damit in einen echten Wettbewerbsvorsprung verwandeln? Handfeste Wettbewerbsvorteile Führenden Einzelhändlern gelingt dies, indem sie auf die vielfach bewährten Methoden der Advanced Analytics setzen: Sie durchleuchten mit leistungsfähigen Analyseverfahren ihre Kundendaten und nutzen die Ergebnisse für Marketing- und Merchandisingentscheidungen. So durchforstet Wal-Mart ganze Petabytes von Daten, um daraus Kundenvorlieben und Kaufmuster abzulesen sowie Produkthersteller zu Preis- und Distributionszugeständnissen zu bewegen – ein detailliertes, kostenef¿zientes Datenerfassungssystem macht’s möglich. Dem Beispiel Wal-Marts folgen inzwischen zahlreiche Unternehmen. Mit immer raf¿nierteren Methoden werden große Datenmengen aus Vertriebskanälen, Kataloggeschäft, Filialen und Online-Interaktionen bis ins kleinste Detail ge¿ltert und analysiert. Die Nutzung von immer kleinteiligeren Kundendaten hat einen guten Grund: Sie versetzt die Händler in die Lage, ihre Marketing- und Merchandisingaktivitäten effektiver, sprich erfolgreicher zu machen. Am besten veranschaulichen einige Beispiele, wie die Unternehmen ihren Erfolg mit Hilfe von Advanced Analytics deutlich steigern können (Gra¿k 2, Seite 12). Im Mittelpunkt stehen dabei zunächst wichtige Marketingmaßnahmen und -instrumente. Mikrosegmentierung der Kunden. Nicht Segmentierung, sondern Personalisierung lautet mittlerweile die Devise vieler Händler: Die sprunghafte Zunahme von Daten zur Kundensegmentierung und immer ausgereiftere Analysetools ermöglichen heute die Bildung von immer feineren Mikrosegmenten. Dabei setzen die Händler längst nicht mehr nur auf klassische Marktforschungsergebnisse und Kau¿nformationen, sondern erheben auch Daten zum Verhalten einzelner Kunden (bis hin zu Clickstream-Daten aus dem Internet). Mehr noch: Sie können diese Daten nahezu in Echtzeit abrufen und sich somit extrem schnell an Veränderungen anpassen. Analyse des Kundenverhaltens in der Filiale. Diese Analysen zielen darauf ab, das Filiallayout, den Produktmix und die Regalpositionierung zu verbessern. Hierzu können Händler heute „intelligente“ Einkaufswagen einsetzen und die Kaufmuster ihrer Kunden nachvollziehen (etwa den Weg durch die Filiale und die Verweildauer in einzelnen Bereichen) oder mit SmartphoneApps wie „Shopkick“ Echtzeitdaten zum Kundenstandort, auch in der Filialumgebung, abrufen. Manche Unternehmen zeichnen zudem mit einer BildanalyseSoftware, die an das Videoüberwachungssystem gekoppelt ist, Verhalten und Wege ihrer Kunden auf. Akzente 2’11 11 1. Das globale Informationsvolumen nimmt exponentiell zu Exabytes1 2.000 Prognose Generierte Informationen 1.500 1.000 Vorhandener Speicher 500 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 1 Ein Exabyte = 1.000 Petabyte = eine Mio. Terabyte Quelle: IDC Standortbezogenes Marketing. Die zunehmende Verbreitung von Smartphones bietet den Retailern ohnehin interessante Möglichkeiten. Denn die Geräte geben Auskunft über den jeweiligen Standort ihrer Besitzer und sind damit Ansatzpunkt für das neue standortbezogene Marketing. Es richtet sich an Kunden, die sich in der Nähe von Filialen aufhalten oder sie bereits betreten haben. Ein Modegeschäft beispielsweise kann einen Kunden, der sich dem Laden nähert, via Handy über Sonderangebote informieren. Das Start-up-Unternehmen PlaceCast meldet, dass mit dem PlaceCast-Produkt „ShopAlerts“, einer standortbasierten Push-SMS-Software, mehr als die Hälfte der Empfänger zum Einkauf animiert werden konnte. Und fast jeder zweite Smartphone-Besitzer nutzt sein Gerät bereits für den mobilen Einkauf oder möchte dies in Zukunft tun. Cross-Selling. Ob demogra¿sche Daten, Einkaufsverhalten oder Informationen zu Vorlieben und Filialstandort: Ein ausgefeiltes Cross-Selling nutzt bei dem Versuch, mehr Artikel an den Mann und die Frau zu bringen, alle greifbaren Daten. Das beste Beispiel gibt Amazon.com: Der Online-Händler kann mit Hilfe des so genannten Collaborative Filtering zu jedem gekauften oder aufgerufenen Produkt personalisierte Empfehlungen für zusätzliche Einkäufe geben. Tatsächlich wird nach Angaben des Unternehmens fast ein Drittel des Umsatzes mit diesem Empfehlungssystem erzielt. Andere Händler optimieren mit Advanced Analytics Filialaktionen, indem sie Ergänzungsartikel zu Paketangeboten verknüpfen. Sentiment-Analyse. Hier geht es darum, Kundendaten aus sozialen Netzwerken auszuwerten und für Geschäftsentscheidungen zu nutzen. Diese „Stimmungsanalyse“ ermöglicht den Händlern, Reaktionen auf Marketingkampagnen nahezu in Echtzeit zu erfassen und die Kampagnen bei Bedarf entsprechend anzupassen. Obwohl sich die Methode noch in der Entwicklung be¿ndet, gehört sie schon jetzt zu den wichtigsten Internettools – aus gutem Grund, denn die Verbraucher orientieren sich bei ihren Kaufentscheidungen immer stärker an den Empfehlungen oder Warnungen aus ihrer jeweiligen Bezugsgruppe. Derzeit werden neue Instrumente erprobt, mit denen Händler Webverhalten und Entscheidungs- 12 Handelsmarketing 2. Die Bedeutung von Advanced Analytics variiert je nach Subsektor Höchste Relevanz Gesundheit, Körperpflege Allgemeine BauHandels- stoffe, ware Garten NahrungsStrecken- mittel, händler Getränke Bekleidung, Accessoires Sport, Hobby, Bücher, Musik Elektronik, Anwendungen Niedrigste Relevanz Möbel, Einrichtung Sonstiges Kundenmikrosegmentierung Marketing Analyse des Verhaltens in der Filiale Standortbezogenes Marketing Verbessertes Cross-Selling SentimentAnalyse Merchandising Verbesserung des Multikanalerlebnisses Sortimentsoptimierung Preisoptimierung Platzierungsund Designoptimierung Quelle: McKinsey prozesse der Konsumenten noch besser verfolgen und entsprechend zügiger darauf reagieren können. Verbesserung des Multikanalerlebnisses. Das Multikanalerlebnis – also das Zusammenspiel der einzelnen Vertriebskanäle, die zwar unterschiedliche Angebote machen, aber doch als gemeinsame Auftritte des Unternehmens erkennbar bleiben müssen – hat erheblichen EinÀuss sowohl auf den Umsatz als auch auf Zufriedenheit und Loyalität der Kunden. Mit Advanced Analytics können Händler beispielsweise Promotions und Preisgestaltung miteinander verzahnen, ganz gleich, ob die Konsumenten online, in der Filiale oder via Katalog einkaufen. So verfügt Williams-Sonoma, ein US-Händler von luxuriösen Kochutensilien und teurem Haushaltsbedarf, über integrierte Kundendatenbanken mit Informationen zu Einkommen, Immobilienwerten und Kinderzahl von rund 60 Millionen Haushalten. Elektronische Mailings auf der Basis dieser Informationen erzielen 10 bis 18 Mal höhere Response-Raten als herkömmliche Mailings. Ein weiteres Plus: Das Unternehmen kann verschiedene Katalogversionen erstellen, zugeschnitten auf die Vorlieben und das Budget der jeweiligen Kundengruppe. Akzente 2’11 13 Landbewohner kaufen anders ein als Städter: Zum Beispiel essen sie mehr Butter. Mit Advanced Analytics ¿nden Händler zum richtigen Warensortiment für ihre Region. Mit Advanced Analytics Sortiment, Preise und Platzierungen optimieren Advanced Analytics führt jedoch nicht nur zu besseren Lösungen im Marketing. Die Datenauswertung liefert auch Ansatzpunkte für die Optimierung des Merchandising. Sortimentsoptimierung. Wer das Produktangebot seiner Filialen anhand lokaler Merkmale wie Bevölkerungsstruktur und Käuferwahrnehmung optimiert, kann seinen Umsatz und Ertrag beträchtlich steigern. Ein führender Drogeriemarkt macht es vor: Angesichts rückläu¿gen Wachstums ermittelte das Management die Ursachen auf Warengruppenebene mit Verbraucherforschung, Markt- und Wettbewerbsanalysen sowie Advanced Analytics. Daraufhin verringerten die Drogeriemärkte die Anzahl der Artikel um 17 Prozent und erhöhten den Eigenmarkenanteil im Produktmix von 10 auf 14 Prozent. Auf diese Weise fand das Unternehmen zurück in die Erfolgsspur: Der Gewinn stieg nach dem Umsteuern um 3, der Umsatz um 2 Prozent. Preisoptimierung. Dank des zunehmend höheren Detailgrads der gewonnenen Preis- und Umsatzdaten sowie der immer präziseren Analysemethoden können Händler auch ihre Preisgestaltung weiter optimieren. Aus einer Vielzahl an Datenquellen werden Preisentscheidungen extrem schnell getroffen und bewertet. Mit komplexen Nachfrage-Elastizitätsmodellen lassen sich die Verkaufsdaten der Vergangenheit untersuchen, um daraus Erkenntnisse für die Preisbildung auf Artikelebene sowie Höhe und Zeitpunkt von Preissenkungen abzuleiten. Auf Basis dieser Ergebnisse können die Händler dann Promotion-Aktionen ebenso analysieren wie die Ursachen für Umsatzsteigerungen oder die Kostentreiber in ihren Kampagnen. Ein Lebensmitteleinzelhändler hat beispielsweise herausgefunden, dass Kunden auf dem Land mehr Butter und Reis kaufen, so dass die Preiselastizität dieser Produkte dort geringer ausfallen dürfte als in der Stadt. Dort werden die Einkaufslisten eher von Müsli und Süßigkeiten angeführt und die preisliche Schmerzschwelle für diese Produkte liegt entsprechend höher. Platzierungs-und Designoptimierung. Erhebliches Potenzial bieten auch eine verbesserte Produktplatzierung und -präsentation auf Grund der Analyse von Daten zu einzelnen Artikeln. Das Prinzip ist dasselbe wie bei Optimierungen, die sich auf Kundenverkehrsdaten stützen. So können Online-Händler ihre Webplatzierungen anhand von Daten zu Interaktionen wie Scrollings, Clicks und Mouse-overs anpassen. eBay hat Tausende von Experimenten durchgeführt, in denen das Unternehmen die verschiedenen Aspekte seiner Website untersuchte, um das Layout und andere Merkmale – von der Navigation bis hin zur Fotogröße – optimal zu gestalten. 14 Handelsmarketing 3. Das Konzept der Insights Factory Geschäftsprozesse Sortiment Pricing Marketing Automatisiertes DashboardReporting System-/ Anwendungsintegration Promotions Prozessintegration ... ... Mitarbeiter (vor Ort/offshore), Techniken, Tools Analytics Engine Insights Factory Ausschlachtung von Informationen Prädiktive Analysen Geschäftsregeln Entscheidungshilfe Leistungsüberwachung Virtuelle Datenmanagementplattform Transaktionsdaten Datenquellen • POS • Internet • Katalog Preis-/PromoHistorie • Promo-Historie • OTD-Preis • Preissenkungskalender • Gutscheineinlösung Marketingbibliothek Sortimentsdaten • Marketing• Artikelkalender eigenschaften • Kampagnen• Durchverkauf unterlagen • Kosten und • Wurfsendungen Subventionen • Mediengewichtungen Kundendaten • Loyalität • Haushalt Externe Daten • Kunden • Wettbewerber • Anbieter • Wirtschaft Quelle: McKinsey Die Beispiele zeigen: Mit Advanced Analytics haben Händler ein enorm wirkungsvolles Instrument in der Hand. Es führt zu weiteren Kostensenkungen in Geschäftsbetrieb und Lieferkette sowie zu neuen Wettbewerbsvorteilen durch Marketing und Merchandising. Zudem bildet es die Grundlage für Strategien, die auf höhere Erträge abzielen. Einzelne Pionierunternehmen, die dieses Instrument maximal nutzen, konnten ihre operativen Margen um mehr als 60 Prozent steigern. Der Einzelhandel insgesamt dürfte seine Produktivität bei konsequenter Anwendung und Weiterentwicklung von Advanced Analytics bis 2020 um mindestens 0,5 Prozent pro Jahr verbessern. Hilfe beim Einstieg in Advanced Analytics Zunächst stehen die meisten Handelsunternehmen jedoch vor der Herausforderung, die Kundenwünsche richtig zu verstehen und daraus einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu ziehen. Dazu brauchen sie praktische Advanced-Analytics-Werkzeuge, die ihre Entscheidungs¿ndung erleichtern und zur Wertschöpfung beitragen – und zwar nicht nur ein oder zwei Mal, sondern immer wieder. Um hier konkrete Unterstützung zu bieten, hat McKinsey das Consumer & Marketing Analytics Center (CMAC) gegründet. Dessen Kernstück ist die Insights Factory, Akzente 2’11 die Daten aus den unterschiedlichsten Quellen sammelt – von Transaktionsaufzeichnungen einzelner Klienten über Marktforschungsdaten von Agenturen bis hin zu Social Media Feeds. Der stetig wachsende Datenbestand wird permanent auf die Situation und die Bedürfnisse des Einzelhandels hin analysiert (Gra¿k 3). Weitere Module der Insights Factory sind ein geschlossenes System zum Kampagnenmanagement sowie eine Lokalisierungs-Scorecard auf Warengruppenebene, die Händlern dabei hilft, ihr Sortiment auf die Wünsche eines regionalen Kundenclusters oder eines bestimmten Stadtviertels auszurichten. Wirklich erfolgreiche Händler gehen nicht in der DatenÀut unter, sondern werden zu Wellenreitern. Dabei haben Kundendaten keinen Code, der nur ein einziges Mal entschlüsselt werden muss, um für immer Wert aus ihnen schöpfen zu können. Vielmehr erschließt ihre Potenziale nur, wer sich kontinuierlich mit ihnen auseinandersetzt. In diesem Sinne ruht in vielen Handelsunternehmen ein ungehobener Datenschatz. 15 Kernaussagen 1. Breite und Tiefe der verfügbaren Kundendaten haben ein neues Ausmaß erreicht und bringen viele Unternehmen an die Grenze ihrer Möglichkeiten. 2. Führende Handelsunternehmen optimieren mit Advanced Analytics ihr Marketing und Merchandising – und erzielen so spürbare Wettbewerbsvorteile. 3. Das Consumer & Marketing Analytics Center von McKinsey gibt Händlern praktische Tools an die Hand, um Kundendaten effektiver zu nutzen und ihre Wertschöpfung nachhaltig zu steigern. Haben Sie Fragen oder Anregungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: [email protected] Autoren 1 Dr. Peter Breuer ist Partner im Kölner Büro von McKinsey. Er ist Leiter des deutschen Konsumgüter- und Handelssektors und konzentriert sich in seiner Arbeit auf Strategieentwicklung und operative Verbesserungsprogramme. 2 Dr. Boris Mittermüller ist Berater im Kölner Büro von McKinsey. Er ist Mitglied des deutschen Konsumgüter- und Handelssektors sowie der Marketing & Sales Practice und berät primär Handelsunternehmen in allen operativen und strategischen Bereichen. 3 Dr. Jesko Perrey ist Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey. Er ist Leiter der deutschen Marketing & Sales Practice sowie der weltweiten Branding & Marketing Spend Effectiveness Group. 16 Einkaufsorganisation Global gewinnt Eine globale, aber nach Kategorien differenzierte Einkaufsorganisation bringt Wettbewerbsvorteile, die über reine Spareffekte weit hinausgehen. Dazu sind kategoriespezifische Strategien erforderlich. Von Guido Baier, Gisela Linge, Michael Sohn und Jan Wüllenweber Ist mein Einkauf ¿t genug für die wachsenden Anforderungen der globalen Beschaffungsmärkte? Diese Frage stellte sich ein weltweit agierender Getränkehersteller – und die Antwort ¿el alarmierend aus. Um seine rund 40 Konzerngesellschaften zu bedienen, hatte er die Einkaufsorganisation rund um den Erdball verteilt. Die Qualität der Beschaffung schwankte von Region zu Region, fehlende Transparenz führte zu Inef¿zienzen und Abstimmungsproblemen, vor allem bei globalen Marken. Die Einzelorganisationen waren zu klein und die Einkäufer zu überlastet, um langfristige Strategien zu entwickeln oder auch nur ihre Marktexpertise zu vertiefen. Gleichzeitig sah sich das Unternehmen immer mächtigeren Lieferanten und volatilen Rohstoffpreisen ausgesetzt. So wie dieser Getränkekonzern sind viele Konsumgüterhersteller längst zu internationalen Unternehmen geworden, ohne dass ihre innere Organisation mit dem Wachstum Schritt gehalten hat. Ihr Einkauf folgt vielfach noch einer Organisationslogik, nach der Wareneinkäufe nicht zentral verhandelt werden, sondern vor Ort in den Ländergesellschaften, wo regionale Marketingund Vertriebsfunktionen das Produktportfolio auf die jeweiligen Märkte abstimmen. Auf diese Weise gehen wertvolle Bündelungsvorteile gegenüber Großlieferanten ebenso verloren wie Kostenvorteile aus globalen Beschaffungsmärkten und Standardisierung. Eine zügige Neuaufstellung des Einkaufs lohnt sich, denn die Konsumgüterindustrie sieht sich gleich von zwei Seiten in die Zange genommen: Discounter drücken mit ihren Handelsmarken auf die Preise, während die Macht vieler Lieferanten auf Grund ihrer zunehmenden Größe und Versiertheit wächst. Darüber hinaus schmälern steigende Rohstoffpreise und die Verknappung wichtiger Ressourcen die Margen: 2008 lag die Steigerung der Rohstoffpreise erstmals über dem allgemeinen Preistrend und diese Entwicklung setzt sich seitdem fort. Unternehmen müssen ihre gesamte Wertschöpfungskette unter die Lupe nehmen, wenn sie ihre Margen nachhaltig verbessern wollen. Ein Schlüssel zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit liegt in einer globalisierten Beschaffung. Immerhin macht das Einkaufsvolumen 40 bis 60 Prozent des Umsatzes in der Konsumgüterindustrie aus – und damit den größten Kostenblock. Die derzeit laufende McKinsey-Studie „Global Purchasing Excellence“, in der unter anderem die Einkaufspraxis von 53 führenden Konsumgüterunternehmen analysiert wird, verzeichnet bei Unternehmen mit exzellenten Einkaufsorganisationen Einsparungen von 4,9 Prozent pro Jahr. Die Gruppe der Low Performers spart im Schnitt weniger als die Hälfte ein. Auf der Suche nach der idealen Einkaufsstruktur In der Praxis birgt das „going global“ im Einkauf allerdings nicht zu unterschätzende Tücken. So werden etwa mit zu starker Zentralisierung rasch Dyssynergien geschaffen, die die Vorteile ins Gegenteil verkehren. Eine Umfrage unter 30 Einkaufsvorständen brachte vor allem drei Problembereiche ans Licht: Die Zentralisierung von Produktkategorien, die lokalen Charakter haben und entsprechende dezentrale Expertise im Einkauf verlangen, eine zu große Distanz zur Nachfrage und die übermäßige Komplexität und Hierarchie infolge der globalen Strukturen. Auch der eingangs zitierte Getränkehersteller erkannte bald, dass eine Zentralisierung des Einkaufs zwar not- Akzente 2’11 17 Wer konsequent global, aber nach Kategorien differenziert einkauft, kann viel sparen: Exzellente Einkaufsorganisationen reduzieren laut einer McKinsey-Studie die Ausgaben im Schnitt um 4,9 Prozent pro Jahr. 18 Einkaufsorganisation 1. Aus der Komplexität des Lieferantenmarkts und der Bedeutung der Produktkategorie lassen sich vier Einkaufsmodelle ableiten x Modell 2 global Lieferantenmarkt Anteil am gesamten Einkaufsvolumen in % Modell 1 Konzerneinkauf mit lokaler Spezifikation Konzerneinkauf 20 – 30 40 – 50 Modell 4 Lokaler Einkauf Modell 3 Lokaler Einkauf nach Konzernstandards 10 – 20 10 – 20 regional/lokal konzernweit lokal Einkaufsvolumen und Festlegung Produktspezifikationen Quelle: McKinsey wendig ist, um global aufgestellten Zulieferern auf Augenhöhe zu begegnen, es aber keine pauschale Musterlösung für alle Produktkategorien gibt. Das klassische Lead-Buyer-Modell passt nicht mehr in die komplexer gewordene Beschaffungswelt. Vielmehr gilt es, maßgeschneiderte Lösungen für jede einzelne Kategorie zu ¿nden. Zentrale Auswahlkriterien sind dabei die Komplexität des Lieferantenmarkts (Gibt es globale Lieferanten? Existieren Handelsbarrieren? Lassen sich die Güter über weite Strecken transportieren?) und die innerbetriebliche Bedeutung der Produktkategorie (Wie groß ist das Einkaufsvolumen? Welche Synergien bestehen? Wer legt die Spezi¿kationen fest?). Anhand dieser Kriterien lassen sich vier verschiedene Einkaufsmodelle ableiten (Gra¿k 1). Modell 1 repräsentiert einen globalen Lieferantenmarkt, einheitliche Spezi¿kationen und ein signi¿kantes Einkaufsvolumen. Für diese Güter sollte die Strategie zentral entwickelt und ausgeführt werden, die Produktspezi¿kationen sind zu standardisieren. Modell 2 verfügt über einen globalen Lieferantenmarkt, doch Einkaufsvolumen oder einheitliche Produktspezi¿kationen spielen hier eine untergeordnete Rolle. Die Güter werden zwar zentral beschafft, von einer Standardisierung der eingekauften Produkte wird jedoch abgesehen. Die Modelle 3 und 4 sind eher lokal geprägt, wobei die örtliche Beschaffung im Modell 3 nach zentralen Standards erfolgt. Bei dem Getränkehersteller aus dem Eingangsbeispiel fanden sich mehr als 70 Prozent des Einkaufsvolumens in den Modellen 1 und 2, was der Situation vieler Konsumgüterhersteller entspricht. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für globale Einkaufsorganisationen ist die funktionsübergreifende Entscheidungs¿ndung mit einem klar de¿nierten Eskalationsprozess (Gra¿k 2). Dabei entwickeln zunächst die Einkaufsteams der jeweiligen Produktgruppe Strategien, die dann in regionalen oder globalen Kategoriekomitees diskutiert werden. Diesen Gremien gehören neben den Kategorieleitern aus dem Einkauf je nach Bedarf auch Spezialisten aus Produktentwicklung, Vertrieb, Marketing oder Con- Akzente 2’11 19 2. Funktionsübergreifende Gremien optimieren die Entscheidungsfindung Globales Einkaufskomitee • Leiter Einkauf • Leiter Forschung und Entwicklung • Leiter Marketing • Leiter Produktion • Regionaler/Globaler Kategorieleiter • Experten bei Bedarf Regionales Kategoriekomitee Globales Kategoriekomitee • Regionaler Kategorieleiter • Globaler Kategorieleiter Entscheidungs- und Strategiekomitee Einkauf – konzernweit Kategoriespezifische Entscheidungsinstanz – konzernweit • Technische Kategorieexperten • Marketingexperten • Controllingexperten • Evtl. weitere Spezialisten Regionale Einkaufsteams Globale Einkaufsteams • Regionaler Kategorieleiter • Lokale Einkäufer • Globaler Kategorieleiter • Globale Einkäufer Kategoriespezifische Strategietreiber und funktionsübergreifende Arbeitsteams – konzernweit/regional Quelle: McKinsey trolling an. Hier werden in der Regel alle Einkaufsentscheidungen gefällt. Im Fall des Getränkeherstellers entwickelt beispielsweise das zentrale Einkaufsteam für Verpackungsmaterial die globale Strategie für die Glasbeschaffung. Unter anderem ermittelt es, wer zurzeit die wichtigsten Lieferanten sind und welche neuen aufgebaut werden sollen. Diese Strategie und die daraus resultierenden Beschaffungsentscheidungen werden dann in dem für Verpackung zuständigen globalen Einkaufskomitee diskutiert, wenn nötig modi¿ziert und verabschiedet. Sollte auf dieser Ebene keine Einigung erzielt werden können, etwa weil die Produktion mit der Lieferantenauswahl aus logistischen Gründen nicht einverstanden ist, so wird als oberste Instanz das globale Einkaufskomitee unterhalb der Vorstandsebene angerufen. Dieses Gremium sollte auch die wichtigsten Einkaufsentscheidungen verabschieden, also Entscheidungen, die ein kritisches Beschaffungsvolumen überschreiten, das Risikopro¿l des Unternehmens signi¿kant beeinÀussen oder substanzielle strategische Auswirkungen haben (etwa Entscheidungen zu Lieferantenintegration, Single Sourcing). Der Weg zur globalen Beschaffung Im zweiten Schritt geht um die Umsetzung der Entscheidungen für ein Einkaufsmodell in Prozesse. Grundsätzlich gilt: Wird der globale Einkauf einer Kategorie beschlossen, dürfen einzelne Ländergesellschaften nicht ausscheren. Sollte sich herausstellen, dass der Zentraleinkauf vorteilhaft für den Konzern ist, aber nachteilig für einzelne Gesellschaften, sind Ausgleichsregelungen zu treffen, etwa in Form von Anpassungen der Leistungsziele und Budgets oder von entsprechenden Kompensationszahlungen. Die richtige Reihenfolge der Umsetzung ist ein weiterer Erfolgsfaktor für gelungene Einkaufstransformationen (Gra¿k 3). Oft beginnen Un- 20 Einkaufsorganisation 3. Erfolgreiche Einkaufstransformationen heben sich den Strukturwandel für den Schluss auf Wandel der Organisationsstruktur Erfolgsfaktoren bei der Organisationsänderung Viele Unternehmen ändern die Organisation zu früh – und scheitern Institutionalisierung der neuen Arbeitsweise Einführung der neuen Organisation Nachweis der Machbarkeit Erfolgreiche Pilotprojekte • „Stellen Sie den Erfolg unter Beweis“ – Zu Beginn starker Fokus auf Einsparpotenzial mit kleiner, effektiver Projektorganisation • „Institutionalisieren Sie die neue Arbeitsweise“ – Mit fortschreitendem Roll-out und wachsendem Veränderungswillen sukzessiver Aufbau der globalen Einkaufsorganisation • „Bauen Sie die neue Einkaufsorganisation stufenweise auf“ – Strukturen folgen den Potenzialen Heben des Potenzials über mehrere Wellen Frühe Einbeziehung der Entscheidungsträger Zeit Quelle: McKinsey ternehmen mit der Umstrukturierung, bevor der Boden für den Veränderungsprozess bereitet ist. Tatsächlich aber bringt es nichts, eine Organisation zu bauen, die von niemandem aktiv gestaltet und gelebt wird. Sehr viel erfolgversprechender ist ein mehrstu¿ges Vorgehen: Leuchtturmprojekte in ausgewählten Kategorien zeigen Einsparpotenziale und Prozessverbesserungen auf und fördern damit die Veränderungsbereitschaft im Unternehmen. Zudem decken sie gleich zu Beginn Fehlkonstruktionen auf und ermöglichen rechtzeitiges Gegensteuern. Dies gilt vor allem auch für weiche Faktoren, die in Veränderungsprozessen oft unterschätzt werden, zum Beispiel unzureichende Kapazitäten, der falsche Mann am falschen Ort oder übergangene wichtige Entscheidungsträger aus anderen Funktionsbereichen. Erst nach erfolgreichem Abschluss der Pilotphase folgt die Anpassung der Organisationsstrukturen und -prozesse. Die Skala der Aufgaben reicht von neuen hierarchischen Zuordnungen über verbindliche Abstimmungsprozesse zwischen zentralen und lokalen Einkäufern bis zur Differenzierung der Stellenbeschreibungen in strategische und operative Einkaufstätigkeiten. Begleitet werden die Anpassungen von einem konsequenten Auf- und Ausbau der benötigten Fähigkeiten der Einkäufer. Zentralisierung als Wettbewerbsfaktor Der eingangs beschriebene Getränkehersteller hat seinen Weg zur globalisierten Beschaffung erfolgreich zurückgelegt. Seine neue Einkaufsorganisation ist heute in sämtlichen Schlüsselregionen vertreten und bedient weltweit alle Konzerngesellschaften, basierend auf einem globalen Kooperationsmodell. Die strategische Beschaffung folgt einheitlichen Entscheidungsprozes- Akzente 2’11 sen, bei denen der operationale Einkauf überwiegend lokal verankert ist, während die übergeordnete Strategie von Kategoriemanagern in der Zentrale festgelegt wird. Eine globalisierte Einkaufsorganisation wie diese bietet Unternehmen gleich mehrere Vorteile: Sie schafft Preistransparenz über Regionen und Zulieferer hinweg. Sie nutzt die Einkaufsressourcen optimal und erzielt signi¿kante Kosteneinsparungen durch die Reduktion der Komplexität, einheitlichere Produktspezi¿kationen und die resultierende stärkere Bündelung von Einkaufsvolumina. Darüber hinaus ermöglicht sie ein transparentes, integriertes Risikomanagement, auch um der hohen Preisvolatilität bei Rohstoffen wirksam zu begegnen. Und durch den weltweiten Austausch von Best Practices zieht sie last but not least Einkaufstalente an. 21 Kernaussagen 1. Konsumgüterhersteller brauchen einen globalisierten Einkauf, um sich gegen weltweit agierende Lieferanten und wachsende Handelsmacht wirksam zu behaupten. 2. Ein starker Einkauf richtet seine Organisation und Prozesse an den Komplexitätsanforderungen des Produktportfolios aus. 3. Eine erfolgreiche Neuorganisation schafft Veränderungswillen durch Pilotierung in Leuchtturmprojekten, bevor sie den Wandel auf breiter Ebene vollzieht. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: [email protected] oder [email protected] Autoren 1 Guido Baier ist Partner im McKinsey-Büro Abu Dhabi und leitet die Purchasing in Packaged Goods Service Line von McKinsey. Sein Beratungsschwerpunkt liegt auf Einkaufstransformationen. 2 Dr. Gisela Linge ist Beraterin im Hamburger Büro von McKinsey und berät Unternehmen zu Einkaufsfragen, vorwiegend in der Konsumgüterindustrie. 3 Michael Sohn ist Berater im Hamburger Büro von McKinsey mit Fokus auf Einkaufsprojekten im Einzelhandel und in der Konsumgüterindustrie; zuvor war er acht Jahre im Einkauf bei Unilever tätig. 4 Dr. Jan Wüllenweber ist Partner im Kölner Büro und leitet die globale Purchasing Practice von McKinsey. Er berät Unternehmen der Konsumgüter- und der Automobilindustrie zu Fragen der Einkaufstransformation. 22 Interview „In jeder Generation muss ein wirklich erfolgreiches Investment gelingen“ Karl-Erivan W. Haub leitet in fünfter Generation die Unternehmensgruppe Tengelmann. Im Interview erklärt er, wie er das Handelsimperium für die nächste Generation fit macht. Vor der Tür grüßt die gemütliche Kaffeekanne aus dem Signet der Kaiser’s-Geschäfte, im Erdgeschoss ist der erste Tengelmann-Laden nachgebaut und an den Wänden der langen Korridore hängen Bilder der Ahnen: In der Mülheimer Zentrale der Tengelmann Warenhandelsgesellschaft sind 144 Jahre Familiengeschichte auf Schritt und Tritt präsent. In fünfter Generation führt Karl-Erivan W. Haub das Einzelhandelsimperium durch turbulente Zeiten: Nach einer veritablen Krise Ende der 90er Jahre hat er das Unternehmen neu aufgestellt. Der Discounter Plus und die Drogeriemärkte von kd sind verkauft, die Zahl der Kaiser’s- und Tengelmann-Supermärkte ist dezimiert. Das hat die Umsätze halbiert, das Eigenkapital aber gestärkt und die Pro¿tabilität gesteigert. Im Interview mit Akzente schildert Karl-Erivan W. Haub, wie er das Handelshaus wieder auf Wachstumskurs bringen will. Akzente: Herr Haub, wie steuern Sie die Gruppe wieder auf Wachstumskurs ? Haub: Im vergangenen Jahrzehnt haben wir die Basis für eine erfolgreiche Entwicklung gelegt. Unsere Gruppe ist heute deutlich kleiner, wir glauben aber auch: feiner als zur Jahrtausendwende. Als Familienunternehmen messen wir uns nicht am Umsatz, sondern an der Qualität: Akzente 2’11 23 „Als Familienunternehmen messen wir uns nicht am Umsatz, sondern an der Qualität“: Karl-Erivan W. Haub im Akzente-Interview. 24 Interview Wir haben die Eigenkapitalquote von unter 10 auf heute 37 Prozent gesteigert und steuern auf gutem Kurs. Wir haben seit Beginn des Jahrtausends kein Jahr mit Verlust abgeschlossen. Dabei haben wir uns eine neue Struktur gegeben. Früher hielten wir entweder 100 Prozent, zumindest aber die Mehrheit an unseren Unternehmen, heute halten wir neben unseren eigenen 10,5 Milliarden Euro Umsatz Minderheitsbeteiligungen mit rund 11 Milliarden Euro Umsatz. Dazu verwalten wir ein großes Immobilienvermögen, vor allem 360 Immobilien, die wir aus dem Plus-Verkauf behalten haben. Akzente: Neuerdings investieren Sie in Beteiligungen an Internet¿rmen. Mit Erfolg? Haub: Wir engagieren uns hier seit zwei Jahren. Anfangs fühlte ich mich dabei in der Tat wie ein Azubi. Hätten wir nicht unsere Kinder, die uns mit dieser Welt zu Hause immer wieder konfrontiert haben, wäre ich in dem Thema nicht so schnell angekommen. Ich halte das InternetBusiness heute für einen Megatrend, sicher auch weil die Technik so fortgeschritten ist, dass die Bedienung wirklich komfortabel und einfach ist. Jetzt ist nicht nur die Jugend im Netz unterwegs, sondern beispielsweise auch meine Mutter mit ihren 77 Jahren. Akzente: Was können Sie von Ihrem Know-how als stationärer Händler auch im Internet anwenden? Haub: Start-up-Unternehmen verbinden sich gern mit uns, weil sie wissen, dass wir Endkundenerfahrung Freche Werbung, rasantes Wachstum: Die Beteiligung am Internetschuhhändler Zalando bereitet Tengelmann viel Freude. haben. Finanzinvestoren können das nicht bieten. Uns fasziniert umgekehrt, wie viel man im Netz über seine Kunden erfährt – im stationären Geschäft wissen wir über den Einzelnen ja gar nichts. Wir können ihn nicht ansprechen, wenn er längere Zeit nicht ins Geschäft gekommen ist, wir können ihm keine Empfehlungen aussprechen, wie es beispielsweise Amazon tut: „Andere Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, haben auch XY gekauft“. Es gibt über diese Interneterfahrungen eine interessante Feedbackschleife ins stationäre Geschäft. Häu¿g fragen wir uns jetzt: Was würde Google in dieser Situation tun? Akzente: Wie wenden Sie das Gelernte an? Haub: Unter anderem haben wir eine eigene Agentur gegründet, Tengelmann New Media, die zunächst in unseren Unternehmen, seit einiger Zeit aber auch extern ihre Beratung in Sachen Internet-Business anbietet. Da gibt es eine Klientel, die gern diese Dienstleistung in Anspruch nimmt. Warum? Weil wir aus dem Handel kommen. Diese Kunden sagen: Andere Agenturen sind vielleicht super in Sachen Technologie, aber wir müssen denen erst erklären, wie der Handel funktioniert und was wir brauchen. Das wissen wir natürlich. Und wir beraten da gern, weil wir dabei immer wieder neue Kontakte zu gleich gelagerten Unternehmen bekommen. Übrigens haben wir auch unsere Revision in eine eigene Auditgesellschaft ausgegründet. Weil jedes Internetunternehmen, an dem wir uns beteiligen, zum Start Akzente 2’11 25 „Hobbys kann man sich unternehmerisch nicht leisten – die sollte man privat pflegen.“ Agenda hat und unter anderem einen Euro vom Preis für jedes Kilo Kaffee in dem afrikanischen Land in Förderprojekte investiert. Alle unsere Beteiligungen stehen noch am Anfang, kaum eines der Unternehmen ist älter als zwei Jahre. Interessanterweise haben die sich trotzdem schon einen Namen gemacht – als wir vor 17 Jahren mit unserem stationären Bekleidungsdiscounter KiK gestartet sind, hat den nach zwei Jahren noch keiner gekannt. Akzente: Äthiopischer Kaffee bleibt doch wohl ein Nischenprodukt – de¿nieren Sie keinen Mindestumsatz, den Ihre Engagements erreichen müssen? Haub: Umsatz ist für uns nicht die entscheidende Größe, sondern Relevanz. Die sehen wir in einem Internetunternehmen, wenn es um Endkundenkontakt geht – das ist eine Sache, von der wir etwas verstehen – und wenn die Idee internationalisierbar ist. Als Finanzinvestor sind wir bei den Start-ups immer Minderheitsgesellschafter. Später könnten wir entscheiden, ob wir eine Mehrheit erwerben wollen – und dann beispielsweise ein Unternehmen wie babymarkt.de als Shop im Konzern führen – oder ob wir irgendwann mit den Gründern aussteigen. einmal von dieser Truppe auditiert wird, haben wir hier spezielle Erfahrungen bei Web¿rmen gesammelt, die andere nicht haben und die gern genutzt werden. Akzente: Welche Ihrer Internetbeteiligungen hat das Zeug, sich zum Großunternehmen zu entwickeln? Haub: Unsere prominenteste Beteiligung ist der Schuhund Modehändler Zalando. Zalando ist auf dem Weg, sich nicht nur in Deutschland, sondern auch international zu einer Größe in dieser Branche zu entwickeln. Nach gerade mal zwei Jahren sind die schon in acht Ländern unterwegs. Da ist ein Wachstumstempo möglich, das wir als stationäre Händler gar nicht kennen. Akzente: Und die übrigen Beteiligungen? Haub: Ein enormes Wachstum legt auch YouTailor vor, ein Internetshop für Maßkleidung. Andere werden vielleicht niemals riesige Umsatzgrößen erreichen, besetzen aber tolle Nischen: Etwa OTTO GOURMET, ein Lieferant von hochwertigem Fleisch für Spitzengastronomie und Hobbyköche. Oder Coffee Circle, ein Versender von bestem äthiopischen Kaffee, der auch eine soziale Akzente: Wie bewahren Sie den Überblick über Ihre Beteiligungen? Haub: Wir haben bei Tengelmann E-Commerce ein Team von hundert Leuten, von Scouts bis zu Investmentbankern. Immer wenn ein Team eine neue Beteiligung vorschlägt, diskutieren wir das intensiv und meistens schaue ich mir die Sache vor Ort an. Die Entwicklung unserer Engagements verfolgen wir sehr eng, schließlich wollen wir damit Geld verdienen. Hobbys kann man sich unternehmerisch nicht leisten – die sollte man als Privatmann pÀegen. Akzente: So schön sich einige Beteiligungen entwickeln – haben die das Potenzial, Ihr Milliardenunternehmen entscheidend voranzubringen? Haub: Ich erzähle an dieser Stelle gern, wie wir zu OBI gekommen sind. Irgendwann war das Unternehmen meinem Vater aufgefallen, er kaufte ein paar Aktien. Wenig später ging es dem Unternehmen richtig schlecht, mein Vater aber hatte sich mit den Aussichten beschäftigt und kaufte eine Minderheitsbeteiligung. Heute, 26 Jahre nach dem Einstieg, gehören uns 74 Prozent von OBI, es ist das größte Unternehmen in unserem 26 Interview Portfolio. In jeder Generation muss ein wirklich erfolgreiches Investment gelingen – mein Vater hat OBI gefunden, wir haben KiK, den Textildiscounter, erfunden und suchen jetzt unsere Chance bei den wachstumsstarken jungen Unternehmen. Ich glaube, da wird eines dabei sein, das für die Gruppe in 25 Jahren die Rolle spielt, die heute OBI einnimmt. Akzente: Welche Rolle spielt die Baumarktkette OBI in Ihrem Portfolio? Haub: Eine wichtige, denn die Perspektiven sind sehr gut. Auf dem deutschen Markt trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen. Und in Russland, Polen und Tschechien, wo OBI schon vertreten ist, gibt es noch viel Raum für Wachstum. Akzente: Wie lässt sich die Erfolgsgeschichte Ihres Bekleidungsdiscounters KiK weiterschreiben? Stößt er an die Grenzen des Wachstums? Haub: Mit KiK waren wir Pioniere. Es ist aus der Idee geboren, das erfolgreiche Discountkonzept des Lebensmitteleinzelhandels auf Textilien zu übertragen. Heute haben wir über 3.000 Filialen und beweisen, dass der Erfolg im Discounthandel nicht, wie Kritiker manchmal meinen, auf Kosten von Lieferanten und Mitarbeitern gehen muss. Vor uns hatte übrigens schon Aldi bewiesen, dass es anders geht. Und von den Kunden wurde KiK gerade zum „Händler des Jahres“ gekürt. Akzente: Lässt sich die Wachstumsstory fortschreiben? Haub: Ja, vor allem indem wir die Internationalisierung vorantreiben. Aber auch in Deutschland ist noch Spielraum: Zwar nimmt eine Neueröffnung immer häu¿ger einem anderen KiK-Markt etwas Umsatz ab, in Summe stehen wir aber mit jedem neuen Laden besser da. Akzente: Sie haben die deutschen Woolworth-Filialen übernommen – warum? Haub: Dieses Engagement ist typisch für ein inhabergeführtes Unternehmen: Wir hatten schon lange auf die tollen Standorte von Woolworth geschaut. Nach der Insolvenz wollten die Eigentümer statt eines Finanzinvestors wegen unseres Handels-Know-hows lieber uns als neue Woolworth-Betreiber. Sie machten uns ein so attraktives Angebot, dass wir keinen Euro in die Hand nehmen mussten. Die Sanierung wird trotzdem ein Kraftakt, aber wir sind auf gutem Wege und eröffnen in diesem Jahr 25 neue Geschäfte. Denn natürlich gilt auch hier: Woolworth muss in absehbarer Zeit Geld verdienen. Umweltschutz ist seit mehr als 40 Jahren ein Thema: Der Tengelmann Klimamarkt spart rund 50 Prozent Energie ein. Karl-Erivan W. Haub eröffnete in Mülheim die erste Elektrotankstelle (l.) . Akzente 2’11 27 „Wir müssen uns nicht ständig rechtfertigen für das, was wir tun, sondern können Dinge ausprobieren – aus dieser Freiheit heraus entsteht das Neue.“ Akzente: Den meisten Umsatz hat die Gruppe in den vergangenen Jahren im Lebensmitteleinzelhandel verloren. Ist Kaiser’s Tengelmann noch groß genug, um mit den Marktführern mithalten zu können? Haub: Natürlich ist Größe ein Vorteil, wir bekommen von der Industrie nie die Konditionen der ganz großen Wettbewerber. Aber wir haben uns auf einige Hochburgen zurückgezogen: In diesen lokalen Märkten kommt niemand an uns vorbei, dort sind wir relevant. Am Ende des Tages müssen wir vor Ort so quirlig sein, dass wir die Einkaufsnachteile ausgleichen. Akzente: Können Sie sich vorstellen, aus dem Lebensmitteleinzelhandel ganz auszusteigen? Haub: Das ist schwer vorstellbar, denn seit den Tagen der Kolonialwaren war das unser Kerngeschäft. Doch ich habe es schon betont: Hobbyveranstaltungen wollen wir uns nicht leisten. Ich sehe aber gute Chancen, dass sich unser Lebensmittelhandel erfolgreich durchsetzt, vielleicht ja gerade in Kombination mit unserem OnlineLieferservice. Wenn Sie die richtigen Leute am richtigen Ort haben, können Sie enorm viel bewegen. Und wir haben die richtigen, denn echte Händler kommen gern zu uns, weil sie sich hier wohlfühlen. Akzente: Ihre Gruppe hat sehr früh auf die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit gesetzt. Was haben Sie auf diesem Feld vor? Haub: Das Engagement begann mit einer Stiftung meiner Großmutter vor 43 Jahren. Mein Vater hat dann Karl-Erivan W. Haub (51), geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter, ist seit 2000 Chef der Unternehmensgruppe Tengelmann. Nach der Lehre als Lebensmittelkaufmann und dem Studium arbeitete er bei Nestlé und McKinsey, ehe er 1991 in das Unternehmen der Familie eintrat. in den 80er Jahren erst die Schildkrötensuppen, dann phosphathaltige Waschmittel ausgelistet. Auf Grund der Größe, die wir damals im Handel hatten, war die Industrie gezwungen zu reagieren. Für meine Generation ist der Klimawandel die Herausforderung. Wir haben uns das Ziel gesteckt, über die ganze Gruppe den CO2Ausstoß um 20 Prozent zu reduzieren. Der erste Tengelmann Klimamarkt hat den Energieverbrauch um rund 50 Prozent gesenkt. Akzente: Bringt das Engagement auch ökonomischen Erfolg? Haub: Wir verkaufen dadurch zwar nicht mehr, doch es prägt das Image. Wir spüren das unter anderem positiv in Einstellungsgesprächen mit jungen Leuten. Für uns geht es aber auch um die Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Engagement für die Gesellschaft. Akzente: Kann man eine Firmengruppe dieser Größe noch erfolgreich als Familienunternehmen führen? Haub: Ja, gegenüber Kapitalgesellschaften haben wir viele Vorteile. Bei uns kommt es nicht auf Umsatz an, sondern auf Unabhängigkeit, ausgedrückt in starker Eigenkapitalbasis. Wir müssen uns nicht ständig rechtfertigen für das, was wir tun, sondern können Dinge ausprobieren. Aus dieser Freiheit heraus entsteht das Neue. Das Familienunternehmen ist nur am Ende, wenn in der Familie der Wille erlischt, Unternehmer zu sein. Wir haben acht junge Leute in der nächsten Generation – ich hoffe, sie werden die Geschichte weiterschreiben. Die Unternehmensgruppe Tengelmann mit der Zentrale in Mülheim (Foto) setzte 2010 mit 80.000 Mitarbeitern 10,5 Milliarden Euro um. Wichtigste Unternehmen sind Kaiser’s Tengelmann, eine Supermarktkette mit 531 Filialen, die Baumarktkette OBI (74 Prozent), der Textildiscounter KiK mit 3.000 Filialen, der 1-Euro-Discounter TEDi mit 1.000 Filialen, 167 Warenhäuser von Woolworth, die Immobiliengesellschaft TREI sowie Beteiligungen an Internetfirmen. 28 Modehandel Erfolgsfaktoren für das Multikanalgeschäft Modekunden, die mehrere Vertriebskanäle nutzen, kaufen mehr. Deutlich mehr. Voraussetzung: Der Händler verzahnt die Vertriebsschienen so intelligent miteinander, dass sie sich gegenseitig verstärken. Von Achim Berg, Linda Dauriz und Dennis Spillecke Die digitale Revolution ist im Modehandel angekommen. Von den fast 40 Millionen Online-Käufern in Deutschland haben 2010 laut GfK 45 Prozent mindestens einmal Modeartikel gekauft – 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Bekleidung ist hierzulande nach Berechnungen von Forrester mit 3,6 Milliarden Euro Umsatz nach der Unterhaltungselektronik inzwischen das zweitgrößte Segment im elektronischen Handel – und das am schnellsten wachsende. Noch lukrativer als der Internetshop ist für Modehändler derzeit nur eines: die optimale Verknüpfung des Online-Kanals mit den übrigen Vertriebsschienen. Denn Kunden, die mehrere Kanäle nutzen, sind für die Unternehmen besonders wertvoll. So zeigen die Customer-Relationship-Management-Daten eines großen internationalen Bekleidungshändlers, dass dessen Kunden deutlich mehr Geld pro Jahr ausgaben, wenn sie neben dem Einkauf im Laden auch die Website oder gar zusätzlich noch den Katalog nutzten. Eine aktuelle McKinsey-Analyse zum digitalen Marketing bestätigt, dass Multikanalanbieter die Kunden eher dazu bewegen können, ihre Marken – auch wiederholt – zu kaufen. Wer seinen Online-Shop und das stationäre Geschäft sorgfältig aufeinander abstimmt und womöglich noch weitere Kanäle erfolgreich einbezieht, erzielt also mehr Umsatz und auch höhere Margen. Siehe das Beispiel Esprit: Hier können die Kunden etwa online erfahren, ob ein gewünschter Artikel in der Filiale verfügbar ist. Da Esprit auch online stets die Kundenkartennummer abfragt, sammelt das Unternehmen permanent wichtige Informationen. Zudem lassen sich die Daten gezielt für personalisierte Angebote nutzen. Unterm Strich gelingt es Esprit so, die Loyalität seiner Kunden zu stärken und mit Topkunden – digital wie analog – höhere Umsätze zu erwirtschaften. McKinsey hat das Multikanalmanagement besonders erfolgreicher Modehändler analysiert, um herauszu¿nden, worauf die Überlegenheit dieser Anbieter beruht. Aus dieser Betrachtung lassen sich vier Erfolgsfaktoren für das Multikanalgeschäft ableiten. Perfektion in allen Vertriebskanälen erzielen Unternehmen, die mehrere Vertriebsschienen erfolgreich miteinander verbinden wollen, sollten zunächst die Instrumente der einzelnen Kanäle beherrschen. Mit Blick auf die Filialen bedeutet dies zum Beispiel optimales Sortiment und Store-Layout, effektiver und ef¿zienter Personaleinsatz, ansprechende und gut platzierte Werbung – kurzum: operative Exzellenz. Online geht es überdies darum, die Marke erlebbar zu machen, obwohl der Kunde die Artikel nicht anfassen oder anprobieren kann. Schon deshalb zeigen viele Händler online Videos von Fashionshows und Fotoshootings. Auch die Möglichkeit, im Webshop nach ganz bestimmten Styles zu suchen, kann die fehlende Produktpräsenz kompensieren. So stellen H&M („Styleguide“) und Zara („Lookbook“) zahlreiche Kombinationen aus ihren Kollektionen vor, die der Kunde direkt in seinen Warenkorb legen kann. Einige Unternehmen, wie Gap, Ann Taylor oder Ernsting’s family, präsentieren sogar Kollektionen exklusiv im Internet. Exzellenz im Online-Kanal heißt aber auch, dessen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, etwa für Kundenfeedback, Produkttests oder das Angebot individualisierter Artikel. Mehrere Bekleidungsmarken beziehen ihre Kunden mittlerweile in die Produktgestaltung ein, wie beispielsweise Boss mit seinem „Orange Design Contest“ auf Facebook. Akzente 2’11 Auf die intelligente Verzahnung der Kanäle kommt es an: Auf Handy-Apps, in YouTube-Spots und im Modegeschäft müssen zwar nicht die gleichen, aber doch konsistente Botschaften verkündet werden. 29 30 Modehandel Modeanbieter wie Levi’s nutzen Facebook, um ihren Kunden ein soziales Einkaufserlebnis zu ermöglichen. Für die erfolgreichen Modeunternehmen sind Filialen und Online-Shops derzeit zwar die mit Abstand wichtigsten Vertriebswege, aber längst nicht die einzigen. Immer bedeutender werden auch Web-Communities und -Netzwerke, Mobile-Shops sowie Kunden- und MitarbeiterApps. Vor allem der Vertrieb über soziale Netzwerke, der „Social Commerce“, entwickelt sich rasant – siehe etwa die Marke Levi's, die als eine der ersten bei Facebook einen eigenen Store hatte. Das Mobiltelefon und insbesondere das Smartphone dürfte in vielen Ländern sogar zu einem noch wichtigeren Marketingmedium werden als der Computer. Auf Wunsch weist es den Weg zur nächsten Filiale und informiert über dort verfügbare Artikel oder besondere Angebote. Im Laden selbst können die Kunden detaillierte Produktinformationen über das mobile Internet abfragen, indem sie Quick Response Codes scannen. Angesichts all dieser neuen Vertriebsmöglichkeiten sollten Händler generell jedoch der Versuchung wider- stehen, auf buchstäblich allen Kanälen präsent sein zu wollen. Viele Beispiele zeigen, dass dann eine fatale Tendenz zum Mittelmaß einsetzt. Umgekehrt demonstrieren zahlreiche Unternehmen, wie sehr sich eine Bündelung der Maßnahmen auszahlen kann: Anbieter wie adidas oder Diesel beispielsweise konzentrieren ihre OnlineAktivitäten auf das Videoportal YouTube und erzielen dort die mit Abstand häu¿gsten Klicks aller Modelabels. Vertriebskanäle optimal verzahnen Im Kaufprozess nutzen Konsumenten oft ganz unterschiedliche Kanäle und Instrumente: Sie sehen einen Style in einer Zeitschrift, betrachten ihn genauer am Computer oder auf dem Handy, kaufen und prüfen den Lieferstatus online, holen die Ware im Laden ab und werden Mitglied einer Markencommunity auf Facebook. Für das Unternehmen erfüllt jeder Kundenkontaktpunkt bestimmte Funktionen: von der Steigerung des Bekanntheitsgrads (TV, Magazine) über den Abverkauf (Filiale, Online-Shop) bis hin zur Stärkung der Loyalität (Kundenkarte, Community in sozialen Netzwerken). Der Akzente 2’11 31 Kunde jedoch erwartet in erster Linie eine konsistente Markenwelt über alle Kontaktpunkte hinweg. Deshalb ist es für Modeunternehmen so wichtig, nicht nur in den einzelnen Kanälen stark zu sein, sondern diese auch perfekt zu verzahnen. Nur so lassen sich die unterschiedlichen Interaktionsbedürfnisse befriedigen, die ein Kunde zu verschiedenen Anlässen hat. Im Mittelpunkt stehen dabei schnelle, Àexible Lieferoptionen (etwa Bestellung online und Abholung im Laden wie bei H&M, Selfridges oder Zara), großzügige Angebote zur Warenrückgabe (Gap und Esprit bieten sowohl Lieferung als auch Rückgabe kostenfrei an) sowie besondere Services (etwa die Geschenkverpackungen von Ralph Lauren) und Personalisierungen (wie individuell gestaltete Sneakers unter miadidas.com). Eine wesentliche technische Voraussetzung dafür, dass Unternehmen hier erfolgreich agieren können, ist die umfassende Verlinkung von CRM-Daten und Warenwirtschaftssystemen. Optimale Verzahnung bedeutet aber auch, einheitliche Botschaften auszusenden. Website, Anzeigenwerbung, Newsletter und klassische PR, Facebook-Präsenz, Aufsteller in der Filiale, YouTube-Clips und TV-Spots, Blogs und Foren, Kataloge und Magazine, Twitter-Messages und Handy-Apps: An all diesen Kundenkontaktpunkten müssen nicht die gleichen Inhalte transportiert werden, wohl aber die gleiche Botschaft. Denn es irritiert den Konsumenten und wirkt unglaubwürdig, wenn das Unternehmen an den verschiedenen Kontaktpunkten unterschiedliche Signale aussendet. Marketingbudget umschichten und Erfolg messen Rund 18 Millionen Deutsche schauen sich mindestens einmal im Monat Videos bei YouTube an. Damit besitzt die Internetseite fast die Reichweite des Fernsehsenders Pro7, und selbst das erste Programm der ARD hat nur etwa doppelt so viele Zuschauer. Da ist es folgerichtig, dass die Unternehmen ihre Werbebudgets für Online aufstocken. Sie betrugen schon 2009 etwa zwei Drittel des Budgets für Fernsehwerbung – bis 2015 wird sich das Verhältnis umkehren. Dann dürfte mehr als ein Viertel sämtlicher Werbeausgaben ins Web gehen. Angesichts der vielfältigen Optionen werden sich Modeanbieter aber immer genauer überlegen, wo sie ihr Geld investieren – am besten anhand der folgenden Fragen: 1. Der RCQ-Ansatz macht klassische und digitale Kontaktpunkte vergleichbar Reach Wie viele Nutzer werden in der Zielgruppe erreicht? Kontaktfrequenz, Erinnerungsraten … ÷ Cost Wie setzen sich die Vollkosten zusammen? Einrichtung des Kontaktpunkts, Content-Bereitstellung, Media-Kosten … x Quality Wie trägt der Kontaktpunkt zur Konversion im Kaufprozess bei? Bekanntheit, Kauferwägung, Kauf, Loyalität ... = Wirkung Wie hoch ist die qualifizierte Reichweite pro Euro? Heatmap zur Auswahl von Kontaktpunkten entlang des Kaufprozesses Nicht empfohlen Kundenkontaktpunkte OnlineWerbung Soziale Netzwerke OfflineWerbung Quelle: McKinsey Newsletter Zielgruppenbasierte Webanzeigen Webspots Verlinkungen mit Webpartnern Suchmaschinenwerbung Lokale Marktplatzportale Handywerbung Handy-Apps Communities/Clubs Unternehmens-Blog Facebook-Fanseite Twitter-Account YouTube-Kanal Blogs, Foren, Shopping-Sites … KaufBekanntheit erwägung Selektiv empfohlen Kauf Empfohlen Loyalität 32 Modehandel 2. Heatmap zur Auswahl von Kontaktpunkten entlang des Kaufprozesses Nicht empfohlen Kundenkontaktpunkte OnlineWerbung Soziale Netzwerke OfflineWerbung KaufBekanntheit erwägung Selektiv empfohlen Kauf Empfohlen Loyalität Newsletter Zielgruppenbasierte Web-Anzeigen Web-Spots Verlinkungen mit Web-Partnern Suchmaschinenwerbung Lokale Marktplatzportale Handywerbung Handy-Apps Communities/Clubs Unternehmensblog Facebook-Fanseite Twitter-Account YouTube-Kanal Blogs, Foren, Shopping-Sites … Quelle: McKinsey Für welche Kanäle und Botschaften wollen wir bei unseren Zielkunden bekannt sein? Womit können wir uns inhaltlich und formal von Wettbewerbern abheben? An welchen Kontaktpunkten erreichen wir unsere Zielkunden am besten? Welche unserer Kommunikationsmaßnahmen sind die effektivsten? Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft das RCQ-Verfahren (Reach, Cost, Quality), das McKinsey entwickelt hat, um die Wirkung unterschiedlicher Kundenkontaktpunkte miteinander vergleichen zu können (Gra¿k 1; Seite 31). Denn bislang wurden hier oft Äpfel mit Birnen verglichen: Nicht jeder Klick führt zu einem Kundenkontakt derselben Qualität und nicht jede Magazinanzeige holt gleich viele Menschen ins Geschäft. Ergebnis der RCQ-Analyse ist eine Heatmap, die dem Unternehmen sehr genau zeigt, wie sich die Marketingausgaben optimal verteilen lassen (Gra¿k 2). Ebenso wie ihre OfÀine-Investitionen sollten Händler auch ihr Online- und Multi- kanalgeschäft messen, um es optimal steuern zu können. Sowohl Vertriebs- als auch Kommunikationskennzahlen werden dabei am besten in Form eines KennzahlenCockpits erfasst und ausgewertet. Allerdings sind die meisten Marketingmanager mit der Vielzahl von Online-KPIs noch kaum vertraut. Hier bieten McKinsey und Nielsen mit NM Incite (siehe auch Seite 47) ein neues Tool: Es ermittelt, wie viel in sozialen Netzwerken über eine Marke gesprochen wird, ob die Äußerungen positiv oder negativ sind und welche Aspekte sie betreffen. Auf diese Weise erhält man sehr schnell Feedback dazu, wie Werbekampagnen wirken und ob negative Meldungen über das Unternehmen auftauchen. Zudem kann das Kundenfeedback Ideen für neue Produkte und Services liefern. Erforderliche Fähigkeiten entwickeln Vier von zehn Führungskräften in der deutschen Modebranche ¿nden, dass die Fähigkeiten in ihrer Organisation noch nicht ausreichen, um die Möglichkeiten des Multikanalmanagements auszuschöpfen. Was tun? Zunächst sollten Unternehmen festlegen, wo die Verantwortung für das Online-Geschäft liegen soll, ob in der Akzente 2’11 Vertriebsorganisation oder verstreut im Unternehmen. Im nächsten Schritt geht es darum, Know-how im Internethandel bei denen auszubauen, die dafür zuständig sind – aber auch bei jenen, die den OfÀine-Vertrieb managen, was oft schwieriger ist. Nur so wird ein Denken über die Online-ofÀine-Grenzen hinweg in der Organisation verankert. Um dies zu trainieren, hat McKinsey die Digital Factory ins Leben gerufen. Dort lernen Führungskräfte zum einen die neuesten Trends und Techniken eines Web-Shops kennen, zum anderen führen sie selbst Online-Marketing-Maßnahmen durch, um sich mit dem Instrumentarium vertraut zu machen. Neue Vertriebskanäle eröffnen Modeunternehmen große Chancen. Doch es gibt auch Gefahren. Sie liegen meist darin, entweder zu wenig zu tun – und darum den Trend zu verpassen, oder zu viel zu tun, aber nichts gründlich und gut. Hier gilt es, zunächst kluge strategische Entscheidungen zu treffen – und dann entschlossen an die Umsetzung zu gehen. Wesentliche Erfolgsvoraussetzungen sind dabei das klare Bekenntnis und das starke Engagement des Topmanagements. 33 Kernaussagen 1. Kein anderes Segment im Online-Handel wächst derzeit so schnell wie Mode – schon fast jeder zweite Internetkunde in Deutschland bestellt Bekleidung. 2. Händler, die ihre Vertriebsund Marketingaktivitäten in den verschiedenen Kanälen sorgfältig aufeinander abstimmen, können erheblich mehr Umsatz und höhere Margen erzielen. 3. Die Analyse führender Modeunternehmen zeigt: Gutes Multikanalmanagement beruht auf vier Erfolgsfaktoren, die ihrerseits entsprechende Strukturen, Prozesse und Fähigkeiten erfordern. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: linda_dauriz @mckinsey.com Autoren 1 Dr. Achim Berg ist Partner im Frankfurter Büro von McKinsey. Er ist einer der Leiter der europäischen Apparel, Fashion & Luxury Practice. Schwerpunktmäßig berät er Bekleidungsunternehmen in den Bereichen Operations, Strategie und Marketing. 2 Linda Dauriz ist Beraterin im Münchener Büro von McKinsey. Sie ist Kernmitglied der Apparel, Fashion & Luxury Practice und berät vornehmlich Unternehmen aus diesem Bereich zu Strategiesowie Marketing- und Vertriebsfragen. 3 Dr. Dennis Spillecke ist Partner im Kölner Büro von McKinsey. Im Konsumgüter- und Handelssektor leitet er die Bereiche Retail Marketing sowie Digital Marketing und ist Co-Leiter der Branding Service Line. 34 Konsumtrends Wie Sie Zukunftstrends bewerten und nutzen Im kommenden Jahrzehnt werden sich die globalen Märkte tiefgreifend verändern. Mit dem McKinsey Trendradar können Unternehmen diejenigen Trends identifizieren, die für ihren Erfolg entscheidend sind. Von Jörn Küpper, Christian Mariager und Markus Schmid Verbraucher- und Beschaffungsmärkte stehen weltweit vor gewaltigen Umwälzungen: So wird Asien den Westen als wichtigsten Verbrauchermarkt überholen, überdies werden Konsumenten neue Anforderungen hinsichtlich Preis-Leistungs-Verhältnis und Innovation an die Unternehmen stellen. Das Internet höhlt traditionelle Vertriebsmodelle aus und der globalisierte Handel in Verbindung mit knappen Ressourcen dürfte eine Ära erhöhter Volatilität einleiten. Kein Zweifel: In den nächsten zehn Jahren werden viele etablierte Geschäftsmodelle und Marketingkonzepte obsolet – es bieten sich aber zugleich enorme Chancen für jene Konsumgüterhersteller, die die neuen Trends frühzeitig erkennen, ihre Auswirkungen bewerten und sie nutzen. Doch woher wissen Konsumgüterhersteller, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen für sie in Zukunft wichtig sind? Und wie können sie das Ertragspotenzial solcher Trends am besten erschließen? Als Antwort auf diese Fragen hat McKinsey den Trendradar entwickelt, eine Analysemethode, mit der Unternehmen präzise ermitteln können, welche Trends welchen EinÀuss auf das eigene Geschäft haben werden. McKinsey hat die Methode auf die Konsumgüterindustrie insgesamt angewendet. Hierzu wurden elf weltweite Trends auf Nachfrage- und Angebotsseite sowie im Umfeld betrachtet (Gra¿k 1, Seite 36). Diese Liste ist sicherlich nicht vollständig, aber sie zeigt die grundlegenden Kräfte, die in den nächsten Jahren die Konsumgüterbranche als Ganzes prägen werden. Auf ein spezi¿sches Unternehmen angewandt, beinhaltet der Ansatz weitere regionale und Sektortrends – wie etwa im Lebensmittelsektor die Vorschriften zur Vermeidung von krankhafter Fettsucht – und kommt so, bezogen auf einzelne Unternehmen und Warengruppen, zu bemerkenswerten Ergebnissen. Kern des McKinsey Trendradars ist die Priorisierung der verschiedenen Trends mit Hinblick auf ihre Relevanz für den Sektor. Dies geschieht in drei Schritten: Zunächst werden die voraussichtlichen Auswirkungen jedes Trends auf die Bruttogewinne der Konsumgüterunternehmen bewertet. Anschließend geht es um die Wahrscheinlichkeit, mit der die einzelnen Trends eintreten werden; sie lässt sich einschätzen anhand der zu Grunde liegenden Dynamik, der Widerstandsfähigkeit des Trends gegenüber unvorhergesehenen Entwicklungen sowie dem Grad der Einigkeit von Stakeholdern und Analysten bezüglich des Trends. Schließlich wird ermittelt, welche Bedeutung die Unternehmen selbst den Trends in ihrer öffentlichen Kommunikation beimessen. Am Ende dieses Filterprozesses stehen vier Trends, die aus unserer Bewertung heraus den größten EinÀuss auf die Konsumgüterbranche der nächsten Jahre haben werden (Gra¿k 2; Seite 37): der Boom der Schwellenländer, der digitale Konsument, der demogra¿sche Wandel und die Volatilität der Lieferkette. Im Vergleich zu diesen Entwicklungen werden andere Trends wie etwa der zu Ökologie oder Wellness – trotz der gegenwärtigen medialen Aufmerksamkeit – die Wertschöpfung in der Konsumgüterindustrie weniger stark beeinÀussen. Der Boom der Schwellenländer In diesem Jahrzehnt gewinnt die Aufholjagd der Schwellenmärkte weiter an Tempo: Ihre Wachstumsraten werden die der Industrienationen bei Weitem übertreffen. Auf China, Indien und Indonesien ent¿el bereits in den vergangenen zehn Jahren ein beträchtlicher Anteil des weltweiten Wirtschaftswachstums, nämlich 18 Prozent – Akzente 2’11 35 Vier Trends werden den größten EinÀuss auf die Konsumgüterbranche haben: der Boom der Schwellenländer, der digitale Konsument, der demogra¿sche Wandel und die Volatilität der Lieferkette – auch durch immer stärker schwankende Rohstoffpreise. 36 Konsumtrends 1. Elf Trends werden die Konsumgüterindustrie bis 2020 maßgeblich prägen Nachfragetrends Angebotstrends Sonstige Faktoren • Boom der Schwellenländer • Neue Steuersysteme • Demografischer Wandel • Personalknappheit in Schwellenmärkten • Digitaler Konsum • Volatile Lieferkette • Ökologie und Wellness • Zunehmender Handelsprotektionismus • Modernisierung und Konzentration des Handels • Preissensible Kunden • Umweltbewusstere Verbraucher Quelle: McKinsey für das kommende Jahrzehnt erwartet die OECD jedoch einen Anstieg auf fast 30 Prozent. Als Folge wird die Zahl der Mittelschichthaushalte sprunghaft zunehmen: Bis 2020 wird es voraussichtlich eine Milliarde mehr Verbraucher geben, die täglich zwischen 10 und 100 US-Dollar ausgeben können (Gra¿k 3, Seite 38). Konsumgüterunternehmen, denen es gelingt, die Bedürfnisse und Sehnsüchte dieser neuen Kunden zu verstehen und zu befriedigen, erzielen gewaltiges Umsatzwachstum. Zentrale Erfolgsfaktoren hierfür sind die richtige Auswahl von Märkten und Warengruppen – um mit den eigenen Produkten stets die Führungsposition einzunehmen – sowie die Entwicklung bedürfnisorientierter Innovationen. Zum Beispiel Wrigley: Der Kaugummihersteller sicherte sich in China einen Marktanteil von 40 Prozent in einer schnell wachsenden Produktkategorie, deren Wert schon heute 2 Milliarden US-Dollar erreicht. Das Unternehmen führt regelmäßig neue, auf die chinesischen Verbraucher zugeschnittene Produkte ein (etwa Kaugummi mit Kräuteressenzen), klärt die Konsumenten intensiv über den gesundheitlichen Nutzen von Kaugummi auf und baut seine Präsenz in den Millionen kleiner Läden auf, in denen die Chinesen zumeist einkaufen. Am ehesten pro¿tieren von diesem Trend Konsumgüterhersteller, die preisgünstige Produkte anbieten können. In den Schwellenmärkten wächst allerdings auch der Druck auf die Margen. Dem begegnen die Unternehmen am besten, indem sie die Kunden in den Schwellenländern geschickt segmentieren, um unterschiedliche Kundenwünsche zu erfüllen und nicht nur hohe Umsätze, sondern auch attraktive Margen zu erzielen. Die zunehmende Bedeutung der Schwellenmärkte wird auch die Organisation von Konsumgüterunternehmen mit westlichen Wurzeln verändern: Ist es sinnvoll, dass ein Unternehmen, das 2020 rund 70 Prozent seiner Umsätze in China und Indien erwirtschaftet, weiterhin von westlichen Managern dominiert wird und seinen Hauptsitz in Europa oder Nordamerika hat? Der digitale Konsument Auch im kommenden Jahrzehnt gilt: Der Siegeszug des Internethandels ist unaufhaltsam. Um an diesem Erfolg zu partizipieren, werden Konsumgüterhersteller enger mit den Online-Händlern zusammenarbeiten müssen. Dies könnte für manches Unternehmen zugleich der erste Schritt in den Direktvertrieb sein – wie ihn Procter & Gamble mit seinem Pilotprojekt www.pgestore.com getan hat. Für die meisten Hersteller dürfte sich der Online-Vertrieb jedoch kaum als wirtschaftlich erweisen. Derweil wird die digitale Technologie auch die Markenkommunikation grundlegend verändern. So verlassen sich die Konsumenten mehr denn je auf Empfehlungen: 70 Prozent lesen die Kommentare anderer Käufer, bevor sie sich für ein Produkt entscheiden, schreibt das Wirtschaftsblatt Business Week. Online-Marketing ist eben keine Einbahnkommunikation in Richtung Verbraucher. Akzente 2’11 37 2. Vier Trends sind von überragender Bedeutung Im Fokus von mehr als 5 der 10 größten Konsumgüterunternehmen Im Fokus von 1 bis 5 der 10 größten Konsumgüterunternehmen Von keinem der 10 größten Konsumgüterunternehmen erwähnt Hoch Gruppe 1 Trends, über die jeder spricht, die aber bei Weitem nicht gleich bedeutsam sind Boom der Schwellenländer Zunehmender Handelsprotektionismus2 Ertragseffekt1 Mittel Neue Steuersysteme2 Preissensible Ökologie und Wellness Kunden Umweltbewusstere Verbraucher Demografischer Wandel Digitaler Konsum Volatile Lieferkette Gruppe 2 Trends, über die nur einige Unternehmen sprechen, die aber sehr wichtig werden Gruppe 3 Trends, über die niemand spricht, denen die Branche aber Beachtung schenken sollte Modernisierung und Konzentration des Handels Personalknappheit in Schwellenmärkten Niedrig Niedrig Mittel Hoch Wahrscheinlichkeit des Eintretens 1 Richtwerte: gefährdeter Gewinn > 300 Mrd. USD = hoch, 100 bis 300 Mrd. USD = mittel, < 100 Mrd. USD = gering 2 Der Effekt wurde auf Grund der vielen involvierten Variablen nicht quantifiziert, sondern abgeschätzt Quelle: McKinsey Nutzergenerierte Inhalte mögen zwar schwer zu kontrollieren sein, sind aber eine der besten Möglichkeiten, die Kundenmeinung zu beeinÀussen. Darüber hinaus sind soziale Netzwerke ein wichtiges Medium, in dem Konsumgüterhersteller den Kunden ohne die üblichen Verzerrungen herkömmlicher Marktforschungstechniken „zuhören“ können – um die Begeisterung für Marken zu verstehen, den Effekt von Kampagnen zu überwachen oder Einsichten für die Produktentwicklung zu gewinnen (siehe „Marketing von unten“, Seite 44). Unternehmen, die diese bedeutende neue Informationsquelle nutzen, können die sich wandelnden Bedürfnisse ihrer Kunden schneller aufgreifen. Der demografische Wandel Die Weltbevölkerung altert rasch. Die UN prognostizieren, dass es in 20 Jahren doppelt so viele Menschen über 65 Jahre geben wird wie heute – nämlich eine Milliarde. Konsumgüterunternehmen werden innovativ sein müssen, um die Bedürfnisse älterer und alternder Kunden zu erfüllen. Zwei Beispiele: Die Unilever-Marke Dove brachte jüngst mit pro.age eine Produktlinie mit Deodorants, Haar- und HautpÀegeprodukten auf den Markt, die sich speziell an Frauen zwischen 54 und 63 Jahren richtet. Im Segment der verpackten Lebensmittel spricht ConAgra derweil Senioren mit seiner Marke Golden Cuisine an: ausgewogene Ernährung in einer Packung mit leicht lesbaren großen Buchstaben. 38 Konsumtrends 3. Die Mittelschicht wird bis 2020 um mehr als 1 Milliarde Menschen wachsen Mittelschicht1 weltweit in Mio. Menschen 3.239 333 703 1.845 Nordamerika 338 Europa 664 Zentral- und Südamerika 181 Asien/Pazifik 525 Naher Osten und Afrika 137 2009 251 1.740 212 2020 1 Tägliche Ausgaben von 10 bis 100 USD pro Person Quelle: OECD Development Centre Die volatile Lieferkette Neben den Trends auf der Nachfrageseite wird auch einer auf der Angebotsseite massiv wirksam: In dem Maße, in dem es immer weniger, aber dafür größere Lieferanten gibt und zugleich die Ressourcen weiter schwinden, werden die Materialpreise zunehmend stärker schwanken. So kommen heute beispielsweise 57 Prozent des Zuckerrohrs weltweit aus Brasilien und Indien, während sich in China und Russland nahezu die Hälfte der globalen Aluminiumproduktion konzentriert. Eine Naturkatastrophe oder politische Krise in einem dieser Länder könnte die internationalen Lieferketten emp¿ndlich stören oder gar unterbrechen. Tatsächlich hatte das Erdbeben 2010 in Chile genau diesen Effekt auf den weltweiten Zellstoffmarkt. Die Atomkatastrophe in Japan liefert ein weiteres Beispiel für die Anfälligkeit globaler Lieferketten. So führte der zeitweilige Produktionsausfall in japanischen Zuliefer¿rmen der Automobilindustrie bei allen größeren Herstellern weltweit zu Produktionsengpässen und Lieferschwierigkeiten. Verstärkt wird die Volatilität durch die absehbare Ressourcenknappheit, insbesondere den zunehmenden Wassermangel. Auf Grund steigender Bevölkerungszahlen und anhaltender Verstädterung erwarten die UN, dass der Wasserverbrauch bis 2025 in den Entwicklungsländern um 50 Prozent und in den Industrienationen um 18 Prozent steigen wird. Da Wasserknappheit auch und gerade Regionen betrifft, in denen Ausgangsstoffe für die Konsumgüterindustrie hergestellt werden, könnten Preissteigerungen rasch auf die gesamte Lieferkette übergreifen. Angesichts solcher Risiken stehen Konsumgüterunternehmen vor schwierigen strategischen Fragen: Welchen Preis sind wir bereit, für Liefersicherheit zu zahlen? Wie kann der Rohstoff- und Ressourceneinsatz entlang der Wertschöpfungskette gesenkt werden? Und wie lassen sich Lieferketten Àexibler gestalten? In jedem Fall wird die Volatilität auch ein neuartiges schnelleres und verzahnteres Risikomanagement erfordern. Die oben dargestellte Anwendung des Trendradars bezieht sich auf die Konsumgüterbranche im Allgemeinen. Akzente 2’11 Natürlich kann es je nach Kategorie und Aufstellung des Unternehmens zu erheblichen Unterschieden in der Bewertung kommen. Deshalb sollte jedes Unternehmen individuell für sich Trends und Auswirkungen bewerten und entsprechende Maßnahmen ableiten. Mit dem Trendradar liefert McKinsey dazu eine erprobte Methodik, die eine Trendbewertung unter Berücksichtigung des unternehmensspezi¿schen Kontexts ermöglicht. In Zeiten tiefgreifenden Wandels können sich zuverlässige Prognosen als entscheidender Wettbewerbsvorteil erweisen. Der McKinsey Trendradar gibt Führungskräften erstmals die Möglichkeit, die Auswirkungen von Zukunftstrends faktengestützt und quanti¿ziert zu bewerten. Dies ist die Voraussetzung, um die Risiken, die solche Trends bergen, abzuschätzen – aber auch die enormen Wertschöpfungschancen auszuloten, die diese Trends bieten. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: [email protected] 39 Kernaussagen 1. Die globalen Verbraucher- und Beschaffungsmärkte werden sich bis 2020 radikal verändern. 2. Mit dem McKinsey Trendradar, einer neuen Analysemethode zur unternehmensindividuellen Priorisierung von Trends, lassen sich die Auswirkungen von Zukunftstrends auf das eigene Unternehmen im Detail ermitteln. 3. Der McKinsey Trendradar ermöglicht Entscheidungsträgern eine faktenbasierte, langfristige Planung – und ihren Unternehmen somit einen echten Wettbewerbsvorsprung. Autoren 1 Dr. Jörn Küpper ist Partner im Kölner Büro und einer der Leiter des europäischen Konsumgütersektors von McKinsey. Sein Fokus liegt auf der Beratung von Konsumgüterherstellern und Handelsunternehmen in den Gebieten Strategie, Organisation und Supply Chain. 2 Christian Mariager ist Partner im New Yorker Büro und einer der Leiter des nordamerikanischen Konsumgütersektors von McKinsey. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Strategieentwicklung, Marketing Effectiveness und Organisation. 3 Dr. Markus Schmid ist Berater im Stuttgarter Büro. Er ist Mitglied des Konsumgüter- und Handelssektors sowie der Strategy Practice von McKinsey. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf Strategieentwicklung und operative Verbesserungsprogramme. 40 Supply Chain Effiziente Supply Chains für Langsamdreher Langsamdrehende Artikel sind für viele Händler ein zentraler Erfolgsfaktor, doch ihr Handling ist teuer. Mit Hilfe von vier Hebeln lässt sich ihre Supply Chain optimieren. Von Konrad W. Bauer, Christoph Glatzel und Martin Schüler Auch wenn schmale Discountsortimente im Handel en vogue sind – manchmal gilt: Mehr bringt mehr. Ein breites Sortiment, das auch weniger nachgefragte Artikel enthält, hat vielfältige Vorteile: Unternehmen können sich damit vom Wettbewerb abheben und als Händler der Wahl positionieren, um so ihr Kundenaufkommen zu steigern und Käufer stärker an sich zu binden. Zudem ermöglicht ein umfassendes Sortiment in der Regel höhere Bruttomargen sowie vermehrte Cross- und UpSellings von Produkten oder Services. Die Kehrseite des breiten Angebots ist eine aufwendige Supply Chain. Häu¿ge Überbestände, aber auch Fehlmengen, hoher Aufwand für die Kommissionierung sowie Mehraufwand bei Sortierung und Verräumung machen Langsamdreher überproportional bearbeitungsintensiv. Bei meist nur 10 bis 30 Prozent Umsatzanteil entfallen auf diese Artikel bis zu 80 Prozent des Sortiments und der RegalÀäche sowie 20 bis 40 Prozent des Bestands und der Logistikkosten. Inzwischen gibt es allerdings erprobte Instrumente, mit denen sich die Supply Chain für Langsamdreher optimieren lässt. Unternehmen, denen dies gelingt, können ihren Bestand um 5 bis 15 Prozent und die Gesamtkosten für das Handling um 10 bis 15 Prozent senken – und erreichen zugleich bis zu 4 Prozent höhere Lieferquoten. Um dies zu erreichen, können sie vier Hebel nutzen. Überarbeitung der Planogramme und Facings Spürbare Verbesserungen erzielen Unternehmen durch die Optimierung von Planogrammen und Facings (also der Anzahl der Frontstücke eines Artikels im Regal). Beispielsweise können Händler ihre Auslagen so um- gestalten, dass die Regale zur Packung passen – anstatt die Artikel auf die Regalkapazität hin umzupacken. Zudem kann ein verbessertes Regaldesign helfen, die Bestandsmengen gering zu halten. Häu¿g verursachen Händler dadurch Überbestände, dass sie für jede SKU Auslagenmindestmengen festlegen; doch bei einem Artikel, der nur einmal in sechs Monaten verkauft wird, entspricht bereits eine Mindestmenge von zwei Artikeln dem Absatz eines Jahres. Die Anzahl der Facings ist bei Langsamdrehern aber auch deshalb oft höher als erforderlich, weil Planogramme nicht an die SKU-Umlaufgeschwindigkeiten in den Filialen angepasst sind. Für die Unternehmen kommt es also darauf an, Auslagenmindestmengen, Facings und Packungsgrößen systematisch aufeinander abzustimmen – und zwar auf Basis einer sorgfältigen Segmentierung der Artikel- und Filialumlaufgeschwindigkeit. Falls die Anzahl der Facings die SKU-Umlaufgeschwindigkeit deutlich übersteigt, sollte der Händler seine Planogramme (auch ¿lialspezi¿sch) auf die Umlaufgeschwindigkeiten zuschneiden. Damit erzielt er zusätzliche Einsparungen bei Bestands- und Arbeitskosten, die durch das Verräumen der Ware entstehen. Flächen, die durch Verringerung der Facings bei Langsamdrehern frei werden, können für Schnelldreher und damit zur Steigerung der Flächenproduktivität genutzt werden. Die höhere Komplexität der Planogramme lässt sich mit Hilfe eines zentralen Teams und entsprechender Unterstützungssysteme meistern. Effizientere Kommissionierung und Verräumung Außerdem können Händler die Kommissionier- und Gebindegrößen ihrer langsamdrehenden Artikel reduzieren, um Überbestände sowie Auffüllaktivitäten in den Filialen zu minimieren und Preissenkungen für Ladenhüter zu vermeiden. Im Idealfall kommt die Ware vom Hersteller gleich in den gewünschten Gebindegrößen. Akzente 2’11 41 Langsamdreher wie etwa Drogerieartikel können hohe Deckungsbeiträge bringen – wenn die Supply Chain stimmt. Tatsächlich haben jedoch viele Unternehmen nicht die Einkaufsmacht, um kleinere Gebinde durchzusetzen. Überdies sind nicht alle Lieferanten in der Lage, kleine Gebinde oder Mischbehälter wirtschaftlich anzubieten – oder sie geben die Mehrkosten an den Handel weiter. Deshalb brauchen Händler eigene Systeme zur Kommissionierung kleiner Mengen, um ihre Filialen mit der gewünschten Menge beliefern zu können. Bei der Festlegung, welche Produkte in eigenen Verteilzentren umzupacken sind, hilft eine Faustregel: Artikel, bei denen der Gebindeinhalt die Regalkapazität übersteigt, werden umgepackt. Anspruchsvolle Händler ermitteln die optimale Gebindegröße für einzelne SKUs per Kosten-Nutzen-Rechnung: Sofern das Einsparpotenzial, das kleinere Gebinde bieten, die höheren Kosten rechtfertigt, wird die Größe verringert. Dies trifft meist auf hochwertige Artikel zu und auf solche, bei denen der Gebindeinhalt größer ist als die Regalkapazität. Dabei ist es wichtig, sämtliche Effekte entlang der Lieferkette zu berücksichtigen, also neben direkten Kosteneffekten bei der Kommissionierung auch Auswirkungen auf den Bestand und die Verräumung in der Filiale. Nun geht es darum, möglichst viele Langsamdreher mit kleineren Gebinden möglichst ef¿zient und kostengünstig zu kommissionieren. Bewährte Maßnahmen sind hier etwa gleichzeitige Kommissionierung mehrerer Bestellungen, Bereitstellung von Mischbehältern, Platzierung auf Basis der Umlaufgeschwindigkeit, sprachbasierte Kommissionierung und Steuerung der Auftragsgrößen entsprechend der Kapazität der Kommissionierung. Zugleich benötigen die Händler Prozesse für das Umpacken und das ef¿ziente Vorsortieren der Artikel. Letz- 42 Supply Chain teres umfasst die warengruppenspezi¿sche Einsortierung in Transportbehälter im Verteilzentrum ebenso wie die Lieferung vorsortierter Rollbehälter an die Filialen. Solche vorsortierten, regalgerechten Lieferungen senken natürlich auch bei Schnelldrehern die Arbeitskosten, für Langsamdreher sind sie aber erfolgsentscheidend, weil hier der Arbeitsaufwand für Sortierung und Verräumung zu hoch wäre. Segmentierte Prozessvorgaben Den dritten Hebel für Bestands- und Kostenreduzierungen liefert die Supply-Chain-Philosophie der Segmentierung: Händler sollten Langsamdreher spezi¿sch behandeln. Neben der Verlängerung der Auffüllintervalle für Langsamdreher sind die wichtigsten Maßnahmen hier die Zentralisierung der Warenlagerung und die intelligente Reduzierung des Sortiments. Die Konzentration auf weniger Verteilzentren bietet gleich mehrere Vorteile: Da die Nachfrage bei Langsamdrehern weniger stark schwankt, kann der Händler seinen Sicherheitsbestand in den Verteilzentren verringern und zudem die Kosten für Warentransport und -annahme senken sowie die operative Leistung steigern. Lagern sollte der Händler die Langsamdreher am jeweils günstigsten Standort, etwa möglichst nah am Hersteller, wenn dieser streckenabhängige Liefergebühren verlangt. Bezahlt der Händler die Fracht pauschal, sollte er anhand der aktuellen Standortverteilung seiner Zentren ermitteln, von welchem aus er am günstigsten ausliefern kann. Eine kluge Reduktion des Sortiments auf jene Langsamdreher, die für Kunden besonders wichtig sind, kann ebenfalls spürbare Kosteneinsparungen bringen – ohne Kundenzufriedenheit und -loyalität signi¿kant zu beeinträchtigen. Hierbei geht es allerdings nicht darum, einfach nur die Artikel mit dem geringsten Umsatz oder der niedrigsten Marge auszulisten. Denn ein solch undifferenziertes Vorgehen birgt erhebliche Umsatzrisiken, weil bei vielen SKUs die Nachfrage nicht ohne Weiteres auf Substitutionsprodukte übertragbar ist. Dieses Risiko können Händler minimieren, indem sie eine kundenund marktbasierte Methode nutzen: Sie ermittelt mit Kundenentscheidungsbäumen einerseits die Artikel, die für Kunden besonders bedeutsam sind, und andererseits Redundanzen, also etwa SKUs mit ähnlichen Merkmalen und Preisen. Schließlich sollten Händler die Sortimente ihrer Wettbewerber analysieren, um so Kategorien zu identi¿zieren, in denen Einschnitte risikoarm sind. Aktives Abverkaufsmanagement Der vierte Hebel setzt beim Management des Abverkaufs an: Schnelldreher werden am Ende ihres Lebenszyklus naturgemäß schneller abverkauft, während von Langsamdrehern häu¿g Restbestände übrig bleiben. Diese Ware erhöht nicht nur das Bestandsvolumen: Um sie abzusetzen, sind meist Preissenkungen und Ausverkäufe erforderlich, was die Erträge schmälert. Einzelhändler können dies vermeiden, indem sie einen Prozess entwickeln, der das Management dieser Artikel in der Mitte des Lebenszyklus verbessert. Bei einem solchen Prozess beginnt das Unternehmen früher als bei Schnelldrehern mit der Steuerung der Platzierung in der Filiale und im Verteilzentrum, um so Überbestände und Preissenkungen am Ende des Lebenszyklus zu minimieren. Solide Basis für den nächsten Schritt Mit diesen vier Hebeln bekommen Unternehmen nicht nur Aufwand und Komplexität der Supply Chain für Langsamdreher in den Griff. Sie schaffen damit zugleich die Grundlage für weitere Verbesserungen. Drei Beispiele: Arbeitsintensive Kommissionierung in Übersee. Händler mit globaler Beschaffung können Ware vollständig oder teilweise in jenen Niedriglohnländern kommissionieren, in denen sie produziert wird. Zum Beispiel in China: Bei hohen Importen von dort bietet ein eigenes Verteilzentrum zur ¿lialspezi¿schen Kommissionierung vor Ort erhebliche Lohnkostenvorteile. Dabei dürfte der Gesamteffekt trotz höherer Bestandskosten positiv sein. Das hat drei Gründe: Erstens sind die Lagerhaltungskosten in China geringer. Zweitens bietet die Konsolidierung des Bestands vor Ort die Möglichkeit, Bestellmengen und Zeitpläne zu optimieren, so dass der Hersteller gleichmäßiger produzieren und die Bestände im Werk verringern kann. Und drittens kann der Händler leichter die Mindestauftragsmengen einhalten. Vorsprung bei Kleinformaten. Mit einer ef¿zienten Kommissionierung und der Verpackung kleiner Mengen verschaffen sich Einzelhändler auch erhebliche Vorteile bei Kleinformaten wie Convenience Stores oder CityMärkten. Auf Grund eingeschränkter Lager- und RegalÀächen kommen hier nur kleine Nachfüllmengen und mithin kleine Gebinde in Frage. Für Unternehmen mit vielen kleinformatigen Filialen – und starker Expansion in neue internationale Märkte mit solchen Formaten – können die entsprechenden Prozesse ein entscheidender Erfolgsfaktor sein. Akzente 2’11 Mehr Fläche in den Filialen. Viele Filialen lagern in ihrem Hinterraum Überbestände, die nicht ins Regal passen. Dies erhöht den Gesamtbestand nicht selten um 30 bis 40 Prozent und erfordert zudem einen Mehraufwand von 20 bis 30 Prozent, weil die Mitarbeiter die Ware erst im Hinterraum und dann ins Regal verräumen, aber auch häu¿g lange in dem engen, unübersichtlichen Lager nach Artikeln suchen müssen. Der Regalkapazität entsprechende Mengen, die direkt vom Wareneingang zur Regalbefüllung in den Verkaufsraum transportiert werden, setzen im Hinterraum meist 20 bis 40 Prozent Fläche frei. Dieses Potenzial kann der Händler nutzen, um seine Flächenproduktivität zu erhöhen oder die VerkaufsÀäche auszuweiten. Die Beispiele zeigen: Supply-Chain-Optimierung bei Langsamdrehern bringt noch weit mehr Vorteile als die Reduzierung von Kosten und Beständen. So können Händler ihre strategische Position deutlich verbessern, indem sie ihre Fähigkeiten im ef¿zienten Handling weniger nachgefragter Artikel konsequent ausbauen und umfassend einsetzen. 43 Kernaussagen 1. Um Kunden in die Filialen zu locken und an sich zu binden, brauchen viele Händler ein breites Sortiment – auch wenn damit eine aufwendigere Supply Chain verbunden ist. 2. Diese Kosten können Händler jedoch drastisch verringern, indem sie vier Maßnahmen ergreifen: Überarbeitung der Planogramme und Facings, ef¿ziente Kommissionierung und Verräumung, segmentierte Prozessvorgaben sowie ein aktives Abverkaufsmanagement. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: [email protected] Autoren 1 Konrad W. Bauer ist Berater im Kölner Büro von McKinsey. Er ist Mitglied der europäischen Supply Chain Practice. Seine Schwerpunktthemen sind Netzwerk- und Lieferkettenoptimierungen. 2 Dr. Christoph Glatzel ist Partner im Kölner Büro und Leiter der europäischen Supply Chain Management Practice von McKinsey. Der Schwerpunkt seiner Beratungsarbeit liegt im Bereich Operations. 3 Dr. Martin Schüler ist Berater im Münchener Büro von McKinsey. Er ist Mitglied des deutschen Konsumgüter- und Handelssektors und berät Klienten vor allem im Bereich Supply Chain Management. 44 Social Media Marketing von unten Soziale Netzwerke im Internet beeinflussen zunehmend die Kaufentscheidungen der Konsumenten. Mit neuen Strategien und Analysetools kann das Marketing Social Media nutzen. Von Klaus Behrenbeck, Mathias Kullmann und Dennis Spillecke Es ist noch nicht lange her, da waren Hersteller von Konsumgütern vornehmlich auf Verbraucherumfragen angewiesen, wenn sie erfahren wollten, was Menschen über ihre Marken dachten. Heute klicken die Konsumenten auf den „Like“-Button, wenn ihnen etwas gefällt, und sie posten harte Kritik, wenn ihnen etwas missfällt. Sie verbreiten ihre Meinungen in Blogs, tauschen sich in Themenforen aus, bewerten Produkte und Services für die Mitmenschen: Das Internet macht’s möglich. Binnen weniger Jahre ist Social Networking im Web zum Massenphänomen geworden. Pro Tag kursieren 140 Millionen Twitter-Botschaften; über 750 Millionen Menschen sind auf Facebook registriert. In Deutschland stieg die Mitgliederzahl in den vergangenen zwei Jahren um fast 800 Prozent auf aktuell rund 18 Millionen. Parallel kommuniziert die Internetgemeinde auf LinkedIn oder Xing, Lokalisten, YouTube und in zahllosen anderen Foren oder Microblogs. Für Konsumgüterunternehmen wird die neue Meinungsmacht im Netz mehr und mehr zum ökonomischen Faktor, denn der EinÀuss der sozialen Medien auf das Kaufverhalten wächst. Globalen Internetstudien zufolge nutzen bereits zwei Drittel aller Konsumenten auch Online-Produktbewertungen als Grundlage ihrer Kaufentscheidungen. Mehr als ein Drittel stützt sich auf Empfehlungen und Warnungen von Peergroups oder folgt der allgemeinen Mundpropaganda im Netz, die sich dort schneller und stärker verbreitet als überall sonst (Gra¿k 1, Seite 46). Die interaktive Webgemeinde lässt viele Unternehmen ihre Marketingansätze überdenken. Vielfach verlagern sie ihre Investitionen von der klassischen Einwegkommunikation auf gekauften Werbeplätzen („Bought Media“) hin zum Dialog mit den Endkunden und zu „Earned Media“, also der Verbreitung von Markenoder Produktbotschaften durch die Community selbst. Eine echte Herausforderung an jeden Markenhersteller, zugleich aber auch eine Chance, relevanten Zielgruppen näherzukommen und mehr über sie zu erfahren als je zuvor. Chancen entlang der Wertschöpfungskette Um die richtigen Marketingentscheidungen treffen zu können, sind Unternehmen immer mehr auf den Input der Verbraucher angewiesen. Online-Foren und Netzwerke liefern ihnen die Meinungen und Wünsche der Konsumenten unge¿ltert frei Haus – für das Marketing eine wahre Fundgrube an Informationen. Konsumgüterhersteller nutzen soziale Medien inzwischen in der gesamten Wertschöpfungskette: für ihre Marktforschung und in der Produktentwicklung, zur Stärkung ihrer Marken oder Verbesserung des Kundenservice. Marktforschung. Anders als bei der klassischen Marktforschung, die manchmal eher sozial erwünschte Äußerungen als die wahren Bedürfnisse und Einstellungen der Verbraucher zu Tage fördert, können spezielle Tracking Tools aus Social Media „mithören“, was Kunden wirklich denken (siehe Kasten Seite 47). Produktentwicklung. Einige Unternehmen beteiligen ihre Kunden aktiv an der Entwicklung neuer Produkte – um einerseits von ihrer Kreativität zu pro¿tieren, aber auch, um ihre wahren Bedürfnisse besser einschätzen und bedienen zu können. So nutzte LEGO den OnlineHype um seine neue Serie MINDSTORMS, um die er¿nderische Fangemeinde aktiv an der nächsten Produktgeneration mitbauen zu lassen. Fast 10.000 Nutzer Akzente 2’11 45 Unternehmen, die Social Media richtig auswerten, wissen mehr: Während die Teilnehmer einer klassischen Verbraucherumfrage Umweltverträglichkeit als wichtigstes Produktmerkmal bei Windeln nannten, zeigte die Analyse der Diskussionen in sozialen Netzwerken, dass das Thema Hautverträglichkeit junge Eltern am meisten bewegt. schickten Vorschläge und MINDSTORMS wurde mit mehr als einer Million Einheiten zum bestverkauften Spielzeug im LEGO-Sortiment. Procter & Gamble wiederum warb Kunden im Internet als „Produktberater“ an und reduzierte so die Testkosten für seine Produktneuheiten stellenweise um bis zu 90 Prozent. Markenbildung. Soziale Medien sind ein ideales Terrain, um die Markenbekanntheit des Unternehmens sowie einzelner Produkte zu stärken. So ließ Chipshersteller Doritos eine Werbekampagne zum amerikanischen Super Bowl von seinen Kunden im Online-Wettbewerb kreieren – die Produktion des späteren Gewinner-Spots kostete das Unternehmen fast nichts und brachte im Gegenzug signi¿kante Verkaufssteigerungen. Vorbildliches Corporate Branding betreibt derzeit General Electric beim Trendthema Nachhaltigkeit: Der Mischkonzern nutzt alle relevanten sozialen Online-Kanäle für seine CSR-Kommunikation, lässt die User Nachhaltigkeitsideen bewerten und eigene entwickeln. Zu den Top Ten auf diesem Gebiet zählen auch die Konsumgüterhersteller Pepsi, Nokia und PUMA. Unternehmen wie Bertelsmann, Kraft Foods und OTTO wiederum nutzen soziale Netze intensiv, um ihr Image als Arbeitgeber zu stärken und neue Talente zu gewinnen. Kundenservice. Mängel bei Serviceleistungen werden von den Internetgemeinden besonders rasch angeprangert – ein Hinweis an die Unternehmen, ihre Customer Services besser an die Kundenerwartungen anzupassen. Der Elektronikhändler Best Buy hat hierzu eigens „Twelp-force“ eingerichtet, einen Twitter-basierten Kundenservice, bei dem 2.700 Mitarbeiter von Best Buy als Ansprechpartner registriert sind. Der schnelle 46 Social Media 1. Neue Meinungsmacht: Soziale Netzwerke liefern wertvolle Erkenntnisse über das Kaufverhalten von Konsumenten 50 % der Nutzer stellen verbraucherrelevante Informationen und Produktbewertungen ins Netz > 66 % der Konsumenten weltweit nutzen OnlineProduktbewertungen für ihre Kaufentscheidungen > 35 % der Verbraucher folgen WOM1 und den Kaufempfehlungen anderer Kunden im Netz 60 Mal pro Tag wird eine Marke durchschnittlich in sozialen Netzwerken erwähnt2 > 750 Mio. Mitglieder sind auf Facebook registriert 1 Word of Mouse, die Internetvariante von Word of Mouth (Mundpropaganda) Quelle: McKinsey 2 Englischsprachige Webseiten Draht (durchschnittliche Antwortzeit 15 Minuten) erhöht nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern hilft dem Unternehmen auch, Kosten zu sparen. Noch ef¿zienter wird der Kundendienst im Netz, wenn die Online-Community selbst aktiv wird und sich untereinander mit digitalem Rat zur Seite steht, ohne dass ein Mitarbeiter des Unternehmens tätig werden muss. unter knapp 50 Konsumgüterherstellern und Einzelhändlern stehen soziale Medien bei 46 Prozent der Unternehmen ganz oben auf der To-do-Liste ihres Marketings. Dennoch schrecken viele noch vor einem Engagement zurück, hauptsächlich aus Angst, die Kontrolle über ihre Werbebotschaften zu verlieren – eine begründete Sorge. Dass sich der Einsatz sozialer Medien vielfach lohnen kann, bestätigt eine McKinsey-Umfrage unter mehr als 3.000 Unternehmen weltweit. Zielgruppen lassen sich häu¿g besser, direkter und dabei kostengünstiger erreichen, so das Urteil. Jeder zweite Befragte registriert eine höhere Zufriedenheit seiner Kunden, fast zwei Drittel verzeichnen ein effektiveres Marketing mit Einsparungen von durchschnittlich 15 Prozent. Social Media können auch direkt umsatzwirksam sein: Die Jahresanalyse eines Produkts einer Babyartikelmarke im westeuropäischen Markt zeigte eine hohe Korrelation zwischen der Intensität, mit der die Marke in sozialen Netzwerken diskutiert wurde („Brand Buzz“), und den Produktverkäufen (Gra¿k 2, Seite 48). Soziale Netzwerke haben die Macht, den guten Ruf von Marken und ihren Herstellern gleichsam über Nacht zu demontieren: User nehmen Werbekampagnen in Spottvideos aufs Korn und enthüllen Produktmängel für jeden sichtbar auf YouTube. Sie posten Verrisse in Verbraucherforen, rufen via Twitter zu Kaufboykotts auf und prangern auf Facebook Aktivitäten von Unternehmen an – manchmal sogar auf deren eigenen Fanseiten. Risiko Social Media – und welche Strategie hilft Welche Chancen auf Wachstum sowie Umsatz- und Pro¿tsteigerung im Web 2.0 stecken, ist auch deutschen Unternehmen inzwischen bewusst. Laut einer Umfrage Kontrollverluste im sozialen Netz sind oft Folge eines fehlenden Konzepts. Um Kommunikationspannen zu vermeiden und zugleich das Marketingpotenzial von Internetforen voll zu nutzen, brauchen Unternehmen eine klare Strategie und sorgfältige Analysen. Bewährt hat sich ein Ansatz in drei Schritten: Bewertung der sozialen Medien im eigenen Marktkontext, Priorisierung möglicher Handlungsfelder und Schaffung der organisatorischen und technischen Voraussetzungen für wirkungsvolle Online-Aktivitäten. Akzente 2’11 47 NM Incite findet heraus, was Verbraucher wirklich denken Das Joint Venture von McKinsey und dem Marktforschungsunternehmen Nielsen analysiert die Stimmungen in 145 Millionen Blogs, Portalen und Netzwerken: So funktioniert „Marketing von unten“. Unternehmen, die in Social Media aktiv werden wollen, brauchen geeignete Werkzeuge. Was denken Verbraucher tatsächlich über ein Produkt? Wo liegen ihre wahren Bedürfnisse und Prioritäten? Fragen wie diese werden in klassischen Verbraucherumfragen selten ehrlich beantwortet. Das zeigte 2010 eine Fallstudie, die Kunden zu einer Stoffwindelsorte befragte und die Resultate mit den frei geäußerten Meinungen zu diesem Produkt im Internet verglich (Gra¿k unten). Während in der Umfrage politisch korrekt die Umweltfreundlichkeit ganz oben rangierte, spielte in Social-Media-Diskussionen die Hautfreundlichkeit die größte Rolle. Und der Preis, in der Umfrage auf Platz 2, fand sich in Social Media weit unten. Solche Verbraucherbedürfnisse und -einstellungen decken die Tracking Tools von NM Incite auf. Das Kooperationsunternehmen zur Analyse sozialer Medien, das McKinsey zusammen mit dem Marktforschungsinstitut Nielsen ins Leben gerufen hat, greift auf einen Datenbestand aus 145 Millionen Blogs, Portalen und Netzwerken zu und zieht aus Milliarden von Konversationen marketingrelevante Erkenntnisse mit Hilfe selbst entwickelter Softwareprogramme, Metriken und Analysemethoden. NM Incite betreibt echtes „Marketing von unten“, indem es Menschen in ihrer ureigenen Blogosphäre „zuhört“. Soziale Netzwerke offenbaren wie kaum ein öffentlicher Raum sonst die ehrlichen Ansichten und Wünsche von Konsumenten – und bilden damit eine wertvolle Quelle für Marketingaktivitäten. NM Incite folgt praktisch in Echtzeit dem „Buzz“ im Netz und gibt Unternehmen damit die Möglichkeit, rasch auf Meinungstrends zu reagieren und gegebenenfalls schnell gegenzusteuern, falls Gefahren für die Marke drohen. Mehr noch: Mit Analysewerkzeugen, wie NM Incite sie bereitstellt, können Unternehmen das volle Potenzial sozialer Netzkommunikation erschließen. Sie helfen ihnen, Diskussionen aktiv zu steuern, Konsumenten individuell anzusprechen und so die eigene Marketingeffektivität spürbar zu steigern. Mehr als 150 Klientenunternehmen in 20 Märkten nutzen das Tool bereits – für ihre Produktentwicklung, bei der Markenkommunikation oder zur Verbesserung ihres Kundenservice. Produkteigenschaften, die in einer Umfrage abgefragt wurden Begriffe, die online im Zusammenhang mit dem Produkt genannt werden Prozent der Befragten, die voll zustimmen Relative Werte Umweltfreundlich 68 Wirtschaftlich 40 Gesünder Bequemer Passen gut Quelle: McKinsey 25 18 13 Natürlich, hautfreundlich 42 Windelausschlag 28 Auswaschbar 10 Preisgünstiger 8 Kosten 4 Umweltfreundlich 2 48 Social Media 2. „Buzz“ bringt Umsatz: Intensive Diskussionen in sozialen Medien beeinflussen den Verkauf signifikant1 Tatsächlicher Umsatz Markenumsatz in Tsd. GBP pro Woche Buzz-Volumen Brand-Buzz-Volumen Nennungen pro Woche 120 100 100 80 80 60 40 Korrelationsfaktor 0,48 0 Mai 2009 Jul Sep Nov Jan 2010 Mär Mai Jul 0 1 Beispiel: Babyartikel Quelle: Umsatzdaten Nielsen; NM Incite; McKinsey-Analyse Social-Media-Kontext verstehen. Zunächst gilt es, die Bedeutung sozialer Medien für das eigene Marktsegment auszuloten. Beispiel Fernseher: Auf welchen Webseiten tauschen sich Verbraucher über diese Produktkategorie aus? Wie intensiv gestalten sich die Diskussionen und wer steuert sie? Wie präsent ist die eigene Marke? Welche Strategien verfolgen die Wettbewerber? Zuverlässige Antworten auf diese Fragen liefern Buzz-Erhebungen, Zielgruppensegmentierungen sowie qualitative und quantitative Wettbewerbsanalysen. Handlungsfelder bestimmen. Ist der Social-MediaKontext erfasst, geht es an die Priorisierung möglicher Handlungsfelder in drei Kategorien: erfolgskritische Bereiche (so genannte Must-haves), Experimentierfelder und Beobachtungsterrains. Für die Produktentwicklung etwa wäre ein mögliches Must-have das systematische Sammeln und Auswerten von Konsumentenmeinungen über Produkteigenschaften, um diese gezielt verbessern zu können. Im Bereich Kundendienst könnten Serviceangebote auf sozialen Plattformen ein lohnenswertes Experimentierfeld sein. Und im Verkauf wäre eine eigene Social-Commerce-Seite ein typisches Beobach- tungsterrain, dessen Vor- und Nachteile längerfristig abzuwägen sind. Wichtige Kriterien für die Priorisierung solcher Handlungsfelder sind in jedem Fall der erwartete Nutzen, der Implementierungsaufwand und mögliche Risiken, etwa für die Reputation. Umsetzungsvoraussetzungen schaffen. Um die geplanten Aktivitäten erfolgreich zu realisieren, sind oft strukturelle Anpassungen, neue Prozesse und die Aneignung spezi¿scher Techniken und Tools erforderlich. Noch sind viele Organisationen für den Umgang mit sozialen Medien nur unzureichend gerüstet: Fast zwei Drittel der von McKinsey befragten Unternehmen haben die Verantwortlichkeiten für Social Media breit im Unternehmen gestreut oder überhaupt noch nicht geregelt. Auch die Berichtsstrukturen sind diffus – sie reichen vom Marketing über die Unternehmenskommunikation bis zum Kundenservice. Abhilfe schaffen hier klar de¿nierte Rollen, die Bildung cross-funktionaler Exzellenzteams und standardisierte Abläufe von der Medienanalyse bis zum Aktionsplan. Ziel sollte es sein, das Social-MediaEngagement in die Kernprozesse zu integrieren und als feste Größe in der Organisation zu verankern. Akzente 2’11 Die „soziale Revolution“ im Netz hat die Unternehmen erfasst: Kaum eine Branche, die nicht über den Einsatz von Social Media nachdenkt – ganz besonders im B2C-Geschäft. Zu wichtig sind diese Medien geworden, vor allem um jene Multiplikatoren zu erreichen, die Meinungstrends im Netz setzen und damit Kaufentscheidungen maßgeblich beeinÀussen. Denn so Àüchtig der „Buzz“ auf den ersten Blick erscheint, so massiv kann er auf das Verhalten der Konsumenten einwirken. Ob ein Produkt am Markt reüssiert oder durchfällt, wird zunehmend in virtuellen Netzwerken wie Facebook, Twitter & Co. entschieden. Unternehmen, die dieser Herausforderung heute mit professionellen Ansätzen begegnen, werden morgen den Wettstreit um die Kunden gewinnen. Haben Sie Fragen oder Anmerkungen? Die Autoren freuen sich auf Ihre Zuschrift. Bitte E-Mail an: [email protected] 49 Kernaussagen 1. Der Vormarsch sozialer Online-Netzwerke und die neue Interaktivität der Konsumenten erfordern eine grundlegende Revision klassischer Marketingansätze. 2. Eine tief in der Organisation verankerte Social-MediaStrategie ist der beste Weg, das Marketingpotenzial sozialer Medien voll auszuschöpfen und ihre Risiken zu beherrschen. 3. Analysetools wie NM Incite helfen, soziale Medien professionell zu nutzen, um Kunden zu erreichen, ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie für Produkte und Services zu begeistern. Autoren 1 Dr. Klaus Behrenbeck ist Partner im Kölner Büro von McKinsey und Leiter des europäischen Konsumgüter- und Handelssektors. 2 Dr. Mathias Kullmann ist Partner im Düsseldorfer Büro von McKinsey und Mitglied der Marketing & Sales Practice. Er berät Unternehmen vor allem zu E-Commerce und Digital Marketing. 3 Dr. Dennis Spillecke ist Partner im Kölner Büro von McKinsey. Im Konsumgüter- und Handelssektor leitet er die Bereiche Retail Marketing sowie Digital Marketing und ist Co-Leiter der Branding Service Line. 50 Kommentar Die Marke ist eine bedrohte Spezies ... ... beobachtet Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbands. Er wirbt dafür, sie aktiv zu schützen. Eigentlich sollte die Bedeutung von Marken hinlänglich bekannt sein. Sei es als Orientierungs- und Wertesystem für Gesellschaft und Verbraucher oder auch als wesentliches Differenzierungsmerkmal, mit dem sich Unternehmen in zunehmend globalisierten Märkten behaupten können. Marken sind damit eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft. Trotz dieser Bedeutung sind Marken ständiger Bedrohung ausgesetzt. Zu nennen sind hier das illegale Nutzen von Rechten der Markeninhaber, die unberechtigte Beschädigung des Markenvertrauens, die Beschneidung der Möglichkeit, Markenvertrauen aufzubauen, und letztlich die Zerstörung der Marke selbst durch den Staat oder zumindest durch staatliche Unterstützung. Die volkswirtschaftlichen Schäden durch Produktund Markenpiraterie werden auf 5 bis 7 Prozent vom Wert des Welthandels geschätzt. Produkt- und Markenpiraterie ist eine der größten Bedrohungen für qualitäts- und innovationsgetriebene Volkswirtschaften und deren nachhaltiges Wachstum. Die Markenwirtschaft ist über fast alle Branchen hinweg von Produkt- und Markenpiraterie betroffen. Verbraucher gehören immer zu den Geschädigten: Durch individuellen Schaden, den sie durch den Kauf eines Plagiats erleiden, oder indirekt durch den volkswirtschaftlichen Schaden. Immerhin werden die volkswirtschaftlichen Schäden durch Produkt- und Markenpiraterie auf 5 bis 7 Prozent des Werts des Welthandels geschätzt. Der Anreiz, Marken zu fälschen, ist gerade deshalb gegeben, weil der Ertrag pro gefälschter Einheit sehr hoch ist und Rechtsbrecher kaum mit Strafverfolgung zu rechnen haben. Damit Marken Wertelieferanten im besten Sinne für Unternehmen, Verbraucher und Gesellschaft sein können, ist die Kommunikationsfreiheit von Produkten und Marken ein wesentliches Element, müssen fairer Wettbewerb und der Schutz vor überbordender Regulierung gewährleistet sein. Gerade gegen Regulierung können sich Markenunternehmen selbst kaum wehren. So wird die Orientierungsfunktion von Marken zerstört, wenn Marken abgeschafft werden oder ihre Benutzung auf ein nahezu unkenntliches Maß reduziert wird. Genau dies sind beispielsweise die Bestrebungen von EU-Kommissar John Dalli beim so genannten Plain Packaging – geplant ist zunächst der Vertrieb von Tabakprodukten in neutralen Verpackungen mit vorgeschriebener, einheitlicher Schrift, ohne jegliche Logos, Markenbilder und Produktnamen. Dies stellt in erster Linie eine Enteignung der Markeninhaber dar und führt zur Vernichtung von Markenwerten. Wenn Marke Risikominimierung beim Kauf bedeutet, so Akzente 2’11 51 führen das Verbot von Marken, das Verbot der Werbung am Point of Sale und das Verbot der Ausstellung der Ware selbst, nur zu einem: Der Verbraucher wird bewusst dem Risiko ausgesetzt, falsche Produkte zu kaufen. Besonders im Namen von so genanntem Verbraucherschutz herrscht in Deutschland die Tendenz, die Entscheidungen des freien, mündigen Verbrauchers zu beschneiden und die Selbstverantwortung des Einzelnen zu reduzieren. Und Marken leiden hier besonders. Auch wenn der Staat nicht immer direkt eingreift, so werden Dritte mit staatlichen Mitteln in die Lage versetzt, Marken anzugreifen und Unternehmenswerte zu beschädigen. Wer über Internetplattformen wie lebensmittelklarheit.de neben sinnvollem Informationsaustausch auch den ungehemmten, nicht sachlich, sondern rein emotional getriebenen Angriff auf den Wert von Marken ermöglicht, der nimmt Folgendes in Kauf: Der Ruf von Marken wird trotz rechtstreuem Verhalten geschädigt und eine notwendige Diskussion wird verhindert. internationaler Abkommen, wie beispielsweise das Antipiraterieabkommen ACTA. Überschießenden regulatorischen Tendenzen auf politischer Seite muss mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. So gilt es, die Kommunikationsfreiheit von Unternehmen und Marken zu erhalten. Auch zukünftig muss jedes legal hergestellte und vertriebene Produkt auch frei beworben werden dürfen. Und last but not least ist die Diskussion im Namen des Verbraucherschutzes zu versachlichen. Für den Erhalt eines qualitätssichernden Wettbewerbs muss es Ziel bleiben, Marken vor Bedrohungen aktiv zu schützen. Im Bereich der Produkt- und Markenpiraterie gehört hierzu die Schaffung von Wissen um diese Straftaten genauso, wie eine Verschärfung des Strafrechts oder die Rati¿zierung und Umsetzung Die Themen und Handlungsgebiete sind vielfältig und nur durch gesamtgesellschaftliches Engagement zu lösen. Vor diesem Hintergrund verleiht der Markenverband den Unternehmen der Markenwirtschaft eine starke Stimme und engagiert sich für verlässliche Rahmenbedingungen. Kommunikationsfreiheit, fairen Wettbewerb und Schutz vor überbordender Regulierung für die Marken verlangt Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbands, in seinem AkzenteKommentar. 52 Werkstatt: aktuelle Themen McKinsey Capability Center eröffnet Neues Trainingszentrum am Flughafen München In der Nähe des Flughafens München wurde jetzt das McKinsey Capability Center eröffnet. Hier werden Mitarbeiter von Klienten künftig in realistischer Arbeitsumgebung erleben, wie sich Verbesserungen in Unternehmen erreichen lassen. „Wir wollen die Fähigkeiten der Klientenmitarbeiter so weiterentwickeln, dass sie neue Konzepte und Veränderungsprozesse eigenständig umsetzen können“, erklärt McKinseys Deutschlandchef Frank Mattern. Mehr als 30 Berater waren an der Konzeption des Capability Center beteiligt und werden die Trainings leiten. Hier können künftig bis zu 80 Personen gleichzeitig Verbesserungsprozesse Praxisnahe Entwicklung:Klientenmitarbeiter konzipieren im MCC einen Roboter. ausprobieren und erlernen. Claus Benkert, Leiter des Centers: „Erlebnisbasiertes Lernen ist nach wissenschaftlichen Untersuchungen viel effektiver für Erwachsene, als sich neues Wissen nur aus Büchern und Vorträgen anzueignen.“ EMAC und McKinsey küren beste MarketingDoktorarbeit in Europa Vier Wege zu mehr Kreativität für Manager und ihre Teams Herausragende wissenschaftliche Arbeiten aus der IT gesucht Die European Marketing Academy (EMAC) und McKinsey haben zum dritten Mal den „EMAC McKinsey Marketing Dissertation Award“ für herausragende Forschungsarbeiten im Bereich Marketing vergeben. Der Preis wurde beim Galadiner der jährlichen EMAC-Konferenz in Ljubljana verliehen. Gewinner des mit 7.000 Euro dotierten Preises ist Carlos Jorge da Silva Lourenço, der für seine Doktorarbeit an der niederländischen Universität Tilburg ausgezeichnet wurde. Gegenstand seiner Arbeit sind das Preisimage von Geschäfts¿lialen sowie dessen EinÀuss auf die Wahl der Einkaufsstätte. Bewerbungen für den Award 2012 sind ab Herbst möglich, Informationen unter www.marketing-dissertation-award.eu Kreativität lässt sich trainieren: In einem aktuellen Artikel über neue Wege zu mehr Kreativität in Meetings und Brainstormings setzt das McKinsey Quarterly auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft. Danach sind Wahrnehmung und Kreativität eng verknüpft. Nur wer sein Hirn mit neuen, nie wahrgenommenen Dingen konfrontiert, kann aus gewohnten Denkschablonen ausbrechen. Darauf basierend entwickeln die Autoren vier Ansätze, mit denen Manager und ihre Teams kreative Lösungen für überkommene Probleme ¿nden und auch neue Wachstumschancen identi¿zieren können. Der ganze Bericht wurde auf www.mckinseyquarterly.com veröffentlicht („Sparking creativity in teams: An executive’s guide“). Wer eine wissenschaftliche Arbeit zu einem businessrelevanten IT-Thema verfasst hat, kann sich ab sofort für den Business Technology Award 2011 von McKinsey bewerben. Der Wettbewerb richtet sich an Doktoranden, die im Bereich Wirtschaft und Technologie forschen. Bewerbungsschluss für den mit insgesamt 12.500 Euro dotierten Preis ist der 3. Oktober 2011. Die Verfasser der besten eingereichten Arbeiten werden zu einer Konferenz nach Kitzbühel am 25. und 26. November 2011 eingeladen. Dort präsentieren sie ihre Ergebnisse einer Jury aus Managern, Professoren und McKinsey-Experten. Mehr Informationen unter: www.bt-award.mckinsey.de Haben Sie Fragen oder Anregungen? Wir freuen uns auf Ihre E-Mail: [email protected] Akzente 1’10 Impressum Herausgeber Dr. Klaus Behrenbeck McKinsey & Company, Inc. Consumer Industries & Retail Group Magnusstraße 11 50672 Köln Tel.: +49 (0)221 208-7270 Redaktion MEX – Medienbüro EXTERN GmbH, Hamburg www.mexmedien.de Druck Print- und Medienproduktion Hamburg GmbH Fotos/Illustrationen Dreamstime, iStockphoto, Matthias Jung, Markenverband, Markus Milde, Tengelmann, YouTube, McKinsey Hat sich Ihre Adresse geändert? 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